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Triangel

von

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Drei

„Domenik?“, hörte ich eine tiefe Stimme fragen und konnte sie zunächst nicht zuordnen, auch wenn sie mir vertraut erschien. Schlagartig nahm ich den Geruch von Kaffee wahr und versuchte mich gedanklich zu orientieren. Kaffee... Natürlich, ich war im Café gewesen und hatte Lykke getroffen. Ich hatte mich angeregt mit ihr unterhalten, aber das war nicht das Letzte woran ich mich erinnnern konnte. Realisierend, dass ich im Krankenhaus sein musste, kämpfte ich immer noch mit meinen Augen und wollte etwas sagen. Meine Arme fühlten sich an wie gelähmt, ebenso schwer wie meine Augenlider. Den Kopf konnte ich drehen, doch dieser fiel mehr zur Seite als dass ich ihn unter Kontrolle hatte. Mein Mund war trocken, mein Hals schmerzte und brannte. Und dann fiel mir ein, was passiert war. Dass ich von einem Auto frontal angefahren und durch den Aufprall in die Luft geschleudert worden war.

„Domenik, wenn du mich hörst, ich bin es, … dein Vater“, führte die Stimme aus. Als ich schließlich meine Augen öffnen konnte, sah ich ihn verschwommen an meinem Bett sitzen und ich bildete mir ein, dass er tatsächlich besorgt aussah. Besorgt? Warum?

„Es ist alles in Ordnung. Du hattest einen schweren Unfall, aber du bist nicht in Gefahr“, seine Stimme klang wacklig. Sollte das tröstlich sein? Wenn ich nicht in Gefahr war, warum war sein Blick besorgt? Das Wissen dass der eigene Sohn ein Leben gut hatte, schützte wohl nicht vor elterlicher Fürsorge oder der Angst ums Kind.

„Was habe ich?“, brachte ich schließlich zustande zu fragen und schluckte hart. Er wusste, dass er mich nicht mit Informationen verschonen musste.

„Drei gebrochene Rippen, einige innere Blutungen, ein gebrochenes Bein und eine schwere Gehirnerschütterung. Die Ärzte...“, er stockte, mein Blick wurde klarer und fiel dabei auf ein gefülltes Wasserglas. „Die Ärzte sprechen von einem Wunder“.

Ich weiß nicht, woran es lag: An den Schmerzen, der Verwirrung oder den Medikamenten, die ich vermutlich bekommen hatte, aber die Aussage brachte mich zum lachen, es klang bitter und ich schüttelte den Kopf.

„Das glaubst du doch nicht“, flüsterte ich heiser und streckte meinen Kopf Richtung Wasser. Wann hatte ich das letzte Mal solchen Durst gehabt? Einen Moment lang war mein sonst so souveräner, sicherer Vater bewegungslos und der Schreck stand ihm immer noch ins Gesicht geschrieben. Als er sich endlich in Bewegung setzte, griff er nicht nach dem Wasserglas, sondern nach einem dieser Krankenhausbecher und führte ihn an meinen Mund. Es fiel mir unglaublich schwer daraus zu trinken – und unglaublich schwer zu glauben, dass ich wirklich Glück gehabt hatte. Wenn das mein verbliebenes Leben war und kein Wunder, warum fühlte ich mich dann dermaßen elend?

Ich trank soviel ich konnte und brauchte. Das letzte Gespräch mit meinem Vater über unsere besondere Eigenschaft war nicht sehr gut verlaufen und ich hatte keinerlei Interesse daran, es zu wiederholen.

„Ich bin müde“, krächzte ich und er nickte nur, den Raum verlassend. Kurz bevor ich einschlief hallte ein Satz meines Vaters aus besagten Gespräch in meinem Kopf. Damals hatte ich noch nicht geahnt, wie recht er haben würde.
 

„Lykke!“, rief eine Männerstimme laut und durchdringend, aber es war nicht meine. Ich hörte Schritte und ich fühlte mich immer noch so unfassbar müde.

„Seine Augen zucken schon seit Längerem... Ich glaube, er kommt bald zu sich“, sprach abermals die mir unbekannte Stimme.

„Domenik?“, hörte ich Lykke fragen. „Hörst du mich?“.

Eine Mischung aus Räuspern und Seufzen bildete meine Antwort.

„Domenik, hier ist Lykke. Ich... Ich wollte sehen ob es dir gut geht und ob ich irgendetwas tun kann“, erklärte sie unsicher. Ihre Stimme klang seltsam nüchtern dabei. Nichts von der Leichtigkeit und Freude war zu hören die ich zuvor noch so anziehend fand. Ich öffnete meine Augen und sah alles viel klarer als an dem Tag an dem ich zum ersten Mal zu mir kam.

