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Liebeschaos! Teas Sprechstunde

von

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Stockholm-Syndrom

Tea nahm die Welt wie durch einen Schleier wahr. Sie lief durch die dunkelsten Gassen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass dies eventuell gefährlich sein konnte. Sie überquerte Hauptstraßen, ohne nach rechts oder links zu blicken, und hinter ihr hörte sie das Quietschen von Reifen und empörtes Hupen, ohne das Gefühl zu haben, dass es etwas mit ihr zu tun haben könnte. War das überhaupt sie, die ihren Körper näher und immer näher in Richtung des Hafens von Domino bewegte? Leichter Salzgeruch hing in der Luft, und aus einer Kneipe riefen ihr schmierige Typen obszöne Dinge hinterher.

Ihr Ziel lag zwischen zwei Lagerhallen. Das Licht der Straßenlaternen drang kaum bis hierher vor, und die Müllcontainer stanken nach verwesendem Fisch und anderen Abfällen. Aus den Schatten lösten sich zwei Gestalten in schwarzen Umhängen. Raritätenjäger. Ein Zittern lief durch Teas Körper. Nein, das war definitiv nicht sie, die ihren Körper steuerte. Mit aller Macht zwang sie sich, innezuhalten.

Sie kannte dieses Gefühl. Es erschien alles so leicht, es gab nichts zu entscheiden und keinen Grund, ihre Handlungen in Frage zu stellen – weil Marik diese Entscheidungen traf. Ihr nächster Schritt wurde schwerfälliger. 'Dreh um, und geh. Joey konnte es auch.'

Es gibt keinen Grund, dich zu wehren, Tea., schmeichelte eine fremde Stimme in ihrem Kopf. Es gibt keine Gefahr. Lass dich treiben.

Tea biss die Zähne zusammen. Kalter Schweiß perlte über ihre Stirn. Man sollte doch meinen, sie sei in den letzten Jahren stärker geworden. „Nein“, brachte sie gepresst hervor. Mariks Handlanger traten auf sie zu. Sie kamen ihr vage bekannt vor, allerdings sahen die auch irgendwie alle gleich aus, in den schwarzen Umhängen, mit den Schnürstiefeln und der Leere im Blick.

Sie versuchte, vor ihrem geistigen Auge das Bild aufrecht zu erhalten, sie sei eine Marionette, die an Fäden geführt werde – solange, bis es ihr gelang, die Fäden zu durchschneiden. Mit einem Ruck, riss sie sich los, und wollte fortlaufen, aber einer der Raritätenjäger packte sie am Arm.

Tea schrie und trat um sich, aber schon war der zweite neben ihr, und presste ihr ein unangenehm riechendes Tuch auf Mund und Nase.

Jetzt verschwamm Teas Sicht endgültig, geronn zu brodelnder Dunkelheit, die sie mit sich in den Abgrund riss.
 

Tea stöhnte. Ihr Kopf raste, als wäre er mit einer Dampflokomotive in voller Fahrt kollidiert, ihr Rücken war von ihrer unbequemen Körperhaltung angespannt, und Fesseln rieben ihre Handgelenke auf. Immerhin saß sie auf einem Stuhl. Sie hatte einen widerwärtigen Geschmack im Mund, und in der Nase noch immer den stechenden Geruch von Chloroform.

„Wie geht es dir?“, fragte eine entfernte Stimme.

„Was denkst du denn?“, nuschelte Tea. Es kostete sie ziemlich viel Kraft, die Augen zu öffnen. Marik stand direkt vor ihr, und hatte sich zu ihr heruntergebeugt. Seine helllila Augen waren besorgt zusammengekniffen. „Möchtest du etwas trinken?“

Zuerst wollte Tea reflexartig den Kopf schütteln, dann nickte sie aber dennoch. Sie fragte sich, ob sie es mit dem normal-durchgeknallten Marik zu tun hatte, oder mit dem vollkommen-durchgeknallten Psycho. Gegen letzteres sprach die Tatsache, dass sie noch lebte. Für letzteres sprach, dass er sie erst entführte, und dann so tat, als sorge er sich um ihr Wohlbefinden. Dass konnte nur eine ganz besonders perfide Foltermethode sein. „Was soll denn das? Ich dachte wir hätten die Freunde-entführen-und-gegen-Yugi-einsetzen-Phase schon hinter uns“, sagte Tea entnervt.

