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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 61

Kapitel 61
 

Nach einem Blick auf die Uhr stöhnte Rick laut auf. Er lag nun schon über zwei Stunden im Bett ohne richtigen neuen Antrieb erlangt zu haben. Natürlich wusste er, dass es nicht so weiter gehen konnte, aber jeder Schritt nach vorne bereitete ihm wirklich Kopfzerbrechen. Wie auflehnend er gegenüber Alexandros auch gewesen sein mochte, diese Seite konnte nicht auf Bestellung in ihm erweckt werden. Dazu bedarf es mehr als der bevorstehende Job. Gearbeitet hatte er schon vor dem ganzen Schlamassel mit der Entführung, es war keine Herausforderung an sich, denn diese lag ganz woanders. Die Herausforderung war, ohne irgendwelche Ängste allein aus dem Haus zu treten und sich ins Leben zu stürzen. Mit Joe war das etwas anderes. Wenn er mit ihm unterwegs war, rückte die reale Welt in eine Ferne, die so unerreichbar schien, dass sie ihm nichts anhaben konnte. Allein seine Gegenwart ließ ihn die dunklen Straßenecken, die lauernden Augen nicht sehen.

Aber er musste sich endlich dazu zwingen, hinaus zu gehen. Er musste sehen, wie es war, nach all dem wieder ohne Schutz durch die Straßen zu laufen. Es ging nicht, sich auf ewig einzukerkern, denn das würde ihn niemals glücklich machen. Er wollte hinaus und er musste es irgendwie bewerkstelligen, das ganz allein in die Tat umzusetzen.
 

„Augen zu und durch“, brummte er vor sich hin.

Das Motto mochte altgedient sein, aber sich selbst Mut zuzusprechen konnte niemals verkehrt sein.
 

Ihm oblag es seit jeher wie ein nasser Sack herumzulungern und rein gar nichts zu tun. Insbesondere war er dazu in diesem kargen Loch verdammt gewesen und hatte er sich nicht die ganze Zeit gewünscht gehabt, wieder raus in die Natur zu können?
 

Einen Versuch musste er starten.
 

„Koste es, was es wolle!“
 

Er realisierte nicht einmal, dass er allmählich wieder denselben Kampfgeist entwickelte wie bei der Auflehnung gegen Alexandros Ornesté. Lediglich die Vitalität, die sich peu a peu in seine Glieder schlich, nahm er als angenehmes Gefühl wahr. Immer näher rückte er dem Entschluss, den er am frühen Morgen gefasst hatte.

Langsam richtete er sich auf und stieg aus dem großen Bett, dabei einen Pullover vom Boden greifend. Mit einer Hand fuhr er sich durchs relativ kurze Haar und anschließend über die Augen, rieb sich all die Lethargie weg, die bis jetzt in ihnen geschlummert hatte. Das dunkle Blau fing an zu leuchten und die Lebendigkeit in sich zu tragen, die es ansonsten ausmachte. Behände streifte er sich das Stück Stoff in seinen Händen über, zog sich ein paar bequeme schwarze Halbschuhe an und nahm noch eine Jacke zu sich, ehe er die Wohnung verließ. Je schneller er es tat, desto weniger würde er darüber nachdenken und in die Eventualität des Kneifens geraten.

Wenig später trat er aus dem Gebäude und lief ziellos los. An zwar bekannten, aber dennoch gänzlich unvertrauten Fassaden vorbei, Gärten, von der Jahreszeit fast vollkommen karg, passierend. Stetig setzte er einen Fuß vor den anderen und er vermochte nicht zu sagen, wie viel Zeit verging, ehe er sich im Park wiederfand. Dieser Ort übte anscheinend eine derartige Anziehungskraft auf ihn aus, dass er ihn früher oder später aufsuchte. Auch hier hatten die Bäume all ihre Blätter verloren, die verstreut auf dem Boden lagen, teils braun verfärbt, teils noch rötliche Nuancen beherbergend. Recht viele Menschen gingen ihrem Spaziergang nach, führten Hunde aus oder schoben einen Kinderwagen vor sich her. Rick war nur einer von vielen, der sein Gesicht ab und an gen Himmel wandte oder zum See blickte. Aufgrund der Kälte hatte er seine Hände tief in den Taschen vergraben und seine Schultern angezogen. Aber die klare Luft, die ihn umgab, ließ ihn immer wieder tief einatmen, seine Lungen füllen und leeren. Das Stimmengewirr, das von allen Seiten her zu ihm drang, untermalte lediglich die wohlige Atmosphäre, die bisweilen auch sein Herz erreichte. Etwaigen mochte der erste Schritt in die neu erlangte Freiheit schwer gewesen und würde es beim nächsten Mal wieder sein, doch nun genoss er sie mit jeder Faser seines Körpers. Derart frei hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt und er empfand dies als Besonderheit, die wahrlich nicht alltäglich war.
 

