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Einmal ist keinmal

Doch zweimal... [Ivan/Gil]
von

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Déjà vu

Es hatte keine Zwischenfälle gegeben. Er war nicht die nächstbeste Straße nach Warschau gefahren. Er hatte Feliks nicht ‚besucht‘. Gilbert hatte es wirklich vollbracht stur durch Polen in den nun russischen Teil seines einstigen Imperiums zu fahren. Bis darauf, dass die Außentemperatur stetig gefallen war und es irgendwann vor der polnisch-russischen Grenze begonnen hatte zu schneien verlief die Fahrt auch wirklich ereignislos. Fast schon langweilig. Trist. Aber nun war er so gut wie am Ziel. Zwei, drei Minuten nur noch, dann sollte er angekommen sein.

Gilbert konnte sich selbst nicht genau erklären wieso, aber aus irgendeinem Grund war er aufgeregt. Sein Herz schlug schneller als sonst. Eine innere Unruhe machte sich in ihm breit. Entsprechend kam er nicht um rum das Gaspedal ein klein wenig fester zu treten. Dann; endlich. Das ersehnte Ortsschild. Калининград; Kaliningrad.

Der Preuße schnaubte abfällig. Nein, diesen Namen würde er sicherlich nicht akzeptieren. Er würde diesen Ort auch weiterhin mit Königsberg titulieren. Egal wie unbeliebt er sich damit eventuell machen würde. Aber vermutlich würde ihn sowieso niemand verstehen. Wieso sollte er auch russisch sprechen, wenn er sich nicht gerade unbedingt mit jemandem unterhalten musste? Maximal mit Gilbird würde er vielleicht reden – dies jedoch auf Deutsch –, aber ansonsten? Gut, vielleicht wenn er sich ein Hotelzimmer oder dergleichen buchen würde. Aber dann würde er wahrscheinlich nicht unbedingt über diese Stadt reden müssen.

Wo sein Gedankengang nun aber schon mal in diese Richtung floriert war: ‚Hotelzimmer‘ war eine ausgezeichnete Idee. Schließlich war es nun wirklich mehr als nur zu dunkel um eine Erkundungstour zu starten. Außerdem war Gilbert müde; und Gilbird hatte es sich inzwischen auch schon – wie geplant – auf der Jacke des Weißhaarigen bequem gemacht und schlummerte selig vor sich hin. Der Preuße würde es also seinem gefiederten Liebling gleichtun. Sobald er ein Hotel gefunden hatte. Doch als allzu schwer stellte sich dies nicht heraus. Gilbert war der kyrillischen Schrift noch mächtig genug um die Wegweiser und Hinweisschilder lesen zu können; wenn auch etwas stockend. Nichtsdestotrotz hatte er nach nicht ganz zwanzig Minuten ein Hotel gefunden, in dem er nächtigen konnte. Es erwies sich sogar als ganz annehmbar für den geringen Preis. Umso besser!
 

Als Gilbert am nächsten Morgen aufwachte und sich genüsslich streckte, bevor er einen Blick aus dem Fenster warf, stellte er fest, dass es draußen noch stockdunkel war. Eigentlich nicht weiter verwunderlich, schließlich war es so gut wie Winter und da wurde es nun mal erst spät hell und umso früher wieder dunkel. Etwas denkwürdiger war dann aber schon, dass er trotz der Zeitverschiebung von immerhin einer Stunde bereits um sechs Uhr morgens wach und wirklich munter war. Das waren immerhin gerade mal knapp sechs Stunden Schlaf; trotz der vorherigen, viel zu kurzen Nacht. Aber wenn sein Körper der Meinung war, nun bereits fit genug sein zu müssen, dann sollte es Gilbert recht sein.

Dennoch verweilte er eine gute viertel Stunde länger unter der wärmenden Daunendecke und beobachtete den neben ihm auf dem Kissen schlafenden Gilbird. Es war zu niedlich, wie er da lag; ja, lag. Er hockte nicht so, wie es für einen Vogel üblich sein sollte, sondern lag – beinahe menschlich – auf dem Rücken, die Flügel ausgebreitet. Der Preuße konnte bei dem Anblick nicht anders als leise zu lachen. Er wusste schon, warum er so vernarrt in dieses kleine Küken war. Nichtsdestotrotz quälte er sich nun doch aus dem gemütlichen Bett. Schlurfte gemächlich in das kleine Bad des Hotelzimmers. Er hatte am Vorabend schon festgestellt, dass es eher nüchtern eingerichtet war. Sowohl das Bad als auch das restliche Zimmer. Aber allzu sehr störte ihn dies gerade nicht. Hauptsache war dieses Mal gewesen, dass er die Nacht über nicht frieren musste, sondern es warm hatte. Und das hatte er ja nun gehabt. Ob er die nächste Nacht aber auch hier verbringen würde wusste er noch nicht. Vielleicht würde er es vom Frühstück abhängig machen. Vielleicht davon, was es hier in der direkten Umgebung gab oder ob er weitere Wege auf sich nehmen musste, um an interessantere Orte innerhalb dieser Stadt zu kommen. Vorausgesetzt es gab hier sowas wie ‚interessante‘ Orte.
 

