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Corruptio optimi pessima

Die Entartung des Besten führt zum Schlimmsten
von

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bekennend

Langsam zwang er seine Muskeln wieder dazu sich zu lockern.

Der Schwarzhaarige hatte sich wieder dicht an ihn geschmiegt und streichelte immer noch sanft seine Wange.

»Ist okay.« sagte er nur und schob die Hand weg.

Er konnte das jetzt einfach nicht ertragen. Wenn der Andere ihn so behandelte, wusste er, dass er seine Maske nicht länger tragen konnte.

Bill ließ die Hand sinken und nickte leicht.

Dann formte er bewusst langsam seine Handzeichen, die der Blonde konzentriert verfolgt.

»Nein, ich will nicht darüber reden…« antwortete auf die gestellte Frage.

Er war im Moment wirklich etwas überfordert.

Der Andere nickte wieder und lehnte seinen Kopf an die Schulter des Hoppers.

Diesen plagte nun irgendwie das schlechte Gewissen.

Schließlich war es nicht einmal drei Tage her, da hatte Bill ihm seine ganze Lebensgeschichte anvertraut und er… er hatte nicht einmal den Mumm über Tobi zu reden.

Was war er für ein Feigling!?

Er schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter.

»Vergiss es.« sagte er aufgebracht und schaltete das Fernsehen aus, dann löste sich von dem Anderen. Der stumme Junge sah ihn verschüchtert an und beobachtete ihn dabei, wie er zu dem kleinen Regal ging und das Fotoalbum herunterholte.

Mit diesem in der Hand ließ er sich wieder neben seinen Gast sinken. Kurz sah er in die warmen, haselnussbraunen Augen und plötzlich wusste er, dass er Bill vertrauen konnte.

Er würde es niemanden erzählen, selbst wenn er sprechen würde.

Und das gab ihm die letzte Sicherheit…

»Er hieß Tobias und war 6 Jahre jünger als ich.« erklärte Tom dann und seufzte. »Er war krank, weißt du? Es war abzusehen das er sterben würde… aber es tut trotzdem so weh…«

Tom spürte deutlich wie ihn die Erinnerungen zu übermannen drohten.

Doch er schob sie zurück. Es war ihm peinlich, wenn er jetzt vor Bill heulen würde.

»Als wir umgezogen sind, habe ich das alles gesammelt um mich besser erinnern zu können.« sprach er weiter und wollte das Album aufschlagen.

Aber noch ehe er den Deckel umklappen konnte, legte sich die feingliedrige Hand des Anderen auf seine.

Kurzeitig blickten sie sich an. Und wieder faszinierte es ihn wie viel der stumme Junge mit seinen Blicken ausdrücken konnte.

Es ist in Ordnung wenn du nicht darüber redest willst

das las er in diesen Augen.

Und auch wenn er sich vorher noch nicht sicher gewesen war, dass er Bill alles erzählen wollte; jetzt war er es. Er wollte ihm gerne was zurückgeben…

Auch wenn es wirklich nur ein kleiner Teil dessen war, was der Schwarzhaarige ihm gegeben hatte. Doch er hoffte das es reichte, irgendwie.

Andächtig schlug er das kleine Album auf und sah das erste Bild, was den zehnjährigen Tom zeigte, der seinen kleinen Bruder hielt und in die Kamera lächelte. Im Hintergrund lag Simone im Krankenbett und lächelte matt.

Dieses Bild zauberte auch wieder ein Lächeln auf sein Gesicht, aber im Gegensatz zu dem abgebildeten, war es voller Schmerz.

»Er war zwar kein Wunschkind von meinem Eltern, aber irgendwie hat er uns von Anfang an komplettiert…« erzählte der Hopper weiter.

Bill hatte das Bild berührt und auf seinem Gesicht lag ein sanftes Lächeln.

»Auch wenn es uns alle ziemlich überrascht hat, als es hieß das Mom schwanger war. Aber ich habe mich irgendwie gefreut.«

Er blättert weiter und zeigte dem Schwarzhaarigen die nächsten Bilder. Zwei Seiten voller Bilder die das Glück und die Harmonie der kleinen Familie zeigte. Alle Lebenslagen mit dem kleinen Neuankömmling wurden auf den Bildern festgehalten.

Man spürte die Liebe hinterm jeder Abbildung.

Doch als Tom die zur nächsten Seite umblätterte, sprang diese Stimmung rapide um.

Denn dort war Tobias mit einem dicken Verband am Kopf zu sehen. Auch die anderen Bilder zeigten eindeutig, dass dieser kleine Junge krank war.

Immer wieder hatte er an irgendwelchen Stellen an seinem Körper Verbände oder Pflaster, dabei schien er auf diesen Bildern nicht älter als drei oder vier Jahre zu sein.

»Tobias hat sehr früh Epidermolysis bullosa dystrophica, kurz DEB, diagnostiziert bekommen. Das war für uns alle ein riesen Schock, vor allem weil es ein sehr bösartiges Krankheitsbild ist. Wir wussten von Anfang an, dass Tobi niemals 20 werden würde.« erklärte Tom und seine Stimme wackelte bedenklich. »Das war wie ein Schlag in die Fresse. Ich glaube er selber hatte am wenigstens Probleme damit…«

Bill sah ihn entsetzt an.

Er spürte die Hand des anderen auf seiner und schluckte schwer.

»Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen, aber die richtige Auswirkung der Krankheit kam als er fünf wurde. Er hatte schon immer leichte Rötungen auf der Haut, schon als Säugling… aber da wurde es richtig krass. Hast du schon mal was von der Schmetterlingskrankheit gehört?«

Bill schüttelte den Kopf.

