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Meine bessere Hälfte

von

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Irgendwo in Nevada

"Es ist sooo~ heiß!"

"Meine Schuhe sind voller Sand!"

"Wann sind wir endlich da?"

Jammernd kroch ich meiner besten Freundin hinterher. Schon seit gefühlten Stunden liefen wir durch die Wüste Nevadas, doch Death City hatten wir immer noch nicht erreicht. Warum hatte der Shinigami-sama seine Stadt auch mitten in die Wüste gesetzt, meilenweit entfernt vom nächsten Highway? Selbst Atlantis war leichter zu finden!

Jamie, meine beste Freundin, ging schweigend vor mir her und ließ mein Gejammer unkommentiert. Sie war schon immer die ruhigere von uns gewesen, doch ich wusste, dass ihre Schweigsamkeit in diesem Fall von ihrer Erschöpfung herrührte. Genau genommen musste sie kurz vor der Ohnmacht stehen, denn im Gegensatz zu mir war sie alles andere als an Ausdauersport gewöhnt.

Genervt sah ich zur Sonne, die nach wie vor mit ihrem irren Grinsen gnadenlos vom Himmel brannte. Jetzt war definitiv Zeit für eine Pause!

"Hach", stöhnte ich theatralisch und lehnte meinen Handrücken an meine Stirn.

"Diese Hitze…". Dramatisch ließ ich mich rückwärts in den Sand fallen und rührte mich nicht mehr.

Nach einigen schweigsamen Minuten öffnete ich ergeben die Augen. Jamie war wenige Meter vor mir zum stehen gekommen und beobachtete mich kopfschüttelnd, mit ihrem typischen ruhigen Lächeln im Gesicht.

"Wir sind da."

Überrascht stand ich auf und klopfte mir den Sand von der Hose. Direkt hinter Jamie erkannte ich eine Stadt, die sich hoch über den Wüstenboden auftürmte. Hinein führte eine gepflasterte Straße, die offenbar quer durch die Wüste verlief.

Wütend stieß ich die Luft aus. Eine Straße! Und wir hatten uns stundenlang durch den Sand gekämpft!

"Death City ist ziemlich beeindruckend, oder?", holte mich Jamies Stimme aus meiner gedanklichen Schimpftirade zurück.

"Hmmhm", brummte ich zustimmend. Ja, Death City war beeindruckend, vor allem, wenn man aus einem kleinen Dorf in Südengland kam und die größte Stadt in der Nähe gerade einmal 23.000 Seelen beherbergte. Einen Ort wie diesen hatten wir noch nie gesehen.

"Glaubst du, wir finden uns hier zurecht?"

Ich hörte die Zweifel in ihrer Stimme.

"Klar doch.", grinste ich selbstsicher, um ihr Mut zu machen. "Und wenn uns jemand dumm kommt, kann er was erleben!"

Zur Antwort lächelte sie nur. Denn auch, wenn sie es nicht ausgesprochen hatte; ich wusste, dass sie sich größere Sorgen um unsere neuen Mitschüler machte, als um die Größe der Stadt. Im Gegensatz zu mir war es Jamie wichtig, was andere über sie dachten und sie hatte Angst, dass wir hier keine Freunde finden würden - was nicht ganz unwahrscheinlich war, denn zu Hause waren wir auch nicht besonders beliebt gewesen.

Doch ganz egal wie groß ihre Sorgen waren, ich zerstreute sie-so gut ich konnte.
 

Wir liefen die Straße entlang, Richtung Stadtzentrum, zur Shibusen. Währenddessen sah ich mich neugierig um. Die meisten Häuser schienen schon sehr alt zu sein, doch ab und zu sah man modernere Gebäude dazwischen. Auf vielen Dächern sah ich Kreuze, obwohl es keine Kirchen zu sein schienen. Außerdem entdeckte ich überall Totenköpfe – das Markenzeichen vom Shinigami-sama, wie ich von Jamie wusste. Die Straßen, die von den Hauptstraßen wegführten, waren oft sehr verwinkelt und schmal, was typisch für alte Städte war. Die Straße, der wir folgten, wurde an einigen Stellen von Treppenstufen unterbrochen.

Als ich weiter die Häuser bestaunte – unglaublich, wie viele Türme es gab! – fiel mir etwas entscheidendes ein.

"Sag mal, hat deine Granny uns nicht eine Wohnung besorgt?"

"Ja, in der Elm Street, Hausnummer sieben.", antwortete sie ruhig,

Ungläubig sah ich sie an. "In der Elm Street? Ist das dein Ernst?"

"Wieso nicht?", fragte sie unschuldig, doch ihre Mundwinkel zuckten leicht.

Leise lachte ich, sie war wirklich eine schlechte Lügnerin.

"Gut, du hast mich erwischt.", gab sich Jamie schließlich geschlagen. "Eigentlich wohnen wir in der Fleet Sreet."

"Jay, hör auf, mich zu verarschen!", motzte ich gespielt sauer.

"Nagut.", lachte sie jetzt. "Aber diese Straßennamen sind glaubwürdiger, als der richtige. Oder glaubst du mir, dass wir in der Strawberrystreet wohnen?"

Belustigt gluckste ich. Sie hatte recht, zu Death City passten Straßennamen aus irgendwelchen Horrorfilmen besser als so etwas harmloses.

"Stimmt, das klingt merkwürdig.", antwortete ich. "Aber du weißt nicht zufällig, wo die Strawberrystreet ist?"

"Nein, keine Ahnung.", zerstörte sie meine Hoffnungen. "Wir können ja in der Schule jemanden fragen, wenn wir dort sind.", schlug sie vor.

Unzufrieden blies ich meine Wangen auf. Ich hatte keine Lust, irgendeinen pubertären Vollpfosten schon am ersten Tag um Hilfe zu bitten. Generell bat ich niemanden um Hilfe, dazu war ich zu Stolz. Und ich wollte nicht wie ein kleines Mädchen wirken, das ohne fremde Hilfe nicht zurechtkam.

Während ich mit mir haderte, ob ich über meinen Schatten springen sollte oder Jamie um Hilfe bitten ließ, blieb besagte stehen. Wir standen auf einem großen Platz, in dessen Mitte ein plätschernder Springbrunnen stand. Dahinter erhob sich eine riesige Treppe, die über hunderte Stufen nach oben führte. Mich beschlich das Gefühl, dass wir nach dort oben müssten, zumal das Gebäude, das sich dort befand, verdächtig nach der Shibusen aussah.

Jamie warf mir einen aufmunternden Blick zu, bevor sie meine Hand nahm und mit mir die Treppe erklomm. Der Aufstieg selbst erwies sich als weniger schlimm, als erwartet und oben angekommen bot sich uns ein atemberaubender Blick über die Stadt. Jamie, die mittlerweile meine Hand losgelassen hatte, setzte sich erschöpft auf den Boden, während ich mich an das Geländer lehnte, das den Schulhof umgab.

