Erkenntnis - oder: Das Telefonbuch kennt die ganze Wahrheit!
Inspirierende Musik bei diesem Teil: "Join me" by Him und die "Never Ending Story Theme" aus dem Film ^.~ Und ab und zu auch "Heavy on my heart" by Anastacia
Erkenntnis - oder: Das Telefonbuch kennt die ganze Wahrheit!
Es ist jeden Morgen der selbe Standart: Durch die große Glastür gehen, direkt in der kleinen Vorhalle rechts anhalten, einen Blick auf den Vertretungsplan werfen und feststellen, dass sich für heute wirklich rein gar nichts geändert hat, dann weiter ins Foyer und auf der anderen Seite hinaus auf den großen Schulhof.
Okay, nach draußen gehe ich sonst nicht, aber Mittwochs habe ich erst um zehn Schule, also genau zur großen Hofpause.
Ich steure auf die Bänke zu, an denen sich unsere Clique regelmäßig zusammenfindet.
Jonouchi entdeckt mich schon von Weitem und ich sehe geradezu sein überdimensionales Grinsen.
Oh man, ich kann mich schon mal darauf gefasst machen, wie jemand vom Informationsbüro behandelt zu werden. Aber na gut... Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin... ich brauche jetzt jemanden, mit dem ich über gestern sprechen kann! Ich muss diese Ereignisse und die neue Hoffnung jetzt aus mir heraus lassen und brauche Jou, der sich mit für mich freut!
Ich meine... Ich war bei ihm zu Hause!! Zwar durch einen blöden Zufall.. aber wohl der erste Schüler unserer Schule in seiner Wohnung! ... Ob er mich wohl besonders mag..?
Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt - ich sollte solche Höhenflüge wirklich unterlassen!
"Ohayo, Yugi-kun!", lächelt mir Anzu fröhlich zu und umarmt mich - wie bei jeder Begrüßung. "Hey Anzu, alles klar?", antworte ich ihr fröhlich und erwidere auch ihre Umarmung. "Jaa! Bei dir scheinbar auch? Mit so guter Laune hat man dich ja schon ewig nicht mehr angetroffen!"
Auch Honda und Jonouchi sind mittlerweile von der Bank aufgestanden und ich begrüße sie wie früher mit Handschlag.
Uhm, es ist wirklich schon ein paar Wochen her, dass ich so offen zu meinen Freunden war..
Ich schäme mich gerade beinahe... Ich habe sie immer nur oberflächlich gegrüßt und wenn sie mich ansprachen auch nur wortkarg reagiert.
Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, mein Geheimnis vor ihnen zu wahren.
Na ja... Geheimnis.. Ich musste selbst erst ein mal mit diesen merkwürdigen Gefühlen fertig werden..... und sie... versuchen zu ignorieren.
Ich dachte wirklich, sie würden irgendwann von allein verschwinden!
Aber Jou und Honda hatten wohl recht... diese Schmetterlinge zerfressen einen von innen, wenn man sie nicht freilässt! Und sie verfliegen nicht von allein - zumindest nicht, solange man das ,Objekt' des Auslösers regelmäßig sieht und einfach völlig von ihm umgeben ist..
"Morgen Alter! Mensch, hast duuus gut! Wir sind schon seit 8 Uhr hier..", jammert mein bester Freund und ich lächele verlegen. Dieser Satz ist Mittwochs bei ihm auch schon Standart, er beneidet mich jede Woche wieder aufs Neue.
Ich kichere nur leise.
Wieso eigentlich? Wo kommt bloß diese Leichtigkeit her?? Ich kann wirklich nicht leugnen gut drauf zu sein! Ich tue ja vor mir selbst schon so, als wäre ich schon fest mit Athem zusammen!!
Dabei hat sich rein gar nichts an meinen Problemen geändert... Er ist noch immer mein unerreichbarer Lehrer und in festen Händen. Aber na gut, noch habe ich Kacy nicht getroffen - wie heißt es so schön? - Unwissenheit macht glücklich.
"Mir geht es auch gut", bestätige ich und setze mich zwischen Jou und Anzu auf die Hofbank.
Jonouchis Augen blitzen wissend auf und er kneift mir verschwörerisch in die Seite.