»So nennt man sie in der Mundart, sag ich mal. Eigentlich es ist ein Gendefekt, genau habe ich es damals nicht verstanden. Aber die Folge ist eine so dünne Haut – fast so wie Schmetterlingsflügel – wenn man sie berührt, verletzt man sie. Es war schlimm… auch wenn man ihn nur gestreichelt hat, hat sich die Haut fast sofort gelöst. So als wäre er an einer Mauer entlang geschrammt…« redete er weiter und der Traurigkeit zitterte in seiner Stimme. »Ich habe ihn niemals richtig umarmen können, ohne das er Schmerzen hatte.«

Wieder schwappten ein schwarzes Meer von unterschiedlichsten Emotionen in ihm umher, genau wie damals seit Tobis tot.

Es drohte ihn wieder völlig zu überschwappen… immer mächtiger wurden die Wogen. Und der Kampf war fast schon umsonst. Jeden Moment würde alles wieder über ihn hereinbrechen. Wieder…

Doch genau in dem Moment, als er dachte, er könnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten, ging die Tür auf und Sam zockelte auf die Couch zu.

Der Hund blickte die Beiden kurz an und es war fast so, als würde er genau wissen wovon sie gerade sprachen. Er zog den Schwanz ein, ging zu seinem Herrchen und setzte sich zwischen dessen Beine. Seine Schnauze legte er auf den Oberschenkel des Hoppers ab.

Ein leises Winseln kam aus seiner Kehle.

Tom lächelte schwach und kraulte das Ohr des Rüden.

»Sam war sein Hund… irgendwie hat er ihn durch sein Fell nicht so verletzten können wie wir das taten. Ich versteh bis heute nicht warum, aber das war egal… Tobi sollte einfach nicht so alleine sein, deswegen habe ich ihm Sam zu seinem Geburtstag geschenkt. Sammy war sein bester Freund und war immer bei ihm. Ich selber habe nicht damit klar kommen können, ich hab es einfach nicht ertragen ihn so zu sehen und hab mich immer mehr zu meinen Freunden geflüchtet… bin auf Partys gegangen oder mit irgendwelchen Mädchen bis in die Nacht unterwegs gewesen. Meistens habe ich auswärts geschlafen und wenn ich nach Hause kam, hat mein Bruder mich lächelnd erwartet.«

Gedankenverloren streichelte er über den dunklen Fleck auf Sams Kopf. Vor seinem geistigen Auge sah er Tobias noch immer lachend auf der Treppe sitzen und rufen: Endlich bist du wieder da Tommy!

Allein dieser Gedanke presste ihm den Brustkorb zusammen.

Bill streichelte beruhigend seinen Arm und lauschte.

Inzwischen hatte der Blonde das Album zwischen ihnen völlig vergessen.

»Immer wieder musste ich seine Wunden behandeln. Mom konnte das einfach nicht. Entweder hat das seine Pflegerin übernommen, die wir extra eingestellt hatten oder ich. Ich wollte einfach irgendetwas machen. Ich habe mich so schlecht gefühlt, weil ich ihm sonst nicht helfen konnte, verstehst du? Das tu ich noch heute…

Wenn ich daran denke, wie oft ich ihn allein gelassen haben um mein Gewissen erleichtern zu können… ich hätte bei ihm sein müssen… immer.«

Er registrierte nur verschwommen wie Bill das Album zur Seite legte und noch näher rückte.

»Ich - … er hat so lange gekämpft und ist älter geworden als es die Ärzte je vermutet hätten. Natürlich gab es auch dunkle Perioden. Aber er hat nie aufgegeben und ich habe echt gehofft… genau wie Mom und Gordon. Aber es war dämlich überhaupt damit anzufangen, er hat bis zu seinem zehnten Geburtstag durchgehalten,… irgendwann hatte er einfach keine Kraft mehr. Ihm ging es wirklich schlecht und ich bin wieder geflüchtet. Ich war so feige…« sagte Tom und seine Stimme brach kurz weg. Zittrig atmete er ein. »Gegen zehn Uhr kam Sammy zu mir in den Park. Ich weiß bis heute nicht wie er es aus dem Haus geschafft hat, aber er war schon immer ein sehr kluger Hund. Er hat so lange an mir herumgezogen und gejault, bis ich ihm gefolgt bin. Ich war schon angetrunken und hatte echt Probleme mitzuhalten und dann… dann hat er mich zu Tobi gebracht…- er ist in meinen Armen eingeschlafen… er… er hat gesagt er…«

Hilflos brach der Hopper ab und konnte auch das Zittern seines Körpers nicht mehr unterdrücken. Eine Träne stahl sich aus seinen Augenwinkeln und rann hinunter bis zu seinem Kinn. Und dann waren da die dünnen Arme, die ihn an den anderen, warmen Körper zogen. Er ließ es zu.

Der Schwarzhaarige umarmte ihn fest und ließ ihn nicht mehr los.

Tom fragte sich wie er nur so stark sein konnte.

Wie konnte er sich von Anderen Probleme anhören und sie trösten, wenn er selber so viel Leid in seinem Leben erfahren hatte?

Wie war das nur möglich?

»Ich habe so Angst ihn zu vergessen…« flüsterte der Blonde rau. »Ich… nicht richtig vergessen, aber wenn man sich lange nicht sieht, verblassen die Erinnerungen, weißt du was ich meine?...- was wenn ich irgendwann nicht mehr weiß wie er aussah oder sich anhörte? Was wenn ich -«

Bill unterbrach ihn mit einem heftigen Kopfschütteln und deutete auf das Album. Dann lächelte er sanft an und strich ihn eine neue Träne weg, die sich aus seinen Augen gelöst hatte. Diese einfache Geste löste wieder dieses merkwürdige Kribbeln in ihm aus.

Doch er wollte nicht darüber nachdenken.

