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Die ISE

von

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Scherbenhaufen

Stille legte sich über den gepanzerten Transporter, in dem sie sich mit ihrem Trupp befand. Sie blickte auf die ihr unterstellten Tiere und erkannte in allen dieselben Gedanken, die sie selbst plagten.

Wenn es ihre Aufgabe war Geiseln zu befreien, so war dies immer noch ernster, wenn Kinder diese Geiseln waren.

Wenn Kollegen verletzt wurden war das auch ein schlimmer Anblick, aber sie waren normalerweise da, um ihnen zur Seite zu stehen. Allerdings nicht dieses Mal.
 

Vor weniger als acht Minuten wurde von den Geiselnehmern eine Übertragung in sämtliche Sendestationen eingespeist, in der ein Schaf mit einem Messer einem Kind die Kehle durchtrennen wollte, weil die Bürgermeisterin für die ISE war. Ein über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Fuchs in der Uniform des ZPD stellte sich den Geiselnehmern, die ihm zahlenmäßig weit überlegen waren. Und als dann auch seine ebenso bekannte Kollegin und Verlobte in das Geschehen eingriff keimte in ihnen Hoffnung, dass sie mit ihrer Flucht erfolgreich sein würden.

Die Flucht misslang und sie mussten sich einem hoffnungslosen Kampf stellen. Die Reaktion von Officer Wilde, als Officer Hopps wahrscheinlich tödlich verletzt wurde, war verständlich aber dennoch erschreckend.

Aber dann live zu sehen, wie die erste und zugleich letzte Verteidigungslinie der Geiseln regungslos zu Boden ging, ließ selbst die erfahrenen Tiere ihrer Einheit mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zurück.
 

Aus dem Lautsprecher in der Ecke erklang die Stimme des Fahrers.

„ETA 60 Sekunden!“
 

„OK, Leute. Ihr habt gesehen, wie es steht. Wie haben keine Zeit für großartige Strategien und Pläne. Sturm und Block. Volle Freigabe für tödliche Gewalt.“

Als Captain der S.W.A.T.-Einheit hatte sie durchaus die Befugnis tödliche Maßnahmen zu autorisieren, wenn die Zeit keine Rücksprache mit der Zentrale erlaubte, dennoch war sie stolz darauf in über 10 Jahren in ihrer Position erst zwei Mal diese Freigabe erteilen zu müssen. Und ihre Leute, sechs Rhinos und sechs Tiger, zeigten eine noch ernstere Mine.

„Zur Einteilung:

Eins und Zwei: Zwei Meter Schutzzone um die Zugänge des Busses.

Drei und Vier: Zwei Meter Schutzzone um Wilde und die Geisel bei ihm.

Fünf und Sechs: Zwei Meter Schutzzone um Hopps.“

„Verstanden!“

„Gut. Bereitmachen zum Abmarsch!“
 

Die Rhinos richteten sich zum Heck aus und gingen auf ein Knie.

Wenn sie zum Einsatz kamen, so mussten sie das Fahrzeug umgehend verlassen müssen, daher ließ sie in ihren Fahrzeugen spezielle Haltegriffe anbringen, welche ihren Männern und Frauen erlaubten selbst in scharfen Kurven an ihrer Stelle bleiben zu können.

Dann sprangen die Tiger auf die Rücken ihrer Partner und hielten sich dort an speziellen Haltegriffen fest, während sie in den anderen Pfoten einen großen Schild hielten.

Huckepack war vielleicht nicht elegant, aber niemand konnte einem Rhino im Sturmlauf standhalten und die Tiger konnten am Ziel umgehend mit den Schilden ihr Ziel schützen.
 

„ETA 25 Sekunden!“
 

Sie war nie religiös, aber dennoch erlaubte sie sich vor jedem Einsatz ein stummes Zwiegespräch mit sich, in welchem sie sich selbst versicherte, dass der strenge Drill und das anspruchsvolle Training nicht nur ihre Tiere, sondern auch die Geiseln diese Situation überstehen lassen würde. Dieses Mal fügte sie jedoch die Bitte hinzu, dass die Verletzungen ihrer beiden Kollegen vor Ort nicht so schlimm seinen, wie es aussah.
 

