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Die Liebe der Eisblüte

Ein Gruß an alle Weihnachtsmuffel
von

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Die Liebe der Eisblüte
 

Eine Geschichte für all diejenigen, die eigentlich nicht für den "Geist der Weihnacht" empfänglich sind... Und natürlich für die, denen sie gefällt.

An dieser Stelle möchte ich besonders einer Person für die verhältnismäßig lange Freundschaft danken... Ich hätte nicht gedacht, dass du es so lange mit mir aushalten würdest.

Verfluche ruhig meine Vorfahren, aber das hier ist mein Geschenk an dich, mein Weihnachtsmuffelchen^^...
 

Nerima, Winter 2004
 

Jedes Jahr warte ich auf einen bestimmten Tag. Das ist ein Tag, an dem ich mich geborgen fühlen kann. Ein Tag, an dem ich von den Menschen umgeben bin, die ich liebe.

Ein Tag, an dem ich glücklich sein kann.

Doch jedes Jahr warte ich vergebens auf diesen Tag.

Mit jedem Jahr stirbt ein Teil meiner Jugend, doch sehe ich die Vorboten des Winters, so kann ich hoffen. Wird es dieses Jahr ein Weihnachten für mich geben? Vergeht auch in diesem Jahr einer meiner Träume?

Noch bin ich natürlich nicht alt. Mein Gesicht ist noch nicht vom Alter gezeichnet, meine Hände sind noch nicht rau. Und doch fühle ich mich alt. So alt... Ist es denn gewöhnlich, mit Nostalgie lachenden, kleinen Kindern hinterher zu sehen, laufen sie denn zum Kiosk um sich neue Süßigkeiten zu besorgen? Doch ist es wohl Neid. Ihr Lachen fühle ich in meinem Brustkorb widerhallen, leer und leise. In diesen Momenten möchte auch ich lachen. Ich möchte über meine Dummheit, meine Naivität lachen.

Jeder junge Mensch meines Alters sieht der Zukunft mit glänzenden Augen entgegen. Eine Zukunft, in der so viele Möglichkeiten bestehen, eine Zukunft, in der alle Wege offen sind.

Ich jedoch verbleibe mit meinen Gedanken in der Vergangenheit. Habe auch ich einmal zu einer Zeit, in der ich noch keine Sorgen kannte, jemals so gelacht? Habe auch ich mich einmal zu einer Zeit, in der ich noch keine Verbitterung kannte und die verachtenden Worte der Menschen noch nicht verstand... Habe ich mich jemals mit einem Stück Schokolade trösten lassen können, wenn ich in wildem Spiel gefangen hin fiel und mir die Knie aufschürfte?

Ich weiß es nicht, nicht mehr... Erinnerungen können schmerzen, sehr sogar. Doch wie fühlt man sich, wenn man keinerlei Erinnerungen in seinem Herzen trägt?

Ich kann davon ein trauriges Lied singen. Denn ich erinnere mich nicht mehr. Weder an gute, noch an schlechte Zeiten. Leer fühle ich mich, denn ich weiß nicht, woher ich komme, habe keine Vergangenheit, kenne nicht mein Zuhause, kann nicht erahnen, wer ich bin, und finde keinen Platz, an den ich wirklich gehöre.

Einmal wurde ich gefragt, warum ich den Winter so liebe. Er bedeute doch nur Arbeit! Schnee schippen, beispielsweise. Sei der Grund das "Fest der Liebe"? Möglicherweise Geschenke?

Zuerst konnte ich diese Fragen nicht beantworten. Tief in meinem Herzen wusste ich die Antwort, doch fehlten mir die Worte, um sie verständlich zu machen. Nun habe ich sie immer noch nicht gefunden, diese Worte. Ich glaube kaum, dass mich je ein Mensch wirklich verstehen wird.

Was ich so am Schnee liebe? An den Eisblumen, die doch eigentlich schädlich für Fenster und Glas allgemein sein können?

Das alles sind die Vorboten des Winters. Eine Zeit der Erinnerungen und der Rückkehr. Mit einem Male wird man von wildfremden Leuten auf der Straße gegrüßt. Die Wangen sind vor Kälte, vor Aufregung und vor Vorfreude gerötet. In den Augen aller Menschen liegt ein besonderer Glanz... So voller Erwartung, so voller Zufriedenheit.

Die Kälte treibt sie in ihre warmen Häuser, zu einer wartenden Familie. Dort erinnert man sich an all die schönen und traurigen Zeiten, die man miteinander erlebt hat. Dort wird einem, in den Armen liebender Menschen, zum ersten Mal nach langer Zeit wieder bewusst, dass man lebt. Dort, an dem Ort, an dem man Zuhause ist, fühlt man sich zugehörig - man ist geborgen.

Jedes Jahr warte ich auf den Frost, der einen weißen Schleier auf Felder und Wiesen legt. Bewundere die vielfältigen Formen der Eiskristalle und höre gleichzeitig dem artigen Gesang der Kinder an der Straßenecke zu.

Jedes Jahr warte ich auf den Schnee, denn sein Tanz im kalten Winde treibt die Leute in die Häuser, zu den Menschen, die sie lieben.

Auch ich lasse mich von der eisigen, schneidend kalten Winden mit einem hoffnungsvollen Lächeln jagen. Wer weiß? Vielleicht war ich dieses Jahr brav genug... Vielleicht darf auch ich dieses Jahr Weihnachten feiern!

Jedes Jahr, eine Routine. Egal wie oft ich schon enttäuscht wurde, egal wie schmerzhaft es ist, an der Haustüre zu klingeln und vergebens darauf zu warten, dass einem die Türe geöffnet wird... Noch immer hoffe ich, noch immer träume ich. Nie, oder nur selten, ist jemand dort in meinem Haus, der mir die Tür öffnen und mich begrüßen könnte. Dort, in meinem Haus, wartet niemand mit einer liebenden Umarmung auf mich.

Trotzdem eile ich mit dem Fall der ersten dünnen Flocken nach Hause und mache meine Ankunft mit vor Erwartung bebender Stimme bekannt. Trotzdem hoffe ich.

