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Dell'Arte della guerra

(Von der Kunst des Krieges) [Rufus/Reno/Tseng]
von

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Sanguina

Sanguina
 

Tseng hasste Krankenhäuser. Mochten sie noch so ein notwendiges Übel sein, mochten die Turks noch so oft die ewig gleich aussehenden Zimmer von innen sehen.

Vielleicht war es das. Er hatte zu viel Zeit in solchen Zimmern verbracht. Entweder selbst im Bett liegend, oder davor stehend, sitzend, wartend.

"Das Blutscreening?" Der Direktor des Departments stand vor der jungen Ärztin, musterte sie kühl, prüfend.

Der Blick, mit dem er alles bedachte, was in seine Kreise drang. Von dem er sich nicht sicher war, ob es überhaupt eine Existenzberechtigung besaß.

In Tsengs Wahrnehmung gab es nicht viel, das sich dieses Recht tatsächlich verdient hatte.

Das meiste ignorierte er. Ertrug mit stoischer, eiskalter Ruhe die gackernden Empfangsdamen im ShinRa-Gebäude. Ließ sich nicht von den Menschen aus dem Konzept bringen, die ihn immer noch, nach all den Jahren für einen Kriegsflüchtling hielten, der ihrer Sprache nicht mächtig war.

Nur diese junge, übereifrige Ärztin wurde immer mehr zu einem Störfaktor. Er immer ungeduldiger je mehr 'Öhm', 'Äh' und 'Uh' sie in ihren Vortrag einbaute.

"Krankenakte!" Sie hatte es geschafft. Tseng war der Geduldsfaden gerissen.
 

Elena, die neben ihm stand, zuckte zusammen, als sie seine scharf formulierte Forderung hörte. Die kalte Gelassenheit, die er ausstrahlte, war nur Fassade. Kaschierte die Wut, die tief in ihm brodelte.

Die Enttäuschung, wahrscheinlich auch die Angst.

Sie ließ eine Haarsträhne vor ihr Gesicht fallen, tarnte so den Seitenblick auf ihren Partner.

Früher hatte sie ihn so minutenlang mustern können; seine spärliche Gestik studiert. Die Momente genossen, in dem er sich einmal nicht konzentrierte. Dann, wenn sein Blick etwas regelrecht verträumtes hatte, sichtbar wurde, wie hübsch er eigentlich war. Zierlich, androgyn.

Davon war nichts mehr übrig.

Das letzte Jahr hatte seinen Tribut gezollt. Tiefe Augenringe, blasse Haut. Und selbst der Anzug konnte nicht mehr überdecken, wie mager er geworden war.
 

Keiner von ihnen hatte es bemerkt. Sie hatten sich auf Rufus fokussiert. Auf ihren Präsidenten. Hatten seine Aufmerksamkeit genossen.

Rude und Elena, welche alle Bodyguard-Jobs übernahmen. Sich um Rufus Wohl kümmerten.

Repräsentative Aufgaben, keine Drecksarbeit mehr.

Die machten Tseng und Reno.

Die Jobs in denen Blut floss, in denen man jeden Tag aufs neue sein Leben in die Schusslinie warf.
 

Und dabei verdrängten zwei Turks, dass Rufus Tseng dessen Lebensinhalt entzog. Wäre es nicht Rufus gewesen, der Direktor des Departments hätte um seine Position gekämpft.

Nicht weil er die repräsentativen Aufgaben gerne erfüllte. Nicht weil er ins Scheinwerferlicht wollte.

Auf der Straße hatte Tseng sich immer wohler gefühlt.

Aber Veld hatte ihn darauf gedrillt, dass es seine Aufgabe war, 24 Stunden am Stück, Sieben Tage die Woche für Shinra zu leben.

So agierte er nur aus dem Hintergrund. Korrigierte schweigend Schichtpläne, arrangierte schweigend Meetings.

Elena hielt immer zuerst mit ihm Rücksprache, versicherte sich immer zuerst bei ihm, dass sie die Sachen richtig machte.

Er hielt ihr den Rücken frei. Genauso wie er es für Rude und für Reno tat.

Verschwand er wieder einmal tagelang, merkten sie alle, dass etwas fehlte.
 

Genauso wie sie in dieser Nacht auf ihn gewartet hatten. Damit er ihnen sagen konnte, wie sie mit der Situation umzugehen hatten.

Was die nächsten Schritte wären.

Das er es nicht wusste, genauso verloren wie sie war, erschien Elena nicht fair. Auf trotzige, egoistische Weise ungerecht.
 

Die Ärztin, inzwischen verschüchtert, reichte Tseng die verlangte Akte. Räusperte sich, als er eine Zigarette zwischen die Lippen schob, diese mit einem billigen Plastikfeuerzeug anzündete.

"Sir, das Rauchen ..."

Er sagte kein Wort, hob nur kurz den Blick von den Daten, die er gerade studierte. Brachte so die Ärztin zum schweigen.

Drogen, jede für sich in einer Überdosis eingenommen. Er überflog die Testergebnisse, überflog die nüchternen Worte, die Rufus Zustand zusammen fassten.

Der Präsident würde überleben. Ein weiteres Mal. Sein Körper hatte Resistenz gegen die Gifte aufgebaut, die er genommen hatte.

Nikotin wurde tief in die Lunge inhaliert.

Gifte, die viel zu lange wieder genommen wurden, auch das ablesbar aus ein paar Zahlen, ein paar Analysen.

Tseng hatte es gewusst. Hatte versucht mit Rufus darüber zu reden. Wieder einmal.

Und war aus dessen Büro heraus geworfen worden. Entfernt von Rude, Elena und Reno.

Er hatte ihnen die Szene erspart, den Wutanfall hinter der Maske versteckt, die er selbst ihnen gegenüber nicht mehr ablegen konnte.
 

Am selben Abend war er mit zwei Flaschen Wodka und Speed in der Tasche in das Ruinenfeld gefahren, das einmal Midgar gewesen war.

Hatte sich auf den Überresten einer anderen Zeit betrunken, das Hirn mit den Drogen zu geknallt, die er eigentlich nicht mehr nehmen wollte.

Damit die Wut, die Enttäuschung und die Frage wie er so weit hatte kommen lassen, in angenehmen Nebel versenkt.
 

Der nächste Morgen war ein Werktag wie jeder andere auch. Nur Reno fragte ihn, wo er die Nacht über geblieben war.

Er hatte Reno nie eine Antwort auf diese Frage gegeben.
 

