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Der Ärztekomplex

von

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Besessenheit lässt grüßen

Er marschierte Schnurstracks gerade aus über den weißen Schulhof, über die letzte Grünfläche in seinem Zentrum und hinein in das Hauptgebäude.

Das schwarze Haar vollkommen zerzaust in alle Richtungen abstehend, die scharfen grünen Augen schwarz umrandet, die dunkle Kleidung, die mehrere Tätowierungen frei ließ und die Nietenarmbänder gaben ihm in Kombination mit einem stechenden Blick das Aussehen, das den meisten das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das war wohl auch der Grund dafür, warum ihm alle so bereitwillig Platz machten.
 

Bela Felsenheimer war nicht nur nach seinem Urgroßvater benannt, zumindest nach dessen Spitznamen, er war ihm auch noch das perfekte Ebenbild. Von den fast Schulterlangen Haaren, bis hin zu den künstlichen Veränderungen durch Bilder, Piercing und Ohrlöcher passte alles perfekt.

Sogar Schlagzeug spielen hatte er schon in jungen Jahren gelernt um sich seinem Idol nahe zu fühlen.

Er hatte sein Leben damit verbracht so zu sein wie er, doch nur eines hatte er bisher nicht erreicht: Solch einen Erfolg wie sein Urgroßvater mit seiner Band „die Ärzte“.
 

Die Tasche lässig über die Schulter geworfen sprang er die Treppe hinauf, mehrere Stufen gleichzeitig nehmend.

Jungen warfen ihm teils einen missbilligenden, teils einen interessierten Blick nach, ob es sich hierbei um homosexuelle Typen handelte oder einfach nur um welche, die so sein wollten wie er konnte er nicht sagen, doch es wird wohl sowohl das eine, als auch das andere sein.

Er musste sich nur einmal umdrehen und konnte immer mehrere Mädchen gleichzeitig dabei beobachten, wie sie sich noch schnell abwandten, rot anliefen und aufgeregt miteinander gackerten. Sie standen wegen verschiedener Dinge auf ihn. Er gehört mit zu den beliebtesten Typen der Schule und versprach rein vom äußerlichen her genau das, was sich die meisten Mädchen erträumten: hemmungslose Nächte ohne Ende.
 

Doch wen kümmerte das schon?

Heute hatte er nur ein Ziel: zusammen mit Farin Rod zur Schnecke machen.

Doch wo steckte sein zwei Jahre jüngerer Mitstreiter eigentlich?
 

Zwei Jahre jünger…

Das war der nächste Kritikpunkt den er sich immer wieder ins Gedächtnis rief, wenn er versuchte wie der Drummer der Ärzte zu sein.

In ihrer Dreierkonstellation war nicht er der Älteste, sondern Rod.

In ihrer Dreierkonstellation war nicht Rod der Jüngste, sondern Farin.
 

Doch daran sollte doch der Erfolg nicht scheitern, oder? Nein! Es lag eher an Rodrigos Einstellung.

Er hatte ihre gestrige Probe sausen lassen um sich mit seiner Freundin zu treffen.

Seiner Freundin!

Er hat seit genau drei Monaten eine Neue am Start und genauso lange schwänzte er schon regelmäßig ihre Treffen.
 

Auf der Suche nach dem ebenso von seinem Großvater besessenen, jüngeren Gitarristen stieß der achtzehnjährige die Tür zur Jungentoilette auf.

Sein erster Blick fiel auf einen schwarzen Gitarrenkoffer.

Alles klar, hier war er definitiv richtig.

Er lehnte sich lässig an die Wand und verschränkte die Arme, während er Farin dabei beobachtete, wie dieser seinen Blondschopf neu richtete.

„Sag mir nicht, du willst uns jetzt auch noch betrügen. Oder wieso machst du dich so fein?“, fragte er.

Farin öffnete den Wasserhahn und wusch sich die Hände.

Als er hochsah fixierte er Belas Spiegelbild.

Sein Grinsen wurde breit und ansteckend. Belas Mundwinkel zuckten kurz.

Wenn er nicht immer noch so wütend auf Rod wäre, dann hätte er jetzt laut losgelacht.
 

Farin Vetter war nicht anders wie Bela der Doppelgänger seines Großvaters Jan. Wie seine Eltern es allerdings geschafft hatten ihn wirklich Farin zu nennen, war Bela immer noch ein Rätsel. „Jan“ hätte es doch auch getan.

Sein gegenüber trocknete sich die Hände und nahm dann den Koffer.

„Nee, ich hab’ nur verschlafen!“, meinte er grinsend.

„Ja? Dann hast du für mich mit geschlafen. Ich habe mir schon alle möglichen Mordpraktiken für Rod ausgedacht.“, meinte Bela und verließ wieder das Klo.

