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Die große Leere

von

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Begräbnisse

XVI. Begräbnisse
 

Justin war mit Gus in Richtung Behörde aufgebrochen, nicht ohne dass er ein dickes Eis als Entschädigung in Aussicht gestellt hatte, und Brian machte sich daran, die Wohnung überprüfungssicher zu machen. Die Pornos waren das geringste Problem. Viel davon hatte er sowieso nie besessen – wozu auch. Für ihn war dergleichen ja Realität gewesen, wozu brauchte er da die Wunschträume. Er mistete den Hauptteil aus und stopfte ihn in mehrere ineinander geknotete Mülltüten. In der Tonne von Kinnetic war bestimmt genug Platz. Notfalls konnte er die Schuld auf Ted schieben. Die seltenen Sammlerstücke warf er in eine separate Kiste. Soweit würde er nun doch nicht gehen, seine geliebte Jeff Stryker-Sammlung in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Kaum volljährig war er losgezogen, um diese VHS-Kassetten in einem einschlägigen Laden zu erstehen. Der Ladenbesitzer hatte ihn schel angesehen, aber er hatte ihm stolz seinen Ausweis vor die Nase gehalten. Er hatte es geschafft, er war endlich erwachsen. Er hatte die Filme gekauft, nicht nur aus Neugierde, sondern als Ihr-könnt-mich-alle-mal-Geste seiner Erziehung, seiner Familie und der ganzen Hetenwelt um ihn herum gegenüber. Andere hatten ihr Graduation-Geld für ein Auto oder einen Urlaub ausgegeben – er für Pornos und teure Klamotten. Sex und Prestigeobjekte – seine Fixpunkte für so viele Jahre.
 

Das Drogenproblem war auch schnell gelöst. Poppers und Disco-Drogen lagerten schon lange nicht mehr im Loft, seine Grasvorräte konnte er eventuell Debbie unterjubeln, wenn Carl grad nicht hinschaute.
 

Blieb nur noch das Spielzeug. Den Krempel, mit denen er seine Tricks beglückt hatte, kippte er ungesehen in den nächsten Müllsack. Alternativ könnte er sie ja bei Sotherby’s meistbietend versteigern lassen, es gab bestimmt genug Holzköpfe, die in ihnen ein Souvenir aus Brian Kinneys wilden Tagen sahen, das sie sich in die Wohnzimmervitrinen stellen konnten…
 

Blieb nur noch die Kiste mit den Sachen, die er einst nach und nach für sich und Justin erstanden hatte. Kein billiger Schund, sondern Objekte, die teilweise auch als Kunstgegenstände durchgegangen wären. Sie waren sauteuer gewesen, aber mit weniger hätte er sich nie zufrieden gegeben. Nicht für sich und nicht für Justin. Eine Flut von Erinnerungen stieg in ihm hoch, die seinen Herzschlag schneller werden ließen. Justin war so neugierig, so experimentierfreudig gewesen, so offen, Dinge auszuprobieren… viel mehr als er. Er hatte seine Grenzen bereits klar definiert gehabt, als sie sich trafen. Justin hatte keine Angst davor gehabt, sich fallen zu lassen, sich ihm hinzugeben. Selbst vor dem Schmerz des ersten Males war er nicht zurückgewichen, sondern hatte ihn akzeptiert, ertragen und in etwas anderes verwandelt. Die andere Seite dieser Furchtlosigkeit war immer Vertrauen gewesen – Vertrauen in ihn. Justins Unschuld gepaart mit seinem Mut und seinem Hunger nach Erfahrung hatten ihn unwiderstehlich für Brian gemacht, so dass er für ihn immer und immer wieder mit jeder seiner verdammten Regeln gebrochen hatte. Brian hatte ihn bewusst an seine Grenzen getrieben – nur um dabei Mal um Mal auch an seinen eigenen zu laden. Ein Teil ihrer gegenseitigen Anziehungskraft war immer auch ihr körperliches Verlangen nacheinander gewesen, anfänglich als wesentlicher Inhalt und später als Mittel, auch ganz andere Dinge miteinander zu teilen als bloß Sex. An einem Ort, wo ihnen die Worte fehlten oder wo es keine mehr gab. Er musste an die Nacht denken, in der Justin ihn in seinem Büro um eine zweite Chance gebeten hatte… Sie hatten es auf seinem Schreibtisch getrieben, obwohl jeder durch die Milchglasscheibe hätte erkennen können, was sie da taten. Es war egal gewesen. Nur so hatten sie einander das mitteilen gekonnt, was sie nicht aussprechen konnten. Hinterher hatte Brian sich den Luxus erlaubt, kurz auf Justin zusammen zu brechen, der stumm die Arme und Beine um ihn geklammert gehalten hatte. Er erinnerte sich an das sanfte Streicheln von Justins Händen auf seinem Rücken, von dem er so hatte tun können, als würde er es nicht bemerken. Der Inhalt dieser Kiste war nicht nur Zeuge diverser Akte – sondern ein Teil ihrer Geschichte. Ihrer Erfolge – und ihres Versagens. Sex, Sex, Sex und nochmals Sex – er war nicht nur eine Verbindungslinie zwischen ihnen gewesen, sich gegenseitig zu erobern, zu fordern, zu verschmelzen - sondern auch ein Mittel der Distanz. Je näher Justin ihm kam, desto mehr fremde Haut hatte er zwischen sie getrieben, um Justins nicht spüren zu müssen. Der Darkroom, die vielen Kerle, die Orgien, die Dreier, die Vierer… alles, nur nicht bloß er und Justin. Und wenn sie alleine waren, war immer das Echo von außen da, das Brian bestätigte, dass dies auch nur Sex war – geil, aber auch beliebig, austauschbar. Wie seine Armani-Anzüge und seine Prada-Schuhe. Es hatte nichts geholfen.
 