Ergeben schmiegte er seine Wange in die Hand des Anderen und seufzte auf. Er schloss seine Augen und als er sie wieder aufschlug, sah er das Bill weinte.

Es war fast so, als würde der Schwarzhaarige die Tränen um Tobi weinen, die er selber nie vermocht hatte zu vergießen. Es würde nicht zu ihm passen und er war sich auch sicher, dass sein Bruder das wusste und verstand.

Trotzdem lösten diese Tränen eine Zärtlichkeit in ihm für den Anderen aus, die er so noch nie gefühlt hatte.

»Danke…« flüsterte der Hopper und nahm Bill wieder in die Arme.

Dieser schmiegte sich an ihn und hielt ihn auch fest, immer noch weinend.

Wärme breitete sich in ihm aus und er fühlte zum ersten Mal Erschöpfung…

Positive Erschöpfung.

Nicht die Mattigkeit, die man spürt, wenn man wieder nicht geschlafen hatte und nur darauf bedacht war seinen Eltern nicht weh zu tun und nichts Falsches zu sagen.

Sondern irgendeine Form der Erleichterung.

Noch ehe er sich dieses Gefühl richtig erklären konnte, war er schon abgedriftet.
 

Tom wachte circa eine dreiviertel Stunde später wieder auf.

Ihm tat der Rücken weh, doch das war nicht das merkwürdigste. Er lag ausgestreckt auf der Couch, Sam lag davor… aber unter ihm war etwas Weiches und irgendetwas strich ihm über die Stirn. Stirnrunzelnd blinzelte kurz nach oben und zuckte zusammen und als er direkt in Bills Gesicht sah.

Dieser lächelte.

Ihm wurde schlagartig bewusst, dass er hier auf Bills Schoß lag und dieser ihn zärtlich über die Stirn und die Haare strich und das höchstwahrscheinlich seit einer dreiviertel Stunde…

»Hey…« murmelte er verschlafen. »Wieso sagst du nichts, das ist doch sicher unbequem für dich?!«

Er richtete sich wieder auf und streckte sich; hörte wie es in seinem Rücken ein paar Mal krachte. Dann blickte er zu dem stummen Jungen herüber.

Dieser massierte grinsend seine Oberschenkel, höchstwahrscheinlich waren sie eingeschlafen unter seinem Gewicht.

Es schien ihm so, als würde Tom ihn das erste Mal direkt ansehen und das war ein Gedanke der absurd war und ihm irgendwie Angst machte.

Aber wahrscheinlich war er nur müde.

Es war ja schon abends… er sollte sich wohl ins Bett hauen und ausschlafen. Sofern er überhaupt noch einschlafen konnte.

»Hm… wollen wir noch was schauen? Oder willst du nach Hause?«

Bill antwortete mit Handzeichen.

»Okay… ich bring dich noch schnell rüber.«

Dafür bekam er wieder dieses strahlige Lächeln, welches seine Wirkung auf ihn immer mehr verstärkte, anstatt es sie verlor.
 

Nach diesem Gespräch vergingen die Wochen gefühlt noch schneller als vorher.

Zwischen Bill und Tom entstand eine unübersehbare Nähe.

Den Hopper verwirrte sie, den Stummen tat sie sichtlich gut und Jenny grinste nur so vor sich hin…

Bill blühte auf.

Man konnte den Menschen den er kennen gelernt hatte nicht mit dem vergleichen der jetzt immer mehr durchkam. Und irgendwie war das toll…

Sein Lachen war hell und wurde immer mehr.

Und Tom liebte es ihn Lachen zu hören.

Es war ein Geräusch was Schnee zum Schmelzen brachte, so kitschig sich das auch anhörte. Irgendwie glaubte er wirklich, dass es funktionieren würde.

Auch die Schule schien irgendwie erträglicher zu sein. Wahrscheinlich lag es aber auch nur an seinem ausgeglichenen Gemütszustand.

Dadurch, dass er endlich mit jemanden gesprochen hatte, konnte er auch ganz anderes mit seinen Eltern umgehen. Es besserte sich, egal um was es sich handelte…

Schule, Zuhause, Freizeit.

Alles schien zurzeit perfekt.

Am Wochenende fuhr er ab und zu mit Jenny und ihren Schwestern nach Magdeburg und ging in ein paar Clubs. Es war nicht das gleiche wie in Hannover, aber es war lustig die Blicke der anderen zu sehen, wenn er mit Drillingen ankam.

Einmal hatten sie einen arroganten Typen verarscht, der sich dreist an Jana herangemacht hatte… sie hatten ihm tatsächlich erzählt sie würden eine Viererbeziehung führen.

Alle drei hatten sich an Tom geschmiegt und der Typ hatte den Mund nicht mehr zubekommen. Etwas was dem Kerl wohl bis heute traumatisierte!

Mit den Schwestern wurde es einfach nie langweilig.

Das einzige was schade war, war das Bill nicht mitgehen konnte.

Sozial Phobie und so…

Diese Situationen waren in dieser Zeit die einzigen in denen man wirklich merkte, wie kaputt der Schwarzhaarige eigentlich war.

Große Menschenmengen, die in einem kleinen Raum waren oder zu eng beieinander standen, verursachten bei ihm Panikattacken. Manchmal fragte sich der Blonde wie Bill es in seiner Klasse aushielt. Zum Beispiel beim Sportunterricht…

Man konnte sagen was man wollte, aber groß war ihre Turnhalle nicht gerade.

Ob er da auch mit solchen Attacken zu kämpfen hatte?

Wie konnte man mit so etwas überhaupt normal leben?

Vielleicht sollte er ihn einmal dazu befragen… aber nicht jetzt.

Es war alles zu gut zurzeit.

Und so kamen so schritt der Herbst voran und die Ferien kamen immer näher.
 