"Wo müssen wir jetzt hin?", sprach ich meine erschöpfte Freundin an, und ließ meinen Blick über den menschenleeren Schulhof wandern. Offenbar saßen alle brav im Unterricht.

"Keine Ahnung.", antwortete Jamie und stand auf. "Wir müssen uns wohl durchfragen."

"Und bei wem? Hier ist niemand, den man fragen könnte.", und selbst wenn, würde ich nicht fragen.

"Dann suchen wir drinnen jemanden.", erwiderte sie entschlossen und ging auf das Schulgebäude zu.
 

Wenige Augenblicke später befanden wir uns in einem Labyrinth aus Korridoren, in dem wir schon jetzt jegliche Orientierung verloren hatten. Beinahe verzweifelt irrten wir durch die Gänge, bis sich plötzlich eine Tür vor uns öffnete und ein komplett blauer Kerl heraustrat. Vor Schreck machte Jamie einen Satz zurück und versteckte sich hinter mir. Erst jetzt bemerkte ich das Loch in seiner Stirn – der Typ war definitiv kein Mensch!

"Nanu, kann ich euch helfen?", fragte der merkwürdige Kerl und da Jamie nicht in der Lage war, etwas zu sagen, musste ich antworten.

"Wir suchen den Shinigami-sama."

"Ah, ihr seid die neuen Schülerinnen, richtig? Kommt mit, ich zeige euch den Weg.", bot er uns freundlich an und bevor ich etwas hätte sagen können, ging er schon voraus. Misstrauisch folgte ich ihm, mit Jamie im Schlepptau. Er schien zwar zur Shibusen zu gehören, sonst wäre er wohl kaum hier, aber er sah nicht aus wie ein Schüler. Und auch nicht wie ein typischer Lehrer, was nicht zuletzt an dem Loch in seinem Kopf lag. Müsste er nicht eigentlich tot sein?!

Nach einigen stillen Minuten blieb der Kerl vor einer Tür stehen, auf der in einer krakeligen Schrift "Death Room" stand – das klang ja wirklich vertrauenswürdig! - und öffnete sie. Jamie und ich folgten ihm durch einen langen Gang aus Holztoren, doch als ich den Blick nach oben wandte, sah ich eine Reihe von Fallbeilen. Das waren Guillotinen! Sofort flog mein Kopf zu Jamie herum, doch sie schien die Messer noch nicht bemerkt zu haben, und ich würde sicher nicht den Fehler machen und sie darauf hinweisen. Solange die Messer dort blieben, wo sie waren, brauchten wir uns keine Sorgen machen.

Als wir den Gang durchquert hatten, fanden wir uns auf einer weiten Ebene wieder. Im Boden steckten überall Kreuze – war das ein Friedhof? - und über uns erstreckte sich ein blauer Himmel. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen, waren wir nicht eben noch in der Schule gewesen? Andererseits befanden sich im "Himmel" einige kleine Fenster, was bedeuten musste, das wir uns tatsächlich in der Schule befanden.

'Verrückt', dachte ich mir und schüttelte den Kopf. Dann erregte etwas direkt vor mir meine Aufmerksamkeit. Dort standen, auf einer kleinen Erhöhung, ein großer Spiegel und eine schwarze Maskengestalt – der Shinigami-sama! Ich spürte, wie sich Jamie an meinen Arm klammerte, worauf ich sie fragend ansah. Mit großen Augen starrte sie den Shinigami-sama an und traute sich nicht, etwas zu sagen, nicht mal ein leises „Hallo“ kam über ihre Lippen. Die pure Ehrfurcht stand ihr ins Gesicht geschrieben, was ich sehr gut verstehen konnte, immerhin war das der Totengott. Mit dem wollte es sich niemand, der noch bei klarem Verstand war, verscherzen. Selbst ich hatte eine gehörige Portion Respekt vor-

"Halli-Hallo~.", trällerte der Shinigami zur Begrüßung. "Wie gehts, wie stehts?"

Eine meiner Augenbrauen zuckte ungehalten, das wars mit dem Respekt. Warum redete er mit uns, als wären wir Kleinkinder? Wollte der uns verarschen?!

"Hattet ihr eine schöne Reise?", sprach er weiter, als wir nicht reagierten.

Eine schöne Reise?! Das brachte das Fass zum Überlaufen. Heiße Wut kochte in mir hoch und meine Selbstbeherrschung verabschiedete sich mit Pauken und Trompeten.

"Eine schöne Reise?", knurre ich sauer."Das ist wohl ein schlechter Scherz! Mal abgesehen von dem zehnstündigen Flug, ist es wirklich so schwer, diese Stadt auszuschildern?! Oder eine vernünftige Wegbeschreibung zu machen?!"

"Äh, Ray...", versuchte Jamie mich zu beruhigen, doch ich ignorierte sie.

"Offenbar schon!", schimpfte ich mich weiter in Rage. "Denn sonst wären wir nicht stundenlang durch diese beschissene Wüste geirrt, obwohl es eine Straße gab! Wer kommt überhaupt auf die Idee, eine Stadt mitten im Nirgendwo zu gründen?! Hier gibt es nichts außer Sand und dieser scheiß Hitze! Und dann auch noch diese verfickte Treppe, die -"

"SHINIGAMI-CHOP!"

Schon lag ich mit schmerzendem Schädel am Boden. Ah, da war mein Respekt also abgeblieben...

"Ray, ist alles in Ordnung?", hörte ich Jamies besorgte Stimme. Mühsam richtete ich mich wieder auf.

"Ja ja, alles tutti...", erwiderte ich gequält und rieb mir den Kopf. Ich würde nie wieder vor dem Shinigami-sama so ausrasten, ganz sicher.

"Also hattet ihr keine schöne Reise?", hakte der Totengott mit schief gelegtem Kopf nach.

"Kann man so sagen...", antwortete diesmal Jamie, ich hielt zur Sicherheit erstmal die Klappe.

"Hmm, naja, da kann man nichts machen. Gab es denn bei dir nochmal Probleme, Jamie -chan?"

Probleme? Meinte er etwa den Grund, aus dem sich überhaupt erst Jamies Waffenfähigkeiten gezeigt hatten? Ich wusste zwar, dass sie Konakt zum Shinigami-sama hatte, bevor wir herkamen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie ihm alles erzählt hatte. Scheinbar vertraute sie dem Totengott.

"Nein, es ist alles ruhig geblieben."

"Na, dann ist ja alles gut. Ich nehme an, dieser Wildfang ist deine Partnerin?"

"Ja, das ist Ray.", bestätigte Jamie ihm, bevor ich etwas zu der Bezeichnung als "Wildfang" sagen konnte. So schlimm war ich nun auch wieder nicht.

"Na denn, herzlich willkommen in Death City, Jamie-chan und Ray-chan! Fühlt euch wie zu Hause!", trällerte er fröhlich und erntete ein ebenso fröhliches Lächeln von Jamie, während ich versuchte, das "chan" an meinem Namen zu ignorieren.