Nur kurz hatte er davon gekostet, wie es hätte seien können, bevor Justin… Und als Dankeschön für diese Erfahrung, spielte sein Körper, sein Geist, sein Verficktes-was auch-immer, nicht mehr mit. Bei dem bloßen Gedanken, wieder fröhlich durch die Gegend zu vögeln, war ihm nur noch das kalte Kotzen gekommen. Und sein einziger Versuch, die guten alten Zeiten im Darkroom wieder aufleben zu lassen, hatte in einem fast einstündigen Duschmarathon geendet, bei dem er versucht hatte, den unsichtbaren Dreck von sich abzuschrubben. Er hatte sich damit getröstet, dass sich das bald geben würde. Irrtum. Vielen Dank noch Mal, Justin.
 

Kurzentschlossen kippte Brian die Spielzeuge über die als aufbewahrenswert aussortierten Pornos und verklebte den Deckel. Zur Sicherheit umschlang er das Paket mit mehreren Schichten Klebeband. Auf Teds Speicher war gewiss noch Platz. Ted mochte sich seinetwegen ein Geschwür darüber grübeln, was sein Boss ihm da untergejubelt hatte. Aber er würde sich hüten, die Kiste zu öffnen.
 

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Gerade als er den letzten Klebestreifen festgedrückt hatte, klingelte das Telefon. Brian zuckte zusammen. Mit diesem Laut verband er neuerdings das Einschlagen schlechter Neuigkeiten. Bevor er sich melden konnte, schallte ihm bereits Michaels aufgebrachte Stimme entgegen: „Brian, wir müssen etwas tun!“
 

„In Hinblick worauf? Weltfrieden? Carls Rückenbehaarung? Sackrattenplage in Singapur?“
 

„Hör auf, blöde Witze zu reißen, das hier ist verflucht ernst!“
 

Das war es bestimmt – aber Michaels Drama-Queen Auftritte provozierten ihn jedes Mal zu einem farbigen Reigen geschmackloser Bemerkungen. Zudem wäre er auch gut ohne das nächste Weltuntergangs-Szenario ausgekommen.
 

„Was ist los, Mickey?“ fragte er schließlich sanft mit klopfendem Herzen.
 

„Sie wollen sie nicht zusammen beerdigen!“ Michael schrie beinahe, so empört war er.
 

Brian begriff. „Haben sie dazu keine Verfügungen hinterlassen?“
 

„Mels Anwälte sagen nein. Haben sie wohl vergessen!“
 

„Toll, jeden Scheiß haben sie geregelt, um mich noch aus dem Jenseits zu tyrannisieren, aber das nicht? Vielleicht war’s ihnen auch nicht wichtig?“
 

„Wie kannst du sowas sagen! Sie waren ein Ehepaar!“ kochte Michael.
 

