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Cathy - quit livin' on dreams

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Marvelgirl42,

hier kommt der erste Teil deiner Bestellung. Ich hoffe, der Auftakt gefällt dir.

Grüße und viel Spaß, DQ. Komplett anzeigen

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Sherlock Holmes war alles andere als der väterliche Typ. Genauso wenig war er ein religiöser Mensch oder ein Freund von Weihnachten. Aber sein Freund und langjähriger Mitarbeiter Dr. John H. Watson hatte ihm klar gemacht, dass dies die letzten Weihnachtsferien seiner Tochter Cathy sein würden und sie diese darum gefälligst zu Hause verbringen würde. Sherlock hatte auch diese Tochter nicht gewollt, aber Watson hatte sie angenommen, als sie plötzlich vor seiner Tür in der Baker Street 221b stand, und inzwischen hatte auch er sich an sie gewöhnt. Trotzdem war es natürlich eine Erleichterung, dass sie auf ein Internat ging und nun wollte Watson, dass sie die Feiertage mit ihnen verbrachte, also auch mit ihm, Sherlock. Und nicht nur das. Der raffinierte Kerl hatte es sogar geschafft ihn unter Vorgabe falscher Behauptungen in sein Auto zu locken und war mit ihm zum Internat gefahren, um Cathy abzuholen. Sherlock konnte trotz seiner Missbilligung dieses Tricks nicht umhin Watsons Entschlossenheit und Einfallsreichtum zu bewundern.
 

„Sag mal, John. Warum ist es dir gerade dieses Jahr so wichtig, dass das Kind die Feiertage zu Hause ist? Meinst du vielleicht, dass sie danach in die große weite Welt hinauszieht und wir sie so schnell nicht wieder sehen werden?“, fragte er nicht ohne Schalk.

Watson, der den Wagen fuhr, wandte den Blick nicht von der Straße ab, als er mit unterdrückter Empörung antwortete:

„Das Kind, wie du sie nennst, ist immerhin schon 19 Jahre alt. Und ja, genau das meine ich. Sie hat einen sehr klugen Kopf, ist begabt und neugierig. Sie wird etwas von der Welt sehen wollen, ihren Horizont erweitern und schließlich wird sie etwas aus Ihrem Leben machen.“, erklärte er.

Sherlock schmunzelte.

„Aber das ist der Lauf der Welt. Vögel werden flügge, Kinder ziehen in die Welt. Du tust ihr keinen Gefallen, wenn du sie so sentimental an dich bindest.“, belehrte er seinen langjährigen Gefährten.

Watson schüttelte fassungslos den Kopf.

„Da bist du so brillant und hast immer noch nicht verstanden, dass ich vor allem dich an Cathy zu binden versuche. Du steckst so in deiner eigenen Welt, dass du das wichtigste im Leben verpasst!“, rügte er seinen Freund nun mit offener Empörung in der Stimme. Sherlock lachte.

„Das habe ich schon verstanden, lieber John. Du hast diese Tatsache ja nicht gerade vor mir versteckt. Aber was du nicht verstehst ist, dass ich mein Leben für mich gewählt habe. Und es war nie ein Teil meiner Lebensplanung Vater zu werden.“, sagte er gerade heraus woraufhin der Arzt schwer ausatmete. Wie oft hatten sie diese Unterhaltung jetzt geführt? Und nicht zum ersten mal kam ihm der Gedanke, dass Holmes ihn damit absichtlich aufzog.

„Das bist du aber!“,beendete er die Diskussion. Sherlocks amüsiertes Schmunzeln konnte er allerdings nicht beenden.
 

Sie erreichten das Schulgelände zusammen mit einem halben Dutzend anderer Wagen, während in etwa die gleiche Anzahl gerade wieder abfuhr. Dazwischen standen noch andere Gefährte der unterschiedlichsten Art auf dem Hof herum und wurden mit Koffern und Menschen beladen. Watson parkte ein Stück abseits, weil ihm ein dicker schwarzer Mercedes zuvorgekommen war und den letzten Stellplatz vor dem Eingang zur Schule belegt hatte. Sherlock wäre lieber im Wagen sitzen geblieben, aber Watson ließ es nicht zu.

„Du wirst jetzt wie alle anderen Väter auch aussteigen und auf deine Tochter warten!“, fuhr er ihn an. Normalerweise redete er nicht so mit dem klügsten Kopf seines Jahrhunderts, aber wenn um Cathy ging scheute er keinen Kampf. Sherlock seufzte und stieg aus. „Du vergisst, dass ich nicht wie alle anderen bin.“, gab er zu bedenken, aber Watson hatte schon gewonnen und konnte sich jedes weitere Wort sparen.
 

Nach einer Weile tauchte unter der großen Eingangstür des Internats ein blutroter Schopf auf und als er näher kam war es tatsächlich Cathy. Watson hob den Arm und winkte der jungen Frau zu, die mit ihrer Schultasche, ihrem Koffer und zwei Transportkörben eben auf den Rasen trat. In den Körben saßen ihre Katzen Kateniss und Barry, die sie fast überallhin mit nahm. Jetzt hatte sie ihren 'Onkel' gesehen, lächelte und begann auf das Auto zuzugehen. In diesem Moment setzte der große schwarze Mercedes zurück und verdeckte Cathy für einen Moment. Als er keine 10 Sekunden später vorwärts weiter fuhr, standen die Katzen, der Koffer und die Schultasche allein auf dem Rasen. Cathy war weg. Stattdessen spurtete ein Junge mit schwarzen Haaren, in weißem hemd und schwarzer Anzughose, mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die Stelle zu, an der die junge Frau eben noch gestanden hatte. Er bremste driftend auf dem feuchten Rasen ab und bückte sich, um etwas zwischen Cathys Sachen aufzuheben. Dann richtete er sich auf und sah suchend in die Richtung, in die das Mädchen hatte gehen wollen.
 

Sherlock stieß sich vom Wagen ab, an dem er gelehnt hatte und wollte ebenfalls loslaufen, um nach Hinweisen zu suchen. Ihm war sofort klar, dass Cathy gerade vor seinen Augen entführt worden war. Auf der vollgestopften Straße glaubte er nicht, dass er den auffälligen Wagen verlieren könnte. Den würden sie schnell einholen. Aber Watson war anderer Meinung. Er saß bereits wieder im Auto und ließ den Motor an.

„Komm schon, Sherlock! Der Kerl entwischt uns!“, rief er Holmes zu und ließ den Motor aufheulen, um zu unterstreichen wie ernst es ihm war. Mit einem letzten Blick zurück auf Cathys Sachen, gab er nach und stieg zu Watson in den Wagen. Der Junge war in der Menge verschwunden. Als Sherlock den Griff der Wagentür noch in der Hand hatte, um sie zu schließen, ließ Watson das Auto schon anfahren und im selben Augenblick wurde die hintere Tür aufgerissen und der schwarzhaarige elegante junge Mann warf sich auf den Rücksitz. Watson bemerkte es kaum, weil er sich ganz darauf konzentrierte dem Mercedes zu folgen und dabei kein anderes Vehikel zu rammen oder jemanden zu überfahren, aber Sherlock drehte sich in seinem Sitz um und musterte den ungebetenen Gast. Dieser reichte, kaum dass er die Tür mit der Spitze seines eleganten Schuhs zugezogen hatte, ein rechteckiges Stück weiße Pappe nach vorne. Holmes nahm es ohne den fremden Jungen aus den Augen zu verlieren, bevor er einen raschen Blick auf das Kärtchen in seinen Fingern warf. Darauf standen in silberglänzender gedruckter Serifen-Schrift nur zwei Buchstaben: J. M.

Vollkommen überrumpelt. Bevor Cathy noch wusste was eigentlich geschah war sie schon von zwei starken Händen gepackt und an zwei weitere im Auto weitergereicht worden. Sie sah fremde Gesichter und da lag sie auch schon quer auf der Rückbank eines unbekannten Wagens, den Kopf im Schoß eines Mannes, den sie nicht kannte, während ein anderer ihre Beine fest hielt und rasch die Wagentür hinter sich zu warf. Mit geübtem Griff wurde ihr ein breiter Streifen Paketband über den Mund geklebt, dann drehte man sie ruppig um und band ihr auch noch die Hände auf dem Rücken zusammen.

Erst jetzt ging dem Mädchen auf, dass das hier kein dummer Scherz war, sondern eine Entführung, mit ihr selbst in der Hauptrolle. Darauf hatte sie in der Schule niemand vorbereitet. Aber ihr Onkel John schon. Er hatte damals zu ihr gesagt:

„Hör zu, Cathy. Du bist jetzt offiziell die Tochter von Sherlock Holmes. Und dein Vater hat Feinde. Es ist also möglich, dass sie auf dich kommen, wenn sie eigentlich Sherlock wollen. Und darauf musst du vorbereitet sein.“

Cathy besann sich also darauf was sie gelernt hatte, bevor die Panik in ihr überhand nahm. Erstmal beruhigen. Atmen. Dann umschauen. Die Situation einschätzen. Fluchtmöglichkeiten abwägen. Kommunikationsmöglichkeiten suchen. Keine Dummheiten machen. Soweit die Theorie. Aber gefesselt und geknebelt in den Fußraum eines Autos gestoßen und dort von den dreckigen Schuhen zweier großer Männer festgeklemmt zu werden ließ wenig Spielraum für Flucht oder Kommunikation. In ihrer Manteltasche hatte sie zwar ihr Handy, aber das nutzte ihr wenig, wenn sie nicht ran kam. Dazu war sie auch noch auf den Rücken gefallen, sodass sie ihre Entführer ansehen musste, die sich gerade mit einem High Five zur erfolgreichen Aktion beglückwünschten. Das Erschreckendste dabei war aber, dass die Männer vollkommen durchschnittlich aussahen. Sie hätten Familienväter, Bauunternehmer, oder Bürohengste sein können. Entführer stellte man sich grobschlächtig vor, mit Narben und Augenklappen und nicht wie ganz normale Leute, die man beim Einkaufen trifft. Natürlich war Cathy kein kleines Kind mehr, für das jeder Bösewicht wie aus dem Märchenbuch aussehen musste, aber wenn man jahrelang auf ein Internat für Märchenfiguren ging, war der Anblick von Menschen aus dem 21. Jahrhundert, die einen entführten, schon ein kleiner Schock.

Das Auto fuhr längst, das konnte sie deutlich spüren, aber es war ziemlich dumm gewesen sie direkt vor den Augen ihres Vaters und ihres Onkels zu entführen. Die würden sie doch in Nullkommanichts wieder befreit haben. Sie hatte fast Mitleid mit den Idioten, die ihre Schuhe auf ihrem Körper abgestellt hatten.

„Warum is'n die so still?“, fragte der Linke, indem er Cathy scharf musterte.

„Schock.“, erklärte der Rechte beiläufig und sah aus dem Fenster.

„Nee du. Ich hab' das schon oft gemacht und nach fünf Minuten fangen die normal an zu heul'n.“, entgegnete der Linke und beugte sich noch weiter zu dem Mädchen herab.

