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Hinter dem Vorhang

Eine neue Chance
von

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Nach dem Krieg

Seufzend saß Harry, wie so oft, auf dem erdigen Boden, nicht beachtend, wie unbequem der Split war, der den Weg bedeckte. Es interessierte ihn nicht, dass der Regen in Strömen an ihm herablief, selbst die Aussicht, krank zu werden, war ihm gerade herzlich gleichgültig. Außerdem passte dieses Wetter einfach zu seiner Stimmung. Diesem Gefühl, vollkommen verloren zu sein, nicht zu wissen, was werden sollte oder wo er seinen Platz finden konnte.
 

Ja, der Krieg war aus, ja, er hatte eine Menge Leben gekostet. Er hatte Voldemort beseitigt, in einem Duell in einer Schlacht, die so viele zu Waisen gemacht hatte. Remus Lupin war tot, seine Frau hatte es ebenfalls nicht geschafft, Andromeda ließ ihn seinen kleinen Patensohn kaum sehen, weil sie auch mit dem Verlust der Tochter nicht klarkam. Dabei liebte er Teddy von ganzem Herzen. Der Kleine war inzwischen fünf Jahre alt, doch er sah diesen, außerhalb von Geburtstagen, so gut wie gar nicht, mitnehmen durfte er ihn nicht mal für einen Ausflug.
 

Die Weasleys waren, im Großen und Ganzen, ungeschoren davon gekommen. Bill hatte Kratzer im Gesicht, die seine Frau aber nicht störten, er hatte bereits sein zweites Kind, Charlie lebte in Rumänien, sprang da von Beziehung zu Beziehung, die Zwillinge führten weiter ihren inzwischen legendären Laden, wobei Niemand die Beiden mehr verwechselte, bedachte man, dass Fred ein Ohr eingebüßt hatte. Ron hatte Hermine geheiratet, allerdings war ihre Freundschaft daran zerbrochen, dass er selbst Ginny nicht geheiratet hatte. Dabei hatte er immer wieder betont, dass er in der jüngeren Schwester des Anderen nicht mehr sehen konnte, als eine gute Freundin! Er war mit ihr aufgewachsen! Ja, er hatte mal was mit ihr gehabt, weil Jeder es erwartet hatte, aber verdammt noch mal, er empfand nichts für sie! Und sie… nun, sie war besessen, er fühlte sich regelrecht von dem Mädchen gestalkt. Zu Beginn hatte sie noch versucht, ihn eifersüchtig zu machen, indem sie mit Jedem, aber wirklich Jedem ihrer Teamkameraden ins Bett gegangen war, als sie gesehen hatte, dass ihm das gleichgültig war, hatten die Beschuldigungen begonnen.
 

Etwas, das seine Beziehung zu Molly und Arthur auch auf Eis gelegt hatte. Er redete eigentlich nur noch mit Bill, den Zwillingen – und zu seiner eigenen Überraschung mit Percy, der ihm ein guter Freund gewesen war. Doch die Rotschöpfe hatten nun mal ihr eigenes Leben, verdammt noch mal! Er kam sich oft vor, wie ein Eindringling!
 

So, wie er sich überall fühlte.
 

In Hogwarts, das einmal seine einzige Heimat gewesen war und das ihm nun so fremd war, denn er sah nur noch die blutüberströmte Wiese des letzten Schlachtfeldes, obwohl das Schloss schon lang wieder stand und auch als Schule seinen Dienst unter Minerva McGonagall als Rektorin wieder aufgenommen hatte. Sie hatte ihm sogar einen Job angeboten, doch er hatte es nicht mal in Betracht gezogen. Er kämpfte so noch mit Alpträumen, danke vielmals. Da drin würde er nicht eine einzige Nacht friedlich schlafen können. Zu viele Erinnerungen jagten ihn inzwischen dort – oder in Hogsmeade, seinen eigenen Tod mit eingeschlossen.
 

Oh, er wäre damals so gern gestorben, war mit dem Ende zufrieden gewesen, wissend, dass Andere auf ihn warteten. Sirius, seine Eltern. Von den Toten der Schlacht hatte er ja erst später erfahren. Doch er war zurück ins Leben geworfen worden, hatte wieder kämpfen müssen, um den Irren ganz ums Eck zu bringen, egal, was es ihn denn kostete.
 

Nach der Schlacht hatte er Wochen gebraucht, um auch nur wieder einen Lumos sprechen zu können, so erschöpft war er gewesen, so sehr hatte ihn alles mitgenommen. Die Menschen um ihn herum hatten gefeiert, als hätte es keine Opfer gegeben, während er nächtelang nur geweint hatte. Seine eigenen Freunde, zu sehr im Freudentaumel des Sieges gefangen, hatten ihn eine ganze Woche lang einfach vergessen! Vielleicht war ihm damals schon klar geworden, dass es für ihn keinen Weg zurück in sein altes Leben gab, denn er sah nicht den Sieg, er sah nur die vielen, die zahllosen, die unnötigen Opfer.
 

Remus, der für ihn, seine schon lange toten Freunde und für sein Kind für eine bessere Welt gekämpft hatte, der so gern hatte leben wollen, für die Familie, die er bekommen hatte, obwohl er eben ein Werwolf war. Er war einer der Ersten gewesen, hatte sich den Lestranges in den Weg gestellt, um einige Kinder zu retten.
 

Hannah Abbot, die ihm die Zeit erkauft hatte, sich von seinem Fasttod wo weit zu erholen, dass er wieder aufstehen konnte. Sie war ein Jahr unter ihm gewesen, doch sie hatte gekämpft, wie eine Erwachsene. Sie lag nun auf dem neuen Friedhof der Helden der Schlacht, den das Ministerium im Atrium hatte anlegen lassen. Ein Ort, wo Remus als Wer nicht geduldet worden wäre, hätte er nicht richtig Rabatz geschlagen.
 

Tonks, Remus Frau. Obwohl ihr Sohn noch so jung gewesen war, hatte sie mitgekämpft, weil sie Moony nicht hatte allein lassen wollen.
 

Und fast hätten sie Fred hier auch noch verloren. Ein Feld voller Toter. Viele von ihnen noch keine siebzehn Jahre alt. Er hatte damit gerechnet, zu sterben und er war sich noch immer nicht sicher, warum er jetzt seinen dreiundzwanzigsten Geburtstag feiern durfte und Andere nicht. Dabei war es für ihn in Ordnung gewesen! Was hatte er hier schon noch, außer einer Wahrheit, die ihn fast dazu gebracht hätte, sich selbst umzubringen?!
 