"Hee, lass das!", ermahne ich ihn Spaß-halber und werde auch schon von Anzu in ein Gespräch über weiße Mäuse gezogen. Sie möchte sich ja unbedingt welche zulegen.
Ich persönlich habe zwar nichts gegen diese Tiere, würde sie aber nie als Haustiere haben wollen - die rennen doch nur herum und sind unnahbar! Ein Haustier muss schon etwas zum streicheln und beschäftigen sein! Wie etwa eine Katze oder ein Hund... die legen sich auf deinen Schoß und lassen sich wenigstens kuscheln! Solange man es nicht übertreibt...
Ich hätte ja am liebsten einen Hund... Aber Großvater ist auf Hundehaare allergisch.. Außerdem verbreitet er - seiner Meinung nach - nur Dreck und Unordnung im Haus. Aber darüber kann man doch hinweg sehen... beziehungsweise es aufwischen.
Die beiden neben mir philosophieren über ein PC Spiel, welches neu auf dem Markt ist.
Sie wissen, dass wir nicht über diese Sache reden, wenn Anzu dabei ist. Nicht, dass wir sie ausschließen wollen,... aber wir halten es für Männersache und wollen Anzu nicht weiter irritieren. Außerdem... habe ich manchmal so das Gefühl, als ob sie... mehr für mich empfinden würde. Aber vielleicht ist das auch nur Einbildung, ich vergleiche ihre Freundschaft wohl zu sehr mit der von Jou und Honda - wir Jungs gehen nun einmal etwas anders miteinander um - bei Mädchen läuft ja generell alles viel mehr auf gefühlsbezogener Ebene, also interpretiere ich sicher zu viel hinein!
Die Glocke schellt und kündigt somit das Pausenende an. Ich packe meine Wasserflasche wieder ein, aus der ich gerade einen großen Schluck genommen habe und schlendere mit den anderen über den Hof zurück.
Dabei zieht mich Jonouchi wie erwartet nach hinten und lässt Anzu mit Honda schon mal vorgehen.
"Sooo, endlich! Jetzt erzähl schon, Kumpel! Was ist hier gestern abgelaufen? Du strahlst so, als hättest du ihn geküsst!", grinst mir der kesse Blonde ins Gesicht.
Na davon bin ich aber noch meilenweit entfernt...
"Nicht.. wirklich..", stottere ich verlegen und seufze. "Aber wenn du es genau wissen willst... Hier ist gestern rein gar nichts passiert...", flüstere ich weiter.
Auf seinen irritierten Blick hin, muss ich grinsen. Ein Glück haben wir jetzt zusammen Doppelstunde Erdkunde, also viel Zeit zum Besprechen - und - oh Gott, wie konnte ich das vergessen??! Das heißt außerdem, Herr Athems Prüfung in Informatik beginnt in fünf Minuten!! Ich muss ihm die Daumen drücken! Und an ihn denken - wobei das tu ich sowieso schon immer...
Wir werfen den anderen beiden im Treppenhaus noch schnell ein "Bis später!" zu, ehe wir im ersten Stock Richtung Erdkunderaum abbiegen und Honda und Anzu weiter nach oben gehen. Honda hat Englisch und Anzu glaube ich Musik, es ist wahrlich ein Wunder, wie gut ich die Stundenpläne meiner Freunde auswendig kann. Nur bei meinem eigenen muss ich oft überlegen.
Wir stellen uns ein Stück abseits, bis zum zweiten Klingeln und Stundenbeginn sind noch 3 Minuten über, also noch Zeit, bis der Lehrer kommt.
Schon etwas nervös und aufgeregt erzähle ich Jou den gestrigen Nachmittag in Kurzfassung.
Lasse jedoch gezielt meinen kleinen Plan aus und erwähne nichts von den Physikunterlagen von ihm, die ich schon jetzt im Rucksack mit mir herumschleppe.
Ich möchte das alleine durchziehen.. und wenn ich jetzt noch groß drüber rede, holt mich mein schlechtes Gewissen weiter ein, als ich es eh schon habe.
Jonouchi pfeift nach meiner Schilderung leise durch die Zähne.
"Alle Achtung..", dann stößt er sich von der Wand ab, an der wir gelehnt hatten, "mein bester, aber soo stiller und schüchterner Freund gräbt seinen Lehrer so weit an, bis er ihn zu sich nach Hause einlädt. Holla, Gratuliere!"
