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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 62

Kapitel 62
 

Mit stetig schneller werdendem Herzschlag stellte Joe den Motor ab. Er parkte das Auto seiner Eltern direkt hinter Damons. Ricks Vater war also zurück. Er hatte wirklich den Mut, nach dem, was er seinem Sohn angetan hat – selbst wenn er nicht den Befehl dazu gegeben hatte, hatte er wohl von Serrats Plänen gewusst – nach Luminis zurückzukehren, wo ihn alle Welt finden konnte.

Schon auf der ganzen Fahrt hatte Zorn in Joe gewütet, den er trotz Gegenwehr gegen diesen Mann zu hegen begann. Je näher er seinem Haus gekommen war, desto mehr Verachtung hatte er ihm gegenüber empfunden. Doch er durfte sich nicht von ihr leiten lassen, wenn er ihm gleich gegenüber träte. Galant stieg er aus dem Wagen und lief geradewegs zur Haustür, bei der ohne zu Zögern die Klingel betätigte. Er hörte das laute Schallen, das im Flur ertönte und bis zu ihm nach draußen drang. Kalter Wind blies ihm um die Ohren und die Nacht kündigte Werte unter dem Gefrierpunkt an. Licht flammte von innen auf, das hell durch die kleine Glasscheibe am oberen Rand der Tür fiel. Anschließend wurde ein Schlüssel im Schloss gedreht und die Tür ging auf.
 

Es war Damon höchstpersönlich, der Joe aufmachte. Letzterer hatte alle Mühe, dem anderen nicht sofort an den Hals zu springen, denn diese völlige Sorglosigkeit, die jener ausstrahlte, war zu viel des Guten. Wenigstens ein wenig Reue hätte er zeigen können, ein wenig Einsicht, dass er Rick weh getan hatte. Sie musste sich nicht einmal auf die Entführung beziehen, denn Joe wusste ja noch nicht, inwiefern er in sie verwickelt war, doch zumindest der Rauswurf, wenngleich dieser bereits zwei Jahre her war. Doch mehr als einen verblüfften Gesichtsausdruck untersetzt mit purer Unbekümmertheit hatte Damon nicht zu bieten.
 

„Hallo“, meinte Joe gepresst. Er hatte wirklich alle Hände voll damit zu tun, nicht übermütig zu werden.
 

„…“
 

„Hat es dir die Sprache verschlagen?“, entkam es dem Blonden nun doch ziemlich barsch.
 

„So freundlich heute?“ Damons Augen begannen zu funkeln. Unhöflichkeiten ihm gegenüber konnte er noch nie ausstehen. Joe wusste das, aber gerade war ihm das vollkommen gleichgültig. Sollte dieser Mann doch von ihm denken, er sei rüpelhaft, das war doch letztendlich nicht von Belang. Vielmehr als ein paar Worte mit ihm wechseln wollte er ohnehin nicht
 

„Die letzten Wochen haben mich gelehrt, dass zu viel Freundlichkeit nur Schaden mit sich bringt.“

War Rick denn nicht immer bemüht gewesen, es seinem Vater in allerlei Hinsicht Recht zu machen? Und was war das End vom Lied? – Leid! Nichts als Leid!

„Hast du einen Augenblick Zeit?“, fügte Joe eilig an, um die Tür nicht vielleicht sofort vor der Nase wieder zugeschlagen zu bekommen.

In Damons Augen war nicht zu lesen, was er gerade dachte, und so konnte Joe auch nicht sagen, was dieser als nächstes tun würde. Unberechenbarkeit war seit jeher eine Eigenart dieses Mannes, der ihm gerade unvermuteterweise seine Rechte entgegenstreckte. Gehörte das zu diesem abartigen Spiel oder war die Geste ehrlicher Natur?

Mit allem rechnend ergriff Joe sie, doch mehr als ein gewöhnliches Händeschütteln folgte nicht. Ein wenig irritiert folgte er Damon, der ihn hereinbat.

