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Einnehmende Freiheit

von

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Unser Saufabend war nun schon fast ein halbes Jahr her. Wir hatten nie wieder darüber gesprochen und dennoch konnte ich nicht verhindern, dass ich immer mal wieder daran zurückdachte. Ich wünschte mir, dass ich erfuhr, was dort wirklich geschehen war. Dieses Gefühl, dass ich am Morgen verspürte. Diese bodenlose Zufriedenheit hatte ich niemals wahrgenommen, wenn ich alleine war und mich betrunken hatte. Warum jetzt nach dieser Nacht?
 

Ich seufzte und strich mir durch die Haare. Erneut saß ich alleine auf der Couch in der stillen Wohnung, weil mein Vater wieder irgendwo auf Geschäftsreise war. Ich hasste es alleine zu sein, wodurch ich schon eine geraume Weile das Telefon in meinen Händen hielt.
 

Ja, ich wusste, dass ich dich nur anrufen musste und du würdest so schnell es möglich war zu mir kommen oder wir würden uns irgendwo treffen. Doch mein Stolz verbat es mir. Ich wollte dich nicht dauernd belagern. Irgendwie musste ich mich doch von dir loseisen können.
 

Kurzerhand wählte ich eine Nummer und drückte auf den grünen Hörer, wobei ich dann den Freizeichen lauschte, bis jemand ranging: „Kido?“ „Ja, hallo, hier ist Matt Ishida. Ist Joe vielleicht Zuhause?“, ich fühlte mich unsicher. Noch nie hatte ich den Älteren angerufen seit wir aus der Digiwelt zurückgekehrt waren. Doch irgendwie wusste ich nicht, mit wem ich sonst reden sollte. Er war älter und vielleicht wusste er einen Rat für mich.
 

„Ja, einen Moment. Ich gebe dich weiter“, erklang die dunkle Stimme des älteren Bruders, wobei es nur wenige Atemzüge dauerte und ich hörte die beruhigende Stimme von Joe: „Ja, was ist los?“
 

Er klang wirklich besorgt und vor allem überrascht. Was wohl daran lag, dass ich ihn heute zum ersten Mal anrief und na ja, ich wusste selbst nicht einmal wirklich warum ich das jetzt gerade getan hatte. Ich fühlte mich einfach nur gerade überfordert mit meinem aktuellen Leben. Und Joe wusste immer was zu tun ist. Er war der Älteste schon auf unserer Reise und auch wenn wir eigentlich nie wirklich auf ihn hörten, so hatte er doch auf uns aufgepasst und immer gewusst, was nun das Beste für uns war. Anders als du.
 

„Ich… ich wollte nur ein wenig mit dir reden“, dieser Satz klang selbst in meinen Ohren total erbärmlich, wobei ich schon mit allem rechnete nur nicht mit der sanften Antwort des Musterschülers: „Okay, warte, ich gehe kurz in mein Zimmer, dann können wir ungestört sprechen.“
 

Er konnte sich einfach nicht aus seiner alten Rolle lösen. Es war als würde er sich immer noch für alles verantwortlich fühlen und es als seine Pflicht sehen, dass er uns Jüngeren einfach half. Aber auch wenn das gerade einen komischen Nachgeschmack hinterließ so war ich froh, dass er sich für mich Zeit nahm.
 

„Ich… ich weiß nicht was ich tun soll“, eigentlich wusste ich nicht einmal, worüber ich reden wollte. Über den Abend mit dir? Über das komische Gefühl, das seitdem in meinem Körper herumflitzte? Oder vielleicht über etwas ganz anderes?
 

„Was ist denn passiert?“, diese endlose Ruhe in seiner Stimme und vor allem diese Aufopferung. Irgendwie tat es mir gerade Leid, dass ich ihn damals in der Digiwelt so schlecht behandelt hatte und vor allem der Meinung war, dass er ein schlechter Freund wäre. Das war nicht so. Wir waren alle jung und naiv. Aber wir haben damals viel gelernt. Vieles, was uns das Leben sonst erst viel später beigebracht hätte.
 

„Ich… ich weiß es nicht. Tai und ich“, ich stoppte und seufzte schwer. Konnte ich wirklich mit Joe darüber reden, wobei ich der Stille lauschte. Er war da. Das spürte ich überdeutlich und er wartete geduldig darauf, dass ich mich soweit gesammelt hatte, dass ich wusste, was ich wollte. Er war so geduldig.
 

