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Meine bessere Hälfte

von

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(K)Ein Bund fürs Leben

In voller Lautstärke schallte die Miss Marple-Titelmelodie durch den Raum und riss mich aus meinem Schlaf. Gähnend schaltete ich mein Handy aus und blickte desorientiert durch den Raum, bis mir einfiel, dass ich mich ja in Death City befand.

Ich setzte mir meine Kontaktlinsen ein und ging in mein Kleiderzimmer, um mich anzuziehen. Da mir die Hitze der vergangenen Tages noch gut im Gedächtnis geblieben war, schlüpfte ich in einen kurzen, dunkelgrauen Faltenrock und ein blaues Tanktop. Doch da mir morgens immer ein wenig kühl war, zog ich noch meinen schwarzen Grinsekatzen-Pullover über, der mir ziemlich schlampig über die linke Schulter rutschte.

Anschließend ging ich mit noch immer zerwühlter Frisur nach unten, wo ich Jamie in einem weißen Sommerkleid am Esstisch sitzend vorfand.

„Morgen.“, begrüßte ich sie, als ich mich zu ihr an den gedeckten Tisch setzte.

„Guten Morgen.“, lächelte sie. „Hast du gut geschlafen?“

„Hmm.“, bestätigte ich ihr. „Und du?“

„Ja, ich hab was schönes geträumt.“, grinste sie immer noch, während ich mir Müsli in eine Schüssel schaufelte.

„Was denn?“

Jamie antwortete nicht, lächelte aber mit geröteten Wangen ihren Milchtee an.

„Oho.“, machte ich. „Hat dich Prinz Charming wieder in deinen Träumen besucht?“

Das Rot auf ihren Wangen wurde dunkler, als sie zu einer Erklärung ansetzte.

„Er...er ist kein Prinz...“, nuschelte sie verlegen.

„Hat er das gesagt?“, hakte ich nach.

„Du weißt doch, er sagt nie etwas. Ich sehe bloß sein Gesicht und wie er vor mir steht, und immer, wenn ich versuche, ihn zu erreichen, löst er sich in Luft auf.“

Das war nichts neues, wie ich wusste. Jay träumte schon seit Wochen von diesem Kerl, aber wir hatten bisher weder herausgefunden, wie er aussah – denn das vergaß meine Waffe jedes mal, wenn sie aufwachte – noch, wer er wirklich war.

„Woher willst du dann wissen, dass er kein Prinz ist?“

Resigniert seufzte sie. „Keine Ahnung, ich weiß es einfach.“

Unzufrieden mit dieser Antwort schnaubte ich nur. „Solange wir seinen richtigen Namen nicht kennen, werde ich ihn trotzdem Prinz Charming nennen.“

„Wir wissen ja noch nicht einmal, ob er überhaupt existiert!“, erwiderte Jamie niedergeschlagen.

„Ach Quatsch.“, versuchte ich, sie aufzuheitern. „Was für einen Sinn sollte es dann machen, dass du immer wieder von ihm träumst? Ich glaube, dass wir ihm früher oder später begegnen werden. Immerhin sind wir jetzt Schüler der Shibusen, da lernt man sicher 'ne Menge neuer Leute kennen.“

„Bist du dir da sicher?“

„Hundertpro.“, grinste ich sie an und löffelte Joghurt in mein Müsli, bis ich irritiert innehielt. „Hast du eingekauft?“, hinterfragte ich die Anwesenheit von Lebensmitteln.

„Ja, gestern Abend, als du schon geschlafen hast.“

„Was?! Warum hast du mich nicht geweckt? Ich hätte dir beim Tragen helfen können und außerdem -“

„Du hast geschlafen wie ein Stein.“, unterbrach mich Jay. „Außerdem musste ich gar nichts tragen, siehst du?“, wies sie auf den Bollerwagen neben der Wohnungstür.

„Oh.“, brachte ich nur tonlos heraus und schluckte meinen Ärger herunter. Was hätte ich jetzt noch sagen können? Dass es für sie gefährlich war, wenn sie abends allein in der Stadt herumlief? Es war zu spät, um mir Sorgen zu machen, immerhin war alles gut gegangen.

„Hast du deine Schulsachen schon gepackt?“, wechselte Jamie das Thema.

Ich schüttelte nur mit dem Kopf, den Mund hatte ich voll mit Joghurt-Müsli.

Als Jamie fertig gefrühstückt hatte, räumte sie den Tisch ab und verschwand im Bad, in das ich ihr kurze Zeit später folgte.

Mit akribischer Gründlichkeit putzte ich meine Zähne – mit Zahnseide, versteht sich. Dabei beobachtete ich, wie Jay ihre glatten, rotblonden Haare bürstete, bis sie ordentlich fielen. Anschließend tuschte sie die Wimpern ihrer grauen Augen, zog ihre rot-weiße Perlenkette zurecht und verschwand aus dem Bad.

Ich dagegen flocht mir meine Haare bloß zu einem seitlichen Zopf, der mir fast bis zur Hüfte reichte und ging in mein Zimmer. Dort angekommen schnappte ich mir meine Ledertasche, in die ich sämtliche Bücher, die ich brauchen würde, einen Ringblock und mein Federmäppchen stopfte.

Nachdem ich in meine Chucks geschlüpft war, machte ich mich mit Tasche und Handy bewaffnet auf den Rückweg ins Wohnzimmer.

„Sieh mal!“, hielt mir meine Partnerin einen roten Blazer vor die Nase.

„Hä?“, machte ich verwirrt. Worauf wollte sie hinaus?

„Ich hab das Schulwappen der Shibusen drauf gestickt.“, erklärte sie stolz und deutete auf den weißen Totenkopf.

„Oh, cool.“, meinte ich nur.

Darauf zog sie sich den Blazer über und schnürte ihre braunen Stiefeletten zu, aus denen rote Socken hervorlugten.

Auf der Kochinsel erkannte ich eine grüne Lunchbox, neben der eine Wasserflasche stand.

„Das ist dein Essen.“, wurde meine unausgesprochene Frage beantwortet. „Ich habe mir gedacht, dass ich mich um unser Essen und den Haushalt kümmern kann, schließlich kannst du ja nicht kochen.“

Ich wollte etwas erwidern, ließ es aber bleiben. Sie hatte Recht, ich konnte nicht kochen – abgesehen von Tee, was aber auch keine große Kunst war.