„Des is' die Tochter vom Holmes. Die is' nich' normal.“, beendete der Rechte die Diskussion ein wenig genervt und fügte dann plötzlich lachend hinzu: „Dumm genug, dass 'se sich so 'ne Signalfarbe in die Haare schmiert! Die war ja meilenweit zu sehen!“

Cathy musste bestürzt feststellen, dass der eklige Kerl recht hatte. Es war ziemlich dumm sich die Haare nicht langweilig braun oder blond zu färben, wenn man ein begehrtes Entführungsopfer war. Aber bisher war eben noch nie etwas ähnliches passiert.

„Sie sieht genau so aus wie auf dem Foto vom Boss. Mit Mantel und allem.“, bemerkte der Linke nun wieder. „Die hat's uns echt einfach gemacht, was?“

Die Ganoven lachten und sahen dabei sogar fast sympathisch aus. Eben wie ganz normale Männer. Cathy tat von dem Geruckel des Wagens und dem harten Boden allmählich der Rücken weh und sie begann sich vorsichtig zu bewegen, um einerseits eine bequemere Position zu finden, andererseits wollte sie sehen, ob sie nicht aus dem Klebeband raus kam, das ihre Hände festhielt.

„Da hast'es. Jetz' bewegt se sich. Zufrieden?“, fragte der Rechte schnippisch. „Hast'e se gut fest gemacht?“

„Kennst mich doch. Ich mach' das nicht zum ersten mal.“, entgegnete der Linke und drückte Cathys Oberkörper mit dem Fuß noch etwas fester auf den Boden, sodass sie nicht mehr an ihren Händen zerren konnte. Das war vielleicht ein Indiz dafür, dass sich der Linke doch nicht ganz sicher war, ob er sie richtig verschnürt hatte. Vielleicht würde sie später noch aus den Fesseln raus kommen. Aber wo blieben eigentlich ihr Vater und John?

Plötzlich ging es ruckartig einen Hang hinauf und dann in mehrere Linkskurven, bevor es kurz holperte und anschließend wieder abwärts ging. Cathy ging auf, dass ja irgendwer den Wagen fahren musste, aber im Gegensatz zu den zwei Männern auf der Rückbank war der Fahrer bisher sehr still gewesen.

„So, jetz' hol'n se uns nit' mehr ein.“, triumphierte der Rechte, der sich in seinem Sitz umgedreht hatte, um aus der Heckscheibe des Autos zu sehen.

„Wie vom Erdboden verschluckt.“, kicherte der andere.

Cathy wurde blass. War das die Wahrheit? Hatten John und Sherlock sie verloren? War sie den Banditen nun tatsächlich ausgeliefert? Nein. Der größte Detektiv der Welt würde sie schon finden, wenn sie nicht vorher selber frei kam, dachte sie zuversichtlich. Allerdings konnte sie die kleine Stimme in ihrem Kopf nicht ignorieren, die immerzu piepste: „Es sei denn, du stirbst vorher. Dann finden sie nur noch deine Leiche.“ Nein, das war Quatsch! Ihr würde nichts dergleichen geschehen. Sie war wertvoll, man würde sie nicht töten. Oder? Besonders behutsam gingen die Typen ja nicht mit ihr um.

Cathy schwankte noch eine ganze Weile zwischen Panik und Zuversicht. Die Fahrt dauerte an. Das Mädchen war sich sicher schon am ganzen Leib blaue Flecken zu haben. Sie musste jetzt schon mindestens eine Stunde hier liegen. Irgendwann sah der rechte auf seine Armbanduhr.

„Wir müss'n bald da sein. Aber weißte was ich schon 'ne ganze Zeit denke?“, fragte er an den Linken gewandt.

„Was'n?“

„Na, dass se hübsch is'“

„Wer?“

„Idiot! Die Kleine natürlich!“

„Achso. Ja, schon.“

„Meinste nich', wir könnten noch so 'n bisschen Spaß mit ihr hab'n, bevor wa se abliefern?“

Cathys Augen weiteten sich vor Entsetzen. Das hatte der Rechte jetzt nicht wirklich gesagt! Der Linke beugte sich wieder vor und strich ihr die roten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er betrachtete sie wie ein Stück Schinken in der Auslage einer Metzgerei.

„Also irgendwie ist die schon hübsch.“, meinte der Linke geistreich. Cathy war so eingeklemmt, dass sich nicht mal den Kopf vor der Berührung zurück ziehen konnte. Vor Angst kamen ihr nun doch die Tränen, aber sie kämpfte sie noch tapfer nieder.

Der Rechte wandte sich nun an den Fahrer.

„Hey, Kumpel. Meinst, könntest'te ma' eben anhalten?“

Von vorn antwortete eine viel zu angenehme Stimme in einem sehr ernsten Tonfall, der Cathy eiskalte Schauder über den Rücken jagte.

„Der Boss hat gesagt, dass sie nicht angerührt wird.“

Die zwei Gangster auf der Rückbank grinsten sich an. Wohl weil der Fahrer ohne Dialekt sprach und auch ein klein wenig vornehm klang.

„Komm schon, Mann. So'n bisschen Spaß schadet doch keinem.“, hielt der Rechte dagegen.

„Wir sind auch ganz sanft zu ihr.“, versprach der Linke, der immer noch seine Finger an Cathys Wange hatte. Der Wagen bog nun rechts ab und die Straße wurde so holprig, dass es sich eigentlich nur noch um unbefestigtes Gelände handeln konnte. Sie hatten die Straße verlassen! In Cathy nahm die Panik überhand. Sie hatten die Straße verlassen, Sherlock und John hatten sie verloren und die zwei Verbrecher waren drauf und dran den Dritten zu einer Vergewaltigung zu überreden. Die erste Träne kullerte aus ihren blauen Augen. Da stoppte der Wagen und die angenehme Stimme des Fahrers sagte:

„Wie ihr wollt.“

„Bist 'n feiner Kerl.“, meinte der Rechte grinsend und schob die Finger am Gurt entlang, um sich abzuschnallen. Cathy fing nun doch an sich wild gegen die Fesseln und die Füße auf ihrem Leib zu wehren. Das vorfreudige Grinsen der Männer versetzte sie in einen Zustand schierer Hysterie.

Da sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung und dachte, der Fahrer käme nun auch nach hinten, um mitzumachen.

Eine schwarz behandschuhte Hand und ein schwarzer Ärmel schoben sich über die Rückenlehne des Fahrers in ihr Blickfeld. In den Fingern verborgen hielt sie eine sehr kleine Waffe. Da knallte es zweimal, sodass Cathy reflexartig zusammenzuckte und die beiden Handlanger wurden in ihre Sitze geschleudert. Die Köpfe im Nacken blieben sie sitzen, sodass die junge Frau nicht sehen konnte was passiert war, aber nach kurzer Zeit färbte sich das Polster der Rückbank stellenweise rot. Cathy brauchte ein paar Minuten, um zu entscheiden, ob sie dem Drang zu schreien nachgeben sollte, entschied sich dann aber dafür ruhig zu bleiben. Gerade waren vor ihren Augen zwei Menschen erschossen worden, direkt durch den Kopf. Sollte sie nun erleichtert sein, weil sie vor einer Vergewaltigung gerettet worden war, oder panisch, weil der Fahrer des Autos nicht vor Mord zurückschreckte?

Verwirrt und ängstlich blieb sie wie erstarrt liegen. Da fuhr der Wagen wieder an und holperte weiter über den unebenen Weg. Die plötzliche Stille war noch bedrückender als das Gerede zuvor und nun standen die Füße von Toten auf ihrem Körper.

„Sagen Sie Watson, wann haben Sie eigentlich das Kommando in diesem Team übernommen?“, fragte Sherlock und wechselte automatisch zum 'Sie', weil nun ein Außenstehender anwesend war. Er hatte einige Mühe sich bei Watsons rasantem Fahrstil anzuschnallen, der rücksichtslos versuchte unter allen Umständen an dem schwarzen Mercedes dran zu bleiben. Der Doktor starrte konzentriert gerade aus.

„Das habe ich in dem Moment als meine Tochter entführt wurde!“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er sah nicht, dass Sherlock eine Augenbraue hob, aber er wusste es trotzdem und korrigierte: „Ihre Tochter.“, überlegte es sich wieder anders und entschied: „Nein, UNSERE Tochter!“

Der fremde Junge auf der Rückbank sah zwischen den beiden Männern hin und her. Er hielt sich mit den Händen an den Rückenlehnen der vorderen Sitze fest, um ebenfalls aus der Frontscheibe sehen zu können und die Kabbelei der beiden 'Väter' ging ihm jetzt auf die Nerven, darum mischte er sich unhöflich in das Gespräch ein.

„Das war Moriarty. Es ist genau sein Stil. Ich kenne seine Methoden. Ich war drei Jahre lang sein Lehrling. Ihr werdet mich brauchen...“, versuchte er zu erklären, aber Sherlock schnitt ihm das Wort ab, indem er seinen Sicherheitsgurt fahren ließ, im Sitz herum schnellte und den Jungen am Hals griff.

„Wir brauchen dich ganz gewiss nicht! Es gibt keinen Grund aus dem wir dir trauen sollten, erst recht nicht, wenn du zu IHM gehörst!“, fuhr er ihn leise zischend an.

Der Junge versuchte sich nicht mal gegen den Griff zu wehren, der ihm beinahe die Luft abschnürte. Er sah Sherlock nur in die Augen.

„Mein Name ist Andrew van Hellsing. Ich gehöre nicht zu Moriarty, sondern war vor einigen Jahren bloß Lehrling bei ihm. Ich habe mich von ihm distanziert und wurde dafür an die Fairytale High verbannt.“, erklärte er mühsam ruhig. Sherlock beobachtete seine Mimik genau. Er konnte keine Lüge darin entdecken, aber dafür etwas anderes.

„Du bist ein Junkie!“, konfrontierte er den Jungen namens Andrew mit seiner neusten Erkenntnis.

„Ja und nein.“, gab dieser zu. Mehr nicht.

Ein Ruck ging durch den Wagen, als John erst einem entgegenkommenden Wagen ausweichen und dann überraschend abbiegen musste. Sherlocks Ellbogen wurde gegen die Kopfstütze seines Sitzes geschleudert und der Hals des Jungen rutschte ihm aus den Fingern. Fünf blutige Kratzer blieben auf Andrews blasser Haut zurück.

„Hören Sie, Mister Holmes.“, begann er erneut. „Ich bin ein Monsterjäger, wie mein Vater. Ich bin dafür ausgebildet. Moriarty ist ein Monster und ich kenne seine Arbeitsweise.“

„Ich auch!“, entgegnete Sherlock barsch. „Wir brauchen dich nicht!“

„Warum sitze ich dann noch hier?“, fragte der Dunkelhaarige im weißen Hemd lauernd.

Nun mischte sich Watson ein, dem nun seinerseits das Gespräch der anderen auf die Nerven ging.

„Weil wir im Moment leider keine Zeit haben dich rauszuschmeißen. Also schnall' dich an und sei still! Ich muss mich hier ein bisschen konzentrieren.“

Daraufhin blickten ihn die beiden anderen einen Moment lang an und setzten sich dann ordentlich hin, um die Verfolgungsjagd nicht weiter zu gefährden. Andrew griff sich an den Hals. Einer der Kratzer hatte noch nicht aufgehört zu bluten, darum fing er das Blut mit den Fingern auf und führte diese dann zum Mund. Sherlock beobachtete ihn im Rückspiegel.