Zu wissen, dass der Mann, den er so verehrt hatte, in dem er seinen Großvater gesehen hatte, ihn nur hatte aufwachsen lassen, um ihn wie ein Lamm auf der Schlachtbank zu opfern? Der Irre, der kaum besser gewesen war, als Voldemort selbst, hatte seine Verwandten angewiesen, brutal zu ihm zu sein, ihn zu züchtigen und zu unterdrücken, damit er weniger Gründe hatte, am Leben zu bleiben! Noch heute trug er diese Narben, die ihn immer an sein miserables Leben erinnern würden, das ihm doch Niemand zu glauben bereit war! Oh ja, Albus Dumbledore war ein Schwein! Doch das durfte er nicht laut sagen. Der Mann galt neben ihm als einer der absoluten Kriegshelfen, es interessierte Niemanden mehr, wie viele der umgebracht hatte, es zählte nur, dass er den eigentlichen Helden, ihn, ausgebildet und geformt, ihn zu einer ultimativen Waffe gemacht hatte!
 

Tatsächlich hatte Harry ein Jahr lang kämpfen müssen, um nicht selbst umgebracht zu werden, weil er offensichtlich nicht nur sehr mächtig, sondern auch sehr beliebt war, so, dass die Gefahr bestehen könnte, dass er der nächste, dunkle Lord werden könnte. Es war so lächerlich gewesen! Und die Einzigen, die wirklich bei ihm gewesen waren, in der Zeit, die er sogar in Azkaban hatte verbringen müssen, waren die Zwillinge und Percy gewesen. Ron und Hermine schienen mehr auf Andere gehört zu haben, der Rest hatte ihn, kurz nach der Schlacht und der Verleihung des Merlinordens schlicht vergessen, bis Lunas Vater Berichte zu seinen Gunsten geschrieben hatte, dank der Zwillinge. Der Mann hatte den Tod seiner eigenen Tochter damit verwunden, für ihn zu kämpfen. Ja, Luna hatte es nicht geschafft, sie war am Ende doch an ihren schweren Verletzungen gestorben und er hatte wieder eine Freundin weniger gehabt.
 

Die so ausgelöste Empörung hatte Harry wieder frei gesetzt. Danach war er geflüchtet, in die Muggelwelt, weit weg von den Erinnerungen des Krieges. In Gringotts hatte er festgestellt, dass er reich war und da Dumbledore ihn geschädigt hatte und dank der geltenden Gesetze der Gobblins im Bankwesen, war dessen Reichtum ihm auch noch zugefallen. Er musste nicht arbeiten. Nun, er würde auch keinen Job länger ausüben können. In der Muggelwelt fehlte ihm jegliche Art von Abschluss, die zugelassen hätte, einen Beruf zu erlernen und in der magischen Welt wäre er, egal, was er gemacht hätte, nur ein Aushängeschild gewesen. Dazu kam, dass er selbst jetzt, sechs Jahre später, noch nicht wusste, was er hätte tun wollen oder können.
 

Die meisten Tage verbrachte er damit, aus dem Fenster zu starren, ohne etwas zu sehen, oder eben hier auf dem Friedhof der Vergessenen, wie er es nannte. Hier lagen seine Eltern, hier lag der leere Sarg von Sirius Black, der in ihm aber auch nur seinen besten, toten Freund gesehen hatte. Im Ministerium, er hatte immer noch dessen Stimme im Ohr, wie der ihn James genannt hatte. Für Sirius war er ein Ersatz gewesen. Ja, und hier lag noch Jemand. Der Einzige, der ihn vermutlich hinter all den Masken gesehen hatte, die er so lang getragen hatte. Sicher, auch Snape hatte es, vor allem zu Beginn nur wegen eines Versprechens seiner Mutter gegenüber gemacht, aber dann war es weiter gegangen. Im sechsten und siebten Schuljahr hatten sie den Großteil ihrer Differenzen begraben und waren so was wie Freunde geworden. Severus hatte sich für ihn geopfert und war dann vergessen worden. Hätte er dessen Leiche nicht verlangt, sie wäre im Massengrab der Todesser gelandet, ohne Rücksicht auf seinen Status als Spion, er war nie für das, was er geleistet hatte, geehrt worden. Statt als Kriegsheld, der er war, galt er weiterhin nur als Todesser.
 

Das Einzige, was Harry hatte tun können, war, ihm hier ein schönes, ein einfaches Grab zu geben, neben der Frau die zu lieben er nie aufgehört hatte. Er hatte im siebten Jahr erfahren, dass Severus deshalb immer schwarz getragen hatte, weil er immer noch um sie getrauert hatte. Die einzige, wahre Freundin, die er gehabt hatte.
 

Na ja, fast die Einzige. Da waren wohl immer auch die Malfoys gewesen. Lucius und Narcissa. Draco war sogar sein Patensohn gewesen. Narcissa, die Cousine von Sirius, hatte die Schlacht ebenfalls nicht überlebt. Sie lag im Familiengrab der Malfoys, sie war gefallen, als sie ihren Sohn verteidigt hatte, gegen die eigene, durchgedrehte, vollkommen unzurechnungsfähige Schwester. Draco fühlte sich bis heute durch diese Schlacht entstellt, der er eine Narbe am Bauch zu verdanken hatte.
 

Doch er hatte ebenfalls geheiratet und hatte seinen ersten Sohn vor drei Jahren bekommen. Scorpius. Ja, die Malfoys hatten sich, ein weiteres Mal, aus der Affäre ziehen können, auch, weil einige Befragungen ergeben hatten, dass sie nicht nur unfreiwillig Todesser gewesen waren sondern auch Spione fürs Ministerium. Lucius Malfoy hatte nur die Hälfte der Zeit in Azkaban verbracht, die er dort gewesen war. Angeblich hatte er, der blonde Aristokrat, sich für ihn eingesetzt. Er wusste es nicht, er hatte einfach nur zugesehen, nach diesem Jahr so schnell es nur ging, unterzutauchen. Sozusagen in dem Moment, als er wieder aus dem Bau raus gewesen war. Das, was er wusste, wusste er von den Treffen im Hinterzimmer des Ladens der Zwillinge, doch mehr von der magischen Welt weigerte er sich bis heute zu betreten.
 

Wozu auch? Es würde nichts an seinem Elend ändern. Er fühlte sich wie eine Gazelle inmitten wilder, ausgehungerter Raubtiere. Jeder würde wissen wollen, warum er nicht verheiratet sei und ein Mädchen wie Ginerva Weasley, Star der Cannons, hatte gehen lassen! Wo denn seine Kinder seien, wo es doch so wichtig war, neue Magier in die Welt zu setzen. Als sei er ein verdammter Zuchtbulle, der irgendwelche Frauen zu befruchten hatte!
 