Aber meine Worte verklingen in den leeren Fluren und Zimmern. Ab und zu ist vielleicht jemand da. Kasumi, die das Essen richtet, also ihren Mann Doc Tofu mit ihrem gemeinsamen Kind für kurze Zeit alleine gelassen hat, um uns eine Freude mit ihrem köstlichen Essen zu machen. Ranma, der von einem Treffen mit seinen Freunden ein wenig früher zurück ist, als üblich. Genma und Vater, die Shogi spielen. Nabiki, die die Uni verlassen hat, um uns zu besuchen.

Der Winter ist außerdem noch die Zeit, in der sich die Augen für das Detail im Alltag öffnen. Die Schönheit des Nachthimmels, die Reflexionen und Brechungen des Lichts an funkelnden Eiskrusten. Der Klang eines Wortes.

Aber was rede ich da. Das alles sind Dinge, die nebensächlich sind. Wen interessiert es denn schon?

Nun, da ich auf meinem weichen Bett liege und mit halbem Ohr der Stimme aus dem tragbaren Telefon, welches ich lustlos an mein rechtes Ohr halte, zuhöre. Die Person, der diese Stimme gehört, interessieren solche Dinge mit Sicherheit nicht. Kurz lausche ich ihr, nur um festzustellen, dass sich das Thema, über welches sie schon seit einer Dreiviertel Stunde referiert, nur geringfügig geändert hat, seitdem ich mit einem "Tendo-dojo, hallo?" gelangweilt den Hörer ergriff um den Anruf zu beantworten.

Was soll man groß sagen? Wieder einmal hält sie mir vor, was in der großen weiten Welt geschieht, aus der ich mich gerne einmal für ein paar Stunden zurückziehe. Wer mit wem zusammen sei. Was sie alles mit ihrem Freund unternommen habe. Was sie nächste Woche alles mit ihrem Freund unternehmen wird. Wie süß dieser Freund doch sei.

Achtung! Themenwechsel. Ich solle mir doch auch einmal einen suchen. Verlobter hin oder her. Der sei ja nicht schlecht, aber trotzdem nichts handfestes. Ich wüsste ja gar nicht, wie toll das sei, einen Freund zu haben.

Das alte Lied. Ich solle mir mal Mühe geben. Make-up wär' ja mal 'ne Maßnahme. Bestimmt würde das etwas bringen.

Unwillkürlich muss ich mein Gesicht verziehen, als ich mir nun ihr kunstvoll zugekleistertes Gesicht in meiner Vorstellung wachrufe.

Aufbrezeln sei die Devise. Eng anliegende Tops, kurze Röcke (durch die frischen Wintertemperaturen ausnahmsweise entschuldigt). Figur betonen, das Motto!

Wie langweilig. Andauernd die selbe Leier. Gibt es denn nicht noch etwas anderes? Mehr als all das?

Ob ich mir denn niemanden zum Anlehnen wünsche. Jetzt, wo doch die kalte Jahreszeit bevorstünde, sei es doch mit Sicherheit ein wenig ... einsam vor dem Kamin.

Natürlich ist mir bewusst, in welchem Zusammenhang und mit welchen Gedanken im Hinterkopf sie all diese Dinge sagt. Selbst ich kann ab und zu zwischen den Zeilen lesen.

Sie lacht über meine ausweichende Antwort, im Übrigen meine erste aktive Teilnahme an dem Gespräch. Ich sei halt ein Kind. Naiv, naiv, naiv.

Ist es nicht verständlich, dass man sich in solchen Situationen ärgert? Jemand, der nicht viel älter ist als man selbst, und gerade einmal einen Freund für 1 1/2 Wochen als großartige Erfahrung vorzuweisen hat, sagen zu hören, man sei mit seiner Unschuld so "süß", "niedlich" und müsse noch so viel lernen. Ist es denn so verwerflich? Bin ich denn wirklich ein "Freak", nur, weil es mich nicht interessiert, wer mit wem geschlafen hat und warum die Abtreibung irgendeines für meine Person namenlosen Teenieidols fehlerhaft war? Was mich wirklich aggressiv stimmt, ist diese herablassende Art, in welcher sie alle mich bemuttern. Sie alle denken, sie seien mir so weit voraus. Sie denken, sie seien um so vieles erfahrener, reifer im Geiste.

Dabei kennen sie mich überhaupt nicht. Sie kennen nur die Akane, die temperamentvoll einen Ziegelstein nach dem anderen zertrümmert und brav die Schularbeiten vor 20.00 Uhr erledigt hat. Keiner von all jenen, die sich meine Freunde schimpfen, nebenbei hinter meinem Rücken über mich und meine Naivität lästern, weiß, welche Lektüre ich heimlich bevorzuge. Zugegeben sind die Buchrücken in meinem Regal recht aussagekräftig. Zugegeben, ich habe tatsächlich eine Schwäche für blutrünstige Thriller und Horrorromane.

Was sie jedoch nicht wissen, ist, was ich alles nicht in meinem Bücherregal stehen habe, welche Buchtitel ich mir in der örtlichen Bibliothek zu Gemüte führe. Ich mache mir keine Sorgen darüber, in der öffentlichen Bibliothek von meinen "Freunden" beim Lesen einer schmalzigen Liebesromanze ertappt zu werden. Diese "Freunde" meiden jeden Ort mit großer Sorgfalt, an dem Bücher zu finden sein könnten.

Meine theoretische Erfahrung dürfte die praktischen Erfahrungen meiner Bekannten mit "Händchen halten" etc. bei weitem übersteigen. Für sie geht es nur darum, mit ihrem Freund gesehen zu werden, möglicherweise Körperkontakt zu haben.

Ich habe keine Ahnung, und es interessiert mich auch nicht. Für mich liegt hinter dem Begriff "Liebe" mehr verborgen, als nur ständig aneinander zu kleben. Ich, mit meiner kindlichen Naivität, interessiere mich für die Begegnung zweier Menschen. Für deren Interaktion, für deren Dialoge, für die Umstände der Begegnung...

Was ist so falsch daran?

Natürlich wünschte ich mir so manches Mal jemanden, der meine Tränen trocknete. Jemanden, mit dem ich wirklich reden konnte, jemanden, der einfach da war. All das entspricht allerdings nicht der Bedeutung eines modernen "Freundes". Das fällt einfach nicht in seinen Aufgabenbereich. Eher in den einer Familie....

