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James Norrington

Ⅰ. Ankerlichtung
von

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I. Die Romantik des Todes

Entlang des Horizonts zog sich ein schmaler Goldstreifen, der Himmel war grau und trug blasse, orangefarbene Wolken. Die Segel wellten sich in einem friedlichen Wind und das Meer glitzerte. Wenige Matrosen saßen auf den Masten und beobachteten das frühe Schauspiel der Natur, auf dem Oberdeck war ich fast allein. Lange hatte der Tag nicht so ruhig begonnen wie an diesem Morgen. Mein Herr Vater stand unweit von mir. Als der goldene Streifen sich mit müßiger Langsamkeit zusammengezogen hatte und sich die Rundung der Sonne über dem Firmament wölbte, wandte ich die Augen von dem grellen Schein ab und sah, dass er weiter über das Meer blickte, so als würde er auf irgendetwas warten. Mir ist bewusst, dass er nicht über die Erlaubnis verfügt, sich bei den Auseinandersetzungen unserer Nation mit anderen zu beteiligen, daher macht er ohne den königlichen Segen Jagd auf Seeräuber und Kaperfahrer. Piratenschiffe zu entern, das ist anders als das Kämpfen gegen ausländische Soldaten. Es geht leicht von der Hand. Er macht eines ihrer Schiffe ausfindend und übernimmt es, als würde das alles ihm nicht mehr als einen einzigen Tropfen Schweiß kosten. Wie mit ihnen verfahren wird, nachdem sie im Inneren unseres Schiffes verschwinden, ist mir nicht bekannt. Er lässt mich niemals so weit gehen, bei dem, was tief unter Deck geschieht, anwesend zu sein.
 

Ich wollte mich meiner Lektüre der Flaggenkunde zuwenden, die ich in den letzten Tagen, an denen der Sturm alles von uns abverlangt hatte, deutlich vernachlässigt hatte. Gerade öffnete ich das Handbuch, da sagte mein Herr Vater nur ein einziges Wort, Betrieb setzte ganz plötzlich ein. Als nicht mehr zu übersehen war, dass irgendetwas Eigenartiges im Gange war, drängte ich mich zwischen die Menschenreihen, die sich an der dem Osten zugewandten Brüstung gebildet hatten. Die Sonne, nun fast zur Hälfte aus dem Wasser gestiegen, blendete uns alle, ich hörte die anderen stöhnen und sah, wie sie sich bemühten, den Blick auf das zu fixieren, worauf sich mein Herr Vater schon länger konzentrierte. Lieutenant Bennett kam dazu mit einem Fernrohr und bestätigte seinen Verdacht. Er sagte, dass er ein Schiff an der Kimm ausmachen könne. Ich fragte ihn nach dem Fernrohr, doch auch damit war es mir nicht gegeben, etwas zu erkennen. Mein Herr Vater vertraute Lieutenant Bennett ohne Nachfrage und ordnete an, mehr Segel zu setzen. Ich, Theodore und Joseph Conrad, ein Midshipman, der jünger war als wir und immer mit ganzem Elan bei der Arbeit, fanden uns in der Mitte des Decks zusammen und ließen alle Segel des Großmastes fallen. Das Schiff gewann langsam an Fahrt. Es drehte in den Wind. Als wir fertig waren, leuchtete der Himmel in einem beinahe wolkenlosen Blau, und die Sonnenstrahlen nahmen die Segelfläche ein, sodass wir selbst dann geblendet wurden, wenn wir nur in die Masten hinaufschauen wollten. Wir fragten Lieutenant Bennett, ob er eine Ahnung habe, was das für ein Schiff sein könnte. Dies in Erfahrung zu bringen ist sehr wichtig für uns Midshipmen, denn wir müssen so schnell wie möglich die Vorbereitungen treffen, die sowohl gegenüber einem Verbündeten, einem Feind und gegenüber einem Piraten anders ausfallen. Selbst gegenüber einem verbündeten Captain werden andere Vorbereitungen getroffen als gegenüber einem verbündeten Admiral. Es ist nicht weniger eine Katastrophe, zum Salut eines Admirals zu wenig Schüsse abzufeuern als längsseits eines Feindes zu gehen und festzustellen, die Kanonen gar nicht geladen zu haben.
 