"Der Unterricht ist für heute schon fast gelaufen, aber wenn ihr wollt, könnt ihr in den letzten beiden Stunden trotzdem schon mal in eure neue Klasse reinschnuppern.", bot uns der Shinigami an.

Doch bevor ich dieses Angebot freundlich abschlagen konnte - wer ging schon freiwillig in den Unterricht? - nahm Jamie wieder das Wort an sich.

"Sehr gern.", lächelte sie. Natürlich, Jamie mochte den Unterricht, wie hatte ich das nur vergessen können?

"Sehr schön.", freute sich der Totengott. "Wenn das so ist, wird Sid euch in eure Klasse bringen."

Ich war verwirrt, wer war denn jetzt Sid?

"Alles klar, kommt mit ihr beiden.", machte sich der blaue Kerl bemerkbar. Das musste also Sid sein.

"Tschüss, ihr zwei!", rief uns der Shinigami-sama hinterher, als wir Sid aus dem Death Room folgten.

Als wir wieder auf dem Korridor waren, wandte ich mich verzweifelt an meine Partnerin.

"Jay, kannst du mir erklären, warum du ausgerechnet heute schon die Schulbank drücken willst?"

"Ist das nicht offensichtlich?", erwiderte sie, worauf ich sie nur verständnislos ansah. "Nun ja, zum einen natürlich, um unsere Klassenkameraden kennenzulernen und einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen, und zum anderen, um uns schon mal mit dem Unterrichtsstoff vertraut zu machen. Außerdem ist unser gesamtes Gepäck schon vor Tagen in unsere neue Wohnung gebracht worden, und unser Handgepäck kann uns nicht vom Unterricht abhalten.", schloss sie ihre Erklärung und ich seufzte ergeben.

"Das mit dem guten ersten Eindruck könnt ihr schon mal vergessen.", mischte sich jetzt Sid ein. "Bis jetzt hat sich noch niemand getraut, so mit dem Shinigami zu reden. Erst recht kein Neuling.", erklärte er und warf mir einen kurzen Seitenblick zu.

Beleidigt blies ich die Wangen auf. Ich wusste selbst, dass ich mich nicht besonders klug verhalten hatte, doch ich war nicht der Typ Mensch, der etwas bereute. Außerdem war ich ja nicht immer so! Klar, ich ließ mich leicht provozieren und ging auch sonst keinem Streit aus dem Weg, aber damit hatte die Sache im Death Room nichts zu tun. Daran war nämlich bloß meine schlechte Laune schuld, die von der nervigen Anreise herrührte.

"Da sind wir.", kündigte Sid an. ,,Das Klassenzimmer der Halbmondklasse."

Halbmondklasse? Warum waren die Klassen hier nicht einfach durchnummeriert? Klar, "Halbmondklasse" war kreativer als irgendeine seelenlose Zahl, aber es erinnerte mich stark an meine Kindergarten-Gruppe.

Während ich mir noch Gedanken machte, ob alle Klassen nach einer Mondphase benannt oder ob es auch Sternschnuppen - oder Milchstraßenklassen gab, betrat Sid den Klassenraum. Wobei dieser Raum eher ein Hörsaal war, als ein normales Klassenzimmer.

Zielstrebig ging Sid auf den Mann hinter dem Lehrerpult zu und wechselte mit ihm ein paar Worte, die ich nicht hören konnte. Stattdessen sah ich mich im Klassenraum um und musste feststellen, dass sämtliche Augenpaare auf mir und meiner Partnerin lagen. Krampfhaft versuchte ich, sie zu ignorieren. Konnten die nicht etwas weniger auffällig glotzen? Ich kam mir vor wie im Zoo! Als ich spürte, wie Jamie sich unsicher hinter mir versteckte, ging ich jedoch zum Angriff über. Jedem einzelnen, der uns so ungeniert anstarrte, schenkte ich einen so finsteren Blick, wie ihn nur Voldemort beherrschte. Ein wenig erschrocken sahen die meisten irgendwo anders hin, den Rest kratzten meine Blicke wohl nicht.

Nachdem Sid den Raum verlassen hatte, wandte sich der Lehrer - Moment mal, steckte dem eine Schraube im Kopf?! - zu Jamie und mir. Langsam fragte ich mich, ob auf dieser Schule überhaupt jemand normal war.

"Ich bin Doktor Stein, euer Klassenlehrer.", stellte er sich vor. "Ihr beiden könnt euch der Klasse vorstellen, wenn ihr wollt."

Dass wir keine Wahl hatten, stand außer Frage. Mit unsicheren Schritten trat Jamie neben das Pult, ich folgte ihr.

"Hallo.", fing sie zögerlich an, sich vorzustellen. "Ich bin Jamie Smith, ich bin 16 und komme aus Südengland. Meine Lieblingsfarben sind rot, gelb und orange, ich spiele Gitarre, ich koche gerne und ich mag keine unangenehmen Gerüche."

Zufrieden lächelte ich meine Partnerin an, die ihren Teil der Vorstellungsrunde somit hinter sich gebracht hatte. Doch jetzt war ich an der Reihe, und ich hatte absolut keine Lust, einem Haufen Amerikaner irgendetwas zu erzählen.

"Mein Name ist Rayanne Bennett-", gab ich widerstrebend von mir - ich hasste es, meinen ganzen Namen zu benutzen, "-ich bin genauso alt wie Jamie und komme auch aus Südengland. Meine Lieblingsfarben sind grün und blau und ich kenne mich ganz gut mit Technik aus.", endete ich.

"Gut, hat noch jemand Fragen an unsere neuen Schülerinnen?", fragte Doktor Stein an die Klasse gewandt und im nächsten Moment schossen auch schon mehre Hände nach oben. Gedanklich verzweifelte ich. Warum musste ich jetzt auch noch irgendwelche neugierigen Fragen beantworten? Jamie würde wohl auf keine davon antworten, denn es sah aus, als ob sie für ihre Vorstellung ihren letzten Rest Mut verbraucht hätte. Super.

Der Doktor machte keine Anstalten, jemanden dran zunehmen, also musste ich wohl ran. Aufmerksam sah ich mich in der Klasse um, um jemanden aufzurufen.

"Du da, mit der komischen Brille.", sprach ich einen Kerl aus der ersten Reihe an, der aussah wie ein Super-Streber.

"Wer von euch beiden ist Meister und Waffe?"

"Ich bin der Meister, Jamie ist meine Waffe.", antwortete ich kurz angebunden und rief als nächstes ein Mädchen mit zwei Zöpfen auf.

"Was für eine Waffe ist Jamie?", war die ebenfalls fachbezogene Frage.

"Ein Schwert."

"Trägst du farbige Kontaktlinsen?", wollte ein Mädchen mit Cowboyhut wissen.