Für meine "Freunde", nein, für die ganze Gesellschaft, zählt nur, ob man das Statussymbol Freund besitzt. Die Hintergründe, die Motive und Ursachen dafür, dass man so etwas nicht besitzt, die sind nebensächlich. Irrelevant. Vernachlässigbar. Ist es denn ihre Sorge, dass ich die liebende Umarmung meiner Mutter vermisse? Ist es denn ihr Problem, dass ich nicht mit den Verfahrensmethoden meines Vaters betreffend Problembeseitigung durch Totschweigen zurecht komme bzw. diese nicht akzeptieren möchte?

Sie fragt, ob ich ihr noch zuhörte. Ich bejahe. Sie fährt fort. So lange, bis ich ihr sachlich neutral mitteile, dass Kasumi mich soeben gerufen hat und mir auftrug, ihr bei der Zubereitung des Mittagessens zu helfen.

Mit einem "Bye Süße!!!" verabschiedet sie sich. Der Signalton, der das Unterbrechen der Leitung ankündigt, tönt in meinem Ohr und hallt in meinem stillen Zimmer wieder. Geraume Zeit später, in der ich nicht realisierte, dass meine Gesprächspartnerin schon aufgelegt hat, drücke ich eine Taste auf dem tragbaren Telefon und Stille senkt sich schwer, aber wohltuend auf mich und meine Seele.

Ich gehe nicht nach unten. Schließlich ist Kasumi immer noch in der Praxis ihres Mannes, und hat ihr Erscheinen erst für das kommende Wochenende, den Weihnachtsfeiertagen, angekündigt. Heute, am 24., feiert sie mit ihrer eigenen kleinen Familie. Die kleine Notlüge, die ich meiner Freundin auftischte, ist entschuldigt. Mit Sicherheit hatte sie ohnehin nichts weiter Wissenswertes mir mitzuteilen gewusst. Außerdem ist es ihr ja nicht aufgefallen. Wie sollte sie auch die kleinen Unstimmigkeiten bemerken? Sie weiß ja noch nicht einmal, dass Kasumi seit 1 1/2 Jahren nicht mehr bei uns wohnt. Sie hat keine Ahnung, wie talentiert ich doch im Kochen bin.

Das alles hat sie noch nie interessiert. Sollte ich mich deswegen traurig fühlen? Enttäuscht? Vielleicht, aber ich bin das alles schon gewöhnt.

Ein Geräusch aus dem unteren Stockwerk lässt mich aufhorchen. So früh kommt doch normalerweise niemand heim... Seltsam.

Die Neugier packt mich und treibt mich dazu, meine müden Knochen zu sammeln und mich nach unten zu begeben. Dort begegne ich einem durch gefrorenen Ranma, der sich mühsam aus seinem feuchten Mantel schält. Als er meine Schritte auf der Treppe hört, blickt er auf und begrüßt mich lächelnd. Ich grüße zurück - ein wenig verwundert aufgrund seiner ungewohnten Freundlichkeit. Auf meine Frage hin, warum ich bis jetzt immer noch keine bissige Bemerkung über einen meiner vielen Fehler von Figur bis Charakter von ihm gehört habe, lacht er nur kurz ein wenig verlegen.

Fragend hebe ich eine Augenbraue und mustere ihn flüchtig. Frage ihn, ob er krank sei. Er verneint, erstaunt. Lächelt wieder und erklärt sein sonderbares Verhalten damit, dass er vom grausamen Geist der Weihnacht besessen sei.

Noch bevor ich eine zynische Bemerkung fallen lassen kann, sind meine Haare schon zerwühlt und ich kann Spuren seines Aftershaves in der Luft riechen. Nach dem Verwuscheln meiner kurz geschnittenen Haare begab er sich umgehend an mir vorbei in die Küche, um sich etwas zu Essen zu holen.

Umsichtig fragt er mich, ob ich schon gegessen hätte und ob er mir auch etwas aus dem Kühlschrank geben solle. Ich verneine und lehne dankend ab, immer noch ein wenig verwirrt ob seines ungewöhnlichen Verhaltens. Sogar ein wenig misstrauisch bin ich, denn immer war ich dem Glauben unterlegen, dass die Hölle eher zufrieren würde, als dass Ranma Saotome einmal freundlich zu mir wäre. Ich wittere a) ein schlechtes Gewissen seinerseits, b) eine Verschwörung mit mir als Opfer.

Er schüttelt kurz den Kopf, kramt eine Weile im Kühlschrank herum und sagt mir, ich solle mich an den Tisch setzen, er habe mit mir zu reden.

Erleichterung erfüllt mich. Die Welt geht wohl doch nicht unter. Anscheinend hat er doch ein schlechtes Gewissen und will sich seine Schuld von der Seele reden.

Kurz zucke ich gleichgültig mit den Schultern, begebe mich ins Esszimmer und setze mich an den Tisch an. Nur wenige Augenblicke muss ich auf sein Erscheinen warten, in denen ich unsere weihnachtliche Dekoration musterte. Spärlich, und doch merkt man Kasumis Wohlwollen, das in dem von ihr persönlich zusammengestellten Gesteck verborgen ist. Übrigens ist dieses Gesteck unsere einzige Dekoration.

Geschirrgeklapper reißt meine Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart zurück. Vor mir steht ein Teller mit einigen Sandwichs. Verwirrt sehe ich fragend zu Ranma, der sich mir gegenüber niedergelassen hat, auf. Seit seiner Ankunft im Tendo-dojo ist er ein gutes Stück gewachsen, und so muss ich nun immer zu ihm aufsehen, möchte ich ihm in die Augen blicken.

Er macht sich munter über seine eigenen Sandwichs her und beantwortet meine Frage, warum er mir auch etwas zu Essen mitgebracht habe, nur mit einer abweisenden Geste und dem Hinweis, ich solle gefälligst nicht so undankbar sein, nun endlich seine Mühen zu schätzen wissen und essen. Das alles sagt er in spaßendem Ton.

Zu sagen, ich sei ein wenig geplättet, wäre eine gelungene Untertreibung. Ich danke ihm leise und beginne "seine Mühen schätzen zu lernen". Erst jetzt fällt mir auf, wie hungrig ich doch gewesen bin.

Von Misstrauen erfüllt frage ich ihn, was er angestellt hat. Erstaunt sieht er auf und sagt, er wüsste nicht, wovon ich redete. Immer noch misstrauisch gebe ich zu Bedenken, dass er doch sonst nicht so freundlich zu mir ist etc.

