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Die große Leere

von

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Ziegenfutter und Schmorbraten

Der Anhörungstermin war um elf Uhr vormittags angesetzt. Nach dem Frühstück hatten sie sich bereit gemacht. Dieses Mal würde Gus sie begleiten müssen, seine Anwesenheit war gefordert worden. Jennifer würde mit ihnen kommen, um, falls es möglich war, mit dem Jungen den Raum verlassen zu können, wenn es schmutzig zu werden drohte. Brian und Justin war mulmig zumute. Alles hing vom Entschluss des Richters ab, die Klage der Petersons zu zulassen oder abzulehnen. Sollten Lindsays Eltern mit ihrem Vorhaben durchkommen, würde es zum Kampf kommen. Und sie konnten nicht sicher sein, dass sie diesen auch gewinnen würden. Sie hatten alles getan, was ihnen möglich war – aber würde das reichen in Zeiten, wo ein großer Teil der Bevölkerung immer konservativer wurde, homosexuellen Verbindungen gegenüber immer ablehnender gegenüberstand? Es graute ihnen vor der Aussicht Gus zu verlieren. Auch Gus stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Es war schwer gewesen, ihm klar zu machen, worum es ging. Dass seine Großeltern ihn ihnen fort nehmen wollten. „Aber ich habe es Oma doch gesagt!“ sagte er aufgeregt. Brian seufzte. Wahrscheinlich hatte die alte Schabracke geglaubt, sie hätten das Gus so eingetrichtert. Brian trug einen dunklen Anzug mit einer dunkelgrünen Krawatte, Justin einen dunkelblauen Rollkragenpullover mit einer farblich passenden Stoffhose. Gus hatten sie in einen grünen Pullover, der zur Krawatte seines Vaters passte, gesteckt, seine Hose ähnelte im Schnitt Justins. Das Kalkül dahinter war, dem unbedarften Betrachter sogleich ihre Zusammengehörigkeit zu suggerieren, ohne dass der hätte sagen können, woran das lag. Brian hatte nicht umsonst lange Zeit seines Lebens damit verbracht, über die Wirkung seiner Kleidung zu sinnieren, wie sie Assoziationen, Gefühle, Begehrlichkeiten wecken konnte.
 

Justin war nur knapp seinem jähen Ende entronnen, als Brian beim Geradezupfen seines Kragens vor dem Spiegel den Knutschfleck entdeckte. Wahrscheinlich rettete ihn nur Gus‘ Anwesenheit. Er half seinem diverse Flüche runterschluckenden Gemahl, die Hinterlassenschaft seiner ungebremsten Leidenschaft zu kaschieren.
 

„Sei froh, dass du keine Hete bist – dann hättest du jetzt nichts zum Abdecken im Haus“, tröste Justin ihn.
 

„Wenn ich eine Hete wäre, müsste ich nichts abdecken, alle würden mich für einen scharfen Casanova halten und vor Neid erblassen!“
 

„Was mich angeht, bist du ein scharfer Casanova“, lächelte Justin.
 

„Wenn das so ist“, flüsterte ihm Brian ins Ohr, so dass Gus ihn nicht hören konnte, „dann wäre es vielleicht mal wieder Zeit für einen Dreier… geladen sind nur ich, du und unsere dreckigsten Fantasien…“
 

„Dann wird das eher eine Massenorgie, ich hab‘ nämlich verdammt viele Fantasien“, gurrte Justin zurück.
 

„Mmm, jetzt machst du mich neugierig. Sex mit dem Lichtschalter auf an? Oder sogar mit geöffneten Augen? Du kleines Ferkel…“
 

„Klein? Beleidige mich nicht. Aber vielleicht war ich ja tatsächlich ein böööööser Junge…“, flüsterte Justin und folterte ihn mit einem unschuldigen Augenaufschlag.
 

„In Anbetracht der totalen Fiktionalität all deiner Vorhaben in näherer Zukunft bist du das in der Tat, du Verbal-Sadist. Nimm das schon mal als Anzahlung“, antwortete Brian und nutzte einen unbeobachteten Augenblick, um Justin einen gezielten Klaps auf den Allerwertesten zu verpassen.
 

„Danke, Meister“, grinste Justin, „aber ich bleibe nur ungern eine Wohltat schuldig.“ Er verpasste Brian fix eine Retourkutsche.
 

