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Fairytale

das Leben ist ein Märchen- oder auch nicht
von

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Versnobte Kellner, verhunzte Entschuldigungen und Vergangenheit

Wie konnte es eigentlich sein, dass man seine besten Kleider trug und sich trotzdem fühlte, als wäre man ein Penner und gerade unter einer Brücke hervorgekrochen?

Diese Frage stellte Amber sich, seit sie das Restaurant betreten hatte. Der Kellner hatte sie angesehen, als ob er sie und die Kinder am liebsten wieder vor die Tür gesetzt hätte. Das vermutlich einzige das ihn davon abhielt war Alex, der vor der Tür auf sie gewartet hatte und den der Kellner offenbar kannte.

Jetzt saß Amber ihrem derzeitigen „Freund“ gegenüber und traute sich kaum etwas zu essen, vor lauter Angst sie könne einen Fleck auf der blütenweißen Tischdecke hinterlassen.

Die missbilligenden Blicke der anderen Gäste waren keine große Hilfe. Dabei hatte sie ihre Bluse aus lila Satin eigentlich immer sehr schick gefunden.

Tja, so konnte man sich irren! Mit diesem Gedanken aß sie noch einen Bissen... ja was aß sie da eigentlich? Irgend etwas französisches. Die Auswahl hatte sie Alex überlassen, da sie sowieso keine Ahnung hatte, wie Trüffel, Kaviar und Co überhaupt schmeckten. Und einen guten Geschmack hatte er offenbar, das Essen war wirklich gut. Sogar die Kinder wirkten zufrieden, ganz im Gegensatz zum Kellner, der bei der Bestellung von „zweimal Nudeln mit Soße“ offenbar am liebsten tot umgefallen wäre. So was affektiertes! Erwartete der Kerl etwa, dass Kinder sich Tunfischsteaks mit Kaviar bestellten? Da lernte man MacDonalds wirklich ganz neu zu schätzen.

Aber wenn man von dem ganzen mal absah, fand Amber es eigentlich gar nicht mal so schlimm. Angestarrt werden war sie schließlich gewohnt, ob das nun an dem Ring am linken Ringfinger, den Kindern oder den Haaren vor dem Gesicht lag. Sie bekam sogar eine Unterhaltung mit Alex zu Stande, auch wenn größtenteils belangloses das Hauptthema war.

Zumindest solange, bis Lalita von der Toilette zurückkam und eine Spinne an der Wand sitzen sah.

Die einzige Spinne weit und breit in diesem blitzblanken Nobelschuppen und Lalita fand sie. Das Mädchen hasste Spinnen! Und aus genau diesem Grund begann sie zu schreien wie am Spies, worauf ein Herr am Nebentisch aufsprang und ihr helfen wollte. Leider machte der ihr noch mehr Angst. Ein Teufelskreis, der erst durchbrochen wurde, als Amber sich einmischte und ihre Tochter in den Arm nahm, sich bei dem Mann bedankte und Lalita zum Tisch zurückbugsierte.

Dort angekommen drängte sich ihr erneut eine Frage auf: Wer sah angepisster aus, der Kellner (schon wieder), Alex oder doch die ältere Dame am Nebentisch, die gerade etwas murmelte, das sich verdammt nach „ungezogene Gören“ anhörte? Schwierige Entscheidung!

„Was sollte das denn?“ zischte Alex, als sie sich wieder setzten.

„Musste sie dieses Theater ausgerechnet hier machen?“

„Ja musste sie, weil genau hier die Spinne saß!“ gab Amber zuckersüß zurück.

„So ein Theater wegen einer Spinne?“ Seine zukünftige Lordschaft sah aus, als verstünde er die Welt nicht mehr.

„Sie hat Angst vor Spinnen.“

„Und?“

„Was und?“

„Das war es schon? Sie stellt sich hin und schreit, nur weil sie Angst vor einer Spinne hat?“

„Ist das etwa nicht Grund genug?“ Alex sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, was in Amber den Wunsch weckte, ihm die Faust ins gutaussehende Gesicht zu knallen.

„Sie ist gerade mal sieben Jahre alt und sie hat Angst. Was sollte ein Kind deiner Meinung nach tun?“

„Vielleicht solltest du sie besser erziehen?“ Platsch.