„Du sagtest, du heißt van Hellsing? Sollte mir das irgendetwas sagen?“, fragte er in einem sehr unfreundlichen Ton nach. Bevor Andrew antworten konnte, kam ihm erstaunlicherweise Watson zuvor.

„Van Hellsing ist der Name von Draculas Gegenspieler im gleichnamigen Roman. Ein Vampirjäger und eine Sagengestalt, wie Dracula selbst.“, erklärte er gehetzt, weil er sich immer noch auf den Verkehr konzentrierte.

„Er ist mein Vater.“, bestätigte Andrew, ohne sich um die Beleidigungen zu scheren.

„Du machst dich gerne wichtig, nicht wahr?“, fragte Sherlock unbeeindruckt und versuchte den Jungen damit aus der Ruhe zu bringen, der so selbstsicher behauptete das Produkt irgendeiner gelangweilten Schriftstellerphantasie sei sein Vater.

„Das Kompliment gebe ich gerne zurück.“, meinte Andrew gelassen und fuhr sich erneut mit dem Daumen über die blutende Stelle. Obwohl Watson wirklich Schwierigkeiten hatte an dem schwarzen Mercedes dran zu bleiben, musste er jetzt doch Grinsen. Damit hatte der Junge nicht unrecht.

„Denken Sie doch mal nach.“, setzte Andrew erneut an, „Sie schicken ihre Tochter auf ein Internat für Märchengestalten. Ist es so unwahrscheinlich, dass auch Romanfiguren dort existieren. Vielleicht sind Sie selber eine.“ Er grinste verstohlen in sich hinein.

„Ich verbitte mir eine solche Verleumdung!“, empörte sich Sherlock trocken und beendete damit vorerst die Diskussion.
 

„Da! Sie fahren ins Parkhaus!“, rief Holmes wenig später. Watson wendete den Wagen so abrupt, dass er für einen Moment nur noch auf zwei Rädern stand und brauste dann durch die sich schließende Schranke in das dunkle Parkhaus, dem Mercedes hinterher. Einen Augenblick lang fuhr John blind, denn seine Augen mussten sich nach dem hellen Schnee draußen erst an das Dunkel gewöhnen, aber als er wieder sehen konnte, hatte er den Mercedes verloren.

„Sie müssen hier irgendwo sein.“, murmelte er und fuhr langsamer weiter.

„Konzentrieren Sie sich auf's Fahren. Wir sehen uns die parkenden Autos genau an. Ich links, der Junge rechts.“, kommandierte Sherlock. Da sie mit einem englischen Auto unterwegs waren, saß Sherlock als Beifahrer auf der linken Seite. Andrew rutschte sofort auf die rechte Seite der Rückbank, um dort alle Autos im Blick zu haben.

„Haben Sie sich das Kennzeichen gemerkt, Holmes?“, fragte John damit der Junge wusste wonach er Ausschau halten sollte. Sherlock öffnete den Mund, aber Andrew kam ihm zuvor:

„YR53 JMB.“

Sie suchten jedes Stockwerk schnell und gründlich ab, bis sie auf dem Dach des Parkhauses angelangt waren. Von dem Wagen der Entführer keine Spur.

„Vielleicht ist er wieder raus?“, vermutete John, aber Sherlock schüttelte den Kopf.

„Dann hätten wir ihn sehen müssen. Die Rampen sind zweispurig.“

Watson schlug mit der Handwurzel auf das Lenkrad, schnallte sich ab und stieg aus, um sich Luft zu verschaffen und Andrew folgte ihm. Nur Sherlock blieb im Wagen und dachte nach.
 

Der junge van Hellsing trat von hinten an den Doktor heran und blieb dann stehen.

„Sie wissen wer ich bin, nicht wahr?“, fragte er ruhig. John drehte sich zu ihm um. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber er riss sich zusammen, um zu antworten.

„Ja, Cathy hat dich in ihren eMails erwähnt. Meistens regt sie sich auch über dich auf, wenn wir skypen, aber gerade deshalb denke ich, dass sie viel von dir hält.“

Andrew musste lächeln als er das hörte.

„Ihre gemeinsame Tochter ist nicht immer einfach.“, meinte er schmunzelnd, wurde dann aber wieder ernst.

„Ich will helfen sie zurückzuholen. Wie ich Moriarty kenne ist die Visitenkarte der einzige Hinweis den wir kriegen. Er wird kein Geld verlangen, er wird sich nicht melden, aber er wird uns beobachten. Er will dass Sherlock selbst zu ihm findet und erwartet ihn mit einer Falle. Bitte, überzeugen sie Mr. Holmes von mir. Wir wollen doch alle, dass Cathy heil aus der Sache raus kommt.“, erklärte er nachdrücklich.

John Watson überlegte. Es gab noch eine Sache, die ihn davon abhielt dem Jungen zu vertrauen.

„Bist du wirklich drogenabhängig? Ich kenne mich damit aus, ich bin Arzt.“

„Ich weiß, Dr. Watson. Cathy liebt sie sehr und bewundert Ihre Fähigkeiten.“

„Lenk' nicht ab, Junge. Bist du es?“

„Ja.“

„Welche Drogen?“

„Das würden Sie nicht verstehen.“

„Ich kann dir nur vertrauen, wenn ich weiß worauf ich mich einlasse und Drogen machen Menschen unzuverlässig.“

„Diese nicht.“

„Das sagen Junkies immer. Du hast die Wahl, Andrew. Sag die Wahrheit, oder wir verzichten auf deine Hilfe.“, damit trat er ein paar Schritte vor und sah dem Jungen aufmerksam in die Augen. Der ließ es anstandslos zu. Als sich Watson wieder aufrichtete nickte er.

„Ja, deine Pupillen sind geweitet. Daran muss Sherlock es vorhin erkannt haben. Und die Kratzer an deinem Hals werde ich dir gleich versorgen, egal wie du dich entscheidest.“, versicherte er mit einem Blick zum Wagen, der bedeutete, dass er seine Arztasche im Auto hatte.
 

„Ich spritze mir durch genmutierte Egel gefiltertes Vampirblut. Es verwandelt mich nicht, schärft aber die Sinne und steigert die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit. Und ja, es macht abhängig, aber ich brauche die Dosis nur einmal im Monat. Glauben Sie es oder nicht, es ist die Wahrheit.“, gab Andrew plötzlich nach einer kleinen Weile des Schweigens zu.

John stand da wie vom Donner gerührt. Er schluckte ein paar mal und sah den Jungen nur an, der seinen linken Hemdsärmel hoch krempelte und ein großes, schwarzes Tattoo in Form eines gotischen Kruzifixes entblößte. Watsons Blick wurde skeptisch.

„Und du verlangst jetzt ernsthaft von mir, dass ich das glaube?“, fragte er und vergaß dabei fast seine britische Höflichkeit.

„Sehen Sie sich meinen Arm an. Ich kann Ihnen Das Vampirherz zeigen, von dem ich das Blut beziehe. Als Arzt dürften Sie einen starken Magen haben.“, erwiderte Andrew fest und John beugte sich vor, um die tattoowierte Haut genau zu untersuchen.

Innerhalb des Bildes verlief eine Linie kleiner dunkelroter Einstichpunkte. Besonders um einen dieser Löcher hoben sich blauschwarze Adern hervor, die aber von der schwarzen Farbe des Tattoos gut kaschiert wurden.

„Mein Vater hat entdeckt, dass man mit dieser Substanz deutlich länger leben und fit bleiben kann, wenn man bereit ist den Preis dafür zu zahlen. Man schläft kaum noch, vor allem wegen der Albträume und die Nebenwirkungen sind jedes mal anders.“

Nach einigen Minuten hatte Watson diese Informationen verarbeitet und seine Sprache wieder gefunden. Mit einem Seitenblick auf den Wagen meinte er:

„Verzeih', aber ich kann das einfach nicht glauben. Das ist medizinisch gesehen vollkommen absurd. Wärst du mit einem Drogentest einverstanden?“

Andrew verdrehte die Augen und seufzte, während er den Hemdsärmel wieder glatt zog. Er hatte ja vorausgesagt, dass Watson es nicht nicht verstehen würde, aber diese modernen Menschen wollten immer alles ganz genau wissen.

„Von mir aus auch das.“, willigte er gottergeben ein.
 

Sie gingen zusammen zurück zum Wagen, wo Sherlock bereits mit einer Vermutung aufwarten konnte.

„Sie müssen in irgendeine Wand des Gebäudes eine Geheimtür eingebaut haben, die sich wie ein Garagentor per Fernsteuerung öffnet. Aber selbst wenn wir diese Wand finden, sind die Entführer längst über alle Berge. Dieses Parkhaus war bloß eine Finte, um uns abzuhängen. Wahrscheinlich sind sie direkt im zweiten Stock durch die Wand raus und wieder auf die Straße, während wir hier unsere Zeit verschwendet haben. Demzufolge bleibt uns als Hinweis nur die Visitenkarte und genau so hatte Moriarty das auch geplant. Er will sehen, ob ich ihn anhand einer einfachen Visitenkarte finden kann, die Frage ist jetzt nur, ob ich mich auf sein Spiel einlasse.“, sinnierte der Detektiv vor sich hin, während er das kleine weiße Pappkärtchen vorsichtig zwischen zwei Fingern hin und her drehte.

John desinfizierte währenddessen Andrews Hals und nahm ihm dann etwas Blut ab.

„Was machen Sie da Watson?“, fragte Sherlock, ohne die Augen von der Visitenkarte zu nehmen.

„Ich mache einen Drogentest mit unserem jungen Freund.“, erklärte der Doktor trocken.

„Sehr vernünftig.“, kommentierte Sherlock.

„Wenn er clean ist, sollten wir ihn in unsere Ermittlungen aufnehmen.“, sprach John weiter.

Nun sah Holmes doch auf.

„Unsere Ermittlungen? Ihn aufnehmen? Also, Watson, jetzt gehen Sie aber zu weit. Hier bin immer noch ich der Detektiv und Sie der Assistent.“, stellte er klar.

„Nein, mein lieber Freund, in diesem Fall sind wir zwei Väter, die ihre Tochter wieder haben wollen und wir nehmen jede Hilfe die wir kriegen können. Wir gehen kein Risiko ein.“, damit schob er die Blutprobe in ein mobiles Messgerät und wartete auf das Ergebnis.

Es piepste.

„Nach diesen Messwerten ist er vollkommen clean.“, bestätigte Watson, klang dabei aber überrascht. „Warum behauptest du Drogen zu nehmen, wenn du clean bist?“, fragte er scharf an Andrew gewandt. Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er dieses Ergebnis einfach nicht fassen konnte.

„Vampirblut lässt sich so nicht nachweisen. Ich sagte ja, es ist eine Droge, aber andererseits auch nicht.“, erklärte der junge van Hellsing und unterdrückte nur mühsam seine Ungeduld. Es war so sinnlos darüber zu diskutieren, während Cathy Ängste ausstand!

Nun wurde auch Sherlock ärgerlich.