„Tai und ich“, warum konnte ich nicht weiter sprechen? Wovor hatte ich Angst? Ich wusste doch gar nicht, was passiert war. Dennoch schnürte sich meine Kehle alleine bei dem Gedanken darüber zu reden zu.
 

„Ganz ruhig, Matt. Was ist euch passiert?“, fragte schließlich Joe sanft nach. Er ließ mir Zeit. So viel Zeit, was mich leicht lächeln ließ. Wie konnte solch ein Mensch neben all uns Hitzköpfen nur bestehen? Es verwunderte mich immer wieder, dass er den Kontakt zu uns aufrecht hielt, obwohl er doch um so vieles anders war als wir.
 

„Nichts. Mir fehlt Gabumon“, huschte es leise über meine Lippen, als mein Blick wieder auf das Digivice auf dem Tisch fiel. Ich wartete auf meine tägliche Nachricht von meinem Partner und jedes Mal fühlte ich mich solange alleine bis der Bildschirm aufleuchtete und ich eine Nachricht von ihm las. Er vergaß mich nicht. Niemals.
 

Ich hörte die Trauer in Joes Stimme und begann mich schlecht zu fühlen: „Ich vermisse Gomamon auch. Aber wir werden sie irgendwann wiedersehen. Da bin ich mir sicher. Izzy ist fleißig dabei. Und denk doch nur daran, wie wir in den letzten Ferien das Internet verteidigt haben. Wir haben sie wieder gesehen und sie haben für uns gekämpft. Niemals werden wir gänzlich von ihnen getrennt sein.“
 

Ich musste lächeln, als ich daran zurückdachte. Diesen Moment, als Agumon und Gabumon zusammen digitierten und den Feind gemeinsam besiegten. Das war so wunderschön gewesen. Und ich fühlte mich dir damals so nahe, worauf ich leicht lächeln musste.
 

„Danke, Joe. Du hast Recht“, auch wenn ich über mein eigentliches Problem nicht gesprochen hatte, so fühlte ich mich besser. Zuversichtlicher und vor allem verstanden. Er hatte erneut geholfen. Ohne große Worte oder gar irgendeiner aufwendigen Tat. Sondern einfach weil er das Richtige gesagt hatte. Und damit die Erinnerungen an das, was ich gerade in diesem Moment brauchte, zurückgeholt hatte.
 

„Keine Ursache. Und was dich und Tai betrifft. Ihr seid zwei Sturschädel und ihr werdet bis ans Ende immer gegeneinander rennen. Aber niemals werdet ihr wirklich auseinander driften. Dafür braucht ihr den anderen zu sehr als Konkurrent und Antrieb. Also, egal, was zwischen euch vorgefallen ist. Es wird sich schon wieder einrenken“, ich konnte das sanfte Lächeln direkt hören, was mich selbst leicht schmunzeln ließ. Irgendwie fühlte ich mich doch ein wenig besser.
 

„Danke, Joe“, diese Worte kamen aus den Tiefen meines Herzens und sie ließen mich leicht lächeln, wobei ich einfach nur froh war, dass ich seine Nummer gewählt hatte und wir uns schließlich voneinander verabschiedeten, um dann aufzulegen.
 

Ich fühlte mich besser und im nächsten Moment leuchtete mein Digivice auf. Eine Nachricht von Gabumon war darauf zu sehen: Bist du okay?
 

Wie gerne würde ich ihn antworten, wobei ich das kleine Gerät nur in meine Finger nahm und es fest an meine Brust drückte. Ich wünschte mir, dass ich meine Gefühle so Gabumon übermitteln konnte und ihm so zeigen konnte, dass es mir gut ging. Denn auch wenn es sich hin und wieder so anfühlte: Ich war nicht alleine…
 

~*~
 

Plötzlich klingelte es an der Tür, wodurch ich zusammenfuhr und irritiert in deren Richtung sah. Ich hielt immer noch das Digivice fest an meine Brust und die Worte von Joe hallten noch ein wenig in meinem Kopf nach. Darum verstand ich gerade nicht, wer jetzt vor der Tür stand.

Zögerlich stand ich auf und trat dann an die Gegensprechanlage heran: „Ja?“ Es erklang erst ein Rauschen, bevor ich dann deine freundliche Stimme hörte: „Hey, Matt. Ich bin’s. Lust einfach abzuhängen?“
 

Ich musste sanft lächeln und spürte erneut eine angenehme Wärme in meinem Inneren, bevor ich zu einer Antwort ansetzte: „Klar, ich komme runter.“ Sofort schlüpfte ich in meine Schuhe und befestigte das Digivice an meinem Gürtel, bevor ich dann einfach aus der Tür schlüpfte und nach unten eilte.
 