Perplex blinzelte ich, diese Frage hatte ich nicht erwartet. Andererseits hätte es mir klar sein müssen, das so etwas kam, schließlich hatten die wenigsten verschiedenfarbige Augen. In meinem Fall war das linke Auge blau, während das rechte grün war - für mich etwas vollkommen normales.

"Äh, nein. Meine Augen sind so.", antwortete ich schließlich.

"Warum kommt ihr erst jetzt an die Shibusen?", kam es von ihrem schwarzhaarigen Sitznachbarn.

Augenblicklich spannte ich mich an. Das wir "erst" jetzt hierher kamen, lag schlichtweg daran, dass sich Jamies Waffenfähigkeiten nicht früher gezeigt hatten. Meine Anspannung lag allerdings vielmehr an dem Grund, aus dem sich meine Partnerin überhaupt erst verwandelt hatte, und das würde ich garantiert niemandem erzählen. Nur über meine Leiche.

"Das geht dich nichts an.", zischte ich ihn also an, nicht so freundlich, wie ich es vorgehabt hatte. Aber ich war eben empfindlich, wenn es um Jamie ging.

Der schwarzhaarige Kerl sah mich nach meiner Antwort finster an, sagte aber nichts.

Großartig, ich machte mich schon an meinem ersten Tag unbeliebt.

"Habt ihr beiden 'nen Freund?", rief plötzlich jemand durch den Raum, den ich nicht sehen konnte.

"Das geht euch 'nen Scheiß an!", knurrte ich ungehalten. Langsam ging mir diese Fragerei auf die Nerven.

Bevor die Situation noch eskalierte, mischte sich jetzt unser Klassenlehrer ein.

"Ich denke, wir beenden hier die Fragerunde. Ihr beiden könnt euch neben Soul setzen."

Genervt hob ich eine Augenbraue und sah ihn abwartend an. Woher sollten wir wissen, wer Soul war?

"Zweite Reihe, der Junge mit den weißen Haaren.", sagte er schließlich, und Jamie und ich machten uns auf den Weg zu unseren Plätzen.

Glücklich, mich endlich hinsetzen zu können, ließ ich mich neben den weißhaarigen plumpsen, Jamie links neben mir. Kaum, dass wir saßen, beugte sich das dunkelblonde Mädchen von vorhin über ihren Sitznachbarn zu uns.

"Hi, ich bin Maka, Souls Meisterin.", lächelte sie freundlich.

"Hi.", erwiderte ich und meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben.

"Wenn irgendetwas ist oder ihr Probleme habt, könnt ihr immer zu mir kommen.", bot sie uns an und ich nickte.

Sie schien ganz in Ordnung zu sein, im Gegensatz zu dem Typen schräg über mir, der laut schnarchte. Ich drehte mich, sodass ich nach oben sehen konnte, und erkannte einen blauen Haarschopf, der völlig entspannt auf der Tischplatte lag .Eine meiner Augenbrauen zuckte ungehalten. Wie konnte man nur so laut schnarchen? Dass er im Unterricht schlief, interessierte mich weniger, das war ja sein Problem, aber ich konnte Schnarchgeräusche einfach nicht leiden.

Neben ihm saß ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren, die mich entschuldigend ansah. Offenbar war die Schnarchnase ihr Partner. Irgendwie tat sie mir leid.

Mit dem Gedanken, endlich die nervtötende Schnarcherei zu beenden, streckte ich meine Hand aus und hielt dem Blauschopf die Nase zu. Das Schnarchen hörte auf. Der blauhaarige allerdings fing an, aufzuwachen und verzog dabei sein Gesicht. Plötzlich riss er die Augen auf und fuhr hoch.

"Ich bin wach!", schrie er durch die Klasse, doch ich konnte unmöglich sagen, ob er das aus Reflex oder mit Absicht tat. Trotzdem konnte ich ein leises Lachen nicht zurückhalten.

"Herzlichen Glückwunsch, Dornröschen.", grinste ich ihm frech entgegen.

Verwirrt blinzelte er mich an. "Wer bis du denn?"

"Die neue, die dich aufgeweckt hat.", grinse ich immer noch.

"Aha. Und wie heißt du?"

"Ray.", sagte ich.

Plötzlich fing der blauhaarige an, zu grinsen.

"Dann musst du mich wohl geweckt haben, weil du von meinen unglaublichen Heldentaten gehört hast und unbedingt ein Autogramm haben willst!", schlussfolgerte er.

"Ähh...Nein?", stellte ich ein wenig konfus klar. "Wer bist du?", stellte ich die dümmste Frage, die ich hätte stellen können.

"Du kennst mich nicht? Ah, dann musst du die neue sein!", kombinierte er mit seinem rasiermesserscharfen Verstand. Doch bevor ich dazu ein spitzes Kommentar äußern konnte, stellte er sich endlich vor.

"Ich bin der großartige, fantastische, einzigartige, fabelhafte, unnachahmliche, göttliche, großherzige, unfassbare,..."

Ich klinkte mich aus. Unfassbar war bloß sein Talent, so viele Adjektive aneinander zu reihen. Wie konnte man so selbstverliebt sein?

Mittlerweile hatte seine Lobeshymne eine derartige Lautstärke erreicht, sodass sich niemand mehr auf den Unterricht konzentrierte.

Mein weißhaariger Sitznachbar stützte schon verzweifelt den Kopf in die Hände, als ich ihn ansprach.

"Ist der Typ immer so?"

"Frag bloß nicht...", antwortete er müde.

"UNGLAUBLICHE,", wurde das nächste Wort durch den Raum geschmettert, das man nicht so einfach überhören konnte.

"..., unwiderstehliche, charmante,..."

Langsam fragte ich mich ernsthaft, was bei ihm schiefgelaufen war. Noch nie war ich jemandem begegnet, der sich so maßlos überschätzte - das war wirklich unglaublich!

"...,gutaussehende,..."

Genervt schlug ich meinen Kopf auf die Tischplatte. Warum in aller Welt musste ich ihn auch nach seinem Namen fragen?

"..., Traum deiner schlaflosen Nächte -"

BITTE?! Fassungslos ruckte mein Kopf nach oben...darüber ließ sich streiten...

"-Black*Star!", beendete er endlich seinen Satz. "Ich bin der einzigartigste der Einzigartigen, göttlicher als die Götter-"

Abrupt wurde seine Rede durch ein fliegendes Skalpell beendet, das haarscharf an seinem Gesicht vorbeizischte.

"RUHE JETZT!", donnerte Doktor Stein.

Mit Schrecken stellte ich fest, dass das Skalpell von ihm stammte. Durften die Lehrer hier sowas?

Betont brav setzte ich mich wieder richtig hin und versuchte, dem Unterricht zu folgen. Das stellte sich jedoch als schwieriger heraus, als gedacht, denn von "Seelenkunde" hatte ich keinen blassen Dunst. Reichte es nicht, zu wissen, dass jeder Mensch eine eigene Seele besaß?