„Das ergibt keinen Sinn, Watson. Der Junge sagt er nimmt Drogen, Sie können keine feststellen, aber er bleibt dabei die Wahrheit zu sagen?“, fasste er ungnädig zusammen.

„So ist es, Holmes. Er sagt, er konsumiert gefiltertes Vampirblut.“, versuchte Watson etwas zu erklären, das er selbst nicht verstand und warf dabei unsichere Blicke zu Andrew.

„Das ist ja wohl der größte Schwachsinn, der mir je untergekommen ist!“, regte sich Holmes auf, wurde aber von Andrew unterbrochen, der mit ernstem Blick fragte:

„Wollen Sie die Egel sehen, die das Blut filtern?“

„Selbst wenn du ein Glas mit Blutegeln hast und dir den Inhalt dieser Viecher einverleibst, beweist das nur, dass du ein absoluter Freak bist, den ich auf keinen Fall an meinen Ermittlungen beteilige!“, brauste Sherlock auf.

Während der kluge Mann noch redete, holte Andrew mit den Fingern einen kleinen Schlüssel aus einem Fach in seinem Oberkiefer und anschließend eine faustgroße Schatulle unter seinem Hemd hervor. Er öffnete das Kästchen und zeigte den beiden Männern ein einzelnes schlagendes Herz, auf dem drei blauschwarze Blutegel klebten.

„Glauben Sie es jetzt?“, fragte er und zog zusätzlich ein Fach im Boden der Schatulle heraus, in dem fein säuberlich ein zierliches Spritzbesteck lag.

Sherlock und Watson beugten sich darüber und studierten das lebendige Organ. Dann hob Holmes die Hand, nahm das Herz heraus und untersuchte es auf irgendwelche Drähte, die es vielleicht künstlich zum Schlagen brachten. Nach einigen Minuten legte er es zurück und meinte.

„Also dann. Fangen wir mit unseren Ermittlungen an.“

Watson saß wie erstarrt auf dem Fahrersitz und starrte seinen langjährigen Freund ungläubig an.

„Sie glauben ihm doch etwa nicht, Holmes?“, fragte er schockiert.

„Nun, wieso nicht, mein lieber Watson. Wenn alles andere ausgeschlossen ist, muss das was übrig bleibt zweifellos die Wahrheit sein. Auch wenn sie unglaublich erscheint. Und ich hielt eben ein einzelnes schlagendes Herz in Händen, das selbständig Blut produziert. Also glauben Sie es ruhig.“, erklärte der Detektiv mit einem Schulterzucken. Dann drehte er sich noch einmal in seinem Sitz, um Andrew auf der Rückbank anzusehen.

„Ach, wäre es möglich, dass ich diese faszinierende Substanz mal ausprobiere?“, fragte er mit einem begehrlichen Blick auf die Schatulle, die der Junge eben wieder abschloss. Watson wurde puterrot im Gesicht.

„Unterstehen Sie sich ja ein solchen Teufelszeug in sich reinzuspritzen!“, fuhr Watson dazwischen. Ihm war anzusehen, dass nur die gute englische Erziehung Holmes vor einer saftigen Ohrfeige rettete. Sherlock sah ihn verständnislos an.

„Aber wieso denn nicht. Der Junge sagt es schärft die Sinne und die mentale Leistungsfähigkeit ohne ablenkende Nebenwirkungen.“, stellte er klar. John ballte die Hände auf seinen Knien zu Fäusten. Seine Wut und Sorge würde Holmes nicht umstimmen, er musste es mit Logik versuchen.

„In einer solchen Situation ist es wirklich nicht ratsam mit unbekannten Stimulanzen zu experimentieren. Tun Sie was Sie nicht lassen können, wenn wir Cathy wieder haben!“, bat er inständig und unter Einsatz von übermenschlicher Selbstbeherrschung. Mit starrem Blick sah er Sherlock überlegen.

„Vielleicht haben Sie da nicht ganz Unrecht.“, lenkte er zögerlich ein und folgte der Schatulle mit den Augen, als Andrew sie wieder unter seinem Hemd in einen Tragegurt steckte.

„Ich kann Ihnen die Substanz leider nicht überlassen. Das Risiko dabei ist zu groß, selbst wenn nur zwei Menschen auf der Welt sie nehmen.“, erklärte der junge van Hellsing und versuchte sich an einem entschuldigendem Tonfall, der ihm nicht ganz gelang. Er klang eher streng.

„Zu schade.“, murmelte Sherlock. Aber dann drehte er sich wieder nach vorne und meinte:

„Worauf warten Sie eigentlich, Watson? Zurück zum Tatort! Wir sehen uns da nochmal um, holen Cathys Sachen und beginnen unsere Ermittlungen.“

John atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Dann schnallte er sich an, schloss die Wagentür und startete den Motor.

Cathy wurde im Fußraum der Rückbank immer heftiger durchgeschüttelt, als es über immer unebenere Wege ging. Sie war nur froh, dass sich ihre beiden Entführer angeschnallt hatten, denn sonst wären die Leichen sicher zu ihr herunter gerutscht und hätten sie unter ihrem kalten Fleisch begraben. Die Sicherheitsgurte konnten aber leider nicht das Blut aufhalten, dass bei den schlimmsten Rucklern zu ihr herunter spritzte. Durch die Fenster hatte sie von ihrer Position aus erst nur den weißen Winterhimmel sehen können, doch seit einer gefühlten halben Stunde huschten kahle Baumkronen über den weißen Hintergrund. Der Kerl brachte sie in den Wald! Reifenspuren würde er schwerlich hinterlassen, denn der Boden war hart gefroren. Zumindest war er das an der FtH noch gewesen. Langsam beschlich Cathy doch die Angst, dass sie einfach umgebracht werden sollte. Es war schwer in ihrer Situation ruhig zu bleiben und analytisch zu denken. Vor allem weil sie seit geraumer Zeit ihre Finger nicht mehr spürte, ihre Arme dafür aber umso deutlicher, denn die dienten ihr als Polster gegen die harten Kanten des Fußraumes.
 

Endlich hielt der Wagen und die junge Frau war tatsächliche erleichtert darüber. Egal was jetzt kam, es konnte nur bequemer sein als diese Fahrt! Ohne sich ständig selbst im Fußraum verkeilen zu müssen, um nicht herumgeschleudert zu werden, konnte sie nun auch besser denken. Sie nahm sich fest vor, den Fahrer des Wagens mit beiden Füßen zu treten, sobald er die Tür öffnete, denn sie hatte kombiniert: Ihre Füße waren mit Klebeband gefesselt. Im Wald müsste sie aber laufen können, wenn er sie nicht tragen wollte. Ergo musste er die Tür zu ihren Füßen als erstes öffnen, um das Klebeband zu entfernen.

Sie hörte wie die Fahrertür geöffnet wurde, der Kerl ausstieg, wieder die Tür, dann Schritte. Vorsorglich zog sie die Knie an den Bauch, um ihm mit voller Wucht eine zu verpassen, da ging auch schon die Tür auf. Aber hinter ihrem Kopf. Verdammte Scheiße!
 

Der Kerl packte sie an den Schultern und zerrte sie grob aus dem Wagen, wobei sie sich noch mehr blaue Flecken holte. Schließlich schlug sie auf dem Boden auf, der wie erwartet hart gefroren war. Sie schaffte es sich nicht den Kopf anzuschlagen und versuchte gleich ihren Entführer anzusehen. Genau wie seine zwei Helfer trug auch er keine Maske, obwohl man das aus den Gangster-Filmen so gewohnt war. Als erstes fielen ihr seine dichten schwarzen Haare auf, die in alle Richtungen ab standen. Schwarze Augenbrauen in einem fast weißen Gesicht. Kluge, aufgeweckte Augen von einer faszinierenden undefinierbaren Farbe. Das Gesicht kam ihr unheimlich bekannt vor, aber noch ehe sie recht realisierte woher sie den Mann kannte ging er auch schon weg. Er ließ sie einfach auf dem kalten Waldboden liegen und ging am Auto entlang. Um die Autofront herum kam ihm ein junger Mann entgegen und jetzt traf es Cathy wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Der Junge war Richard. Richard, den sie aus der Schule kannte und der im vergangenen Jahr alles daran gesetzt hatte sich mit ihr anzufreunden.
 

„Da bist du ja, Vater. Ich warte schon eine Ewigkeit und es ist saukalt!“, meckerte der angebliche Freund. Vater?! Cathy stöhnte unter dem Klebeband auf ihren Lippen gequält auf. Was war sie doch für ein Schaf! Sie hätte die Falle wittern müssen. Richard hatte ihr zwar nie seinen Nachnamen verraten, aber sie ihren schließlich auch nicht. Trotzdem war er im Rückblick doch etwas zu hartnäckig an ihrer 'Freundschaft' interessiert gewesen. Sie hatte nur einen Blick auf ihn geworfen und ihn als harmlos eingestuft. Der dürre Nerd war der perfekte Spion und sie hatte nicht durch seine Tarnung hindurch gesehen. Jetzt trug sie die Konsequenzen für ihre Vertrauensseligkeit. Sie hatte sich von Richard Moriarty auskundschaften lassen! Vom Sohn des schlimmsten Feindes ihres Vaters. Genau davor hatte John sie immer gewarnt!
 

„Schlüssel steckt. Bring die Leichen weg und zünde den Wagen an, dann fährst du mit dem Zug nach Hause. Und wehe du hältst irgendwo an. Wenn du in dem Auto gesehen wirst, machst du alles zunichte!“, schärfte Moriarty seinem missvergnügten Sohn ein.

„Immer muss ich die Dreckarbeit machen, weil du deine Handlanger erschießt! Und dann weihst du mich nicht mal in den Plan ein! Das ist echt nicht fair.“, maulte Richard und fing sich einen strengen Blick. „Du würdest den Plan nicht einmal verstehen!“, versetzte der Ältere und schubste ihn in den Wagen. Richard startete ohne ein weiteres Wort den Motor und fuhr davon. Cathy wurde unangenehm bewusst, dass sie nun mit dem Erzfeind ihres Vaters allein im Wald war. Was war das für ein Plan, den Richard nicht verstehen konnte? Beinhaltete er, dass Cathy lebte?
 

Moriarty sah dem Auto nach bis es nicht mehr zu hören war, dann zog er seine elegante Jacke glatt und kam zu Cathy zurück, die nun von neuem versuchte ihre Fesseln zu sprengen. Würde er sie jetzt auch erschießen? Ihre Augen weiteten sich immer mehr je näher er kam. Schließlich ging er vor ihrem Gesicht in die Hocke und lächelte sie an. Nun weiteten sich Cathys Pupillen. Dieses Lächeln ging ihr direkt unter die Haut und die Stimme, mit der er sie nun ansprach, hatte keine geringere Wirkung auf sie.

„Verzeihen Sie die schroffe Behandlung, junge Dame. Es ging leider nicht anders. Wenn Sie jetzt so freundlich wären keine Faxen zu machen, kommen wir sicher gut miteinander aus. Sie werden mir für eine Weile Gesellschaft leisten.“

Während Cathy noch versuchte ihre Gefühle zu ordnen, neigte sich Moriarty zur Seite, stützte einen Arm auf ihre Knie und schnitt mit einem kleinen Messer in der anderen das Klebeband an ihren Knöcheln durch.