„Entschuldigen Sie?“
 

Als eine Hand seine Schulter berührte, zuckte er zusammen. Etwas zögerlich wandte er sich um und sah in zwei freundliche, hellbraune Augen.
 

„Ja?“, erwiderte er ein wenig irritiert.
 

Die Frau, die ihn angesprochen hatte, lächelte verlegen und hielt eine Karte vor sein Gesicht.

„Könnten Sie mir vielleicht sagen, wie ich zur Kathedrale komme?“
 

Rick assoziierte die Kirche sofort mit den Rätseln, die sein Freund zu lösen gehabt hatte, doch ließ sich von seinem plötzlichen Gefühlschaos nichts anmerken. Gerade noch hatte er sich unbeschwert gefühlt, doch nun schlichen sich wieder die alten, depressiven Emotionen hinzu.

„Sie gehen einfach diesen Weg dort entlang, bis der Park endet. Dann rechts in die Fußgängerzone und dann sozusagen immer der Nase nach. Alsbald dürften sie die Spitze der Kathedrale erblicken, dann können Sie sie gar nicht mehr verfehlen.“
 

Erleichtert schenkte sie ihm ein herzliches Lächeln. „Dankeschön.“
 

„Keine Ursache. Genießen Sie den Ausblick.“
 

Das erwiderte sie nur noch mit einem Kopfnicken und eilte davon. Rick sah ihr nach und bemerkte, wie taub er sich mit einem Mal fühlte. Sowohl seine Beine als auch seine Arme schienen auf einmal zentnerschwer zu sein und ihn zu Boden ziehen zu wollen. Die Kirche war lediglich ein kleiner Teil des ganzen Ausmaßes seiner Entführung gewesen, aber sie hatte damit zu tun und genau dieser Fakt reichte aus, dass er sich nun wie aus Blei gegossen fühlte. Eigentlich wollte er sich nicht wegen solch einer Lappalie herunterziehen lassen, zumal er schon genug Melancholie durchlebt hatte, aber er schaffte es nicht, sich gegen den Trübsal zu erwehren, der ihn schon wieder heimsuchte und wohl nie damit aufgehört hatte. Waren die schönen Momente nicht nur dazu da, sich kurzzeitig aus der Dunkelheit emporzuheben und einmal aufzuatmen, um die nächsten Tage, Wochen und sogar Monate zu überstehen?

Obgleich ihn die Schwere, die ihn befallen hatte, zu erdrücken drohte, zweifelte er nicht an, dass es richtig gewesen war, Joes Wohnung verlassen zu haben. Allein schon die sympathische Frau von eben bestärkte ihn so zu denken, selbst wenn sie der Auslöser für seine jetzige Zwiespältigkeit war. Nicht sie als Person, sondern das, was sie sagte.
 

/Die Kathedrale ist nur ein Gebäude… Sie ist nichts weiter als ein Gemäuer, das von Mistkerlen schändlich missbraucht wurde. An so einem Ort solch ein derbes Spiel zu treiben ist taktlos und auch gotteslästernd.

Ich sollte die Kirche deshalb nicht verachten, trotz ihrer jetzigen Bedeutung für uns. Und doch fühle ich mich wie fest genagelt…/
 


 

Immer nervöser werdend lief Joe im Büro hin und her. Schon am Morgen, als er Rick verlassen hatte, hatte sich ihm erneut die Frage aufgedrängt, ob Damon nun wirklich in seine Entführung verwickelt war oder nicht. Irgendwas tief in ihm drin wollte das nicht wahrhaben und auch jetzt konnte er es nicht glauben.
 

„Madeleine?“
 

Eine stämmige Frau mittleren Alters sah von ihrem Schreibtisch auf.
 