"Welches Zimmer?" Tsengs Stimme schnitt durch die betretene Stille, die sich auf dem Flur ausgebreitet hatte. Die nur von dem Gurgeln des Wasserspenders unterbrochen wurde.

"Zimmer 102." antwortete die Ärztin, streckte ihre Hand aus um den Turk aufzuhalten, der mit langen Schritten den Flur herab lief.

Elena schüttelte den Kopf.

"Lassen sie ihn."

Sie hatte sich bei Rude eingehakt, fühlte Renos Arm, der lässig über ihre Schultern lag. Sie gaben sich tatsächlich gegenseitig Halt.
 

Im Zimmer war es dunkel. Um so greller leuchteten die Anzeigen auf den Bildschirmen. Grün, blau und rot blinkende Zahlen, Graphen.

Dazu das stetige Brummen der Maschinen.

Schläuche an welchen Rufus hing.

Tseng trat neben das Bett. Sah auf die bleiche Gestalt, die zwischen den Laken fast verloren wirkte. Harmlos. Kindlich.

Dabei war Rufus Shinra nur drei Jahre jünger als er selbst.

"Du hast es wieder einmal geschafft." flüsterte Tseng und seine Stimme wurde von den Maschinenlärm verschluckt.

Es war egal. Rufus hörte ihn eh nicht.

Tsengs Hand glitt unter das perfekt sitzende Jackett, zog einen Brief aus der Innentasche. "Dein Fehler, Arschloch. Du hättest noch Koma einsetzen sollen." zischte er und warf den Schrieb auf das Bett.

Die Blätter waren eng in Rufus krakeliger Kinderhandschrift beschrieben, die selbst dann schwer zu entziffern war, nahm er nüchtern den Stift zur Hand.

Der Anwalt der Firma hatte sie ihm vorhin ausgehändigt, mit der Frage wie man nun vorgehen sollte. Was Tsengs Anordnungen wären.

Der Mann hatte nicht den Turk gefragt.

Tseng drückte die Zigarette auf seinem Handgelenk aus; schnippte den Stummel in den Mülleimer, der unter dem Waschbecken stand.

"Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich mich nicht von dir ficken lasse." fauchte er in die Stille. Und hasste sich für das Zittern in seiner Stimme. Ein Zittern, das selbst Rufus nicht aufgefallen wäre, sollte er ihn hören.

Doch es war da. Tseng wusste es.

Was er nicht wusste war, wie er das definieren sollte, was er gerade fühlte. Trauer? Hass? Wut? Enttäuschung?

Eine Melange aus allem.

Emotionen, die er sich eigentlich verbot, zu haben. Sie störten seine Konzentration, ließen ihn nicht objektiv arbeiten.

Rufus musste wieder auf die Beine kommen. Das war das oberste Ziel. Musste Leben.

"Und wenn es nur dafür ist, dass ich dir meine beschissene Kündigung auf den Tisch knallen kann."

Tseng trat zu dem großen Panoramafenster, stützte die Hände auf der Fensterbank ab und sah hinaus. In der Scheibe spiegelte sich ein Gesicht, dass er seit langem nicht mehr als Seines betrachtete.

Minuten stand er regungslos, versuchte Erklärungen für die Emotionen zu finden, für die Ereignisse. Fragte sich wieder und wieder, wie es so weit hatte kommen können.

Er war müde. Der Wille zu kämpfen irgendwann in den letzten Monaten erloschen.

Nachher würde er seine Kündigung aufsetzen.

Warten bis Rufus aufwachte und dann die Konsequenzen tragen. Der alten Regel folgen, die für jeden Turk galt: Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte nur mit den Füßen voran.

Etwas, dass er schon vor Wochen hätte tun sollen.

Bis jetzt hinderten ihn nur Rude, Elena und Reno daran.

Aber sie würden ohne ihn zurecht kommen.
 

Sein Blick glitt wieder zu der gerade so zerbrechlich wirkenden Gestalt auf dem Bett.

Das leise Surren seines PHS riss ihn aus seinen Überlegungen.

Er sah auf die Nummer, nahm das Gespräch an.

In diesem Moment legte sich in seinem Kopf ein Schalter um. Die Gedanken, die er gerade noch gehabt hatte, die ganzen seltsamen Gefühle wurden zurück geschoben, waren plötzlich irrelevant.

Was in diesem Augenblick nur zählte, war der Anruf. Die Informationen, die ihm sein Gesprächspartner zukommen ließ.

Tsengs Schultern strafften sich, die gewohnte Spannung kehrte in seinen Körper zurück.

Rufus würde mit Sicherheit nicht weg rennen. Die Zeit war nicht stehen geblieben. Der ganz alltägliche Wahnsinn lief weiter.

Und sie mussten ihren Job machen.
 

"Elena!" Tseng zog die Tür hinter sich leise zu. "Mitkommen. Wir haben Arbeit. Rude, Reno. Sofort Bericht sollte sich irgendetwas am Status ändern."

Die drei Turks schreckten auf. Sie kannten den Tonfall, reagierten sofort. Es war ihr Chef, der gerade sprach. Der Leiter des Departments.

Reno nickte, murmelte: "Geht klar, Boss."

Elena stand schon neben ihm. "Was ist denn los?"

"Erkläre ich dir im Auto. Bist du bewaffnet?"

Sie legte die Hand auf ihre Hüfte, auf das Pistolenhalfter und hob in gespielter Entrüstung ihre Augenbrauen. "Was denkst du denn?"

"Gut." Tseng war bereits los gelaufen, hielt auf die Tür des Treppenhauses zu. Elena musste sich beeilen um mit ihm Schritt halten zu können.

Mit ihrem Partner. Den sie vermisst hatte im letzten Jahr.

Es musste an dieser seltsamen Nacht liegen, dass eine Erkenntnis nach der anderen hoch gespült wurde.

"Hey, warte!" rief sie durch das Treppenhaus.
 

"Beeil dich." hörten Rude und Reno noch Tsengs Stimme, ehe die schwere Tür ins Schloss fiel. Die beiden sahen sich an; Rude zog seine Sonnenbrille von der Nase um quietschend die Gläser zu polieren.

"Hm, beziehen wir Posten, Alter." Reno schlenderte auf das Krankenzimmer zu, die Hände in den Hosentaschen vergraben.

Hinter ihm protestierte die Ärztin schwach: "Sie können doch nicht ..."

"Und ob wir können, Süße. Wir sin' Turks." Reno hielt den Mittelfinger der linken Hand in die Luft, Rude zuckte mit den Schultern. "Er hat recht."

Mit einer simplen Handbewegung schloss er die Tür und sperrte die Ärztin aus.

