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Das Leben ist wie ein Garten am Bahndamm

von

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Basilikum

Manchmal sind es die kleinen Dinge.
 

Marti war in seinem Leben glücklich. Darüber war manch einer erstaunt, denn immerhin saß er im Rollstuhl. Aber Marti war ein Mensch, der keinen Sinn darin sah, Dingen hinterher zu trauern, die unwiederbringlich verloren waren. Er wollte einfach keine Energie in etwas verschwenden, was er doch nicht ändern konnte.
 

Es war nicht immer einfach, den Alltag zu bewältigen, keine Frage. Aber nun ja, Probleme und Kümmernisse hatten andere auch.

Sicher, es gab Dinge, die er nicht mehr tun konnte. Manch ein Traum aus früheren Zeiten war zumindest in eine weitere Ferne gerückt.

Aber das Leben findet, wenn ein Weg verschlossen bleibt, andere Wege. Es ist nie eine Einbahnstraße, es gibt immer Möglichkeiten. Die große Bühnenkarriere als Musiker, von der Marti als ganz junger Bengel geträumt hatte, die würde es wohl nicht werden. Aber der YouTube Kanal, den er inzwischen neben dem Studium aufgebaut hatte, machte ihm Spaß und bot Perspektiven. Das Studium selber betrieb er ebenfalls mit Leidenschaft.

Er hatte sich eben andere Ziele gesteckt, die ihn nicht minder antrieben.
 

Und dann gab es da vor allem natürlich Jako. Marti lebte mit dem Mann, den er über alles liebte, zusammen. Sie waren für einander da, halfen einander, verbrachten ihre freie Zeit zusammen, lebten, liebten, lachten gemeinsam. Marti liebte besonders, morgens neben Jako aufzuwachen. Er war immer schon eher wach, und während Jako noch murrend das Kissen über den Kopf zog, begrüßte Marti schon den neuen Tag und schaute seinem Liebsten ein paar Minuten beim Schlafen und Grummeln zu.
 

Jako war das beste, was ihm hatte passieren können. Er schenkte Marti all seine Liebe und vor allem behandelte er ihn nicht mit Mitleid oder dergleichen. Er redete mit ihm, wie mit jedem anderen auch, machte Witze über den Rollstuhl, über die Marti sich kaputt lachte. Er nahm Rücksicht, aber keine falsche Rücksicht. Und das schätzte Marti besonders.
 

Damals, kurz nach dem Unfall, als Marti bei seinen Eltern in Salzgitter gelebt hatte, war er eine Zeit lang ziemlich verzweifelt gewesen. Klar, da war alles noch frisch gewesen und es gab noch keinen Jako in seinem Leben, dafür eben das Riesenproblem, mit dem er klarkommen musste, nämlich nicht mehr laufen zu können.

Naturgemäß hatte er sich eine Zeitlang gehen lassen und sich manchmal auch wie ein Arschloch gegenüber den Eltern verhalten, weil er einfach nicht wusste, wie er mit alle dem umgehen sollte. Und die Mutter hatte das alles entschuldigt. Ach der arme Junge, der muss erst mal klarkommen, nun sei mal nicht so.

Sie hatte es gut gemeint.

Marti hatte es gehasst.
 

Martis Vater hatte sich zurückgehalten, der Bruder Lion war noch zu jung, aber Martis Schwester, Liona, die hatte sich das nicht lange mit angeguckt. Sie hatte ihren Bruder eines Tages zurecht gestaucht.

„Brüderchen“, hatte sie gesagt, „ich liebe dich, aber wenn du Mutter noch einmal so anfährst, dann kriegst du es mit mir zu tun! Und schiebe dein Verhalten bitte nicht auf deinen Rollstuhl! Der Unfall hat vielleicht deine Beine kaputt gemacht, aber nicht dein Gemüt, also wenn du dich Scheiße verhältst, dann schiebe das auf keinen anderen als auf dich selbst! Und jetzt entschuldige dich bei Mama!“
 

Die Mutter hatte entsetzt die Hände vor den Mund geschlagen, Vater und Bruder hatten ihr eigenes Leben zu lieb, um sich dem auszusetzen und verschwanden aus der Wohnstube.

Marti jedoch hatte einen Moment lang Luft geschnappt, dann hatte er gegrinst, seine Schwester in eine Umarmung gezogen und die Mutter tatsächlich um Verzeihung gebeten.
 

Mit Jako war es genau so. Der nahm auch kein Blatt vor den Mund, warum auch. Immerhin war Marti kein bedauernswerter Schwächling, sondern ein ansonsten kerngesunder junger Mann, der nur einfach eben im Rollstuhl saß. Also konnte er sich genau so gut wie jeder andere um seine Uni-Sachen kümmern und konnte seinen Teil zur Haushaltsführung betragen, und wenn nicht, kriegte er eben Zunder. Umgekehrt war es ja auch nicht anders.
 

Wie auch immer, Marti war tatsächlich glücklich.

Er hatte seinen Freund Jako.

Er hatte sein Studium, das ihm Spaß machte.

Er hatte seinen YouTube-Kanal und inzwischen eine Menge Fans.

Er hatte seine Instrumente, seine Musik.

Er hatte Freunde und Familie.

Er war soweit gesund und auch fit. Einmal die Woche musste er zur Physiotherapie, zum Aufbau und zur Stabilisation seiner Muskeln. Darüber hinaus hatte er sich einem Auqasport-Verein angeschlossen für Menschen mit Handicap. Auch dahin ging er einmal die Woche. Der Verein traf sich im Therapiebecken einer nahegelegenen Rehaklinik und dort wurde gezieltes Training für die verschiedenen Muskelgruppen durchgeführt, und Marti liebte das.
 

Er war optimistisch. Er lachte gerne und war voller Lebenslust und Freude an den kleinen und großen Dingen des Lebens.

Er war jemand, der die Dinge eben nahm, wie sie kamen, und der nicht einfach nur versuchte, das beste draus zu machen, sondern der das, was da kam und was er draus machte, auch noch von Herzen genoss.
 

Doch manchmal...

Es kam nur selten vor, dass es einen Moment gab, wo er eben doch mal Trauer und Tränen empfand. Sehr selten, doch wenn, dann kam so ein Moment wie aus dem Nichts.

Und es waren meist kleine, unbedeutende Dinge, die so etwas auslösten.
 

Man konnte so etwas nicht vorhersehen. Marti wusste ja selber nicht, warum nun gerade dies oder das ihn so packte und schüttelte.

Warum diese Stelle in einem Buch. Oder jener Satz, den ein Wildfremder in der U-Bahn gesagt hatte.

Ein Geschmack oder Geruch, der ihn vielleicht an Kindertage erinnerte ...

Und weil man es nicht ahnen konnte, konnte man auch nichts tun, um entsprechende Situationen zu vermeiden.
 

Manchmal war es auch etwas ganz simples. Etwas ganz profanes.

Etwas ganz alltägliches.
 

Heute zum Beispiel war es der Topf mit dem frischen Basilikum, der mitten auf dem Küchentisch stand.



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