„Sie werden verstehen, dass ich ihnen im Moment noch keine weiteren Annehmlichkeiten gönnen kann. Wir haben noch einen kleinen Fußmarsch vor uns und ich möchte nicht, dass Sie zu viel Aufmerksamkeit erregen.“, erklärte er charmant lächelnd, indem er aufstand. Wenig später griff er ihr unter die Arme und zog sie auf die Beine.
 

Als sie sicher stand, hackte er sich freundschaftlich bei ihr unter und sie bemerkte, dass er einen Kopf größer war als sie. Außerdem konnte sie sein elegantes Herrenparfum riechen und einen Hauch von Haarwasser. Der Mann roch gut! Sollte man so etwas von seinem Entführer denken? Cathy begann an ihrem Verstand zu zweifeln. Sollte sie nicht viel mehr Angst haben? Sollte sie nicht an ihren Vater denken, für den sie jetzt ein Druckmittel war? Moriarty könnte ihn nun zu allem Möglichen zwingen und sie überlegte sich nur an was sie dieser Geruch erinnerte! Irgendetwas lief hier mächtig schief. Wie konnte ein kaltherziger Mörder, ein irrer Psychopath und fanatischer Verbrecher nur so charmant sein?
 

Life is not what it seems.
 

Er zog sie mit sich und hatte sie dabei immer fest im Griff. Es war erstaunlich schwer mit auf den Rücken gebundenen Armen zu laufen. Noch dazu querfeldein durch den Wald. Den Klebestreifen über ihrem Mund hatte er auch nicht entfernt. Während sie nur versuchte nicht zu stolpern, dachte sie daran, was Sherlock ihr für eine Standpauke halten würde, wenn sie hier je wieder lebend raus kam. Wahrscheinlich würde er sie verstoßen, wenn er hörte wie dumm sie in die Falle gegangen war. Richard, dieses ekelhafte Wiesel!

Es wurde immer unmöglicher für Cathy durch den Wald zu kommen, weil sie mit ihrem weiten Mantel an allen Bäumen und Sträuchern hängen blieb. Schon bald schnaufte sie vor Anstrengung und Luftmangel, weil sie ja nur durch die Nase atmen konnte und schließlich stolperte sie doch und wäre auch gefallen, wenn Moriarty sie nicht mit einer für seine dünne Gestalt erstaunlichen Kraft oben gehalten hätte.
 

„Nun kommen Sie schon, Ms. Holmes. Wir müssen weg hier. Raus aus dem Wald, verstehen Sie? Das dürfte doch auch in Ihrem Interesse liegen.“, redete der Mörder sanft auf sie ein. Aber Cathy klebten vor Anstrengung schon die Haare ihres Ponys im Gesicht. Von ihrem Entführer gezogen stolperte sie immer weiter vorwärts, bis sie mit ihrem Schuh im Gestrüpp hängen blieb und fiel. Moriarty fing sie auf und zerrte sie mit sanfter Gewalt weiter. Durch das Band über ihrem Mund konnte sie nicht sagen, dass der Schuh im Gestrüpp zurückgeblieben war und der Verbrecher bemerkte es nicht. Es hatte zu regnen angefangen und Moriarty beschleunigte seinen Schritt, bevor sich Cathy verständlich machen konnte. Vielleicht suchen sie mich mit Hunden, dachte sie, dann führt sie der verlorene Schuh direkt zu mir. Diesen Hoffnungsschimmer vor Augen mobilisierte sie noch einmal alle Kräfte und lief ohne Rücksicht auf ihren Fuß, der jetzt nur noch von einem dicken Strumpf geschützt wurde, weiter. Je später Moriarty bemerkte, dass ihr ein Kleidungsstück fehlte, desto mehr Zeit hatten diejenigen, die nach ihr suchten!
 

Sie hielt durch und schließlich kam eine kleine zugewachsene Blockhütte in Sicht. Sie lag so verborgen, dass man sie eigentlich erst bemerkte, wenn man direkt davor stand. Moriarty machte sich an einem großen neuen Vorhängeschloss zu schaffen. Der Riegel, der die Tür mit der Wand verband, glänzte ebenso neu, war aber mit grüner Farbe getarnt worden. Es klickte. Moriarty zog das Schloss ab und öffnete die erstaunlich dicke Tür. Galant verbeugte er sich und bot Cathy an zuerst einzutreten. Sie wusste, dass es nicht klug war sich einsperren zu lassen, aber sie war nass, durchgefroren und inzwischen auch verletzt, weil der Strumpf sofort gerissen und sie so gut wie barfuß durch den Wald gelaufen war. Also humpelte sie in die Hütte hinein. Drinnen war es nicht wärmer als draußen, aber zumindest war es trocken. Moriarty bot ihr einen gepolsterten Sessel an, dann erstarb sein Lächeln und wich einem erbosten Stirnrunzeln. Er hatte den fehlenden Schuh entdeckt.
 

„Du schlaues kleines Biest.“, flüsterte er gefährlich ruhig. „Ganz die Tochter deines Vater, was? Ein kluger Schachzug. Aber er wird dir nichts nützen. Ich bring dir deinen Schuh schon zurück.“, versprach er. Cathy fiel auf, dass er sie plötzlich duzte und sein Tonfall war ganz verändert.

Seine Augen funkelten, als wolle er sie im nächsten Augenblick schlagen, aber nichts dergleichen geschah. Der schlanke Mann wandte sich nur zu einer Kommode um und kam dann mit einer neuen Rolle Klebeband zu Cathy zurück. Diese überlegte kurz, ob sie aufspringen und wieder in den Wald rennen sollte. Dann verwarf sie den Gedanken und ließ sich an den Sessel kleben. Mit den gefesselten Händen und dem verletzten Fuß würde sie keinen Meter weit kommen und selbst wenn doch, wartete in diesem Regen nur der Tod auf sie. Aus dem Wald würde sie erst recht nicht alleine finden. In Wäldern verlief sie sich grundsätzlich immer. Sie war ein Stadtkind.
 

Nachdem er ihren linken Fuß festgeklebt hatte, holte der gefährliche Irre Verbandszeug, ließ sich vor Cathy auf die Knie sinken und zog ihr den zerrissenen Strumpf aus. Nachdem er den Fuß mit etwas Wasser aus einer Plastikflasche gewaschen hatte, begann er erstaunlich vorsichtig und sanft die Schnitte zu reinigen, die sie sich auf dem Weg geholt hatte. Die Tinktur brannte, weil es reiner Alkohol war, aber Moriarty blies beinahe zärtlich über die desinfizierten Stellen, um das Brennen abzuschwächen. Cathy sah ihm mit großen Augen zu. Das war so surreal. Im Auto erschoss er ohne zu zögern zwei Männer, dann zerrte er sie durch den Wald und jetzt kniete er vor ihr, als hätte er alle Zeit der Welt, hielt ihren verletzten Fuß auf dem Schoß und wickelte mit andächtiger Behutsamkeit eine Mullbinde darum. Für einen verrückten Augenblick erwartete Cathy, dass er ihr noch einen Kuss auf den Verband drücken würde, aber soweit ging der Mörder dann doch nicht.

Wahrscheinlich kann er sich bloß nicht leisten, dass ich an einer Infektion sterbe, meldete sich ihre Vernunft wieder, aber so richtig glauben wollte sie ihrer Vernunft nicht. Dafür hatte er viel zu zärtlich mit der Watte über ihre Haut gestrichen.
 

Moriarty war längst wieder aufgestanden und hatte einen kleinen Generator angeworfen, um die drei Heizstrahler zu betreiben, die den Raum beheizen sollten, doch Cathy spürte immer noch seine Berührungen. Ihre Augen folgten ihm durch die Hütte. Es wurde von Minute zu Minute wärmer. Der Feind ihres Vaters hatte sich inzwischen an ein Paar Kochplatten gestellt und begann in einem Topf etwas aufzuwärmen, das einfach herrlich roch. In einem winzigen Ofen, der daneben stand, backte irgendetwas aus Teig frisch auf. Die Hütte füllte sich mit einem Duft, der Cathy das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Kochte er jetzt nur für sich, oder würde sie auch etwas abbekommen? Und wenn ja, würde er sie dann wieder losbinden, oder... Bei dem Gedanken wurde ihr wieder unbehaglich... würde er sie etwa füttern? Es wäre sicher viel zu unvorsichtig einer Geisel Messer und Gabel in die Hand zu drücken, also blieb nur letzteres als wahrscheinlichste Möglichkeit. Cathy wollte eigentlich nicht weiterdenken, aber sie konnte nicht verhindern, dass sich ihre Augen nach einer Toilette umsahen, denn wer aß musste früher oder später auch... Würde er da etwa mitkommen?! Nein! Das ging auf gar keinen Fall! Sicher war er viel zu sehr Gentleman um sie aufs stille Örtchen zu verfolgen, wo immer sich das befinden mochte, denn in der Hütte sah sie nichts dergleichen.
 

Während sich Cathy mit ihren eigenen Gedanken langsam wieder in Panik versetzte, hob Moriarty einen weiteren Topf auf den Herd und goss Milch hinein, dann schnitt er Schokolade klein. Zehn Minuten später roch es verführerisch nach Schokoladenpudding. Der Mann kochte, als würde er noch ein Date erwarten, schoss es Cathy durch den Kopf. Oder war sie vielleicht das Date?

Nein, das war doch Blödsinn, das war völlig verrückt, wurde sie hier schon wahnsinnig?
 

Schließlich wandte sich der Entführer wieder seinem Opfer zu und stellte einen Klapptisch vor dessen Sessel auf. Er deckte ihn nach allen Regeln der Kunst mit Tischdecke und allem, nur dass die Griffe des Bestecks auf ihn gerichtet waren, anstatt auf Cathy. Dann richtete er geschickt einen Teller an und jetzt erkannte die junge Frau auch was er zubereitet hatte. Das Gericht nannte sich Königin Pastete. Mit einer eleganten Handbewegung setzte er den Teller ab, öffnete eine Flasche und schenkte roten Traubensaft in ein Weinglas.

Dann lief er um den Sessel herum und verschwand aus Cathys Blickfeld. Sie hörte ihn an irgendetwas hantieren und dann erklang leise Musik. Es war Schumanns 'Träumerei', wenn sie nicht irrte. Hatte er etwa einen Plattenspieler da hinten? Dieser Psychopath hatte ernsthaft einen Plattenspieler in der Waldhütte in der er seine Geisel gefangen hielt! Es war einfach nicht zu fassen!