Kopfschüttelnd teilt er mir mit, dass solche Dinge doch selbstverständlich seien. Vor allem, da ja heute Weihnachten sei...

Darauf erwidere nichts. Nach einer Weile, frage ich zögerlich nach, worüber er eigentlich mit mir sprechen wollte. Wieder erscheint dieses verlegene Lächeln auf seinem Gesicht. Mit seiner Antwort zögert er ein wenig und stolpert über die ersten Wörter, deutet dann jedoch darauf hin, wie wenig weihnachtliche Dekoration wir doch hier im Hause hätten. So käme doch keine wirkliche weihnachtliche Stimmung auf! Kurz verliert er sich in einer Erinnerung seiner Kindheit.

Ich horche gespannt auf. Es ist nicht oft, dass er aus seiner Kindheit, von seinem Zuhause berichtet. Doch wenn er es denn einmal tut, dann ist es immer ein spezieller Moment, den ich gerne in meinem Herzen aufbewahre.

Denn in diesen Augenblicken streiten wir uns nie. Er erzählt, und ich lausche gebannt. Das sind persönliche Dinge, die er mir dann erzählt. Mitunter auch eigene Gedanken, Träume und Wünsche. Wie schon angedeutet, habe ich nicht oft Gelegenheit, mich auf diese Art mit ihm zu unterhalten. Oft ist er heutzutage mit seinen Freunden unterwegs, und wenn er denn einmal hier ist, zanken wir uns oft.

Wenn er von seiner Mutter, von seiner Heimat erzählt, dann ist dort immer dieses Leuchten in seinen Augen. Seine Stimme klingt weit entfernt, und verliert für kurze Zeit diesen selbstbewussten, arroganten Ton. In solchen Momenten spricht er einfach. Nicht bloß reden. Sondern sprechen.

Außerdem liebe ich es, seinen Ausführungen zu lauschen. Es ist ihm sicherlich nicht bewusst, aber er kann hervorragend Geschichten erzählen. Man ist gebannt, gefesselt. Er versteht es wirklich, den Menschen mit einfachen Worten ganze Wunderländer zu erschließen und ihren blinden Augen das zu zeigen, was er einst mit den seinen, offenen Augen gesehen hat.

Nun berichtet er mir von einem Fest, welches er mit seiner ganzen Familie einst besucht hat. Der Schnee funkelte im fröhlichen Schein tausender Lichter geheimnisvoll, in der Luft lag der verheißungsvolle Duft der Weihnacht, eine Mischung aus dem herben Atem der Tannen und dem anregenden Duft frisch gebackener Plätzchen und Lebkuchen.

Er macht mir einen Vorschlag, der mich zuerst zwar ein wenig verwundert, dann jedoch freudig erregt. Zögernd, vorsichtig fragt er, ob wir nicht zusammen für ein wenig Weihnachtsstimmung sorgen wollten, indem wir das Haus ein wenig dekorierten und uns unter Umständen vielleicht sogar an das Backen von Plätzchen wagen sollten.

Ich kann kaum glauben, was ich da höre... doch will ich es glauben. Wer hätte es für möglich gehalten, dass Ranma Saotome auf eine bestimmte, ihm eigene, Art und Weise wirklich lieb sein kann?

Ich freue mich über das Angebot, und zum ersten Male beschließe ich in einer Kurzschlussreaktion, ihm diese Freude auch zu zeigen. So sitze ich nun hier und gestatte mir selbst ein Lächeln. Ein glückliches und ehrliches Lächeln.

Irre ich mich, oder errötet er? Mag sein, mag nicht sein. Doch ist es wohl offensichtlich, dass er sich ein klein wenig über mein Annehmen seines Vorschlages freut.

Nun sind wir hier also. Zuerst war es ein wenig merkwürdig, direkt vor ihm zu sitzen und gemeinsam kleine Dekorationen zu basteln. Auch waren unsere ersten Backversuche mehr als unbeholfen... Doch mit der Zeit machte mir all das wirklichen Spaß. Nach drei misslungenen Versuchen, einen gescheiten Teig anzurühren, haben wir es nun mit vereinten Kräften und kombiniertem, ergänzendem Geschick geschafft, einen sogar recht passablen Teig zu mischen. Nun begeben wir uns daran, Sternchen, kleine Tannenbäume und weitere Weihnachtsmotive auszustechen.

Heute ist wirklich einer dieser Tage, an denen man scheinbar aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Natürlich kann ich nur für mich sprechen, aber ich finde sehr viel Freude in unserem gemeinsamen Wirken und Tun. Die Atmosphäre ist angenehm, und Ranma in Kasumis alter Kochschürze, bedruckt mit kleinen Herzchen und wirklich niedlichen Entenmotiven, zu sehen, ist ein mehr als amüsanter Anblick, den ich so leicht wohl nicht mehr vergessen werde.

Ich hoffe, dass es ihm genauso viel Freude bereitet, mit mir zu arbeiten, wie mir.

Die Plätzchen sind im Backofen, und wir sitzen entspannt am Esszimmertisch, auf dem auch eine leise tickende Eieruhr, für unsere Plätzchen zweckentfremdet, trohnt.

Immer noch lache ich über eine seiner Bemerkungen, die unsere Backkünste betrifft, als er aufsteht und mit einem Versprechen, bald wieder zu kommen, aus dem Zimmer verschwindet.

Ich freue mich, das tue ich wirklich. Sind seine Bemerkungen nicht allesamt gegen mich gerichtet, so sind sie doch tatsächlich - man glaube es kaum - lustig! Wir lachen miteinander, keiner lacht den anderen mehr wirklich aus - was ich in diesem Moment nur als eindeutigen Fortschritt sehen kann.

Wieder einmal sind seine Wangen gerötet, als er nun mit hinter seinem Rücken verborgenen Händen ins Esszimmer eintritt.

Eigentlich wollte er mir dies - wobei er nun ein unbeholfen verpacktes Geschenk hinter seinem Rücken hervorzaubert - erst später überreichen, wenn man allgemein im Hause Tendo Bescherung feierte. Aber er wollte es mir nun so geben. Später wäre es vielleicht ein wenig unpassend...