„ETA 5… 4… 3… 2…1…“

Ein Ruck ging durch das Fahrzeug und zugleich brüllte sie los:

„LOS! LOS! LOS!“
 

Die Eingangstore des Lagerhauses waren machtlos gegen den Ansturm der Rhinos und verlangsamten diese nicht einmal. Dank der Übertragung der Kameras war der genaue Standort ihrer Zielobjekte bekannt und sie mussten keinen Sekundenbruchteil opfern, um sich einen Überblick zu verschaffen.
 

Die Schafe schlugen auf Nick mit ihren Baseballschlägern und Stangen ein und erstarrten geradezu, als sie vom Knall der Tore überrascht wurden und konnten nur ungläubig diese Kolosse anstarren, die auf sie zustürmten.

Einige schafften es nicht sich aus ihrer Starre zu befreien und wurden geradezu niedergetrampelt.
 

„ZPD S.W.A.T.! Ihr seid umstellt! Lasst sofort alle Waffen fallen!“

Jedes Schaf, welches einen Baseballschläger oder eine Eisenstange in den Hufen hielt, ließ es fallen und trat zurück, bis sich die Herde in einer Ecke der Halle gesammelt hatte.
 

„1-1, 3-1 und 5-1, Sichern und Fesseln anlegen.“

„Verstanden!“

Damit löste sich aus jeder Gruppe ein Rhino und kümmerte sich um die Schafe.
 

„SANTIÄTER!“

Der Captain griff nach seinem Funkgerät.

„Hier S.W.A.T. 1: Ziel gesichert. Zentrale, wo bleiben die Notärzte?“
 


 

„S.W.A.T. 1, hier Zentrale: ETA 2 Minuten.“

„Doberman, darf ich Ihnen den Rest überlassen?“

„Klar Chief. Gehen Sie ruhig. Sie müssen sich jetzt um Hopps und Wilde kümmern.“

„Danke.“

Damit verließ Chief Bogo den Raum und holte sich ein Funkgerät und die Schlüssel für einen Wagen.

Nur wenige Minuten Später stand er in der Notaufnahme des Savannah-Central-Krankenhauses.

Nicht ganz unerwartet traf er dort auf Marian Wilde.

Nicht ganz unerwartet zitterte sie am ganzen Leib.

Nicht ganz unerwartet brachte sie kaum ein Wort heraus.
 

Sein Funkgerät blieb nie lange ruhig, aber das meiste davon war im Moment unwichtig. Dann kam eine Meldung, die Mrs. Wilde dazu brachte zum Eingang zu stürmen.

„Ambulanz 1 und 2: Ankunft Savannah-Central.“
 

Chief Bogo brauchte einige Schritte, um sie zu erreichen. Dann bekam er sie zu packen und konnte sie noch zurückziehen, als sich die Türen öffneten und zwei Tragen herein gerollt wurden.

Auf Nicks Trage kniete ein Rettungssanitäter und führte eine Herzdruckmassage durch, während sein Kollege die Vitalwerte an die übernehmenden Ärzte mitteilte. Es klang den Szenen aus diesen schnulzigen Krankenhausserien so schrecklich ähnlich, aber ihre Beine gaben nach, als der Sanitäter von Herzstillstand sprach.
 

Er brachte sie ins Wartezimmer und führte einige Telefonate.

Als er die Nummer von Bonnie Hopps wählte, dauerte es einige Momente, jedoch war nicht Judys Mutter am Telefon.

Offensichtlich reichte die Übertragung bis nach Bunnyburrow, denn es meldete sich eine von Judys Schwestern, die angab ihre Eltern nach Zootopia zu fahren.
 

Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein Schaf in einem weißen Kittel den Warteraum betrat und er hoffte, dass dies nicht das Schlimmste bedeuten würde.

Als er die Tür erreichte und das Schaf sprechen hörte, sah er rot.