Sein Partner sah sich um, schnaubte leise. "Weißte, Laney hat recht. Rufus den Strom abstellen, wär' kontradingens. Auch wenn ich echt g'rad das Bedürfnis hab'."

Rude schwieg. Wie üblich. Ließ Reno reden.

"Was bildet der Wichser sich eigentlich ein? Ich mein' wär' er nich' so'n Mädchen, hätte er sich seine Knarre an den Kopf gesetzt. Durchgezogen un' gut wär's. Was auch abgefuckt sein würde. Versteh' mich nich' falsch, Alter."

Rude nickte. Trat neben das Bett und hob die Zettel hoch, die auf dem Laken verteilt waren.

Renos Fluchen wurde zu dem selben Hintergrundgeräusch wie auch das Summen der Maschinen, während seine Augen über die Papiere streiften.

Er Rufus Handschrift einmal entzifferte. Die Worte ein zweites Mal las. Dann ein drittes Mal, nur um wirklich sicher zu gehen, dass er sie richtig verstanden hatte.

Schließlich die Zettel senkte. "FUCK!"

"Hä? Danke, dass du mir zustimmst, Alter."

"Reno."

"Ich mein', er memmt hier rum und hält das vermutlich für'n absolut grandiosen Plan, und..."

"Alter! HALT DIE FRESSE! Lies das!" Rude drückte Reno das Testament in die Hände. Und für ein paar Minuten herrschte angenehme Stille.

Die auch weiter über dem Raum lag, nachdem Reno die Blätter zusammen gefaltet hatte. Mit zitternden Fingern.

Sie waren alle in Rufus letztem Willen bedacht worden. Selbst er. Für ihre Zukunft war so gut gesorgt, das jeder normal denkende Mensch jetzt die Geräte ausstellen würde.

ShinRas Zukunft war gesichert, die WRO hätte durch ein paar geniale Schachzüge vielleicht noch ein Haltbarkeitsdatum von zwei, drei Jahren.

Es war brillant.

Bis auf ein winziges, kleines Detail. Ein Detail, welches Reno erbleichen ließ.

"Du Arschloch!" brüllte er dem wehrlosen Mann auf dem Bett entgegen. Stürzte sich auf ihn, und wurde nur von Rude zurück gehalten, der seine Arme fest um die schmaleren Schultern seines Partners schloss.

"Hast du 'ne Ahnung, was du ihm damit antust? Nur den abgefuckten Hauch von'ner verdammten Idee?" Reno war es in diesem Augenblick vollkommen egal, dass Rufus ihn nicht hören konnte. Er tobte, schrie, wehrte sich chancenlos gegen Rudes stahlharten Griff.

Wollte Rufus den Hals umdrehen.

"Reno, wenn du ihn umbringst, tritt genau das ein, was im Testament steht. Tseng wird Präsident." konterte Rude schließlich die Verwünschungen seines besten Freundes.

"Ich belebe ihn wieder." murmelte Reno matt, erschlaffte in Rudes Armen.

"Ersparen wir uns den Stress. Halten wir ihn einfach am Leben." Rude nahm das Testament an sich, steckte es ein.

Wissend, dass nur einer es hier liegen gelassen haben konnte.

Tseng.
 

Und Rude wollte gar nicht wissen, was in dessen Kopf gerade vor sich ging. Vielleicht hätte er sich ein Schmunzeln abringen können, ahnte er, dass es in diesem Augenblick überhaupt nichts mit dem Testament zu tun hatte.
 

"Bei Leviathan! Da schneit es einmal in dieser beschissen Stadt, und prompt dreht alles durch!" Tsengs Hand schlug auf die Hupe, doch der Lärm änderte auch nichts daran, dass Elena und er in einem Stau auf dem Freeway fest steckten, der durch einen Unfall verursacht worden war.

"Hast du noch Kippen?" Wie so oft, wenn sie in Tsengs Auto saß, hatte Elena die Beine angezogen, presste die Knie gegen die Armaturen.

"Im Handschubfach. Seit wann rauchst du wieder? Kann dieser Hurensohn da vorne mal auf sein Gaspedal treten?"

Die Frau neben ihm versuchte nicht zu breit zu grinsen. Sie war diese Ausbrüche gewohnt, hatte sie schon viel zu oft mitgemacht.

Der ruhige, kontrollierte Direktor des Departments. Der beim Auto fahren regelmäßig die Beherrschung verlor.

Kompensation? Ja.

Begrenzt auf einen engen Raum, fast ohne Zeugen. Das sie ihn so erlebte war in Tsengs verdrehter Weltsicht ein Beweis des Vertrauens.

Sie suchte nach den Zigaretten, schob Strafzettel und Munitionsclips zur Seite. Kicherte dann plötzlich los. "Tseng?"

"Was?" fauchte er gereizt.

"Was ist das?" Noch immer kichernd hielt sie eine Schachtel hoch. Keine Zigaretten. Offensichtlich.

Und nur jemand wie Tseng konnte so vollkommen nebensächlich antworten: "Kondome. Du kannst doch lesen."

"In deinem Auto? Deinem Heiligtum?" Es fiel ihr immer schwerer nicht in lautes Gelächter auszubrechen.

"Zigaretten, Elena. Und nein, sie haben nie in meinem Auto Verwendung gefunden. Werden sie auch nie. Egal was für Fantasien irgendjemand haben könnte."

"Irgendjemand? Mit roten Haaren?" Sie warf die Packung wieder zurück, fand die Zigaretten und zündete zwei an.

Das Tseng nur schnaubte, war eine absehbare Reaktion gewesen. Seine sehnigen Hand streckte sich aus, wollte ihr eine der Zigaretten abnehmen.

Und Elenas Augen blieben auf dem Handgelenk hängen. Auf dem rot getränkten Stoff des Hemdsärmel.

"Tseng!" Dieses Mal war es an ihr zu fauchen. Sie hatte es geahnt. Hatte es nicht sehen wollen. Ihre Finger legten sich um seinen Arm. Vorsichtig löste sie den Manschettenknopf. Schob das Leinen zurück.

Blutig zerkratzte Haut kam unter dem Stoff zum Vorschein. Tiefe Spuren, die kurz geschnittene Fingernägel hinterlassen hatten.

Er drehte den Kopf, sah ihr direkt in die Augen. "Elena. Ignoriere es." Es kam einem Befehl sehr nahe.

"Arschloch." Hätte sie Reno jetzt eine Kopfnuss verpasst, Rude eine Szene gemacht, blieb ihr bei Tseng nichts anderes übrig, als zu seufzen. Jeden Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, herunter zu schlucken.