Er vermeidet Augenkontakt, aber ich weiß was er meint. Auch ich habe schon darüber nachgedacht, ihm sein Geschenk in einer stillen Stunde ohne Publikum zu überreichen. Viel zu persönlich erschien mir mein Geschenk, als dass ich es ihm vor versammelter Mannschaft hätte überreichen können. Ich glaube nicht, dass ich es ertragen könnte, wenn er sich notgedrungen über mein Geschenk lustig machte, nur, weil er sich von unseren Vätern indirekt dazu gezwungen fühlte. So nehme ich lächelnd sein Päckchen entgegen, bedanke mich und sage, ich würde es nur kurz in mein Zimmer hoch tragen, damit ich es zu einem späteren Zeitpunkt öffnen könne. Er nickt und ich kann, glaube ich, nachvollziehen, warum er so erleichtert aussieht. Wohl hatte er Angst, ich würde mich ein wenig über die Verpackung lustig machen... Aber ich freue mich darüber. Das zeigt, dass er sich Mühe gegeben hat, obwohl es doch einfacher und unpersönlicher gewesen wäre, den Inhalt von einer Verkäuferin oder einer anderen Person verpacken zu lassen.

Als ich nun das Esszimmer wieder betrete, dieses Mal mit seinem Geschenk in meinen Händen, sitzt er mit seinem Rücken zu mir und betrachtet still und auch ein wenig nachdenklich die Dekorationen, die wir im Laufe des Nachmittags angefertigt haben.

Leise trete ich hinter ihn und erschrecke ihn, indem ich ihm unvermittelt sein Geschenk vor Augen halte. Anscheinend war er wohl wirklich mit seinen Gedanken in einer ganz anderen Welt! Worüber er sich wohl seinen Dickschädel zerbrochen hat? Was mag ihn gedanklich so in Anspruch genommen haben, dass er mich nicht wahrgenommen hat?

Perplex nimmt er das mit größter Sorgfalt verpackte Päckchen entgegen und sieht mit mich mit schwer verhohlener Freude an. Hatte er denn wirklich geglaubt, ich würde meine Drohung wahr machen und ihm nichts schenken?

Ich sehe es ihm an, wie schwer es ihm fällt, sein Lächeln nicht in ein glückliches Grinsen ausarten zu lassen, als er nun die kleinen Dekorationen am Päckchen betrachtet, die ich noch am Vorabend unter großer Anstrengung anbrachte. Nichts besonders herausragendes, und doch hat es mich die längste Zeit von allen Päckchen nicht nur beim Aussuchen des Geschenkes, sondern auch beim Verpacken gekostet.

Wieder einmal überrascht er mich. Ich habe keine Ahnung, was er sich bei dieser Geste offen gezeigter Zuneigung denkt, aber ich genieße den kurzen Moment seiner Nähe. Einen Augenblick umarmt er mich fast schon stürmisch, im nächsten verlässt er mit hochroten Wangen unter einer gemurmelten, unverständlichen Entschuldigung den Raum.

Nun stehe ich also da: Mitten im Esszimmer, neben dem polierten Holztisch mit der tickenden Eieruhr darauf. Verwirrt bin ich, weiß nicht recht, was ich denken soll. Doch bin ich glücklich, auch wenn ich keine Ahnung habe, warum das so ist.

Polternde Geräusche aus dem Eingangsbereich reißen mich in die Realität zurück. Meine Wangen scheinen zu glühen, als ich nun den Geräuschen entgegengehe.

Die Stimme meines Vaters klingt ein wenig schleppend, als er seinen Begleiter fragt, ob dieser wüsste, woher die weihnachtlichen Dekorationen und der köstliche Geruch frischen Gebäcks denn stammten. Darauf höre ich ein Schnüffeln und sehe, als ich der Neuankömmlinge nun auch visuell gewahr werde, einen großen, dicken Panda und meinen Vater, der seinen Mantel ablegt und sich mir zuwendet. Mein freundliches Lächeln gefriert zu einer verzogenen Grimasse.

Seine Augen schimmern merkwürdig, als er mich überschwänglich begrüßt. Zuerst glaubte ich, dies sei ein fiebriger Glanz, aber nachdem ich seine und des Pandas leicht schwankende Schritte bemerke, den ungleichmäßig verteilten Druck seiner Handflächen auf meinen Oberarmen, der sich vor allem in seinen Fingerspitzen konzentriert, spüre, nun, da er mich ein wenig unbeholfen erst umarmt, und dann auf Armeslänge von sich hält, um mein Gesicht zu mustern, weiß ich, dass dieser Glanz nicht von einem milden Fieber herrührt. Ich fühle mich, als habe mich jemand in einen See aus eiskaltem Wasser gestoßen. Mir ist schwindelig, denn meine Gefühle und Gedanken sind vollkommen durcheinander geworfen.

Nun bemerke ich zum ersten Male, dass er und Ranmas Vater Tüten aus einer nahegelegenen Tankstelle tragen. Vage kann ich die Konturen von Flaschen, gegen das Plastik der Tüte gepresst, ausmachen. Genau sehen, was für Flaschen das sind, kann ich nicht. Brauche ich auch nicht. Denn nun rieche ich seine Fahne. Mir ist schlecht, und es gelingt mir einfach nicht, aus seinem nuschelnden Singsang einzelne Worte herauszuhören.

Er lässt mich los und wankt ein wenig, nun, da ihm mein Körper als Stütze fehlt. Er und der beleibte Panda gehen an mir vorbei in den Wohnbereich, wobei die Flaschen in den Plastiktüten freundlich, melodisch klirren. Ich sehe ihnen nicht nach.

Alles dreht sich. Mit einer Hand muss ich mich an der nächstgelegenen Wand abstützen. Mehrere Gedanken denke ich gleichzeitig, während ich nebenbei sachlich und trocken feststelle, dass ich nun unter den Folgen von "information overload" leide. Warum ist auf den vielen Tüten nicht das gleiche Motiv abgedruckt? Warum ist auf der einen ein Tiger mit seinen Jungen, auf der anderen eine Zigarettenwerbung zu sehen?

Heute ist Weihnachten.

Warum trägt Vater an der einen Hand nur eine Tüte, an der anderen jedoch drei? Vollkommen asymmetrisch! Wenn man sich seine Körpermitte als Achse vorstellt, ist das Bild nicht mehr symmetrisch!

Heute ist Weihnachten.

Warum sehe ich Ranmas sorgenvolle Augen vor mir? Warum höre ich ihn, wie er meinen Namen immer wieder wiederholt? Warum sieht er unseren Vätern mit so viel Ernst und so nachdenklich, verstimmter Miene und in Falten gelegter Stirn nach?