„Hat sich für heut noch ein Kunde angemeldet oder kann ich ausnahmsweise schon gehen?“
 

„Sind Sie heute nicht erst aus dem Urlaub zurückgekommen!?“, erwiderte sie mit einem geringschätzigen Blick, ging aber den Terminkalender, der vor ihr lag, durch. „Nur Fredericson, aber den übernimmt ohnehin Derrick. Also können Sie gehen.“

So schnell konnte sie gar nicht schauen, wie Joe seine Jacke holte und zur Tür des Büros stürmte.

„Lassen Sie das nicht zur Gewohntheit werden!“, rief sie ihm dennoch mürrisch hinterher.
 

„Jaja“, meinte Joe leise, als er die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte.
 

Zielstrebig lief er zur Bushaltestelle und musste feststellen, dass er den Bus zum Krankenhaus um wenige Augenblicke verpasst hatte, weshalb er sich ein Taxi rief. Er wollte seine Mutter um zwei Gefallen bitten. Zum einen um das Auto und zum anderen, dass sie den Abend und eventuell auch die Nacht bei Rick verbrachte. Da er wusste, dass sein Freund niemals damit einverstanden wäre, dass er vorhatte nach Luminis zu fahren, musste er das eben heimlich tun und Rick über Veronica darüber in Kenntnis setzen. Persönlich konnte er das dem Dunkelhaarigen nie und nimmer sagen, denn er kannte sich und schätzte sich selbst so ein, dass er dann nicht fahren würde. Aber er musste herausfinden, was hinter Damons Reise stecke und ob er der Serrat und Alexandros sozusagen angeheuert hatte. Selbstverständlich war er sich darüber im Klaren, dass das nicht richtig war, was er tat, und doch gab es für ihn keinen anderen Weg.

Als er das große Hospital erblickte, festigte sich sein Entschluss. Er musste derart handeln.

Nachdem er den Fahrer ausbezahlt hatte, lief er eilig über den Parkplatz und geradewegs zu den Fahrstühlen, die ihn in die achte Etage brachten. Energisch, aber dennoch leise, klopfte er an Stevens Tür, der ihn hereinbat.
 

„Heute ganz alleine?“, fragte Veronica sogleich, die am offenen Fenster stand und ein Kissen ausschüttelte.
 

„Rick ist zuhause und ich bin früher von der Arbeit gegangen.“
 

„Und da bist du nicht erst zu ihm?“
 

Joe biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf.

„Dann könnte ich nicht zu Damon fahren.“
 

Nun hatte er zwei Augenpaare starr auf sich gerichtet.

„Also weiß er wirklich nichts davon?“

Eigentlich war es mehr eine Feststellung, die Steven von sich gab.
 

„Nein, denn er würde es nicht zulassen. Darum habe ich eine Bitte an dich, Mom.“

Er ging auf sie zu und legte seine Hände auf ihre Schultern, sah sie alsbald fest an.

„Kannst du dich um ihn kümmern? Ich weiß, dass ich viel verlange, aber ich muss ihn in guten Händen wissen.“
 

„Natürlich wird sie nachher zu ihm fahren.“

Es war Steven, der antwortete.
 

„Seit wann nimmst du meine Entscheidungen ab?“, meinte sie unwirsch und doch liebevoll an ihren Mann gewandt, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Sohn richtete. „Ich werde es machen, wenngleich ich von deinem Vorhaben nicht angetan bin. Zum einen ist Rick erst ein paar Tage wieder zurück, zum anderen gehst du einfach ohne ihm Bescheid zu geben. Er hängt an dir…“
 

„Denkst du, es fällt mir leicht?“

Joes Miene verfinsterte sich und er richtete seinen Blick hinauf auf die Stadt. Er konnte den Wind hören, der sich in den Bäumen der Krankenhausanlage verfing.
 

„Mach dir keine Sorgen um ihn. Wir passen auf ihn auf.“

Während Steven redete, richtete er sich in seinem Bett auf.

„Ich habe dir schon einmal viel Erfolg gewünscht und ich werde es nun wieder tun, zumal ich sehr hoffe, dass du Recht behältst.“
 

Entgeistert lief Veronica auf ihren Mann zu.

„Sag bloß, du wusstest davon!“
 

„Manchmal gibt es eben Geheimnisse zwischen Vater und Sohn.“

Er meinte das mit solch einer Selbstverständlichkeit, dass ihr die Sprache wegblieb.
 