Jamie schien der neue Stoff nicht zu stören, denn sie schrieb genauso fleißig mit, wie an unserer alten Schule - zum Glück, denn durch ihre Aufzeichnungen verstand ich für gewöhnlich das meiste. Trotzdem verbrachte ich die Zeit bis zum Schulschluss damit, den Minutenzeiger der Uhr durch böse Blicke dazu zu bringen, sich schneller zu bewegen. Unnötig zu erklären, dass das nichts brachte.
 

Als die Schulglocke mit einem merkwürdigen "Kill-Dong-Dang-Dong" ertönte, wollte ich mich so schnell wie möglich verdrücken. Denn jetzt würden Jamie und ich wahrscheinlich erst richtig gelöchert werden - worauf ich absolut keine Lust hatte. Am liebsten wäre ich jetzt in unsere neue Wohnung gegangen, hätte mich ins Bett gelegt und bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen.

Doch mein halbherziger Fluchtversuch wurde, kaum dass ich wieder vor dem Lehrerpult stand, vereitelt - von Jamie, die mich im letzten Moment am Ärmel meiner braunen Kapuzenjacke festhielt. Offenbar wollte sie von den anderen ausgefragt werden. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit genervter Miene auf das unvermeidliche zu warten: Fragerunde 2.0!

Zu meinem Glück ging der größte Teil der Klasse nach draußen, bis nur noch eine kleine Gruppe vor uns stand. Darunter waren unsere Sitznachbarn Maka und Soul, Black*Star, das dunkelhaarige Mädchen, das neben ihm saß, der schwarzhaarige Typ, der mich so finster angestarrt hatte - ich bemerkte erst jetzt die idiotisch aussehenden Streifen in seinem Haar - ,das Mädchen mit dem Cowboyhut, ein anderes Mädchen, das auch einen Cowboyhut trug - entweder waren sie allerbeste Freundinnen oder Schwestern -, der personifizierte Super-Streber und einige andere, die ich vorher noch nicht beachtet hatte.

"Hey.", brummte ich, als mir das schweigsame Anstarren zu blöd wurde.

"Hey, Jamie und Rayanne -"

"Lass das "-anne" bitte weg, Ray reicht völlig.", unterbrach ich Maka.

"Okay, also Ray, wir dachten uns, dass wir euch ein bisschen durch die Stadt führen könnten, wenn ihr wollt. Immerhin kennt ihr euch hier ja noch nicht aus.", schlug sie vor.

Nachdenklich blickte ich sie an. Einerseits hatte ich keine große Lust, meine Freizeit mit dem blauhaarigen Gockel oder dem empfindlichen Streifen-Heini zu verbringen. Andererseits kannten sich weder Jamie noch ich in Death City aus, und wenn Maka und die anderen uns schon freiwillig herumführen wollten, wäre es dämlich, dieses Angebot abzulehnen. Außerdem mussten wir so niemanden mehr suchen, der uns in die Strawberrystreet bringen konnte.

"Was meinst du, Jay?", sprach ich meine stille Partnerin an, die bloß schüchtern lächelte und nickte. Damit war es beschlossene Sache.

"Okay, das ist eine gute Idee.", nahm ich Makas Vorschlag an.
 

Zehn Minuten und einige neue Bekanntschaften später standen wir wieder auf dem Platz mit dem Springbrunnen. Ox, der Strebertyp, und sein Partner Harvar hatten sich schon verabschiedet, da sie eine Freundin treffen wollten, die heute von einem Auftrag zurückkehren sollte.

"Also.", wandte sich Maka wieder an mich und Jamie. "Wo wollt ihr als erstes hin?"

Überlegend starrte ich zur Sonne, die mittlerweile ihren Zenit überschritten hatte – es war jetzt sogar noch wärmer als vorhin! Ich strich mir die Haare nach hinten und band sie zu einem Pferdeschwanz, in der Hoffnung, so etwas Kühlung zu bekommen.

"Eine Eisdiele wäre nicht schlecht.", meinte ich nach einem Seitenblick zu meiner Partnerin, die jetzt ebenfalls mit Pferdeschwanz dastand und sich mit einer Hand Luft zu fächelte. Diese Hitze war wirklich kaum auszuhalten! Zu Hause wurde es nicht mal im Sommer so extrem heiß, aber heute war gerade erst Frühlingsanfang.

Als wir uns auf den Weg zur Eisdiele machten, bemerkte ich im vorbeigehen ein Thermometer an einer Hauswand. Die Temperatur, die es anzeigte, war kaum zu glauben: 100,2° Fahrenheit, und das im Schatten! Umgerechnet in Celsius waren das 38°.

"Ist es hier immer so heiß?", fragte ich Liz ein wenig ungläubig.

Doch bevor sie antworten konnte, mischte sich ihr Meister ein.

"Wir sind mitten in einer Wüste, was erwartest du?", war sein altkluges Kommentar.

War er etwa immer noch wegen der Sache im Klassenraum angepisst? So eine Zicke...

"Ich weiß wohl, dass es in Wüsten extrem heiß sein kann, aber das muss nicht die Regel sein. Es gibt auch Wüsten, in denen es schneit.", fügte ich hinzu, als ich mich an den letzten Reisebericht meiner Tante Molly erinnerte.

"In welcher Wüste schneit es denn?", kam es ungläubig von Soul.

"Eigentlich in jeder, solange es kalt genug ist."

"Hier ist es eigentlich immer so heiß, und geschneit hat es hier auch noch nicht. Jedenfalls nicht, seit Patty und ich hergezogen sind.", beantwortete Liz ein wenig verspätet meine Frage.

"Ist ja ätzend...", murrte ich leise.

Ich war niemand, der solche extrem warme Orte mochte. Zwar stand ich auch nicht besonders auf nicht enden wollende Winter, aber wenn ich die Wahl hätte, in der Karibik oder in Schweden Urlaub zu machen – ich würde Schweden wählen.

Bei der Eisdiele angekommen, gönnte sich Jamie ihre übliche Erdbeer-Bananen-Kombi, während ich beim altbewährten Schokoeis blieb.

Nachdem jeder von uns sein Eis bekommen hatte, führte uns Maka in die angrenzende Einkaufsstraße. Dicht an dicht reihten sich die unterschiedlichsten Modeläden und hin und wieder fand man ein Café. Während Liz von ihrem Lieblings-Modegeschäft schwärmte, wanderte mein Blick durch die Straße, auf der Suche nach einem Laden, in dem keine Klamotten verkauft wurden. Vergeblich. Wo waren wir bloß gelandet?

"Gibt es hier nur Modegeschäfte?", wandte ich mich leise an Maka, um mir nicht wieder ein bissiges Kommentar von Stripes einzufangen.

"Ach Quatsch.", lächelte sie beruhigend. "Das beste kommt noch."

"Sagt mal", fing Kilik, der sich bisher mit Black*Star unterhalten hatte, an. "Stimmt es eingentlich, dass es in England ständig regnet?"

"Nein.", antwortete Jamie an meiner Stelle und klärte ihn über die üblichen Vorurteile unserer Insel auf – offenbar hatte sie ihre anfängliche Scheu verloren.

Ich dagegen runzelte nachdenklich die Stirn, kaum dass der maximal pigmentierte Kerl sich zu Wort gemeldet hatte. Seine Stimme klang genau wie die, die vorhin im Klassenraum nach den Partnerschafsverhältinssen von Jay und mir gefragt hatte. Doch diese Vermutung musste sich erstmal bestätigen.

"Hey.", unterbrach ich die Erklärungen meiner Partnerin und erhielt so die Aufmerksamkeit von Kilik. "Bist du nicht die Nase, die wissen wollte, ob wir Singles sind?"

Ertappt sah er mich an und ich erkannte, wie seine Haut über den Wangen noch einen Hauch dunkler wurde – er lief rot an. Überlegen grinste ich, hatte ich ihn also erwischt.

"Nur zu deiner Information.", fuhr ich fort. "Weder Jamie noch ich haben einen Freund, und das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern."

"Damit sprichst du aber nur für dich.", warf meine Waffe ein.

Entgeistert ruckte mein Kopf zu ihr herum. Sollte das heißen, dass sie einen festen Freund wollte?!

"Na, im Gegensatz zu dir bin ich nicht in der "Alle-Typen-sind-doof-Phase" steckengeblieben, Ray.", fuhr sie fort.

"Pah!", machte ich. "So stimmt das gar nicht, ich will einfach keinen Freund."

"Warum willst du denn keinen Freund, Ray-chan?", mischte sich jetzt Tsubaki ein.

Ruhig sah ich sie an, als ich feststellte, dass der Rest der Gruppe uns zuhörte.

"Jungs sind doof.", antwortete ich in einem kleinkindhaften Tonfall, bevor ich benannten reihum die Zunge raus streckte.

"Ach Ray...", hörte ich meine Partnerin seufzen, bis Maka plötzlich stehen blieb.

Wir befanden uns auf einem großen Platz, etwas kleiner als der vor der Shibusen. Das Gebäude, das sie mit leuchtenden Augen ansah, erstreckte sich über drei Etagen und besaß, wie jedes andere auch, riesige Schaufenster.

"Eine Bibliothek...", stellte ich fest. "Die ist ja fast so groß wie die British Library in London, oder, Jay?"

"Hmm...", kam es abwesend von ihr, als sie das Gebäude bestaunte. Wir waren solche Landeier...

"Du stehst also auf Bücher?", sprach ich Maka an.

"Ja, kann man so sagen. Und du?"

"Kommt auf das Buch an.", meinte ich nur, während wir weitergingen.

"Bücher sind doch bloß was für Langweil-"

"MAKA-CHOP!"

Schon lag Black*Star blutend am Boden. Maka war wohl doch nicht so normal, wie ich dachte...
 

Von der Einkaufsstraße, deren Ende man fast sehen konnte, zweigten ab und zu kleinere Sträßchen ab, die ebenfalls von Geschäften gesäumt waren. Doch seit wir an der Bibliothek vorbeigekommen waren, sah man nur noch vereinzelt Modegeschäfte. Stattdessen gab es hier Dekorationsläden, Parfümerien – um die Jamie einen weiten Bogen machte – einen alten Plattenladen und, was mein Herz höher schlagen ließ, einen Death-Store!

Am Ende der Straße befand sich ein großer Marktplatz, auf dem man bei den verschiedensten Ständen alles fand, was das Herz – und der Magen – begehrte.

"So.", meldete sich Maka wieder zu Wort. "Ich denke, das reicht fürs erste,oder wollt ihr noch etwas sehen?"

Zur Antwort schüttelte ich den Kopf. Solange wir wussten, woher wir etwas zu futtern bekamen, war ich zufrieden.

"Wir können euch ja noch nach Hause begleiten, wenn ihr wollt.", schlug Tsubaki vor.

"Das wäre sehr nett.", stimmte Jamie zu.

"Alles klar, wo müsst ihr hin?", kam es enthusiastisch von Patty, die hibbelig auf und ab hüpfte.

"In die Strawberrystreet."
 

Auf dem Weg zu unserer Wohnung verabschiedeten sich Kilik und seine beiden Waffen als erstes von uns, gefolgt von Liz und Patty – jetzt wusste ich, dass sie Schwestern waren – mit ihrem Meister, der mir nach wie vor unsympathisch war. Als letztes gingen Tsubaki und Black*Star, sodass nur noch Maka und Soul bei uns waren.

"Und ihr wart wirklich schon mal in der British Library?", löcherte mich die Waffenmeisterin weiter.

"Ja, aber erst ein mal.", erwiderte ich. "Wir waren noch nicht so oft in London."

"Aber London ist doch im Süden von England.", runzelte sie verwirrt die Stirn.

Ich grinste leicht. "Das schon, aber wir wohnen noch weiter südlich."

"Und wo genau?"

"Auf der Isle of Wight, der südlichsten Grafschaft von England.", erklärte ich stolz. "Wir wohnen in einem 1.400-Seelen-Ort in der Mitte der Insel, und es sind trotzdem nur 30 Minuten mit dem Fahrrad bis zum Strand."

"Klingt ziemlich cool.", kommentierte Soul meine Schwärmerei.

"Ist es auch.", bestätigte ich ihm, unterband es jedoch, in meinem plötzlichen Anflug von Patriotismus die Nationalhymne zu schmettern – das wäre peinlich geworden.

"Es war bestimmt nicht leicht für euch, einfach wegzuziehen.", meinte Maka.

"Für mich war es nicht besonders schwer.", schaltete sich Jay ein. "Aber Ray hatte schon immer ihre Probleme mit Heimweh.", kicherte sie.

"Das ist gar nicht wahr!", beschwerte ich mich gleich. "Ich hatte noch nie Heimweh, wenn überhaupt habe ich nur meine Familie und mein Zuhause vermisst."

"Das ist Heimweh, Ray."

Eingeschnappt blies ich meine Wangen auf, als Soul und Maka leise lachten.

Wenige Augenblicke später fanden wir uns vor einem Mehrfamilienhaus wieder, das die Hausnummer sieben trug.

"Sollen wir euch morgen früh abholen?", fragte Maka, worauf ich zustimmend nickte. "Okay, dann sind wir um halb acht hier."

Nachdem sich die beiden verabschiedet hatten, betraten Jamie und ich das Treppenhaus des Gebäudes. Zielstrebig ging ich auf den Aufzug zu, der sich an der linken Wand befand.

"In welches Stockwerk müssen wir?", wandte ich mich ahnungslos an meine Partnerin, während wir auf den Lift warteten.

"In das dritte."

Als sich die Aufzugtüren öffneten, kam uns eine leise Melodie aus dem inneren entgegen, die ich schnell als "Die Schöne und das Biest" erkannte. Ich drückte den silbernen Knopf mit der Nummer drei, nachdem meine Partnerin ebenfalls den Aufzug betreten hatte. Geräuschlos schlossen sich die Türen und mit einem leichten Ruck setzte sich der Lift in Bewegung. Einige Sekunden später waren wir im dritten Stockwerk angekommen und die Aufzugtüren schoben sich wieder auf. Wir fanden uns in einem lichtdurchfluteten Raum wieder, mit bodentiefen Fenstern zur rechten und dem Treppenhaus zur linken. Vor uns, gegenüber vom Aufzug, befand sich eine Wohnungstür aus dunkelbraunem Holz mit einem kleinen, ovalen Messingschild, auf dem in verschnörkelter Schrift "Jamie Smith & Rayanne Bennett" stand.

Angestrengt kramte meine Partnerin in ihrer roten Aktentasche und zog kurze Zeit später den Wohnungsschlüssel heraus. Sie öffnete die Tür und wir betraten einen hohen, rechteckigen Raum. Die komplette rechte Wand, die zur Straße zeigte, bestand aus Glas. Davor standen, neben der Wohnungstür, ein großer Esstisch mit Stühlen. Am anderen Ende des Raumes befand sich eine gemütlich aussehende Sofaecke mit Fernseher, die durch ein langes, niedriges Regal abgegrenzt wurde.

An der linken Wand befanden sich, neben der Wohnungstür, eine offene Küche mit Kochinsel und eine Tür, die in einen anderen Raum führte. Dahinter, neben der Sofaecke, führte eine kleine Treppe ein Stockwerk höher zu einer Empore, die über die linke Wand verlief und von der aus man in zwei weitere Zimmer gelangen konnte.

"Wow.", machte ich meiner Überraschung Luft. "Deine Granny hat ja ganze Arbeit geleistet!"

"Sie macht eben keine halben Sachen.", grinste Jamie mich an und steuerte auf die verschlossene Tür neben der Küche zu, nachdem wir unsere Taschen abgestellt hatten.

Dahinter verbarg sich ein Schlafzimmer, dessen, von der Tür aus gesehen, rechte Wand komplett Glas bestand. Die Wand gegenüber der Tür war, bis auf ungefähr anderthalb Meter am Kopfende eines weißen Himmelbetts, ebenfalls ein einziges Fenster.

Die linke Seite des Zimmers wurde durch eine Wand mit Schiebetür abgetrennt. Davor standen, links und rechts der Schiebetür, zwei weiße Kommoden.

Als Jamie die Schiebetür öffnete, sahen wir, dass sich dahinter ein komplett eingerichtetes Ankleidezimmer befand.

"Das muss dein Zimmer sein.", schlussfolgerte ich.

"Du hast meine Muschelsammlung also auch schon entdeckt?"

Verwirrt sah ich sie an. "Was...?"

Sie drehte sich um und wies auf die Wand mit der Zimmertür, an der gegenüber des Bettes mehrere weiße Regalbretter angebracht waren und auf denen dutzende verschiedene Muscheln lagen. Wie hatte ich die übersehen können? Ganz zu schweigen von ihrem bunten Gitarrenkoffer, der gegen den Nachttisch lehnte, oder der rot-gelb gemusterten Bettwäsche. Den Schreibtisch, der vor der rechten Glaswand stand, kannte ich aus ihrem Zimmer in England; ursprünglich war er einmal weiß gewesen, doch Jay hatte ihn im Laufe der Zeit mit roten und orangen Mustern bemalt.

Ihre Gitarre, die, ganz untypisch für sie, pechschwarz war, stand in der Zimmerecke rechts neben ihrem Bett und auf dem hellen Boden waren runde Flauschteppiche in Rot-, Gelb- und Orangetönen verteilt. Die Wände waren noch weiß, was vermutlich schnellstmöglich geändert werden würde, so wie ich meine Partnerin kannte. Doch es gab tatsächlich keinen Zweifel, dass das hier Jays Zimmer war.

"Komm, jetzt ist dein Zimmer dran!", wurde ich im nächsten Moment aus dem Raum gezogen.

Fröhlich hüpfte Jamie die Treppe hinauf, ich folgte ihr weniger euphorisch und mit gemischten Gefühlen. Wer wusste schon, ob meine Mum meine Umzugskartons nicht doch noch umgepackt hatte?

Als Jay jedoch die Tür zu meinem Zimmer öffnete, wurden meine Sorgen zunichte gemacht. Vom Schnitt her war es genau wie Jamies Zimmer, das unter meinem lag. Doch im Gegensatz zu dem Zimmer meiner Waffe war der Boden hier genauso dunkelbraun, wie der im Wohnzimmer, und die kreisrunden Flauschteppiche waren weiß.

Mein Himmelbett war ebenfalls dunkelbraun, genau wie der Schreibtisch, der etwas größer als der meiner Partnerin war – immerhin brauchte ich platz für meinen Computer und allem, was dazu gehörte.

An der Wand gegenüber vom Bett, an der sich in Jamies Zimmer ihre Muschelsammlung befand, hingen mehrere antike Spiegel in verschiedenen Formen und Größen – ich stand auf antiken Kram.

Neben der Schiebetür befanden sich niedrige, dunkelbraune Regale, in denen meine Bücher untergebracht waren. An der Wand darüber hing meine Herr der Ringe-Schwertsammlung und daneben befand sich der weiße Stab von Gandalf – ja, verdammt, ich wusste, dass ich ein Nerd war.

Auf dem linken Regal lag mein Schachbrett, das ich an meinem 16. Geburtstag von Jamies Granny bekommen hatte, und auf dem rechten standen mehrere alte Bilderrahmen mit Fotos von meinen Brüdern und einem aktuellen Gruppenbild meiner gesamten Familie.

Als ich die Schiebetür öffnete fand ich, genau wie in Jays Zimmer, einen Ankleideraum vor. Prüfend wanderte mein Blick durch die Regale: viele Hosen, einige Röcke, wenige Kleider und nichts Rosanes – meine Mum hatte wohl wirklich nichts umgepackt.

"Sag mal, wer hat die Wohnung eigentlich eingerichtet?", wandte ich mich misstrauisch an meine Waffe. "Deine Granny ist schließlich nie hier gewesen, oder?"

"Nein, aber sie hat ihre Kontakte...", antwortete sie abwesend, auf halbem Weg aus dem Zimmer.

Ich folgte ihr zur letzten verbliebenen Tür am Ende der Empore, hinter dem sich das Badezimmer verbarg. Es befand sich über dem Treppenhaus – offenbar bewohnten wir die obersten Etagen des Hauses.

Im Bad befand sich eine große Eckbadewanne direkt neben der Tür, daneben die Dusche. Auf der anderen Seite des Türrahmens waren zwei Waschbecken, ein großer Spiegel und ein dazugehöriger Badezimmerschrank angebracht, während sich die Toilette an der angrenzenden Wand, gegenüber der Badewanne, befand. Vom Design her erinnerte mich das Bad an die Tiefsee, was nicht zuletzt an den dunkelblauen Fliesen lag.