"Jou!!", fahre ich ihn errötend an, "ich hab dir doch genau erklärt, dass es anders war!"
"Ich weiß, ich weiß..", grinst er und wuschelt mir durch das üppige Haar, "war ja auch nur ein Spaß... Trotzdem freut mich das für dich! Und du sagst, wir müssen ihm jetzt die Daumen drücken?" "Genau, er hat jetzt Prüfung! Oh man, wie gern ich jetzt in diesem Informatikkurs wäre.." "In der 11? Na ich weiß nicht.. Ich bin schon froh, dass wir in 6 Monaten die Schule hinter uns haben!"
Und genau jetzt klingelt es auch das zweite Mal. Die dritte Stunde beginnt - oder eher für mich die Erste heute.
Da Jou noch Fragen zu haben scheint, habe ich ein Blatt geopfert und wir spielen das wohl unter Schülern berühmteste Zettelchen-schieben-Spiel. Oder einfach Schreibgespräch. Immerhin sitzen wir genau nebeneinander!
Nachdem er wissen wollte, wo er genau wohnt und wie seine Wohnung so aussieht - denn das hatte ich eben vergessen zu beschreiben - kommt die Frage, wie er denn nun eigentlich mit Vornamen heißt.
Ich schüttele als Antwort nur enttäuscht den Kopf und überlege einen Moment, was ich zurück schreiben soll.
Schließlich kommt ein spontanes "Das wüsste ich selbst nur zuuu gern.." aus meiner Kulimiene und schiebe ihm das Blatt wieder zu.
Jou sieht mich verständnislos an. Dann kritzelt er etwas und legt mir den Zettel unterm Tisch auf den Schoß. Dieses Mal geöffnet und in besonders großer Schrift fällt es mir wie Schuppen von den Augen:
"Wofür gibt es Telefonbücher?"
Oh verdammt, JA!! Ich habe doch seine Adresse!! Scheiße, ich will nachschlagen! Aber sofort!!
Warum bin ich da selbst noch nicht drauf gekommen? Ich hätte gestern Abend sofort zu Hause nachsehen können! Ich könnte seinen Namen jetzt schon wissen!! Von Sekunde zu Sekunde werde ich immer unruhiger, Neugier und Aufregung packt mich.
Und dann habe ich auch noch insgesamt 6 Stunden heute! Bis ich das in Erfahrung bringe, kann es dauern.. Gott, bin ich doooof!!
Jou scheint genau diese Gedanken lesen zu können, denn er beobachtet mich mit einem amüsierten Blick.
Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten, dass die Stunden umgehen... und Herrn Athem natürlich die Daumen zu drücken!!
Es dauert scheinbar eeendlos, bis diese Erdkundestunden um sind und ich meine Daumen wieder loslassen kann. Ich wünsche ihm sehr, dass er gut abgeschnitten hat... er ist ja im Grunde ein wirklich guter Lehrer. Und hoffentlich hat er meine Kritik von neulich befolgt und den Schülern mehr Freiheit zum "Atmen" gelassen, statt sie mit Arbeitsblättern und Stillarbeit zu überschütten. Dann dürfte nicht viel schief gegangen sein!
Trotz allem suche ich ihn gegen Ende der zweiten Pause am Lehrerzimmer auf. Er müsste das Ergebnis bereits am Ende der vierten Stunde erhalten haben.
Ich weiß nicht, ob es nicht etwas zu aufdringlich aussieht, wenn ich ihn jetzt belagere und ausfrage, wie es gelaufen ist. Aber ich möchte es doch einfach wissen - und einfach nett sein! Immerhin hat er gestern auch so viel mit mir gesprochen... hoffe nur, ich verhalte mich nicht zu offensichtlich..
Ich seufze noch ein Mal, dann klopfe ich an die Holztür.
Es dauert einige Zeit, bis ein älterer Mann mit grauen Haaren und ebenso farbigem Pulli öffnet und mich fragend ansieht. Ich glaube den Typ kenne ich, dass ist doch ein Musiklehrer - ich habe ja dieses Fach schon länger nicht mehr.
"Ähm... Guten Tag!", grüße ich hektisch. "Zu wem möchtest du?", gibt er monoton von sich - es ist wohl immer das Gleiche mit den Schülern..