„Meine Zuhörer wollen wissen, was sie davon halten was Ihr Sohn getan hat.“
 

Weitere Worte bekam er nicht raus, als sich die Hufe Chief Bogos um seinen Hals legten und ihn aus dem Warteraum hinausbeförderten. Im nächsten Moment spürte er den heißen Atem des Büffels auf seiner Schnauze.

„Ich weiß nicht, ob Sie dumm sind, oder dreist, aber Ihr Verhalten ist gelinde gesagt… geschmacklos.“
 

„Die Bewohner wollen wissen, was Officer Wildes Mutter davon hält, dass…“

„Das reicht. Sie sollten sich glücklich schätzen… Ich lasse Ihnen die Wahl: Entweder gehen Sie und warten, bis es eine offizielle Erklärung gibt, oder ich könnte den Verdacht hegen, dass Sie die Mutter von Officer Wilde quälen wollen, weil sie einer dieser PBB-Terroristen sind und sie einsperren. Ich bin sicher, dass selbst dort noch Tiere mit Anstand sind, die sich gerne mit Ihnen zusammensetzen wollen.“

„Aber die Pressefreiheit…“

„… hört bei Terrorismus auf.“

Damit gab er dem Schaf einen Schubs in Richtung des Korridors, aus dem es gekommen war und es verschwand um die Ecke.
 

„Individuen von der Presse können beizeiten recht unliebsame Unannehmlichkeiten darstellen.“

Chief Bogo fuhr herum und stand vor einer Gruppe Eisbären, wovon einer eine nur zu bekannte Persönlichkeit in seinen Pranken trug…
 

„Mr. Big.“

Judy hatte ihm niemals ihre unerwartete Verbindung mit der Familie des Unterweltbosses verschwiegen. So war es nicht sonderlich verwunderlich jemanden hier anzutreffen. Dieses Aufgebot schien ihm jedoch ein wenig übertrieben…
 

„Chief Bogo. Sowohl meine geliebte Tochter als auch meine Wenigkeit waren von den Bildern entsetzt. Mir ist ebenso bewusst, wie es um ihre Männer steht. Daher möchte ich Sie bitten uns zu erlauben Judith und Nickolas derartige Subjekte vom Hals zu halten, bis Ihre Leute die Situation soweit unter Kontrolle haben, dass Sie sich selbst um den Schutz der Beiden und ihrer Familien kümmern können.“
 

Hätte das Chaos der vergangenen Stunden noch länger angehalten, so hätte er selbst in Erwägung gezogen den Unterweltboss um Hilfe zu bitten, jedoch waren Gefallen eine gefährliche Sache, wenn man den falschen Leuten welche schuldete.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass ich oder jemand anderes Ihnen im Gegenzug etwas schuldig wäre?“
 

„Ich kann Ihnen mein Wort geben, dass ich diese Situation nicht für gewisse Bereiche meiner Geschäfte auszunutzen gedenke.

Judy würde ohne zu zögern meiner Tochter zur Hilfe eilen, wären die Rollen anders gewesen.
 

Der Anstand gebietet, dass ihre Eltern die Ersten sind, die über ihren Zustand informiert werden. Allerdings würde ich Sie darum bitten uns zu benachrichtigen, wenn sich etwas an ihren Zuständen ändert, egal zu welcher Uhrzeit. Sie gehören praktisch zur Familie.“
 

Mr. Big mochte ein Unterweltboss sein, jedoch war er von der alten Schule: Ehre und Familie durften niemals beschmutzt werden. Daher war sein Wort auf beiden Seiten des Gesetzes mehr Wert, als eine Wagenladung Gold.
 

„… Ich danke Ihnen.“

„So sei es. Das größte Ärgernis dürfte sein, dass ungeduldigen Vertretern der Presse der Anstand fehlt ihren Eltern die Ruhe zu lassen sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Sollten solche Individuen auftauchen, so geleitet sie vor die Tür.“

Mit einem Wink verteilten sich die Eisbären und gingen beim Warteraum, beim Zugang zum OP-Bereich und beim Eingang in Stellung und sorgten bereits mit ihrer stattlichen Erscheinung dafür, dass sich einige Reporter überlegten, ob sie versuchen sollten sich an ihnen vorbei zu schleichen.