Okay, ihm ein Glas Wasser überm Kopf auszuschütten war ungefähr genauso befriedigend wie ihm eine reinzuhauen und der entsetzte Gesichtsausdruck war Gold wert.

„Ich hoffe mal, dass dich das abkühlt! Und wenn du mir Erziehungstipps geben willst: Komm wieder, wenn du selbst zwei Kinder großgezogen hast!“ Ihre grauen Augen sprühten dermaßen Funken, dass Alex sich fragte ob sie damit etwas in Brand setzten wollte, beziehungsweise konnte.

„Kinder, wir gehen!“ mit diesen Worten schnappte sie sich die Kinder, stürmte aus dem Raum und hinterlies einen Haufen völlig verdatterter Leute, die ihr ungläubig nachstarrten.

„Junge, da hast du dir eine mit Feuer unterm Hintern ausgesucht!“ meinte der Herr mit Vollbart, der versucht hatte Lalita zu helfen.

„Und was für ein Hintern!“ meinte ein junger Mann mit etwa siebzehn Jahren und pfiff anerkennend. Und ehe Alex sich versah gab es eine restaurantweite Diskussion über Hintern und Kindererziehung, wobei es sich einige nicht nehmen ließen, ihn mit Beziehungsratschlägen zu überhäufen, wobei von „sei toleranter“ bis zu „zeig ihr wer der Boss ist“ wirklich alles dabei war.

Der Angesprochene selbst schaltete einfach auf Durchzug und versuchte, seine Füße aus dem Fettnäpfchen zu ziehen, in dem er gelandet war. Obwohl, vielleicht wäre „Fass mit Walfischtran“ die bessere Bezeichnung?
 

Immer noch vor Wut kochend stapfte Amber, an jeder Hand ein Kind, über den Parkplatz zum nächsten Taxi und platzierte sich auf dessen Rücksitz. Phobie hin oder her, mit dem Taxi war sie wesentlich schneller als zu Fuß.

„Wo soll’s denn hingehen Fräulein?“ Im ersten Augenblick wollte sie ihre Adresse nennen, aber dann fiel ihr siedend heiß ein, dass Alex eine ganze Armee Bauarbeiter dorthin geschickt hatte, die das Haus sanierten, was es auch wirklich nötig hatte. Das führte leider dazu, dass das Haus vorübergehend unbewohnbar war, was wiederum dazu führte, dass sie bei Alex wohnten.

In Gedanken derbe Verwünschungen ausstoßend nannte sie die Adresse und kramte ihren Geldbeutel hervor.
 

Als Alex gefühlte hundert Stunden später endlich zu hause ankam, wollte er eigentlich nur seine Ruhe. Er vollgetextet worden wie noch nie in seinem Leben (und das in einem Restaurant, in dem normalerweise Gespräche im Flüsterton und nur den eigenen Tisch betreffend geführt wurden!) und als einige der älteren Herrschaften auch noch anfingen, über ihre Jugend zu erzählen („also zu meiner Zeit...“), nahm er beherzt Reißaus.

Er öffnete eine Tür, betrat den Raum und erstarrte. Amber und die Kinder saßen in einem der Sessel und schliefen.

Lalita saß auf dem Schoß ihrer Mutter und kuschelte sich an ihre Brust. Kito saß auf der breiten Lehne, sein Kopf ruhte auf Ambers Schulter. Amber selbst hatte je einen Arm um jedes Kind gelegt, ihre Wange schmiegte sie an Kitos dunklen Lockenkopf.

Die ganze Szene strahlte eine unglaubliche Wärme und Geborgenheit aus. Leise, um ja keinen der drei zu wecken, verlies er das Zimmer, ging in sein eigenes und schnappte sich den ersten Block, den er in die Finger bekam. Noch Bleistift und Radiergummi dazu und nichts wie zurück.

Im Halbdunkeln zu zeichnen war gar nicht so einfach, aber er wollte kein Licht machen. Zu groß war die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aufwachen könnte und dann wäre das Motiv dahin.

Etwa eine halbe Stunde später hatte er die Skizze fertig und legte Block und Stift beiseite, worauf letzterer sich selbstständig machte, über den Tisch rollte und klackernd zu Boden viel. Das leise Geräusch lies Amber aus dem Schlaf hochfahren.

Für einen Moment schien sie nicht zu wissen wo sie war, dann funkelte sie ihn wieder an.