Das Innere des Hauses hatte sich merklich verändert. Seit seinem letzten Besuch erschien es wesentlich kälter und trister. So als ob hier niemals ein Kind gelebt hätte. Joe spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Der Flur hatte nicht viel mehr als ein paar Haken für Jacken und einen gesonderten Teppich für Schuhe zu bieten. Das Wohnzimmer war auch nicht viel wohnlicher eingerichtet. Dunkle Kirschholzschränke und eine gänzlich uneinladende grüne Couch waren der gemütlichen Sofagarnitur und dem hellen Buchenholz gewichen. Nur die Wände waren ebenso weiß wie früher, haben aber aufgrund des Verlustes der Familienfotos an Attraktivität eingebüßt. Eigentlich war es einfach nur traurig, dass sie alles, was mit Rick in Verbindung gebracht werden konnte, eliminiert haben. Ob es damals eine Kurzschlussreaktion von Damon gewesen war oder sie das kürzlich erst arrangiert hatten, wollte Joe gar nicht in Erfahrung bringen.
 

„Magst du was trinken?“
 

Zunächst blickte Joe Damon irritiert an, doch dann nickte er. „Gerne. Einen Tee, wenn es keine Umstände bereitet.“

Er glaubte, ein seltsames Funkeln in dem anderen Augenpaar zu erkennen.
 

„Wir haben keinen da. Eine Cola?“
 

Selbst die von Rick geliebten Getränke hatte sie nicht vorrätig. Joe musste sich einen bissigen Kommentar verkneifen und bedankte sich stattdessen schlicht. Als er kurz allein gelassen wurde, ließ er seinen Blick einmal quer durch den Raum schweifen.
 

/Wie können sich Menschen nur derart verweigern? Alles, was ihnen einmal selbst lieb und teuer gewesen war, haben sie verbannt. Doch ich glaube nicht daran, dass sie das auch tief in ihren Herzen tun konnten. Dann hätten sie Rick niemals geliebt!/
 

In Joes Körper wallte mittlerweile eine schier unbändige Wut. Er konnte das, was sich vor ihm auftat, einfach nicht begreifen. Eltern, die ihr einziges Kind ins Verderben schicken und anschließend alles ausrotten, was sie an es erinnern könnte.

Das war erbärmlich!
 

Mit einem Tablett kam Damon zurück, das er auf dem einfachen Couchtisch abstellte.
 

„Setz dich doch“, forderte er Joe auf, der bisweilen nicht einmal ansatzweise ans Setzen gedacht hatte, doch er ließ sich auf dem nicht nur unschön aussehenden, sondern auch unbequemen Sofa nieder.

„Machen wir es kurz, da dir sicher nicht nach einem harmlosen Kaffeekränzchen zumute ist: Was führt dich zu mir?“
 

Rick?

Wer sonst?
 

„Das kannst du dir denken, oder nicht?“
 

Wollte Damon andeuten, dass dem nicht so sei? Denn er schaute ein wenig fragwürdig.
 

„Dein Sohn?“, meinte Joe nun und betonte das zweite Wort so außerordentlich, dass es selbst der dümmste Mensch verstanden hätte.
 

Damon senkte für einen Moment den Blick und verleibte sich währenddessen einen Schluck klarer Flüssigkeit ein. Joe tippte beinahe schon auf weißen Rum oder dergleichen, doch es konnte sich ebenso um harmloses Mineralwasser handeln.

„Das wirst du mir niemals vergeben, da gehe ich doch Recht der Annahme?“
 

Natürlich war die Frage rein rhetorisch und dennoch konnte sich Joe darauf keine Antwort verkneifen: „Ob ich das kann, getan habe oder tun werde ist doch nicht wichtig!“

Rick ist der Entscheidende, Rick, Rick und nochmals Rick.
 