Seufzend lösten sie sich voneinander, als Gus aus dem Badezimmer zurück kehrte. Aber keiner der beiden hätte auch nur eine Sekunde mit dem Gedanken gespielt, ohne Gus leben zu wollen. Brian rieb sich verstohlen die leicht kribbelnde Hinterbacke. Das war wieder Justin in Reinkultur gewesen. Von dem Jungen, der alles getan hatte, um Brian zu gefallen, hatte er sich schon lange verabschiedet. Und das gefiel Brian nur umso besser, auch wenn es bedeutete, ab und an auch mal einstecken zu müssen. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Er sah auf die Uhr. Ihre Kabbelei hatte nicht einmal zwei Minuten gedauert, sein Körper verspannte sich erneut in Anbetracht der Schlacht, in der sie sich zu ziehen anschickten.
 

Das Telefon begann zu schrillen.
 

Verärgert nahm Brian ab. Hoffentlich war es etwas Wichtiges und nicht etwa Michael, der ihnen noch einmal ganz doll die Daumen drücken wollte. Nicht dass er die Geste nicht zu schätzen wüsste, aber der Zeitpunkt wäre ungünstig gewählt.
 

„Kinney!“ meldete er sich.
 

„Guten Morgen, Mr. Kinney. Nathalie Peterson am Apparat.“
 

Brian war einigermaßen fassungslos. Was sollte das denn werden? Sie hatte ihn sogar sowas in der Richtung von höflich gegrüßt.
 

„Mrs. Peterson, das ist nun wirklich nicht der beste Zeitpunkt für einen netten Plausch. Die Anhörung beginnt in einer Stunde. Meinem Anwalt würde das letzte verbliebene Haar ausfallen, wenn er wüsste, dass ich mit Ihnen spreche!“
 

„Wenn Sie mir jetzt zuhören, wird es keine Anhörung geben.“
 

„Wie habe ich das zu verstehen?“ fragte Brian misstrauisch.
 

„Wir ziehen unsere Testamentsanfechtung zurück. Vorausgesetzt sie und ihr Partner sind bereit, sich mit uns außergerichtlich zu einigen.“
 

„Und wie bitte schön soll das aussehen?“
 

„Wir setzten uns hin und reden. Wenn wir zu keiner Einigung kommen können, können wir immer noch wieder auf den juristischen Weg zurück schwenken. Meine Familie und Sie haben ein gemeinsames Anliegen: Gus‘ Wohlergehen.“
 

Brian lagen einige zynische Erwiderungen auf der Zunge, die er sich zwang herunter zu schlucken. Er wusste nicht recht, was er von der Sache halten sollte. War das schon wieder so ein Trick, sie zu übervorteilen?
 

Mrs. Peterson schien seine Gedanken gelesen zu haben. Sie sagte auf sein Schweigen hin: „Ich weiß, dass Sie wahrscheinlich wenig Veranlassung sehen, uns zu trauen. Ich kann Sie nur darum bitten. Kommen Sie zu uns nach Hause. Hören Sie, was wir zu sagen haben. Und bringen Sie Gus mit. Ich verspreche ihnen, es wird Ihnen nicht zum Nachteil gereichen.“
 

Brian überlegte. Natürlich wäre es günstiger, eine Klage von vornherein abzublocken. Aber er war sich einfach nicht sicher, ob Mrs. Peterson wirklich darauf hinaus wollte. Wie sie schon richtig gesagt hatte, es gab wirklich keinen Anlass, ihr zu trauen.
 

„Es geht mir darum, ein jahrelanges Gezerre um Gus zu vermeiden, unter dem vor allen Dingen er leiden würde.“
 

„Also gut“, beschloss Brian, „aber wenn wir merken, dass Sie nicht aufrichtig mit uns sind, sind wir sofort wieder weg.“
 

„Ich verstehe. Gut.“
 

„Und wann soll unser Familienrat tagen?“
 

„Ich würde vorschlagen, dass wir ihn anstelle der Anhörung ansetzten.“
 

„Jetzt gleich?“
 

„Ja. Je schneller wir das hinter uns bringen, desto besser.“
 

Brian seufzte. Er glaubte der Frau das, was sie über Gus gesagt hatte. Nur ihre Einstellung ihm und Justin gegenüber fand er bedenkenswert. Aber sich anzuhören, was sie wollte, war bestimmt zunächst einmal nicht falsch.
 