Heute ist Weihnachten. Jeder Mensch verdient es, an diesem Tag glücklich zu sein.

Nur ich nicht. Wieder einmal. War ich nicht brav genug? Nicht artig genug?

All diese Dinge gehen mir nun durch den Kopf. Alles ist irgendwie verschwommen. Sind das Tränen in meinen Augen, die mir die Sicht nehmen? Oder brauche ich letztendlich doch eine Sehhilfe? Habe ich möglicherweise zu lange in die Sonne geguckt, als ich drei war? Als Mama... Als Mama mir verbot, das zu tun, weil das ungesund für meine Augen wäre?

Ich erinnere mich wieder. Winter. Schnee. So kalt war er, der Schnee.

Der Grund, warum ich den Winter liebe und den Sommer hasse.

Mama ging in einem Sommer. Sie ertrug die Hitze nicht. Nach langer Leidenszeit durch eine Krankheit, deren Name mir entfallen ist, erlöste sie die drückende Hitze des schwülen Sommers von ihrer Qual.

Winter. Schnee. Schlittenfahren mit Papa. Schneeballschlacht mit einer zu dieser Zeit noch lachenden Kasumi und einer quiekenden Nabiki, der Papa gerade mit Schnee das vor Kälte gerötete Gesicht eingerieben hat, sie also "eingeseift" hat.

Winter. Die Zeit meiner einzigen, wirklichen Erinnerungen. Schöne Erinnerungen.

Ja, meine Tränen sind daran schuld, dass ich nichts mehr sehe. Ich kann auf meinen Wangen ihre feuchten, heißen Spuren fühlen. Ranma müht sich ganz schön, mir die Treppe hinauf in mein Zimmer zu helfen. Seit wann hilft er mir eigentlich, in mein Zimmer zu gelangen?

Egal. Er ist da. Das ist im Moment das einzige, was zählt. Sollte ich mich wegen meiner Tränen vor ihm nicht schämen? Sollte er sich nicht deswegen über mich lustig machen?

Statt mich zu schämen lasse ich mich von ihm in mein Bett bringen und mich zudecken. Statt sich über mich lustig zu machen tröstet er mich. Ich weiß nicht, was er genau sagt, aber er ist lieb zu mir.

Zuerst möchte ich ihn nicht gehen lassen, aber er verspricht mir, bald wieder zu kommen. Mit ärgerlich verzogenem Gesicht eilt er mit steifen Schritten aus meinem Zimmer. Sein Ärger gilt jedoch nicht mir.

Kurz darauf kommt er zurück, mit einem Teller leicht versengter Plätzchen auf dem einen Arm, und seinem Geschenk sicher in der Armbeuge seines anderen Armes verwahrt. Sein Gesicht wirkt farblos.

Es ist mir gelungen, meine Gedanken ein wenig zu ordnen.

Beide schweigen wir über das, was vorgefallen ist. Was gibt es denn schon groß zu sagen? Unsere Väter geben sich lieber die Kante, als mit uns zu feiern. Bald trollen sie nicht mehr zurechnungsfähig auf dem Esszimmertisch oder sonst wo und begraben vielleicht gerade in diesem Moment unsere fragilen Dekorationen aus Stroh und Papier unter ihren regungslosen Körpern.

Wieder spüre ich Tränen in meinen brennenden Augen, denke allerdings nicht weiter über solche bedrückenden Dinge nach, denn Ranma hält mir mit dünnem Lächeln einen etwas zu dunkel geratenen Keks hin und befiehlt mir, ihn zu essen. Dankbar nehme ich das Plätzchen in Form eines leicht deformierten Herzens an. Ist ihm aufgefallen, welche bedeutungsvolle Form sein krosses Angebot besitzt? Wohl kaum.

Es ist still in meinem dunklen Zimmer, das nur von meiner Nachttischlampe erhellt wird. Still bis auf unser emsiges Geknabber an halb verbrannten Plätzchen. Trocken bemerkt er, dass wir eigentlich noch ganz stolz auf uns und zufrieden mit uns sein könnten. Immerhin seien die Backwaren noch genießbar und wir beide am leben.

Wohltuend ist es, neben ihm zu sitzen, mein Bett vollzukrümeln und über seine Bemerkungen zu lachen. Es ist befreiend, nicht mehr über das Jetzt nachdenken zu müssen. Auch denke ich nicht über mögliche Folgen und Konsequenzen meines Handelns nach, als ich mich nun müde an seine Schulter anlehne, nachdem wir den Teller unseres ersten, eigenen, halbwegs gelungenen Gebäcks leer gefuttert haben. Zögernd legt er einen Arm um mich und zieht mich ein wenig näher zu ihm.

Ich bin schon ein wenig dösig, als ich seine Worte höre. Ich solle nicht traurig sein. Unsere Väter seien zwar schon längst zu betrunken, um mit uns zu feiern - traurig fällt mir seine in seiner Stimme mitschwingende Verbitterung auf - jedoch wären wir beide ja noch da.

Das weckt mich wieder aus meinem leichten Schlummer. Meine Augen brennen immer noch furchtbar, und sicherlich sehe ich furchtbar mit meinem verweinten Gesicht aus, aber das alles zählt nicht, als wir dort auf meinem Bett sitzen und unsere Geschenke auspacken. Ein wenig albern wir noch herum, wer sein Geschenk als erstes aufzumachen hat, doch letztendlich gewinne ich, und er muss seines zuerst vor meinen Augen öffnen.

Ich bin aufgeregt, unsicher und nervös. Wird ihm mein Geschenk gefallen?

Vorsichtig öffnet er die Verpackung und achtet umsichtig darauf, das Papier nicht zu zerreißen. Dann sitzt er vor seinem enthüllten Geschenk. Sprachlos sieht er erst auf sein Geschenk, dann mich an. Ich habe gesehen, was ich sehen wollte und weiche nun mit leicht geröteten Wangen seinem Blick aus. Es gefällt ihm! Es gefällt ihm wirklich!!

Seine Stimme klingt rau, als er mir dankt.

Eine Zeit lang vergeht, in der er nur gedankenverloren, verträumt sein Geschenk mustert, bevor er mich mit neuentdeckter Ungeduld dazu anhält, nun endlich auch einmal mein Geschenk zu öffnen.