Zwei Tage vor den Ferien war bereits unter den Schülern die Null – Bock – Laune ausgebrochen. Auch Tom konnte sich nur noch schwer auf den letzten Batzen wissen konzentrieren, den die Lehrer ihnen vor den Ferien mitgeben wollten.

Im Matheunterricht dann, bekam er eine SMS von Georg, die ihn an sein Versprechen erinnerte, das er vor seiner Ankunft in Loitsche gegeben hatte. Ohne darüber nachzudenken bestätigte Tom dieses noch einmal.

Als der Schultag endlich um war, traf er sich mit Jenny und Bill wie immer auf dem Hof.

»Hey…«

»Hey.«

Von dem Schwarzhaarigen bekam er eine übereifrige Umarmung als Begrüßung und dann gingen sie gemeinsam los.

»Boha, das war ein Tag. Habt ihr auch das Gefühl, dass die uns alle vor den Ferien noch einmal richtig quälen wollen?« fragte er grinsend. »Ich glaube, so viel hat uns der Liebe noch nie schreiben lassen, ey!«

»Ja, das ist doch meistens so oder?« antwortete Jenny. »Vor den Ferien drehen alle noch einmal total am Rad… aber wenigstens sind die Noten durch. Morgen werden sie denke ich nicht auf die Idee kommen einen unangekündigten Test zu schreiben.«

»Beschrei das lieber nicht!«

»Hast Recht.«

Für eine Zeit des Fußmarsches herrschte Schweigen.

»Was machst du die Ferien?« versuchte Tom ein neues Thema anzuschneiden.

Er hatte irgendwie das Gefühl etwas erzählen zu müssen.

»Also ich nicht viel… ich werde vielleicht mit meiner Familie mal nen Kurztrip machen, aber die restliche Zeit bin ich hier. Du?«

»Ich fahre nach Hannover und besuch mal die alte Chaos – WG da.«

»Ouhhh super. Das ist schön…« freute sich Jenny direkt mit und grinste ihn an. »Du kannst mich gerne mitnehmen. Ich wollte schon immer mal sehen wo du herkommst.«

»Beim nächsten Mal dann.«

Diese Zusage ließ Jenny übermütig auf quietschen und sie drehte sich gut gelaunt um.

»Und wa – … Bill?«

Nun wand sich auch Tom um. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Schwarzhaarige stehen geblieben war. Und jetzt wo er ihm ins Gesicht blickte, sah er erst den gepeinigten Ausdruck darin. Schmerz zuckte durch seine Augen… so als hätte ihn jemand geschlagen.

Was?

»Bill was hast du denn?« fragte Jenny noch einmal.

Auch sie schien sofort alarmiert zu sein. Doch der Angesprochene reagierte gar nicht. Er lief einfach weiter. Jede Emotion war verschwunden.

Die Schwarzhaarige packte seinen Arm. »Ey, wart jetzt mal. Du wirst mich jetzt hier nicht anschweigen. Was ist denn nu kaputt?! Red doch!«

Doch dieser machte einfach seinen Arm los und ging weiter.

»Bill!«

Keine Reaktion.

Etwas überfordert sah Jenny den Hopper an, der immer noch da stand, wo er vorhin angehalten hatte. Auch ihm ging es nicht anders…

Was war denn nur plötzlich los?

Warum war Bill so komisch? Hatten sie irgendetwas Falsches gesagt?

Verwirrt standen Beide da und sahen dem stummen Jungen hinterher, der vor ihnen den Weg einfach weiter lief, ohne ein einziges Mal zurück zu blicken.

Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

»Scheiße!« fluchte er halblaut und kickte einen kleinen Stein weg.

Wie konnte man nur so bescheuert sein?!

»Was?!«

»Ich hab es ihm nicht gesagt!« teilte er Jenny mit zusammengepressten Kiefern mit. »Ich hab Bill nicht gesagt das ich gehe.«

Und das nicht einmal aus böser Absicht. Er hatte einfach nicht mehr daran gedacht, bis gerade eben. Das Versprechen war schon so lange her, er hatte es eine Zeit lang vergessen bis Georg ihn heute wieder daran erinnert hatte.

Wenn man bedachte was dazwischen alles passiert war, war das auch nicht verwunderlich das er so eine Lappalie vergaß, oder?

»Nee oder? Sag nicht du hast Bill gesagt, du würdest die Ferien hier sein?«

Hatte er das?

Er konnte sich nicht mehr erinnern. Verdammt!

Hektisch suchte er in seinem Verstand nach irgendeiner Situation in der er Bill genau das gesagt haben könnte… doch er fand keine.

Und das hatte er auch nicht. Oder?

»Keine Ahnung…« seufzte er deshalb.

»Nich dein ernst, Alter. Boha! Komm lass uns schnell hinterher.«

Und das taten sie.

Sie mussten fast rennen um Bill mit seinem Stechschritt einzuholen.

Und Tom hatte ein schlechtes Gewissen, als er an diese verletzten Augen dachte.
 

Am nächsten Tag erschien Bill nicht in der Schule.

Auch an dem gestrigen Nachmittag hatte er weder mit Jenny, noch mit Tom oder Beate gesprochen. Er war einfach in sein Zimmer gegangen und hatte sich da eingeschlossen.

Der Hopper machte sich wirklich Sorgen um ihn.

Wegen so einer Dummheit würde er doch nicht wieder in diesen leidenswerten Zustand fallen, aus dem er ihn schon einmal mit Mühe und Not befreit hatte… oder?!

Oder?

So sicher war sich Tom da gar nicht.

Immer wieder versuchte er zu ihm Kontakt aufzunehmen, aber der stumme Junge antwortete auf keine seiner SMS, was nicht gerade zu seiner Beruhigung beitrug.