„Wie geht es Rick denn?“

Nun sah er Joe fest an. Dieser versuchte zu erwägen, ob die Erkundigung aus Zwang erfolgte oder wenigstens etwas ernsthafte Neugier innehatte.
 

Der Blonde überlegte fieberhaft, wie er Damon nahe bringen konnte, was geschehen war, ohne ihn dabei nicht mehr aus der Reserve locken zu können. Er konnte ihm wohl kaum an den Kopf werfen, dass er gepeinigt war und seit seinem Outing lange Zeitphasen des Leids durchlebt hatte. Obendrein konnte er ihm nicht mir nichts dir nichts sagen, dass sie sich liebten und er derjenige war, an den sich Rick klammerte wie ein Tier an einen Grashalm vor dem Ertrinken.

„Den Umständen entsprechend gut.“

Das hoffte er zumindest. Aber seine Mutter war bei ihm, was ihn ein wenig beruhigte.
 

„Ich verstehe bis heute nicht, wie es damals dazu kommen konnte.“
 

Joes Mund klappte weit auf. Dass Rick schwul war? Dass er sich dazu bekannt hatte? Oder meinte er doch seine Überreaktion des unwiderruflichen Rausschmisses!?
 

„Was ist daran so schlimm, eine Person gleichen Geschlechts zu lieben?“

Und wie er sich selbst an diesen Gedanken hatte gewöhnen müssen. Doch Rick war ein wunderbarer Mensch, dem einfach nur der Boden unter den Füßen weggerissen wurde, so dass er seine guten Seiten nicht über alle Maßen zeigen konnte. Aber Joe kannte seinen Freund und wusste, woran er war.
 

Minuten eisigen Schweigens vergingen, in denen man den Wind rauschen hören konnte und ein paar undefinierbare Geräusche aus der oberen Etage, in der sich vermutlich Dea aufhielt. Ricks Mutter, die beteuert hatte, dass sie alles bereue und ihm einen Brief mitgegeben hatte. Doch wo er gerade daran dachte: Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatten sie sich draußen unterhalten. Hatte Damon davon nichts mitbekommen dürfen? War er vielleicht doch da gewesen, obwohl sie es verneint hatte?

Plötzlich wurde Joe gänzlich misstrauisch. War selbst der Brief ein Teil des ihm verhassten Planes? Dass Rick freiwillig nach Luminis käme und die Entführung noch effektvoller wäre? Oder überhaupt erst die neu aufgekeimte Liebe zerstören könnte?

Ein dicker Kloß machte sich in seinem Hals breit und er räusperte sich ein paar Mal. Konnte das denn der Realität entsprechen?

Sollte er Damon nun wirklich befragen oder würde ihm ein Bär nach dem anderen aufgebunden werden?
 

„Wenn man so lange verheiratet ist wie ich, dann kann man solch eine Liebe nicht nachempfinden“, begann Damon, ehe Joe sich dazu entschließen konnte, einfach aufzustehen und wieder zu gehen.

„Ich kann sie mittlerweile…“
 

Ja, was?

Verachten? Verabscheuen? Oder gar schänden?

Um seinen Emotionen die Möglichkeit zu gewähren, einen Weg nach draußen zu finden, ließ er sein Bein unkontrolliert auf- und abwippen. In dem Kopf des Jüngeren fügten sich das Erlebte, das Gehörte und das eigen Empfundene zusammen und je mehr sie ein einziges Gebilde formten, desto mehr befürchtete er, einen großen Fehler damit begangen zu haben, her gekommen zu sein. Vielleicht sollten sie Ricks Eltern für immer meiden, jedweden Augenkontakt und jedwede Gedanken an sie.
 

„… tolerieren. Ja das ist, denke ich, das richtige Wort.“
 

„Wow…“, entfleuchte Joes Mund. Was für ein Fortschritt. Toleranz! Nachdem er ihm Alexandros an den Hals gehetzt hat?