„Also gut. Wir kommen.“
 

Sie nannte ihm die Adresse.
 

„Ach ja, Mr. Kinney?“
 

„Was?“
 

„Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit“, sagte sie.
 

Aha. Die Botschaft war also angekommen.
 

……………………………………………………………………………………………………………………………………………………….
 

Brian hatte Justin kurz erläutert, wie die Dinge sich entwickelt hatten. Auch dieser war erleichtert, doch zugleich kräuselte er die Nase, als er an das bevorstehende Gespräch mit den Petersons dachte. Besonders Gus war froh, nicht vor einem Richter erscheinen zu müssen. Insofern hatte Mrs. Peterson recht. Das sollten sie versuchen, ihm zu ersparen. Sie informierten Jennifer, dann machten sie sich auf den Weg.
 

Um elf parkten sie in der gediegenen Wohngegend, in der das Domizil der Petersons stand. Architektonisch erinnerte es an Britin, war aber nicht ganz so geräumig und das Grundstück war deutlich überschaubarer. Allerdings war die Anlage besser in Schuss. Auf ihrem Landhaus hatten die Handwerker erst damit begonnen, Hand anzulegen. Der Garten, durch den sie schritten, war liebevoll gepflegt. Herbstblumen blühten üppig in den Rabatten. Der Rasen sah aus, wie mit der Nagelschere geschnitten. Die üppigen Bäume begannen sich bereits zu verfärben. Entweder war hier ein Gärtner am Werke oder Gus‘ Großeltern hatten ein Faible für Gartenarbeiten. Hier war Lindsay also aufgewachsen. Brian musste an sein zuhause denken, falls man es so nennen konnte. Ein kleines Reihenhaus, von Joan auf Hochglanz poliert. Es kleinbürgerlich zu nennen, wäre wahrscheinlich geschmeichelt gewesen. Die Kinneys waren seit Generationen der Arbeiterklasse treu geblieben. Er hatte gar nicht schnell genug von dort verschwinden können. Die Welt, aus der Lindsay – und Justin, bevor sein Vater ihm die Unterstützung gestrichen hatte – stammten, war ihm fremd geblieben. Er konnte sie beschreiten und jeder dachte, dass er dazu gehörte – aber es war nur Mimikry. Seine Wurzeln lagen im dumpfen Sumpf eines irischen Katholizismus, der Unglück und Elend für den Urzustand der Welt hielt. Diesem Schicksal würde Gus entrinnen, gleichgültig wie die Sache ausgehen sollte.
 

Sie hatten auf dem Weg noch einmal kurz angehalten. Ein Tanz auf dem Drahtseil drohte vor ihnen zu liegen, da war es besser, jeden Vorteil zu nutzen. Brian war mit Gus im Wagen geblieben, während Justin in einen pittoresk aufgemachten Blumenladen geflitzt war. Bloß kein Kaufhaus-Gestrüpp, das würde dem alten Drachen höchstens noch mehr Munition liefern. Ein paar Minuten später war Justin wieder erschienen. Der Strauß war perfekt: nicht zu groß, nicht zu klein, geschmackvoll unaufdringlich arrangiert, um als kleine, aber wohl durchdachte Aufmerksamkeit durch gehen zu können. „Wenn du zu einer bissigen Ziege gehst, vergiss das Grünzeug nicht“, hatte Justin seine Country Club-Weisheit zum Besten gegeben.
 

Brian hielt Gus an der Hand, Justin überreichte formvollendet den Strauß, als die Petersons sie rein baten. Die Begrüßung fiel etwas steif aus, nur Gus umarmte seine Großeltern ungestüm.
 

Sie setzten sich ins Wohnzimmer auf die cremefarbende Sitzgarnitur. Mrs. Peterson bot ihnen Kaffee an. Eine Platte mit Keksen lag auf dem Wohnzimmertisch. Brian schenkte Justin einen warnenden Blick, doch der riss sich zusammen und knabberte bescheiden an einem Schokoladengebäck herum. Gus wand sich unruhig zwischen ihnen: „Oma, darf ich spielen gehen?“
 

„Gleich, mein Schatz. Ich möchte nur, dass du mir vorher eine Frage beantwortest. Und ich möchte, dass du ganz ehrlich dabei bist. Tust du das?“
 

Justin und Brian versteiften sich misstrauisch. Gus schaute seine Großmutter aus großen Augen an. „Okay“, sagte er schließlich.
 

