Zum Inhalt der Seite

Der unerwünschte Mieter

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 7

Kapitel 7
 

„Wettschulden sind Ehrenschulden, … Herr Joshua Lentile.“

Ist es nicht herrlich, was man so alles herausfindet, wenn man nur kurz den Personalausweis des anderen in Händen hält? Einen Blick auf seinen vollen Namen konnte ich mir einfach nicht verwehren.
 

Mittlerweile wieder völlig gelassen streicht sich Joshua das schwarze Hemd glatt. „Wie oft willst du das eigentlich noch erwähnen?“
 

„’tschuldige, daran ist wohl der Alkohol schuld. Dennoch … ich wiederhole es solange, … bis du es“, ich suche nach dem richtigen Wort, „verinnerlicht hast.“
 

Ich nippe nun schon an meinem vierten Cocktail und werde das Grinsen in meinem Gesicht nicht los. Habe ich eigentlich schon erwähnt, wie genial dieser Abend ist?

Schon seit mehr als einer Stunde frage ich mich aber, warum Joshua immer noch hier sitzt und nicht längst mit den Blondinen abgezischt ist. Allen Grund dazu hätte er ja, denn ich glaube, dass er so eine Niederlage wie diese nicht oft einstecken muss.

„Die haben dich doch nicht etwa ...“, ich kneife die Augen zusammen und schüttele kurz meinen Kopf, „abblitzen lassen? … Also die da meine ich“, deute ich verblüfft zu den beiden Grazien, die mir ohne es zu beabsichtigen drei Wünsche verschafft haben. Mh, wenn ich so darüber nachdenke, fange ich langsam an, sie ein wenig zu mögen. Ich drehe mich um und winke ihnen lächelnd zu. Die beiden verziehen ihre Gesichter und machen mir unverblümt deutlich, dass sie mich für völlig durchgeknallt halten.

„Du hast nichts verpasst“, wende ich mich wieder an Joshua und fasse mir mit den Händen an die Schläfen. „Die sind nicht nur tussig, …. sondern obendrein auch noch … unhöflich.“
 

„Wie kommst du eigentlich auf so einen Schwachsinn, dass ich abserviert wurde?“

Joshua legt einen Fuß aufs Knie und einen Ellbogen auf den kleinen mahagonifarbenen Tisch. Dann sucht er meinen Blick und hält ihn fest.

„Also?“
 

„Naja“, verunsichert legt sich meine Stirn in Falten, „weil du … noch hier bist?“
 

Muss der mich immer so intensiv anschauen, vor allem dann, wenn ich verzweifelt nach den richtigen Worten suche? Vorsichtshalber nehme ich noch mal einen kräftigen Schluck aus meinem Glas.

Und noch einen zweiten, man weiß ja schließlich nie, was der noch so alles vorhat.
 

„Schon mal dran gedacht, dass die beiden unter meinem Niveau sind?“

Selbstherrlich zieht er die Augenbrauen nach oben und grinst mich mal wieder mit dieser arroganten Note an.
 

Soll das jetzt heißen, dass ich in seinen Augen über denen stehe? Irritiert sehe ich noch mal zu den beiden hinüber und dann wieder zu Joshua.

Warum gibt er sich denn sonst noch mit mir ab? Wohl kaum, weil er nun nach Belieben in meiner Wohnung ein- und ausgeht. Oder doch?

Mit einem Schulterzucken tue ich meine Gedanken ab und widme mich lieber wieder meinem Cocktail. Da ich mich vorhin auf die Schnelle nicht entscheiden konnte und mir das Lesen der Karte ohnehin schwer fiel, bin ich bei Sex on the beach geblieben. Der schmeckt aber auch gut.

Vor allem die Farbe reizt mich immer. Wenn er meiner Meinung nach perfekt gemixt ist, dann hat er diese schöne rotpflaumige Farbe.

Ich rühre mit dem Strohhalm im Glas herum und erfreue mich an dem klackenden Geräusch, das die vielen, halb geschmolzenen Eiswürfel verursachen.
 

„Milly?“

Ich sehe plötzlich Hände vor meinem Gesicht herumwedeln.
 

„Hier!“

Bin doch da, was hat er denn nur?
 