Erleichtert atmete ich aus. In der gesamten Wohnung hatte es keine unangenehme Überraschung gegeben.

"Oh.", meldete sich Jay wieder zu Wort. "Wir haben ganz vergessen, zu Hause anzurufen."

"Stimmt.", ich sah auf meine quietschgrüne Armbanduhr, die ich noch immer die Zeit in England anzeigte – ich hatte sie noch nicht umgestellt. "Aber dafür ist es jetzt auch zu spät."

"Wie spät ist es jetzt?"

"Zu Haue ist es schon nach Mitternacht, also müsste es hier...", ich rechnete die Stunden zurück. "16:00 Uhr sein."

"Dann müssen wir wohl morgen anrufen.", seufzte sie resigniert.
 

Wieder im Wohnzimmer angekommen, warf ich mich erschöpft auf das Sofa. Normalerweise würde ich jetzt schon im Bett liegen und schlafen, aber dank der Zeitverschiebung würde ich so wohl mitten in der Nacht aufwachen – wenn es in England schon längst Morgen wäre.

"Hast du das schon gesehen?", rettete mich Jay vor dem Einschlafen.

"Hmm?"

Sie kam auf mich zu, in den Händen ein Stapel Bücher und mehrere Papiere.

"Das sind unsere Schulbücher.", erklärte sie auf meinen fragenden Blick hin und reichte mir die Hälfte des Stapels, den ich neugierig durchsah.

Mathe, Physik, Geschichte, Literatur, Geografie - alles normale Fächer, bis ich ein Buch mit dem Titel "Geschöpfe der magischen Welt" in den Händen hielt.

"Ich komme mir vor wie Harry Potter.", meinte ich zu meiner Partnerin.

"Das gehört wohl zu Biologie.", versuchte diese zu erklären.

"Meinst du?"

"Naja, Hexen werden wohl nicht die einzigen magischen Wesen sein, oder?"

"Hmm.", brummte ich nachdenklich und sah sie aus dem Augenwinkel an. Sie hatte Recht, schließlich war sie ja selbst so ein magisches Wesen: eine Waffe.

"Aber sieh mal.", hielt sie mir unseren Stundenplan vor die Nase. "Bis auf Seelenkunde gibt es dieselben Fächer wie bei uns in England."

"Das hab' ich schon gemerkt, aber ich könnte wirklich auf Spanisch verzichten.", murrte ich, als ich an mein altbekanntes Sprachen-Problem dachte. Reichte Englisch denn nicht? "Trotzdem glaube ich nicht, dass es wirklich dieselben Fächer sind, wie zu Hause.", dachte ich laut. "Ich meine, wenn in Bio magische Geschöpfe durchgenommen werden..."

"Dann brauen wir in Chemie wohl Zaubertränke!", beendete Jamie lachend meinen Satz.

"Möglich ist alles.", stimmte ich in ihr Lachen ein.

"Also.", begann meine Partnerin, als wir uns wieder beruhigt hatten. "Wir haben hier ein halbes Dutzend Flyer von Restaurants mit Lieferservice, worauf hast du Hunger?"

"Irgendwas indisches.", meinte ich nur, und kurz darauf hatte sie schon die Nummer in ihr Handy eingetippt und unsere Bestellung aufgegeben. Keine halbe Stunde später klingelte es an der Wohnungstür, und da sich Jay nicht traute, übernahm ich das Tür-öffnen-und-bezahlen.

"Das schmeckt wirklich gut.", sprach mich meine Partnerin an, als ich mich gerade über mein Curry hermachte.

"Hmm-hm.", stimmte ich ihr mit vollem Mund zu. Indisches Essen mochte ich, neben der englischen Küche, sowieso am liebsten.
 

Nach dem Essen duschte ich und schlüpfe anschließend in mein übergroßes Yoshi-T-Shirt, das ich zum Schlafen trug, und putzte mir brav die Zähne.

Bevor ich endgültig ins Bett ging, lief ich nochmal ins Wohnzimmer und holte meinen Rucksack, den ich dort hatte stehen lassen. Danach wünschte ich Jamie, die jetzt duschen wollte, noch eine gute Nacht und ging in mein Zimmer. Den Wecker meines Handys, das 18:00 Uhr anzeigte, stellte ich auf halb sieben ein – ich würde mehr als zwölf Stunden schlafen können.

Dann fischte ich mir, mithilfe der Spiegel an meiner Wand, die Kontaktlinsen aus den Augen. Nein, ich hatte Liz nicht angelogen, als sie wissen wollte, ob ich farbige Kontaktlinsen trug – ich hatte schlicht und ergreifend eine Sehschwäche, und ohne Kontaktlinsen oder Brille war ich so gut wie blind.

Bevor ich in mein Bett krabbelte, öffnete ich meinen Rucksack, in dem sich bis dahin ein hellblaues Alpaka-Plüschtier befand. Eigentlich war ich nicht der Typ Mädchen, der Plüschtiere mochte, doch dieses hatte ich zum Abschied von meinen Brüdern bekommen.

Als ich mich schließlich mit meinem Alpaka unterm Arm in meine blaue Bettdecke kuschelte und den vertrauten Lavendelduft einatmete, fühlte ich mich, als hätte ich schon mein ganzes Leben in dieser Wüstenstadt verbracht und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wahnsinn, du hast bis hierher gelesen!
...Ich weiß, das Kapitel war lang. Aber ich kann mich einfach nicht kurzfassen...
...Andererseits, so gibt es auch mehr zu lesen, also: YAY! Lange Kapitel! (Die werden alle so lang. Nur so zur Vorwarnung)
Meine bessere Hälfte wird eine sehr lange Geschichte, so viel kann ich schon verraten. Und ich werde wohl nur ein- bis zweimal pro Monat ein neues Kapitel hochladen, weil es doch eine menge Arbeit ist (bei der länge O_O) und ich mit meinem Vollzeit-Job Vollzeit beschäftigt bin ^-^')
Aber: Ich werde regelmäßig updaten, und ich werde diese Story beenden! Indianerehrenwort!
Übrigens ist das meine erste FF, die ich hier hochlade. Es ist nicht meine erste FF. Nur die erste, die gut genug ist, um gelesen zu werden...haha...
Also wüsste ich schon gerne, was ihr bisher davon haltet. Gut? Schlecht? Zu lang? XD
Ich bin immer offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge, also haltet euch nicht zurück \^-^/

Danke fürs Lesen und bis zum nächsten Kapitel, euer Wölfchen :3 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mandarinenbluete
2014-03-22T20:25:00+00:00 22.03.2014 21:25
Ich finds bis jetzt ziemlich gut. Mir gefällt's! ^^
Und das mit der Länge find ich nun wirklich nicht schlimm. Hab ich mehr zum schmökern. ;)
Freu mich schon auf die nächsten Kapitel. :D


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