Zuerst höre ich nur das von meinen bebenden Händen verursachte Rascheln des Papiers. Dann blicken mich zwei dunkle, glänzende Knopfaugen an. Aufgeregt entferne ich die letzten Papierreste und vor mir liegt ein Stofftier. Doch nicht irgendein Stofftier! Ein Plüschhund, handgenäht, mit dem weichsten Fell, das ich je unter meinen Fingerspitzen gefühlt habe.

Ungläubig starre ich Ranma an, während ich den Hund in meine Arme nehme und fest, liebend an mich presse.

"Woher...?" Meine Stimme verliert sich vor Rührung. Und doch weiß er wohl genau, was ich fragen möchte. Er sieht mich nicht an, als er mir sagt, dass er meinen sehnsüchtigen Blick bei einem der seltenen Familieneinkaufstouren vor einem halben Jahr gesehen hätte, als er auf eben diesem Hund geruht hatte.

Nun ist es an mir, meine Stimme wieder zu finden. Dieser Hund sei doch so furchtbar teuer gewesen!, wende ich ein. Auch, dass so etwas doch nicht nötig gewesen wäre halte ich ihm vor. Und ob es denn nötig gewesen sei!, seine Entgegnung.

Allein meine Freude wäre die Stunden, indem er für den Plüschtierladenbesitzer gearbeitet hatte, um mir diesen Hund zu schenken, wert gewesen. In der meisten Zeit, in der er uns weiß gemacht hatte, er sei mit seinen Freunden "auf Touren", hatte er für den netten alten Mann gearbeitet.

Ein halbes Jahr drei Stunden Arbeit im Plüschtierladen zeigen, wie teuer denn dieser handgenähte Hund höchster Qualität war.

Darauf weiß ich nichts zu sagen. Deswegen handele ich. Stürmisch umarme ich ihn und halte ihn fest. Und genau das ist der Grund, warum ich Plüschtiere so liebe: Dieses Gefühl von Geborgenheit. Ein Halt im Leben, aber auch ein großer Teil meiner Kindheit. So viele Menschen haben mich schon alleine, im Stich gelassen ... Sie waren immer für mich da gewesen.

Ranma ist kein Teil meiner Kindheit. Aber er ist nun für mich da. Jetzt, wo Vater nicht mehr ansprechbar ist. Jetzt, wo Kasumi mit ihrer eigenen kleinen Familie Weihnachten feiert. Jetzt, wo Nabiki mit ihren Freunden der WG eine stürmische, zügellose Weihnachtsfete veranstaltet.

Jetzt ist er für mich da. In einem der Momente, in denen mir ansonsten nur Kuscheltiere geblieben wären.
 

1. Schultag, Frühjahr 2005
 

Ein anstrengender Tag war es, jawohl. So ist es wahrscheinlich entschuldigt, dass ich in seinen Armen eingeschlafen bin.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich alleine in meinem Bett. Gut zugedeckt und in der Lage, den schwachen Duft seines Aftershaves noch auf meinem Kissen wahrnehmen zu können. So schließe ich daraus, dass auch er auf meinem Bett eingeschlafen ist, und am frühen Morgen aus meinem Zimmer verschwunden ist, um uns beiden einige Peinlichkeiten zu ersparen.

Das Quietschen trockener Kreide weckt mich unsanft aus meinen Überlegungen. Flüchtig sehe ich zur Tafel auf und stelle nüchtern fest, dass die strenge Mathematiklehrerin einige weitere, endlose Formeln an die Tafel geschrieben hat, damit wir diese in unser Regelheft übertragen können. Doch bin ich nicht beunruhigt. Heute ist der erste Schultag nach den Ferien, und uns Schülern ist es sicherlich halbwegs erlaubt nicht aufzupassen.

Viel zu sehr beschäftigt mich mein ungewöhnliches Weihnachtsfest. Hatte ich denn eines? Ich glaube schon. In den vorigen Jahren hatte ich keines erleben dürfen. Zumindest kein richtiges. In diesem Jahr besteht der kleine Unterschied, dass dort denke ich jemand ist, dem ich wirklich etwas bedeute. Wie viel... das weiß ich nicht. Aber dieser jemand denkt möglicherweise ab und zu an mich.

Verwundert schaue ich auf den unordentlich gefalteten Zettel, den mir meine Nachbarin auf meinen Heftordner gelegt hat. Kein Absender steht darauf, doch kann ich an der Schrift, die meinen Namen als Empfänger angegeben, hat den Verfasser erkennen.

Fragend werfe ich einen scheuen Blick zu Ranma hinüber, der scheinbar desinteressiert und gelangweilt aus seinen Augenwinkeln zu mir herüber sieht. Er stützt seinen Kopf auf seine linke Hand und seine rechte Hand spielt abwesend mit seinem Dauerschreiber.

Neugierig entfalte ich das Briefchen und lese, was darin geschrieben steht. 8 Wörter, zwei Fragezeichen und drei Punkte. Und doch erwärmen sie mein Herz.

Was ist los mit dir? Warum so nachdenklich...?

Ein warmes Lächeln spielt um meine Lippen, als ich wieder zu ihm sehe. Schnell wendet er seinen Blick und sein Gesicht ab.

Aber nicht schnell genug! Denn es ist mir in der kurzen Zeit, in der er zu mir hinüber sah, gelungen, den schwachen Schimmer von Rot auf seinen Wangen zu erhaschen.
 

Frohe Weihnachten nachträglich und ein guten Rutsch ins neue Jahr!



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  misanthropical
2005-01-05T00:48:45+00:00 05.01.2005 01:48
... Ich bin kein guter Kommischreiber, und schon gar kein häufiger... aber diese ff... einfach... Wow...
due bist die personifizierte Genialität...

Sojasoße
Von:  Deepdream
2004-12-28T12:38:35+00:00 28.12.2004 13:38
Einem Wechselbad der Emotionen war ich hilflos ausgesetzt, als ich deine Geschichte las.
Hoffentlich liegt es in deiner Kenntnis, welche Wirkung jene Worte, die du so eifrig verfasstest, auf einen verstörten Psychopathen wie meine Wenigkeit zu haben vermögen.

Im intensiven Glauben, dass jener Kommentar nicht halb so objektiv, wie emotionslos ausfallen wird wie ich es mir wünschen täte, wende ich mich deiner gar herrlichen Wortkomposition zu.

Diese schier einmalige Fähigkeit noch so irrelevante, wie triviale Aspekte des Lebens hervorzuheben, ihnen eine tief greifende, beinahe metaphorische Bedeutung zu schenken,...

...sei die Rede vom ersten Schnee, wie seinen Boten...
...sei es eine noch so geringe Geste der Affinität...
...sei der Blick auf von Naivität geprägtes Lachen kleiner Kinder gerichtet...

Ein regelrecht okkupierender Zauber über welchen du verfügst. *g*

Ich kam nicht umhin den leicht melancholischen Unterton der Geschichte zu registrieren,...

...das Gefühl der Einsamkeit...
...das Gefühl der Unverstandenheit...
...das Gefühl des Verlustes...

Das du die Intro-Perspektive aus Akanes Sicht der Dinge wähltest, war ein gelungener Schachzug, wodurch der Leser sei er noch so phantasielos (ich), inkompetent (ich) und ignorant (rate mal...)
nicht umhin kam ihre Gedanken in sich aufzunehmen und sich mit jenen intensiv auseinanderzusetzen.
Dein Können dich explizit mit einem Protagonisten, seinen Gedanken, seinen Verhaltensweisen, wie seinen Wünschen...
(allen voran jene des blauhaarigen, Hammer schwingenden Geschöpfes)
...zu beschäftigen, ist mehr als markant für deine Person und zeugt allein nur für sich von großem Talent seitens des Autors.

Ebenso sollte man anmerken, dass du jene Kunst beherrscht die Emotionen des Lesers zu manipulieren.
(Steck den Hammer weg, dass ich nicht mephistophelisch geprägt!)

Als Akane "mesto" angehaucht war, traf das die Seele des Lesers, zumindest erging es einem sentimentalen Individuum so.
Als Ranma kleine Gesten der Affinität offenbarte, etwa jenes Zettelchen, verziert durch seine prägnante Handschrift und der Inhalt dessen, verzog sich meine kalte Gesichtsmimik zu einer Grimasse, welche man durchaus mit der Andeutung eines Lächelns assoziieren könnte.
Als die Beiden Idioten vom Dienst (Dick und Doof) mit Spirituosen bewaffnet die warmen Räumlichkeiten betraten und ihre mentale Unreife präsentierten, verspürte ich enorme Mordgelüste.
(Wie wohl Panda on fire schmeckt? Scharf oder süßsauer?)

Vor allem aber identifizierst du deine Person selbst mit Akane, wodurch jenes Produkt aus diversen Strichen einen wahrhaft lebhaften Charakter erhält.
Die Symbolik, ja der komplette kausale Zusammenhang einer jeden einzelnen Träne ist detailliert und konkret geschildert.
Ein besseres Resultat divergenten Denkens täte man auch in keinem Roman finden können.

Entschuldige bitte nun jene Wortwahl, aber ich komme nicht umhin deine Schilderung der Personen mit "beseelt" in Verbindung zu bringen. Realer denke ich mal ist es im Grunde nicht möglich fiktive Gestalten darzustellen. ^^

Wie du sicherlich bereits gemerkt hast, vertiefe ich mich hier in eine exzessive Tirade, welche deine Person wahrscheinlich so langsam an den Rand des Wahnsinns und meine Finger der Amputation einen Schritt näher bringen. Entschuldige, doch bin ich schlichtweg in einen Bann geschlagen, aus welchem ich mich nicht zu winden vermöge. *g*

Eines möchte ich noch zu guter Letzt anmerken...

*errötet* *unsicher lächelt*

Vielen, vielen herzlichen Dank.
Für deine Mühe dich an PC, wohl gemerkt ohne die wärmende Umarmung einer Daunenjacke in Anspruch zu nehmen und jenes Wunderwerk deutscher Grammatik zu erschaffen.

Das meine Wenigkeit ein solches Geschenkt nicht verdient hat, ist dir doch hoffentlich klar, oder?
Trotzdem vermag meine Person nicht umhin zu kommen, seine Mitmenschen durch ein von maßloser Idiotie geprägtes Grinsen der Erkenntnis näher zubringen, dass Abtreibung die bessere Alternative gewesen wäre.

Und nicht du hast dich für den konstanten ENS-Kontakt dankbar zu zeigen, sondern meine Wenigkeit, welche dir in sämtlichen Belangen gravierend unterliegt und bei weitem nicht deine Klasse zu erreichen vermag. *nodnod*

Vielleicht verstehe ich nun, warum du jene Zelebrierung derart ins Herz geschlossen zu haben scheinst.
Doch trotz alledem - Suum cuique ~ Jedem das seine. ;-)

You love the cold kiss of the winter, I prefer the dark smile of the autumn. ;-)

Da ich deine Geduld nicht noch länger auf die Probe und die komplette Kontamination des Kommentarbereichs nicht in meinem Ansinnen liegt, beende ich hiermit meine Suada.

Dir noch einen schönen Dienstag und in Hoffnung auf eine baldige Rückmeldung deinerseits per ENS verabschiede ich mich...

Bye,

auf bald,

dein [zwar macht mich dies ungemein lächerlich, doch dir zu liebe] Deepi -.-
Von: abgemeldet
2004-12-28T11:58:58+00:00 28.12.2004 12:58
Wow.....das war so ziemlich das erste was mir eingefallen ist, als ich wieder halbwegs klare, eigene Gedanken fassen konnte. Ich weiß nicht, wie oft ich das jetzt schon in irgendeinem Kommentar zu deinen Geschichten geschrieben hab, aber ich kann es nur noch mal sagen - dein Schreibstil verzaubert mich echt immer wieder. Irgendwie hat er so was...mmhh, fesselndes an sich... ich weiß auch nich genau was, es is halt so... Und irgendwie komm ich dann immer in so ne tehetralische (wie wird das eigentlich geschrieben??) Stimmung und verlier mich in meinen Gedanken.
...Also noch mal ein ganz dickes Lob, mehr kann ich im Moment echt nich sagen ^__^...
...na dann, da ich dir ja jetzt schlecht noch nächträglich frohe Weihnachten wünschen kann, wünsch ich dir eben "vorträglich" schon mal nen guten Rutsch ins neue Jahr (und vergiss auf keinen Fall deinen erstklassigen Schreibstil im Alten, okay?! ^__^)
...Lady_Silvermoon =)


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