Unruhig saß er im Deutschunterricht und schrieb irgendwas über Formativ und Bedeutung auf. Er bekam nicht einmal die Hälfte von dem mit, was der Lehrer versuchte ihnen anschaulich zu vermitteln.

Immer wieder trieben seine Gedanken ab.

Wenn er so bis Nachmittag weitermachen würde, würde er wohl völlig den Verstand verlieren. Er musste jetzt wissen wie es Bill ging!

Wieder schrieb er eine SMS.

Langsam kam er sich vor wie ein Stalker, aber auch auf diese bekam er keine Antwort.

Okay, das reichte!

Die letzten Stunden wurden gestrichen!

Er musste zu Bill!

Also packte Tom seine Sachen nach dem Unterricht zusammen und steuerte zielstrebig auf den hinteren Ausgang der Schule zu.

Es musste ja nicht unbedingt jeder sehen, das er jetzt türmte…

Eilig tippte er die gefühlte zwanzigste SMS an diesen Tag, doch dieses Mal war sie an Jenny adressiert und klärte sie über sein Vorhaben auf.

Dann machte er sich auf den schnellst möglichen Weg zurück.
 

Eine gute halbe Stunde später, stand er umgezogen und ohne Rucksack vor dem violette Haus. Nervös betätigte er die Klingel.

Am liebsten wäre er weggelaufen, aber das hätte auch nichts mehr gebracht.

Übermorgen würde er fahren und er wollte das aus der Welt haben.

Also Augen zu und durch!

Die Tür öffnete sich und Beate lächelte ihn an.

»Hallo, Tom.« begrüßte sie ihn und zog ihn in eine warme, mütterliche Umarmung.

»Hey…« krächzte er und kam direkt auf den Punkt. »Wie geht es Bill?«

»Deswegen bist du vor Schulschluss hier?«

»Ja.«

Was brachte es nun noch lange drum herum zu reden.

»Beate, sag schon… wie geht es ihm.«

»Nicht gut.«

Der Hopper schluckte. »Hat er…- ich meine ist er?«

»In Starre?« Die blonde Frau schüttelte den Kopf und lächelte schief. »Nein. Aber es ging ihn heute früh nicht besonders, er hatte gestern Abend einen Nervenzusammenbruch. Deswegen habe ich ihn heute entschuldigt.«

»Wegen mir.«

Das war eine Feststellung, keine Frage…

Und das erste Mal seit vielen Wochen fühlte sich Tom wieder einmal restlos überfordert mit der Situation in der er sich gerade befand. Wie konnte er sich damals nur auf diesen Jungen einlassen?

Er verletzte ihn ja anscheinend nur… weil er ihn nicht verstand.

Nicht verstehen konnte.

»Ich werde am besten nicht fahren.«

»Was? Nein, natürlich fährst du zu deinen Freunden!« entgegnete Beate beinah empört. Sie hatte schon gestern grob mitbekommen um was es ging.

»Aber-«

»Tom, hör mir jetzt mal ganz genau zu.« sagte sie ruhig und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er sah sie ratlos an.

Was sollte er nur tun?

»Du solltest fahren. Lass dich von Bill nicht so einengen, auch wenn du ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber hast. Aber er muss lernen, dass andere Menschen nicht rund um die Uhr da sein können. Und er muss lernen, dass, auch wenn jemand geht, derjenige irgendwann wiederkommt. Er ist nicht so ausgerastet weil du fährst, sondern weil er Angst hat dich zu verlieren. Verlustängste, du erinnerst dich?«

Der Hopper nickte leicht.

»Bei mir war es dasselbe. Ich durfte nicht aus dem Haus gehen… nicht einmal zum einkaufen. Und mitnehmen konnte ich ihn wegen seiner Sozial Phobie auch nicht… das ist ja Gott sei Dank, einigermaßen besser geworden. Aber früher hat er richtige Angstattacken und Nervenzusammenbrüche bekommen, wenn ich mich nur angezogen habe. Irgendwann hat er verstanden, dass ich immer wiederkomme.

Es hat lang gedauert und es war wirklich nicht einfach… aber jetzt weiß er, dass ich ihn nicht allein lassen würde. Das ich immer zurück komme. Das muss er bei dir noch lernen. Auch wenn er dir mehr vertraut als anderen, ihr kennt euch wirklich noch nicht lange.«

Wieder nickte Tom.

»Geh zu ihm hoch, klär das… aber lass dich nicht von ihm überreden hierzubleiben. Egal wie viel er bettelt und weint. Sei standhaft.«

Wie stellte sie sich das denn bitte vor?

Verdammt!

»Dann geh ich mal hoch…« sagte er leise und drehte sich, trotz seiner Zweifel und den schlechten Gefühl in der Magengegend, um.

»Ja. Wenn was ist, ruf, ich bin hier…«

Sehr witzig.

Das sagte er natürlich nicht laut, stattdessen erklomm er die Treppen und machte vor Bills Tür halt. Kurz zögerte er ehe er klopfte und sie vorsichtig öffnete.

»Billy?«

Der Schwarzhaarige saß zusammengekauert auf seinem Bett. Doch als er seinen Kosenamen hörte, sah er auf und als er den Hopper erkannte, zuckte etwas durch seine Augen.

In der nächsten Sekunde sprang er auf, schoss auf ihn zu und warf sich gegen den Anderen. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der Blonde an den Türrahmen katapultiert.

Das hinderte ihn jedoch nicht daran, Bill sofort zurück zu umarmen.

Und obwohl er in den letzten Stunden nichts anderes getan hatte, außer weinen – jedenfalls sagten das die Taschentücherberge um seinen Bett und seine roten Augen – begann er wieder zu schluchzen.