Alles was danach passierte und gesagt wurde, nahm ich kaum wahr und wurde sogleich aus meiner Erinnerung verdrängt. Genau ab dem Augenblick in dem mein Verstand begriff, was vor sich ging...

In diesem schwachen Moment wünschte ich mir, ich sei kein Wunder, sondern nur ein normaler Mensch. Dann hätte ich mich nicht so unbeschreiblich dämlich fühlen müssen, so töricht, so naiv. Wieder verhöhnte mich der Satz meines Vaters: 'Es lohnt sich nicht, für die Liebe zu sterben'.
 

Wenn ich jemanden diese Geschichte erzählen würde, könnte die Frage aufkommen wie man sich innerhalb kürzester Zeit so sehr in einen anderen Menschen verlieben kann, dass man sein Leben für ihn riskiert. Ungeachtet der Tatsache, ob man der Meinung ist, dass man mehrere habe, würden es viele Menschen als Irrsinn abtun und den Kopf schütteln. Doch ich bin der Meinung, dass niemand die Liebesgefühle eines anderen verstehen kann und ich keinem dafür Rechenschaft schuldig bin. Vielleicht war ich nur in die Idee einer Frau oder möglichen Beziehung verliebt gewesen, vielleicht hatte mich aber etwas an ihr ernsthaft begeistert was mich mein Leben riskieren ließ.

Wenn ich so drüber nachdenke, ist Lykke das Gegenteil von mir. Sie scheint stets auf gefährlichem Fuß zu leben – zumindest was ihre schusslige Unachtsamkeit betraf.

Und doch waren es diese kleinen Gesten und Details, die sie so unendlich sympathisch machte. Sie war in einer Weise perfekt unperfekt wie ich es noch nie erlebt hatte. Die fehl platzierte Sahne die sie sich anmutig von ihrer vollkommenen Lippe geleckt hatte, die kleine unzähmbare Strähne ihres glänzenden Haares die ihr immer wieder in die Stirn gefallen war, waren nur einige Beispiele für das, was mich an ihr fasziniert hatte.

Hätte ich Lykkes Leben ebenso gerettet, wenn ich den Ring an ihrem Finger als das identifiziert hätte, was er war, als ich ihre Hand schüttelte? Keine einfache Frage. In den Jahren, die vergangen waren, seitdem ich wusste, dass ich zweimal sterben konnte, hatte ich immer einen Sinn darin gesucht.... und welchen besseren Sinn gibt es, als sein Leben für einen Menschen zu opfern, von dem man wollte, dass er gesund ist? Hatte es sich wirklich nicht gelohnt? Wenn es mir keine Liebe geschenkt hatte, so bekam ich in jedem Fall eine essentielle Erkenntnis.

Mein Leben ist kein sprichwörtlicher Kreislauf, als vielmehr ein gleichschenkliges Dreieck, das sich genauso schließt und Sinn ergibt. An einem Eck angekommen, fängt es zwar nicht neu an, schickt mich jedoch auf eine neue Reise. Auf mein bisheriges Leben rückblickend möchte ich daran glauben, dass ich richtig gehandelt habe und nun in aller Ruhe das verbliebene Leben genießen kann, ohne mich fragen zu müssen, was ich damit anstellen soll.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Gurgi
2011-11-03T21:47:57+00:00 03.11.2011 22:47
So, endlich komme ich dazu meinen Kommentar zu schreiben (zuviel Stress auf der Arbeit). Erst einmal muss ich sagen, dass mir deine Geschichte sehr gut gefallen hat, dein Stil war wie immer sehr schön zu lesen, und deine Idee sehr erfrischend. Besonders gut hat mir diese Stelle hier gefallen:

>Sie war in einer Weise perfekt unperfekt wie ich es noch nie erlebt hatte

Eine schönerer Aussage habe ich hier schon lange nicht mehr gelesen, weil sie für mich den Kern der Anziehungskraft zwischen den beiden (wie einseitig auch immer) schnörkellos einfängt.
Allerdings muss ich auch sagen, dass mir persönlich das Ende etwas zu abrupt war. Ich hatte während dem lesen einpaar Mal gedacht, was man daraus alles noch machen könnte, bzw. was mit den Charakteren passieren könnte, daher war ich, als ich fertig war etwas überrascht, wie du alles hast enden lassen. Ein vollkommen gutes Ende, aber irgendwie hätte ich gerne noch mehr gelesen... Muss ich halt auf eine neue Geschichte warten =)!

In diesem Sinne, danke für die Geschichte, mir hat sie gut gefallen!"

Gurgi



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