"Zu... zu Herrn Athem!", ich schlucke, irgendwie schüchtert der Alte mich ein.
"Athem?? Kenn ich nicht!", raunt er und sieht mich genervt an. "Gehört nicht zum Kollegium!" Aufgeregt trete ich auf der Stelle hin und her: "D-doch! Also er ist Referendar! Und schon etwas länger hier..." "Achsooo, sag das doch! Diese Neulinge nehme ich doch gar nicht richtig wahr.. Die meisten gehen eh wieder, kurz nachdem sie gekommen sind... Ich schau mal, ob der da ist..", krächzt mein Gegenüber und ich nicke ihm dankend zu. Komischer Kauz..
Ich kippe beinahe, wie man es aus jedem Manga kennt, um, als ich Herrn Nakamura gegenüber stehe.
Interessiert schiebt der junge Mann seine Brille nach oben und mustert mich genau. Ich kann nicht verhindern, wegen dieser blöden Situation rot anlaufen zu müssen!! Dieser gestörte Musiklehrer!!
"Entschuldigung... Ich meinte eigentlich den anderen Referendaren.. Herrn Athem!" "AAhh, der Herr Kollege! Na der hat doch heute Prüfung!" "Aber doch jetzt nicht mehr..?", vergewissere ich mich. "Nein, aber die Nachbesprechung dauert doch! Ich habe das auch schon hinter mir - er wird sich nun einiges anhören müssen!" Schwingt da etwa Schadenfreude in seiner Stimme mit? Konkurrenz der beiden Refs, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben..? Ich muss Athem bei Gelegenheit mal fragen...
"Achso... Jedenfalls Danke! Auf wieder sehen Herr Nakamura!" "Ja, gern geschehen", lächelt er zurück und entschwindet dann wieder den tiefen Weiten des Reichs der Professoren und Lehrer.
Auch die letzten beiden Stunden Kunst wollen heute so gaaar nicht umgehen!! Ich bin schon beinahe vor Neugierde und Aufregung gestorben, als es endlich zum Schulschluss für mich läutet.
Ich renne gerade so zur Bahnhaltestelle und komme auf die Sekunde pünktlich an und quetsche mich durch die vollen Türen.
Natürlich wäre die nächste Bahn bereits in 10 Minuten gekommen, aber ich muss endlich nach Hause und in dieses verblödete Telefonbuch einsehen!
Ich stürme die Strasse entlang nach Hause, rufe meinem Großvater von oben einen flüchtigen Gruß in den Laden hinunter und krame dann in einer der Schubladen im Wohnzimmer nach dem besagten Buch - ich weiß, dass wir ein Großes haben, es umfasst nicht nur den Bereich Domino, sondern auch die Städte in unmittelbarer Umgebung.
Schnell habe ich die Ortschaft Sanjo aufgeschlagen und blättere die Nachnamen mit A durch.
Innerlich bete ich, dass er nicht erst unmittelbar vor Schuljahresbeginn hergezogen ist - unsere Ausgabe ist zwei Jahre alt! Oder was, wenn er gar nicht eingeschrieben ist? Man kann ja auch den Eintrag ablehnen..
"Ata... Ate...", gibt es denn hier keinen mit TH?? Mit vor Aufregung feuchten Fingern schlage ich die nächste Seite um. Jetzt muss er jede Zeile auftauchen!!
ATHEM! Daaaa steht es! Fettgedruckt!
Schnell kontrolliere ich, ob darunter nicht noch jemand den selben Namen trägt, um Verwechselungen auszuschließen. Nein, es gibt in ganz Sanjo nur einen.... mit Vornamen... Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln, ein wirklich schöner Name, wenn auch mit dunkler Bedeutung.
Athem, Yami
Selig lächele ich vor mich hin, endlich, endlich kenne ich seinen vollen Namen!!
Doch viel zu schnell verstummt meine Freude wieder, mein Herz hämmert wie verrückt und mir wird am ganzen Körper so kalt.
Ich sehe mir die Stelle erneut an, lese wieder und wieder die selbe Zeile...
Nein, nein, nein.. Das... das ist nicht möglich! Das steht da nicht! Ein Druckfehler! Ein schrecklicher Irrtum!