»Boha, Bill.« seufzte Tom und zog den Schwarzhaarigen näher. »Hör schon auf, du weißt, ich ertrag es nicht, wenn du heulst.«

Der Angesprochene klammerte sich nur verzweifelt an ihn, so als könnte er sich jeden Moment in Luft auflösen. Er presste sich so nah an den Dreadhead, das diesem beinah die Luft wegblieb.

»Billy… scht. Es ist doch gut jetzt. Es tut mir Leid, dass ich dir nicht früher was gesagt habe, okay? Ich hab es vergessen… aber das heißt doch nich, dass ich nicht wiederkommen, nur weil ich über die Ferien weg bin, hm?«

Keine erkennbare Reaktion.

»Schau mich doch mal an, Bill.«

Langsam und sehr unsicher folgte der Stumme dieser Aufforderung.

Als Tom in die rotgeweinten Augen sah, konnte er nicht mehr anders und hob seine Hand um die Tränen von den Wangen zu wischen.

»Mensch, bis du ne Heulsuse, ey.« spottete er liebevolle und ließ seine Finger da wo sie waren. »Und jetzt sag mir mal eins. Warum machst du hier eigentlich so einen Aufstand? Hab ich dir je einen Grund gegeben zu denken ich würde mich bei der nächsten Gelegenheit verpissen?«

Ein Kopfschütteln.

»Kannst du mir vertrauen?«

Dieses Mal war ein Nicken die Antwort.

»Und warum tust du es dann nicht einfach? Ich hab mich bis jetzt doch immer gemeldet, oder nicht? Und wir können doch SMS schreiben…« redete er weiter auf ihn ein. »Apropos…warum hast du mir nicht geantwortet? Ich hab mir verfluchte Sorgen gemacht!«

Bill biss sich auf die Unterlippe und wendete den Blick ab.

»Du wolltest nicht?«

Wieder konnte er keine Reaktion auf seine Worte erkennen, was ihn leise seufzen ließ.

Er hasste das, wenn er nicht wusste, was der andere dachte und sagen wollte.

Warum musste das alles auch so verflucht kompliziert sein?

»Okay, verstanden. Aber ich fahre trotzdem. Ich habe es meinen Freunden versprochen und ich werde es dieses Versprechen nicht brechen. Aber wir schreiben, ja?«

Der Schwarzhaarige sah kurz auf und in seinen Augen lag so eine Traurigkeit das es dem Hopper fast körperlich wehtat. Doch hinter dieser Trauer war noch etwas.

Angst.

Angst den Menschen zu verlieren, den er gerade erst gefunden hatte.

»Moha, fang bloß nicht wieder an zu flennen, man…« grummelte Tom, als die Augen seines Gegenübers wieder verräterisch glänzten.

Wie konnte man als Kerl nur so viel heulen?

Bill hatte die Lippen zusammen gepresst und schien sich wirklich anzustrengen nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen, etwas was den Dreadhead schmunzeln ließ.

»Was hältst du von einem Kompromiss, hm?«

Sofort hatte er die volle Aufmerksamkeit des Anderen, was das Schmunzeln zu einem Grinsen intensivierte.

»Ich fahre eine Woche weg und komme dann wieder und dann machen wir etwas zusammen… du darfst dir aussuchen was.«

Er hätte niemals gedacht, dass er mal eine gesamte Ferienplanung für einen Menschen kippte. Ansonsten war es ihm eigentlich völlig egal was andere von ihm dachten, wenn er sein Ding durchzog. Aber mit Bill war sowieso alles anders…

Dieser strahlte ihn wacklig an und umarmte ihn wieder fest. Dieses Lächeln kam nicht im entferntest an die der letzten Woche heran, aber das reichte schon… fürs erste.

»Okay, abgemacht. Und jetzt räum hier auf und geh runter was essen.«

Inzwischen kannte er den Schwarzhaarigen gut genug um zu wissen, dass er nichts aß, wenn er wegen irgendetwas aufgelöst war.

Tatsächlich gehorchte der Andere brav, nahm den Eimer und sammelte seine Taschentücher und Papierfetzen ein.

»Was sind das für Zettel?« wollte Tom neugierig wissen und hob einen auf um sich ihn anzusehen.

In deinen Augen, scheint alles sinnlos und leer. Der Schnee fällt einsam – du siehst ihn schon lange nicht mehr. Irgendwo da draußen – konnte er lesen, ehe der Schnipsel wieder aus seiner Hand geklaubt wurde.

»Was ist das, Bill?«

Der Angesprochene zuckte die Achseln und deutete auf den Schreibtisch. Dort stand ein Keyboard, welches dem Hopper schon zuvor aufgefallen war. Hatte es nicht beim letzten Mal auf den Boden gestanden?

Er würde behaupten ja…

»Du schreibst Songs?«

Der Schwarzhaarige nickte und stellte den Eimer wieder unter den Schreibtisch.

Das war ja höchst interessant.

Als der Stumme auf ihn zukam und an ihm vorbei zur Treppe wollte um runter zugehen, hielt Tom ihn noch einmal zurück.

»Ach noch was…« sagte er und begann dann den Anderen gnadenlos zu kitzeln.

Bill zuckte zurück und fing im nächsten Moment an zu lachen und zu kreischen. Es tat wirklich gut nach all den Weinen und Schluchzen solche Geräusche von ihm zu hören.

Irgendwann konnte er sich befreien und nahm vor dem Hopper reiß aus, der ihm sofort nachsetzte. Als sie nach unten gerannt kamen, sah Beaten verblüfft auf und lächelte dann vor sich hin, als wüsste sie etwas, was Bill und Tom noch nicht erkannt hatten.
 

Am Samstagvormittag geschah nicht viel.

Tom packte seine Taschen, ging zweimal mit Sammy raus und schaute ein wenig mit seinen Eltern fern.

