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Großväterchen Frost

Vorfreude auf Weihnachten
von

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Kleines Weihnachtswunder

Russisches Geplauder schlug meinen Freunden entgegen, als sie das Wohnzimmer betraten. Mich empfing eine angenehme Atmosphäre. Der Duft der Orangen hing noch immer im Raum.

„Wow, das ist aber ein… geschmückter Baum!“, rief Tyson verblüfft aus. „Aber meint ihr nicht, dass er etwas zu voll ist?“

„Das ist eine Jolka! Und Jolkas sehen nun mal so aus. Und das ist unsere Jolka und unsere Jolka sieht genau so aus!“, verteidigte Yurij seinen Baum.

Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Lass doch, sie kennen doch die Bräuche nicht.“

Yurij brummte leise und fragte unsere Gäste, was sie trinken mochten.

„Erzählt uns doch etwas über Weihnachten in Russland!“

Es war Rays sanfte Stimme, die uns das fragte. Er hatte die Fotos an der Wand betrachtet. Diejenigen aus unserem Urlaub, aber auch Schnappschüsse. Und unsere… nun ja, Yurij betitelte sie gerne als Schmusefotos. Ich wurde ehrlich gesagt etwas nervös. Aber nur etwas.

Ray sagte aber auch nichts dazu.

Yurij schenkte ihnen allen ein und Spencer ergriff das Wort: „Darüber wissen wir eigentlich nicht viel, denn wir haben wenig von den richtigen Bräuchen kennen gelernt.“

Er nahm den roten Stern in die Hand, der noch auf den Tisch gelegen hatte. Ich sah Yurij an. Warum er ihn nicht weggeschmissen hatte? Auf meine stumme Frage zuckte er mit den Schultern und formte mit den Lippen ein „Vergessen!“.

„Aber dieser Stern zum Beispiel… Boris hat ihn oft auf irgendeiner Tanne draußen im Hof platziert.“

Bryan regte sich. Und ich schwöre, das war das erste Mal, dass ich ihn so ernst und gleichzeitig so sanft reden hörte, als er sagte: „Seit der Geburt meiner Zwillinge und dank meiner Frau und meinen Schwiegereltern ist mir Weihnachten eigentlich ziemlich ans Herz gewachsen… Das geb ich ehrlich zu.“

Das verblüffte nun wirklich alle. Uns hatte er eine Karte mit Foto geschickt, vor einem halben Jahr. Er führte ein Bilderbuchleben, man konnte ihn fast beneiden.

„Zw-Zwillinge?“, fragte Tyson ungläubig nach.

„Herzlichen Glückwunsch!“, kam es von Max und Ray gleichzeitig, und auch Kenny wünschte ihm alles Gute.

Bryan errötete leicht.

„Wir… wir fahren immer zu Annas Eltern am 6. Januar und übernachten dann da. Also ganz normal eben ein Familienfest…“

Ich lächelte. Bryan hatte so eine liebevolle Frau wie Anna verdient. Es folgte eine kurze Minute der Ruhe, alle ließen Bryans Worte auf sich wirken.

„Hmm… Sag mal Kai, wer sind die Leute da?“

„Welche Leute?!“

Ich drehte mich um und sah, dass Kenny auf die Statuen unter dem Baum deutete. Yurij lachte: „Das sind Дед Мороз – was soviel wie Großväterchen Frost bedeutet. Und das Mädchen ist seine Enkelin.“

„Ja und Djet maross kommt auch nicht zu Weihnachten, sondern zu Silvester.“

Jetzt mischten sich auch Ivan und Sergej ein.

„An Silvester bekommen alle Geschenke, man verschickt auch Postkarten, das gehört zum guten Ton. Aber an Weihnachten werden nur die Kinder beschenkt.“

„Silvester ist ohnehin der bedeutendere Feiertag“, meinte Sergej, „denn wie das Neujahr beginnt, so ist das ganze Jahr! Das ist Traditionsmeinung in Russland und wir glauben fest dran. Deswegen versuchen wir dieses Fest so gut wie nur möglich zu feiern!“

„Oh ja, ich erinnere mich noch an letztes Jahr! Da hattest du doch diesen selbstgebrannten Wodka mitgebracht…“, begann Ivan aus dem Nähkästchen zu plaudern und alles lauschte gespannt.