„Milly?“
 

„Ja-ha, hie-ier.“

Ich schaue ihn fragend an.

„Was ist denn los?“
 

Anstatt was zu erwidern, reißt er mir das Glas aus der Hand, entfernt meinen schönen gelben Strohhalm und trinkt es doch tatsächlich einfach aus. Na, so was.

„Das war meiner“, murre ich.
 

„Du hattest genug für heute. Ich habe keine Lust, dich nachher heimtragen zu müssen.“
 

Fühlt der sich etwa für mich verantwortlich oder was? Bin doch kein kleines Kind, auf das man aufpassen muss.

„Bedienung?“, rufe ich und wedele wild in der Gegend herum.
 

„Das lässt du mal schön bleiben.“ So schnell, wie er nach meinen Händen greift, kann ich gar nicht schauen.
 

„Lass mich … los ... Ich will noch 'nen Cocktail.“

Nur wegen diesen ständigen Berührungen trinke ich doch, kapiert der das denn nicht? Ich will dieses verdammte Kribbeln und Krabbeln endlich loswerden. Doch wenn er meine Hände weiterhin festhält, dann klappt das nicht.

Angestrengt versuche ich meine Hände zu befreien, aber er gibt sie einfach nicht her. Dass er halb auf dem Tisch deswegen liegt, scheint ihn nicht mal zu interessieren.

Trotz meines Alkoholpegels spüre ich die Hitze, die sich zwischen uns ausbreitet. Also ich weiß nicht, ob er sie auch fühlt, ich jedenfalls vernehme sie ganz eindeutig.

Das Grün seiner Augen ist mir ziemlich nah, nach meinen Geschmack zu nah und doch kann ich nicht umhin, in es hineinzusehen.
 

Irgendwie muss ich plötzlich an einen Wald denken, an sattgrüne Bäume, an saftiggrünes Gras. Ich sehe vor mir, wie ich mich in die Wiese zwischen den Bäumen lege, alle Viere von mir strecke und mich gänzlich fallen lasse. Mit einem zufriedenen Grinsen liege ich da und fühle mich frei. Frei von allem, was mir etwas anhaben könnte.
 

Nach und nach mischt sich etwas Rotes in mein Blickfeld und ich beginne zu zwinkern.

„Möchtet ihr noch was?“, höre ich eine freundliche Stimme. Eine Sekunde später kann ich sie dann auch der netten Bedienung zuordnen, doch im selben Augenblick meint Joshua: „Nein danke, es ist besser, wenn ich sie demnächst nach Hause bringe.“

„Natürlich.“ Sie nickt verständnisvoll und schaut auf irgendetwas zwischen uns. „Ich bringe euch gleich die Rechnung.“
 

„Ähm!“ Doch ich finde meine Stimme erst wieder, als sie schon weg ist.

„Entscheide nicht einfach über meinen Kopf hinweg“, fahre ich Joshua an, der immer noch über dem Tisch hängt und meine Hände festhält. Ah, deshalb hat sie dahin gesehen! Kommt sie von dieser total überflüssigen Händchenhalterei auf den absurden Gedanken, zwischen ihm und mir herrsche sowas wie Harmonie? Wenn sie wüsste! Das hier hat rein gar nichts mit Romantik zu tun! Sollte ich ihr vielleicht gleich mitteilen, wenn sie mit der Rechnung kommt.

„Könntest du mich ... bitte ... endlich ... loslassen?“

Wenn er glaubt, ich setze dafür meinen ersten Wunsch ein, dann liegt er völlig falsch. Die brauche ich alle noch.
 

„Wünsch es dir doch.“

Ha, habe ich es nicht gesagt!?
 

Ich kneife noch mal kurz die Augen zusammen und versuche mich zu sammeln.

„Bitte, lieber Joshua, lass mich los.“

Ob meiner öligen Stimme fährt es mir selbst ganz kalt den Rücken herunter. Scheint ihm ebenso zu gehen, denn er gibt meine Hände tatsächlich frei.
 

Erleichtert atme ich auf.