Wie oft hatte er schon mit dem Gedanken gespielt, das Geschehene rückgängig zu machen, mit irgendwelchen obskuren Ritualen, da die Zeitumkehrer entweder zu wenig Zeit zurückdrehen konnten oder vernichtet worden waren, um zu verhindern, dass irgendwelche versteckten Todesser oder Sympathisanten die Zeit zurückdrehen und ihren Meister erneut ins Leben holen konnten. Doch in der Nacht, als er es versucht hatte, war etwas gewesen, ein Traum, eine Stimme, die ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er das nicht durfte.
 

Danach hatte er beschlossen, sich selbst umzubringen. Das war erst vor zwei Jahren gewesen, aber er war daran gehindert worden, von den Zwillingen, die wohl was geahnt hatten. Sie hatten ihn schwören lassen, nichts zu tun, um sein Leben selbst zu beenden. Nur darum war er noch hier. Mitten im strömenden Regen, einen kleinen Spaten in der Hand, die Fingernägel dunkel von der Erde. Er hatte frische Blumen auf das Grab gepflanzt. Das von Severus Snape, der hier lag, nur ein einfacher Stein verkündete dessen Geburts- und Sterbedatum. Mehr hatte der Mann nicht gewollt und im Grunde vermutlich nicht mal das, doch es war Harry, der diesen Ort so sehr brauchte!
 

Und der Regen hatte einen Vorteil. Man sah seine Tränen nicht. Er konnte in aller Ruhe weinen, ohne gestört zu werden. Da Niemand wusste, dass das Grab hier war, würde er auch nicht gestört werden. Na ja, nicht Niemand aber kaum Jemand. Manchmal fand er Blumen von Anderen auf dem Kopf des Steines, einmal sogar einen Brief. Von Draco Malfoy wohl. Es Anderen gekannt zu machen hätte sicher nur Arschlöcher auf den Plan gerufen, die hier randalieren würden. Er wollte Snape schützen, wie der ihn immer bewahrt hatte. Auch, wenn der Andere tot war und davon wohl nichts mehr mitbekam. Nun, vielleicht war der Mann jetzt bei seiner Mutter und wieder glücklich. Wenigstens einer von ihnen, der sich nicht mehr mit der Vergangenheit rumschlagen musste. Nun, Severus hatte sich seinen Frieden verdient, mehr als die Meisten. Definitiv mehr, als er selbst.
 

Erst, als Harry merkte, wie der Regen nachließ und als das Quietschen des kleinen, schmiedeeisernen Tores einen anderen Besucher ankündigte, eine alte, stämmigere Frau in schwarzer Kleidung, stand er auf. Es wurde Zeit zu gehen, bevor Andere kommen würden. Er strich über sein Gesicht, nicht, dass das einen Unterschied gemacht hatte, verließ den Ort hastig und durch ein kleines Seitentor, um nicht an der anderen Frau vorbeigehen zu müssen, lief die Straße entlang, während der Regen ganz aufhörte, betrat dann den heruntergekommenen Wohnblock, der nicht weit entfernt war von Godrics Hollow und dem Friedhof.
 

Hier würde ihn niemand je suchen, nicht mal die Weasleys, die noch mit ihm Kontakt hatten, wussten, wo oder wie er wohnte. Es war das ideale Versteck. Eine kleine Wohnung, nur mit zwei Zimmern, Küche und Bad, in der heruntergekommensten Gegend der kleinen Stadt, dafür aber in der Nähe des Friedhofs, den er, bis er Snape hier hatte beerdigen können, noch nie betreten hatte. An dem Tag hatte er auch das erste Mal seine Eltern dort besuchen können.
 

Hinter der schäbig wirkenden Tür lag ein kleiner Flur, wo Harry sich die verschlammten Stiefel auszog. Eine Jacke hatte er mal wieder nicht angehabt. Die Kälte schmerzte, es war eine der wenigen Emotionen, die er noch wahrnehmen konnte. Schmerz. Dann fühlte er sich wenigstens nicht ganz so tot und innerlich schon verrottend. Auch Hose und Pullover zog er schon hier aus, nahm die nasse Wäsche, lief ins Bad und warf sie in die Maschine, zu den anderen, durchweichten Sachen. Es regnete seit Tagen und er war inzwischen fast jeden Tag auf dem Friedhof. Dann setzte er die Maschine in Gang, wusch sich kurz, zog sich seinen Schlafanzug an, auch, wenn es erst Nachmittag war, und verkroch sich in sein Schlafzimmer. Hier stand nur ein einfaches Doppelbett, ein Schreibtisch mit einem Computer, ein Schrank und ein Stuhl. Zweifellos wenig für das Geld, was er besaß, doch wozu brauchte er mehr? Es war besser, als der Schrank, in dem er so lang gewohnt hatte und der der Grund für seine immer noch nicht vorhandene Körpergröße war. Er hatte es nicht mal zu dem Meter fünfundsechzig gebracht, den Hermine schon in der fünften Klasse erreicht hatte. Selbst Ginny überragte ihn um acht Zentimeter. Er war ein Zwerg, etwas, worüber sich Rom und seine Frau inzwischen gern lustig machten, auch in Zeitungsberichten.
 

Es war ihm egal.
 

Er kroch unter seine zahlreichen Decken, die ihn doch nicht wärmen würden, schloss erschöpft die Augen. Wenn er doch wenigstens im Schlaf vergessen könnte! Dass er schon wieder vergessen hatte, zu essen, merkte er nicht. Schon seit seiner Kindheit hatte er Probleme mit seinem Hungergefühl. Er würde am nächsten Tag essen und einkaufen gehen, auf dem Rückweg vom Friedhof zur Wohnung. Alle zwei Tage was essen war auch ausreichend. Es war nicht so, als würde er Energie zum Arbeiten brauchen…
 


 


 


 


 


 


 


 


 


 

Reglos, unter mehreren Zaubern verborgen, stand Lucius einige Reihen vom Grabstein seines besten Freundes entfernt. Er kam jeden Monat mindestens ein Mal, legte dann eine Lilie auf die Erde oder den Stein selbst. Jedes Mal fand er die Stätte in hervorragendem Zustand, mit frischen Blumen, ohne Unkraut, immer brannte dort eine kleine Flamme, doch Magie hatte er nie wahrgenommen. Natürlich wusste er, dass Harry Potter die Leiche beansprucht und das Grab bezahlt hatte, doch er verstand nicht, warum der Junge sich so darum kümmerte, dazu noch ohne Magie! Heute hatte es auch noch zu regnen begonnen, als er da gewesen war. Er hatte einige Zauber gesprochen, um nicht nass zu werden, war noch etwas geblieben.
 