Er würde sie abwürgen. Würde sie kühl und herab lassend ansehen; ihr erklären, dass es nicht ihr Problem wäre.

Und sie würde kuschen.

So wie sie es immer tat, sah Tseng sie mit diesem Blick an.

Dann fühlte sie sich wieder wie der Rookie. Wie das junge Mädchen, dass sich unbedingt beweisen wollte. Vor ihm beweisen.

Elenas Antrieb seit jenem Moment, als sie zum ersten Mal Tsengs Büro betreten hatte. Zum ersten Mal mit diesem abschätzenden Blick gemustert worden war, den er so zur Perfektion gebracht hatte.

Sie wollte es ihm recht machen. Wollte, das er ihre Leistungen an erkannte.

Es hatte Jahre gedauert, bis sie begriff, dass niemand Tsengs Anforderungen gerecht wurde. Am wenigsten er selbst.
 

Und so zog sie nur den Stoff wieder herab, schloss den Manschettenknopf. "Hör auf damit. Du tust nicht nur dir weh."

Ihre Stimme war kaum mehr als ein Piepsen.

Das Tseng ignorierte. Sich statt dessen über den Idioten im Auto vor ihnen aufregte.
 

Langsam, behäbig schob sich die Schlange aus Metall vorwärts.
 

Elena rauchte eine Zigarette. Dann die zweite. Und dritte.

Schweigend. Den Blick auf die Autos vor ihr fixiert. Auf den fallenden Schnee.

Der Mann neben ihr war auch in brütendes Schweigen verfallen. Eine Hand auf dem Lenkrad, die andere glitt immer wieder in die Haare. Zog immer wieder den Zopf zurecht.

Bis Elena es nicht mehr aushielt. Ihre Zigarette im Aschenbecher ausdrückte, sich zu Tseng drehte und das Haargummi aus den schwarzen Strähnen zog.

Ihre Finger zupften, glitten durch seine Haare, banden sie ihm straff zurück. "Tseng, du hast keinen Fehler gemacht. Hör auf, ständig und immer bei dir nach den Ursachen zu suchen."

Er zuckte zusammen.

Und Elena verfluchte sich, Tseng und das Universum. Gerade war die zweite Runde der seltsamen Gespräche, welche in Autos geführt wurden, eingeleitet worden.

"Es war nicht deine Schuld. Es war eine verdammte Weihnachtsfeier. Du hast zu viel getrunken. Genau wie dein Freund."

Die Einleitung war nicht die glücklichste, die sie wählen konnte. Doch platzte es einfach aus ihr heraus.

Wie oft schon hatte sie sich ausgemalt, dass sie dieses Thema ansprechen wollte? Wie viele Variationen waren in ihren Gedanken durch gespielt worden?

Keine davon hatte den panischen Blick einkalkuliert, den Tseng ihr gerade zu warf.

"Freund. Liebhaber. Lebensabschnittsgefährte. RENO!" Sie hatte sich auf dem Sitz so gedreht, dass sie Tseng direkt ansehen konnte. "Der Kerl, der sich für dich den Arm abhacken würde, ohne mit der Wimper zu zucken. Der dich", sie zögerte, schluckte hart. Was sie sagen wollte, passte eigentlich so überhaupt nicht in das Universum eines Turks. "sehr gerne mag." nuschelte sie dann doch leise. Griff hektisch nach der nächsten Zigarette. Und hatte gerade rechtzeitig verhindert, ein Wort auszusprechen, dass sie mit Reno nicht in Verbindung bringen konnte.

"Elena." Tseng kräuselte nur die Nasenspitze. Musterte sie mit der selben Faszination im Blick, mit welcher er auch einen seit drei Tagen vor sich hin vergammelnden Leichnam examinieren würde.

"Tseng." äffte sie seinen Tonfall nach. "Akzeptiere einfach, das wir nicht so perfekt, nicht so abgestumpft wie du sind. Das wir noch so etwas vollkommen banales wie Gefühle besitzen."

Sie wusste zu viel. Viel zu viel. Und hätte in diesem Augenblick gerne Veld aus seinem Grab gezerrt. Nur um ihn durch einen Kopfschuss wieder in genau dieses zu befördern.

Was hatte der verdammte Scheißkerl sich dabei gedacht, als er sich diesen Jungen ausgesucht hatte?

Warum hatte er ihn so zerstört?

Die Turk in Elena kannte die Antwort.

Die Turk schätzte die Ratio ihres Vorgesetzten, bewunderte seine Effizienz.

Aber wieder einmal standen Turk und Frau im direkten Konflikt. Und die Frau zwang sich gerade, nicht ihren Arm um die schmalen Schultern zu schieben, nicht sachte durch schwarze Haare zu streichen.

Mitleid.

Das letzte was Tseng brauchte.

Das letzte, was er verdient hatte.

Mochte er sie gerade auch noch so verschreckt ansehen. Mochten seine weit aufgerissenen grauen Augen sie auch noch so sehr an ein panisches Reh erinnern.

Tseng war der letzte Mensch auf Gaia, der Mitleid verdient hätte.

Dafür war er zu rational. Dafür tötete er zu kaltblütig. Dafür war er zu sehr ein Turk.

Velds Version eines perfekten Turks. Sein Prototyp.

Das Experiment des Alten war gelungen. Bis in die letzte Haarspitze.
 

Er blies Rauchringe aus. Perfekte Formen.

Mögen ...

Nur ein Wort. Dessen Bedeutung er aus dem Wörterbuch kannte. Es so in einen Kontext brachte.
 

Ich mag.

Du magst.

Er/sie/es mag.
 

Elenas lautes, theatralisches Stöhnen unterbrach die Deklination. "Vergiss, was ich gesagt habe. Ignoriere es einfach nur! Nie passiert."

Sie stöhnte noch lauter, als er nickte. Ihr antwortete: "Besser ist das."

Und dann endlich dazu kam, zu erklären, weshalb sie gerade hier im Stau standen. Was sie erwarten würde.

Es war der Hauch von Erleichterung, der ihn streifte, als Elena nickte. Ihm zuhörte, sich auf den Job konzentrierte.

Einer dieser ganz alltäglichen Aufträge. Ein kleiner Gangster versuchte, ShinRa um ein paar tausend Gil zu erleichtern. Der Mann glaubte tatsächlich, der Konzern ließe sich mit einigen unscharfen Fotos erpressen.

Zu lange, viel zu lange schon, räumten die Turks den Müll auf, den Rufus zurück ließ. Und so brachte Elena auch dieses Mal nur ein müdes Grinsen zustande.