Nachdem Gilbert geduscht, sich angezogen und Gilbird geweckt hatte blickte er auf die Uhr. Bis das Frühstück beginnen würde hatte er noch gut eine halbe Stunde Zeit. Irgendwie würde er die Zeit schon totzuschlagen wissen.

„Was meinst du, Gilbird? Wollen wir mal nachschauen, ob West schon bemerkt hat, dass wir weg sind?“

Fröhliches Piepsen als Antwort. Eigentlich wie immer. Dennoch sah der Preuße es als ein Ja an. Natürlich war es ein Ja. Als würde das Küken ihm widersprechen!

Also nahm Gilbert das Handy von dem kleinen Nachttisch neben dem Bett und schaltete es an. Gab die PIN ein. Wartete ab.

„Was zum…? Nicht ein Anruf? Keine SMS? Na schönen Dank auch! Der wird doch wohl nicht ernsthaft noch nicht geschnallt haben, dass ich weg bin?!“, zeterte der Weißhaarige aufgebracht, worauf Gilbird erschrocken von seiner Schulter flatterte und auf die Decke plumpste, in welche er gleich ein gutes Stück einsank.

Mit den Zähnen knirschend schaltete Gilbert das Mobiltelefon wieder aus und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden. Unglaublich. Da hatte er seine wertvolle Zeit damit verbracht Ludwig großzuziehen und wie dankte er es ihm?! Gar nicht! Warum nochmal war er zu ihm zurückgekehrt, als die Mauer gefallen ist? Ach ja, weil er so ein verdammt guter großer Bruder war und sich um den Jüngeren gesorgt hatte. Aber das war nun vorbei. Jetzt war das wichtigste im Leben des Preußen wieder er selbst; Gilbert, Gilbert und nochmal Gilbert! Sollte das Blondinchen doch bleiben, wo der Pfeffer wächst!

Um die in ihm lodernde Wut zumindest einzudämmen und nicht letztendlich das Hotelzimmer kurz und klein zu schlagen – was er eigentlich nur zu gerne machen würde; und zwar auf Ludwigs Rechnung! – schnappte er sich seine Wertsachen, zog sich seine Jacke über und stapfte aus dem Raum. Der Vorteil daran, dass es noch so früh war, war, dass er alleine auf den Gängen des Hotels war. Selbst vom Personal war noch nicht sehr viel zu sehen. So musste wenigstens kein Unbeteiligter unter ihm leiden. Lediglich Gilbird flatterte ihm hektisch hinterher. Er wollte nich schon wieder alleine gelassen werden.
 

Auf der Straße vor dem Hotel angekommen blies dem Preußen ein eisiger Wind ins Gesicht. Und mit ihm eine ganze Salve großer, kalter Schneeflocken. Es musste die ganze Nacht geschneit haben, denn der Schnee lag sicherlich schon dreißig, wenn nicht sogar vierzig Zentimeter hoch. Auch die Temperatur schien immer weiter gefallen sein, denn im Gegensatz zum Vorabend, als er aus seinem Wagen gestiegen war, wärmte seine Jacke ihn nun nicht mehr ausreichend. Seinen Mantel jedoch hatte Gilbert mit ins Zimmer genommen; und dahin wollte er jetzt eigentlich nicht zurücklaufen.

„Was soll’s… Das bisschen Kälte wird m i c h so schnell nicht unterkriegen.“, murmelte der Weißhaarige, vergrub seine Hände tief in den Taschen seiner gefütterten Lederjacke und stapfte die Straße entlang.

Gilbird hingegen schien das kalte Wetter schon mehr auszumachen, denn kaum dass er zu Gilbert aufgeschlossen hatte landete er auch schon auf dessen Schulter. Schmiegte sich eng an seinen Hals. Plusterte dann sein flaumiges Gefieder auf. Zauberte dem Preußen damit wieder ein leichtes Lächeln auf die Lippen.
 

Trotzdessen, das Gilbert in ständiger Bewegung war, fror er. Ziemlich sogar. Wohl nicht zuletzt deswegen, dass die Stahlkappen seiner Springer stark abgekühlt waren. Aber der Preuße wäre nicht er selbst wenn er sich davon kleinkriegen lassen würde. Es würde mehr brauchen als nur kalte Füße – im wahrsten Sinne – um ihn in die Knie zu zwingen! Er hatte doch nicht umsonst Kriege geführt, überlebt und gewonnen. Er hatte sich doch nicht umsonst für seinen kleinen Bruder aufgeopfert. Geopfert. Sicherlich würden das bisschen Schnee und die dazugehörige Kälte ihn nicht einmal ansatzweise fertigmachen. Wo käme man denn da sonst hin?

