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Far Away

von

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22

‚Wir werden sie befreien!’ klang wesentlich einfacher als es war. Denn auch ein Mitglied der Königsfamilie konnte nicht einfach in irgendwelche Häuser marschieren und sie durchsuchen. Zumindest nicht ohne die Zustimmung des Senats.

Und der tat das, was er am besten konnte: diskutieren. Siamun war wieder mal kurz vorm explodieren. Nur die Tatsache, dass es absolut nichts nützen würde hielt ihn davon ab. Es gab nur zwei Personen im Reich, die den Senat überstimmen konnten und das waren der König und die Königin. Ersterer fiel ja leider aus und seine Mutter wollte er nicht auch noch hineinziehen. Sie hatte schon genug durchgemacht.

Also saß der Kronprinz wieder mal im großen Saal und hörte zu. Die Senatoren konnten sich einfach nicht einigen. Viele der Adelsfamilien hatten Handelsbeziehungen miteinander, auch mit der Familie Wazata. Und natürlich wollte sich die niemand verderben.

Einige meinten, dass eine Entführung eine ernste Sache sei, andere wollten wegen einer bürgerlichen Frau, die auch noch aus den Ausland kam, keinen Streit riskieren.

Man diskutierte hin, man diskutierte her und bis jetzt war noch kein Ende in Sicht.

„Könnten Sie sich auch irgendwann mal einigen?“ zur Not würde Siamun auch ohne Rückhalt des Beraterstabs handeln.

„Es könnte ein Menschenleben auf dem Spiel stehen!“

„Mein Sohn hat völlig Recht!“ Alle Köpfe drehten sich zur Tür. Königin Sharina hatte die Arme über der Brust verschränkt und blickte ziemlich missbilligend drein.

„Eure Majestät!“ die zwanzig Männer standen auf und verneigten sich, während sie zu ihrem Platz ging, sich setzte und elegant die Beine übereinander schlug.

„Könnte mir also bitte jemand verraten, warum hier irgendwelche Kaffeekränzchen abgehalten werden? Wir haben hier eine Entführung und einen Zeugen, was für einen Grund gibt es also, hier groß um den heißen Brei herum zu diskutieren?“

„Aber der Zeuge könnte doch auch gelogen haben!“ Das war ja so was von klar gewesen! Was zählte schon ein Leben, wenn Erjons geschäftliche Beziehungen auf dem Spiel standen? Entrüstet schüttelte Siamun den Kopf.

„Das werde wir am ehesten herausfinden, wenn wir Etienne gefunden haben!“ dem konnte niemand etwas entgegensetzen und so gab der Beraterstab mehr oder weniger freiwillig sein Einverständnis.
 

Malika kochte vor Wut, als sie mit einem kleinem Fläschchen durch die Gänge ihrer Residenz stürmte. Wie konnte diese kleine Made Aziz es wagen, vor dem Senat ein Geständnis abzulegen? Ein leichtes Kribbeln im Nacken sagte ihr, dass der Zauber, der die Eingänge schützte, sich wieder aktiviert hatte. Siamun versuchte also immer noch einzudringen. Sollte er doch!

Lange würde der Schutz nicht mehr halten, da machte sie sich keine Illusionen, aber er würde nicht so einfach zu Etienne kommen, dafür würde sie sorgen!

„Verschwinde!“ herrschte sie den Soldaten an, der auch ohne zu Zögern das Weite suchte. Lächelnd ließ sich die fürstliche Prinzessin auf dem Boden nieder, kippte die dunkelrote Flüssigkeit in ein Schälchen und tauchte ihre Finger hinein.

Es war das Blut von Azis’s heiß geliebter kleinen Schwester Amila, mit dem sie auch die Außentüren gegen Eindringlinge gesichert hatte. Eigentlich verboten, aber mit Menschenblut konnte man die mächtigsten Zauber wirken und um Verbote kümmerte sie sich schon lange nicht mehr.

In Windeseile begann Malika die Kerkertür mit Zeichen zu versehen, während sie unablässig vor sich hin murmelte. Als sie fertig war glühten die Zeichen rot auf und verschwanden dann, eine unschuldig aussehende Tür zurücklassend. Sofern eine Kerkertür unschuldig aussehen konnte.
 

Also das war nun wirklich peinlich! Da kam man mit Soldaten, Senatsmitgliedern und Priestern zu einer Hausdurchsuchung, nur um dann an der Eingangstür zu scheitern.

In Ordnung, es war eine durch Zauber geschützte Tür, aber nichts desto trotz eine Tür.

Siamun seufzte mal wieder tief und versuchte, zumindest äußerlich ruhig zu bleiben. Die Priester taten ihr bestes und die Ausgänge wurden alle überwacht, niemand kam herein oder hinaus, aber er wurde trotzdem das Gefühl nicht los, dass er sich besser beeilen sollte.

Wie aufs Stichwort kam einer der Priester auf ihn zu.

„Eure Hoheit!“ Er verneigte sich und knete dabei scheinbar nervös seine Finger.