Farin folgte ihm.

„Ach komm, immerhin hat er sich entschuldigt oder nicht? Er fehlt ja auch manchmal wegen seinem Studium.“, erinnerte er ihn.
 

Rod war nicht halb so besessen wie sie.

Bela mochte es nicht so nennen, für ihn war es wie die Erfüllung von Ehre, doch im Endeffekt lief es auf Besessenheit hinaus.

Rodrigo war als Bassist ihres Trios absolut unersetzlich, aber er war einfach nicht so wie Farin und Bela. Er dachte nicht darüber nach wirklich groß raus zu kommen und mit ihnen beiden ein Vermögen zu machen, er blieb lieber rational und überlegte, was ihm auf anderem Wege Geld einbringt. So kam dann dieses Medizinstudium zu Stande.

Beide sahen es schon beinahe als Beleidigung an, doch der Einzige, der wirklich Nachtragend in der Sache war, war Bela. Farin konnte nie lange wütend sein.
 

„Vielleicht suchen wir uns dann einfach einen neuen Bassisten.“, schlug er nun vor.

„Bist du irre?“, der schwarzhaarige öffnete einen Spind, der von innen voll geklebt war mit Bildern seines Urgroßvaters und packte seinen Rucksack hinein. „Rod ist einfach unersetzlich und das weißt du auch.“

Sein Freund schwieg und schloss nun seinerseits sein Fach auf, in dem er seine Haarstyling-Utensilien verstaute.

„Was schlägst du dann vor? Wir können ja schlecht seine Beziehung sabotieren.“, meinte er und zog ein Buch zwischen losen Blättern heraus.

„Wieso nicht?“

Gleichzeitig schlossen sie die Türen und sahen sich an.
 

Ja, wieso eigentlich nicht?

Wieso waren sie noch nicht eher auf diese Idee gekommen?

Schon als es um das Studium ging hätten sie was unternehmen sollen und haben es nicht getan.
 

„Hey Farin“, beide wurden von einem Mädchen aus ihren Gedanken gezogen. Sie presste ihre Mitschriften und Bücher dicht an ihren Körper und sah mit leicht geröteten Wangen zu ihm hinauf.

Als Bela den Gang hinunter sah konnte er unweit von ihnen drei weitere Mädchen ausmachen, die kicherten und definitiv zu der gehörten, die hier vor ihnen stand.

„Hey Bela“, machte sie gleich weiter um ihre Verlegenheit zu überspielen.

Na schön, sie war genau sein Fall, aber seine Liebe gehörte nun einmal der Musik und dieses Mädchen war so wie alle andere: Diese Tatsache würde sie niemals verkraften können.

Na schön, er wollte ja nicht fies sein, sie war immerhin ein potenzieller Fan.

Farin würde das schon regeln, er war nicht in der Laune dazu.
 

Wie nicht anders zu erwarten grinste er wie immer dieses ansteckende Lächeln und sie schmolz regelrecht dahin, in seinem Blick vertieft.

„Was gibt’s?“, fragte er und sie musste mehrmals nach Luft schnappen um ihre Stimme wieder zu finden.

Bela seufzte innerlich.

Nicht schon wieder eine von der Sorte.

„Ich wollte euch was fragen.“, meinte sie nur und trat nervös von einem Bein auf das Andere.

„Schieß los.“, kam es sofort von Farin, womit sie vermutlich total überfordert war.
 

Dem allerdings ging es nicht anders als Bela, trotz seiner freundlichen Fassade.

Sie war nun nicht die Sorte Mädchen, die er von seiner Bettkante stoßen würde, aber sie war nicht eine von denen, die später keinen Stress machen würden. Ganz im Gegenteil.

Er beglückwünschte Rod dafür, dass er eine Gefunden hatte, die nicht so drauf war, aber für ihn und Bela war es schwer eine zu finden, die nicht fünf Minuten für einen Satz brauchte, weil sie keine Luft mehr bekam.
 

Erleichtert Atmeten er und Bela auf, als die Klingel ertönte.

„Sorry“, meinte er, immer noch lächelnd, aber wir müssen rein, als sie immer noch herum druckste.

Er griff nach seinem Gitarrenkoffer (niemals würde er sein „heiliges“ Instrument einfach im Schließfach lassen) und das Mathebuch und flüchtete schon beinahe zusammen mit Bela.
 

„Wartet!“, rief das Mädchen, scheinbar nun doch wieder fähig etwas zu sagen.

Abwartend sahen beide über ihre Schultern.

„Was macht ihr am Samstag?“

Sie sahen sich an.

„Bandprobe.“, kam es wie aus einem Mund, dann marschierten sie schon weiter. Niemand hielt sie noch auf.