Er sollte sich beruhigen, doch allein schon der Umstand, was aus dem einst farbenfrohen Haus gemacht wurde, ließ ihn darin verzagen. Die ganze Zeit über hatte er sich an dem Strohhalm seiner Vernunft festgehalten, an dem Glauben, dass Damon nicht der Drahtzieher war. Aber ihm schien, dass dieser Halm, den er so fest umklammert hatte, entzwei gerissen war und er nun nicht wusste, an welchem Ende er sich befand.

„Ich habe hier nichts verloren.“

Abrupt erhob sich Joe und funkelte Damon an.

„Und du sollst Rick erzogen haben? Kaum zu glauben, wenn man sich im Gegenzug die liebenswerte Person betrachtet, die dein Sohn ist. Dein Sohn – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!“
 

Nun stand auch Damon auf und hob eine Hand zur Faust geballt hoch. Die Atmosphäre konnte gespannter kaum sein und Joe wich keinen Zentimeter.
 

„Willst du gewalttätig werden?“, provozierte er ihn weiter.

Sollte er doch! Dann hatte er den Beweis, dass dieser Mann doch zu allem fähig war.
 

Die Rechte von Damon zitterte gewaltig und erste Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Seine Miene war hart und ziemlich herrisch.

„Du kommst hierher und greifst mich ununterbrochen an!“, schrie er schon fast. „Du magst hier früher ein- und ausgegangen sein, doch diese Zeiten sind vorbei! Wir leben nicht in der Vergangenheit und du hast nicht das Recht, mich derart anzufahren!“
 

„Wie Recht du doch hast. Früher hast du dich auch um Rick gekümmert!“
 

Während Damon einen Schritt auf Joe zumachte, traten die Knöchel seiner Hand weiß hervor. Er schien seine Finger mit aller Kraft in seine Handfläche hineinzudrücken.
 

„Das hätte ich auch weiterhin getan! Aber er musste ja unbedingt auf Männer stehen! Dabei hatte ich doch nur einen einzigen Wunsch…“ Zum Ende hin verebbte seine Stimme und er begann am ganzen Körper zu beben.
 

„Da gibt es andere Wege und Mittel! Die Technik und die Medizin sind sehr fortgeschritten. Aber nein, du sahst nur einen Menschen, der dir nicht das gibt, wonach du begehrst! Weißt du, wie das auf mich wirkt? Dümmlich! Gänzlich bescheuert!“
 

„Ein Wunsch…“, meinte der Ältere leise und visierte mit seinem Blick irgendeinen Punkt an der gegenüberliegenden Wand an. Doch alsbald fokussierte er wieder Joe. „Du mit deinen zweiundzwanzig Jahren glaubst, über mich urteilen zu können? Ja? An sich bist du nichts weiter als ein dahergelaufener Bengel, der nicht weiß, was das Leben schreibt! Ihr Kinder von heute denkt doch nur an euren Spaß, den ihr euch anscheinend durch Sex mit Gleichgeschlechtlichen holt!“
 

Das Maß war eindeutig überschritten. Joe schüttelte nur noch mit dem Kopf und wandte Damon den Rücken zu. Mit solch einer Art Mensch brauchte er nicht länger Konversation betreiben. Als er die Tür zum Flur erreicht hatte, hörte er einen lauten Knall. Obgleich er nicht den Drang verspürte, Ricks Vater noch einmal zu sehen, drehte er sich dennoch schon allein aus dem Affekt heraus um.

Joe traute seinen Augen nicht, denn Damon kauerte auf allen vieren und vergoss stumme Tränen. Mit einem Mal fühlte er sich vollkommen versteinert.

Als sich die erste Taubheit gelegt hatte, konnte er nicht sagen, ob der Ältere einfach nur ein verzweifelter Mann war, der zum ersten Mal sein wahres Ich erkannt hatte, oder ob das alles zu dem widerwärtigsten Spiel aller Zeiten gehörte. Unsicher näherte er sich ihm.
 

„Geh’ schon!“, rief der am Boden Liegende verzagt.
 