Etwas desorientiert schaue ich mich um und wundere mich, dass jetzt zum Großteil ganz andere Leute an den Tischen sitzen als vorhin. So lange sind wir doch noch gar nicht hier. Umständlich krame ich in meiner Handtasche nach meinem Handy und drücke den einzig farbigen Knopf. Neben der Uhrzeit – es ist bereits nach Mitternacht – werden mir 3 unbeantwortete Anrufe angezeigt. Ups! Das ist nicht das erste Mal, dass ich das überhört habe. Nach drei Anläufen habe ich endlich mein Handy entsperrt und sehe, dass es Jessi war, die so verzweifelt versucht hat, mich zu erreichen.

Ohweh. Und das nach meinen wirren Nachrichten, die ich ihr hinterlassen habe.

„Entschuldige mich“, murmele ich und stehe auf.

Für einen Moment dreht sich alles und ich muss mich an meinem Stuhl festhalten, um nicht umzukippen.

„So ein Mist!“, fluche ich leise und kneife abermals kurz die Augen zusammen.

Was ist denn nur los? Ich hatte nicht mal ganz vier Cocktails, den Rest hat mir ja Joshua nicht gegönnt.
 

Zum Glück folgt er mir nicht, als ich mich auf unsicheren Beinen durch die Menschenmenge quetsche. Die Tische stehen eindeutig zu eng beieinander und ich rempele ständig jemanden an, aber ich habe gerade keine Muße, mich darüber aufzuregen. Ich muss Jessi schnellstmöglich zurückrufen, sonst macht sie sich unnötig Sorgen um mich. Ich hoffe, sie sitzt nicht wie ein Unruhegeist daheim vorm Telefon und spielt mit dem Gedanken, die Polizei zu rufen. Das ist wirklich nicht nötig.

Vielleicht sollte ich mich doch mal damit anfreunden, mein Handy immer in der Hosentasche bei mir zu tragen, auch wenn das bei mir ziemlich bescheiden aussieht. Das beult immer gleich so extrem, Erreichbarkeit hin oder her.

Als ich Frischluft einatme, übermannt mich ein erneuter Schwindelanfall. Ich torke erst mal zurück und suche mir dann neben den ganzen Rauchern, die hier herumstehen, an der kalten Hauswand Halt, entferne mich noch ein Stück und suche im Telefonbuch nach Jessis Nummer. Kaum dass es ansatzweise zu klingeln beginnt, höre ich ein Knacken und dann ihre aufgeregte Stimme.
 

„Na endlich, Milly! Hast du eigentlich eine Ahnung, dass ich drauf und dran war, mich in mein Auto zu setzen und zu dir zu fahren?“
 

Ich beiße mir schuldbewusst auf die Lippe. Da habe ich also richtigerweise befürchtet, dass Jessi außer Rand und Band ist. „Tut mir leid, ich … hatte mein Handy ... mal wieder in … der Tasche“, erwidere ich kleinlaut und sehr langsam.
 

„Kannst du nicht wenigstens zwischendrin mal auf dein Display schauen? Ich meine ja nicht grundsätzlich, nur dann, wenn du solche seltsamen Nachrichten hinterlässt! Ich habe keine Ahnung, was wirklich bei dir vor sich geht. Deine SMS und deine E-Mail waren so widersprüchlich! Ist wirklich alles in Ordnung bei dir?“
 

„Ja, alles bestens. Tut mir wirklich leid, Jessi. Mir geht es gut. Ich schwör's.“

Ich muss mich auf jedes einzelne Wort konzentrieren, das ich sage, und es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich das alles von mir gegeben habe. So schwer ist mir das Reden, glaube ich, noch nie gefallen.

Nebenher schließe ich die Augen und atme tief ein uns aus.
 

„Dann erzähl mal, was genau bei dir los ist. Was ist das für ein seltsamer Kerl, der sich in deine Wohnung eingenistet hat? Wie kommst du überhaupt auf die Idee, ihn bei dir wohnen zu lassen? Wer hat das überhaupt veranlasst? Brauchst du einen rechtlichen Rat? Pass bloß auf dich auf!“
 

Moment, nicht so schnell, ich komme ja gar nicht mehr mit. Ich nehme das Handy vom Ohr und reibe mir die Augen.