Als er wieder in Cathys Blickfeld trat, begann er gelöst zu plaudern:

„Wie Sie inzwischen sicher herausgefunden haben, habe ich Sie über ein ganzes Jahr lang beschatten lassen. Es ist sogar so etwas wie ein Hobby von mir geworden.“, er lachte sympathisch. „Daher weiß ich, dass Sie weder Vegetarierin sind, noch sonst eine Art von Kostverächtung betreiben. Ich hoffe, meine bescheidenen Kochkünste sind zu Ihrer Zufriedenheit. Ich will sie schließlich nicht darben lassen.“
 

Cathy hatte inzwischen solchen Hunger, dass sie wohl auch ein rohes Steak verschlungen hätte. Außerdem hatte sie die meiste Zeit über genau aufgepasst, ob Moriarty vielleicht Gift oder ähnliches ins Essen mischte und hatte nichts derartiges entdeckt. Zuletzt zog er sich einen Hocker heran, setzte sich Cathy gegenüber und zog ihr vorsichtig das Klebeband vom Mund. Währenddessen klärte er sie über einige Dinge auf:

„Ich hoffe, Sie planen nicht unsere Zeit mit unnötigem Geschrei zu verschwenden. Sie wissen selber wie tief wir im Wald sind. Inzwischen ist es auch schon wieder dunkel draußen und bei diesem Regen verirrt sich niemand hier her, der Sie hören könnte. Auch für etwaige Suchtrupps ist es noch viel zu früh. Also lassen Sie uns einfach harmonisch zusammen dinieren, als wären wir alte Freunde.“ Dann hatte er den Klebestreifen ab. Cathy blieb still. Ihre Augen klebten gierig an der Verlockung auf dem Teller vor ihr.

„Sie sind ein kluges Mädchen. Sehr schön. Dann wünsche ich einen guten Appetit.“, meinte er mit einem Lächeln und hob ihr das Glas mit dem Traubensaft an die Lippen, damit sie trinken konnte.
 

Wie befürchtet führte Moriarty auch das Besteck und reichte ihr mit größter Umsicht Bissen um Bissen auf einem Löffel. Es schmeckte hervorragend. Der Blätterteig war knusprig und angenehm warm, das Ragout war zart, cremig und würzig. Außerdem hatte der Koch das Mahl mit einigen Blättern frischen Basilikums garniert, die dem Gericht eine frische Note verliehen.

Gefüttert zu werden war anfangs merkwürdig, doch der Hunger und das delikate Essen halfen Cathy schnell darüber hinweg und schließlich leerte sich der Teller.

Bevor er abräumte und den Nachtisch holte, legte Moriarty ordentlich das Besteck auf den Teller und begann wieder zu sprechen.

„Übrigens, wenn Sie mir diese Unverfrorenheit gestatten, dieser Lippenstift ist doch etwas zu grell für Sie. Zu viel Rot auf den Lippen wirkt nur unnötig reizend.“, damit wandte er sich ab und ließ eine irritierte Cathy sitzen. Was bildete sich dieser Kerl plötzlich ein ihr Schminktipps zu geben? Sie war kurz davor ihr eisernes Schweigen zu brechen und ausfallend zu werden, aber da kam er mit einem sündhaft gut aussehenden Schokoladenpuddig wieder und sie beschloss sich die Standpauke für später aufzuheben. Der Pudding schmeckte sogar noch besser als er aussah und die Wärme erfüllte ihren ganzen Körper. Inzwischen war sie durch die Heizstrahler auch längst wieder knochentrocken. Mit vollem Bauch, in dem bequemen Sessel und wohlig warm von innen und außen fühlte sie sich so behaglich, dass sie unbewusst tiefer in die Polster rutschte. Die Augenlider wurden ihr schwer, während sie Moriarty beim Abwasch zusah und ohne es zu merken schlief sie ein.

Es war schon spät, als die kleine Fahrgesellschaft in der Baker Street 221b ankam. Watson trug die Transportboxen mit den beiden Katzen. Andrew hatte sich darum gerissen Cathys Koffer tragen zu dürfen. Erst war Watson deswegen irritiert, aber als er die Blicke bemerkte mit denen der junge Mann die Tiere beäugte kam ihm ein ärztlicher Verdacht.

„Entschuldige, aber kann es sein, dass du an einer Katzenhaarallergie leidest?“, fragte er. Andrew zögerte nur einen Moment, bevor er die Frage mit einem knappen Nicken beantwortete und damit log. Es war keine Allergie, sondern eine Phobie, deren Ursprung in seiner Kindheit lag. Andrew hatte Angst vor Katzen, aber er konnte es inzwischen einigermaßen gut verbergen.

Als sie an der Fairytale High angekommen waren, fehlte Cathys Gepäck auf dem Rasen, wo sie es stehen gelassen hatten. Das war auch gut so, denn es hatte inzwischen heftig zu schneien begonnen und die Tiere hätten leicht erfrieren können. Nach einigem Herumfragen hatten sie es schließlich beim Hausmeister der Schule gefunden. In dem dunklen, vollgestellten Hausmeisterzimmer unter der Aula, in dem die beiden Katzen frei herum streunten, waren sie mit Nahrung, Wasser und Katzenklo bis zu ihrer Abholung gut versorgt gewesen. Der etwas unheimliche Hausmeister hatte kaum ein Wort gesagt und sich in den Schatten herum gedrückt, aber als die Katzen sich an Watsons Beinen rieben und schnurrten, hatte er sie und Cathys Sachen herausgegeben.
 

In 221b waren sie kaum durch die Tür, als eine schlanke, ältere Dame mit rötlich gefärbter Dauerwelle hektisch tippelnd auf sie zugelaufen kam. Sie hatte eine hohe piepsende Stimme, wie ein Spatz, aber es war kein unangenehmer Ton.

„Wo waren Sie denn? Ich habe doch mit dem Essen auf Sie gewartet. Und wo ist unsere Kleine? Sie werden sie doch nicht draußen gelassen haben?“, begann sie und spähte an den Männern vorbei zur Tür. Dann erst sah sie Andrew.

„Und Sie haben noch jemanden mitgebracht? Dann hätten Sie anrufen sollen! Ich hoffe, das Essen reicht für alle. Aber aufwärmen muss ich es jetzt sowieso. Also wirklich.“ Sie sah in Watsons betretenes Gesicht. Andrew stand unbeteiligt daneben und sah Sherlock nach, der einfach an der guten Frau vorbei gelaufen war und sich bereits in einem Raum im ersten Stock befand.

„Mrs. Hudson.“, fing Watson an und stellte die Transportkörbe ab. „Ich muss Ihnen etwas erzählen und es wäre vielleicht besser, wenn Sie sich setzen.“ Aber Mrs. Hudson rührte sich nicht vom Fleck, sondern griff stattdessen nach Watsons Arm.

„Wo ist Cathy?“, fragte sie mit bösen Ahnungen in der Stimme. Daraufhin legte der gute Doktor seine Hand auf die der alten Lady und ging mit ihr in die Küche, um ihr zu erzählen was passiert war. Andrew konnte nicht umhin diese Mrs. Hudson auf Anhieb sympathisch zu finden, wollte aber nicht hier unten sein, wenn jemand auf die Idee kam die Katzen frei zu lassen, also stieg er die Treppe hinauf, um Sherlock zu suchen.
 

Als er das Ende der Treppe erreicht hatte, trat er zunächst durch die ihm gegenüber liegende Tür. Der Raum war wie das Heim eines Junggesellen eingerichtet, aber dafür andererseits viel zu sauber. Daraus schloss Andrew, dass Mrs. Hundson in Sherlocks Abwesenheit hier geputzt haben musste. An einer Wand befand sich eine schwarzweiße Tapete mit Lilienmuster und darauf prangten mit gelber Farbe aufgemalte Ringe sowie ein paar Einschusslöcher. Die restlichen Wände waren grün angestrichen. Das Sofa wirkte, als würde es regelmäßig zum Schlafen gebraucht. Desweiteren gab es noch zwei nicht zueinander passende, aber bequeme Sessel. Ein niedriger Tisch mit einem aufgebauten Schachspiel stand vor dem Sofa, ein weiterer mit dem Spiel 'Dr. Bibber' befand sich zwischen den Sesseln und ein blanker Esstisch prangte mitten im Raum. Andrew vermutete, dass letzterer nur deswegen leer war, weil Mrs. Hudson darauf das Abendessen servieren wollte. Um den Tisch herum standen drei breite Holzstühle. Der Boden wurde größtenteils von einem rot-grünen Teppich bedeckt und dort wo er nicht lag, stapelten sich übereinander getürmte Bücher an den Wänden. Die Fenster waren mit schweren Vorhängen verhangen, sodass nur wenig Licht in das Zimmer drang. Aus diesem Grund fanden sich viele kleinere Tisch- und Stehlampen überall im Raum auf Tischen, Kommoden, auf dem Boden und sogar im Regal. Die hintere Wand lag fast ganz im Dunkeln und es war größtenteils Andrews durch die Droge verstärktem Sehvermögen geschuldet, dass er hier überhaupt etwas erkannte. Vor der rot-goldenen Tapete stand ein schmales Bücherregal, in dem alle Bücher zur Seite umgefallen waren und daher schräg übereinander lagen. Eine Schreibtischlampe stand darin und hätte, würde sie brennen, ein paar Bilder von unterschiedlicher Größe beleuchtet. Neben dem Regal stellte eine niedrige Kommode einige Schaukästen aus. In einem dieser Glaskästen hing ein Flughund mit ausgespannten Flügeln und direkt dahinter waren verschiedene Käfer aufgespießt.
 

Inzwischen stand Andrew mitten im Raum und hatte sich einmal um sich selbst gedreht. Sein Blick fiel nun durch einen großen Durchgang in der Wand auf eine Art Labor. Die Dunstabzugshaube, die Mikrowelle und der Kühlschrank machten allerdings deutlich, dass es sich bei dem teilweise gefliesten Raum ursprünglich um eine Küche gehandelt hatte. Dort entdeckte er Sherlock.

Der stand bereits am Mikroskop und stellte allerhand Versuche mit der Visitenkarte an. An einer Ecke war sie bereits angekokelt und es roch etwas verbrannt im Zimmer.

„Haben Sie schon etwas entdeckt?“, fragte der junge Mann mit den moosgrünen Augen beiläufig, während er sich in dem Zimmer umsah.

Sherlock blickte nur unwillig von seiner Arbeit auf.

„Was machst du so ungefragt hier?“, herrschte er ihn an. Andrew vollführte eine unbestimmte Geste mit der Hand und antwortete dann ironisch fragend: „Helfen?“

„Ach ja.“, entgegnete Sherlock, als sei ihm eben erst wieder eingefallen, weshalb er den Jungen mitgenommen hatte. Eine kurze Stille entstand. Bevor es sich dieses zerstreute Genie vor dem Mikroskop doch wieder anders überlegte, brachte sich Andrew selbst in die Ermittlungen ein.

„Ich möchte Cathys Zimmer untersuchen. Als Außenstehender finde ich vielleicht etwas Hilfreiches.“, meldete er an.

Derweil war der Detektiv bereits wieder in seine eigenen Untersuchungen vertieft und zeigte nur über die Schulter hinweg gestikulierend vage in die Richtung, in der Cathys Zimmer lag. Daraufhin machte der Adoptivsohn van Hellsings auf dem Absatz kehrt und trat durch das erste Zimmer wieder ins Treppenhaus.
 