„Danke.“, sagte ich also und packte Box und Flasche in meine Tasche. „Aber was den Haushalt angeht, kann ich doch -“

„Nein!“, rief Jay panisch. „Oder muss ich dich etwa an deinen selbstständig mähenden, solarbetriebenen Rasenmäher erinnern?“

„Wieso? Der hat doch funktioniert...“, erwiderte ich trotzig.

„Er ist Amok gelaufen und hat im ganzen Dorf Panik verbreitet!“

Widerwillig musste ich ihr zustimmen – selbstständig und solarbetrieben war eine schlechte Mischung, vor allem im Sommer. Ihm war das Lieblingshuhn meiner Tante Molly zum Opfer gefallen. Ruhe in Frieden, Giselle...

„SCHRILL!“

„Darf ich wenigstens die Klingel verändern? Bei dem Ton bekommt man ja Kopfschmerzen...“

„Aber nur den Ton, ja?“, lenkte Jamie ein, worauf ich nickte.
 

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten, wo Maka und Soul auf uns warteten.

„Und, habt ihr gut geschlafen?“, fing die Waffenmeisterin ein Gespräch an, nachdem wir sie begrüßt hatten.

Ich nickte, warf meiner Partnerin dabei jedoch grinsend einen Seitenblick zu.

Zu viert machten wir uns auf den Weg zur Schule, als Maka weitersprach.

„Ray, was liest du eigentlich für Bücher?“

Ein wenig verwirrt durch den plötzlichen Themenwechsel, blinzelte ich sie an.

„Naja...“, begann ich. „Also, am liebsten lese ich Fantasy-Romane, aber historisches mag ich auch. Oh, und Krimis, am liebsten Sherlock Holmes und Agatha Cristie.“

„Cool.“, meinte Maka. „Ich lese auch gerne Krimis, aber im Moment stehe ich total auf historische Liebesromanzen.“

„Urgs.“, schüttelte ich mich. „Mit Romanzen kann ich mich gar nicht anfreunden...“

„Warum nicht?“

„Die sind so realitätsfremd. Ich meine, normalerweise würde kein Kerl so viel Süßholz raspeln, das ist viel zu schulzig.“

„Gerade deswegen mag ich Romanzen.“, verteidigte Maka ihren Standpunkt. „Welches Mädchen hätte nicht gerne einen romantischen Freund?“

Ich hob die Hand, worauf sich Maka an meine Partnerin wandte.

„Magst du Romanzen, Jamie?“

„Ja.“, sagte angesprochene geradeheraus. „Ich sehe das genauso wie du, man darf ja schließlich noch Träume haben.“, lächelte sie.

„Weiber...“, schüttelte ich nur den Kopf, was Soul zum schmunzeln brachte.

„Du bist doch selbst eins.“, erinnerte er mich.

„Ja, aber nicht so eins.“, korrigierte ich ihn. „Nicht jedes Mädchen steht auf Romantik.“

„Das glaube ich nicht.“ warf Maka ein. „Ein bisschen romantisch veranlagt ist jeder.“

„Darüber lässt sich streiten.“, meinte ich nur.

Kurz darauf erreichten wir den Schulhof, auf dem schon einiges los war, und gingen zu einer uns nicht unbekannten Gruppe, die aus Liz und Patty, ihrem Meister und Tsubaki bestand.

„Guten Morgen.“, begrüßte Maka die anderen. „Ist Black*Star noch nicht da?“

„Du kennst ihn doch, er braucht seinen großen Auftritt.“, lächelte Tsubaki entschuldigend.

Wenn ich es nicht schon gestern bemerkt hätte, so wüsste ich es spätestens jetzt: bei Black*Star war mindestens eine Schraube locker. Was für einen Auftritt konnte man schon in der Schule hinlegen?

Als wir eine halbe Stunde später im Kunstsaal saßen, in dem mehrere Staffeleien mit Leinwänden im Kreis aufgebaut waren, sollte ich es wissen.

Marie-sensei, unsere Lehrerin, wollte uns gerade das Thema nennen, als mit einem ohrenbetäubenden Krachen die Tür aus ihren Angeln flog. Im Türrahmen stand der breit grinsende Vollidiot.

„Na, habt ihr mich vermisst?“

Und wie..., dachte ich nur kopfschüttelnd und sah nach meiner Waffe.

Marie-sensei hatte uns, aus welchem Grund auch immer, auseinandergesetzt und jetzt saß Jamie zwischen Liz und Tsubaki, während ich die Zeit zwischen Maka und Mister sieben-Tage-Regenwetter absitzen durfte.

„Also.“, begann unsere Lehrerin, als sich Black*Star wieder beruhigt hatte. „In den nächsten Stunden werden wir etwas zum Thema „Zeit“ zeichnen. Ich bin gespannt, was euch dazu einfällt.“

Mir fiel dazu nichts ein, abgesehen von Uhren und Einsteins Relativitätstheorie. Wie unkreativ war ich eigentlich?

Neugierig schielte ich zu Maka hinüber, die bereits angefangen hatte mit Bleistift vorzuzeichnen. Allem Anschein nach wollte sie einen Baum zeichnen.

Da mir das nicht weiterhalf, sah ich zu meinem linken Nachbarn, der penibel genau die Leinwand ausmaß. Was sollte das denn werden?

Resigniert wandte ich mich wieder meiner eigenen Leinwand zu und entschied mich, mangels Kreativität, eine Uhr zu zeichnen. Ich ging zu den Regalen im hinteren Teil des Raumes, in denen sämtliche Farben und Stifte aufbewahrt wurden, um mir einen Kohlestift zu holen.

Wieder zurück an meinem Platz begann ich damit, einen Kreis zu zeichnen, als mir die Idee kam: Warum eine einfache Uhr, wenn man auch das ganze Uhrwerk zeichnen konnte? Gedacht, getan, und schon begann ich mit der Arbeit.
 

„Was soll das denn werden?“, unterbrach mich einige Zeit später der Totengott zu meiner linken.

„Ein Uhrwerk.“, antwortete ich patzig auf seinen Tonfall hin.