Was soll das??
Denn hinter seinem Namen geht die Schrift noch weiter.. ich habe es auf den ersten Blick nicht erfasst, da der Rest nicht dick- sondern normal gedruckt steht:
Athem, Yami und Mirai
Erschrocken kontrolliere ich seine Adresse. Alles stimmt, soweit ich mich in diesem aufgewühlten Moment richtig erinnere... Jaa, Hausnummer 72 war es zumindest, da bin ich mir wirklich sicher...
Mirai?? Mirai Athem?? Er wohnt dort nicht alleine??
Selber Nachname? Seine Frau?? Ich dachte -
Kacy!!
Mein Gehirn lässt einfach nur bruchteilhafte Informationen zu, einzelne Schlagwörter hageln auf mich ein.
Oh Gott, oh Gott... Das ist zu viel für mich... einfach zu viel..
Mit einem schweren Schluchzer lasse ich mich zu Boden sinken. Ich hätte meine Finger von ihm lassen sollen... von Anfang an!
Der Schmerz zuckt mir mitten durchs Herz, ich kann es kaum noch klopfen spüren, als wäre es zerlegt in viele kleine Scherben - zuerst diese Freude über diesen wunderschönen Namen, mein Herz wuchs, vergrößerte sich und dann... dann muss ich erkennen, dass er nicht nur eine Freundin, sogar auch eine Frau hat!!
Wer weiß, wie viele Frauen der noch hat?? Oder gar Männer? Bei seinem Aussehen kann er sich doch jeden Tag jemand anders anlachen, man muss diesem Kerl doch einfach verfallen!
Er nutzt seine Ausstrahlung und sein perfektes Wesen beinahe schamlos aus!
Wahrscheinlich ist er jede Nacht, bevor er uns morgens früh unterrichtet, als sei nie etwas gewesen, mit einer anderen im Bett gewesen... Deshalb frühstückt er auch morgens wohl nicht, wie er mal sagte! Alles passt zusammen!
Mein Lehrer ist obendrein also auch noch eine männliche Schlampe!
Ich wimmere und immer mehr Tränen strömen hervor. Es tut einfach so weh! So unendlich weh! Diese Enttäuschung... Und in genau so einen musste ich mich natürlich verlieben!
Und das auch noch die erste Liebe... wirklich toll, Yugi!
Ich schleudere das Telefonbuch in die nächstbeste Ecke und stürme tränenüberströmt hoch in mein Zimmer und knalle mich aufs Bett. Ziehe das Kissen heran und heule hinein.
Vermaledeite Hoffnung!! Zum Teufel mit dem Tag gestern!
Mit einer einzigen Freundin an seiner Seite war ich ja noch bereit, den Kampf aufzunehmen.. Das wäre zwar schrecklich unvernünftig, aber ich war soweit!! Nach viel Überredungs- und Überzeugungskünsten von Jonouchi und meiner inneren Stimme.
Aber von einem, für den ich wie ein One Night Stand bin, will ich mich fern halten!!
Fest presse ich mich weiter ins Kissen, schluchze mich aus.
Weine so lange, bis keine Tränen mehr kommen und ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe.
Als der erste Schock verdaut ist, liege ich noch eine ganze Weile still und atme einfach tief durch.
Es war ja klar, dass das mit Kacy noch nicht alles war..
An so einen Kerl zu geraten kann auch nur mir passieren!!
Ich sollte langsam echt akzeptieren, dass ich kein Glück im Leben haben kann.... Nur wieder ein weiterer Grund, meine unsichtbare Schutzmauer um mich herum um eine Lage zu verbreitern...
Okay, nachdem mich Kacy letztendlich doch nicht aufgehalten hat, tue ich es jetzt halt selbst.
Ich muss mich nur ablenken... irgendwie... Ich werde mich irgendwann schon in wen anders verlieben. Vielleicht klappt es ja, wenn ich besonders viel Zeit mit Anzu verbringe? Ich denke doch mal, dass sie sich freuen würde... Sie macht ja ab und zu schon die ein oder andere Andeutung - vielleicht kann ich mich selbst dazu bringen, meine Gefühle auf Anzu umzulenken? Hey, ich kenne sie schon aus dem Sandkasten! Sie hat wirklich ein gutes Herz, ist immer für mich da und ich kenne ihre Geschichte - im Gegensatz zu... nennen wir ihn - der Kürze wegen - Yami. Und Anzu ist wirklich hübsch, sie hat auch ihre Verehrer, aus denen sie sich jedoch nichts macht.... weil sie an mir interessiert ist...