Damon musste schon ein guter Schauspieler sein, um derart kümmerlich zu erscheinen. Indem Joe ihm einen Arm von der Seite um die Brust legte, half er ihm auf. Der Mann in seiner unmittelbaren Gegenwart zitterte unaufhaltsam und ließ sich auf die Couch ziehen. Der Blonde war nun gänzlich verwirrt. Die Wut, reinstes Chaos in seinem Inneren und nun das. Was würden sie sich nun gegenseitig an den Kopf werfen? – Dass er für seinen Zustand verantwortlich war?
 

„Ich habe ihn einfach weggejagt, ihn aus meinem Leben gestrichen, als ob er nur ein Objekt wäre, dessen man sich ohne weiteres entledigen kann.“

Starr schaute Damon vor sich hin, die Arme resigniert auf den Beinen liegend.

„Niemals habe ich auch nur ansatzweise daran gedacht, ihn zurückzuholen oder einen Versuch zu unternehmen, mich ihm wieder zu nähern… Gerade eben…“

Mitleidserregend wandte er seinen Kopf Joe zu und hauchte kaum wahrnehmbar:

„Erst jetzt habe ich erkannt, was ich gemacht habe. Armselig, nicht wahr?“
 

Weder nickte Joe noch verneinte er die Frage. Er saß einfach nur neben ihm und versuchte das zu realisieren, was sich direkt vor ihm abspielte.
 

Unnachgiebig sprang der Uhrzeiger im Kreis. Der Zeit war es egal, was zukünftig passieren würde, Hauptsache, sie konnte wie gewohnt gleichmäßig vergehen. Ihren Lauf nehmen und alles andere für nichtig erklären.

Nur war sie für einen Menschen begrenzt. Er konnte es nicht ungeschoren hinnehmen, sie an sich vorbeiziehen zu lassen. Manchmal war jede Sekunde wertvoll. Jede noch so kleine Millisekunde, wenn es darum ging, ein Zeichen zu setzen.
 

„Hast du darum Serrat freie Hand gelassen?“
 

Damons Gesicht drückte Verständnislosigkeit aus. Das salzige Nass hatte Spuren auf seine fahlen, stoppeligen Wangen hinterlassen.

„Bitte?“
 

Fest sah Joe ihn an, verschmälerte seine Augen so weit wie möglich. Sein Misstrauen war noch immer nicht verschwunden.

„Hast du ihn deshalb auf Rick gehetzt, damit er sich eingesteht, wie widerwärtig es ist, einen Mann zu lieben?“
 

Plötzlich verhärtete sich Damons Miene wieder und er nahm wie zuvor auch Haltung an. Stramm saß er da und presste seine Lippen aufeinander.
 

Als er nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nichts erwiderte, brach in Joe eine Welt zusammen. Keine Antwort war in den meisten Fällen auch eine Antwort. Die erhoffte Gegenwehr blieb aus; kein nervöses Zucken, keine reumütige Geste, kein Schock. Nichts. Außer dieser Härte, die ihn lediglich feindselig erscheinen ließ.

Der Blonde schluckte schwer. Es war also wahr.
 


 

Obgleich die Nacht kalt war, konnte sich Rick nicht vom Fenster lösen. Die frische Luft, die sein Gesicht umspielte, nahm ihm ein wenig von der Schwere, die sich in seine Glieder geschlichen hatte. Wie gerne würde er sich jetzt umdrehen und Joe sich im Bett räkeln sehen. Nackt und nur mit einem Hauch Stoff der Bettdecke bedeckt, ihm einen kecken Blick zuwerfend. Doch sein Freund war einfach gefahren, ohne jedweden Abschied. Irgendwie verstand er das ja, aber es war der erste Tag, den er ohne ihn verbracht hatte, seit… Seit diesen verdammten Tagen in Alexandros respektive Serrats Keller.