Am liebsten würde er den Hund ja mitnehmen, aber für seine Zugreise war er einfach zu groß und zu teuer. Doch der Rüde merkte wohl, dass es auf einen Abschied hinauslief. Er war merkwürdig anhänglich… schon den ganzen Tag über wich er nicht von der Seite des Hoppers. Seine Eltern waren seit ein paar Tagen wieder ansprechbar, wenn man aufpasste was man sagte, konnte man fast wieder normale Gespräche mit ihnen führen.

So kam es, dass der Blonde sich das erste Mal am Wochenende wieder richtig wohlfühlte.

Am Abend hatten Bill und er sich verabredet um sich in Ruhe verabschieden zu können und ihn schwante das es schwierig werden würde…

Aber da musste er nun irgendwie durch.

Er hatte dem Schwarzhaarigen diesen Wunsch einfach nicht abschlagen können. Nicht nachdem was am Freitag passiert war.

Wie denn auch?

Also machte er sich pünktlich nach dem Abendbrot los und stiefelte die Straße hinauf zu dem Haus, das er bereits kannte wie ein zweites Zuhause.

Sam trabte an seiner Seite mit.

Er hatte einen kleinen Aufstand geprobt, als der Hopper ohne ihn das Haus hatte verlassen wollen. So etwas hatte er eigentlich damals nur gemacht, wenn er nicht bei Tobias sein durfte… als Welpe. Dann hatte er sich auf den Boden geworfen mit den Pfoten auf den Boden gekratzt und solange gewimmert und gejault bis ihn jemand beachtete.

Heute war das Theater ähnlich gewesen.

Als er die Tür hinter sich zugezogen hatte, wurde das Winseln des Hundes immer lauter geworden und schließlich hatte er begonnen an der Tür zu kratzen und in den schrillsten Tönen zu bellen. Diese Geräusche hatten ihm eine Gänsehaut über den Rücken gejagt.

Es hatte sich wirklich so angehört, als würde Sam von irgendjemand gequält.

Schlussendlich hatte er die Tür wieder aufgemacht und ihn kurzerhand mitgenommen. Er wollte sich eigentlich nicht genau ausmalen, was seine Eltern nächste Woche erwarten würde… jetzt im Moment schien der Rüde aber zufrieden zu sein.

Sie kamen kurze Zeit später an.

Tom begrüßte Beate herzlich und ließ Sam bei ihr im Wohnzimmer, wo sie sich mit ihm beschäftigte, während er selber die Treppe erklomm.

Sam blieb leise, wahrscheinlich beruhigte ihn die Tatsache das er noch im gleichen Haus war und er nur die Treppe hoch musste um sein Herrchen zu sehen.

Aber wer verstand schon einen Hund?
 

Bill erwartete ihn bereits mit einem aufgebauten Knabberzeugtisch und dem Startmenü einer DVD auf dem Bildschirm.

Er strahlte ihm entgegen.

Tom lächelte ehrlich zurück, schälte sich aus seiner Hoodie und setzte sich neben ihn auf die Couch. Er umarmte den stummen Jungen zu Begrüßung und ließ es zu das Bill sich an ihn lehnte und die Arme des Hoppers um sich zog.

Er wurde wirklich noch zum Weichei.

Egal wie sehr er versuchte sich herauszureden, dieses Nest veränderte ihn mehr als er wollte… Bill veränderte ihn.

Aber es war nicht so, dass es ihn großartig störte.

Er verstellte sich nicht… eher holte der Schwarzhaarige die Seite an ihm zum Vorschein, die neben seinen Machoimage nie hatte existieren können. In Hannover würde er nie sein können, was er hier war.

Und das war okay so. Irgendwie.

»Was hast du dir denn ausgesucht?« wollte er wissen und griff nach den Hüllen. »Shutter Island und Interview mit einem Vampir? Noch nie gehört…«

Bill grinste leicht.

Er wusste genau, dass das eigentlich nicht der Filmgeschmack des Hoppers war, da war er sich sicher. Wahrscheinlich hatte er die Filme gerade deswegen ausgesucht.

Tom zuckte die Schultern und drückte auf Hauptfilm abspielen.

Sie schauten die zwei DVDs und saßen einfach still nebeneinander, aßen Knabberzeug und tranken Cola. Als auch die letzten Minuten des zweiten Films um waren, machten sie das Fernsehen aus und der Blonde erzählt Bill von Hannover.

Was er vorhatte… wo er wohnen würde… ein wenig von Georg und Gustav…

Als er jedoch merkte, dass Bill immer ruhiger wurde und anscheinend traurig über seine Reisefreude war, begann er wieder den Anderen zu kitzeln ohne darüber nachzudenken.

Er liebte es, wenn der Schwarzhaarige so hemmungslos lachte.

Das Geräusch war viel zu selten, als das er das lassen könnte. Doch dieses Mal konnte der Stumme ihn mit einem gekonnten Manöver herumwerfen und Beide landeten auf den Boden.

Bill auf Tom.

Beide starrten sich einen Moment in die Augen und urplötzlich schlug die Atmosphäre um.

Eine Spannung baute sich zwischen ihnen auf, so wie der Blonde es eigentlich von seinen Mädchenerfahrungen kannte. Sein ganzer Körper begann zu kribbeln.

Sein Herz schlug um einige Takte schneller, als Bill sich nach vorne beugte und seinem Gesicht bedenklich näher kam.

Hektisch packte er ihn an den Hüften und hob ihn ohne große Anstrengung von sich hinunter.

»Was machen wir jetzt noch?« versuchte er schnell vom Thema abzulenken und setzte sich wieder auf die Couch. Seine Stimme klang merkwürdig rau.