Um mit Severus zu reden, der mal wieder nicht so viel Glück gehabt hatte, wie es ihm selbst zuteil geworden war. Damals, vor über zwanzig Jahren, war er als Spion des Ministeriums schon bei der ersten Welle aus Azkaban entkommen, dann im sechsten Schuljahr seines Sohnes erneut und auch nach der letzten Schlacht hatten sich genug seiner Kollegen für ihn stark gemacht, so, dass er eben entkommen war.
 

Als man ihn dann entlassen hatte, hatte er erfahren, dass man Potter immer noch in Azkaban hielt, er hatte sein gesamtes Wissen um illegale Tätigkeiten von Politikern zusammengetragen, war zu Xeno Lovegood gegangen, hatte den Mann aus seiner Trauer gerissen und mit ihm an der Befreiung des Jungen gearbeitet, dem die Zauberwelt alles verdankte. Selbst Draco hatte ihm dabei geholfen. Vermutlich froh, dass er sich mit was Anderem als dem Tod seiner Frau beschäftigte, die er, wenn auch nicht geliebt, doch sehr respektiert hatte. Sie hatten so viel zusammen durchgestanden. Nach der Schlacht hätten sie sich im stillen Einvernehmen trennen können, so, dass sie zu ihrem Geliebten hätte gehen können, doch dazu war es nie gekommen. Sie lag nun in einem der typischen Prunksarkophage seiner Familie im Mausoleum. Sie hatte es nicht lebend vom Schlachtfeld geschafft, wie so viele Andere auch.
 

Schließlich hatte man Potter, wohl vor Allem wegen des Drucks der Menschen, frei gelassen, doch er war nie wieder aufgetaucht, verschwunden, wie ein Geist. Er erinnerte sich an einige Gespräche mit Severus, der ihm gesagt hatte, dass der Junge, den er einst so wenig gemocht hatte, krankhaft schüchtern war, Aufmerksamkeit hasste und nur in Ruhe gelassen werden wollte, weit weg, wo man ihm nicht sein Leben diktieren würde. Vermutlich war er einfach gegangen, erst hatte er angenommen, dass der Grünäugige das Land verlassen haben könnte, doch dann war ihm aufgefallen, in was für einem Zustand Severus‘ Grab sich befand, jedes Mal, wenn er vorbei kam. Also war der Junge in die Muggelwelt geflohen.
 

Eigentlich müsste es ihn nicht interessieren, er hatte Potter geholfen, aus Azkaban raus zu kommen, hatte damit seine Pflicht und Schuldigkeit getan, doch schon seit Jahren musste er immer wieder an Diesen denken. Nicht nur ein Mal hatte er auch mit dem Gedanken gespielt, hier einfach zu warten, bis der Junge auftauchen würde, doch seine Pflichten hatten ihn immer davon abgehalten. Er war von jeder Schuld freigesprochen wieder in all seine Ämter eingesetzt und zum neuen Kopf des Wizgamont gewählt worden, hatte selten mehr als ein paar Stunden frei. Selbst jetzt, sechs Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges, war die magische Gemeinschaft noch nicht wieder vollständig aufgebaut, es bedurfte neuer Gesetze, besserer Kontrollen und anderer Einstellungen gegenüber magischer Wesen was ja im Grunde auch ihm das Leben erleichtern sollte. Doch das waren langwierige Prozesse, die viel Geduld und noch mehr Nerven kosteten.
 

Auch heute musste er wieder arbeiten, die nächste Sitzung würde um vier Uhr nachmittags beginnen. Doch es war gerade mal zwölf, noch genug Zeit, bevor er los musste. Na ja, aber er sollte langsam, er wollte noch was essen und sich umziehen. Ein Malfoy hatte immer gut auszusehen, Lucius hatte ein Image zu bewahren. Gerade, als er sich umwenden wollte, stockte er allerdings. Es regnete noch immer wie aus Eimern, doch das Tor zum Friedhof knarzte. Hastig sprach er noch einen Chameleonzauber über sich selbst, nicht bereit, sich mit Muggeln, die er wirklich nicht mochte, abzugeben, auf dem Weg durch das Tor.
 

Doch einige Dinge brachten ihn zum Stutzen. Die Tatsache, dass der Junge, der da entlang schlich, keinen Mantel oder keine Jacke trug, die Zielstrebigkeit, mit der er sich bewegte – direkt auf Lucius zu. Also blieb er stehen. Bis er den Anderen erkannte. Potter. Harry Potter! Er erkannte ihn sofort, denn der Andere hatte sich überhaupt nicht verändert. Noch immer hatten die grünen Augen denselben, gequälten, verlorenen Ausdruck, der sagte, dass der Jüngere mit Allem überfordert war, er war nicht einen Zentimeter gewachsen, für einen Mann wirklich klein und er sah erschreckend mager aus. Verloren in seinem zu dünnen aber ordentlichen Pullover.
 

Fasziniert und erschüttert blieb Lucius stehen, als seien seine Beine zu Stein geworden. Er sah, wie der Junge, er sah immer noch keinen Tag älter aus, als fünfzehn, obwohl er, wie Draco auch, dreiundzwanzig sein sollte, einen Spaten zog und aus einer Tüte einen Blumentopf holte, dann die Erde etwas ausscharrte, die Pflanze auf das Grab setzte, die Erde wieder glatt strich. Dann rupfte er Alles, was auch nur annähernd gelblich oder nach Unkraut aussah, blieb einfach hocken, als würde strahlender Sonnenschein herrschen. In sich zusammengesackt, vollkommen durchweicht. Von Zeit zu Zeit ging ein Schluchzen durch den Körper.
 

Potter blieb länger als eine Stunde, nur an Severus‘ Grab, stand dann auf, strich kurz über den Grabstein seiner Eltern und den von Black, wo er ebenfalls etwas rumzupfte und verschwand, als eine Muggelfrau auftauchte, hastig durch das hintere, kleinere Törchen, als wolle er nicht gesehen werden. Noch bevor er sich daran hätte hindern können, lief Lucius dem Jüngeren nach, seine Beine trugen ihn wie von selbst, die Straße entlang, vorbei an Godrics Hollow, direkt zu einer heruntergekommenen, schrecklich versifften Gegend, wo er eines der Gebäude betrat, die wohl Wohnungen beinhalteten. Lucius lief weiterhin hinterher, entsetzt als ihm der durchdringende Geruch nach Urin und Erbrochenem im Treppenhaus entgegen schlug. Eine Treppe hoch, noch eine, bis zu einer Tür, die sich gerade schloss, als er den Treppenabsatz erreicht hatte.
 