„Also es ist so“, setze ich an, als ich das Handy wieder hochhalte, doch ich muss mich so wahnsinnig darauf konzentrieren, die Worte deutlich auszusprechen, dass ich nicht weiterrede.
 

„Milly?“, schallt es aus dem Lautsprecher.
 

„Nicht so laut, bin ja da.“

Irgendwie erinnert mich das gerade an was. Ich schüttele den Kopf und versuche, meine ganze Aufmerksamkeit auf Jessi zu lenken.

„Mein Vermieter hat mich gebeten, auf Joshua aufzupassen.“

Oder so ähnlich.
 

„Verstehe ich richtig, dass du Babysitter für einen erwachsenen Menschen spielen sollst?“
 

Gerade als ich bejahen möchte, wird mir das Handy aus der Hand gerissen. Joshua lehnt sich neben mich an die Wand und grinst mich an.

„Milly ist gerade nicht ganz sie selbst“, meint er zu Jessi.

Ich will lautstark protestieren, doch ich bringe nicht die Kraft dafür auf. Stattdessen rutsche ich nur weiter zu Joshua hinüber und versuche zu verstehen, was Jessi sagt, aber ich fange nur einzelne Satzfetzen auf.

„... mit ihr gemacht? … Milly? … sofort her! ....“
 

Unkontrolliert grabsche ich nach meinem Handy, bekomme es aber nicht zu fassen.
 

„Ich habe gar nichts gemacht. Was kann ich dafür, wenn sie sich betrinkt?“

Joshua wirft mir einen amüsierten Blick zu. Pah, der hat leicht reden, ich fasse ihn ja auch nicht ständig an, sodass er so etwas tun müsste.

„… Hör mir zu, … nach Hause ... ja … richtig … kann man so nicht sagen … ciao.“

Er legt auf, steckt mein Handy in meine Handtasche, die ich gerade erst entdecke, und dann legt er einen Arm um meine Taille.

Diese verdammte frische Luft hier draußen bekommt mir gerade gar nicht. Und da ich es langsam leid bin, mich ständig gegen ihn zu wehren, schmiege ich mich an ihn und lasse mich mitziehen. Auf das kommt es heute auch nicht mehr an.
 

„Schüttest du das Zeug immer so in dich hinein?“
 

„Mh?“

Ich schiele nach oben, sehe aber nur undeutliche Schemen vor mir.

Nein, eigentlich mache ich das nicht. Wieso?
 

„Du bist mir vielleicht eine.“
 

Dann spüre ich so etwas wie eine Kopfnuss.

Ich will mich revanchieren, doch sein Griff um mich ist so fest, dass ich mich kaum rühren kann. Bitteschön, dann halt nicht. Morgen ist auch noch ein Tag für Rache.
 

Ich habe keine Ahnung, wie lange wir brauchen, bis wir ein Taxi finden, dem ungeachtet bin ich froh, dass ich mich endlich wieder setzen kann.

Während der Fahrt rauschen bunte, verschwommene Lichter an mir vorbei und ich habe das Gefühl, mit offenen Augen zu schlafen.
 

„Milly?“

Immer wieder werde ich angestupst.
 

Mit der Rechten wedele ich herum ohne den Blick vom Fenster zu nehmen und vernehme ein leises Lachen.
 

Erst als die Tür vor mir aufgeht, realisiere ich, dass sich die Lichter vor meinen Augen nicht mehr aufgrund der Autofahrt drehen. Ich stolpere aus dem Taxi und schleppe mich mit Joshuas Hilfe die Treppen hinauf und falle sofort – so wie ich bin – ins Bett.
 


 


 

Au! Mein Magen krampft sich zusammen und ich krümme mich in meinem Bett. Dann, wenn andere mit dröhnenden Kopfschmerzen aufwachen, verspüre ich nagende Schmerzen in meinem Bauch.

Nach und nach puzzle ich die letzte Nacht in meinem Kopf zusammen und kann gar nicht glauben, dass ich mich dazu herabgelassen habe, mich halb zu betrinken.

Als ich zu der Stelle komme, wo Joshua mich in den Arm nimmt und zu einem Taxi geleitet, vergrabe ich mein Gesicht in meinem Kissen.