Müde rieb er sich die Augen und schlang dann wieder beide Arme fröstelnd um seinen Körper. Die Kälte hatte ihn mittlerweile gänzlich in ihren Fängen, doch er hatte nicht vor, das Fenster zu schließen und ins Bett zu gehen, wo er niemanden vorfand. Außerdem ließ ihn ein weiterer, mürber Gedanke nicht los: Amelia. Seit Wochen hatte er nichts von ihr gehört. Und dann hatte er ihr dennoch schon wieder sein Leid aufgedrängt.
 

/Sie forderte mich auf, mich niemals der Dunkelheit hinzugeben und nicht denselben Fehler zu begehen wie sie.

Habe ich sie nun enttäuscht?/
 

Er reckte seinen Kopf gen Himmel und sog die Luft tief ein und stieß sie langsam wieder aus. Aufgrund der dichten Wolken konnte er weder Sterne noch den Mond sehen. Irgendwie hatte der Himmel dadurch ziemliche Ähnlichkeit mit seinem Befinden. Das Licht war existent, nur wurde es auf erbarmungslose Weise verdeckt.
 

Nach geraumer Zeit, als er begann seinen Körper vor lauter Eiseskälte nicht mehr zu spüren, begab er sich doch ins Bett. Tief vergrub er sein Gesicht in der Decke und versuchte jedweden Geruch von Joe, der irgendwo festhing, zu erhaschen. Er musste aufhören, sich an einen Menschen derart zu klammern, aber wider dieses Vorhabens griff er nach dem T-Shirt, das am Boden neben dem Bett lag, und legte es direkt neben seinen Kopf.
 

„Eigentlich geht es mir ja gut“, hauchte er vor sich hin.
 

/Mir wird so vieles zuteil, was andere nicht haben. Ich habe einen Freund, der zu mir steht, sich um mich kümmert und dem ich wichtig bin. Das ist doch genug… oder nicht?

Auch wenn er nicht körperlich bei mir ist, so ist er es in meinem Herzen. Und auf die Art bin ich auch bei ihm… und das weiß er.

Ich weiß genau, was er vorhat, und dennoch würde ich ihn nicht davon abhalten, selbst wenn ich es könnte. Zwar bezweifle ich, dass er neue Wahrheiten entdeckt, denn die Botschaft, die ich erhalten hatte, war genug, um davon überzeugt zu sein, dass er – mein Vater, kaum zu glauben – alles veranlasst hatte. Aber wenn er sich davon eigens überzeugen muss, dann muss er das tun. Jedweder Versuch ihn davon abzubringen würde nur bewirken, dass er aus Trotz heraus geht…

Ich habe erst vor kurzem nicht gewusst, wo er steckte… Dieses Mal ist es anders. Er hat Veronica zu mir geschickt und das beweist mir seine Aufmerksamkeit mir gegenüber./
 

Schläfrig rollte er sich zusammen.
 

Es war bereits hell, als er allmählich wieder erwachte und sogleich eine angenehme Wärmequelle wahrnahm. Doch als er die Augen aufschlug, erblickte er nicht Joe, wie er es sich erhofft hatte. Eigentlich sah er nichts weiter als das leere Zimmer wie auch in der Nacht. Aber als er die Decke zurückschlug konnte er den Ursprung der wohltuenden Wärme ausmachen. Veronica hatte ihm wohl heute Morgen eine Wärmflasche gebracht. Er fragte sich, woher sie gewusst hatte, dass er halb durchgefroren gewesen war. Und doch schlich sich seit Stunden das erste Lächeln auf sein Gesicht.

Ein wenig gerädert stand er auf und sein erster Weg war der zum Computer. Innerlich war er überhaupt nicht entspannt. Seinem Körper mochte es dank Joes Mutter gut gehen, aber das Herz konnte eine einfache Wärmflasche nicht heilen. Wie sehr er sich auch eine Mail von Amelia wünschte, er hatte keine bekommen. Zumindest nicht von ihr. Er klickte auf den dunklen Balken, der auf dem Monitor erschienen war.
 