Dort wartetest du schon mit einem breiten Lächeln auf den Lippen, das ich nur allzu gerne erwiderte, als ich neben dich trat: „Was hattest du dir denn so vorgestellt?“ „Nun ja, so wirklich darüber nachgedacht hatte ich eigentlich nicht. Aber ich dachte mir, dass wir schon lange nichts mehr gemeinsam unternommen hatten. Vielleicht einfach nur ein wenig durch die Stadt schlendern und was Leckeres essen?“, machtest du deinen Vorschlag, der mich schmunzeln ließ.
 

„Essen klingt nach dir. Aber der Rest? Nicht wirklich“, zog ich dich ein wenig auf, worauf du mich anfunkeltest: „Nun gut, ich brauch neue Fußballschuhe. Und ich wollte nicht alleine gehen.“
 

„Warum hast du dann nicht Kari oder Sora mitgenommen?“, fragte ich ruhig nach, was von dir ein leichtes Schnauben forderte: „Um dann in jedes Kleidungsgeschäft geschleift zu werden? Nein, danke. Da nehme ich lieber dich mit. Du willst höchstens in einen Musikladen und das kann ich dann doch noch verkraften.“
 

„Wie gnädig“, lachte ich auf und fühlte mich wirklich wohl. Unsere Freundschaft existierte weiter und dennoch konnte ich nicht leugnen, dass irgendetwas unsichtbar zwischen uns schwebte. Ich wusste, was es war. Der damalige Abend, von dem wir immer noch nicht wussten, was wirklich geschehen war.
 

„Tja, außerdem haben sie auch meist keine Ahnung von Fußballschuhen. Deswegen kann ich nicht wirklich mit guten Kommentaren rechnen“, sprachst du weiter, was mich doch ein wenig stutzig machte: „Das habe ich aber auch nicht.“
 

„Ja, aber du tust nicht so, als wüsstest du wovon du sprichst. Du hältst dann einfach die Klappe“, manchmal verwunderte es mich schon ein wenig, wie du eigentlich von den beiden Mädchen dachtest, die dir doch eigentlich viel wert waren. Ich selbst sah dich darauf ein wenig schräg von der Seite an, bevor ich ein neues Thema anschnitt: „Zwischen dir und Sora läuft es wohl nicht so gut, hm?“
 

„Schon eine geraume Weile und langsam habe ich einfach keine Lust mehr. Es wirkt irgendwie so, als will sie gar nicht mehr mit mir zusammen sein. Ich glaube, dass ich sie einfach laufen lassen sollte. Es soll halt nicht sein“, es musste schon viel passiert sein, damit du aufgabst. Aber vielleicht hattest du Recht. Ihr passtet einfach nicht zusammen. Manchmal sollte es halt einfach nicht sein.
 

„Ihr könnt ja immer noch Freunde sein“, meinte ich ruhig und wir stiegen schließlich in die Bahn ein, um in das Stadtzentrum zu fahren. Ruhig standen wir uns gegenüber, wobei ich erkannte, wie sehr es dich eigentlich belastete. Was war nur zwischen euch vorgefallen, dass es dich so mitnahm?
 

„Freunde?“, du lachtest ein wenig komisch auf, „ja, das wird wohl das Einzige sein, was uns noch übrig bleibt. Ist schon komisch. Es hat erst gekriselt, als wir diesen gemeinsamen Saufabend hatten. Davor war alles irgendwie noch in Ordnung. Irgendwie sehr verwirrend. Es ist doch gar nichts vorgefallen, oder?“
 

„Ich kann mich an diesen Abend eigentlich gar nicht mehr richtig erinnern“, da war es schon wieder. Das sanfte Kribbeln in meinen Bauch, als ich an dieses Gefühl zurückdachte, als ich aufgewacht war. Irgendwie war ich an diesen Morgen trotz der Kopfschmerzen sehr zufrieden gewesen. Es ging mir seit langem mal wieder richtig gut.
 