Wir unterhielten uns lange so. Mein altes Team stellte so viele Fragen, ich konnte mich manchmal nur schwer zusammenreißen, nicht laut loszulachen. Mittlerweile hatte Bryan die Funktion eines Dokumentarfilmkommentators übernommen: „Und bitte beachten Sie: In Russland sind selbst gemachte Feuerwerke – so genannte bombotschki, kleine Bomben - sehr verbreitet. Deswegen seien Sie besonders in der Silvesternacht zwischen 23 und 1 Uhr sehr vorsichtig. Zu dieser Zeit kann das Spazierengehen auf den Strassen besonders gefährlich werden!“

Wir lachten.

„Hey, aber ehrlich, unterschätzt die bombotschkis nicht. Die sind wirklich gefährlich“, meinte Yurij abschließend und erhob sich.

„Kommt ihr mit? Ich denke, das Essen ist jetzt fertig.“

Wir setzten uns an den großen gedeckten Tisch im Esszimmer.

„Wer von euch beiden hat denn den Salat gemacht, der ist echt gut!“, fragte Ray und sah uns erwartungsvoll an. Da mein Schatz keine Anstalten machte, zu antworten, übernahm ich das: „Yurij.“

„Gib mir mal das Rezept, ich möchte den auch mal ausprobieren!“, meinte Ray lächelnd.

„Es ist ein ganz normaler Kartoffelsalat“, wehrte Yurij bescheiden ab. Aber es schmeichelte ihm schon, das konnte ich sehen.

Plötzlich klingelte es an der Tür.

Alle sahen auf.

„Erwartet ihr noch jemanden?“

„Nein, eigentlich nicht. Lass nur, ich geh schon“, meinte ich, als Yurij sich zeitgleich mit mir erhob. Ich legte ihm die Hände auf die Schultern und gab ihm einen Kuss auf seinen Scheitel. Unsere Freunde machten große Augen.

„Ruf mich, wenn du in Gefahr gerätst!“, witzelte Yurij und sah mir nach.

Aber ich winkte nur stumm und ging ratlos zur Haustür, fragte mich, wer uns besuchen wollte. Nichts ahnend öffnete ich also die Tür.

„Guten Abend… Ich weiß, es ist Heilig Abend, aber hätten Sie wohl ein bisschen Kleingeld übrig?“

Überrascht drückte ich auf den Schalter für unser Außenlicht. Vor mir stand ein Mann mittleren Alters, braunes Haar und an den Schläfen schon leicht ergraut. Sein auf den ersten Blick sehr ordentlicher Anzug hatte auch schon einmal bessere Zeiten gesehen. Er war zerknittert, an einigen Stellen abgerieben und ausgefranst.

„Nun… Wir geben prinzipiell kein Geld, aber wenn Sie möchten, können Sie gerne reinkommen und mit uns essen…“

Er zögerte mit einer Antwort und ich dachte, ich hätte ihn enttäuscht und wollte schon etwas sagen. Da druckste er herum und hinter ihm tauchte eine Frau auf, mit zwei Kindern ihm Arm.

„Oh…“, entfuhr es mir. Jetzt stand ich da wie der Ochs vor dem Berg und konnte vor Überraschung nichts erwidern.

„Ist was passiert? Du bist ja so lange…“

Yurij trat an mich heran und sein angefangener Satz verlor sich in der Verwirrung.

„Wir möchten nicht stören, ich kann Sie ja verstehen. Dann… gehen wir wohl besser.“

„Oni prosili deneg“, erklärte ich Yurij schnell.

„Prawda?“

Mein Freund schenkte den Besuchern einen raschen, musternden Blick, dann lächelte er breit und freundlich.