„Könnte ich euer Auto haben?“
 

Obwohl seine Mutter immer noch voller Skepsis war, hatte sie ihm die Autoschlüssel überreicht und ihm nochmals versprochen, Rick alles schonend beizubringen und bis er wieder zurück war, bei ihm zu bleiben. Joe verabscheute sich selbst, während er die Autobahn entlang raste, aber je näher er seinem Geburtsort kam, desto mehr verstärkte sich in ihm das Gefühl, dass es kein Zurück mehr gab.
 

/Jetzt oder nie… Damon hatte lange genug Zeit, sich zu überlegen, was er mir erwidern wird. Vielleicht schon zu viel, dass ich keine Chance habe, ihn aus der Reserve zu locken. Aber ich muss es auf einen Versuch ankommen lassen, sonst würde ich es auf ewig bereuen. Solange es eine Möglichkeit gibt, Rick in irgendeiner Form helfen zu können, werde ich sie nutzen, auch wenn das bedeutet, ihn vorher zu verletzen… Irgendwann wird er verstehen, weshalb ich mich so entschieden habe…/
 


 

Rick war erleichtert, als er sich gegen die verschlossene Wohnungstür lehnen konnte. Seitdem er das Bild der Kathedrale vor Augen gehabt hatte, hatte er sich ununterbrochen beobachtet gefühlt und die Schwere seines Körpers war mit jeder Minute unerträglicher geworden.

Mit einer Faust schlug er nach hinten an das Holz und presste seine Lippen fest aufeinander. Er konnte es nicht ertragen, dass er diese Angst vor einer erneuten Entführung in sich trug. Konnte er denn alles nicht einfach hinter sich lassen?

Als er spürte, dass seine Wut zur schieren Verzweiflung werden wollte, sackte er zu Boden und schlang seine Arme um seine Beine, bettete seinen Kopf auf seine Knie. Partout wollte er sich gegen all die Emotionen in ihm wehren, doch wie führte man einen Kampf, der von Beginn an als verloren galt?

Minuten vergingen, in denen er mit den Tränen, die in ihm aufsteigen wollten, haderte. Letztendlich blieben sie unergossen und doch fühlte er sich geschlagen. Mit leerem Blick zog er sich auf seine Füße zurück und streifte sich seine Schuhe und Jacke ab. Weshalb er gerade ins Schlafzimmer ging und sich auf den Drehstuhl vor dem Computer niederließ, wusste er nicht, aber ohne zu zögern schaltete er den Rechner an und alsbald lag seine Hand auf der Maus, deren Zeiger immer wieder über den Icon des Internetexplorers fuhr. Seit einer gefühlten Ewigkeit hatte er nach keinen Mails mehr gesehen, aber gerade in diesem Moment sehnte er sich danach, Amelia ein paar Zeilen zu schreiben. Sie war es schließlich gewesen, die ihn einmal gefragt hatte, wohin er fliegen würde, wenn er könnte. Und gerade war ihm nach fliegen… Er schüttelte über sich selbst den Kopf ob seiner Resignation und doch loggte er sich in seinem Email-Account ein. In seinem Postfach befand sich lediglich Werbung, die er löschte, ehe er zu schreiben begann:
 

’Hallo Amelia,
 

ich weiß, es ist egoistisch, dir jetzt zu schreiben, aber ich kann mich dafür nicht einmal entschuldigen. Wenn ich dir berichten würde, was mir widerfahren ist, würdest du vielleicht Verständnis zeigen können…

Können wir Menschen durchs Fliegen eine Sphäre erreichen, die fernab von jeglicher Grausamkeit existiert? Können wir uns aus den Fängen der Dunkelheit befreien und ein neues Leben beginnen, nur indem wir hoch in die Luft steigen? Können wir durchs Fliegen unsere Ängste besiegen?

Falls ja, dann wäre ich nun bereit dafür. Ich hasse mich selbst für meine Worte und schaffe es nicht, sie zu verbergen oder sie zu löschen. Obwohl ich den Menschen gefunden habe, der meine Liebe ebenso stark erwidert, lassen es die Umstände nicht zu, dass ich wahres Glück empfinden kann. Sobald ich von ihm nicht in eine Welt versetzt werde, die mich all das Geschehene vergessen lässt, umgibt mich eine Finsternis, die mich gänzlich einspinnen möchte… Und ich bekomme das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. So sehr ich auch nach Luft giere, erreicht mich nur stickiger Qualm, der mich zu Boden zwingen möchte.