„Darum geht es dieses mal nicht.“ Marik hielt ihr eine Flasche Wasser an die Lippen und kippte vorsichtig. Trotzdem rann etwas davon an Teas Kinn hinab. Sie wischte es sich an ihrer Schulter ab, und Marik setzte sich ihr gegenüber mit überkreuzten Beinen auf einen Stuhl. „Ich habe einige Fragen. Es geht um Mai.“

Wäre Tea nicht an ihren Stuhl gefesselt gewesen, wäre sie vermutlich herunter gerutscht. „Was? Mai? Wieso Mai?“

„Ich stelle hier die Fragen!“ Marik versuchte Autorität auszustrahlen, stand auf und fuchtelte mit seinem Milleniumsstab vor Tea herum.

Die war nur wenig beeindruckt. Glücklicherweise schien es sich um den normal-durchgeknallten Marik zu handeln, nicht um den Psycho.

„Du bist doch ihre beste Freundin. Redet sie manchmal vom mir?“

„Mai ist nicht gerade der Typ Mensch, der sehr viel über seine Gefühle spricht.“

„Gefühle?“ Marik kniff die schwarzumrandeten Augen zusammen und beugte sich ein Stück zu ihr herunter. „Welche Art von Gefühlen?“

Tea sah ihn entgeistert an. „Als sie das letzte mal von dir gesprochen hat war sie beinahe verrückt vor Angst, ist als Bikerin vor ihren Problemen geflohen, durchs Land gezogen und hat unschuldigen Menschen die Seele entrissen, damit sie nie wieder einen solchen Alptraum wie nach dem Duell gegen dich durchmachen muss. Diese Art von Gefühlen.“

Marik sah nachdenklich aus, als überlege er, ob das eher gut, oder eher schlecht war. „Aber das war ja nicht meine Schuld. Das war ja mein anderes Ich. Und es ist doch gut, wenn sie Menschen die Seele entreißt. Da macht man wertvolle Erfahrungen.“

„Du bist so ein Idiot!“, zeterte Tea. „Statt mich einfach zu fragen wie jeder normale Mensch lotst du mich halbkomatös durch die ganze Stadt, so dass ich mehrmals fast draufgehe, lockst mich in eine dunkle Gasse in einen Hinterhalt deiner Schlägertypen, betäubst mich mit Chloroform, fesselst mich in einer dunklen Lagerhalle, und fragst mich dann sowas? Was willst du überhaupt von Mai?“

Marik sah beleidigt aus. „Ich wüsste nicht, was die Alternative gewesen wäre. Und ist das nicht offensichtlich? Sie ist nicht nur schön und stark, sondern sie weiß auch, wann es nötig ist, zu handeln, selbst wenn es Opfer erfordert. Im Duell gegen mein finsteres Ich habe ich sie in jedem Augenblick für ihre Stärke und Entschlossenheit bewundert. Sie wäre die perfekte Königin an meiner Seite, wenn ich erst Pharao bin.“ Marik lachte schallend. Er lachte und lachte.

Tea wartete, bis er fertig war. „Weißt du es nicht, oder willst du es nicht wahrhaben?“

Marik warf seine langen, blonden Haare über die Schulter. „Ich weiß, es wird schwer sie zu gewinnen. Aber das macht es doch nur umso reizvoller.“

„Marik, du bist schwul.“

Marik hielt inne. Dann fuchtelte er ihr wieder mit dem Milleniumsstab vor der Nase herum. „Was redest du da, Mädchen? Wie kommst du denn darauf?“

Tea musterte ihn, angefangen von der verdammt tief auf der Hüfte sitzenden Hose, über das bauchfreie, lavendelfarbene Top, dass seine Muskeln in Szene setzte, weiter aufwärts zum dem auffälligen Goldschmuck an Armen, Hals und Ohren, bis zu den dunkel geschminkten Augen. Er strich sich eine perfekt frisierte Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Weiß ich auch nicht“, sagte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme.

„Meister Marik?“, einer von seinen Handlangern betrat den Lagerraum. Tea erkannte ihn als Odion wieder, der damals die Rolle seines Meisters auf dessen Geheiß hin gespielt hatte, damit Marik die Gruppe infiltrieren konnte.

„Ich habe gesagt, ich will nicht gestört werden, Odion!“

Odion räusperte sich. „Meister, gerade ist jemand angekommen, der darauf drängt, sofort mit Ihnen zu sprechen. Er sagt, es sei wichtig.“

Marik verdrehte genervt die Augen. „Wer ist es?“

„Ein gewisser Bakura. Er behauptet, Euch zu kennen“, sagte Odion mit zu Boden gesenktem Blick.

„Sag ihm, ich habe zu tun“, fuhr Marik ihn an.