Am Ende des Flures trennten sie sich wieder.
 

**
 

„Hier hast du Mittag.“, Bela stellte eine Tüte auf dem Tisch im Lichthof der dritten Etage und setzte sich neben Farin an die quadratische Platte.

Der Blonde sah hinein und zog gleich darauf einen Burger heraus.

„Hast du dir was wegen Rod überlegt?“, fragte der Drummer weiter, aber der andere zuckte nur mit den Schultern.

„Nicht wirklich. Aber ich meine: Wir können ihn auch nicht zwingen, oder?“

„Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber bist du irre?“

„Na dann schlag was vor!“, grummelte Farin. „Sollen wir einen Kerl engagieren, der ihm seine Freundin weg nimmt? Oder ein Mädchen dafür bezahlen, dass sie ihn seiner Freundin ausspannt und dann abserviert, damit er wieder zu uns kommt?“

„Wieso nicht?“

„Auf die Gefahr hin, dass ich dich wiederhole: Irre?“
 

„Nein, aber ich meine das ist doch die einzige Möglichkeit, oder nicht?“

Farin rieb sich die Schläfen.

Irgendwie fand er das nicht richtig, aber Bela hatte nun mal recht.

Rod würde schon noch einsehen, dass seine wahre Berufung in der Musik lag und nicht in der Medizin und noch weniger als Familienpapa, zumindest das letzte noch nicht, aber wenn sie ihm keinen Schupps in die Richtung gaben, dann würde er das niemals einsehen.
 

„Was schlägst du vor?“

Wir suchen uns jemanden, der uns hilft.

„Am Besten, um alles zu sicher, ein Mädchen, dass Rod klar macht und einen Kerl, der sich um seine Freundin kümmert.“

„Und wen?“

Bela lachte.

„Schau dich doch mal um: Diese Schule ist voll von Idioten, die alles für uns machen würden. Wir sind immer noch die unbestrittenen Könige hier.“

Farin zog eine Augenbraue skeptisch hoch.

„So wenig Charakter schreibe ich aber trotzdem niemandem zu.“

„Dann machen wir das eben…verdeckt.“, meinte er.
 

Er sah in den Flur.

Zwei Mädchen kamen gerade vorbei.

Beide hatten Aufzeichnungen in den Händen.

Die eine summte etwas vor sicher her, während sie las, die andere bewegte die Lippen, während sie das geschriebene Entzifferte.

„Hey, Mädels.“, ein junger Mann kam hinzu, den Bela als einen der Referendare erkannte, die neulich eine Stunde hospitiert haben, aber seinen Namen kannte er nicht.

„Ist es das?“, fragte er und nahm der Blonden das Blatt aus der Hand.

„Ja, Lilly hat es gestern noch eben zusammen geschrieben.“, erklärte sie. „Aber diese Stelle hier, diese Akkord folge erinnert mich an irgendwas.“

Mit diesen Worten waren sie wieder verschwunden.

Er hörte sie noch Reden über Noten und Texte, dann ging eine Tür auf und wieder zu und sie waren verschwunden.
 

Nachdenklich wandte er sich wieder an Farin, der ihn nur abwartend ansah.

„Eine von den Mädchen kann man rausschmeißen, aber ich denke die nehmen wir dafür.“, machte er fest.

Farin zog ungläubig eine Augenbraue hoch.

„Lilly Schrader und Pandora Verlaine? Sorry, die sind zu schlau dazu. Was den Typen angeht weiß ich das nicht, aber die beiden sind so ziemlich die Einzigen, die mich ignorieren und ich sitze immerhin in Englisch, Biologie und in Geschichte zwischen ihnen.“

„Egal, wir können es ja ganz unauffällig machen.“

Sofort sprang Bela auf.

„Wohin willst du?“

„Die sind hier in einem der Räume auf dem Gang und genau den such ich jetzt!“

Er marschierte los und schaute in jeden Raum durch die kleinen Fenster in den Türen, bis er sie in einem der Musikzimmer gefunden hatte.
 

Er grinste.

„Oh je, eine kleine Band, wie süß ist das denn?“

Der Junge saß am Klavier, die Blonde saß Gitarre spielend neben ihm und die schwarzhaarige die sich eine Seite der Haare Pink gefärbt hatte stand mit einem Stift daneben und strich einige Textstellen an.

Erbärmlich, einfach nur erbärmlich. Die würden es niemals zu etwas bringen, dessen war er sich klar.

Farin erschien neben ihm.

„Wie süß.“, meinte er grinsend. „Tja, ich würde sagen ihre Band verhilft und jetzt dazu unsere zu retten.“

„Hey, nur der Starke überlebt und dieses Trauerspiel da gehört absolut nicht zu den Starken.“



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