„Warten Sie, es ist doch ein schreckliches Wetter hier. Kommen Sie.“

Er trat nach draußen, ging direkt auf die Frau und die Kinder zu und schob sie Richtung Eingang. Ich trat zur Seite.

„Kommen Sie, feiern Sie ein bisschen mit uns. Wir teilen gerne.“

Lächelnd half er ihnen aus den Jacken.

Beeindruckt von dieser Tatkräftigkeit eiferte ich ihm nach und reichte dem Mann die Hand.

„Das wird das Beste sein. Treten Sie ein. Ich bin Kai Hiwatari und das ist mein Freund Yurij Ivanov.“

Er ergriff sie dankbar lächelnd und folgte meinem Beispiel, sich vorzustellen.

„Shinji Yattawara. Meine Frau Saya und die Kinder. Yun und Kintaro.“

„Hoch erfreut. Dann werden wir einfach etwas zusammenrücken“, erklärte Yurij frohgemut und ging vor ins Wohnzimmer.
 

„Hallo! Rückt mal etwas zusammen, wir haben noch Gäste bekommen!“, rief Yurij gut gelaunt. Ich fragte mich gerade, ob er wohl schon sehr dem Wein zugesprochen hatte. Aber vielleicht lag das auch einfach nur an diesem Feiertag. Jedenfalls standen unsere Freunde auf, zwar verdutzt, aber sie machten Platz. Yurij und ich holten noch vier zusätzliche Stühle heran.

„Das ist uns… äußerst unangenehm“, murmelte Shinji mir zu. Die kleine Familie stand etwas unschlüssig im Raum herum.

„Setzen Sie sich erst mal, essen Sie mit uns. Es ist genügend da. Bedienen Sie sich“, bot ich ihnen an.

„Beim Essen können wir uns dann auch bekannt machen!“, schlug Yurij vor und ich nickte zustimmend.

Nachdem sich die kleine Familie gesetzt hatte, lud ich ihnen von allem auf ihre Teller. Yurij stellte unsere Freunde der Reihe nach vor.

Schon, es war etwas befremdlich, aber auch aufregend.

Shinji erzählte uns seine Geschichte.

Sie hatten eine Wohnung gehabt, doch durch einen dummen Zufall hatte es vor einigen Wochen ein Feuer gegeben. Da er zuvor bei seiner Firma gekündigt worden war und die Hausratversicherung gekündigt hatte, weil sie das Geld brauchten, konnten sie den Schaden nicht ersetzen und saßen auf der Straße. Buchstäblich.

Und das schon seit zwei Wochen.

„Es ist wirklich nicht schön, auf andere angewiesen zu sein… Man möchte so vieles wieder gut machen, aber weiß nicht, wie…“, erklärte Shinji uns.

„Besonders für die Kinder ist es schlimm. Sie gehen noch zur Schule, sind oft bei Freunden, aber auf Dauer ist das auch keine Lösung“, ergänzte seine Frau Saya und sah in Richtung Sofa und Jolka, unter der die beiden Jungen zusammen mit Tyson und Max spielten. Ich folgte ihrem Blick und konnte nur zu gut verstehen, was sie meinte.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in meiner Brust aus, dasselbe, das ich immer in stillen Momenten habe, wenn ich den Nachrichten zuhöre, die von dem Unrecht auf der Welt berichten. Dann packt mich immer eine unbändige Wut und gleichzeitig so eine Ohnmacht; und wenn ich aus dem Fenster sehe, wenn es draußen stürmisch ist, kommt mir der Gedanke an die Menschen da draußen, die kein Heim haben und so über die Runden kommen müssen. Und dann frage ich mich immer, ob es recht ist, dass ich in meinem gemütlichen warmen Zimmer sitze, in dem ich Strom verbrauche, ohne viel dafür getan zu haben. Ich frage mich dann, ob ich mich genug anstrenge als Student, dass ich diesen ‚Wohlstand’ verdient habe, dass ich die Unterstützung Yurijs und meines Großvaters verdient habe. Denn ich solchen Momenten komme ich mir viel zu faul vor für das Ziel, das ich mir gesetzt habe und denke, dass ich viel mehr tun müsste, mehr lernen, irgendwas, das rechtfertigt, dass ich nicht ebenfalls bei Regen und Wind draußen zurecht kommen muss…

„Perestan, paschalusta“, flüsterte Yurij mir ins Ohr. Überrascht sah ich ihn an.

„Du grübelst schon wieder“, erklärte er mir, „diesen Blick kenn ich. Lass uns ihnen einfach helfen, indem wir mit ihnen ein schönes Fest feiern.“

„Hey… Du kennst mich ja wirklich!“

„Das sollte ich doch auch nach über 12 Jahren Freundschaft und 2 Jahren Beziehung, meinst du nicht?!“

Er grinste souverän und ich kniff ihm in die Nase.

Er war schon wirklich ein toller Kerl!
 


 

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"Wörterbuch"

Oni prosili deneg - Sie haben nach Geld gefragt.

Prawda? – So?

Perestan, paschalusta - Hör auf damit, bitte



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  MikaChan88
2009-09-30T18:48:20+00:00 30.09.2009 20:48
die ff is total super
hoffe du machst bald weiter ^-^

cu,
MikaChan
Von: abgemeldet
2009-08-08T23:36:42+00:00 09.08.2009 01:36
Hallo ^^
Die FF ist voll schön **
Nur leider passt die grad nicht im Sommer...irgendwie les ich alle FFs immer zur falschen Jahreszeit ^^

Auf alle Fälle:
Die FF ist wirklich niedlich ^^ Wie Kai immer abgeht, wenn Tala was sagt...hätte gar nicht gedacht, dass der so verklemmt ist XDD *das lustig fand*
Hoffentlich kommt bald der Rest von der FF, bin mal gespannt, wie das weitergeht ^^

Sagste mir Bescheid, wenn ein neues Kapitel da ist? Würd mich freuen ^^ (und bitte nicht erst zu Weihnachten XDD)


Liebe Grüße ^^
Drami
Von:  Sofo
2009-08-08T00:12:21+00:00 08.08.2009 02:12
Uff, ja, ein toller Kerl ist er wirklich. Es ist zwar etwas befremdlich, im August ne Weihnachtsstory zu lesen, aber... die Geschichte ist einfach zu süß, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll *~* Ich bin platt xD wie so oft xD
Von: abgemeldet
2009-06-21T15:33:28+00:00 21.06.2009 17:33
Puh...ich bin etwas spät dran, sorry.
Tja, es hat was, Weihnachtsgeschichten mitten im Sommer zu lesen. Obwohl...Sommer kann man das da draußen ja eh nicht nennen.
Na, wie dem auch sei: Ich finds richtig niedlich dass Yuriy die Familie mit rein nimmt. Und dein Schreibstil gefällt mir auch immer noch.
Also: Weiter so und liebe Grüße!
Von:  Jeschi
2009-06-04T15:40:42+00:00 04.06.2009 17:40
Heeey!
Grad reingelesen hab.
Ich finds toll und sehr interessant, das Weihnachtsfest der Guten mitzuverfolgen. Und so an sich find ich es ach gut geschrieben, so vom Stil her. Yurij ist irgendwie süß - kann aber auch dran liegen, dass ich ihn eh zum knuddeln find... egal.
Jedenfalls find ichs gut, auch von der Idee her, über ein russisches Weihnachtsfest zu schreiben.
Und die Sache mit Shinji und seiner Family fand ich süß. Schön, dass du so was mit reingebracht hast. Das macht doch mal deutlich, dass Weihnachten nicht nur ein Geschenkeverteilen udn so weiter ist, sondern ein Fest der Liebe.
^.^ Ich denke, ich werde hier jetzt öfter mal reingucken, wenn denn mal ein neues Chap auftaucht.

lg
Von:  Minerva_Noctua
2009-05-10T10:33:40+00:00 10.05.2009 12:33
Hello!

I like this chapter very much.
It is awfully nice of the two guys taking the family with them to celebrate^^.
Great idea and I'm excited what is about to happen next!

Bye

Minerva


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