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Kälte

Autor:  YamatoIshida

Eine kurze Sekunde, ein kleiner Rumpler, ein zerbrochenes Schicksal. Ich drehe mich um, sehe ihn neben der Straße liegen, die Hinterläufe nutzlos geworden, die Augen ängstlich, fragend, anklagend.
Der Mann steigt aus: „Er ist mir einfach rein gelaufen, da konnte ich nichts tun.“ und wendet sich ab.
Ich löse mich aus meiner Erstarrung: „Und, was wollen sie jetzt machen?“
Er nickt in Richtung des Katers, als sei er nicht mehr als ein kleines Insekt: „Dem ist doch eh nicht mehr zu helfen.“
Und endlich, endlich erwacht in mir die nachdrückliche Stimme, die von nun an mein Handeln bestimmt: „Sie können den armen Kerl nicht einfach liegen lassen, bevor er sich quält sollte er eingeschläfert werden!“
„Meine Kinder müssen zur Schule, ich hab keine Zeit!“ Zeit, ja Zeit wollte er wohl auch sparen als er in der 30-er Zone 50 fuhr.
„Mir auch scheißegal was sie jetzt machen – ich fahr ihn zum Tierarzt!“, knurre ich und versuche das Tier einzufangen. Er zieht sich auf den Vorderläufen weiter, wehrt sich verbissen, ein Sträuner, ein Kämpfer, stark und stattlich mit rötlich getigertem Fell. Doch schließlich halte ich ihn, seine Zähne in meiner Jacke, sein aufgeregtes Herz nah an meinem. Meine Nachbarin war plötzlich neben mir: „Ich fahr dich zum Tierarzt!“ Der Mann ist längst weg.
Auf der Fahrt röchelt er, versucht zu begreifen. Seine Blick triff blickt meinen, verletzt, ungläubig, fragend: „Wieso das alles?“ – „Wenn ich das wüsste mein Kleiner, wenn ich es nur wüsste.“
Der Mann untersucht ihn routiniert, stellt sofort fest, dass nichts mehr zu machen ist. Überrascht bin ich von dieser Prognose nicht. Er verreicht ihm eine Narkose er wird ruhiger, ich kann nur neben ihm stehen und sein Fell streicheln. Mit meiner Untätigkeit kommen die Tränen. Ich kenne diesen Kater nicht, sehe ihn zum ersten Mal. Vielleicht ist es nicht einmal seinen Tod, den ich beweine, sondern diese schreckliche Unsinnigkeit, die sich dahinter verbirgt. Er bäumt sich noch einmal auf, bevor er einschläft und ich bin beinahe stolz auf ihn – ein Kämpfer bis zum Schluss.
Der Mann sieht mich fragend an: „Ich gebe ihm die Spritze, wollen sie dabei bleiben?“ „Ja“, antworte ich, er traut es mir wohl nicht zu, hält mich für eine Heulsuse. Es sind nur meine Augen, denen das Ganze so Nahe geht, mein Inneres ist ruhig. Verstehe was vorgeht und eine trotzdem - Tränen genau so sinnlos wie der Tod des Kleinen.
Schließlich dürfen wir ihn mitnehmen, in einer Kiste. Wir fahren nach Hause, ich packe meine Sachen und laufe zur Schule. Du hattest nicht mal einen Namen mein Kleiner, ich werde dich Sträuner nennen, denn deine Freiheit hast du bis zum Schluss nicht aufgegeben.

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Die Geschichte ist wahr und geschah mir vor einer Woche, als ich morgens zur Schule lief. Der kleine Sträuner ist längst begraben ... der Mann fährt jedoch immer noch 50 in unserer 30er Zone. Ich habe selbst eine katze und sollte sie diesen unsinnigen Tod sterben, werde ich nicht so ruhig bleiben ...




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