Lautlos trat Lucius näher, sah auf das Klingelschild. Fast hätte er sich mit dem Geräusch des Erstaunens selbst verraten, doch er konnte sich rechtzeitig bremsen. Da, auf dem Schild, stand der Name Evan Snape. Potter hatte den Namen seines besten Freundes angenommen?! Und den Mädchennamen seiner Mutter?
 

Verwirrt lief er weiter, wieder raus aus dem ekligen Gebäude, zurück auf die Straße, wo der Geruch endlich wieder verschwand. Er lief ein ganzes Stück, bevor er apparierte, um keine magische Spur zu hinterlassen. Er hatte Potter gefunden und keine Lust, erneut suchen zu müssen, auch, wenn ihm noch nicht klar war, was er mit diesem Wissen anstellen sollte.
 

Wieder zu Hause zog er sich um, sah auf die Uhr. Essen konnte er getrost vergessen, als er fertig war, war es bereits halb vier, er musste zusehen, zum Wizgamont zu kommen. Was er nun auch tat. Er rieb sich die Stirn, lief die Gänge des Ministeriums entlang, nicht wissend, wie er das zu verstehen hatte, was er gesehen hatte. Warum lebte Potter in so einer Gegend? Weshalb hatte er sich gerade für diesen Namen entschieden und was tat er da überhaupt?
 

Die Sitzung rauschte irgendwie wie in einem Traum an ihm vorbei, endete ergebnislos, wie so oft, seit sie die neuen Gesetze für Werwölfe diskutierten und wie man Studien über eine Heilung der Lykantrophie geldlich fördern könnte. Er hatte nicht sehr viel mitbekommen, musste er ehrlich sagen. Und auch jetzt saß er nur da, in einem der edleren Restaurants, alleine, wie so oft. Er mochte nicht allein zu Haus essen, doch Draco war mit Frau und Kind schon vor einer Woche in den Urlaub gefahren, da Astoria das regnerische Wetter nicht mehr ertragen hatte und Scorpius krank geworden war. Nun war das Manor aber erschreckend leer. Also aß er meist hier, den Blick nachdenklich aus einem der verzauberten Fenster gerichtet.
 

Jedes Mal sah er sie wieder vor sich, diese hoffnungslosen Augen, in denen ein so großer Schmerz gestanden war. Ein Ausdruck, den er sonst nur von Sev gekannt hatte, in den ersten Jahren nach Lilys Tod, bevor er gelernt hatte, selbst diese Regung vor Anderen zu verbergen. Warum hatte der Junge so viel Zeit bei Severus‘ Grab verbracht, sich aber kaum um das seiner Eltern, um das seines angeblich doch so geliebten Patenonkels verbracht? Und warum lebte er in einem Gebäude, das stank, wie eine Muggelkläranlage, bei Allem, was Recht war? Und aß der Junge denn nichts?! Er war so dürr gewesen!
 

„Sir?“
 

Erschrocken sah Lucius auf, sich mühsam zurückhaltend, seinen Zauberstab zu ziehen. Ein jahrelanges Leben als Spion hatte ihn gelehrt, erst zu zaubern, dann zu fragen. Doch in dem Fall war es nur Percy Weasley, mit dem er eng zusammenarbeitete. Der junge Mann war hochintelligent und er hatte sich, zusammen mit drei weiteren Geschwistern, ziemlich von der eigenen Familie entfernt. „Mister Weasley“, grüßte er den jungen Mann, der im Vorzimmer der Ministerin arbeitete. Er hatte es bei Weitem weitergebracht, als der eigene Vater, der immer noch als kleiner Beamter vor sich hinwerkelte, unfähig, wie eh und je.
 

„Mister Malfoy“, grüßte Percy freundlich. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
 

Lucius hob fragend eine Augenbraue, machte aber dann eine einladende Geste, gerade, als die Frau kam, um die Bestellung aufzunehmen. Ein Salat, ja, er achtete peinlichst genau auf sein Aussehen und auf seine Figur, gefolgt von dem hier immer köstlich schmeckenden Hummergericht. Der Rotschopf dagegen entschied sich für etwas weit weniger Feines, nicht, weil er es sich nicht leisten können würde, sondern weil er wohl doch eher andere Dinge gewohnt war. „Was gibt es?“, fragte er, als die Frau wieder gegangen war.
 

„Sie waren heute bei der Sitzung ziemlich abwesend.“
 

„Ich war… in Gedanken“, gab er nur zurück, nippte an dem hervorragenden, französischen Wein. „Sind Sie eigentlich noch immer in Kontakt mit Mister Potter?“, fragte er schließlich. Immerhin war der doch laut Severus ständig bei den Weasleys gewesen.
 

Überrascht blickte Percy zu dem Blonden. Er hatte Diesen gesehen und sich entschieden, sich mal zu ihm zu setzen, denn er hatte was vor. Er hätte nur nie gedacht, dass der Mann so schnell zu dem Thema führen würde, wo er auch hin wollte. „Ja“, meinte er dann. „Nicht viel, aber ein Brief von Zeit zu Zeit.“ Es waren die Zwillinge, die den meisten Kontakt hatten und die ihm immer wieder zeigten, wie groß ihre Sorge war, auch, weil keiner ihm sagte, wo genau der Junge, den er mehr als Bruder sah, als Ron, sich versteckte. Er mochte Harry wirklich, doch er fühlte sich immer so machtlos, wusste nicht, wie er Diesem helfen konnte! Oh, er wusste von dem Selbstmordversuch, er wusste auch, dass die Beiden eine Wiederholung wohl verhindert hatten, doch das änderte nichts an dessen Unglück und Trauer. Es war, als könne Harry sich einfach nicht lösen, als habe er zu viel verloren.
 

„Wie geht es ihm?“, fragte Lucius nun sehr direkt. Oh, er wusste, gut sicher nicht, doch er wollte wissen, wie viel der Andere wusste. Noch immer verfolgten ihn diese Augen.
 

„Er sagt, gut“, konterte Percy sehr vorsichtig.
 

„Er sagt?“, hakte Lucius augenblicklich nach. Aha. Also wussten die es!
 

„Nun, was er sagt und was wirklich ist, ist bei seinem Zustand immer so eine Sache. Er will nicht, dass man sich Sorgen macht, erzählt dann immer alles Mögliche. Und als ich ihn das letzte Mal gesehen hab, sah er nicht überragend aus. Warum das Interesse?“ Percy beobachtete das nachdenkliche Gesicht des Blonden. Vor fünf Jahren hatte er geholfen, den Jüngeren aus Azkaban frei zu bekommen, er half der magischen Gesellschaft, aber das Interesse kam für Percy trotzdem überraschend.
 