Selbstsicher in sich hineinlachend stapfte Gilbert weiter durch den Schnee. Dass es inzwischen weit nach elf Uhr morgens war und er somit das Frühstück verpasst hatte, kümmerte ihn nicht. Obwohl er davon eigentlich mit abhängig machen wollte, ob er in seiner jetzigen Unterkunft bleiben würde oder sich ein günstiger gelegenes Hotel suchen würde. Zu groß war der Drang geworden, sich die wohl einst wichtigste Stadt seines Lebens anzuschauen. Auch wenn dies mit einem komischen Gefühl in der Magengegend verbunden war.

Einerseits fühlte er sich in die Zeit zurückversetzt, als dieser Ort quasi ihm gehörte. Die Straßen, die Gebäude, die ganze Struktur schien so vertraut. Und doch so fremd, dass er sich fühlte, als wäre er zum ersten Mal hier. Ein wirklich befremdliches, wenn nicht sogar einschüchterndes Gefühl. Sogar für einen Mann mit einem Ego, das für einen ganzen Kontinent reichte. Doch dem war so. Er – Gilbert Beilschmidt, einst Preußen, nun nicht viel mehr als ein Bestandteil Deutschlands – fühlte sich mehr als nur unwohl, während er diese Straßen durchquerte. Er mochte dieses Gefühl nicht. Wirklich nicht. Es war grauenhaft in eine Straße einzubiegen, zu wissen, was sich einem offenbart und es dann – wenn auch etwas anders – vorzufinden.

Auch wenn Gilbert es sich eigentlich nur ausgesprochen ungerne eingestand: So schlechte Arbeit hatten Ivans Leute beim Wiederaufbau dieser Stadt gar nicht geleistet. Es war noch immer anschaulich. Wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie damals, als der Preuße hier noch das Sagen gehabt hatte. Dennoch fühlte er sich allmählich doch etwas wohler hier. Beinahe wohl genug um einfach hier zu bleiben. Aber konnte er das? Konnte er seinen Bruder einfach so alleine lassen?

„Natürlich kann ich. Die dämliche Kackbratze hat ja sicherlich bis jetzt noch nicht gemerkt, dass ich weg bin. Oder er freut sich darüber, alleine zu sein und hat sich deshalb noch nicht gemeldet. Pah. Und für sowas Undankbares reißt man sich den Arsch auf!“, zeterte Gilbert bei dem Gedanken an Ludwig leise drauf los; auf Deutsch, versteht sich.

Dennoch machte er auf dem Absatz kehrt und suchte sich seinen Weg zurück zum Hotel. Diese Stadt war doch zu groß, als dass er sich weiterhin zu Fuß umschauen konnte. Außerdem taten seine Füße dank der Kälte nun doch ziemlich weh.

Er würde dann auch gleich auschecken. Seine derzeitige Bleibe lag für seinen Geschmack doch zu weit abseits, als dass er es lange dort aushalten würde. Auch wenn es sicherlich teurer werden würde, würde er sich ein zentraler gelegenes Hotel suchen. So würde sich diese altbekannte und doch so fremde Metropole zumindest in der Hinsicht schneller erkunden lassen, dass die zu fahrenden – oder laufenden – Strecken in etwa gleichlang sein sollten.
 

Kaum dass der Preuße wieder bei seinem Hotel angekommen war, setzte er seinen Plan auch schon in die Tat um. Schnell war jenes Gepäck, welches er mit auf sein Hotelzimmer genommen hatte, wieder im Auto verstaut und fast ebenso schnell hatte er auch wieder ausgecheckt. Erst als er abermals zu seinem Auto zurückkehrte und einsteigen wollte, stockte er. Nicht, weil ihm eingefallen war, dass es sich vielleicht als schwierig erweisen könnte, so kurzfristig in einem zentral gelegenen Hotel noch ein Zimmer zu ergattern. Nicht, weil er etwas vergessen hatte. Nicht, weil sein Handy, welches er gerade wieder eingeschaltet hatte, nun doch klingelte und ein aufgebrachter, vielleicht auch besorgter Ludwig am anderen Ende der Leitung war. Nein. Gilbert stockte, weil er etwas sah, was er hier nicht erwartet hätte. Was er allzu bald nicht mehr zu sehen geglaubt hätte. Was er nicht sehen wollte. Was ihn dennoch glücklich stimmte. Auf die gleiche, merkwürdige Art und Weise wie diese Stadt. Und ihm auf der anderen Seite das Herz in die Hose rutschen ließ…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Gokiburi
2011-03-24T14:43:04+00:00 24.03.2011 15:43
O_ö Moment...
Wieso ist in Russland plötzlich Winter,obwohl Gilbert in Deutschland normale Sachen tragen konnte?...

Ich wette am Auto steht Ivan :'D


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