"Standardvorgehen?" fragte sie, nachdem Tseng ihr die Situation erläutert hatte.

Er lächelte. Sie kontrollierte ihre Pistole.
 

Ihr Ziel hielt sich für intelligenter als andere, die das selbe versuchten und scheiterten.

Als Treffpunkt hatte der Erpresser eine hell erleuchtete Bar in der Stadtmitte ausgewählt. Durch die großen Fenster sah man direkt auf das Denkmal in der Mitte des Kreisverkehrs.

Dessen Restauration vor zwei Jahren abgeschlossen worden war. Nichts erinnerte mehr daran, dass an diesem Ort Bahamut Sin gewütet hatte.

Tseng parkte sein Auto, griff in das Handschubfach und holte ein Bündel Gil heraus. Notfall-Reserve für genau solche Jobs. Das Jahresgehalt einer Thekenaushilfe.

"Haben wir noch Zeit für einen Kaffee?" Elenas Blick streifte suchend über den Platz, dann über die Dächer der Gebäude. Gewohnheit, Paranoia.

"Sicher." Tseng war ausgestiegen, hatte ihr die Autotür aufgehalten.

Vertraute Gesten, lang vermisste Dialoge. Die Frage nach dem Kaffee stellte sie jedes Mal. Immer antwortete er ihr mit: "Sicher." und würde sie auf genau diesen Kaffee nach Abschluss der Mission einladen.

Tatsächlich, man konnte sie für ein Paar halten, dass nach Büroschluss den Abend in der Bar ausklingen lassen wollte.

Und nur wenige Köpfe hoben sich, als sie den warmen Raum betraten. Genauso schnell senkten sich die Blicke aber auch wieder. Noch gab es Menschen in Edge die sich daran erinnerten, wer diese Anzug-Träger waren. Wussten, dass man ihre Aufmerksamkeit nicht zu lange auf sich ziehen sollte.

Das Klimpern von Gläsern, leise Unterhaltungen, dezente Jazz-Musik im Hintergrund - diese Bar war ein Ort an dem man sich wohl fühlen konnte.

Tseng sah sich um, dirigierte Elena zu einem freien Tisch nahe am Fenster.

"Wir stehen im Stau und der Scheißkerl ist zu spät." murmelte er leise, ein Hauch von Unglauben in der Stimme.

Welcher Elena lächeln ließ. Sie traute es Tseng zu, ihrem Ziel eine Lektion über Pünktlichkeit zu erteilen. Bevor er es beseitigte.

Eine junge Kellnerin, ein hübsches Mädchen mit Sommersprossen und großen verträumten Augen, kam an ihren Tisch, fragte was sie haben wollten.

"Zwei Kaffee. Schwarz." bestellte Tseng knapp. Er musste Elenas Entscheidung nicht abwarten, es war die übliche Wahl der Getränke.

Als die dampfenden Tassen vor ihnen standen, die Schachtel Zigaretten zwischen ihnen lagen, deutete er auf den Ring an ihrem Finger.

"Er hat dich gefragt?" Natürlich war es Tseng aufgefallen. Details entgingen ihm selten.

Elena lachte leise. "Gefragt ist eine unglückliche Formulierung. Es ist Rude. Aber ja, er hat beschlossen, dass wir jetzt heiraten können. Nach ... lass mich rechnen..."

"Sechs Jahren." Tseng sog an seiner Zigarette. Und die Hand, welche sie hielt, verdeckte das feine Grinsen um seine Lippen. "Glückwunsch."

Unter dem Tisch trat Elena ihm gegen das Bein. "Ich würde dich ja fragen, ob du mein Trauzeuge sein willst. Aber da Rude schon Reno einplant, und wir noch eine Frau brauchen, fällst du wohl aus.

Außer du lässt die Haare offen und schlüpfst in ein Kleid." Der prüfende Blick verriet, dass sie genau diese Option gerade ernsthaft in Betracht zog.

"Für die Warnung 'Denk nicht einmal daran' ist es wohl zu spät."

Es tat gut, ihn so lächeln zu sehen. Es tat gut, kurz vergessen zu können, was in dieser Nacht passiert war.

Einfach nur den Kaffee gemeinsam trinken. So tun, als ob es ein ganz gewöhnlicher Abend wäre.

Etwas das sie viel zu lange nicht mehr gemeinsam getan hatten.

"Du im Kleid? Meine Fantasien gehen schon wieder mit mir durch."

"Erst das Auto, jetzt offenbarst du auch noch einen Fetish für Cross-Dressing? Elena, du machst mir Angst." Das Lächeln war selbst in seiner Stimme zu hören.

"Tseng, wegen dir gehen nicht nur meine Fantasien in ganz dreckige Abgründe. Ich will nicht wissen, wie viele Männer und Frauen das 'Mitarbeiter des Jahrhundert'-Bild als Wichsvorlage benutzen." Sie biss sich auf die Zunge, wollte die Zeit fünf Sekunden zurück drehen, doch es war herausgerutscht. Gesagt worden.

Und sofort verloren seine Augen wieder das warme Funkeln. Wurden kalt.

"Ach komm schon. Sehe es endlich ein." versuchte sie die Situation zu retten. "Du gehörst mit zum heißesten was ShinRa zu bieten hat. Das weiß auch Reno."

"Warum" Tseng griff nach der nächsten Zigarette, "bringst du das Gespräch immer wieder auf Reno?"

Elena zuckte zusammen, fühlte sich in diesem Augenblick so, als ob ihr eine Ohrfeige verpasst worden wäre.

Tseng war Turk. Ausgebildet in allen Methoden des Verhörs, der Gesprächstaktik. Genau wie sie. Und er erkannte den Versuch, ein Thema einzuleiten.

"Weil ich mich vorhin mit ihm unterhalten habe. Er macht sich Sorgen, Tseng. Um dich." Sie sah auf die Zigarettenschachtel. Seufzte und zog sich auch eine heraus. "Um die ganze Situation. Die ziemlich bescheiden ist."

"Die wir nicht hier diskutieren müssen." unterband Tseng jede weitere Unterhaltung.

Noch wusste die Öffentlichkeit nicht dass Rufus im Krankenhaus lag. Und es sollte auch so lange wie möglich dabei bleiben.

Elena nippte an ihrem Kaffee, verfluchte sich selbst. Die unbefangene Stimmung war wieder gekippt. Sie brüteten beide.

Bis Tseng mit einem Nicken zur Tür deutete.