Von unten hörte er Mrs. Hudsons aufgelöste Stimme. Sie schien Cathy sehr gern zu haben. Er spielte kurz mit dem Gedanken zu ihr und Watson in die Küche zu gehen, um sie wegen der Entführten zu befragen, aber da hörte er ein forderndes „Miau“ und verwarf die Idee augenblicklich wieder. Stattdessen wandte er sich in die andere Richtung und stieg die Treppe hinauf in die zweite Etage. Sherlock hatte mit der Hand erst über seinen Kopf nach oben gedeutet, dann nach links gezeigt und dann zwei Finger gehoben. Andrew interpretierte das als „Die Treppe hoch in den Raum, der über diesem hier liegt und dann noch zwei Räume weiter.“ und er hatte sich nicht getäuscht. Die Wohnung im 2. Stock hatte denselben Grundriss wie die darunter. Der Unterschied war nur, dass im zweiten Stock die Tür zum ersten Zimmer nicht auf ging und Andrew, als er die Tür zu seiner Linken probierte, gleich in der Küche stand. Dort sah er auch warum sich die erste Tür nicht öffnen ließ. Das erste Zimmer, das unten ein Wohnzimmer gewesen war, war hier ein Schlafzimmer. Aber Sherlock hatte nach links gezeigt, also war dieses Schlafzimmer nicht Cathys! Er wandte sich also nach links, durchquerte die Küche und einen kleinen Flur mit einem Fenster von dem ein Badezimmer abging und stand schließlich vor einer Tür an der mit weißer Kreide ein okkultes Zeichen angebracht war.
 

Durch seine Studien wusste Andrew, dass es eine sogenannte Teufelsfalle war. Auf dem Boden angebracht ließ eine solche Falle eine bestimmte Art von Dämonen zwar ein, aber nicht mehr raus. Sie saßen dann machtlos in dem Zeichen fest. Auf einer Tür sollte sie Dämonen davon abhalten diese Tür zu durchschreiten, oder sie im Türrahmen gefangen halten. Diese Fallen funktionierten allerdings nur so lange das Zeichen den Proportionen des Dämons entsprach und kein Detail verändert oder entfernt wurde.

Ein diabolisches Grinsen breitete sich auf Andrews Gesicht aus. Mit funkelnden Augen, als würde er gerade jemandem einen guten Witz erzählen, befeuchtete er seinen Daumen mit der Zunge und wischte einen winzigen Strich in der Zeichnung aus.
 

Cathys Zimmer befand sich in demselben Zustand, in dem sich wohl auch Sherlocks Zimmer normalerweise befand, wenn Mrs. Hudson nicht aufräumte. Überall lagen Wäschestücke, Papier, Stifte und technische Geräte herum. Bücher stapelten sich auf dem Boden. Bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass die meisten davon dem Genre Fantasy zuzuordnen waren. Andrew rümpfte die Nase. Romantisierter Abklatsch von etwas, das in Wirklichkeit brandgefährlich war und vernichtet werden musste! Er fand das geschmacklos. Aber man konnte kleinen Mädchen wohl keinen Vorwurf machen, wenn sie es nicht besser wussten, dachte er sich.

Die Wände waren mit Postern von Comic-Helden und anderen fiktiven Charakteren zugeklebt. Auf dem Schreibtisch vor dem Computer lag ein besonders seltsamer Apparat, mit dem Andrew überhaupt nichts anfangen konnte. Ratlos drehte er das Ding aus Metall und Kunststoff in den Händen und stellte es schließlich senkrecht in den kleinen dazugehörigen Ständer. Es konnte ein besonders dicker Kugelschreiber sein. Auf einem Regal fand er schließlich die Verpackung des seltsamen Teils und auf ihr stand „BBC DOCTOR WHO TENTH DOCTOR'S SONIC SCREWDRIVER“.

Andrew verlor sofort jegliches Interesse. Doctor Who war eine Fernsehserie in Cathys Welt und das seltsam aussehende Gerät war nichts weiter als ein Spielzeug oder Sammlerstück. Hatte dieses Mädchen denn nichts Reales in ihrem Leben? Er dachte das sehr streng, aber nur, weil er es insgeheim niedlich fand wie sich Cathy hier ihre eigene kleine Welt erschaffen hatte, während er selbst immerzu versuchte ein Problem nach dem anderen in der Welt zu lösen.

In einer Ecke neben der Tür lag ein kleiner robuster Beutel, der, als Andrew ihn öffnete, Salz enthielt. Was sollte denn der Schwachsinn? Aß Cathy hier? Dann hatte sie aber einen ungesunden Geschmack bei so viel Salz. Er legte den Beutel zurück und suchte weiter. Das Zimmer wirkte bei all der Unordnung und der Anhäufung kindischer Fan-Artikel doch verlassen.
 

Schließlich gab es nur noch zwei Orte an denen er suchen konnte: Unter dem Bett und auf dem Rechner. Während der PC hochfuhr legte sich Andrew also flach auf den Boden, um einen Blick unter das Bett zu werfen und fand dort tatsächlich hinter einem Haufen einzelner Socken einen Ordner, der bereits aus allen Nähten zu platzen drohte. Der junge Monsterjäger hatte schon die ganze Zeit nach einem Tagebuch oder ähnlichem Ausschau gehalten. Natürlich nicht um es zu lesen! Was interessierten ihn die pubertären Gedanken dieses Rotschopfs? Aber er wusste es würde sie auf die Palme bringen, wenn sie auf der nächsten leeren Seite eine Notiz von ihm finden würde. Vorausgesetzt sie würde je wieder heil nach Hause kommen. Er verdrängte der Gedanken sofort wieder und ersetzte ihn durch Folgenden: Vor allem, da ihre gemeinsame Schulzeit bald zu Ende war.
 

Er schlug den Ordner auf und hätte nicht überraschter sein können, als ihm von jeder Seite das Gesicht seines ehemaligen Lehrmeisters entgegenblickte. Mit leicht geöffneten, ausgetrockneten Lippen blätterte er den ganzen Ordner bis zum Ende durch, aber er enthielt nichts als unzählige Abbilder Moriartys.

Andrew ließ den Ordner zu Boden fallen und stürzte an den Computer, wo er relativ schnell die Passwort-Barriere überwand und dann wie im Fieber zu suchen begann. Nun suchte er ihr digitales Tagebuch aus einem ganz anderen Grund.

Schließlich fand er einen Chatverlauf indem Cathy mit einer gewissen Natasha Nächte lang über Moriarty gesprochen hatte. Die Gespräche wurden von Seite zu Seite immer aufgeregter. Natasha war es schließlich, die vorschlug nach Bildern von Moriatry zu suchen und Cathy legte sich daraufhin den Ordner an. Sie erzählte ihrer Chat-Freundin, dass sie nun jeden Abend die Bilder durchging und wie besessen nach Neuen jagte. Natasha beneidete sie darum und stachelte sie immer mehr in ihrer Begeisterung an. Schließlich stritten sie sich scherzhaft, wem Moriarty nun 'gehören' würde und Cathy gewann.
 

Andrew rang mit angespanntem Kiefer um Fassung, während er den Chatverlauf Seite für Seite ausdruckte. Auf dem Schreibtisch fand er einen Hefter, mit dem er den Stapel zusammenheften konnte. Dann klaubte er den Ordner vom Boden und trug beides aus der Wohnung und die Treppe runter bis in Sherlocks Labor. Dort hatte sich inzwischen auch Watson eingefunden, der immer noch die aufgeregte Mrs. Hudson beruhigte.

„Aber wir müssen doch die Polizei anrufen! Ich will mir gar nicht ausmalen, was unsere Cathy gerade für Ängste durchlebt.“, zeterte sie. Ihr Gesicht war rot angelaufen und die Augen quollen wässrig aus ihren Höhlen, während die dünne Frau mit den Händen immer wieder erst in ihre Haare fuhr, sie dann an ihre Wangen legte, den Mund bedeckte, sich ans Herz griff und die Arme schließlich in Höhe der Ellbogen um ihren Körper schlang, während sie mit schief gelegtem Kopf weiter auf Sherlock einredete, wie auf einen kranken Hund.

„Sie mögen brillant sein, Mr. Holmes, aber ein wenig Hilfe von den Behörden hat noch nie geschadet. Sie müssen nicht jeden Fall ganz alleine lösen! Vor allem wenn es um unsere Cathy geht.“ Der Detektiv bewahrte tapfer die Fassung und starrte unverwandt auf die nun schon recht mitgenommene Visitenkarte des bösen Professors.

„Die Behörden wären in unserem Fall Inspektor Lastrate und seine Bande von Pavianen. Sie geben wohl kaum eine hilfreiche Unterstützung ab. Unser Gegner ist außerdem viel zu gerissen, als dass er der Polizei eine Spur übrig ließe.“, murmelte er.

Mrs. Hudson vollführte mit beiden Händen eine wegwerfende Geste, in der ihre Verzweiflung zum Ausdruck kam. Als sie sprach klang ihre Stimme schrill, durch den Versuch die Tränen zu unterdrücken.

„Ach Sie und ihre schlechte Meinung über unsere Polizei! Je mehr Augen nach Cathy suchen, umso besser! Mr. Watson. Helfen Sie mir gegen diesen alten Sturkopf.“, wandte sie sich hilfesuchend an den Doktor. Dieser überlegte und wog offenbar das Für und Wider ab.

„Der Entführer hat keine Drohung ausgesprochen falls wir die Polizei hinzuziehen. Und breit gefächerte Suchaktionen wären...“ Sherlock fiel ihm unwirsch ins Wort.

„Ach, Watson! Glauben sie wirklich ein genialer Geist wie Moriarty würde sich von ein paar Affen in Uniform aufspüren lassen?“
 

Andrew sah die Anzeichen dafür, dass sich ab hier die Diskussionen nur noch im Kreis drehen würden. Der Zeitpunkt war gekommen, um seine Funde zu präsentieren.

„Ich habe gravierende Hinweise gefunden.“, kündigte er großspurig an. Rücksichtslos räumte er Sherlocks Laborutensilien beiseite, um den Ordner und die Ausdrucke auf den Tisch legen zu können. Dann schlug er beides auf.

„Moriarty war längst in ihrem Leben, bevor sie entführt wurde. Es ist ein weit größeres Spiel als wir dachten.“, fasste er seine Erkenntnisse zusammen.

Mrs. Hudson fuhr auf, wie ein erschreckter Kakadu.

„Wie können Sie bei einer Entführung nur von einem Spiel reden?“, begann sie zu schimpfen, bevor Sherlock sie rüde abwürgte.

„Für Moriarty ist es ein Spiel, Mrs. Hudson. Das ist ein Fakt.“, stellte er klar und grinste dabei über das ganze Gesicht. Alle starrten ihn fassungslos an.

„Das ist wirklich hervorragend eingefädelt.“, lachte der Detektiv und bedeckte für einen Moment mit der Hand seine Augen. „Er hat ganz öffentlich und direkt vor unserer Nase operiert. Wir hatten Monate lang Zeit es zu bemerken. Damit schiebt er uns die Schuld für Cathys Entführung in die Schuhe. Ha!“
 

Watson blätterte fassungslos den Ordner durch.

„Wie konnte uns das entgehen? Mir hätte doch etwas auffallen müssen!“, stammelte er. Sherlock hatte sich wieder beruhigt, auch wenn ihm die Jagdlust aus den Augen blitzte.

„Ihm geht es um mehr, als nur darum mich zu ärgern. Er hat etwas Großes vor. Ich muss mich vorbereiten.“, erklärte er, indem er Watsons sentimentales Gemurmel völlig überging.