„Ich… weiß nicht, ich habe in letzter Zeit öfter an ihn denken müssen.“ Keine direkte Lüge, wie Lucius befand, aber eine slytherinmäßige Halbwahrheit eben. „Er könnte als Held hier ein einfaches Leben haben. Aber stattdessen ist er wie vom Erdboden verschluckt.“
 

„Als hätte er je im Mittelpunkt stehen wollen!“, knurrte Percy, schwieg aber, als seine Suppe und der Salat des Anderen abgestellt wurde. Erst, als die Frau wieder weg war, sprach er weiter. „Ich denke, er verkriecht sich immer weiter. Ich glaub, außer meinen Brüdern, also, außer den Zwillingen, gibt es nicht mal Jemanden, der weiß, wo er lebt. Auch ich nicht. Wenn ich ihm schreiben will, muss ich es über die Beiden machen.“
 

„Warum?“
 

„Nun… ich denke, er hat Angst. Auch vor dem Rest meiner Familie. Ginny war einer der Gründe, warum er es für nötig hielt, sich in Luft aufzulösen. Leider eine verständliche Entscheidung. Sie ist besessen, immer noch, erzählt überall, dass sie verheiratet sein sollten und ihr der Titel Lady Potter zustünde.“
 

„Traurig“, stellte Lucius nur fest. Es war ein offenes Geheimnis, was für ein Flittchen die junge Frau war. Sie war so was, wie die konstante Lachnummer ihres Teams. Kein Reinblut würde sich so weit herablassen, sie zu heiraten, auch, wenn sie als Kriegsheldin aus einer Familie von Helden galt, die immer sehr begehrt waren. So, wie der junge Mister Longbottom, der seine Bekanntheit aber vor allem dazu nutzte, um mehr Geld für seine Forschungsprojekte zu erhalten.
 

Percy nickte einfach nur, sah den Blonden dann ruhig an. „Sie sind ein magisches Wesen, nicht wahr?“, fragte er dann sehr direkt. Es musste einfach irgendwann raus, verdammt noch mal! Die Zwillinge mochten dumm genug sein, Loyalität über Alles zu stellen, doch er machte sich einfach zu viele Sorgen!
 

Kurz hielt Lucius mitten beim Essen inne, dann aber riss er sich zusammen. „Was tut das denn jetzt zur Sache?“, fragte er irritiert. Es war kein sehr weit verbreitetes Wissen, mehr eine Vermutung, die die Menschen pflegten, doch er wurde nicht gern darauf angesprochen. Ja, er trug magisches Blut in sich, durchaus. Eine Menge davon, aktiv, das erste Mal seit mehreren Generationen. Oh, hatte er schon selten erwähnt? Denn das mit den Veela, das war nur ein Gerücht, das wegen der ungewöhnlichen Haarfarbe aufgekommen war.
 

„Wussten Sie, dass Dumbledore“, Percy weigerte sich, dem Mann irgendeine Form der Ehrenbezeichnung zukommen zu lassen, „hat wissen wollen, ob Harry zufällig vielleicht das Blut eines magischen Wesens in sich trägt, aus der Linie von James Potter? Damit man die inaktiven Gene wecken und den Jungen so stärker und zu einer noch effektiveren Waffe hat machen können?“
 

„Ich verstehe nicht, was das mit mir zu tun hat“, gab Lucius, noch immer sehr ruhig zurück und das auch nur, weil er schrecklich neugierig war. Sonst hätte er den Anderen spätestens jetzt vom Tisch geworfen.
 

„Er hatte nicht das, was Dumbledore gern gehabt hätte – sondern etwas Anderes. Etwas, das ihn zum Ausrasten gebracht hat. Er hat… er ist auf Harry losgegangen, das war kurz, bevor er von Snape ins nächste Leben befördert wurde.“
 

„Und…warum?“, fragte Lucius irritiert. Oh, er wusste, der Mann war alles, nur kein Heiliger, doch ihm wollte ja niemand glauben. Die Leute wollten diesen Irren als Anbetungssymbol, mussten sich an etwas festhalten und der Mann, der den Krieg auf die Schultern eines unterentwickelten Kindes hatte fallen lassen, schien sich für diese Leute anzubieten. Irre. Die waren vollkommen irre. Aber was sollte er dagegen tun? Ihm würde man nur unterstellen, ein Todesser zu sein und somit ohnehin zu lügen, selbst in seiner Stellung, denn das täten Slytherins ja immer.
 

„Harry… war kein magisches Wesen, aber er hat… einen Gefährten. Einen Seelenbund, den tiefsten von Allen. Einen anderen Mann. Das hat den Alten auf die Palme gebracht. Er hat dem armen Jungen vorgeworfen, schwul zu sein, dabei wusste der gar nicht, was das sollte. Er stand zu dem Zeitpunkt auf ein Mädchen zwei Jahrgangsstufen weiter unter ihm und vorher ja eine ganze Zeit lang auf Cho Chang. Später, nach dem Krieg, war er immer noch so verängstigt, dass er, selbst wenn er Neigungen entwickelt hätte, ihnen bis heute nicht nachkommen würde. Nicht mal diesem Jemanden gegenüber. Er hält sich für abstoßend. Das Wort, das in diesem Zusammenhang besonders oft gefallen ist, war ‚Freak‘.“ Hastig wich Percy aus, als der Blonde vor laute Empörung das Besteck so heftig auf den Teller fallen ließ, dass einiges von dem Gemüse über den Tisch hüpfte.
 

Lucius spürte, wie die Luft um ihn herum vibrierte, erst die Blicke der Anderen brachten ihn dazu, sich zu fangen. Etwas, das ihm wirklich schwer fiel. Er wartete, bis der Hauptgang gebracht wurde, starrte auf den appetitlich angerichteten Hummer, dachte dann wieder an den Jungen, den er auf dem Friedhof gesehen hatte. „Wer?“, fragte er einfach nur. Er würde diese Person finden und dem Grünäugigen vor die Nase setzen. Sollte er doch mal sehen, wie unnachgiebig magische Wesen sein konnten! Dann würde er auch nicht mehr so dünn sein!
 