Elenas Blick richtete sich unauffällig auf den jungen Mann, der gerade eingetreten war. Eigentlich noch ein halbes Kind. Die schäbige, abgetragene Kleidung schlabberte um einen zu dürren Körper, die Augen huschten unruhig von einer Ecke des Raums zur anderen.

Blieben dann auf den Turks hängen.

Vorsichtig nährte er sich ihrem Tisch, die Hand fest um einen Umschlag geschlossen.

"Ich ... ich habe hier etwas für sie." stotterte er.

Tseng griff in die Tasche seines Jacketts, legte die flache Hand dann auf die Tischplatte.

Der Junge zuckte bei der Bewegung zusammen, verfolgte jede spärliche Bewegung ängstlich.

"Zeige her." Während Tseng sprach, hob er leicht die Hand an, ließ den Jungen die darunter verborgenen Gil-Scheine sehen.

Elena beobachtete sie beide. Verkniff sich ein Grinsen als der Junge seine Finger nach dem Geld ausstreckte.

Tseng griff zu, bevor er eine Chance hatte, zurück zu weichen. "Den Umschlag gibst du jetzt meiner Partnerin." flüsterte der Turk so leise, dass ihn nur der Junge hören konnte. "Oder ich breche dir zuerst den kleinen Finger."

Er musste seine Drohung nicht in die Tat umsetzen. Es reichte sein fester Griff, die kühle Stimme.

Zitternd wurde Elena der braune Papierumschlag gereicht.

Sie zog die Fotos heraus, sah sie durch. Legte sie auf den Tisch. Mit der bedruckten Seite nach unten. Schob sie langsam Tseng zu, griff nach einer Zigarette.

Auch ihre Hand zitterte.
 

Tseng nahm eines der Fotos auf. Begutachtete es. Legte es wieder hin.

"Nimm das Geld und verschwinde." zischte er dem Jungen zu. Der sein scheinbares Glück kaum fassen konnte. "Verschwinde." musste Tseng noch einmal wiederholen. Dieses Mal eindringlicher.

Und jetzt verstand der Junge. Drehte sich um und stürmte aus der Bar.

Ohne sich umzusehen.

Die beiden Turks standen auf. Tseng legte viel zu viel Geld für zwei nicht ganz ausgetrunkene Tassen Kaffee auf den Tisch.

Jacketts wurden glatt gestrichen, Krawatten zurecht gerückt.

Elena nahm die Fotos an sich.

Was als Routine-Job begonnen hatte, war eben gerade mehr geworden.
 

Sie hatten sich in der Bar nicht absprechen müssen. Nicht nach dem sie beide die Fotos gesehen hatten.

"Fluche noch einmal über den Schnee." murmelte Elena als sie vor der Tür standen. Sie schlug ihren Kragen hoch, studierte dann die Fußspuren, die sich über den Bürgersteig zogen. Leicht zu identifizieren im grauen Matsch.

"Ich sage ja nichts mehr." Tseng zuckte mit seinen Schultern. Deutete dann mit der rechten Hand in eine Gasse. "Er ist dahin verschwunden."

Sie hatten den Jungen laufen lassen, weil er nur ein Rädchen im Getriebe war. Vermutlich sogar nur ein Bote.

Jemand wie diese kleine Straßenratte kam nicht an solche Fotos.

Kurz sah Elena zu Tseng. Versuchte eine Emotion in seiner Mimik zu finden.

Nichts war in seinem Gesicht zu lesen. Es war ausdruckslos. Professionell.

Bestätigte alles was man sich über den Turk erzählte. Er war ein kaltschnäuziger Bastard. Jeder andere wäre spätestens jetzt ausgeflippt. Auch Elena musste die Galle zurück drängen, die ihre Kehle hinauf stieg.

Tseng tippte nur eine SMS an Reno: 'Dauert länger. Statusbericht jede Stunde.'

Dabei zitterten nicht einmal seine Finger.

Für die Dauer eines Augenblinzelns fragte Elena sich, ob er überhaupt verstanden hatte, was auf den Fotos zu sehen war.

Dann korrigierte sie ihren eigenen Gedanken. Es war Tseng. Ein Pantoffeltierchen in allen emotionalen Belangen. Ein genialer Bastard in allen anderen.

Er konnte einordnen, was ihm vorgelegt worden war. Verdrängte nur gerade den Bezug zu seiner Person.

Diese Erkenntnis ließ die Galle endgültig Elenas Kehle herauf steigen.

Sie hatte viel gesehen als Turk. Viel erlebt. Drei Fast-Weltuntergänge überstanden. Folter ausgehalten. Menschen in den Tod geschickt. Weil es ihr Job war. Weil sie ihren Job liebte.

Mit einer Hand stützte sie sich an der Wand ab, während sie den gerade getrunkenen Kaffee von sich gab.

Was sie bisher nicht gesehen hatte, war wie weit Liebe und Hass einen Freund bringen konnten.

Den Beweis dafür hielt sie in ihrer anderen Hand, in einem fleckigen Umschlag.

Vier Fotos.

Vier Bilder auf denen Rufus zu sehen war. Oder etwas, von dem sie glaubte, dass es Rufus war. Verträumt lächelnd. Kindlich. Mit einem Messer in der Hand.

Rufus, der das Messer an die Kehle eines Jungen presste, während er mit ihm schlief. Die andere Hand fest in schwarze, lange Haare gekrallt. Rufus, der hinter diesem Jungen kniete. Ihm die Kehle durch schnitt.

Dem Jungen die Augen aus stach. Lächelte.

Ein wutainesischer Junge. Unterernährt, zierlich gebaut.
 

"Hast du es jetzt?" Der Schatten eines unterernährten, zierlichen Wutainesen neben ihr. "Wir müssen uns beeilen. Sonst finden wir ihn nicht mehr."

Eine Hand, in einem schwarzen fingerlosen Handschuh, die ihr ein Kaugummi entgegen hielt.

"Ja...", Elena wischte sich über den Mund, nahm das Kaugummi an. "Alles klar bei mir."

Die hohe Kunst des Lügens hatte jeder Turk perfektioniert.
 

"Da lang." Tseng deutete ein zweites Mal in die Gasse. Elenas Ausbruch hatte kostbare Zeit verschwendet, welche sie aufholen mussten.

Ein Ausbruch, den er nicht nach vollziehen konnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie Rufus Exzesse vertuschen mussten.

Würde der Präsident nicht im Koma liegen, wäre der nächste Gang Tsengs nach diesem Job direkt in sein Büro. Mit den Fotos in der Hand. Bilder, die er ihm auf den Schreibtisch knallen würde.

Ihn für seine Dummheit zur Rede stellen.

Mach was du willst, aber lass dich nie erwischen - Veld hatte diese Maxime auch Rufus eingeprügelt.

Die leise Stimme, die tief in Tsengs Innerem flüsterte: 'Er hat nicht irgendjemanden umgebracht. Er hat dich getötet!' konnte noch ignoriert werden.

Würde solange ausgeblendet, bis für ShinRa keine Gefahr mehr bestand.

Für Rufus.

Der Turk löste sich von seiner Partnerin, begann zu rennen.

Seine Schritte führten ihn in die Gasse, sein Blick heftete sich auf die Spuren im Schnee.

Auch der Junge war gerannt.

Aber es war nur eine kleine Straßenratte. Deren Überlebensinstinkt Tseng niemals unterschätzen würde. Doch keine noch so räudige Straßenratte konnte es mit einem ausgebildeten Turk aufnehmen. Er wusste es aus eigener Erfahrung.

Elenas Schritte waren dicht hinter ihm zu hören, als er tiefer in den Teil von Edge vordrang, der offiziell nicht mehr existierte.

In Tuestis schöner neuen Welt gab es keinen Platz für Ghettos und Slums. Waren alle Menschen gleich.

Diejenigen, die gleicher als andere waren, wohnten am Stadtrand. In den grauen Betonblöcken, die wenigstens etwas Blick ins Grüne boten.

Und waren es nur die drei verkrüppelten Bäume im Innenhof.
 

Hier in den Hintergassen, abseits der Hauptstraßen fanden sich jene Menschen, die es auch in der neuen Weltordnung nicht geschafft hatten. Oder es nicht schaffen wollten.

Die sich der WRO entzogen, ShinRa offiziell mieden.

Tseng kannte diese Welt. Besser als es ein Angestellter der Cooperation vielleicht sollte.

Direkt nach Meteor, zu der Zeit als Edge noch im Entstehen war, hatte er begonnen hier seine Kontakte zu knüpfen.

Hatte gelernt, das seine Herkunft nicht nur ein Nachteil war.

Es waren die Kontakte, die weder Tuesti noch Rufus etwas angingen.

Kontakte, die ihn darüber informierten wo und wann Rufus wieder Drogen geholt hatte. Die es ihm ermöglichten, dafür Sorge zu tragen, dass der Präsident nur das Beste erhielt, was es auf den Straßen zu kaufen gab.

Kontakte, die es ihm ermöglichten Skandale direkt im Keim zu ersticken. Skandale, die Rufus in seiner kindlich, unbekümmerten Art los getreten hätte.

Vielleicht war es die bittere Ironie der Geschichte, das er gerade im letzten Jahr eine wesentlich freiere Hand in diesen Belangen gehabt hatte. In dem Jahr, in welchem sich Rufus von ihm distanziert hatte.

Das Jahr, in welchem Tseng wieder auf die Straße zurück gekehrt war. Jene Jobs erledigte, die man damals den Junior-Turks in die Hand gedrückt hatte, damit sie sich beweisen konnten.

Es gab nur keine Junior- und Senior-Turks mehr.

Reno und er hatten den beiden anderen den Dreck abgenommen. Das getan, was getan werden musste.

Und es war die Erfahrung aus diesem Jahr, die Tseng nun leitete. Er bekam was er wollte. Fast immer.

Jetzt war sein Ziel der Junge, der ihnen die Fotos gebracht hatte.
 

Grauer Schneematsch bedeckte grauen Asphalt.

Aus den Kanalisationsschächten quoll stinkender Dampf.

Das Surren einer demolierten Leuchtreklame wurde von den eng stehenden Gebäuden reflektiert.
 

Details.
 

Tseng stoppte, den Blick immer noch auf den Boden gerichtet. Auf die Spuren, welche die Turnschuhe des Jungen im Matsch hinterlassen hatten. Elena rannte fast in ihn herein.

Seine Hand glitt unter das Jackett, zog die Waffe heraus.

"Er ist da rein." Tsengs Kopf hob sich, die Augen fixiert auf eine Tür, die rostig in ihren Angeln hing.

Die immer wieder quietschend gegen den Rahmen schlug.

Elena seufzte leise. "Nicht gut."

Sie standen vor einem Haus, das einmal Teil von Reeve Tuestis großartigen Plänen gewesen war. Als er noch glaubte, dass alle die selben Chancen nutzen würden.

Jetzt, nur 7 Jahre später, war der Bau verfallen. Die Fensterscheiben eingeschlagen.

Der ideale Unterschlupf für jeden, der sich vor dem Rest der Welt verkriechen wollte.
 

Eine simple Handbewegung. Tsengs Order, dass Elena sich in seinem Rücken halten sollte, ihm Deckung zu geben hatte.

Sie hielt sich an diesen Befehl.

Sie waren Partner. Aufeinander eingespielt.
 

Tseng schob sich langsam durch den schmalen Türspalt, wartete bis seine Augen sich an das dämmerige Licht angepasst hatten, er in der Dunkelheit Schemen ausmachen konnte.

Ein Schatten huschte vor ihnen davon.

Glas splitterte.

Der Turk selbst bewegte sich wie ein Schatten durch den Hausflur. Nicht gehetzt. In tödlicher Präzision.

Elena folgte ihm langsamer, sah auf den Boden. Bemerkte die fallen gelassene Glaspfeife. Ihr Partner hatte keine Schwierigkeiten den Junkie zu fassen.

Nicht der Junge den sie suchten. Tseng redete kurz auf ihn ein. Dann knackte ein Nacken. Ein lebloser Körper sackte auf den dreckigen Fußboden.

Es würde keine Zeugen dafür geben, dass sie heute Nacht hier gewesen waren.

Und wen interessierte schon der Tod eines Drogensüchtigen.

Wenn nicht Rufus Shinra dieser Tote war.

Vor Elena bewegte der Wutainese sich lautlos auf die Treppe zu. Beinahe hätte sie vergessen, wie gut er in so etwas war.

Früher, in einer ganz anderen Zeit, war er der einzige gewesen, den Veld alleine los schickte. Dann wenn es keine Zeugen geben durfte, keine Überlebenden.

Aus dieser Zeit stammte auch die Sonderklausel in Tsengs Vertrag. Das Recht überall hin zu gehen, wann und wie er wollte. Ohne Rechenschaft ablegen zu müssen.

So versunken in ihre Gedanken verlor sie ihn jetzt fast aus den Augen. Musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten.

Sie schreckte zusammen, als ein Fauchen zu hören war, hätte fast die davon springende Katze erschossen.

Tseng ignorierte das Tier, blieb vor einer geschlossenen Tür stehen. Lauschte. Hielt vier Finger hoch, als er das Gewirr aus Stimmen hinter dem billigen Plastik sortieren konnte. Ein Mädchen, drei Jungen.

"Boah, das rockt! Wir können echt 1000 Gil behalten?" rief das Mädchen lachend. "Weißte, wie lange wir damit durchkommen?"

Ihre Frage würde nie beantwortet werden. Tseng trat die Tür auf, eine Patrone aus seiner Pistole traf sie direkt zwischen die Augen.

Die zweite Patrone tötete einen Jungen, der nicht älter als Zwölf sein konnte.

Elenas Schuss durchschlug den Schädel des dritten Jungen.

Und mitten in dem Massaker, bespritzt mit Blut, das Geld noch in der Hand, stand der Überbringer der Fotos.

Fassungslos den Blick auf die beiden Turks gerichtet.

Tseng betrat den kleinen Raum, in dessen stickiger Luft sich langsam der Geruch des Todes ausbreitete.

"Wer hat dir die Fotos gegeben?" fragte er in Stille, die nur durch das hektische Atmen des Jungen unterbrochen wurde.

"Ich ... was ..." Der Junge sackte auf die Knie. "Ihr habt sie getötet!" schrie er plötzlich. "Sie haben euch doch gar nichts getan!"

Nur drei Schritte und Tseng war bei ihm. Die Hand des Turks schnellte vor. Das Geschrei verstummte.

Jetzt sah der Junge nur mit großen Augen zu ihm auf, hielt sich die aufgeplatzte Unterlippe.

"Namen!" forderte Tseng scharf.

"Cathy, sie arbeitet für diesen Wutainesen, Han, unten im sechsten Distrikt. Sie..." Noch ein Schuss, dann verstummte der Junge für immer.

"Geht doch." murmelte Tseng.

Elena, die noch im Türrahmen stand, hob eine Augenbraue. "Soll ich nachsehen, wie viele Junkies hier herum gammeln?"

"Ja." Tseng sammelte die fallen gelassenen Geldscheine ein. Hielt sein Feuerzeug an das Papier. Die Blutspritzer hatten es unbrauchbar gemacht.
 

Letzte Ascheflocken fielen auf den Boden, als zwei weitere Schüsse durch das marode Gebäude hallten.

Er ging wieder in das Erdgeschoss, ignorierte den dritten, vierten und fünften Schuss.

"Alles Sauber!" rief Elena zu ihm herunter, machte sich jetzt keine Mühe mehr leise die Treppen herunter zu laufen.

"Du weißt wo wir Cathy finden?" Widerspenstige Haarsträhnen wurden aus dem Gesicht gestrichen.

"Hmhm." Er hatte sein PHS zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, wartete darauf, das Reno das Gespräch an nahm. Suchte nach seinen Zigaretten.

Elena nahm den Laut als Zustimmung.
 

Im Krankenhaus, in dem luxuriösen Zimmer, in welchem Rufus immer noch regungslos zwischen Maschinen hing, schreckte der Second in Command auf.

Zog das vibrierende Gerät aus der Tasche.

"Ja?"

"Status bei euch?"

Reno kannte diesen Tonfall. Wusste, dass es jetzt der vollkommen falsche Zeitpunkt war nur den Hauch privates in das Gespräch fließen zu lassen.

"Unverändert. Nich' tot, nich' lebendig. Bei euch?"

"Dauert länger. Vermutlich die ganze Nacht. Wir sind auf den Weg in den sechsten Sektor." Das Klicken eines Feuerzeugs war zu hören, dann Tsengs scharfes Einatmen.

"Alles klar. Gebt Updates durch."

"Wird gemacht." Ein Klicken. Dann war die Leitung tot.

Reno steckte sein PHS wieder in die Tasche. "Heißt wohl, das wir hier die Stellung halten sollen. Alta', ich geh uns ma' Sandwiches aus der Kantine besorgen."

Es würde für sie alle eine lange Nacht werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Niela_DeAhrel
2008-09-24T21:10:27+00:00 24.09.2008 23:10
Oh Mann, jetzt kam ich schon so lang nicht mehr dazu etwas zu lesen. Aber nach dem nervigen Tag heut musste ich mir einfach eine Belohnung gönnen und das 2. Kapitel dieser göttlichen Fanfiction lesen! ^^

Ich find sie einfach schlichtweg klasse! Deine Turks sind so wahnsinnig... Turk-ish... mir fällt einfach kein geeigneteres Wort ein! XD

Und zu Rufus Shinra... ich kann mich eigentlich immer noch nicht festlegen ob ich Mitleid mit ihm hab oder ihn einfach nur hasse dafür, dass er so ein kalkulierendes, eiskaltes Arschloch ist!

Wunderbar... und die anderen Kapitel heb ich mir für morgen auf.
Von:  Noctifer
2008-09-18T07:35:19+00:00 18.09.2008 09:35
[Stalking für Fortgeschrittene]
Dass ich deine Geschichte absolut und inbrünstig liebe sollte spätestens klar geworden sein, als ich angefangen habe Prequels und Sitestorys zu schreiben ;)
Fanfictions für deine Fanfiction. Und ich bin überglücklich mich als Plotbunny ein bisschen beteiligen zu dürfen ^_^
Dein Bastard!Tseng hat es mir wirklich angetan (auch, wenn er ein emotionales Pantoffeltierchen ist und _MEINEN_ Rufus quält. In den Wahnsinn treibt. Leiden lässt. [Insert Dinge die Schuldgefühle machen])
Dass ich deinen Stil liebe weißt du, das quietsche ich ja oft genug ^_^ und überhaupt: <3
Hach, ich brauch jetzt Kaffee nach der (berechtigten) Bauchpinselei.

<3<3<3
Von:  Skalli_Otori
2008-09-17T20:57:44+00:00 17.09.2008 22:57
Unglaublich haarsträubend gutes Kapitel! Einfach großartig. Die Charaktere so wunderbar lebendig und gleichzeitig doch so furchtbar abgewrackt. Jedes einzelne Wort lässt einen tiefer in die Geschichte vordringen, als würde man endlich mal wieder einen richtig guten Film sehen! Ich bin absolut begeistert und mutiere sicher beim nächsten Kapitel zum Stalker. Wie schonmal gesagt, deine Variante der Turks und nun auch von Rufus, ist einfach nur großartig! Das nenne ich Lesevergnügen~!


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