„Was willst du?“ Er ging nicht weiter auf die Frage ein, sondern zeigte auf die schlafenden Kinder.

„Brauchst du Hilfe?“ Ohne auf eine Antwort zu warten hob er Lalita vorsichtig hoch, bemüht sie nicht zu wecken. Kurz dachte er, sie würde eine Szene machen, dann aber stand sie mit Kito auf dem Arm auf und wandte sich ohne ein Wort zu sagen zur Tür um.

„Tschuldigung“ murmelte er auf dem Weg zum Zimmer der Zwillinge plötzlich, worauf Amber beinahe ihre Tochter fallen gelassen hätte.

„Wie bitte?“ ihr Auge weitete sich ungläubig.

„Ich habe gesagt, dass es mir Leid tut! Ich bin einfach nicht an Kinder gewöhnt...“ den Rest des Weges schwiegen beide.

„Darf ich dich etwas fragen?“ Kito wurde vorsichtig abgelegt.

„Was denn?“

„Könnten wir vielleicht ins Wohnzimmer gehen? Dann müssen wir nicht flüstern.“ Sie nickte, drückte ihrem Sohn einen leichten Kuss auf die Stirn und nahm ihm Lalita ab.

„Möchtest du vielleicht einen Kaffee?“

„Tee wäre mir lieber.“ Zumindest das sollte er hinbekommen. Die Haushälterin war zwar schon weg, aber Tee lag ihm Bereich seiner Möglichkeiten. Im sehr begrenzten Bereich seiner Möglichkeiten...

Als er eine viertel Stunde später das Wohnzimmer betrat war Amber schon da und gerade damit beschäftigt, sich die Nadeln aus dem Haarknoten zu ziehen, weswegen Alex fast das Tablett hätte fallen lassen. Die üppige Pracht reichte ihr fast bis zu den Knien.

„Also, was wolltest du fragen?“ Alex klappte den Mund wieder zu und räusperte sich.

„Also... du musst darauf nicht antworten, wenn du nicht willst!“ meinte er obwohl er es eigentlich wissen wollte, während er Tee einschenkte und ihr eine Tasse reichte.

„Jetzt stell erst mal deine Frage!“ meinte sie, gab einen Zuckerwürfel hinein, setzte sich auf einen Sessel und schlug die Beine unter.

„Wann und warum sind deine Eltern gestorben?“ Sie zuckte zusammen und er wollte sich schon entschuldigen, aber sie hob nur die Hand und so schwieg er.

„Wenn ich deine Frage beantworte, darf ich dann auch eine stellen?“ Wortlos nickte er. Was sie wohl wissen wollte? Dank der Presse gab es wenig, dass der Öffentlichkeit nicht bekannt war. Andererseits hatte sie ihn aber auch nicht erkannt...

Sie nahm einen Schluck aus ihrer Tasse und seufzte, bevor sie zu erzählen begann.

„Ich war damals fünfzehn Jahre alt...“ erschrocken schnappte Alex nach Luft. Fünfzehn? Gott, sie war noch ein halbes Kind gewesen!

„... und machte eine Sprachreise nach England. Während ich weg war haben sich meine Eltern und meine kleine Schwester einen Grippevirus eingefangen. Wäre eigentlich nicht weiter schlimm gewesen, wenn sie zum Arzt gegangen wären. Sind sie aber nicht.“ Ihre Stimme klang plötzlich bitter und sie umklammerte die Tasse so fest, dass ihr Knöchel weiß wurden.

„Das ist eine blöde Angewohnheit von uns gewesen. Wir sind immer erst zum Arzt, wenn wir schon mehr tot als lebendig waren. Und als sie dann endlich gingen war es schon zu spät...“ Ihre Stimme brach und sie wischte sich eine Träne weg, die ihre Wange hinunter rollte.

„Eine Grippe an sich ist eigentlich recht harmlos, aber sie schwächt das Immunsystem erheblich, wenn man sich nicht schont...bei Ruby entzündete sich der Herzmuskel, meine Eltern bekamen eine Hirnhautentzündung...“

Jetzt weinte sie wirklich. Zusammengesunken saß sie auf dem Sessel, die Tasse noch in beiden Händen. Alex saß neben ihr bevor er überhaupt wusste was er tat und nahm sie in den Arm. So blieben sie eine Weile und er suchte fieberhaft nach einem Thema um sie abzulenken.