Odion verließ den Raum, und sein Umhang raschelte bei jedem Schritt um seine Füße. Tea sah ihm abschätzig hinterher. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, deinen Handlangern zu sagen, dass sie sich unauffälliger kleiden sollten?“

„Auftreten ist alles!“, dozierte Marik. „Man kann seine Feinde schon vor sich erzittern lassen, wenn man nur ein einschüchterndes Outfit wählt.“

Wieder ließ Tea ihren Blick über Mariks fliederfarbenes Top gleiten. „Aha“, sagte sie nüchtern.

Hinter Marik wurde die Tür aufgerissen. Bakura stürmte herein, und drehte ihn an den Schultern zu sich. „Marik! Ich habe einen genialen Plan!“ Er warf Tea einen Seitenblick zu, und sagte an sie gewandt: „Du hast einen interessanten Geschmack. Wenn du mir gesagt hättest, dass du auf so etwas stehst...“

„Blödsinn!“, rief Tea, und fühlte schon wieder, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Wie schaffte er das nur immer?

Marik schnitt ihr mit einem Wink seines Milleniumsstabes das Wort ab und entwand sich Bakuras Griff. „Siehst du nicht, dass ich zu tun habe? Außerdem habe ich schon einen Plan, bisher warst du nicht besonders nützlich. Du hast die Hälfte der Zeit irgendwo im Koma gelegen.“

„Ja“; grollte Bakura, „Und zwar wegen deiner Pläne! Außerdem habe ich mein Leben riskiert, bei dem Versuch, dir die Kontrolle über deinen Körper zurückzugeben, ein bisschen Dankbarkeit wäre also nicht ganz verkehrt.“

„Jaja“, sagte Marik genervt. „Dan-keee-schööön.“

Tea musste lachen. Ein Wunder, dass Yami so erwachsen geworden war; scheinbar war Macht, die man schon im Kindesalter bekam, nicht besonders förderlich für die Charakterbildung.

„Was ist denn dein genialer Plan?“, fragte Bakura.

„Ganz einfach. Wir bauen diese Lagerhalle in eine Todesfalle um. Da hinten...“ Marik zeigte auf den Eingang. „Werden Kreissägen der Verdammnis alles in Stücke reißen, was sich bewegt. Unter das Fundament kommt ein Haifischbecken, oder Piranhas, ich habe mich noch nicht entschieden. Und an den Wänden Selbstschussanlagen.“

Bakura zog eine Augenbraue in die Höhe und verschränkte die Arme.

„Dann...“, fuhr Marik fort. „Lassen wir Flyer drucken, auf denen steht, dass hier ein Duel Monsters Turnier stattfinden wird. Natürlich bekommt nur Yugi so einen Flyer. Er wird nicht widerstehen können! Und wenn er erst einmal hier ist, dann komme ich heraus. Es ist schon viel zu spät für ihn zu fliehen, wegen der Kreissägen, und der Selbstschussanlagen. Dann duellieren wir uns, und der Verlierer fällt ins Haifisch-Piranha-Becken! Und dann werde ich der neue Pharao sein!“

Tea und Bakura schwiegen, während Marik anscheinend auf begeisterte Zustimmung wartete. Tea fragte sich, ob Marik je daran gedacht hatte, sich eine Pistole zuzulegen und den Teil mit dem Kartenspielen einfach wegzulassen, hütete sich aber dieses Mal davor, ihren Gedanken laut auszusprechen.

„Es wird alles nach Plan laufen!“, schob Marik nachdrücklich hinterher.

„Marik“, sagte Bakura. „Es nützt rein gar nichts, wenn alles nach Plan läuft, wenn der Plan idiotisch ist. Und jetzt, wo du ihn vor Tea erzählt hast, ist er ohnehin hinfällig. Außer du willst sie so lange hierbehalten. Solltest du dich für diese Variante entscheiden, würde ich mich um sie kümmern.“ Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen, und Teas Eingeweide schienen merkwürdige Bewegungen zu machen.

„Verdammt, das habe ich ganz vergessen“, sagte Marik, und legte nachdenklich einen Finger an sein Kinn.

„Das ist offensichtlich“, sagte Bakura kühl. „Pass auf. Wir bringen Tea ins Nebenzimmer, und ich erkläre dir meinen Plan. Dir wird auffallen, dass er weniger kompliziert ist und bessere Erfolgsaussichten hat. Dann setzen wir ihn in die Tat um. Ich bekomme deinen Milleniumsstab und darf einen Blick auf deinen Rücken werfen, und du nimmst dir die Götterkarten und tust, was auch immer du tun willst.“

„Ein Blick auf meinen Rücken?“, sagte Marik pikiert und begann, Teas Handfesseln zu lösen. „Verdammt, ich bin nicht schwul!“

Bakura lachte. „Ja sicher. Es ging auch eher um das nette kleine Andenken von deiner Familie. Aber wenn du es anders interpretieren willst, ich bin für alles offen. Und du Tea? Willst du auch dabei sein?“

Tea holte mit ihrer freien Hand aus und versuchte, Bakura eine Ohrfeige zu verpassen, aber er war zu weit entfernt.

Ungerührt knotete Marik auch das zweite Seil wieder los, und Tea ballte ihre Hände zu Fäusten, bis wieder Blut hindurchfloss.

„Ich will nicht mit solchem Geschwätz meine Zeit vergeuden. Ich habe noch andere Pläne, wie wir Yugi zu einem Duell bringen und ihn dann töten könnten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein lächerlicher Plan auch nur besser ist als ein einziger von meinen.“

Bakura schnaubte. „Wenn das nächste mal du derjenige bist, der im Krankenhaus landest, meinetwegen.“

„Ich habe nicht dich gefährdet, sondern nur den Menschen, dessen Körper du benutzt.“, verteidigte sich Marik.

Tea stand auf, und machte einen vorsichtigen Schritt rückwärts, aber keiner der beiden nahm Notiz von ihr.

„Und den brauche ich noch!“, ereiferte sich Bakura. „Wir passen perfekt zusammen! Also, sein Körper und meine Seele, meine ich.“

Tea bewegte sich langsam rückwärts Richtung Hintertür, aber noch immer schenkten ihr die zwei keine Beachtung.

Wieder fuchtelte Marik mit seinem Stab herum. „Wenn du damals nicht wie ein Idiot deinen Wirt aus der Schussbahn genommen hättest, hätte der Pharao dich nicht angegriffen und dann wäre es gar nicht nötig, dass wir uns einen neuen Plan ausdenken.“

Bakura keuchte empört. „Der kleine Ryou ist empfindlich! Du bist doch damals wie ein Wahnsinniger mit deinem Dolch auf ihn losgegangen, und alles umsonst!“

Tea öffnete die Hintertür und schlüpfte leise hinaus. Eigentlich müsste man die Tür abschließen und die zwei ein paar Stunden allein lassen, dann hätte sich wahrscheinlich alle Probleme ihrer Freunde bald von selbst in Luft aufgelöst – oder besser gesagt, in zwei riesige Blutlachen.

Draußen atmete sie die von Müll und Meersalz geschwängerte Luft ein, als wäre es der Duft der Freiheit. Dann nahm sie die Beine in die Hand, und rannte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mimmy-chan
2014-09-25T13:49:38+00:00 25.09.2014 15:49
Marik und Mai - genial! XD
Obwohl ich das schon eher von Yami Marik erwartet hätte. Der spielt doch gerne mit seiner Beute. Obwohl er sie beim spielen bestimmt zerstören wurde. Hach.

Das Marik nicht merkt, dass er schwul ist, war so lustig! Und Teas sarkastische Gedanken dazu erst recht. Insgesamt hat es mich an Yu-Gi-Oh Abridged erinnert. Aber da ich die Serie total liebe, war mir das nur recht. X3

chuchu Mimmy-chan
Antwort von:  Dornentanz
08.10.2014 12:20
Das Traumpaar überhaupt!! Ne, Yami Marik interessiert sich nach meiner vorstellung nicht die Bohne für sowas... der will doch immer nur sachen kaputt machen und ist ein totaler Psychopath... Marik ist einfach nur schlecht darin, sich in andere hineinzuversetzen, weil er minimal ein bisschen egozentriert ist. Ja, diese nicht ganz so ernst gemeinte Interpretation von Mariks Charakter ist bewusst an YGOTAS angelehnt, mit Hinblick auf das Ende, das du ja auch schon kennst.
Von:  Glennstar
2014-02-22T22:08:28+00:00 22.02.2014 23:08
Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat bis ich das Kapitel lesen konnte, war wieder alles ein bisschen stressig bei mir.
"Hat Mai von mir gesprochen?" Oje, das kann ja nur in die Hose gehen.
Langsam habe ich echt richtig Mitleid mit Tea.
Ihr Studium scheint ihr mehr Ärger zu bringen als das Milleniumpuzzle.
Marik und Bakura sind einfach nur toll zusammen. Ich bin echt gespannt, was die beiden aushecken :)
Etwas gutes hat es ja, dass ich so lange nicht lesen konnte. Ich kann direkt zum nächsten Kapitel :D


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