„Was möchtest du lieber: Bei deinem Vater und Justin leben und uns immer wieder mal besuchen kommen – oder bei mir und Opa wohnen und deinen Vater und Justin besuchen?“
 

Brian war kurz davor, seinen Sohn zu schnappen und hinaus zu brausen. Justin drückte ihm bestimmt die Hand auf den Schenkel, damit er sitzen blieb.
 

„Ich will bei Papa und Justin wohnen, Oma, und euch ganz häufig besuchen kommen, versprochen!“ sagte Gus fest.
 

„Okay, mein Schatz, dann geh doch einfach hoch in Mamas altes Zimmer, wo dein Spielzeug ist. Wir Erwachsenen unterhalten uns noch ein wenig, dann rufen wir dich. Möchtest du vorher noch einen Keks?“
 

Gus schnappte sich den Keks und brauste mit den Worten „Bis später“ die Treppe ins Obergeschoss hinauf.
 

Brian räusperte sich: „Was sollte das denn, Mrs. Peterson?“
 

„Ich dachte, dass wir uns klar machen sollten, was Gus will. Um ihn geht es schließlich. Ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt. Aber unser Enkel will bei Ihnen leben. Und ihn gewaltsam von Ihnen weg zu zerren würde ihm das Herz brechen. Er hat schon seine Mutt… Mütter verloren“, Mrs. Peterson starrte an ihnen vorbei.
 

Mr. Peterson meldete sich zu Worte: „Ich stimme meiner Frau zu. Auch ich bin nicht gerade begeistert von ihrem Lebensstil. Aber einen Versuch muss es uns wert sein, wenn wir unserem Enkel nicht unnötig weh tun wollen.“
 

„Wie kommt dieser plötzliche Sinneswandel zustande?“ bohrte Justin.
 

„Zunächst einmal durch Gus. Was er eben gesagt hat, hat er bereits zuvor zu mir gesagt. Zunächst war ich misstrauisch, dachte, dass Sie ihm vielleicht aufgetragen haben, derartiges verlautbaren zu lassen. Aber das glaube ich nicht. Es ist wirklich sein Wille, warum auch immer. Dann haben wir Erkundigungen über Sie einholen lassen, wie Ihnen ja nicht entgangen ist. Sie können sich vorstellen, dass wir nicht gerade begeistert waren. Aber die Ermittlungen haben auch ergeben, dass Sie sich von ihrem ehemaligen Lebensstil verabschiedet haben, lange bevor die Frage um Gus aktuell wurde. Unser Anwalt hat uns darauf hingewiesen, dass das unsere Grundlage deutlich ausdünnte. Und dann haben Sie nicht lange gefackelt, nicht wahr?“ Sie wies auf die Zeitung mit der Hochzeitsanzeige. „Sie haben Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um ihren Rechtsanspruch zu behaupten. Sie beide. Für Gus. Das haben wir verstanden, weil auch wir alles für ihn tun würden.“
 

Justin und Brian schwiegen beklommen.
 

„Und was schlagen Sie uns vor?“ fragte Brian schließlich.
 

„Wir verzichten darauf, die Sorgerechtsregelung anzufechten. Nicht Ihnen zuliebe. Sondern für Gus. Aber wir erwarten von ihnen, dass Sie alles daran setzten, Gus gute Eltern zu sein. Wenn wir den Eindruck bekommen, dass sie nicht zum Wohle unseres Enkels handeln, behalten wir es uns vor, unsere Meinung zu ändern. Sie würden in unserer Situation wahrscheinlich nicht anders handeln.“
 

Brian nickte. Er hätte den Petersons eigenhändig den Hals umgedreht, wenn Gus bei ihnen leben würde und sie ihn vernachlässigten oder gar schädigten.
 