„Deine Eltern hatten es mit Edelsteinen, oder? Amber und Ruby... ein drittes Kind hätten sie vermutlich Sapphire oder Gem genannt...“ am liebsten hätte er seinen Kopf gegen eine Wand geschlagen. Ein blöderes Thema hätte ihm nicht einfallen können, oder? Zu blöd, dass keine Wand da war. Zumindest keine, die er hätte erreichen können ohne die Frau in seinen Armen loszulassen, was er aber aus irgendeinem Grund nicht wollte.

„Den Namen habe ich ihr verpasst. Eigentlich hieß sie Rebekka.“ Sie lachte leise bei der Erinnerung an ihr quirlige Schwester, die ihr überallhin gefolgt war.

„Amber bedeutet ja Bernstein und das war für mich ein Edelstein. Und ich fand es unfair, dass ich wie ein Edelstein hieß und sie nicht. Also bin ich in die Bücherei, habe mir ein Buch über Edelsteine ausgeliehen und einen passenden Namen für sie gesucht. Sie trug immer eine rote Schleife, deswegen habe ich mich für den Rubin entschieden. Und weil mir das englische Wort Ruby besser gefiel wurde aus Rebekka Ruby. Bald nannten sie alle so, später sogar die Lehrer. Für ihren richtigen Namen war sie praktisch taub...“ sie verstummte, verloren in Erinnerungen an glückliche Zeiten.

„Was wolltest du mich eigentlich fragen?“ meinte er etwas später. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

„Warum ist dieses Geschäft so wichtig für dich? Warum gehst du so weit dafür?“ Diesmal war er es, der seufzte.

„Es geht mir gar nicht so sehr um den Deal... Ich will der Welt, und noch mehr mir selbst, beweisen, dass ich es schaffen kann.“

„Und warum musst du das beweisen?“ in ihren grauen Augen stand Verwunderung.

„Ich war immer ein sehr guter Schüler, weißt du? Aber in der Schule kursierte das Gerücht, die Lehrer würden mich bevorzugt behandeln. Und das schlimmste war, dass ich nicht wusste ob das stimmte oder nicht. Meine Familie ist sehr einflussreich und die meisten Lehrer hätten sich wahrscheinlich nie getraut mich streng zu bestrafen, selbst wenn ich ein Unruhestifter gewesen wäre, aus Angst vor den Konsequenzen.“

„Aber das heißt noch lange nicht, dass es wahr ist!“ meinte Amber entrüstete.

„Solche Vermutungen nur wegen deinem Familiären Hintergrund anzustellen ist doch... „

„Wenn man einem Kind eine Lüge lange genug erzählt glaubt es sie irgendwann. Und im Berufsleben wurde es auch nicht besser. Zwar sagt das niemand laut, aber die meisten glauben, ich würde meine Kontakte ausnützen.“

„Tust du das denn?“ sie drehte den Kopf, sodass sie zu ihm hinaufschielen konnte, ohne ihn von seiner Schulter zu nehmen.

„Nein! Und das will ich jetzt ein für allemal beweisen. Herr Koch war mir bis vor kurzem noch völlig unbekannt, ich habe keinerlei Verbindung zu ihm.“

„Das wird das Gerede aber nicht stoppen.“

„Aber wenigstens weiß ich dann sicher, dass es nur Gerede ist.“

Einen kurzen Moment schwiegen beide, verwundert darüber, soviel von sich preisgegeben zu haben. Dann streckte Amber ihm plötzlich die Hand hin.

„Na dann: auf gute Zusammenarbeit!“ Ein Lächeln huschte über Alex’s Gesicht. Vielleicht würde die nächsten Monate doch nicht so schlimm werden, wie er befürchtet hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  shinichi_san
2011-12-19T13:18:18+00:00 19.12.2011 14:18
Und mal wieder was dazu gelernt: Ärgere keine Mütter! Na gut, das kannte ich schon von meiner eigenen Mutter!!! XDDDD
Ich kann es auch nicht leiden, wenn mich blöde Restaurantangestellte blöd angucken, weil ich mit Bin ich froh, dass ich das nicht mache!
Aber die Entschuldigungen und den Einblick in die Vergangenheit fand ich auch sehr schön!
Wieder einmal ein gelungenes Kapitel!
Bis zum nächsten Mal!
LG


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