„In diesem Lande waren sie das nicht. Nicht im Auge von Papa Staat. Du magst es nicht mögen, aber so ist’s.“
 

„War ja klar, dass du sowas sagen musst!“
 

„Ich bin nur realistisch.“
 

„Ich scheiß‘ auf Realismus! Wir müssen das verhindern!“
 

„Nein“, sagte Brian nur.
 

„Nein?“ wiederholte Michael ungläubig. „Hast du mir überhaupt zugehört?“
 

„Jedes Wort. Ich bin blind, nicht taub.“
 

„Wie kannst du sowas sagen?“ fragte Michael fassungslos.
 

Brian seufzte. „Wenn es ihnen so wichtig gewesen wäre, hätten sie entsprechende Weisungen hinterlassen, darauf kannst du Gift nehmen! Aber sie sind tot, Mickey, das was da begraben wird, ist nicht mehr Melanie oder Lindsay. Falls es sie noch irgendwo gibt – dann nicht in dem, was der Sturz von ihnen übrig gelassen hat!“
 

„Aber die Erinnerung an sie… ein gemeinsamer Grabstein…“, protestierte Michael.
 

„Ist für uns – nicht für sie“, fiel ihm Brian ins Wort. „Meinst du nicht, dass ihre Familien – und damit meine ich ausnahmsweise mal ihre biologische Verwandtschaft, auch etwas von ihnen verdient? Dass sie sie entsprechend ihres Glaubens, ihrer Traditionen bestatten? Mel war Jüdin und stolz darauf! Soll sie auf dem jüdischen Friedhof beerdigt werden. Das ist nicht unsere Angelegenheit. Wir können uns an sie erinnern, aber wozu brauchen wir da einen Stein im Boden?“
 

„Ich verstehe dich manchmal wirklich nicht“, sagte Michael erschöpft.
 

„Nein“, sagte Brian nachdenklich, „das tust du wohl nicht.“
 

„Kommst du wenigstens zu den Beerdigungen – oder ziehst du vor, das auch nur rein in Gedanken zu tun?“ fragte Michael verletzt.
 

„Wir werden da sein“, sagte Brian fest.
 

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Justin starrte auf das Formular. Gus ließ derweil neben ihn eine Murmel die komplizierte Holzbahn im Wartebereich runter kullern und verfolgte ihren Lauf fasziniert. Es war fertig ausgefüllt. Sein Hauptwohnsitz war nicht mehr New York. Er lebte offiziell wieder in Pittsburgh. Seine Adresse war Brians – und Gus‘ – Adresse. Er war daheim. Er schluckte – war er das? Hatte er sich auf eine Farce mit ungewissem Ausgang eingelassen? Hatte es nicht noch andere Möglichkeiten gegeben? Wenn er darüber nachdachte, so musste er feststellen, dass er keine Sekunde an sie verschwendet hatte. War das das Ende seines neuen, selbstbestimmten Lebens? Musste er diesen Weg jetzt begraben, um einen alten wieder zu betreten, den er hinter sich gelassen zu haben meinte? Oder war dies auch ein Pfad ins Unbekannte? Er sah Gus an, der jetzt mehrere Murmeln gleichzeitig rollen ließ. Er dachte an seinen Galerievertag. Er dachte an Brian, der ihn beschuldigte, seinen Schwanz gestohlen zu haben. Ja, das war es wohl. Aber wohin sollte es gehen?
 

Voran, immer voran.
 

Er unterschrieb und gab das Formular ab.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  brandzess
2011-08-15T17:57:15+00:00 15.08.2011 19:57
Brian macht die bude kinder und normale Menschen-freundlich xD
Von: abgemeldet
2011-08-10T21:00:16+00:00 10.08.2011 23:00
Stimmt, Michael meint es gut - meist. Aber er hat so seine Grenzen, mit denen Brian gar nichts anfangen kann...
Danke für Dein Feedback!!!
LG
Ishtar
Von:  chaos-kao
2011-08-10T20:46:45+00:00 10.08.2011 22:46
Der arme Brian xDDD Und gut, dass Michael etwas dösköpfig ist manchmal xD Im Gegensatz zu seiner Mum xDDD


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