„Das ist ja furchtbar chaotisch...“, beschwerte er sich gleich darauf.

Genervt sah ich auf seine Leinwand, auf der sich nichts außer einem X befand.

„Du hast ja wohl kein Recht, dich hier als Kunstkritiker aufzuspielen.“

„Wie bitte?“

„Na, im Gegensatz zu mir hast du in der ganzen Stunde nichts als ein popeliges X zustande gebracht.“, erklärte ich stinkig.

„Das ist kein X!“, meckerte er.

„Ach?“

„Das ist eine perfekt ausbalancierte, symmetrische Sanduhr!“

Prüfend warf ich einen zweiten Blick auf sein X.

„Wo ist das denn eine Sanduhr?“

„Es wird eine sein, wenn ich fertig bin.“, erklärte er sauer, wobei ich bezweifelte, dass er bei dem Tempo jemals fertig werden würde.

„Ich find's trotzdem stinklangweilig.“, fotzelte ich weiter. Immerhin hatte er mein Uhrwerk auch beleidigt!

Langweilig?! Wie kann etwas, das so perfekt symmetrisch ist, langweilig sein? Symmetrie ist-“

Stinklangweilig.“, unterbrach ich ihn in seinem Ausraster.

Wütend funkelte er mich an und in dem Moment wurde mir klar, dass wir wohl keine Freunde werden würden. Was hatte er nur mit diesem Symmetrie-Gefasel?!

„Wie kannst du nur so etwas behaupten?! Es gibt nichts schöneres als Symmetrie, Symmetrie ist die Schönheit dieser Welt, die perfekte Ästhetik, das oberste und erstrebenswerteste...“

Oh Gott, er war ja noch schlimmer als Black*Star!

„Wenn du so auf Symmetrie abfährst, was soll dann diese Frisur, Stripes?“

In dem Augenblick, in dem ich diese Frage gestellt hatte, änderte sich die Atmosphäre von wütend-aggressiv zu hoffnungslos deprimiert.

„Du hast Recht!“, heulte der Totengott plötzlich los. „Ich bin so hässlich, ein Gnom, der größte Abschaum dieser Welt...“

Was für ein Waschlappen! Normalerweise müsste man schwanger sein, um sich so aufführen zu dürfen!

Genervt wandte ich mich wieder meiner Leinwand zu und ignorierte das Gezeter neben mir.

Als die Schulglocke das Ende der Stunde einläutete, hatte sich die Heulsuse – dank Liz – wieder beruhigt, warf mir jedoch bitterböse Blicke zu.
 

Rechtzeitig zur zweiten Stunde kamen Jamie und ich mit Maka im Klassenzimmer an.

„Ray, warum hast du dich vorhin mit Kid gestritten?“, wollte meine Partnerin von mir wissen, als wir unsere Plätze erreicht hatten.

„Er hat angefangen!“, verteidigte ich mich sofort.

„Und worum ging es?“

„Um den Unterricht...im weitesten Sinne. Er hat mein Bild beleidigt, dann hab' ich sein Bild beleidigt, dann hat er was von Symmetrie gefaselt und plötzlich hat er geheult.“, fasste ich zusammen.

„Das wundert mich nicht.“, erwiderte Jay. „Liz hat mir erzählt, dass er eine Art Zwangsstörung hat, weswegen er jedes Mal durchdreht, wenn es um irgendwas Asymmetrisches geht.“

Das erklärte einiges, doch ich würde deswegen trotzdem nicht freundlicher zu ihm sein. Das verbot mir mein Stolz – schließlich hatte er diese Fehde begonnen.

Angestrengt versuchte ich, dem Unterricht zu folgen – Seelenkunde. Ich konnte nicht sagen, warum, doch dieses Fach interessierte mich kein Stück. Infolge dessen verstand ich das Meiste auch nicht.

„Rayanne?“, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.

Leicht erschrocken sah ich zu Doktor Stein, der mich angesprochen hatte. Fieberhaft überlegte ich, was er von mir wollte.

„Ja?“, versuchte ich es auf die freundliche Art.

„Kannst du diesen Satz beenden?“, wies er mich an, und aufmerksam sah ich an die Tafel.

'Eine gesunde Seele ruht in...' stand dort. Woher sollte ich das wissen? Ich ging erst seit gestern auf diese Schule!

„Wir haben das gestern durchgenommen.“

Shit! Ich hatte doch nicht aufgepasst!

„...Ich weiß es nicht.“, gab ich abweisend als Antwort. Ich hasste so etwas!

„Na gut. Kid, möchtest du deiner neuen Mitschülerin helfen?“, rief er den Totengott auf.

„Eine gesunde Seele ruht in einem gesunden Geist und in einem gesunden Körper.“, betete er wie aus dem Lehrbuch herunter und sah mich überlegen an.

Arschloch!, dachte ich nur und biss mir wütend auf die Zunge.

„Rayanne, kannst du mir sagen, was die Aufgabe einer Waffe ist?“, richtete sich der Doktor wieder an mich.

Da ich keine Lust hatte, mir von dem schwarzhaarigen links vor mir wieder einen eingebildeten Blick einzufangen, kratzte ich mir eine Antwort zusammen.

„Eine Waffe verwandelt sich und isst Kishineier und Hexenseelen.“, antwortete ich, stolz, doch etwas zu wissen.

„Pff.“, machte der Totengott vor mit herablassend, was mich wieder auf die Palme brachte. „Die Aufgabe einer Waffe ist es, ihren Meister zu beschützen.“

„Das ist doch kompletter Bockmist!“, platzte es wütend aus mir heraus. „Meister und Waffe sollten sich gegenseitig beschützen, sonst haben sie wohl kaum das Recht, sich als Partner zu bezeichnen! Einen Partner benutzt man nicht als Schutzschild, er ist doch kein Kanonenfutter!“

Stille.

Die gesamte Klasse starrte mich an.

„Ob es dir passt oder nicht, so sind die Regeln.“, zischte mich der Symmetrie-Freak an.

„Ist mir scheißegal.“, knurrte ich drohend. „Lieber sterbe ich, als das Leben meiner Partnerin zu gefährden.“

Ein Räuspern unterbrach das Blickduell, das ich mir mit dem Shinigami lieferte, und ohne ein weiteres Wort an uns zu verschwenden, fuhr Doktor Stein mit dem Unterricht fort.
 