Er traute sich nicht den Anderen anzusehen und war dankbar, als sein Handy mit einem leisen Pfeifen eine SMS ankündigte.

Er blickte hinunter und grinste, als er erkannte das die SMS von Georg war.

Bleibt’s dabei?

Ja, bin morgen gegen eins da.

Yeah… Bier ist schon kalt gestellt. Warten dann.

Kay.

Als der kurze Infoaustausch beendet war, steckte er das Mobiltelefon zurück in seine Tasche und wollte sich gerade nach Bill umsehen, als es auch schon geschah…

Ein schmaler Körper saß plötzlich auf seinen Schoß.

Wo war er so schnell hergekommen?

Der gesamte Körper des Hoppers versteinerte, als Bill sanft in seinen Nacken griff und seinen Mund mit zarten Lippen verschloss.

Schüchtern und langsam bewegten diese sich gegen seine eignen.

Doch er konnte nicht reagieren.

Seine Gedanken rasten. Es fühlte sich so anders an, als jeden Kuss den er je von einem Mädchen bekommen hatte. Irgendwie kompletter…

Was?

Noch ehe er weiter reagieren konnte, war der Mund verschwunden.

Bill rückte etwas von ihm ab und seine Augen huschten prüfend über das Gesicht des Blonden… suchten nach einer Regung… nach irgendetwas.

Was er sicherlich nicht fand. Dazu war Tom zu verwirrt, er konnte gerade nichts fühlen. Hilflos kletterte der Schwarzhaarige von ihm herunter und setzte sich scheu neben ihn.

So als würde er erwarten, dass er jeden Moment angeschrien würde.

Doch auch das konnte er nicht.

Als der Hopper sich wieder etwas im Griff hatte, tat er so als wäre nichts passiert und suchte so schnell es ging einen Weg zu verschwinden, ohne das Bill dachte, er habe etwas falsch gemacht.
 

Als er geschätzte fünfzehn Stunden später in einem Zug nach Hannover saß, ließe er das Geschehene noch einmal Revue passieren.

Nach dem ersten Schock und einer Mütze voll Schlaf begriff er, dass dieser kleine Lippenkontakt, der eigentlich nicht mal als richtiger Kuss bezeichnet werden konnte, das beste war, was er in seinen jungen Leben gefühlt hatte.

Kein Mädchen hatte in ihm das Kribbeln auslösen können, wie Bill mit dieser einfachen Sache. Was mehr als nur wiedersinnig war…

Denn er war nicht schwul!

Na ja… jedenfalls war es ihm bis jetzt nie aufgefallen, falls es so war.

Nicht das er je ernsthaft darüber nachgedacht hätte.

Und mit dieser Einsicht, war ihm noch etwas klar geworden.

Endlich konnte er das Gefühl beschreiben, dass er verspürte, wenn er Bill sah und das so gut wie vom ersten Tag an. Endlich hatte er Worte dafür.

Auch wenn es unglaublich für ihn war.

Tom kam es fast so vor als wäre es aus dem Nichts einfach aufgetaucht, auch wenn er wusste, dass es nicht möglich war. So etwas musste langsam wachsen; er hatte es bloß nicht bemerkt, weil er so blind gewesen war. Und als er es bemerkt hatte, wollte er es nicht wahrhaben. Doch nach gestern Abend ließ es sich nur noch schwer verleugnen.

Er war wirklich blind gewesen… wie ein Maulwurf mit grünen Star…blind für seine eigenen Gefühle…seine Gefühle für Bill.

Wie das schon klang!

Schon alleine dieser Gedanke löste eine ungeahnte Angst in ihm aus.

Aber er war sich bewusst, dass er den Schwarzhaarigen jetzt nicht von sich weisen konnte, nur weil er Angst hatte. Das würde mehr zerstören, als er wieder gutmachen konnte.

Er musste dazu stehen.

Zu Bill stehen und mit ihm reden, wenn er zurück war.

Und dann würde er weiter sehen was passierte…

Irgendwie würden sie das schon schaffen und vielleicht irrte er sich auch einfach nur…?!

Schließlich war er immer noch verwirrt.

Oder?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  G-Saite
2018-06-28T10:58:27+00:00 28.06.2018 12:58
„Er war wirklich blind gewesen… wie ein Maulwurf mit grünen Star…“
Den werd ich mir merken... Wenn ich mal einen Preis für die beste Metapher vergeben darf, wird diese in die engere Wahl kommen.
Von:  _AnNa_EaTs_PikAchU_
2013-09-23T17:14:08+00:00 23.09.2013 19:14
Waaah endlich *____________* endlich checkt Tom, dass er in Bill verliebt ist ^3^ omg, hoffentlich macht er jetzt keinen fehler :S
Aah es war so süß, wo Tom Bill von seinem Bruder erzählt hat *-* hätte fat mitgeheult :o also irgendwie bin ich ja schon ein wenig neidisch auf die beiden, ich glaube so jemanden, mit dem man sich ohne worte versteht und dem man blind vertraut, trifft man nur einmal im Leben c:
Bin schon total gespannt aufs nächste Kapitel *~*
Mach weiter so!
Lg, Anna x3
Antwort von:  Noveen
25.09.2013 19:26
Es freut mich richtig, wenn du so mitfiebern kannst. ^^"
Aber wenn Tom keine Fehler machen würde, wäre er kein Mensch und die Geschichte wäre ja langweilig. Und ich glaube du hast Recht, so einen Menschen wünscht sich jeder... und genau deswegen würde man auch vieles tun um diesen Menschen zu beschützen.
Und damit du nicht zu lange warten musst, kommt jetzt das nächste Kapitel und wenn es dann freigeschaltet ist, kannst du es wieder genießen^^
Hoff ich.

Viel Spaß dabei und eine Schöne Restwoche...

LG


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