Endlich hätte ich mal Glück und wir wären sicher das perfekte Pärchen!
******
Aufgewühlt sitze ich in der U-Bahn, trommele mit den Fingern auf den leeren Platz rechts neben mir. Wie immer, wenn es möglich ist, sitze ich am Fenster.
Ich habe trotzig diese Physikunterlagen von meiner ehemaligen Liebe aus meinem Schulrucksack genommen und in meine graue Umhängetasche gestopft. Ich wechsele mich mit den beiden Taschen immer ab, wenn es viel zu tragen gibt, nehme ich lieber den Rucksack, ehe ich alles nur auf eine Seite laste. Doch für diese kurze Tour nehme ich halt die andere Tasche, da sie mir auch eigentlich besser gefällt. Sie macht... erwachsener, als so ein Rucksack, den sogar Grundschüler tragen. Und dank meinem Körper bin ich auf jedes Detail, dass mich älter aussehen lässt, wirklich angewiesen. Klein, schmächtig und blass - dabei bin ich doch so oft es geht draußen in der Sonne!
Endlich, nach drei Mal umsteigen komme ich an der richtigen Strasse in Sanjo an. Zumindest denke ich, ich bin richtig - wenn mich der Stadtplan vorhin nicht auch noch belogen hat. Ich bin dieses Mal eine andere Strecke gefahren als gestern auf dem Heimweg, da ich vermute, dass ich per U-Bahn schneller voran komme.
Ich muss mich zuerst zurecht finden, verlaufe mich sogar einmal in einer falschen Straße, immerhin komme ich heute aus der anderen Richtung, ehe ich endlich das Haus von gestern wieder erkenne. Hierin liegt die Wohnung von Herrn Athem.
Ich kann meinen eigenen Puls pochen spüren und mein Magen wird ganz flau, als ich auf den Eingang zuschleiche.
Ich bin gekommen, um ihm seine Unterlagen zurück zu bringen, da ich ihn ja heute in der Schule nicht mehr erreicht habe.
Doch mein Plan hat sich geändert. Ich nutze sie nicht mehr als Eintrittskarte in seine Wohnung - selbst wenn er es mir anbieten wird, ich lehne ab.
Ich bin vielmehr gekommen, statt ihm die Notizen morgen in der Schule in die Hand zu drücken, um mich persönlich von ihm zu verabschieden.
Also nicht offiziell mit Abschiedsworten, denn dann würde er mich ja mehr als nur blöd anstarren, sondern nur innerlich für mich... Ihm ein letztes Mal nahe zu sein, um dann innerlich auf Abstand zu gehen. Will meinen Plan doch im weitesten Sinne doch noch durchgeführt haben.
Ich gebe auf, auch wenn ich ihn haben könnte... aber nicht so.. Man nenne mich naiv oder altmodisch.. Aber meine erste Liebe und vielleicht auch mein erstes Mal möchte ich schon mit einer lang andauernden Beziehung erleben..
Ich lasse die Schultern hängen und drücke missmutig auf den richtigen Knopf am Klingelbrett. Nun ist klar, wieso nur der Nachname dort zu lesen ist..
Tief atme ich durch - verdammt, ich bin trotz allem so verdammt nervös! Habe... Angst vor ihm.. Angst, ihm in die Augen zu sehen.. in diese Rubine, in die schon soo viele andere geblickt haben.
Die Tür summt, mir wurde aufgedrückt.
Yugi, fass dir ein Herz!
Ich steige ganz langsam hinauf, nehme beinahe schon jede Stufe einzeln. Ich will ihm irgendwie gar nicht mehr gegenüber stehen.. Ich sehe ihn plötzlich mit ganz anderen Augen! Es ist ein merkwürdiges Gefühl, plötzlich mehr zu wissen als vorher... nicht mehr so blind zu sein. Das lässt Athem plötzlich in einem ganz anderen Licht stehen - und mal wieder stellt sich heraus: Unwissenheit macht glücklich.