Wie peinlich bin ich eigentlich?

Derart benommen war ich noch nie nach ein paar Cocktails.

Noch nie!

Ich bin zu alt für so was. Halb so wild, wenn das einem Teenager passiert, aber einer erwachsenen Frau?

Vielleicht hätte ich solche Erfahrungen doch früher öfter sammeln sollen, so wie es mir mein Bruder immer unter die Nase reibt. Aber nein, ich musste ja beschließen, dies in meinen jungen Jahren auszulassen und ein auf ganz brav und sittsam zu machen.

Und jetzt?

Ich stöhne in mein Kopfkissen.

Am besten, ich bleibe heute einfach liegen und lasse meinen nächtlichen Totalausfall einfach verjähren.
 

Das einzige, was mich ein wenig beruhigt, sind die drei Wünsche, die ich mir erspielt habe. Bei dem Gedanken an Joshuas entgleistes Gesicht, als er das Geburtsjahr auf meinem Perso entdeckt hat, muss ich sogar ein wenig in mein Kissen lächeln.

Ich finde es immer noch absolut genial, dass ich auf diese Idee gekommen bin und auch noch gewonnen habe. Immerhin wusste keiner von uns beiden, wie alt der andere ist. Die Wette war vollkommen fair und ich hätte genauso gut den Kürzeren ziehen können.

Ich glaube, ich habe Joshua ganz schön damit genervt, ihm immer und immer wieder zu sagen, dass Wettschulden Ehrenschulden sind.
 

Mir ist das wirklich peinlich. Klar wollte ich meine Gefühle ausschalten, doch dass ich derart damit übertreibe, konnte ich ja nicht ahnen. Normalerweise vertrage ich ein paar Cocktails und mir dämmert so langsam auch, warum es dieses Mal mächtig daneben ging. Auf nüchternem Magen zu trinken, ist dumm und ich könnte mich dafür schelten, dies wirklich getan zu haben. Joshua hat mich bereits nach meiner Heimkehr von der Arbeit empfangen und solange belagert, bis wir endlich in die Stadt aufgebrochen sind. Irgendwie habe ich da das Essen ganz vergessen.
 

Joshua ist also schuld.

Erst esse ich wegen ihm nicht und dann trinke ich wegen ihm.
 

Da fällt mir ein … er hat mich nach Hause gebracht? Er hat sich die Mühe gemacht, mich wohlbehalten ins Bett zu bringen?
 

Irgendwas stimmt da nicht.

Das passt nicht zu ihm.

Ganz und gar nicht.
 

Wer ist denn hier der Großkotz und die Arroganz in Person?
 

Wer musste denn bei mir einquartiert werden, weil es kein anderer mit ihm aushält?
 

Plötzlich klopft es an meiner Tür. „Komm schon raus, Milly, zeig dich, ich weiß, dass du wach bist.“
 

Weißt du gar nicht!
 

„Deine vor Peinlichkeit ausgestoßenen Seufzer kann man bis sonstwo hören.“
 

Genau diese sarkastische Art meine ich. Wie kann so jemand so viel Anstand haben, mich in so einem Moment nicht allein zu lassen?
 

„Soll ich dir erzählen, was wir heute Nacht so alles gemacht haben?“, fragt er mit einem Unterton, der alles andere als jugendfrei ist.
 

„Ich kann mich an alles erinnern!“, rufe ich und verrate mich damit selbst, denn schon geht die Tür auf und ein quietschfideler Joshua lehnt sich in den Türrahmen, perfekt angezogen wie immer. Heute trägt er ein dunkelgrünes, figurbetontes Shirt und eine schwarze Jeans. Die Kette mit dem silbernen Anhänger baumelt wieder an seinem Hals.
 

Ich sehe zu, die Bettdecke über meinen Kopf zu ziehen. „Hau ab“, brumme ich.
 

Ja, mir ist das peinlich. Und wie!

Natürlich auch der Umstand, dass ich mich gerade wie ein Kleinkind unter der Bettdecke verstecke.
 