Nun hieß es warten.
 

Allein in der ersten Stunde haben die Wachen am Eingang unzählige Reporter fort gescheucht, aber das war nicht überraschend. Die einzig größere Störung war, als ein alter Pickup mit drei Hasen vorfuhr, welcher sofort von einer Traube und Tieren umzingelt wurde.

Vier Eisbären waren nötig, um genügend Platz zu schaffen, damit Judys Eltern aussteigen konnten, bevor die Häsin am Steuer davonfuhr und es damit sogar schaffte, dass einige Reporter ihr folgten.

Nicht einmal Stu Hopps war nervös wegen der Krallen und Reißzähne, die die Eisbären gelegentlich zur Schau stellten, um den Weg frei zu bekommen und das war schon ein deutliches Zeichen, dass er mit seinen Gedanken nicht bei sich und den ihn umgebenden Eisbären vor dem Krankenhaus war.
 

Die erste Reaktion zeigten sie, als sie Chief Bogo und Marian trafen, aber nach der verhaltenen Begrüßung und den gegenseitigen Versicherungen, dass ihre Kinder stark seien, legte sich eine angespannte Stille über den Raum und keiner wagte es auch nur einen Ton von sich zu geben.
 

Chief Bogo ließ sich auf einem der Stühle vor dem Wartezimmer nieder und lauschte den Durchsagen über Funk.

Nach etwa einer Stunde war die Ordnung in so gut wie allen Gebieten wieder hergestellt. Und bald darauf trafen auch Fangmeyer und Wolfard im Krankenhaus ein.

„Sir, gibt es schon Näheres?“

„Sie sind immer noch im OP. Und ich bin bereit das als etwas Gutes zu betrachten.“

„Gut… Wie geht es…?“

Damit deutete Wolfard in Richtung des Wartezimmers.

„Sie haben alle die Übertragung gesehen. Dementsprechend tief sitzt der Schock.“
 

Ein Beben ging durch die Tigerin, als sie an das Video dachte, welches sie selbst und ihr Kollege erst wenige Minuten zuvor gesehen hatten.

„Wir haben davon gehört und uns vorhin bei Zootube die Aufnahme angesehen… Es war… schrecklich… Und makaberer Weise hat es bereits jetzt mehr Klicks als das letzte Gazelle-Video.“
 

„Hm. Wir können jetzt nur warten, also rein mit euch und sorgt dafür, dass die drei da drinnen nicht die Hoffnung verlieren.“

„Ähm… Sir?“

„Was ist Wolfard?“

„Draußen stehen Reporter. Vor den Türen und hier drin stehen… Eisbären in Anzügen?“

Die Frage war nicht unbegründet, da diese Kombination ein markantes und bekanntes Markenzeichen ist.

„Unerwartete Hilfe. Vertrauenswürdig. Machen Sie sich keine Gedanken darum.“
 

Eine weitere Stunde später war alles soweit unter Kontrolle, dass er weitere Kräfte ins Krankenhaus beordern konnte und die Männer von Mr. Big zogen ab.

Irgendwann weit nach Mitternacht kam ein Leopard in einem Arztkittel in das Wartezimmer.

„Mr. und Mrs. Hopps?“

Wie auf ein Zeichen hin schien jeder im Raum hellwach zu sein.

„Ja, das sind wir. Wie geht es Judy?“

„Zunächst die gute Nachricht: Sie wird es überleben. Das Tischbein hat kein Organ schwer verletzt und diese Verletzung sollte vollständig verheilen. Auch die meisten übrigen Verletzungen sollten mit angemessener Zeit und Ruhe verheilen.“

„Den Göttern sei Dank!“

„Nun zu den nicht so guten: Während des Kampfes wurde sie am linken Knie getroffen. Dies führte zu einem komplizierten Bruch, welcher überwacht werden muss, wenn sie hoffen will das Knie jemals wieder voll belasten zu können…“

„Judy ist ein starkes Mädchen. Ich bin sicher, dass sie es schaffen wird.“

Bonnie spürte geradezu, wie der Arzt zögerte.

„Was haben Sie uns noch nicht gesagt?“

„Der Schlag gegen ihren Kopf… hatte Folgen.“

„Was für Folgen?“

„Vom Schädelknochen haben sich Splitter gelöst und sich… in ihr… Auge gebohrt.“

Bonnie und Stu starrten ihn an, als verstünden sie seine Worte nicht.

„Ist sie… erblindet?“

„Nicht direkt... Sie hat ihr linkes Auge verloren. Sie wird gerade auf die Station für innere Medizin verlegt. Ich schätze Sie möchten sie sehen?“

„Natürlich.“

„Zimmer 201. Ich führe Sie hin.“
 

Der Arzt hatte das Wartezimmer fast mit Bonnie und Stu verlassen, als Marian sich meldete.

„Doktor… Können Sie mir irgendetwas sagen wegen… meinem Sohn?“

„Leider nicht Mrs. Wilde. Aber ich kann ihnen versichern, dass er in den besten Pfoten ist. Unser Chefarzt ist sehr erfahren und ihm stehen unsere besten Spezialisen zur Seite.“

„… Danke.“
 

„Freddy, ich gebe dem Chief Bescheid. Ich bin gleich wieder da.“

„Ok, Liz.“
 

Der Tag hatte nicht nur an seinen Nerven gezehrt. Fast das gesamte ZPD blieb noch auf den Beinen um mit Hilfe der Verstärkung der umliegenden Regionen sämtliche bekannten Anhänger und Räumlichkeiten der PBB aufzuspüren und für die Ermittlungen aufs Revier zu bringen.

Der einzige Lichtblick war die Tatsache, dass es bisher so aussah, als wenn einzig der harte Kern der Bewegung darin involviert sei und diese befanden sich im Lagerhaus. Aber er wollte auf Nummer sicher gehen.
 

Sein Telefon klingelte und würde er nicht schon ahnen, wer dran war, dann würde jemand für ein Jahr für Parkraumüberwachung zuständig sein.

„Chief Bogo.“

„Fangmeyer hier. Judy ist gerade aus dem OP raus.“

„Wie geht es ihr?“

Mit einem Seufzen gab sie wieder, was der Arzt gesagt hatte und auch seine Versicherung dass Nick in den besten Pfoten war.

„Danke.“

Bogo legte auf und griff nach seiner Kaffeetasse… und verzog das Gesicht als auch dieser Kaffee mittlerweile eiskalt war.
 

Mit zwei Kaffeebechern in den Pfoten ging sie wieder zurück in das Wartezimmer und musste schmunzeln.

Marian hatte den Kampf gegen die Erschöpfung verloren und lag nun auf der Couch. Auf ihr lag Freddys Uniformjackett und er fuhr sich gerade mit den Pfoten durch das Fell.

Sie reichte ihm den Becher und deutete auf die Sitze am anderen Ende des Zimmers.

„Du bist doch mittlerweile auch schon über 24 Stunden auf den Pfoten. Deine Schicht sollte irgendwo kurz nach Beginn des Stromausfalls enden, oder?“

„Jup.“

„Du solltest ihrem Beispiel folgen und dich ein wenig hinlegen. Ich bin da und werde euch beide wecken, wenn ich irgendwas Neues von Nick höre.“

„…“

„Findest du nicht?“

Sie blickte hinüber und konnte gerade noch den Becher auffangen, bevor er völlig durch seine schlaffe Pfote glitt.
 

Die Sonne begann sich zwischen den Häuserschluchten der Stadt hindurch zu schlängeln und einige Sonnenstrahlen schafften es sich durch die Fenster ins Wartezimmer zu stehlen, als ein erschöpft wirkender Jaguar den Raum betrat.

Dieser blickte erst die Tigerin an, dann den schlafenden Wolf, dann die schlafende Füchsin und zurück zur Tigerin.

„Mrs. Wilde?“

Dabei deutete er auf Marian.
 

„Ja. Freddy, aufwachen.“

Liz schüttelte ihn an der Schulter und ging dann zu Marian.
 