„Ich irgendwie auch nicht. Dennoch fühl ich mich gut, wenn ich daran denke“, erneut kam ein Seufzer von dir und ich sah dich kurz an, bevor ich dann einen Vorschlag machte: „Was hältst du davon, wenn wir heute Abend einen Filmeabend machen? Natürlich ohne Alkohol.“
 

Den letzten Satz hing ich an, als ich sah, dass du mich skeptisch von der Seite mustertest. Irgendwie wollte ich mal wieder Zeit mit dir verbringen. So einen gemeinsamen Abend hatten wir seitdem nicht mehr unternommen. Ich wollte einfach, dass Alles wieder so wie früher wurde. Was war in dieser Nacht nur geschehen?
 

„Gut, wenn der Alkohol wegbleibt, dann spricht wohl nichts dagegen. Ich komm dann heute Abend zu dir. Da sind wir wenigstens ungestört und müssen nicht Kari oder so mitnehmen, die dann irgendwelche Liebesfilme sehen will.“
 

Ich sah wie du leicht erschauderst. Ja, Kari war zwar deine Schwester und du mochtest sie sehr gerne. Aber ab und an musste man einfach etwas alleine unternehmen. Einfach nur einen richtig guten Aktionfilm sehen. Und das war halt etwas, was man mit weiblichen Teilnehmern nur sehr selten tun konnte.
 

„Klingt gut“, ich lächelte. Irgendwie schien dieser Tag doch noch ganz schön zu werden, wodurch wir schließlich langsam aus dem Zug ausstiegen und in Richtung Stadtzentrum gingen. Vielleicht würde ich auch kurz in einem Musikgeschäft nachschauen. Ich brauchte ein paar neue Noten für meine Gitarre. Schließlich wollte ich meine Fähigkeiten in diesem Bereich ein wenig ausbauen. Doch erst einmal waren deine Schuhe dran.
 

„Das Geschäft ist gut“, meintest du und gingst auch schon in den Laden, wodurch ich dir schließlich folgte und schon sah, wie du dich in die Tiefen der Schuhauswahl verkrochst. Irgendwie war hier nichts, was ich brauchte. Meine Turnschuhe waren noch sehr gut und Sportschuhe selbst brauchte ich eigentlich nicht, wodurch ich schließlich Platz nahm und dir dabei zusah, was du für dich aussuchen wolltest.
 

Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Immer wieder sahst du dir ein Modell an. Probiertest es an. Liefst ein paar Schritte, nur um dann zu entscheiden, dass sie doch nicht gut waren. Hin und wieder sprachst du mit einem Verkäufer, doch ihre Beratung gefiel dir nicht. Es war nicht das, was du wolltest.
 

Das war einfach nur ätzend. Warum konntest du nicht den nächst besten Schuh nehmen, der dir gefiel und wir den Laden verlassen? So musste man sich fühlen, wenn man mit Frauen Kleidung einkaufen ging.
 

Ich war sehr darum bemüht meine Coolness zu wahren und nicht wie ein nasser Sack über meine Sitzgelegenheit zu hängen, weil ich mittlerweile seit drei Stunden hier festsaß und du erneut mit zwei Schuhen auf mich zukamst: „Welcher gefällt dir besser, Matt?“
 

„Oh Gott, Tai! Nimm doch einfach den da. Probier ihn an und wenn er sitzt, dann kauf ihn. Das kann doch nicht so schwer sein!“, verlor ich dann doch meine Fassung, weil du mir diese Frage schon gefühlte tausend Mal gestellt hattest. Ich wollte nichts mehr hören und ganz bestimmt keine Schuhe mehr sehen.
 

„Kein Grund gleich giftig zu werden“, du verzogst schmollend die Lippen und ich schnaubte nur, wodurch du dich wieder der Auswahl widmetest. Du musstest doch mittlerweile schon jeden Schuh an deinen Fuß gehabt haben? Das war doch nicht normal.
 

Erneut sah ich dich durch den Laden laufen, wobei du dabei einen imaginären Ball vor dich her trippeltest. Warum musstest du dabei nur so faszinierend aussehen? Wie all deine Konzentration auf deine Beinarbeit lag und die Welt um dich herum einfach verschwand. Ob ich auch so aussah, wenn ich Musik machte? Nein, ich mochte es zwar sehr gerne und es machte mir Spaß. Doch ich hatte noch lange nicht so viel Leidenschaft darin wie du.
 

„Die sind gut“, das waren die erlösenden Worte, die ich schon immer hören wollte, wodurch ich ein stummes „Halleluja“ gen Himmel schickte und wir endlich den Laden verlassen konnten. Eines war mir in diesen drei Stunden mehr als bewusst geworden: Ich würde nie wieder mit dir zusammen Schuhe einkaufen gehen…



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