„Am Besten finden wir Cathy, bevor er sein Werk an ihr vollendet!“, warf Andrew mit fester Stimme dazwischen. Seine Kiefermuskeln traten deutlich hervor und er bewahrte nur mühsam die Ruhe. Die Sache griff ihn mehr an, als er sich eingestand. Er sah zu Sherlock auf.

„Es sollte mich wohl nicht überraschen, dass Sie über Cathys Lage so wenig betroffen sind.“, stellte er sachlich fest, doch sein Gesichtsausdruck wollte nicht recht zu seinem Tonfall passen. Watson war anzumerken, dass er dieses Thema mit Holmes schon mehrfach durch hatte und hörte kaum hin als der Detektiv kühl erwiderte: „Inwiefern würden ihr meine Tränen denn helfen, Mr. van Hellsing?“ Andrew starrte ihm einen Moment in die Augen, dann nickte er.
 

Sherlock näherte sich dem Ausdruck auf dem Tisch und warf von oben herab einen Blick darauf.

„Wer ist Natasha?“, fragte er wenig angetan.

Daraufhin strafte Watson ihn mit einem sengenden Blick.

„Natasha ist eine langjährige Freundin von Cathy, Holmes! Sie war sogar schon ein paar Mal hier! Wie können Sie das nicht mehr wissen?!“, rügte er seinen alten Freund. Holmes starrte unbeeindruckt zurück, auch wenn es für einen Moment den Anschein hatte, als wolle er sich mit irgendeiner Ausrede für sein Desinteresse an den Freunden seiner Tochter entschuldigen. Als aber nicht weiter kam, schüttelte Watson aufgebracht den Kopf.
 

„Ich rufe Mary an und sage ihr, dass ich hier bleibe, bis wir Cathy gefunden haben. Sie wird das verstehen. Ich hoffe nur, dass sie nicht mitsuchen will. Sie muss schließlich unser Baby versorgen.“ Damit verließ er das Labor und ging hinunter, um ungestört zu telefonieren.

Mrs. Hudson faltete ihre immer noch rege wandernden Hände vor der Brust und meinte schließlich:

„Ich koche uns Tee und bereite das Essen vor. Eine kleine Stärkung wird uns allen gut tun. Bleiben Sie auch hier, junger Mann?“ Letzteres fragte sie, indem sie sich zu Andrew vorbeugte, um ihm ins Gesicht zu sehen. Dessen Blick blieb starr auf die Unterlagen geheftet, aber er antwortete der alten Dame mit freundlichem Ton.

„Vielen Dank Mrs. Hudson. Ich bleibe ebenfalls, bis die Sache geklärt ist.“ Sherlock schielte ihn abschätzend von der Seite an. Wahrscheinlich war es ihm unangenehm, dass Andrew sich einfach bei ihm einquartierte. Aber der junge van Hellsing war fest entschlossen.

Mrs. Hudson nickte und murmelte zerstreut: „Gut. Gut. Gut. Und wie darf ich Sie anreden?“

Nun sah der junge Schwarzhaarige doch auf und schenkte der guten Frau ein kleines Lächeln.

„Ich heiße Andrew.“ Mehr brauchte sie nicht zu wissen. Die Haushälterin nickte betroffen, dann folgte sie Watson ins Erdgeschoss.
 

Andrew trat um den Tisch uns besah sich die ramponierte Visitenkarte.

„Ich nehme an, dass die Karte nichts ergeben hat?“, wandte er sich an Sherlock, aber der hatte im Moment ganz andere Prioritäten. Herausfordernd musterte er den jungen Mann.

„Und wo denkst du, dass du schlafen wirst? Wenn ich fragen darf?“, wollte er mit erhobenen Augenbrauen wissen. Andrew begegnete seinem Blick furchtlos und entschied sich im Bruchteil einer Sekunde. „In Cathys Zimmer.“
 

Während Mrs. Hudson den Tisch im Wohnzimmer deckte und das Essen hoch brachte, brüteten Sherlock und Andrew weiter über dem Ordner. Dabei schien Andrew nur auszusprechen, was sich Sherlock längst zusammengereimt hatte.

„Cathy wusste genau wie Moriarty aussah. Er muss also jemanden bezahlt haben, um sie zu entführen. Sie wäre doch nicht freiwillig zu ihm ins Auto gestiegen, oder?“

„Wohl kaum. Auch wenn sie eine amouröse Beziehung zu seinem Bild hat ist sie nicht so dumm sich von einem gefährlichen Psychopathen mitnehmen zu lassen.“

Sie schwiegen eine Weile.

„Meinen Sie, Moriarty hat selbst die ganzen Fotos von sich ins Netz gestellt?“, fragte Andrew.

„Natürlich.“, kam die Antwort sofort.

„Es war alles von langer Hand geplant. Aber wieso hat diese Natasha sie derart auf ihn fixiert. Hat er sie auf Cathy angesetzt? Ihre langjährige Freundin?“, fragte Andrew weiter und kam sich langsam dumm vor. Normalerweise war es mehr sein Ding Schlussfolgerungen zu ziehen und nicht wie ein Schulkind jeden gefundenen Lösungsweg verifizieren zu lassen.

„Wenn sie es denn ist. Sicher hat er ihren Account gehackt und sich für sie ausgegeben.“, kombinierte Holmes. Andrew dachte darüber nach. Irgendetwas schien ihm daran nicht zusammenzupassen. Dann hatte er es plötzlich.

„Nein. Das kann nicht sein, das wäre rausgekommen! Natasha geht mit Cathy in die Schule.“

In diesem Moment wurde sie zum Essen gerufen. John Watson war inzwischen auch wieder da. Während er und Andrew kaum etwas herunter bekamen, aß Sherlock mit einem Heißhunger, der absolut untypisch für ihn war.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  Tomo89
2018-07-31T20:51:27+00:00 31.07.2018 22:51
So fesselnd und auf den Punkt getroffen wie immer. :)
Finde es klasse wie die ganzen Details eingebunden werden und spannend bleiben. Man könnte außerdem meinen die Rollen sind originalbesetzt wie aus dem RPG. Das muss man erstmal hinkriegen, dass fremde Rollen so passend handeln.

Nur eine Frage von mir... Was hat Andrew an der Schule gemacht? Wo Cathy im letzten Jahr ist, müsste er schon abgegangen sein. Vllt überdenke ich es auch zu sehr.

Kann so oder so kaum erwarten mehr davon zu lesen. ;)
Antwort von:  Dollface-Quinn
01.08.2018 08:35
Danke für das tolle Lob. Ich stecke immer viel Mühe rein damit die Figuren authentisch bleiben. Aber 100 % sicher kann ich nicht sein, dass es mir auch gelingt. XD
Die Frage ist verdammt berechtigt. Ich werde sie irgendwann Cathy in den Mund legen. Dann bin ich mal gespannt was der Schnösel antwortet. XD
Von:  Reshin
2017-08-08T09:10:21+00:00 08.08.2017 11:10
Ui ui jetzt wirds verführerisch ;)
Ich finds total genial, wie du den Song einbaust! Leider hab ich mich ja schon vorher gespoilert, weiß nicht, ob es mir so auch aufgefallen wäre. Ich finde einzig und allein den Lippenstift etwas unpassend, also an einer unpassenden Stelle. Kann sein, dass es nur durch mein Wissen über das Lied so wirkt, als obs zwangsmäßig eingebaut wurde oder obs sonst auch so ist.. kann ich nicht sagen ;) andererseits hat Jim sowieso nicht alle Tassen im Schrank xD
aber so wie immer kann ich nur meckern, wo es dann besser hin passen würde, könnt ich jetzt aber auch nicht sagen ^^°
sonst ist sie genial :) oben etwas langatmiger, unten dann wieder spannend bis zum Schluss.
Richard!! Das war unerwartet. Habe vergessen, wer seine Eltern im RPG sind. Arg! :D
Von:  Reshin
2017-08-02T06:42:54+00:00 02.08.2017 08:42
Herrlich! "Vielleicht sind Sie ja selbst eine Romanfigur."
Das macht die FTH so toll ;)
Eine Faustgroße Schatulle - wenn ich meine Faust hernehme - ist ziemlich klein für ein richtiges Herz. Auch die Egel müssten Miniaturausfertigungen sein. Im RPG hatte er doch eine riesige Kiste, oder?
Das hat mich nur ein bisschen zum Stutzen gebracht :) natürlich haben richtige Männer riesen Hände, aber trotzdem ;)
sonst wie immer toll. Schön geschrieben, nicht zu viele Wiederholungen, grammatisch und orthographisch bist du sowieso besser als ich xD und so spannend, dass man nicht aufhören möchte <3
Antwort von:  Dollface-Quinn
02.08.2017 10:55
Hey, danke schön für die Blumen^^ Freut mich immer riesig!
Es ist dir also aufgefallen mit der Schatulle. Schlau, schlau. Du hast ganz Recht. Es ist eine andere Schatulle und ein anderes Herz, als Andrew in seinem ersten Jahr an der FtH dabei hatte. Ich gehe davon aus, dass sich Dracula sein Herz wieder holt. Andrew hat jetzt ein Frauenherz, die Schaukel ist aber so groß wie eine Männerfaust, d.h. es passt genau rein und die Egel sind tatsächlich kleiner und weniger, weil eine x-beliebige Vampirin eben leichter zu Bannen ist als ein Dracula.^^ Das erkläre ich vielleicht besser in der FF nochmal. Danke, dass du mich darauf bringst^^
Von:  Reshin
2017-08-01T09:10:45+00:00 01.08.2017 11:10
Wow, cooles Kapitelende ;) Da gehts ja gleich mächtig zur Sache!
Freue mich sehr, dass du weiterschreibst :D
bin auch gespannt was John, Sherlock und Andrew tun werden!
Antwort von:  Dollface-Quinn
01.08.2017 15:55
Danke^^ Wenn man Kommentare kriegt spornt das mächtig an neue Kapitel zu liefern.^^
Ich hab ja versprochen die FF zu schreiben, also bin ich sozusagen verpflichtet weiterzumachen. XD
Hoffentlich gehen mir nicht die Ideen aus.
Antwort von:  Reshin
02.08.2017 08:31
Solangs dir Spaß macht ^_^
ich glaube nicht. Und wenn schon, machst halt mal eine Pause - und der Blödsinn, den wir im RPG verzapfen wird dir definitiv über kurz oder lang neue Ideen liefern xD
Von:  Reshin
2017-07-03T06:14:00+00:00 03.07.2017 08:14
Uiii eine Fanfic über Cathy <3
Sehr schön geschrieben! Schreibstil gefällt mir und lässt sich flüssig lesen. Etwas schnelllebig, aber es soll ja eine Fanfic sein und kein ganzes Buch.
Die armen Katzen xD ich hoffe es kümmert sich jemand um sie. ;)

Antwort von:  Dollface-Quinn
03.07.2017 09:05
Ja! Genau das hab ich nach dem Kapitel auch gesagt: "Die armen Katzen." 😁
Keine Sorge, der Hausmeister wird sie finden. ^^
Danke für die Blumen und du hast ganz recht, diese FF wird etwas... hektisch. ^^°


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