„Och, komm schon. Du darfst dich auch noch mal wie ein Kätzchen in meine Arme schmiegen. Ich beiß auch nicht.“
 

Ich ziehe es vor, mich nicht zu rühren, in der leisen Hoffnung, dass er dann die Lust an mir verliert und wieder geht.
 

„Weißt du eigentlich, dass du, wenn du betrunken bist, total anlehnungsbedürftig bist? Da kommen keine Schimpftiraden, ich solle dich nicht anfassen.“
 

Okay, ich bezweifle ja schon, dass er gehen wird.
 

Mhh, und wenn ich jetzt ganz selbstbewusst aufstehe und an ihm vorbeistolziere, hört er dann auf, auf letzter Nacht herumzureiten?

Ein verlockender Gedanke. Sogar so verlockend, dass ich meine Decke zurückwerfe, langsam aufstehe und ihm entgegentrete.
 

„Wow, du siehst noch fertiger aus, als ich angenommen habe.“
 

Merci!

Ich zwinge ein Lächeln auf meine Lippen und gehe mit straffen Schultern an ihm vorbei.
 

„Stehen deine Haare nach so einer Nacht immer so zu Berge? Oder war ich das, als ich meine Hände nicht bei mir behalten konnte?“
 

Einfach weitergehen und nicht reagieren. Würde bewahren! Zumindest das klitzekleine Bisschen, das von ihr übriggeblieben ist.
 

Kurz bevor ich das Bad erreiche, tritt er hinter mich und streckt einen Arm neben mir aus. Mit der Hand stößt er die Badezimmertür auf, die nur angelehnt war.

„Bittesehr die Dame. Eine Dusche hast du bitternötig.“
 

Ich kratze meine ganze Selbstbeherrschung zusammen, die ich habe, und wende mich zu ihm um.

„An deiner Stelle würde ich so langsam den Mund halten. Je unerträglicher du dich aufführst, desto verheerender werden meine Wünsche ausfallen. Und um mich zum x-ten Male zu wiederholen, mein Lieber, Wettschulden sind Ehrenschulden. Du wirst sie bedingungslos zahlen, ob dir das gefällt oder nicht.“

Dann trete ich zwei Schritte vor und schließe hinter mir die Tür. Kaum dass uns das dünne Holz trennt, sacke ich auf die Knie und halte mir den Bauch. Autsch, tut das weh.

Ein Wunder, dass ich eben solange aufrecht stehen und dabei auch noch mit fester Stimme reden konnte.

Immun gegen Kopfschmerzen zu sein, heißt noch lange nicht, dass Alkohol an einem spurlos vorbeigeht.

Unter Qualen richte ich mich auf und krame in einer der vier Schubladen meines weißen, kleinen Badschranks nach einer Ibuprophen. Anderes Schmerzmittel habe ich gerade nicht da und obgleich das sicherlich nicht unbedingt die beste Medizin für einen angegriffenen Magen ist, schlucke ich dennoch eine davon mit ein wenig Wasser herunter.
 

Den Blick in den Spiegel sollte ich mir eigentlich lieber ersparen, aber ich schaue mich dennoch an. Joshua hat nicht mal viel übertrieben, ich sehe wirklich fertig aus. Glanzloses braunes etwas mehr als schulterlanges gestuftes Haar, das etwas wild absteht, müde braune Augen und verschmierter schwarzer Kajal stellen mein erschreckendes Ebenbild dar.
 

Egal, wie ich Joshua gerade vor den Kopf gestoßen habe, ich weiß haargenau, dass ich mich heute noch auf einiges gefasst machen muss. Er wird alles, was ich heute Nacht getan habe, gegen mich verwenden.

Wer sich so gehen lässt, hat es auch nicht anders verdient.
 

Selbst nach einer heißen unendlich langen Dusche fühle ich mich nicht bedeutend wohler. Als ich mich anziehen will, fällt mir auch noch auf, dass ich gar nichts Frisches zum Anziehen hier habe. Normalerweise liegt immer was hier rum, was man sich mal eben überwerfen kann, doch seit Joshua hier vor zwei Tagen plötzlich aufgetaucht ist, lagere ich meine gesamte Wäsche, ob dreckig oder noch tragbar, in meinem Schlafzimmer. Daran hätte ich ruhig denken können, ehe ich mich aus meinen Klamotten von gestern schäle und unter die Dusche steige.