„Hast du das ernst gemeint?“, fragte mich Jay am Ende der Stunde.

„Hmm?Was meinst du?“, tat ich unwissend.

„Dass du für mich sterben würdest. War das dein Ernst?“

„Natürlich, das weißt du doch.“, lächelte ich sie so ruhig an, als würden wir über das Wetter reden. „Solange ich es verhindern kann, wird dir niemand wehtun, das hab' ich dir versprochen.“

Und meine Versprechen hielt ich. Ich war niemand, der viele oder große Versprechungen machte, doch ich hielt immer mein Wort – komme, was wolle. Das war eine Frage der Ehre.

Jamie seufzte leise, lächelte aber. Sie konnte sich immer auf mich verlassen, das wusste sie.

„Was haben wir jetzt?“, wandte ich mich an meinen weißhaarigen Sitznachbarn.

„Geschichte bei Sid.“, antwortete er abwesend, und keine zwei Minuten später betrat der blauhäutige den Klassenraum.

Ich liebte Geschichte. Es war nicht so, dass ich darauf stand, Jahreszahlen auswendig zu lernen, mich interessierte einfach nur alles, was in der Vergangenheit geschehen war. Denn man konnte gut aus den Fehlern der anderen lernen und es so vermeiden, sie selbst zu machen. Noch dazu war das Thema, das Sid an die Tafel schrieb, eines meiner liebsten: Die französische Revolution. Ich saugte jedes Wort auf wie ein Schwamm, auch wenn ich das Thema schon auswendig konnte.

„Kann mir jemand sagen, was die Hauptursachen für die Revolution waren?“, fragte unser Lehrer in die Runde.

Sofort schoss Makas Hand nach oben, ebenso wie Ox'.

„Maka?“, wurde sie aufgerufen.

„Das waren zum einen die Wirtschaftskrise in den 1780ern, die durch das teure Hofleben, die Kosten für die Unterstützung der Nordamerikaner im Unabhängigkeitskrieg gegen England und durch das veraltete Steuersystem zustand kam.

Außerdem war die Gesellschaft in drei Stände unterteilt, von denen der dritte Stand, der 98 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, die gesamte Steuerlast trug. Neben den Steuern stiegen auch die Preise für Lebensmittel, was viele in die Armut trieb und durch eine Missernte 1788 verschlimmert wurde.

Man konnte seinen Beruf nicht frei wählen und durch seine Geburt nicht in einen höheren Stand aufsteigen, obwohl einige Bürger des dritten Standes mehr Geld besaßen als manche Adelige.

Dazu kam, dass durch die Aufklärung die einfache Bevölkerung immer mehr von den Veränderungen der Gesellschaft mitbekamen und so den Wechsel vom Absolutismus zur Demokratie forderten, da bei einer Demokratie jeder ein Mitspracherecht hat.“, schloss Maka ihren Vortrag.

„Sehr gut.“, lobte sie Sid. „Wer kann erklären, was Absolutismus ist?“

Wieder schossen die Hände von Maka und Ox nach oben. Kannte sich sonst niemand mit Geschichte aus? Klar, der Totengott vor mir wusste mit Sicherheit die Antwort, war sich wohl aber zu fein, sich zu melden. Meine Partnerin dagegen sank immer tiefer unter den Tisch, um bloß nicht dran genommen zu werden – Geschichte war nicht ihre Stärke. Und ich? Ich war schlichtweg zu faul, mich zu melden. Außerdem war ich nicht sonderlich scharf darauf, wieder angestarrt zu werden.

Nach einer lehrbuchgetreuen Antwort, diesmal von Ox, die außer dem Totengott, Maka und mir niemand verstanden hatte, wollte Sid von uns wissen, wer der letzte absolutistisch herrschende König von Frankreich war. Wieder meldeten sich Maka und Ox, doch diesmal wurde keiner von beiden aufgerufen.

„Rayanne?“, hallte Sids Stimme durch den Hörsaal.

Ich hatte mich nicht gemeldet, doch das tat nichts zur Sache. Er wollte mich testen. Warum wurde nur Jamie nie aufgerufen?

„Der letzte König des Ancien Régime war Ludwig XVI August von Frankreich. Er trat mit 19 Jahren die Thronfolge an, wurde am 21. Januar 1793 in Paris von den Revolutionären zum Tode verurteilt und starb durch die Guillotine.“, antwortete ich. „Er hatte vier Kinder mit seiner Frau Marie Antoniette, die am 16. Oktober 1793 ebenfalls durch die Guillotine hingerichtet wurde.“

Überrascht sah mich unser Lehrer an. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich die Antwort wusste.

Im Laufe der Doppelstunde wurde ich noch öfter dran genommen, was mir mit der Zeit immer weniger ausmachte. Der Rest der Klasse achtete offensichtlich nicht auf das, was gesagt wurde – es war ja bloß Geschichte.

In der darauf folgenden fünften und sechsten Stunde wurde meine Geduld jedoch wieder auf die Probe gestellt: wir hatten Spanisch! Trotz der Aufzeichnungen und Erklärungsversuche meiner Partnerin verstand ich kein Wort, was Marie-sensei spätestens dann bemerkte, als ich auf die Frage 'Welches ist dein Lieblingstier?' mit 'Schinken' geantwortet und mich so zum absoluten Volldeppen gemacht hatte. Warum verstand auch jeder aus der Klasse Spanisch, aber fast niemand Geschichte?!

Als wir nach dem Unterricht aus dem Klassenraum gingen, lachten Soul und Black*Star immer noch.

„Hey.“, sprach mich der weißhaarige breit grinsend an. „Wie sieht so ein Schinkentier eigentlich aus?“

Laut lachten die beiden Kichererbsen wieder auf, wurden jedoch von einem lauten 'Maka-Chop!' unterbrochen.

„Spanisch braucht doch eh keine Sau!“, machte ich meinem Ärger Luft, während sich die Scherzkekse ihre schmerzenden Köpfe rieben.