Als ich beinahe im ersten Stockwerk angekommen bin, erkenne schon von hier unten, dass seine Wohnungstür offen steht. Und ich sehe Schuhe, aber sie sind seitlich? Also lehnt er quer im Türrahmen?
Ich steige die letzten Stufen hinauf und schließe für eine Sekunde die Augen, mache mir noch ein letztes Mal selbst Mut und lege mir die Worte zurecht.
Ich will hiernach nie, nie wieder herkommen!
Ich hebe den Kopf - und mein Mund bleibt zunächst vor Überraschung offen stehen.
Wie erstarrt bleibe ich in einiger Entfernung auf dem Flur stehen.
Meine Augen können sich nicht von der Person, die lässig im Türrahmen lehnt, lösen.
Dunkelblaue Stoffturnschuhe, mit weißen Schnürsenkeln, einer fast gleichfarbigen Jogginghose, an der seitlich das gesamte Bein hinab ein dünner, weißer Streifen haftet und ein langärmliges, beige-violett farbiges Batikshirt.
Doch vor mir steht eine Frau, ihre Hautfarbe genauso hellbraun wie.. Yamis, ihr Gesicht mir zugewandt und mit stechend grünen Augen.
Ihre eher kurzen Haare stehen wahrscheinlich mit Hilfe von Haarspray in alle Himmelsrichtungen ab und ein weißes Schweißband ziert ihre Stirn.
"Oh, Hallo", entkommt es ihr und ist sicher genauso überrascht wie ich. "Wer bist denn du?"
Ich mag es eigentlich nicht, von Fremden geduzt zu werden, denn dann glaube ich immer, man hält mich für um die vierzehn, aber darüber kann und will ich gerade nicht weiter nachdenken.
Denn durch meinen Kopf rasen andere Informationen und Fragen; innerhalb von Bruchteilen von Sekunden muss ich mich entscheiden, wie ich mich verhalte und was ich sagen soll!
Ist das Mirai Athem? Sie scheint hier zu wohnen! Wo war sie gestern?? Ob Yami zu sprechen ist?? Oder habe ich sie bei etwas gestört??
Nein! Außerdem trägt sie Sportkleidung! Sie war sicher irgendwas trainieren!
"Guten Tag... Frau.. ähm.. Athem? Ich... ähh.... Bin Yugi Mutou...", krächze ich mit vor Anspannung ausgetrocknetem Mund. Schnell befeuchte ich meine Lippen wieder, versuche zu schlucken.
"Ja, die bin ich", entkommt es ihr fragend.
Genau in dem Moment schießt etwas großes, graues hinter Mirais Beinen hervor und stürmt kläffend auf mich zu.
Ein Hund!!
Freudig springt das Tier an mir hoch, hechelt mit der Zunge und wedelt voller Freude mit dem überaus buschigem Schwanz.
Überhaupt ist sein Fell eher länger, zwar keine richtige Langhaarrasse, wie etwa diese Yorkshire Terrier, die meine Oma hat, aber dafür ist er ja hier auch viel zu groß. Aber dennoch perfekt groß, so müssen Hunde für mich sein, nicht so klein wie ein Dackel, dass man sich schon bücken muss und auch nicht übermäßig groß wie eine Dogge, dass man schon keinen Hund mehr hat sondern eher ein Kalb.
"Neeeiiin! Du verrücktes Tier! Du sollst doch nicht springen! Komm hier her! Hier hin!", Mirai stößt sich von der Tür ab und zeigt energisch mit dem Zeigefinger zu ihren Füßen.
"Du dicke Nudel! Aus jetzt, Mädchen!", ärgert sich die Rothaarige, als ihr Hund einfach nicht reagiert und stattdessen meine Hand abschleckt.
Sie? Eine wirklich schöne Hündin! Ich ringe mir ein flüchtiges Lächeln ab und schrubble ihr an Hals und Schultern. Ihr Fell ist hauptsächlich weiß, wird aber von vielen, einzelnen silbernen Haaren durchzogen, fast wie bei einem Apfelschimmel.
Dazu pranken einige große, schwarze Flecken auf ihrem Körper und ihr rechtes der Ohren, dessen Spitzen eingeknickt sind, ist schwarz - das andere silber.