„Gibt es etwas neues?“

„Wir haben herausgefunden, durch welchen Zauber die Tür geschützt wird. Sehr wirkungsvolle Magie, für die Menschenblut benötigt wird.“

„Menschenblut?“ der Prinz verschluckte beinahe seine eigene Zunge. Menschenopfer waren verboten! Entweder war Malika sich ihrer Sache sehr sicher, oder sie war ziemlich verzweifelt.

„Ja. Wie auch immer, der Schutz mag ja stark sein, aber er hat zwei Schwachpunkte: Der erste wäre, dass die Türe geschlossen sein muss, sonst ist die Wirkung dahin.“

„Das heißt also, dass uns nur jemand die Tür öffnen muss?“

„Genau. Entweder jemand von innen, oder ein Blutsverwandter von der Person, deren Blut verwendet wurde, was die zweite Schwäche wäre.“ Was im Klartext hieß, dass ihre Chancen da durchzukommen bei Null lagen. Keiner der Angestellten würde die Tür von innen öffnen und ein Verwandter war unmöglich zu finden, wenn man nicht einmal wusste, nach wessen Familie man eigentlich suchte. Aber vielleicht wusste Aziz ja etwas.

Etiennen Diener saß, an Händen und Füßen gefesselt, an eine Hauswand gelehnt, die Augen hatte er geschlossen. Seine dunkle Haut war blass und er wirkte erschöpft, als hätte er kaum geschlafen. Was er vermutlich auch nicht hatte, die Kerker waren nicht besonders gemütlich.

Neben ihm lehnte Horace mit lässig vor der Brust verschränkten Armen an der Hauswand, den Jungen immer aus den Augenwinkeln im Blick.

„Weißt du irgendetwas über den Schutzzauber?“ Stummes Kopfschütteln.

„Gibt es einen ungeschützten Eingang?“

„Nicht dass ich wüsste...“ Aziz’s Stimme klang rau, als hätte er laut geschrieen oder zu wenig getrunken. Vermutlich letzteres. Der Prinz beobachtete, wie der Junge nervös die Fingerspitzen aneinander rieb und stellte seine letzte Frage:

„Weißt du, wessen Blut verwendet worden ist? Gibt es irgendwelche Verwandten, die uns die Tür öffnen würden?“ seufzend schloss der Diener die Augen, lehnte den Kopf hinter sich an die Wand und schwieg. Schwieg so lange, dass Siamun schon glaubte, er würde gar nicht antworten.

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich würde gerne etwas ausprobieren!“ er hob die Hände in einer bittenden Geste und Horace zog einen Dolch.

„Es könnte eine Falle sein!“ meinte er.

„Das weiß ich auch! Aber weißt du eine andere Lösung?“ statt einer Antwort durchtrennte der Soldat die Fesseln, was so viel wie ‚Nein’ bedeutete. Auf der dunkelbraunen Haut konnte man deutlich Fesselspuren erkennen und der Junge massierte seine Gelenke, während er zum Eingang ging.

Davor blieb er stehen, holte tief Luft und griff nach dem Griff. Alles hielt den Atem an. Normalerweise war das der Augenblick, in dem die Tür rot aufleuchtete und einem stechender Schmerz den Arm hinaufschoss, aber bei Aziz? Nichts! Die vorher unüberwindliche Barriere schwang auf, als gäbe es den Schutzzauber gar nicht.

Was im Grunde nur eines bedeuten konnte: Aziz war mit Malikas Menschenopfer verwandt. Bei Scoah! Oder wie Etienne sagen würde: Ach du heilige Scheiße!

Siamun und Horance liefen, je ein Schwert in der Hand, hinter dem fünfzehnjährigen Jungen durch die Gänge und kamen bald im Kerkergewölbe an.

Etiennes Zelle zu finden war einfach: es gab nur eine einzige Zelle mit einer Wache davor.

„Schließ die Tür auf!“ Es gab nur sehr wenige, die sich Siamun in diesem Moment wiedersetzt hätten und die meisten dieser kleinen Gruppe hätten sich das zweimal überlegt, wenn ein mindestens ebenso schlecht gelaunter zwei Meter großer Mann neben ihm stand. Die Wache sah das offenbar genauso und nahm einen großen Schlüsselbund vom Hacken an der Wand. Mit zitternden Händen suchte er den richtigen Schlüssel heraus, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn herum.

Im selben Moment glühten auf der Tür rote Zeichen auf.

„Weg da!“ brüllte Eliah, aber die Warnung des jungen Priesters kam fast zu spät. Veysel machte zwar einen Satz nach hinten, war aber nicht schnell genug. Der Zauber, der zum Glück nur auf kurze Distanz wirkte, erwischte noch das rechte Bein des Soldaten und hinterlies dort tiefe Schnittwunden, die bis zum Knochen reichten. Wäre er stehen geblieben, hätte es ihm wahrscheinlich die Kehle durchtrennt.

„Holt einen Perokapriester!“ schrie Horace durch die Gänge und Atem, eine der Palastwachen, rannte sofort los, während Siamun versuchte, die Blutung irgendwie zu stillen. Sein dünner weißer Leinenmantel half da leider wenig, er war innerhalb kürzester Zeit von Blut durchweicht.