Ich schrieb dir, dass ein jeder ein Licht in sich trägt. Selbst wenn ich davon immer noch überzeugt bin, glaube ich, dass es erlischen kann. Nur ein Hauch und es brennt nicht mehr. Noch spüre ich es glimmen, aber ich weiß nicht, wie lange ich es noch aufrechterhalten kann. Joe kann nicht immer bei mir sein und ohne ihn fühle ich mich wehrlos.
 

Verzeih’ mir, dass ich dir keine Hoffnung geben kann.
 

Gezeichnet,

Rick.“
 

Mit geschlossenen Augen sendete er die Mail ab und schämte sich im selben Moment dafür. Und doch hätte er die Mail nicht revidiert, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte.
 

Irgendwann klingelte es an der Wohnungstür und er schreckte auf. Bis dahin hatte er starr vor dem Bildschirm gesessen und sich nicht geregt. Wie aus einem Alptraum erwacht schlurfte er zur Tür und machte sie erst auf, als er sich durch einen Blick in den Spiegel vergewissert hatte, dass er nicht wie der Tod höchstpersönlich aussah.
 

„Du?“, entkam es ihm verwirrt.

Doch Veronica brauchte noch gar nichts sagen, da fiel ihm bereits das Herz in die Hose. Heftig schluckend sah er sie an und wisperte ein paar Worte, die er selbst nicht verstehen konnte, aber so viel bedeuten sollten wie ’Joe ist doch nichts passiert!?’
 

Beschwichtigend strich sie ihm kurz über die Wange, „Mir wurde eine undankbare Aufgabe zuteil,… Aber lass uns doch erst einmal hineingehen.“

Ihre Stimme war vollkommen sanft, eben die einer Mutter.
 

Zögerlich ließ er sich von ihr in die Küche ziehen. Weiß wie eine Wand spürte er das immer schneller werdende Schlagen in seiner Brust. In seinem Verstand erschien ein Horrorszenario nach dem nächsten, obgleich ihm die Mimik und Gestik von Veronica in keinster Weise total erschüttert erschien. Eine Mutter, deren Sohn etwas zugestoßen war, sah in der Regel anders aus. Aber was war es dann, das sie ihm sagen sollte?
 

„Also es ist so…“

Sie stockte und rieb ihre Hände gegeneinander, wohingegen Rick fast zu einer Salzsäule mutierte. Sein ganzer Körper schien sich verkrampfen zu wollen, so dass er nicht mal mehr imstande war, seinen kleinen Finger zu rühren. Die Dunkelheit, die ihn schon die letzten Stunden über umwoben hatte, legte sich immer enger um ihn und tauchte ihn in eine Welt, von der jegliches Gefühl der Liebe abprallte.

„Joe ist nach Luminis gefahren und kommt wohl erst morgen zurück.“
 

Rick glaubte zu zerbersten. Sein Freund, der in ihm das Licht am Leben erhalten konnte, war auch gefahren ohne ihm Bescheid zu geben geschweige denn mitzunehmen. Für was hatte er sich selbst gehasst, eine derart verzweifelte Mail an Amelia geschrieben zu haben?
 

Fahrig fuhr sich Veronica übers Gesicht und versuchte ihrem Gegenüber ein Lächeln zu schenken, das aber im ersten Moment ziemlich gequält aussah.

„Manchmal ist er ein ganz schöner Hitzkopf, aber er tut das für dich.“
 

„… mich?“

Mehr brachte der Dunkelhaarige nicht hervor. Sein Verstand setzte immer wieder aus und er hatte Mühe, klar denken zu können.
 

Sie nickte. „Er möchte dir ein Stück deiner Vergangenheit wiederbringen.“
 

Wut legte sich auf Ricks Gesichtszüge und er begann leise zu lachen, das in einem wilden Seufzkonzert endete.

„Die, die ich ständig versuche zu vergessen?“, fragte er tonlos.
 

„Gib die Hoffnung nicht auf, Rick.“
 

Allmählich empfand er ihre sanfte, mitfühlende Art als lästig. Konnte sie ihrem Sohn nicht sagen, dass er zurückkommen solle, weil er alles nur noch schlimmer machte?

„Welche denn? Die, die einen innerlich zerfrisst, weil man sich an etwas Surrealem festhält, an etwas Unerreichbarem, das sich immer mehr von dir entfernt je mehr du dich bemühst?“
 

Alles, was sie tat, war eine Hand nach ihm auszustrecken, doch er wich zurück und stand abrupt auf. Voller Zorn schob er den Stuhl gegen den Tisch. Scheppernd stieß Holz auf Holz aufeinander.