Außerdem leuchten mich zwei eisblaue Augen an, genau wie bei einem Husky! Aber sie ist zu klein dafür und ist eindeutig kein solcher. Aber ich kann ihre Rasse auch so nicht bestimmen.. wahrscheinlich ein Mischling? Ob einer der Eltern ein Husky war?
"Hier her!", befiehlt Mirai noch einmal und endlich gehorcht das Tier und lässt von mir ab. "Und sitz!", fordert die Frau und die Hündin gehorcht.
"Entschuldige bitte, sie ist immer ganz aus dem Häuschen, wenn Besuch kommt", dabei verdreht Mirai theatralisch die Augen.
"Schon gut, sie tut ja nichts", beschwichtige ich. "Doch, sie ist ungehorsam! Ich muss ihr dringend mal die Flausen austreiben, Yami geht viel zu lasch mit ihr um.."
Achja.... Yami... um ein Haar hätte ich vergessen, warum ich überhaupt gekommen bin - oder es eher verdrängt.
"Ich wollte fragen.. ob.. jaa... Ist Herr Athem da?"
Die Frau bückt sich leicht und streicht ihrer Hündin beruhigend den Kopf. "Yami? Nein..", sie lächelt mich entschuldigend an, "achso.. du bist einer seiner Schüler, nehme ich an? Nein, der hat doch Mittwochnachmittags seine Schulungskurse. Da geht er doch mehrmals die Woche hin. Wenn du ihn etwas fragen möchtest, musst du das leider morgen in der Schule tun, das kann heute spät werden."
Ich schlucke nervös, war eigentlich mit ziemlich großer Sicherheit - und wie sich jetzt herausstellt, zu große - davon ausgegangen, dass er zu Hause sein würde!
Mein Herz rutscht mir gerade zusätzlich in die Hose. Heute hat er Schulung?? Oh Scheiße, ich habe doch seine Unterlagen mitgenommen! Die gehörten doch sicher dazu! Er hätte sie heute gebraucht!! Was, wenn er sie vorher noch zu Hause gesucht hat..? Und ich bin schuld!
Soll ich sie jetzt seiner Frau geben? Sie aus dem Nichts wieder auftauchen lassen? Für wie blöd muss diese Mirai mich dann halten?? Sie wird mich sicher vor Yami schlecht machen, wenn sie ihm am Abend die Unterlagen weiterreicht..
Ich... mir... könnte es doch eigentlich egal sein, ob die beiden mich für einen Idioten halten, der nicht merkt, welche Zettel er einsteckt...
"Achso... ohh... danke..", presse ich hervor, fixiere dabei die schönen, blauen Augen der Hündin. Ich kämpfe mit mir selbst. Soll ich die Unterlagen Mirai geben oder für immer von der Bildfläche verschwinden lassen?? Wenn Herr Athem sie heute gebraucht hätte, hat er sie sich sicher von wem anders neu abgeschrieben.. Ich... oh verdammt, was mache ich nur??
Ich will diese Aufzeichnungen los werden, sie erinnern mich nur an ihn! Ich muss ihn vergessen!
"Frau Athem.. Ich wollte da noch..", ich breche ab, atme tief durch.
"Jaa? Aber bitte beeil dich, ich wollte gerade unter die Dusche, ich war mit dem Hund unterwegs." Dieser liegt mittlerweile hechelnd zu ihren Füßen.
"A-ach... Ich frage ihren Mann das lieber morgen selbst! Ich.. muss meinen Bus kriegen! Auf wieder sehen!" Ich verbeuge mich schnell höflich, ehe ich in Windeseile auf dem Absatz kehrt mache und hinunterstürme.
Ich höre noch ein leises "Mein Mann-", doch mein hastiges Gepolter auf den Treppenstufen hallt viel zu laut im Flur und ich bin bereits außer Hörweite.
Draußen angekommen, bleibe ich stehen, atme heftig ein und aus und presse mir die rechte Hand aufs Herz. Wie es hämmert..
Ein flüchtiger Blick über den Vorhof.
Yamis Motorrad fehlt tatsächlich. Der Platz neben der schiefen Linde ist leer. Warum habe ich das vorhin nicht gesehen?
Ich hätte mir den Besuch schenken können.
Ich muss diese verfluchten Unterlagen von ihm verbrennen!!