„Marian, aufwachen.“

Sie schreckte hoch und wirkte einen Moment verwirrt, als sie sich zunächst umsehen musste. Aber sie erstarrte, als sie den Arzt sah.

Es verging kein ganzer Herzschlag, als sie bereits beim Panther stand.

„Wie geht es ihm?“
 

Sein Blick ging zu den beiden anderen, aber Marian ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Es ist egal, dass sie da sind. Sagen sie schon: Wie geht es ihm?“

Er musste zunächst seufzen und sackte etwas in sich zusammen.

„Die Verletzungen waren massiv. Viele Knochen sind gebrochen und Muskeln gerissen. Das Messer hat sowohl seine Lunge, als auch seine Leber verletzt. Er hat mehrere gebrochene Rippen, die sich teilweise ebenfalls in die Lunge gebohrt haben. Der Schlag auf seine Schnauze hat den Knochen zersplittern lassen und diverse Blutgefäße und Nervenstränge verletzt und teilweise durchtrennt.

Wir haben unser Möglichstes getan um ihn zu stabilisieren, können jetzt jedoch nur abwarten, wie sein Körper die Traumata verarbeitet. Momentan liegt er im Koma…

Die nächsten 24 Stunden werden entscheidend sein. Wenn er die übersteht stehen seine Chancen bei etwa 60%.“
 

Marian sackte in sich zusammen und auch wenn Freddy sich ebenso fühlte, so zwang er sich dazu sich zusammen zu reißen und fing sie auf.

„I… Ich… Ich muss… zu ihm…“

„Selbstverständlich. Beobachtungszimmer 106. Ich führe Sie hin.“

Freddy stützte Marian, jedoch hätte er sie genauso gut tragen können, als ihre Beine keine Kraft mehr hatten.
 

„Freddy, ich gebe den Chief informieren und werde dann Bonnie und Stu Bescheid geben.“

„Danke Liz.“
 

Nach ihrem Anruf fühlte sie sich nicht einfach nur schlecht, sondern ihr Magen revoltierte.

Dies lag zum Teil daran, dass sie sich geradezu den Ausdruck von Chief Bogo vorstellen konnte, als er mit einem leichten Zögern erwiderte, dass er verstanden hatte. Zum anderen Teil lag es allerdings daran, dass sie nun Bonnie und Stu dasselbe mitteilen musste. Bei diesen handelte es sich bei Nick nicht nur um einen Kollegen und guten Freund, nein er war der Verlobte ihrer Tochter! Sie konnte und wollte sich gar nicht vorstellen, wie sie sich fühlen mussten.
 

Zimmer 201.

Sie wusste, was sie dahinter erwarten würde, aber dennoch schien sie eine unsichtbare Kraft von dieser Tür fernhalten zu wollen.

Sie brachte ein verhaltenes Klopfen zustande.

„Herein.“

Als sie ihre Pfote auf die Klinke legte, sah sie, dass sie zitterte.

Sie musste tief durchatmen und hoffen, dass sie sich zumindest einigermaßen wieder unter Kontrolle bekommen konnte.

Die Tür öffnete sich und sie hätte beinahe kehrt gemacht, als Bonnie vor ihr Stand und sie Judy auf dem Bett sehen konnte:

Beide Arme in Gips, fast ein Drittel ihres Kopfes waren dick bandagiert und ihr linkes Bein war auf einer dicken Schiene fixiert, wobei sich über ihr Knie sowas wie eine Kappe zog. Lediglich ihr rechtes Bein war nicht bandagiert.
 

„Elizabeth?“

>Das Vorrecht einer Mutter alle bei ihren vollen Vornamen ansprechen zu dürfen.<

Selbst dieser kleine Scherz schaffte es nicht auch nur den Hauch eines Schmunzelns hervorzurufen.

„Bonnie…“

Ihr Ausdruck wechselte von Besorgnis zu Panik, als ihr in den Sinn kam, warum die Partnerin ihrer Tochter nicht mehr bei Marian im Wartezimmer war.

„Nickolas…?“

„Er… lebt…“

Sie war geradezu stolz darauf, dass sie das ‚noch‘ unterdrücken konnte.