„Naja.“, versuchte Tsubaki, mich zu beruhigen. „Wenn du aber mal in Spanien, Mexiko oder einem anderen Spanisch sprechenden Land bist -“

„Als ob dort niemand Englisch verstehen würde!“, unterbrach ich sie aufgebracht. „Es ist doch total sinnlos, eine Sprache zu lernen, die man gar nicht benutzt!“

„Habt ihr in England denn kein Spanisch gehabt?“, wollte Maka wissen.

„...Doch...“, murrte ich, noch immer genervt.

„Wenn ihr es im Unterricht hattet, warum verstehst du dann kein Wort davon?“, kam es zweifelnd von Stripes.

„Menschen sind nicht perfekt.“, antwortete ich sauer.

„Ray tut sich schwer damit, neue Sprachen zu lernen.“, erklärte Jamie. „Die einzigen Sprachen, die sie beherrscht, sind Englisch und Elbisch.“

„Nicht 'Elbisch', sondern Sindarin und Quenya.“, verbesserte ich sie.

Soul und Black*Star kicherten wieder los.

„Du bist ein Fantasy-Nerd?“, fragte mich Liz.

Abwertend schnaubte ich. „Wenn man sich für etwas interessiert, ist es leichter, es zu lernen.“

„Aber hast du nicht eben noch gesagt, das es sinnlos ist, eine Sprache zu lernen, die man nicht benutzt?“, gab Maka zu bedenken.

„Wer sagt, dass ich sie nicht benutze?“

Verwirrt sah sie mich an und wieder spielte Jay den Erklärbär.

„Ray und ihre Brüder unterhalten sich oft auf elbisch, wenn sie nicht wollen, dass ihnen jemand zuhört.“

„Du hast Geschwister?“, wurde Liz hellhörig.

„Ja, vier Brüder.“, sagte ich.

„Sind die älter als du? Und sehen sie gut aus?“

„Ähh...“, machte ich überfordert. „Also, drei von denen sind älter als ich, das sind Leo, der ist 25, Charlie, der ist 24, und Harry, der ist 19. Und ich finde schon, dass sie gut aussehen.“

„Leo, Charlie und Harry, ja? Und was machen die beruflich? Oder studieren sie noch? Sind sie schon vergeben oder noch Single?“, sprudelte es aus der älteren Thompson heraus.

„Irgendwie wirkst du verzweifelt.“, bemerkte ich.

Deprimiert ließ sie den Kopf hängen. „Jaa...“, seufzte sie.

Plötzlich hüpfte Patty neben mich und griff nach einer Haarsträhne, die sich aus meinem Flechtzopf gelöst hatte. Fragend sah ich sie an.

„Duhuu~“, begann die blonde Waffe. „Wie hast du das gemacht?“, hielt sie mir meine Strähne vor die Nase.

„Ähm...“, begann ich.

Ich hatte um die Strähne grüne und blaue Bänder geflochten, die mal gerade und mal über kreuz gewickelt waren und in einer türkisfarbenen Perle endeten.

Bevor ich es jedoch Patty erklären konnte, wurde ich von einem entsetzten 'Oh.Mein.Gott!' unterbrochen.

„Was?!“, zischte ich den Totengott an, der mich ansah, als ob ich gerade zu einem Zombie Mutiert wäre. Ich konnte mir schon denken, woran das lag – ich hatte die Flechtsträhne nur an der rechten Seite.

„Duu...“, begann er mit bebender Stimme. „Du bist...du....deine Haare...Wie kann man nur so herumlaufen?!“, platzte es aus ihm heraus. „Der Seitenscheitel, der Zopf, der schlampige Pullover, zweierlei Socken, das Armband...und dann auch noch die Augen! Kannst du keine farbigen Kontaktlinsen tragen?!“

Wütend zuckte meine Augenbraue. Meine verschiedenfarbigen Augen hatte seine Waffe gestern schon bemerkt, und heute regte er sich deswegen auf?!

„Es kann dir egal sein, wie ich herumlaufe.“, bemühte ich mich, nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Kann es nicht!“,widersprach er. „Ich muss deinen Anblick schließlich ertragen und dein Kleidungsstil ist so grauenhaft chaotisch -“

„Es geht dich einen Scheißdreck an, was ich trage!“, unterbrach ich ihn fuchsteufelswild. „Ich laufe herum, wie es mir gefällt, ob dir das passt oder nicht und ich werde auch niemals versuchen, es dir oder irgendjemandem sonst recht zu machen! Ich scheiß' auf deine Meinung, komm damit klar!“, brüllte ich fast.

Noch nie hatte ich solche Lust, jemandem in die Visage zu schlagen! Ich hasste es, wenn sich jemand – normalerweise war es meine Mum – über meine Kleidung beschwerte. Es war ja nicht so, dass ich aussah wie der letzte Penner!

Wütend starrte mich der Totengott an und wollte noch etwas sagen, als sich Jamie zwischen uns stellte. Besänftigend legte sie eine Hand auf meinen Arm und sah mich ruhig an. Langsam kam ich wieder runter, vermied es aber, den schwarzhaarigen anzusehen.

„Oh Mann.“, durchbrach Soul die angespannte Stille. „Ihr könnt euch ja leiden wie Fußpilz.“

Angenervt stieß ich die Luft aus. „Ich geh schon mal vor.“, meinte ich nur zu meiner Partnerin, die zustimmend nickte. Nach solchen Situationen war es besser, wenn ich meine Ruhe hatte.
 

Nachdem ich mich von den anderen, mit Ausnahme eines gewissen Anzugträgers, verabschiedet hatte, lief ich ziellos in der Stadt herum. Es war erstaunlich, wie viele Geschäfte es hier gab, und das, obwohl ich mich nicht mal in der Nähe der großen Einkaufsstraße befand. An fast jeder Straßenecke gab es kleine Cafés oder Bäckereien, und je weiter ich Richtung Stadtrand kam, desto mehr Restaurants sah ich.

Am nordöstlichen Stadtrand fand ich ein altes, steinernes Amphitheater, in das lange Schatten fielen. Von den obersten Stufen konnte man meilenweit über die Wüste sehen, sodass ich ein kleines Wäldchen unterhalb der Shibusen erkannte. Seit wann wuchsen Bäume in der Wüste? Kopfschüttelnd setzte ich mich auf eine der Stufen, die im Schatten lagen. Es war angenehm still und die kühle Brise, die hier wehte, tat gut.

Plötzlich hörte ich, wie mein Handy in meiner Tasche 'Die fabelhafte Welt der Amélie' spielte. Mein Bruder Ron rief mich an! Schnell kramte ich das Smartphone heraus und nahm den Anruf entgegen.

„Hey Ronnie!“, begrüßte ich ihn fröhlich.

„Hi Schwesterherz. Wie ist es in Nevada?“, wurde ich sofort gelöchert.

„Heiß und sandig.“

Ich hörte ihn am anderen Ende der Leitung lachen.

„Ist zu Hause alles okay?“, wollte ich von ihm wissen.

„Sozusagen. Leo heult immer noch rum, weil du jetzt weg bist.“, kicherte er, wurde aber von einem 'Gar nicht wahr!' aus dem Hintergrund unterbrochen.

„Sind die anderen bei dir?“, fragte ich verwirrt in den Hörer.

„Sind wir!“, schallte es dreistimmig zurück.

Leise lachte ich. „Ist es bei euch nicht schon total spät?“

„Es ist halb elf und die Nacht ist noch jung!“, lachte mir Charlie entgegen.

„Musst du morgen nicht arbeiten?“, hakte ich nach.

„Du klingst schon genauso wie Mum.“, moserte er. „Schlaf wird überbewertet, kleine Schwester!“

„Spinner.“, schnaubte ich nur.

„Und, hast du schon neue Freunde gefunden?“, hörte ich meinen ältesten Bruder Leo.

„Was glaubst du wohl?“, war meine zynische Gegenfrage.

„Sind die anderen in deiner Klasse denn nicht nett?“, überging er meine Frage.

„Die haben alle 'nen Sprung in der Schüssel.“, erklärte ich. „Einer redet ständig davon, wie toll er ist, unserem Klassenlehrer steckt 'ne Schraube im Kopf, ein anderer Lehrer ist ein Zombie oder so und der Sohn vom Shinigami-sama -“, ich holte tief Luft. „-ist das ätzendste, nervigste, unausstehlichste Bonzenkind, das mir je begegnet ist!“

„Uuuh, klingt, als wäre da jemand verliebt~.“, flötete mir Charlie entgegen.

„Eher knutscht mich ein Einhorn!“, meinte ich. „Im ernst, dieser Kerl macht mir wegen meiner Augenfarben Vorwürfe!“

Am anderen Ende der Leitung wurde es still.

„Okay, das ändert die Situation.“, bemerkte Harry düster.

„Definitiv.“, stimmte ihm Leo zu. „Ray, sag uns, wo dieser Typ wohnt und wir machen ihn fertig!“

„Niemand beleidigt unsere kleine Schwester ungestraft!“, kam es todernst von Charlie.

„Das wird er bereuen!“, machte auch Ron mit.

„Leute...“, grinste ich kopfschüttelnd in mein Handy. „Der Kerl hat mich schon an der Backe. Glaubt ihr nicht, dass das Bestrafung genug ist?“

„Trotzdem ist das nicht in Ordnung...“, meinte Ron kleinlaut. „Gibt es den niemanden in deiner Klasse, der halbwegs normal ist?“

„Naja.“, begann ich und dachte an Maka. „Ein Mädchen scheint ganz nett zu sein, aber sie schlägt gerne mit Büchern um sich.“

„Und wie geht es unserer kleinen Jamie?“, fragte Harry.

„Ihr scheint es soweit ganz gut zu gehen, zumindest versteht sie sich mit unseren Klassenkameraden besser als ich.“

„Soll das heißen, sie vermisst uns gar nicht?“, kam es von Charlie in einer weinerlichen Tonlage.

„Pfft.“, machte ich. „Wer sollte euch schon vermissen?“

„Buuh!“, Beschwerte sich Ron. „Du bist gemein, Ray-Ray!“

Sofort stellten sich meine Nackenhaare auf. „Nenn' mich nicht Ray-Ray!“, motzte ich zurück, worauf mir lautes Gelächter entgegen schallte. Klar, ich gab anderen gerne Spitznamen, aber ich hasste es, selbst welche zu bekommen.

Als sich das Spinnerquartett wieder beruhigt hatte, quatschen wir noch eine ganze Weile über völlig sinnloses Zeug, bis sie sich verabschiedeten – sich mussten doch irgendwann schlafen.

Entspannt fläzte ich mich auf der Steinstufe herum. Was Jamie wohl gerade tat? Vielleicht hing sie mit Maka und den anderen in der Stadt herum, oder sie war zu Hause und bemalte ihre Wände. Da letzteres wahrscheinlicher war, beschloss ich, auch nach Hause zu gehen, doch ich merkte mir den Weg zum Amphitheater gut – ich würde mit Sicherheit noch öfter herkommen.
 

Als ich gerade eine schmale Seitengasse hinter mir ließ, fiel mir ein kleiner Landen an der Straßenecke auf. Neugierig ging ich näher heran und sah wie hypnotisiert durch das Schaufenster. Ein Antiquitätenladen!

Mit dem Gedanken, dort vielleicht einen schönen Spiegel für meine Sammlung zu finden, betrat ich von klingelnden Glocken begleitet das Geschäft. Überall standen antike Schränke, Stühle und Tische, und in dunklen Vitrinen, die an den Wänden und teilweise mitten im Raum standen, lagen alte Bücher, Vasen, Taschenuhren und jede Menge Schmuck. Die Kasse – eine alte, messingbeschlagene – stand auf einer langen, niedrigen Vitrine am anderen Ende des Raumes und wurde von einer alten Frau bedient. Davor stand ein Mann, der sich mit der Dame unterhielt. Gerade, als ich vor einer Wand voller Spiegel stehen blieb, wurde das Gespräch an der Kasse lauter.

„Wenn ich es Ihnen doch sage.“, fing der Mann in einer super-genervten Tonlage an. „Das ist eine offizielle Ordensinsignie des Distelordens. Es hat schon meinem Großvater gehört!“

Misstrauisch zog ich die Augenbrauen zusammen. Der Distelorden? Das war einer der Ranghöchsten britischen Orden, was machte also eine solche Ordensinsignie in Amerika?

„Es tut mir wirklich leid, aber ohne die nötigen Papiere kann ich Ihnen nur den Materialpreis zahlen.“, versuchte die alte Frau, den Mann zu beruhigen.

„Nur den Materialpreis?! Haben Sie eine Ahnung, wie viel dieser Orden wert ist?!“, keifte er die Frau an, die vor Schreck zusammenzuckte.

Was erlaubte sich dieser Kerl eigentlich? Man behandelte so doch keine alten Damen!

„En-Entschuldigung, aber ich ...“, stotterte sie.

„Narürlich haben Sie keine Ahnung!“, wetterte der Mann weiter. „Der Distelorden ist der oberste aller britischen Ritterorden und -“

„Entschuldigen Sie bitte, aber was das betrifft, liegen Sie leider falsch.“, mischte ich mich bemüht höflich ein.

„Von einem jungen Ding wie dir muss ich mich nicht belehren lassen!“, wurde ich gleich angefaucht.

„Ich fürchte schon.“, antwortete ich und ließ meinen Akzent raus hängen. „Zufällig kenne ich mich mit den britischen Ritterorden ganz gut aus, aber der Distelorden gehört nicht dazu.“

„Nennst du Göre mich einen Lügner?“, erwiderte der Kerl mit drohender Stimme.

„Keineswegs.“, lächelte ich ruhig. „Der Distelorden hat den zweithöchsten Rang der britischen Hoforden, aber das haben Sie mit Sicherheit nur verwechselt.“

Verwirrt sah er mich an, schien sich aber zu beruhigen. „Ja, natürlich.“, antwortete er.

Beiläufig betrachtete ich den Ordensstern, der auf der Vitrine lag.

„Dann wissen Sie doch auch, dass zu den Insignien eines Mitglieds des Distelordens neben dem Ordensstern auch die Ordenskette mit ihrem Ordenszeichen, das Ordenszeichen des Revers und das offizielle Ordenszeichen mit der dunkelgrünen Schärpe gehören.“, bombardierte ich ihn mit Informationen. „Außerdem müssen sämtliche Insignien mit dem Tod des Ordensmitglieds wieder abgegeben werden.“

Offenbar überfordert sah der Mann mich an.

„Wenn dieser Ordensstern echt ist, wo sind dann die anderen Insignien und warum befinden sie sich nicht im Vereinigten Königreich?“, half ich ihm auf die Sprünge.

Sofort verdunkelte sich seine Miene. „Willst du mich als Betrüger darstellen?“

„Das haben Sie gesagt. Aber mich wundert es schon, warum auf einem Ordensstern der Distelordens die Devise des Hosenbandordens eingraviert ist.“

Meinem Gegenüber entgleisten die Gesichtszüge – er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass man ihm auf die Schliche kommen könnte.

„Wie...Wie bitte?“, stotterte er überfordert.

„Hier steht 'Honi soit qui mal y pense', was die Devise des Hosenbandordens ist. Wäre das hier ein echter Ordensstern des Distelordens, würde hier -“, ich wies auf den grünen Ring, in dessen Mitte eine Distel prangte, „- 'Nemo me impune lacessit' stehen, was soviel heißt wie 'Niemand greift mich ungestraft an'. Ich würde Ihnen raten, Ihren 'Ordensstern' zu nehmen und so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Andernfalls müssten Sie mit weitreichenden Konsequenzen rechnen.“, drohte ich finster.

Bevor die alte Dame noch etwas sagen konnte, war der Möchtegern-Betrüger in einem plötzlichen Anflug von Panik abgehauen. Was für ein Schisser!

„Vielen Dank.“, seufzte die alte Dame erleichtert. „Du bist wirklich eine anständige junge Dame.“

„Nicht wirklich.“, lachte ich verlegen. „Ich kann Lügner bloß nicht ausstehen.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ihr jungen Leute euch für Antiquitäten interessiert.“, fing sie ein Gespräch mit mir an.

„Naja, ich bin eben ein Sonderfall.“

„Wie heißt du, Herzchen?“, lächelte sie mich freundlich an.

Urgs, 'Herzchen'....

„Ich bin Ray.“

„Mein Name ist Ellie. Du kommst aus England, oder?“

„Ist mein Akzent wirklich so stark?“, lachte ich.

„Ach.“, machte Ellie. „Ich finde, der englische Akzent klingt sehr schön. Aber du kennst dich wirklich gut mit diesen Orden aus, das war meine Rettung.“

„Hmm.“, machte ich, als ich eine große, alte Weltkarte entdeckte.

Jamie und ich wollten schon immer die Welt bereisen, und jetzt, als Schüler der Shibusen, würde sich unser Traum wohl erfüllen. Es wäre echt cool, wenn wir in unserer Wohnung so eine Weltkarte hätten, denn dann könnten wir mit Stecknadeln jeden Ort markieren, an dem wir schon einmal gewesen sind, ganz wie die alten Seefahrer...

„Möchtest du die Karte haben?“, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.

„Äh, also eigentlich...“

„Ich schenke sie dir.“, meinte Ellie und nahm die Karte von der Wand.

„Das geht doch nicht!“, erwiderte ich erschrocken, nachdem ich das Preisschild gesehen hatte. „Ich meine, Sie können doch nicht -“

„Natürlich kann ich. Mein Laden, meine Regeln.“, lachte sie. „Außerdem muss ich mich ja bei dir bedanken.“

„Müssen Sie nicht, wirklich!“

„Ich dachte, wir waren schon beim 'du' angekommen.“

Resigniert seufzte ich. Ich mochte es nicht besonders, Geschenke zu bekommen, genauso wenig wie ich Hilfe annahm, selbst wenn ich sie brauchte. Aber diese alte Frau war stur...

Nachdem Ellie die Karte zusammengerollt und mir überreicht hatte, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Den Antiquitätenladen würde ich wohl noch öfter besuchen.
 

„Bin wieder daha~!“, rief ich durch die Wohnung und ließ die Tür ins Schloss fallen.

„Wo warst du so lange?“, wurde ich gleich von Jay begrüßt, die aus ihrem Zimmer kam. An Händen und Hose waren rote und gelbe Farbflecken zu erkennen – Jackpot! Ich kannte eben meine Partnerin.

„Bin ein bisschen durch die Stadt gelaufen und hab' mit den Jungs telefoniert.“, beantwortete ich ihre Frage.

„Oh. Was haben sie gesagt?“

„Überwiegend dummes Zeug, vor allem Charlie.“, lächelte ich schief.

„Das ist ja nichts neues.“, grinste sie. „Was hast du da?“

„'Ne Weltkarte. Hab ich geschenkt bekommen.“, erklärte ich, als ich die Karte ausrollte. „Ich dachte mir, dass wir darauf mit Stecknadeln markieren können, wo wir schon waren.“

„Das ist eine tolle Idee!“, freute sich Jamie.

Kurze Zeit später hing die Weltkarte an der Wand über dem Sofa.

„Also, wo waren wir schon mal?“, sprach ich mehr zu mir als zu meiner Partnerin, die die ersten Stecknadeln in die Isle of Wight und London steckte.

„Death City!“, rief sie und piekste mit einer Nadel durch Nevada.

„Hoffentlich können wir bald auf eine Mission gehen.“, kommentierte ich die drei Nadeln in der Karte. „Dann sieht das nicht mehr so kahl aus.“

„Hmm.“, machte Jay nachdenklich. „Glaubst du, unsere erste Mission wird gefährlich?“

„Nicht besonders, schätze ich. Aber das wissen wir erst, wenn es soweit ist.“

„Hmmhm...hast du Hunger?“

„Und wie. Seit deinen Sandwiches in der Pause hab ich nichts mehr gegessen.“

Schon stand meine Partnerin in der Küche und begann, Gemüse zu waschen und klein zu schneiden.

„Soll ich dir helfen?“, bot ich ihr an.

„Du kannst den Tee kochen.“, deutete sie auf einen Hängeschrank.

Als ich den Schrank öffnete, fielen mir beinahe die Teepackungen entgegen. Himbeer-Vanille, Türkischer Apfel, Johannisbeer-Kirsch...

„Haben wir keinen Darjeeling? Oder Earl Grey?“

„Ich hab noch keine guten gefunden. Die meisten schwarzen Tees hier schmecken wie eingeschlafene Füße...“

„Na super.“, meinte ich sarkastisch und nahm den Apfeltee.

Nach dem Essen saßen Jay und ich mit unserem Tee vor dem Fernseher und zappten durch die Kanäle.

„Das ist so stumpfsinnig.“, seufzte ich irgendwann, als wir in der fünften Talkshow gelandet waren.

„Warum prügeln die sich überhaupt?“, versuchte Jamie den tieferen Sinn hinter diesen Sendungen zu verstehen.

„Keine Ahnung, aber Gewalt ist bekanntlich auch die Sprache der Dummen...“

Schief sah sie mich an. „Du prügelst dich auch oft, Ray.“

„Das ist was anderes!“, rechtfertigte ich mich. „Wenn mich jemand provoziert, muss er damit rechnen, dass er nicht ungestraft davonkommt!“

„Aha.“, machte Jay. „Ich bin jedenfalls froh, dass du dich nicht mit Kid geprügelt hast.“

„Pff.“, meinte ich. Stripes hatte bloß Glück gehabt...

„Immerhin ist er ein Totengott, gegen ihn hättest du keine Chance.“

„Hast du so wenig vertrauen in meine Fähigkeiten?“

Ich fing mir einen zweifelnden Blick ein.

„Solange ich ihn noch nicht kämpfen gesehen habe, werde ich nicht einsehen, dass er stärker sein soll als ich. Und selbst wenn, heißt das noch lange nicht, dass ich ihm in einem Kampf automatisch unterlegen bin. Und falls doch, hat er als Kerl immer noch eine Schwachstelle, die ich ausnutzen kann und werde.“, gab ich selbstsicher von mir.

„Du meinst...die Waffen einer Frau?“, sah sie mich nachdenklich an.

„Nein.“, blinzelte ich verwirrt. Wie kam sie denn darauf? „Ich meine: Ich trete ihm in die Eier.“

Ergeben seufzte meine Partnerin. „Das ist aber nicht besonders ehrenhaft.“, versuchte sie es noch einmal.

„Ich bin eine Frau, von mir erwartet niemand, dass ich ehrenhaft kämpfe.“, entgegnete ich starrsinnig.

Noch einmal seufzte Jay und schaltete schließlich den Fernseher aus.

„Ich geh ins Bett.“, erklärte sie. „Gute Nacht.“

„Nacht.“, erwiderte ich nur und beschloss, ihrem Beispiel zu folgen. 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Oh.Mein.Gott. Erschießt mich xD SO oft, wie das Wort "Orden" im vorletzten Absatz aufgetaucht ist, könnte man fast ein Trinkspiel draus machen x'D
Mja. Übrigens ist Jamies Akzent nicht so stark wie Rays, was nicht nur daran liegt, dass Ray ziemlich patriotisch drauf ist ^-^')
Und wenn ihr im laufe des Kapitel dachtet: Mann, Ray ist echt ne Zicke!
...dann habt ihr Recht. Sie ist ein richtiges Streithammel. Und sie gefällt sich so.
Und eigentlich ist ihr alles, was nicht mit ihrer Familie zusammenhängt, total egal.

Mja, danke für's Lesen und bis zum nächsten Mal!
Euer Wölfchen :3 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  mandarinenbluete
2014-04-24T20:06:47+00:00 24.04.2014 22:06
Also als ich an der Stelle mit Rays fehlenden Spanischkenntnisse angekommen bin, hätte ich mich halb Tod gelacht.
XDDDDDD
Generell gab es in dem Kapitel mehrere Stellen, die einfach nur zum lachen waren. ;DDD
Mach schnell weiter! ^^
Antwort von:  DasWoelfchen
25.04.2014 15:53
Freut mich, wenn ich jemanden zum Lachen bringen konnte ^-^
Im Laufe der Story wird es noch ernst und düster genug, das gleich ich dann mit Humor wieder aus XD
Die nächsten beiden Kapitel sind schon fertig, die kommen dann im Lauf der nächsten Tage ^3^
Und danke für die Rückmeldung :3
Antwort von:  mandarinenbluete
25.04.2014 16:02
Immer wieder gern ^^
Ich freu mich :D


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