„Und“, griff Mr. Peterson jetzt die Rede seiner Frau auf, „wir wollen seine Großeltern sein. Seine Familie. Nicht die Leute, denen er zwangsweise ein Mal im Monat für eine genau abgemessene Anzahl von Stunden übergeben wird. Wir wollen ein Teil seines Lebens sein, wie wir es zuvor waren. Wir wollen mit ihm ins Kino gehen können, ins Theater, in den Zoo. Wir wollen bei seiner Einschulung dabei sein. Ihn an seinem Geburtstag sehen können. Vielleicht auch mal einen Ausflug mit ihm machen können.“
 

Brian und Justin sahen sich an. Dann sagte Justin: „Ich verstehe Ihren Punkt. Aber unter zwei Bedingungen: Es darf kein Gezerre um Gus geben. Wir müssen uns wie zivilisierte Menschen einigen können und es – wie zum Beispiel an seinem Geburtstag – auch in einem Raum miteinander aushalten können. Und dazu ist es wesentlich – was mein zweites Anliegen wäre – dass sie sich jede abfällige Bemerkung gegenüber dem, was Sie unseren „Lebensstil“ nennen, uns und Gus gegenüber für alle Zeiten verkneifen. Denken Sie, was sie wollen. Aber bringen Sie es, solange wir in Sichtweite sind oder irgendjemand, der es Gus zutragen könnte, dass Sie seine Eltern für zwei Perverse halten, in keiner Geste zum Ausdruck. Am besten wäre es, wenn Sie Ihre Meinung einfach ein wenig überdenken würden. Aber das haben Sie ja anscheinend selbst Ihrer Tochter gegenüber nicht wirklich geschafft. Also versuchen Sie lediglich, den Frieden zu wahren, dann tun wir das auch.“
 

Die Petersons sahen sich an. Dann sagte Mrs. Peterson: „Gut. Um Gus‘ willen. Vielleicht können wir es ja gleich in der Praxis versuchen, ich habe die Haushälterin angewiesen, einen Braten vorzubereiten. Essen Sie doch mit uns.“
 

„Sie waren sich Ihrer Sache ja ziemlich sicher“, bemerkte Brian.
 

„Natürlich“, sagte Mr. Peterson, „schließlich gewinnen beide Seiten bei diesem Arrangement. Versuchen wir also unser Glück.“
 

Er stand auf und reichte Brian die Hand: „Und da wir ja ab heute gewisse familiäre Bande teilen, sollten wir das – wie zivilisierte Menschen – auch so handhaben. Ich bin Russel.“
 

Sie schüttelten einander die Hände und besiegelten mit dem Angebot, sich beim Vornamen zu nennen, ihren Pakt.
 

Das Essen verlief ruhig. Justin lobte Nathalies Gartenbaukünste – es war tatsächlich sie, die die Pflanzen pflegte. Brian fand sich mit Russel in einer Diskussion über Aktienkurse wieder. Gus lauschte, obwohl das alles für ihn nicht viel Sinn machen dürfte, aber er spürte den Wandel in der Situation und war zufrieden. Dennoch hatte die ganze Angelegenheit – Familiendinner inklusive Schmorbraten – einen leicht surrealen Zug für Justin und Brian.
 

Als sie aufstanden, um sich zu verabschieden, sagte Mrs. Peterson – Nathalie – zu ihnen: „Wäre es Ihnen – euch - Recht, wenn Gus am nächsten Mittwoch mit uns ins Theater gehen würde und dann vielleicht noch einen Happen essen? Es läuft ein Märchen im Kindertheater, da ist er vor Kanada immer gerne hin gegangen. Ihr habt aktuell ja auch viel um die Ohren. Auch die Haushaltsauflösung in Kanada obliegt euch ja. Sagt Bescheid, wenn wir helfen können. Lindsay war schließlich unsere Tochter.“
 

„Mittwoch ist in Ordnung“, sagte Brian. Vor seinem inneren Auge tauchten Visionen davon auf, was er und Justin mit ein paar Stunden sturmfreier Bude anfangen könnten… lesen, den Abwasch machen, Karten spielen…
 

„Die Beerdigung ist am Freitag“, sagte Nathalie plötzlich.
 

Brian und Justin nickten. Sie wollten es sich gar nicht ausmalen, wie es sein musste, sein Kind zu Grabe zu tragen. Sie waren nicht die Einzigen, denen ihre Welt um die Ohren geflogen war.
 