„Ich brauche ihn und sonst nichts!“, schrie er dann.
 

Hastig stürmte er aus der Küche direkt ins Schlafzimmer, wo er sich aufs Bett schmiss und sein Gesicht in den Kissen vergrub.
 

/Mehr als ihn verlange ich doch gar nicht…

Aber warum kann ich nicht einmal mehr diesen Wunsch erfüllt bekommen?

Dieses Loch in mir weitet sich unaufhaltsam aus. Ich spüre, wie es von dem Teil Besitz ergreift, das einzig Joe gehört…

Joe?

Bitte beeile dich…/
 

Vage vernahm er wie Veronica sich ihm näherte und alsbald eine Hand über seinen Kopf strich. Diese Berührung kam fast der Joes gleich, wenn er ihm durchs Haar fuhr. Obgleich Rick sich das nicht von Anfang eingestehen wollte, entspannte er sich allmählich wieder trotz der düsteren Gedanken, die stetig in seinem Kopf kreisten.
 

„Hätte ich ihn denn mit Gewalt aufhalten sollen?“
 

„…“
 

„Wenn ich ihm nicht mein Auto gegeben hätte, dann hätte er den nächsten Zug genommen. Du solltest am besten wissen, dass er das, was er sich in den Kopf gesetzt hat, durchzieht, egal was dabei auf dem Spiel steht. Nur…“ Sie stockte und nahm die Hand von Rick. „Nur glaubt er wirklich, dass er dir damit helfen kann. Weißt du…“ Erneut hielt sie den Atem für eine Weile an.

„Er würde alles für dich tun, ist aber momentan jedweder Möglichkeit beraubt. Wie ich ihn kenne, macht ihn das wahnsinnig, weshalb er überstürzt ging.“
 

„Er hätte mich mitnehmen können“, murmelte Rick.
 

„Würdest du…“

Schmerzhaft biss sie sich auf die Lippe. Sie durfte ihm nicht sagen, dass Joe zu Damon gehen wollte, auch wenn es auf der Hand lag. Wenn es Rick schon herausfand, dann wenigstens nicht durch sie.
 

„Was?“, fragte er eine Weile später nach.
 

„Würdest du Joe in Gefahr begeben wollen?“
 

Unwirsch drehte sich im Bett um und funkelte sie an. „Was denkst du von mir? Natürlich nicht!“
 

/Nur kann ich dieses Gefühl der schieren Verzweiflung in mir nicht stoppen und das bereitet mir mehr Angst als ich ertragen kann. Immerzu jagen mich Bilder, die mich vollkommen erbeben lassen würden, wenn ich diesen Drang meines Körpers nicht mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte./
 

Lange sahen sie sich an und doch durch den jeweils anderen hindurch.
 

„Wie ich Joe kenne, bleibst du hier.“
 

„Wenn es dich nicht stört?“, fragte sie vorsichtig.
 

Rick schüttelte nur den Kopf und legte seinen Kopf wieder zurück. Er wartete, bis sie das Schlafzimmer verlassen hatte und begab sich dann an den Rechner, der immer noch ein stetes Rauschen durch den Raum hallen ließ. Nach ein paar Sekunden des Verharrens schaltete er ihn aus. Für diesen Tag hatte er genug seines Inneren in Worte gefasst, zumal die wenigen Silben mit Sicherheit bereits fatal gewesen waren.
 

„Verzeih’ mir“, hauchte er in die kalte Luft der angebrochenen Nacht hinein, als er sich dem geöffneten Fenster lehnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  inulin
2007-05-21T19:19:25+00:00 21.05.2007 21:19
Du bist echt ne Dramaqueen.
Geschaffen für Geschichten mit tiefgehenden Gefühlen.
Unglaublich was du da wieder fabriziert hast.
Schön zu lesen, dass Rick es versucht sich der Außenwelt zu stellen. Nur schade, dass ihn das Ganze wieder einholt, nur weil ihn jemand nach dem Weg gefragt hatte. *seufz*
Aber überraschen tut es mich nicht, dass sich Joe nach Luminis aufgemacht hat. Er saß ja eh schon die ganze Zeit wie auf heißen Kohlen.
Ich will nur hoffen, dass er nicht in die nächste Misere rutscht und mit Antworten und vorallem heil wieder bei Rick daheim ankommt.
Ich bin gespannt, was du dir für den nächsten Teil einfallen lässt. ^^


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