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Das Leben ist wie ein Garten am Bahndamm

von

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Tränen

Dieser dumme kleine Topf mit dem Basilikum, frisch vom Wochenmarkt, wie er da so unschuldig und grün auf ihrem Küchentisch stand.
 

Jako spürte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Er kannte Marti einfach zu gut.

Marti hatte zu Anfang mit großem Appetit zu essen begonnen. Doch schon nach wenigen Bissen hatte er gestockt. Und nun ruhte sein Arm auf dem Ellbogen, die leere Gabel schwebte über dem Teller, die Hand, die die Gabel hielt, zitterte leicht. Sein Blick war in die Ferne abgedriftet.
 

Jako kannte diesen Blick. Es kam, wie gesagt, nicht oft vor. Aber wenn, dann war es unaufhaltsam, und er konnte nichts tun, um es abzuwenden. Es würde auch keine Worte geben, um Marti zu trösten. Er konnte nichts weiter tun, als einfach für Marti da zu sein. Ihn zu halten. Ihm zuzuhören und einfach nur da zu sein.
 

„Marti...?“, fragte er leise.

Martis Blick wandte sich ihm zu.

„Ba ...Basilikum ...“, stottert Marti, offenbar selber verwirrt über den Fluss der eigenen Gedanken.

„Mei ... meine Omi hatte einen kleinen Garten am Bahndamm. Und hat ...“

Ein tiefer schwerer Atemzug folgte. Ein schweres Schlucken.

„... Gemüse angebaut, und Obststräucher und ... Kräuter. Schnittlauch, Petersilie, alles mögliche. Auch Basilikum. Und als Kind hab ich ihr oft geholfen. Ich mochte das. Die Beete vom Unkraut frei halten, zusehen wie alles wächst und gedeiht. Die Gartenarbeit hat mir immer Spaß gemacht ...“

Er schniefte.

„Und ich hab immer gedacht, wenn ... wenn ich mal erwachsen bin, will ich auch einen Garten, aber ...“

Marti schluckte wieder, und Tränen traten in seine Augen.
 

Jako stand von seinem Stuhl auf, umrundete den Tisch und kniete sich neben Marti auf den Boden. Er legte die Arme um Martis Körper und schmiegte sich an ihn.

„... aber das geht nun nicht mehr ...“ flüsterte Marti, und dann war es soweit. Er brach hemmungslos in Tränen aus. Er weinte und schluchzte und es tat Jako in der Seele weh. Er hatte das Gefühl, es würde ihm das Herz zerreißen, seinen Schatz so weinen zu sehen.
 

Doch er ließ ihn weinen. Er war da und hielt ihn fest. Er wusste, das war das einzige, was Marti in diesem Moment half. Und er wusste auch, dass Marti nicht lange in diesem Gefühlstief hängen bleiben würde.

Es war gut, dass er sich ausweinte. Es half ihm, mit dem Verlust umzugehen. Und wenn er sich beruhigt hatte, würde er müde sein, und ausgelaugt. Würde Jakos Nahe brauchen und bekommen. Er würde erschöpft sein.

Und dann, wenn er ein wenig Schlaf bekommen hätte, wäre es vorbei. Er wäre wieder voller Lebensmut und würde wieder in der Lage sein, all die schönen Dinge in seinem Leben zu genießen.
 

Jako vermutete, das Martis Seele dieses Ventil einfach brauchte.

Daher erging er sich nicht in Beteuerungen und falschen Trost.

Kein „es wird schon wieder“, kein „alles ist gut.“

Nein, es würde nicht schon wieder werden. Die Tatsache, dass Marti nie wieder würde laufen können, war unabänderlich. Damit musste man arbeiten.

Nein, es war eben nicht alles gut. Vieles, ja, aber nicht alles. Doch das war letztendlich in jedem Leben so, oder? Warum also vorgeben, dass es anders sei.

Solch ein „Trost“ hätte sich in seine Ohren so falsch angehört, und Marti hätte er auch nichts genützt. Marti wollte solch Zureden nicht. Er wusste woran er war, und hatte seinen Weg gefunden, mit all dem seelisch umzugehen. Und Jako unterstützte ihn eben, und im Augenblick hieß das einfach, ihn zu halten und seine ganze Liebe spüren zu lassen.
 

Irgendwann versiegten die Tränen und das Schluchzen.

Eine Weile hörte man nur Martis schweres Atmen.

Dann sagte er leise:

„Ich glaube, ich habe keinen Hunger.“

Jako löste seine Umarmung und sah Marti in die Augen. Sie waren rot und verquollen, aber Jako fand sie auch in diesem Zustand noch wunderschön.

„Ich ... bin müde“, sagte Marti leise.

Jako stand auf und nahm Martis Hand.

„Komm“, sagte er, „lass uns schlafen gehen.“
 

Hand in Hand begaben sie sich in ihr Schlafzimmer. Jako schüttelte die Betten auf half Marti beim Entkleiden. Vieles konnte Marti selber. Aber bestimmte Handgriffe, nun ja, da benötigte er eben Hilfe, und er war dankbar, dass er diese Hilfe nicht von fremden Zivildienstleistenden bekam, sondern von seinem ... Mann.

Er liebte Jako und es gab keine Verlegenheit, keine Scham zwischen ihnen. Warum auch. Sie waren eben beide füreinander da.

Nachdem Jako ihm geholfen hatte, seine Schlafshorts überzustreifen, rollte Marti sich ganz nah an das breite Doppelbett heran. Er packte den Haltegriff, der daran befestigt war und stemmte sich hoch. Dann zog er sich auf das Bett, und als er auf der Bettkante saß, packte er seine Beine und wuchtete sie ebenfalls auf das Laken. Das ganze passierte schnell und routiniert. Jako sah aus den Augenwinkeln zu, um im Notfall eingreifen zu könne, ohne dabei seine Hilfe aufzudrängen. Marti kriegte das ganz gut alleine hin, also hielt er sich zurück.
 

Schließlich kuschelten sie sich aneinander. Es war noch früh am Abend, und Jako war noch nicht wirklich nach Schlafen zumute, aber Marti brauchte ihn jetzt ganz nah bei sich, und er würde mit ihm zusammengekuschelt liegen bleiben, bis Marti fest eingeschlafen wäre.

Dann würde er schnell in die Küche huschen und ein wenig aufräumen. Den Rest des Abends würde er dann neben Marti auf dem Bett sitzend zubringen. Mit einem Buch vielleicht, oder aber einfach nur mit Kopfhörern und Musik. Mal sehen. Auf jeden Fall würde er bei Marti bleiben und ihm seine Nähe schenken.
 

Als er wenig später tatsächlich mit Knöpfen im Ohr wieder auf dem Bett lag, gingen seine Gedanken zurück zu Martis Worten.

Ein Garten.

Er selber hatte sich in seiner Jugend immer vor der Gartenarbeit gedrückt, wo er nur konnte. Er konnte dem Herumwühlen in der Erde nichts abgewinnen. Aber bei Marti hatte das anscheinend anders ausgesehen.

Nun ja, es war tatsächlich so, dass das einer der Träume war, die sich Marti nicht mehr ohne weiteres würde verwirklichen können. Das war mit einem Rollstuhl einfach nicht drin, er konnte schleckt matschige Gartenwege entlang rollen und ähnliches. Und ein Garten nur zum Anschauen, in dem Jako die ganze Arbeit machte ... nun für Marti wäre er auch dazu bereit, aber das wäre definitiv nicht in Martis Sinne.

Er seufzte.
 

Vielleicht ... ja vielleicht sollte er morgen, am Samstag, mal mit Martis Mutter telefonieren ...



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