Ich wickle mein riesiges rotes Handtuch um mich und beiße mir auf die Lippe. Kann ich wirklich in diesem Aufzug jetzt dort rausgehen und mich Joshua stellen?

Skeptisch schaue ich an mir herab. Im Prinzip habe ich ja genug Stoff um mich herum, und doch hadere ich erst noch ein wenig, ehe ich die Tür aufschließe und in den Flur trete. Schnell husche ich durch den Gang, meide jeden Blick in den Wohnbereich, den ich passieren muss, und öffne meine Schlafzimmertür. Vor Schreck lasse ich fast das Handtuch los, als ich Joshua auf meinem Bett erblicke.
 

„Ich dachte mir schon, dass du so in der Art hier auftauchen wirst, als ich hörte, wie die Dusche anging.“
 

„Also dachtest du, du machst es dir einfach mal in meinem Bett gemütlich und wartest auf mich?“

Was fällt ihm eigentlich ein? Dass er mich heute Nacht nach Hause gebracht hat, verschafft ihm noch lange nicht das Recht, in meiner Wohnung vollends zu tun und zu lassen, was ihm gefällt.
 

„Ja, das kommt hin. Hey, sieh es so. Es ist schon Mittag, ich habe mal wieder keinen Morgenkaffee bekommen und liege bloß in deinem Bett anstatt mit dir deswegen zu diskutieren und deine Gastfreundlichkeit infrage zu stellen.“
 

Bloß?

„Wie du sagst: mein Bett! Darin hast du nichts verloren. Jedem anderen würde ich mein Bett überlassen, aber dir gewiss nicht.“
 

Kann er vielleicht mal gehen, sodass ich mich anziehen kann? Ich fühle mich ja schon etwas unwohl, nur mit einem Handtuch bekleidet vor ihm zu stehen.
 

„Du musst dich nicht so verkrampfen. Dieses Ungetüm von Handtuch verdeckt mehr als deine Kleidung vorhin.“
 

Ist er jetzt schon imstande, meine Gedanken zu lesen?
 

Er erwartet doch nicht ernsthaft, dass ich vor ihm an meine Schubladen gehe und mir einen BH und einen Slip suche? Mir ist durchaus bewusst, dass er so was schon tausendfach live gesehen und der einen oder anderen ausgezogen hat, so ist das ja nicht.

Ich mache einen Schritt nach links, gehe in die Hocke und ziehe den Karton mit der Kaffeemaschine aus der hintersten Ecke hervor.

„Bittesehr.“ Ich halte Joshua beides entgegen. „Jetzt hast du alles zusammen. Wie man das Teil bedient, solltest du selbst wissen.“

Leider geht mein Plan nicht auf und Joshua bleibt ungerührt liegen, weshalb ich den Karton vor seinen Füßen aufs Bett stelle.

Also möchte er mich tatsächlich so lange provozieren, bis ich wütend wieder im Bad verschwinde oder mich sonstwie aufrege. Die Rechnung hat er allerdings ohne mich gemacht. Sobald man mich herausfordert, mache ich genau das, was der andere nicht erwartet. Mit stoischer Gelassenheit stelle ich mich mit dem Rücken zu ihm, öffne eine Schublade und eine Schranktür nach der anderen und suche mir alles zusammen, was ich brauche, um mich vernünftig anziehen zu können. Dabei mache ich auch keinen Hehl daraus, meinen schwarzen BH ganz oben auf den Wäscheberg in meinem linken Arm zu stapeln.

Ich drehe mich um und schaue Joshua an. „Das Kaffeepulver liegt oben in der Kühlschranktür, die Filter findest du im Schrank neben dem Ofen, die kannst du nicht übersehen.“

Den Blick in seinen tiefgrünen Augen kann ich nicht deuten. Ist es Überraschung oder doch eher nur überhebliche Arroganz?

Da er nichts sagt, lasse ich ihn allein und laufe zurück ins Bad. Während ich mich anziehe, höre ich, wie in der Küche hantiert wird.
 

Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich fahre ein letztes Mal mit dem Mascara über meine Wimpern.



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück