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Far Away

von

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21

„Ihr Verschwinden wird von Beraterstab einstimmig als Schuldgeständnis gesehen!“ Lord Erjons Stimme hallte durch den Raum uns Siamun wiederstand dem Drang auf irgendetwas einzudreschen.

Es war zum aus der Haut fahren! Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Nicht einmal die Hofdamen. Die letzten Tage waren komplett für die Katz gewesen.

Und zu allem Überfluss war dann auch noch Daria aufgetaucht und hatte hysterisch verkündet, dass Etienne und Aziz verschwunden seien. Irgendwelche wirren Wortfetzen von Nachrichten, Gassen und einem Schuh, den man offenbar gefunden hatte, direkt neben einem blutigen Stück Holz.

Seine rechte Hand wanderte zum Nasenbein und begann, es zu massieren. Er bekam schon wieder Kopfschmerzen.

Etwas weiches strich plötzlich um seine Beine. Als der Prinz die Augen wieder öffnete und nach unten sah, blickte Scharlatan ihm auffordernd entgegen, nur um dann noch einmal um seine Beine zu streichen und anschließend mit einem elegantem Satz auf seinen Schoß zu springen.

Siamun stieß einen tiefen Seufzer aus und begann, Etiennes Kater gedankenverloren hinter den Ohren zu kraulen, welcher es sich auch prompt auf den Oberschenkeln seiner Majestät bequem machte und lauthals zu schurren anfing.

„Ist irgendetwas?“ fragte er die stellenweiße doch ziemlich erstaunt dreinblickenden Senatsmitglieder mit hochgezogenen Brauen. Die meisten schüttelten einfach nur den Kopf, nur Erjon konnte sich offenbar nicht mit dem Tier abfinden. Seit er als Kind von einer Katze gekratzt worden war machte er lieber einen großen Bogen um diese Tiere.

„Könntet ihr dieses Tier nach draußen bringen und euch dann wieder auf unser Gespräch konzentrieren?“ Siamuns Augenbrauen wanderten noch ein Stück höher. Warum denn bitteschön? Scharlatan störte doch niemanden. Reden, nachdenken und zuhören konnte er auch wenn er die Katze streichelte und schreiben musste er auch nicht!

Er wollte gerade zu einer bissigen Antwort ansetzten als der Kater, dem Erjons Tonfall offenbar auch nicht gefiel, von seinem Schoß sprang, sein ganzes Fell sträubte und den ehrenwerten Senatsvorsitzenden wütend anfauchte.

Der tat genau das falsche: er trat nach der Katze. Die wich behände aus, lief zum Tisch des Schriftführers und begann sämtliche dort liegende Dokumente auf den Boden zu schmeißen. Edis versuchte zwar ihn aufzuhalten, aber das brachte ihm nur ein paar tiefe Kratzer ein.

Zu guter letzt folgte noch das Tintenfass, dann sprang Etiennes Haustier von Tisch herunter, landete elegant auf den mit Tinte übergossenen Papyrusseiten und spazierte mit hocherhobenem Schwanz aus dem Saal, eine Spur von Pfotenabdrücken hinterlassend.

Betretenes Schweigen folgte, das kurz darauf von lautem Prusten durchbrochen wurde. Siamun fiel vor lachen fast vom Stuhl. Jetzt wusste er auch, warum Etienne das immer so komisch gefunden hatte.

Wenn sein Gesicht auch nur halb so bedeppert ausgesehen hatte wie das von Erjon...

Edis saß inzwischen auf dem Boden und versuchte, zu retten was noch zu retten war. Die Tinte hatte den Papyrus durchweicht und dadurch so gut wie alle Dokumente unleserlich gemacht und je mehr Leute anfingen zu lachen, desto sauertöpfischer wurde die Miene des Vorsitzenden.

Die große Tür wurde plötzlich geöffnet, Horace führte Aziz herein und „Mr. Spitznase“ stürzte sich auf die Ablenkung wie ein Geier auf einen Kadaver.

„Bist du nicht einer von denen, die Lady Etienne zur Flucht verholfen haben?“

„J..ja!“ der Junge kniete sich hin und berührte wie vorgeschrieben mit der Stirn den Boden. Dann setzte er sich wieder auf, sein ganzes Gewicht ruhte auf seinen Unterschenkeln und Fersen.

„Ich habe dazu eine wichtige Aussage zu machen!“ die dunklen Augen richteten sich auf seine Hoheit, der aussah, als wolle er aufspringen. Sachte schüttelte Aziz den Kopf, versuchte ihm zu signalisieren, dass er sitzen bleiben sollte.

„Lady Etienne hat den König nicht ermordet, sie ist unschuldig!“ Totenstille im gesamten Saal.

„Hat sie nicht? Und wer dann?“

„Ich!“

„Und wer hat dich dazu angestiftet?“ die Frage kam von Siamun selbst, der doch aufgestanden war.

„Prinzessin Malika Wazata.“ Erneutes Schweigen.

„Und der Dolch?“ Tamer, das älteste Mitglied des Beraterstabs, strich sich mit einer Hand über den Bart.

„Ich werde die ganze Geschichte von vorne erzählen!“ Aziz schluckte und holte tief Luft, die Augen unverwandt auf den Prinzen gerichtet.

„Vor einigen Monaten wurde ich auf dem Marktplatz überfallen und zusammengeschlagen, ich trug aber außer einigen blauen Flecken keine Verletzungen davon. Lady Etienne wurde aber deswegen sehr wütend und sie gab mir einen ihrer Dolche, damit ich mich in Zukunft verteidigen konnte.

Einige Zeit später gab Prinzessin Malika mir den Befehl, den König zu ermorden und das Ganze Lady Etienne anzuhängen. Außerdem erhielt ich ein starkes Schlafmittel. Ich arbeite in der Küche, es war also kein großes Problem für mich, das Mittel in das Essen ihrer Hoheiten zu mischen. Nachts schlich ich mich in das königliche Schlafzimmer und ermordete den König mit meinem Dolch.“

„Und wo ist Etienne jetzt?“ Siamun ballte die Hände zu Fäusten. Wenn Malika hinter dem Mors an seinem Vater steckte und Aziz ihr geholfen hatte, dann hieß das...

Er tastete nach seinem Schwert und griff ins leere. Verdammt, er hatte es an seinen Stuhl gelehnt und da war es immer noch. Drei Meter hinter ihm. Mist.

Er zwang sich seinen Zorn so gut es ging hinunterzuschlucken und sich auf Aziz’s Antwort zu konzentrieren.

„Auf Befehl der Prinzessin habe ich sie in einen Hinterhalt gelockt.“ Also befand sie sich vermutlich in ihrer Residenz.

„In Ordnung!“ Erjons Stimme hob sich über das leise Gemurmel im Saal hinweg.

„Wir werden unser weiteres Vorgehen besprechen. Bringt den Jungen solange in den Kerker.“ Der Prinz schloss die Augen, holte tief Luft und setzte sich wieder auf seinen Platz.
 

Angst. Das war das so ziemlich einzige, dass ich im Moment fühlte. Angst.

Ich befand mich immer noch in meiner Zelle, war immer noch mit den Ketten an die Wand gefesselt. Die Augen hatte ich bei Malikas letzter Foltereinlage geschlossen und seitdem nicht mehr geöffnet. Etwas warmes, klebriges war über meine Wangen gelaufen und dort festgetrocknet, ich hatte den Geschmack von Blut im Mund. Vermutlich hatte ich mir die Lippen aufgebissen. Es brannte hinter meinen geschlossenen Liedern und bei dem einzigen Versuch sie zu öffnen war es nur noch schlimmer geworden.

Ich zitterte, obwohl es eigentlich nicht kalt war. Aber ich war durstig und hungrig. Wann hatte ich das letzte mal etwas gegessen?

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür. Ich hörte Schritte, dann hielt mir jemand einen Becher an die Lippen. Das Wasser schmeckte seltsam süßlich, aber ich war so durstig, dass es mir egal war. Die Drogen wirkten laut Alos etwas drei Tage, solange würde ich ohne Wasser nicht durchhalten.

Hoffentlich fand Siamun mich bald!
 

Wieso brauchte der Beraterstab eigentlich immer so lange, um sich auf irgendwas zu einigen? Genervt fuhr sich der Prinz mit einer Hand durch sein langes Haar.

Etienne war unschuldig und wurde von Malika gefangengehalten! Was gab es da zu besprechen? Missmutig lies er sich auf sein Bett fallen.

Wenn es nach ihm ginge, hätte gleich heute Nachmittag ein Trupp Soldaten bei seiner Cousine an die Tür geklopft, alles durchsucht und Malik mitsamt Etienne einfach in den Königspalast gebracht.

Aber nein, man musste ja erst alle möglichen Strategien durchsprechen, das für und wieder abwiegen und so weiter und so weiter...

Einerseits verständlich, andererseits absolut nervtötend. Die Familie Wazata gehörte nun einmal zu den einflussreichsten Familien des Landes und keiner wollte es sich mit ihnen Verscherzen.

Frustriert drehte er sich auf die Seite und vergrub den Kopf in den Kissen, nur um herauszufinden, dass jemand die Bettwäsche gewechselt haben musste. Der vertraute Pfirsichgeruch war verschwunden, stattdessen roch seine Hoheit nur Seife. Na ganz toll!

Kurz überlegte er, ob er Aziz noch einen Besuch abstatten und ihm ein paar Fragen stellen sollte, entschied sich aber dagegen. Bei seiner momentanen Laune würde der Junge das Gespräch wahrscheinlich nicht überleben und er brauchte ihn noch.

Ein erneuter Seufzer. Eine Drehung auf den Rücken. Er war viel zu unruhig. Irgendwie musste er sich beruhigen.

Der Übungsplatz war leer und lag im Dunkeln. Zumindest, bis der Prinz die Fackeln rings herum angezündet hatte. Dann ging er in einen der angrenzenden Räume und griff nach seinem Bogen, dem Köcher mit den Pfeilen sowie einer Sehne.

Mit geübten Bewegungen befestigte er eine der Schlaufen in der entsprechenden Kerbe, stellte das Ende auf dem Boden ab, drückte das obere Ende nach unten und schob die Schlaufe am anderen Ende der Sehne über die Spitze. Als er den Arm locker ließ spannte sich die Sehne.

Zurück am Übungsplatz band er sich den Köcher um die Hüfte, stellte sich so, dass sein Körper mit dem Ziel einen rechten Winkel bildete und nahm einen Pfeil heraus. Siamun legte an, zog die Sehne fast bis zum Ohr, zielte und lies los. Ein dumpfes Geräusch erklang, als der Pfeil eine Zielscheibe traf.

Der dritte Ring von innen. An sich kein schlechtes Ergebnis, aber doch nicht so gut wie sonst. Siamun schüttelte den Kopf, sein langes Haar strich über Schultern und Rücken.

Nächster Schuß. Anlegen, spannen, zielen, loslassen. Fast genau den Übergang zwischen zweitem und drittem Kreis. Schon besser!

Anlegen. Spannen. Zielen. Loslassen. Anlegen. Spannen. Zielen. Loslassen. Mit jedem Schuß merkte seine Hoheit, wie er ruhiger wurde. Seine Gedanken kamen zum erliegen, der gefühlte Klumpen in seinem Bauch löste sich. Jeder Schuß landete näher am Zentrum, die letzten sieben gingen genau in die Mitte.

„Sieben von zwölf in die Mitte. Kein schlechter Schnitt.“ Auch wenn er für gewöhnlich besser war.

„Willst du auch mal?“ Siamun drehte sich zu Horace um. Der Leibwächter lehnte an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine überkreuzt.