Bonnie packte ihre Pfote und zog sie zum nächsten Stuhl.

„Setzen. Und dann sagst du uns, wie es um ihn steht.“

Wie auf Autopilot folgte sie der Anweisung und setzte sich.

„Sein Zustand ist… kritisch…“

Bonnies Pfoten flogen zu ihrer Schnauze.

„Wenn er die nächsten 24 Stunden übersteht, dann stehen seine Chancen bei… 60%...“
 

Zunächst stand in ihren Augen Unverständnis, dann Erkenntnis und dann immer stärker werdende Panik, als sie realisierte, was Liz ihr da mitgeteilt hatte.

„Oh, Marian…“

Sie blickte sich um und schien zu überlegen, was sie machen sollte. Dabei fiel ihr Blick mehrmals auf Judy und Stu.

„Geh, Liebes. Ich bleibe hier bei Judy.“

Bonnie konnte es nicht ertragen sie so dort liegen zu lassen, aber Nick und Marian hatten es noch um ein vielfaches schlimmer…
 

Beobachtungszimmer 106 war ein offener Glaskasten auf der Intensivstation mit einem fast geschlossenen Vorhang.

Freddy wusste, dass einer von beiden mit Liz erscheinen würde, aber Bonnie brach fast ebenso sehr zusammen wie Marian, als diese ihren Sohn vor sich liegen sah.

Fast sein gesamter Körper lag dick bandagiert oder eingegipst in dem Krankenhausbett und um sein Maul war ein Gestell, von dem mehrere Metallstifte unter den Verband führten und dies war an einer überdimensionierten Halskrause befestigt...

Das einzige, woran man erkennen konnte, wer dort lag, war sein nicht bandagierter Schwanz und die rechte Pfote.

Gleich drei Infusionsbeutel versorgten seinen Körper mit allen wichtigen Stoffen, die er für die Genesung benötigte.

Mehrere Schläuche führten zum Ende des Verbandes um sein Maul und versorgten ihn offenkundig mit Sauerstoff vom Beatmungsgerät und das ständige piepen vom Hetzmonitor hatte eine beruhigende Gleichmäßigkeit.

Und auf einem Stuhl neben dem Bett saß Marian und strich mit ihrer Pfote über seinem Schwanz.
 

Freddy und Liz verließen den Raum um den beiden Müttern etwas Ruhe zu lassen.

„Ich sage es nur ungern, aber vielleicht sollten wir uns zuhause blicken lassen.“

„Aber…“

„Freddy, wir können nur warten und nicht mehr. Deine Familie hat dich jetzt fast zwei Tage nicht gesehen und sie machen sich sicher schreckliche Sorgen um dich…

Ich mache dir folgenden Vorschlag: Ich rufe den Chief an, er schickt Vertretungen, wir fahren nach Hause, essen was Anständiges und schlafen ein paar Stunden in einem richtigen Bett. Nicht auf harten Plastikstühlen. Und dann kommen wir zurück und übernehmen wieder.“

Seine Instinkte sträubten sich ein Mitglied seines Rudels zurück zu lassen. Auch wenn Nick kein Wolf war oder technisch dazugehörte, so gehörte er als sein Partner seit über drei Jahren dennoch dazu.
 

Freddy musste mehrmals tief durchatmen und wollte ihr gerade zustimmen, als er zuerst hörte, wie das Piepen hinter ihm unregelmäßig wurde, die zwei Frauen aufsprangen und nach einem Arzt riefen und eine rote Lampe über ihnen zu blinken begann.

Nach wenigen Sekunden liefen zwei Ärzte und zwei Schwestern an ihnen vorbei und forderten Marian und Bonnie auf den Raum zu verlassen. Dann wurde der Vorhang zugezogen.
 

Jenseits des Vorhanges kamen die Anweisungen schnell hintereinander und sie verstanden nicht mal die Hälfte von dem was gesagt wurde. Marian ging jedoch in die Knie, als sie den markerschütternden, durchgängigen Piepton hörte.

„Nein… Nein… Bitte nicht…“



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