„Es tut mir leid wegen eurer Geliebten!“ Veysels Atem kam in kurzen Stößen, die Schmerzen waren beinahe unerträglich.

„Ich war dagegen, aber sie wollte nicht hören... ich hatte keine Wahl...“

Schritte auf dem Steinboden kündigten Atem und den Priester an und hielten den Prinzen davon ab, Veysel zu packen, ihn kräftig durchzuschütteln und ihm zu erklären, dass er sehr wohl eine Wahl gehabt hatte: Er hätte Etienne zur Flucht verhelfen können!

„Oh je, das sieht nicht gut aus!“ mit diesen Worten kniete sich Emad neben den Verletzten und entfernte den provisorischen Verband. Die Wunden bluteten zwar noch, wenn auch nicht mehr so stark wie zuvor. Der vierzigjährige hielt seine Hände über das Bein und schloss die Augen. Grünes Licht pulsierte und der jüngere Mann seufzte erleichtert auf, während man zusehen konnte, wie die Schnitte sich langsam schlossen, bis nur noch feine rosa Narben an das Geschehen erinnerten. Die Narben und die Zeichen an der Tür, die eindeutig mit Blut geschrieben waren.

„Sind die noch gefährlich?“ fragte Horace und musterte sie misstrauisch, als fürchtete er, der Zauber könne sich noch einmal aktivieren.

Aziz, der vergessen etwa abseits stand, schluckte. Er verstand nicht viel von Magie, aber er vermutete, dass auch hier Amilas Blut verwendet worden war. Vielleicht würde der Zauber, wenn er überhaupt noch aktiv war, auch hier verschonen? Einen Versuch war es wert. Zumindest das war er Lady Etienne schuldig, nach allem was sie für ihn getan hatte.

Er schluckte, holte einmal tief Luft und bevor ihn jemand aufhalten konnte hatte er die Türe geöffnet und die Zelle betreten.

Der Anblick war so grässlich, dass er wie angewurzelt stehen blieb, was zur Folge hatte, dass Siamun und Horace ihn beinahe umrannten. Man hatte Etienne an die Wand gefesselt, wo sie bewusstlos zusammengesunken war, soweit die Ketten es erlaubten. Sie hatte überall blaue Flecken und dünne Schnittwunden, über ihre Wangen zogen sich zwei dicke Spuren aus Blut, das offenbar unter ihren Liedern hervorgequollen war.

„Oh mein Gott!“ der Prinz stieß Aziz zur Seite und er taumelte einfach gegen die nächste Wand, an der hinab auf den Boden rutschte.

„Etienne?“ sanft strich Siamun mit den Fingerspitzen über ihre Wange, bemüht keiner ihrer Verletzungen zu berühren.

„Kannst du mich hören Kleine?“ hektisch machte sich Horace an den Fesseln zu schaffen und kurze Zeit später sank ihr lebloser Körper in seine Arme.

„Alles in Ordnung, ich habe dich!“ ein leiser Seufzer schlich sich über ihre Lippen.

„Siamun!“ wusste sie dass er da war, oder hatte sie nach ihm gefragt?

Er beschloss, das er sich darüber später Gedanken machen konnte und trug sie nach draußen, wo bereits Emad wartete.

„Am besten bringen wir sie nach oben, ich brauche mehr Licht!“ im Eilschritt liefen die vier Männer die Gänge entlang, Aziz und Veysel wurden einfach nicht weiter beachtet und blieben zurück.

Auf dem sonnigen Hof legte Emads Assistentin Alisha einige Decken und Kissen auf den Boden,

worauf das blonde Mädchen vorsichtig abgelegt wurde. Die Hände des Priesters begannen wieder grün zu leuchten und erleichtert beobachtete Siamun, wie die Verletzungen zu verheilen begannen.

„Mehr kann ich leider nicht tun, meine Fähigkeiten heilen nur Wunden, keine Verletzungen wie die an ihren Augen.“ Mit diesen Worten wickelte Emad ihr einen Verband um die Augen.

„Siamun?“ Etiennes stimme klang rau, als hätte sie geschrieen oder lange nichts getrunken.

„Ich bin hier!“ er griff nach ihrer Hand.

„Ich kann meine Augen nicht öffnen? Warum geht es nicht?“ entsetzt versuchte sie sich loszureisen.

„Keine Sorge, Lady Etienne!“ versuchte der Arzt sie zu beruhigen.

„Ich habe euch die Augen verbunden, sobald ihr im Palast seid wird sich mein Kollege um eure Augen kümmern. Seid unbesorgt!“ die Fingernägel, die sich in die Hand des Prinzen krallten, zeigten, dass sie sich sehr wohl Sorgen machte.

Während Siamun noch überlegte, wie er sie beruhigen konnte, schallte ein Ruf über den Hof.

„Eure Majestät, wir haben Prinzessin Malika gefangen genommen!“ Sofort machten sich alle auf den Weg dorthin und ließen Etienne in Alishas Obhut zurück.



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