’Hi Kleiner!’
 

Die Worte waren wie ein Messer, das sich tief in seine Brust bohrte. Er hatte sich den Absender doch angesehen und ein weiterer Blick auf die E-Mail-Adresse war wie ein Dolch, der sich regelrecht unbarmherzig in ihn hinein rammte.
 

„Das ist dreist!“, stieß er förmlich hervor.
 

Alexandros hatte es in der Tat gewagt, die Adresse von seiner Chefin zu verwenden. Lediglich das letzte ’r’ von Romee Trither hatte er weggelassen. Dieser Kerl schien seine Finger wirklich überall im Spiel zu haben. Obwohl Rick gut und gerne auf Spott und Hohn verzichten konnte, las er gezwungenermaßen weiter. Denn er ahnte schlimmes.
 

’Erzürne mich nicht noch mehr, denn bei einem weiteren Wiedersehen werde ich keine Gnade mehr walten lassen. Ich habe ohnehin viel zu wenig von dir gekostet und deine Lippen sehnen sich sicher nach meinen…’
 

Jede Silbe war wie eine Faust, die in seinen Magen gerammt wurde. Er hatte das Gefühl, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Mit zittrigen Beinen wankte er zum Bett zurück und griff in seine Hose hinein, die neben ihm auf dem Boden lag. Er wählte Joes Nummer an.
 

/Geh’ ran!/
 

„Hi Rick.“
 

Es tat so gut, Joes Stimme zu vernehmen.
 

„Geht es dir gut?“, fragte der Dunkelhaarige holprig. Die Schweißperlen, die allmählich seinen gesamten Körper verdeckten, zeugten von der Angst, die ihn befallen hatte.
 

„Ich wollte gerade weiterfahren“, erwiderte Joe.

Das war nicht die Antwort, die Rick hatte hören wollen.

„Tut mir leid, dass ich mich gestern nicht mehr bei dir gemeldet habe. Wenn ich dich damit-“
 

„Joe!!!“, schrie Rick nun ins Telefon. Seine Augen waren weit aufgerissen und in seinem Kopf herrschte nur noch ein Chaos ohne irgendeinen klaren Gedanken.

„Alexandros…“, wisperte er.
 

Am anderen Ende der Leitung war es plötzlich still. Man konnte beinahe die letzten Vögel des Jahres zwitschern hören.
 

„Ich verstehe das nicht…“
 

„Was?“, kam es verwirrt zurück.
 

Als Rick zum Flachbildschirm sah, rieb er sich die Schläfen.

„Weshalb er mich warnt.“
 

„Ich bin bald da“, meinte Joe sanft.
 

„Pass auf dich auf.“

Mehr brachte Rick nicht mehr hervor. Er war vollkommen irritiert.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  inulin
2007-05-26T08:13:04+00:00 26.05.2007 10:13
*heul*
Ich hab dir gestern so nen schönen langen Komi geschrieben und dann verreckt mir das Internet.
Mal schauen ob ichihn noch so weit zusammenbekomme... *denk*

Erstmal möcht ich m ich beschweren. Du machst das mit Absicht, oder? Ich hatte mich schon so darauf gefreut, dass es Rick langsam wieder besser geth und dann haust da so nen Dingen bei raus.
Warum meldet sich Alexandros denn jez schon wieder? Was bezweckt er damit?
Lass Joe bitte heile nachhause kommen.

Also das Verhalten Ricks Vater verwirrt mich zunehmend. Erst scheint er wirklich überrascht über Joes Besuch, aber auf der anderen Seite weiß er ganz genau was er angerichtet hat, als Joe ihn darauf anspricht.
Der Mann is wirklich seltsam.

Und wenn Joe widererwarten doch was passiert... les ich nicht mehr weiter. *trotz*
Haste davon. XD

Hmm... *nach oben schiel*
Es kommt dem gestrigen Kommi recht nah...
Bis denn *winke*


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