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Es war bereits halb Vier, als sie, bis zum Anschlag mit Schmorbraten vollgestopft, wieder beim Loft ankamen. Sie fühlten Erleichterung, zugleich waren sie von dieser familiären Erfahrung der dritten Art ziemlich geschlaucht.
 

Justin brach zusammen mit Gus vor dem Fernseher zusammen und warf eine DVD Spongebob an. Immer hin nicht Ariel.
 

Brian sah seine Emails durch und hörte die Mailbox ab. Er rief Michael an, der drei Nachrichten hinterlassen hatte und brachte ihn auf den aktuellen Stand. Michael war es mit Melanies Eltern besser ergangen. Melanies Vater litt an schweren Herzrhythmusstörungen, dem Ehepaar wäre es kaum möglich gewesen, das Baby alleine zu umsorgen. Geschwister hatte Melanie keine. Der Notnagel war ihre Cousine gewesen, die selbst drei Kinder hatte und sich auch nicht darum riss, die Fürsorge für ein weiteres zu übernehmen. Hinzu kam, dass Michael und sein professoraler Gatte über einen deutlich besseren Leumund verfügten als er, was Vaterqualitäten anging. Schließlich hatten sie bereits den Sorgerechtsprozess gegen Hunters leibliche Mutter gewonnen. Sie würden sich gemeinsam um den Haushalt in Kanada kümmern müssen, sobald es ging. Brian seufzte. Irgendwie wuchsen für jede Sache, die sie erledigt hatten, zwei weitere nach wie bei der Hydra aus der griechischen Sage. Er vertiefte sich erneut in seine Listen.
 

Als er auf die Uhr schaute, war es bereits nach acht. Allmählich Zeit für Gus ins Bett zu gehen. Er hatte nicht geahnt, dass Kinder so viel Schlaf brauchten. Aber wahrscheinlich nutzte Gus die Zeit, um zu wachsen. Brian setzte sich noch ein paar Minuten zu den beiden anderen auf die Couch. Als die Spongebob-Folge vorüber war, machte er sich an das übliche Abendritual mit Gus. Er gab ihm einen Gutenachtkuss, zog die Decke über ihm fest und lief dann auf leisen Sohlen zurück zur Couch.
 

Justin lag schläfrig an die Lehne geschmiegt. Brian ließ sich neben ihn auf das Polster fallen. Er fühlte mehr als er es sah, dass Justin ihn von der Seite musterte. Dann fragte er unvermutet: „War es jetzt alles umsonst? Die Hochzeit, die Verträge, die Sache mit den Namen?“ „Nein“, antwortete Brian, ohne zu zögern, „nichts davon war umsonst.“ Justin schwieg. Dann fragte er sanft: „Bist du glücklich?“ Brian schaute erst zu Boden, dann drehte er sich zu dem Jüngeren um: „Ich vermisse Lindsay. Und Melanie. Aber es gibt auch Sachen, die ich nicht vermisse. Ich vermisse es nicht, ständig dem nächsten kurzen Kick nachzulaufen. Ich vermisse es nicht, allein zu sein. Und ich vermisse dich nicht mehr. Und Gus. Es sind jetzt Dinge da, von denen ich früher nie geahnt habe, dass man sie vermissen könnte, wenn sie nicht da wären. Gus Legofiguren. Dein Schnarchen und Grunzen und Sabbern, wenn du träumst. Ein Kühlschrank voller Kalorienbomben. Chaos im Bad. Lauter kleine Sachen. Ist das Glück? Ich kenne mich damit nicht aus. Aber es ist gut, wie es ist.“
 

In Justins Augen stand ein Lächeln. Dann sagte er: „Ich bin völlig im Eimer. Wäre es okay, wenn ich mich ins Bettchen verziehe und ein bisschen schnarche und grunze und sabbere?“
 

„Ich könnte mir Schlimmeres vorstellen“, antwortete Brian.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  brandzess
2011-08-17T15:06:54+00:00 17.08.2011 17:06
was hat die petersons denn bitte gebissen o.Ô?
Von:  chaos-kao
2011-08-12T14:57:09+00:00 12.08.2011 16:57
Na also, geht doch auch friedlich ^^ Schade, dass es im realen Leben nur zu oft nicht so einfach geht bei solchen Angelegenheiten ...


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