Percy musterte den Anderen, während er mit dem Zettel in seiner Umhängetasche spielte. Es hatte ihn selbst fast der Schlag getroffen, als er Diesen vor einer Woche gefunden hatte, in der Wohnung seiner Brüder über deren Laden. Sie mussten den damals vernichteten Test wiederholt haben. Ihm hatten die Beiden nichts gesagt, Harry mit Sicherheit auch nicht. Nein, diese hässliche Entscheidung hatten sie ihm überlassen, er sollte tun, was er für richtig hielt, da war er sich eigentlich auch ziemlich sicher. „Was für ein Wesen sind Sie? Basiert es bei Ihnen, wie bei Veela, auf dem Geruchssinn?“
 

Gut, was zum Henker war das schon wieder für ein Sprung? „Wer sagt Ihnen, dass ich kein Veela bin?“
 

Percy lachte leise. „Ich war hervorragend in der Schule, auch in Verteidigung und Sie verhalten sich nicht wie ein Veela, die sich außerdem auch nur mit Gefährten fortpflanzen können und mit ihnen sterben. Sie haben Draco und Narcissa ist vor sechs Jahren gestorben, Sie aber sind so gesund wie eh und je. Außerdem suchen Sie auch nicht verzweifelt. Es ist recht eindeutig.“
 

Verdattert blickte Lucius den Anderen an, zuckte denn die Schultern, nahm einen Bissen, um Zeit zu gewinnen. Nein, er würde nicht sagen, was oder wer er war, ganz sicher nicht! Aber er war bereit, andere Informationen zu geben, denn dummerweise war er sehr, sehr neugierig, worauf das hier hinauslaufen würde. Er war gut mit Vergessenszaubern, im Notfall würde er Weasely denken lassen, dass das nie geschehen war. „Geruchssinn, ja“, nickte er. „Und ich bin nicht auf einen Gefährten angewiesen.“ Wäre auch wirklich dumm, denn dann wären die seinen vermutlich schon lang ausgestorben. Und nein, er suchte nicht. Gefährten waren Luxus, den es so gut wie nie gab. Vampire fanden ihn auch nur sehr selten. Sie lebten einfach.
 

Percy nickte. Er wusste, der Mann hatte Harry das letzte Mal mit sechzehn Jahren persönlich gesehen und war ihm nahe genug gekommen, um auch an ihm riechen zu können. Vor der magischen Volljährigkeit. „Können wir essen, zahlen und irgendwo ungestört weiter reden?“, fragte er daher, ließ den Zettel wieder los. Er wollte hier drin wirklich keine Szene haben.
 

Noch irritierter, aber sehend, so nicht weiter zu kommen, aß Lucius sein Gericht auf, tupfte sich den Mund ab und noch bevor der Rotschopf reagieren konnte, hatte er für Beide bezahlt, nahm den Anderen mit zurück zum Ministerium in sein großzügiges Büro. „Nun, Mister Weasley – was wollten Sie eben im Lokal nicht sagen?“
 

Percy seufzte, holte den Zettel aus dem Umhang. „Meine Brüder haben den Test von damals wohl wiederholt“, erklärte er. „Sie haben mir nichts gesagt, aber ich habe das hier gefunden.“
 

Noch irritierter nahm Lucius das Stück Papier, überflog den Inhalt – und starrte den Anderen an. „Was… was für ein Scherz soll das sein?“, fragte er scharf, immer noch um Ruhe bemüht.
 

„Scherz?“, fragte Percy leise. „Glauben Sie im Ernst, ich würde auf Kosten eines jungen Mannes, den ich als Bruder sehe und der schon so viel durchgemacht hat, so einen Scherz machen? Ich hätte nicht mal was gesagt, wenn wir nicht alle so eine Angst davor hätten, Harry beim nächsten Treffen nur tot wiederzufinden, weil er mit dem Leben nicht klar kommt und uns nicht an sich ranlassen kann! Sir, ich wäre nicht hier, wäre ich mir nicht sicher, dass es nur besser werden kann. Und… ist es nicht das, was jedes magische Wesen möchte? Einen Gefährten zum Beschützen? Oder ist es, weil er ein Mann ist?“
 

Mann? Das war nicht das Wort, was Lucius zu dem Jungen einfiel, den er im Regen auf dem Friedhof gesehen hatte. Junge, Teenager vielleicht. Klein, gequält, gejagt von der Vergangenheit. Aber warum hatte er dann nichts gerochen?! Er runzelte die Stirn, sah sich selbst wieder auf dem Friedhof. Es war kühl gewesen, immerhin Herbst, im strömendem Er… der Regen! Wasser! Natürlich! Wie hätte Lucius denn was riechen können, in diesen Fluten?! Und dann in dem Haus, der Gestank nach Urin…und er war nicht nahe genug an dem Jüngeren dran gewesen. Außerdem – wann hatte es ihn je interessiert, was aus einem Menschen außerhalb seiner Familie wurde?
 

Percy beobachtete den Mann, wusste, er hatte ihn am Haken. „Sie sind sein Gefährte, was auch immer Sie sein mögen, es ist mir ehrlich gesagt auch vollkommen gleich. Ich will nur das Beste für Harry, dass er endlich aufhört, in der Vergangenheit zu leben. Ich sag Ihnen, es wird sicher nicht einfach werden, aber Harry ist lieb und sanft und mitfühlend. Er hatte es immer schwer, bei seinen Verwandten, bei Dumbledore, durch die Erwartungen. Darum ist er sehr unzugänglich. Nicht, weil er es sein will, sondern, weil er es nie anders gekannt hat. Sind Sie bereit, sich damit auseinanderzusetzen? Können Sie damit umgehen, dass er Angst hat und nicht versteht?“
 

Oh weia. Diese Beschreibung war ihm schrecklich vertraut. Er sah sich selbst wieder, als Drittklässler und vor sich die Neuen in Slytherin, vor Allem den dürren Jungen mit der hellen Haut, den dunklen Haaren, der auffälligen Nase und den bohrend schwarzen Augen. Severus. Er hatte Niemandem vertrauen wollen, doch Lucius hatte es trotzdem geschafft. Nur, weil er gewollt hatte. Dieses Mal ging es sogar noch um weit mehr, als um Freundschaft. Es ging um etwas wie Glück. Ja, sicher, er war etwas mehr als doppelt so alt, wie Harry Potter, aber er war auch magisch, er würde leben, solang eben sein Gefährte lebte. So wollten es die alten Gesetze. „Wo ist er?“, fragte Lucius schließlich. Er wusste es, aber das zu sagen kam ihm falsch vor.
 

„Ich… habe keine Ahnung“, gab Percy leise zu. „Wie ich eben schon gesagt habe, wenn ich ihm schreibe, oder mich mit ihm treffen will, kontaktiere ich meine Brüder, nur kann ich nicht sagen, wie willens die wären, Sie zu ihm zu bringen. Sie wissen nicht mal, dass ich hier bin oder ihr kleines Experiment gefunden habe.“
 

„Ich finde es raus“, gab Lucius ruhig zurück, schloss kurz die Augen. „Darf ich Sie bitten, zu gehen, Mister Weasley? Ich möchte nachdenken.“
 

Percy nickte, erhob sich, er hatte erreicht, was er wollte. Lucius Malfoy hatte angebissen. Ja, vielleicht hatte er Harry verraten, aber er hatte es getan, um dem Jüngeren zu helfen, um dafür zu sorgen, dass er endlich beginnen würde, zu leben. Nach mehr als zwanzig Jahren wurde es aber auch Zeit dafür und wenn Jemand Glück verdient hatte, dann doch wohl er! „Ich hoffe, wir können bald wieder reden“, sprach er nur, verließ dann selbst das Büro.
 

Lucius dagegen sackte regelrecht in sich zusammen, stützte seine Ellenbogen auf die Knie, schlug die Hände vor sein Gesicht und dachte wieder an dieses schreckliche Haus. Er musste sich zusammenreißen, um nicht direkt dahin zu gehen, den Jüngeren zu beschnüffeln und dann mit in sein Herrenhaus zu zerren, wohl wissend, dass das der vollkommen falsche Weg sein würde. Dieses Loch schien Harrys Rückzugsort zu sein, ihm zu zeigen, dass er davon wusste, hätte ihn zweifellos vertrieben und dann würde er nicht wissen, wo er nach Diesem suchen konnte!
 

Nein, er musste sich was Anderes einfallen lassen und da bot sich eines geradezu an. Der Friedhof. Er war oft genug da. Er würde warten, wie er es heute getan hatte, nur dieses Mal würde er sich zeigen, auch, um nah genug an den Jüngeren heran zu kommen. Dann konnte er riechen, ob das, was auf dem Zettel, der immer noch auf seinen Knien lag, stimmte und überlegen, wie er weiter vorgehen würde. Vielleicht, indem er Harry einfach die Wahrheit sagte und auf sein Herz appellierte, ganz in seiner Slytherinart behauptend, den Anderen zu brauchen, um leben und denken zu können.
 

Gut, blieb nur noch zu sehen, wie er das mit seinem Job vereinen konnte. Gut, in einer Woche ging das Wizgamont in die Winterpause, aus der es nur für schwere Fälle gerufen werden würde, doch auch dann hatte er eigentlich jeden Tag zu tun, Briefe wurden dauernd an ihn geschickt, Bitten, Fragen, Anregungen. Alles musste bearbeitet werden und zumindest auch ein Teil von ihm selbst. Nun, egal. Eine Woche. In einer Woche würde er sich selbst ein, zwei freie Tage gönnen und dann weitersehen. Erst mal galt es wirklich, festzustellen, was da an der Geschichte dran war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (11)
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Von:  Liar
2012-08-15T11:54:44+00:00 15.08.2012 13:54
Hi,

danke für die ENS.
Wirklich wieder einen super guten Start hingelegt.^^
Harry kann einem schon leid tun, hoffentlich bekommt er auch etwas glück^^
Freu mich schon auf das nächste Chapter^^

LG Liar
Von:  kaya17
2012-08-13T20:42:38+00:00 13.08.2012 22:42
Oh super Spannend :D das klingt schon mal
gut :) Ich bin gespannt wie es sich noch weiter
entwickeln wird^^
Von:  Dranza-chan
2012-08-12T21:08:28+00:00 12.08.2012 23:08
Das ist mal wieder ein spannender Anfang!
Bin schon gespannt wie das erste Treffen der beiden abläuft!
lg
Von:  Yvanne
2012-08-12T18:19:38+00:00 12.08.2012 20:19
JUHU, etwas neues von dir!!
Danke für die Ens!
Ich hab wirklich gerade gedacht: Verdammt nichts Gutes zu lesen hier. Kann DhalaElenaAngel nicht mal wieder etwas Neues schreiben? Und TADA, da ist es!
Ein schöner Anfang, wenn auch traurig. Ich mag deine Darstellung der Weasleys!
Freu mich wenn es weitergeht und Danke dass du dich entschlossen hast, doch schon zu posten - hast meine Feierabende vor der Langeweile gerettet ^^

Liebe Grüße, Yvanne
Von:  Laluna123
2012-08-12T10:49:09+00:00 12.08.2012 12:49
Hallo
danke für deine super Geschichten! Diese hier fängt auch wieder sehr spannend und ziemlich traurig an. Ich liebe Lucius/Harry Geschichten.
Du bist mein Lieblings-HarryPotter-Fanfiction-Autor! Du schreibst mitreißend und hast immer wieder gute Ideen für eine neue Geschichte! Ein weiteres dickes Plus ist das du sehr regelmäßig updatest.
Vielen Dank und weiter so!

Lg Laluna
Von:  Elbenprincess
2012-08-12T10:19:17+00:00 12.08.2012 12:19
wow ein super anfang...
Armer Harry ich hoffe Lucius bekommt ihn wieder aus der trauer raus.

Ich freue mich schobn auf das nächste Kapi.
Von:  Omama63
2012-08-12T06:51:09+00:00 12.08.2012 08:51
Ein super Anfang.
Da bin ich ja mal gespannt, wie Harry reagiert, wenn er Lucius sieht.
Ich habe mich sehr gefreut, als ich deine ENS gesehen habe.
Klasse, dass du so schnell wieder schreibst.
Danke für die ENS!!!!!!!!!!!!!!!
Von:  AmuSuzune
2012-08-12T00:37:13+00:00 12.08.2012 02:37
Wow, ich bin begeistert! Das ging ja wirklich shcnell diesmal mit der Fiction. *Herum hopps*
Ich bin ja sehr gespannt wie es weiter geht. Bin ja ein großer Luc x Harry Fan.
Wer es wohl diesmal auf Harry abgesehen haben wird? So einfach wird er siche rnicht davon kommen, kennen wir ja, nech?
Schönes erstes Kapitel. Freu mich auf die Vortsetzung.

LG
Suzu

Von:  mathi
2012-08-11T21:29:36+00:00 11.08.2012 23:29
Huhu,
das war mal ein wirklich interessanter Anfang.
Das Pairing gefällt mir sehr gut und ich bin auch gespannt, was daraus noch alles gemacht wird^^
also ich freu mich schon auf das nächste kapitel und warte gespannt darauf ob lucius es schaffen wird, harry zu 'beschnüffeln' und herauszufinden ob er der gefährt ist^^
mathi
Von:  Amy-Lee
2012-08-11T21:15:40+00:00 11.08.2012 23:15
Hi, super Anfang und ein großes Dankeschön für die ENS.
Also muß ich mir diesmal keine sorgen machen wegen den Alten,
da er schon Tod ist was für eine Freude,
in deinen FF´s kommt der Knacker ja nie gut weg,
aber das heißt nicht das da kein anderer Irrer rumläuft und
Harry das Leben schwer macht.
Harry und Luc ist ein tolles Pairing,
von daher werde ich jeden Di. und Sa. mit spannung erwarten.
Bis Di. dann.
Bye


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