„Nein danke!“ er schüttelte den Kopf.

„Beim Kämpfen bin ich besser als du, aber im Bogenschießen werde ich dich nie schlagen.“

„Es währe ja auch eine Schande, wenn ich als Prinz nicht in mindestens einer Sache besser wäre, meinst du nicht?“ wie immer wenn sie alleine waren, ging Horace zum du über.

Lachend ging Siamun zu den Zielscheiben, drehte und zog einen nach dem anderen heraus. In der Zeit entfernte sein bester Freund die Sehne. Gemeinsam räumten sie auf.

Der Garten war nicht so ruhig wie der Übungsplatz. Grillen zirpten, Falter schwirrten durch die Luft und in den Sträuchern raschelte es. Vermutlich war Scharlatan auf Ratten- und Mäusejagd.

Die beiden jungen Männer setzten sich auf die Stufen von Etiennes Lieblingspavillon und schwiegen eine Weile.

„Machst du dir Vorwürfe?“ Siamun blickte ihn nachdenklich an.

„Du?“ das war zwar keine Antwort auf die Frage, aber Horace kannte ihn schon lange und konnte die unausgesprochene Antwort trotzdem erkennen.

„Ich bin ihr Leibwächter. Ich hätte da sein müssen. Ich hätte sie beschützen müssen!“

„Du weiß genauso gut wie ich, dass dir niemand Unterschlupf gewährt hätte. Die meisten dieser Leute misstrauen Soldaten viel zu sehr. Und jetzt behaupte nicht, dass du harmlos wirken kannst. Etienne hat dich mal eine Kreuzung aus Bulldogge und Wandschrank genannt. Und auch wenn ich nicht weiß, was sie mit Kreuzung mein, so klingt die Kombination von Bulldogge und Wandschrank doch ungeheuer passend!“

„Hey!“ lachend boxte Horace gegen den Oberarm des Prinzen. Lady Etiennes Sätze und Worte die keiner so wirklich verstand blieben allen im Gedächtnis haften, was stellenweiße für komische Situationen sorgte.

„Und nicht zu vergessen dein Gesichtsausdruck!“ Siamun musste grinsen.

„Schon der Normale schlägt jeden in die Flucht, von den zornigen ganz zu schweigen. Wenn du nicht gerade Rhia anhimmelst oder mit Kätzchen spielst!“ Nur drei Personen wussten, dass Horace ausgesprochen Tierlieb war: Rhiannon, Etienne und Siamun. Die beiden Frauen hatten sich lachend auf dem Boden gekugelt, als sich der zwei Meter große Soldat damals auf den Boden gesetzt hatte und mir den Worten ‚wer ist das süße Kätzchen? Ja wer?’ begonnen hatte Scharlatan zu ‚knuddeln’, wie Etienne es nannte.

„Sie bedeutet dir sehr viel, nicht war?“ Abrupter Themenwechsel. Siamun antwortete nicht, er nickte nur.

„Mir auch! Ich habe mir immer eine kleine Schwester wie sie gewünscht...“ stattdessen hatte er einen Vater, der ihm die Schuld am Tod seiner Frau gab, eine verhasste Stiefmutter und eine verzogene jüngere Stiefschwester. Kein schöner Gedanke. Aber das war vorbei. Er war kein Kind mehr. Er war ein selbstständiger Mann. Und er würde seine eigene Familie gründen. Eine Familie voll Liebe und Gelächter. Keines seiner Kinder würde sich jemals ungeliebt und einsam fühlen!

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Horace blickte in Siamuns ernstes Gesicht und lockerte die Fäuste, die er unbewusst geballt hatte.

„Wir werden sie befreien!“
 

Himmel! Als ich mit diesem Kapitel angefangen habe hätte ich nie gedacht, dass es so enden würde! Ich hatte eigentlich etwas ganz anderes geplant... Das habe ich jetzt einfach ein Kapitel weiter geschoben. Na so was aber auch. Ich hoffe, es gefällt trotzdem!



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