Lieutenant Bennett sagte, es könne alles Mögliche sein. Er ist ein vorsichtiger Mann, aber nicht träge. Er ist nicht eher davon überzeugt, ein englisches Schiff vor sich zu haben, bis dessen Kapitän ihm in perfekter Aussprache das Lieblingskonfekt Seiner Majestät mitgeteilt hat. In einem Fall der Ungewissheit sind wir nicht weniger vorsichtig und bereiten uns deshalb auf die schlimmste Annahme vor. Unter Deck teilten wir uns auf und ließen die Kanonen gefechtsbereit machen, überprüften die Festigkeit der Seile, klärten die noch unkundigen Männer über die Entdeckung und den möglicherweise bevorstehenden Kampf auf. Als ich wieder auf das oberste Deck trat, stand die Sonne bereits so weit über dem Meer, dass ich nun ebenfalls in der Lage war, durch das Fernglas den grauen Fleck auszumachen, der sich in unsere Richtung bewegte. Wieder war es still, etwas lag in der Luft, das ich nicht benennen kann, das vorher jedoch noch nicht dagewesen war, nicht in diesem Ausmaß. Ich erinnere mich, Möwen kreischen gehört zu haben, was bedeutet, nicht mehr allzu weit vom Land entfernt sein zu können. Der Tag näherte sich seiner Mitte, der Wind wurde etwas stärker. Der graue Fleck nahm mehr und mehr Gestalt an, auch für das bloße Auge, aber noch immer konnten wir keine Flagge entdecken. Mein Herr Vater verkündete, es wäre eine Galeone und nach ersten Erkenntnissen beschädigt. Also teilten wir erste Anweisungen aus, falls es notwendig sein würde, unseren Zimmermann Mr Harry Bunce oder unseren Arzt Dr. William Beatty hinüberzuschicken. Joseph prüfte seine Pistole. Mein Herr Vater persönlich begann, nach dem Kapitän des anderen Schiffes zu rufen. Aber das Deck war verlassen. Wir schoben uns längsseits. Es wirkte ausgestorben und ich glaubte, das war es auch. Ich glaubte es bis zu dem Augenblick, da aus der großen Luke eine Einheit schreiender, wackelnder, blitzender Degen hervorquoll. Sie überrannten uns schlichtweg, so als gäbe es gar keine Spalte zwischen unserem und ihrem Schiff, stürzten sich einfach auf unser Deck, bildeten eine Wand, aus der abertausend Dornen ragten. Ihr Kreischen war schrill und lähmend, ihre Gesichter von unmenschlicher Hässlichkeit, so verzerrt, bald sah man nicht mehr als den eigenen Degen und die aus dem Tumult herausschießenden. Man musste es gar nicht sehen, man hörte und fühlte, wie Kameraden und Gegner neben einem niedergingen oder in das Wasser stürzten. Dutzende der Fremden waren bereits in das Wasser gestürzt, als sie auf uns losgegangen waren, wie zornige Blinde, und ich begreife nicht, warum dies alles. Zu unserem gegenseitigen Schutz taten ich, Theodore und Joseph uns zusammen, schlugen einige zurück. Irgendwann vergisst man all das, was man im Fechtunterricht gelehrt bekommen hat, oder es geht einfach in das Blut über. Man sticht nur noch zu und zieht zurück, man schlägt seine Klinge gegen die Klinge des Angreifers, bis er nachgibt, aber er gab nicht nach, er kam plötzlich auf mich zu, ich duckte mich und steche wieder zu, ich dachte, er würde parieren aber es gab einfach keinen Wiederstand und dann zog, der Degen an meiner Hand, bohrt sich tief, hinter das graue Hemd, saugt das Blut auf, es kommt bis zu meiner Hand zieht es sich hinauf und der Mann fiel um und ich fiel auch um, das Schwärt steckte in seinem Körper und hatte sich festgebissen, ich zog dann zog mich Vater auf die Beine und ich drehte mich um.
 

Theodore stand da und ich griff nach einem Säbel auf dem Boden. Mir blieb keine Zeit zum Nachdenken, in einer Schlacht muss man instinktiv handeln, das habe ich jetzt begriffen. Theodore wurde angegriffen und ich eilte zu ihm hin, doch ich konnte ihn nicht schnell genug erreichen. Dann sah ich Josephs blonde Locken. Er hatte seinen Hut verloren. Er sprang über ein Hindernis hinweg mit ausholendem Arm und zog es durch den großen Mann. Joseph Conrad ist der Jüngste von uns. Er hatte nicht genug Kraft, wahrscheinlich war sein Degen auch nicht scharf genug, die Schneide verletzte den großen Mann kaum. Ich nahm den Griff in beide Hände und hielt ihn direkt vor meine Brust, sodass das Entermesser wie ein Rammbock war und lief einfach auf den Mann zu. In seiner Mitte stößt die Spieze auf eine kaum zu durchborende Härte, da wo seine Wirbel sind, ich rutsche ein bisschen ab und dann versänke ich es in ihm. Sein ganzes Hemd wird rot, als würde es sich verwandeln, das Rote kriecht von diesem Zentrumm aus überall hin, dann fiel er um wie wenn Mr Benedict ein Gebüsch schneidet. Joseph schrie durch das grälle Tosen des Kampfes entschlossen und Theodore starrte mich an. Ich sah ihn nicht, aber ich sah meinen Vater kämpfen, und Lieutenant Bennett. Ich stand Theodore direkt gegenüber und hörte Josephs Rufe. Ich drehte mich zu ihm um, er stand auf der Brüstung und hielt mit einer Hand das Netz, mit der anderen seinen Degen, von dem das Blut über seine Hand rannte, er sah sehr groß aus und entschlossen, brüllte Anweisungen. Ich und Theodore eilten nah am Boden über das Deck, zwischen den Beinpaaren hindurch, und ich schnitt mit dem Säbel in ein paar Beine, sie waren anders als die unseren, ich konnte sie auseinanderhalten. Endlich sah ich Vater, als ich ihn sah, wurde mein Arm taub und ich verlor meine Waffe aus der Hand. Das Holz unter unseren Schuhen hatte eine rötliche Färbung angenommen, die Sonne ließ das feuchte Deck funkeln. Vater stach seinen Gegner nieder und wirbelte herum, um einen weiteren zu bezwingen, und plötzlich verebbte das Chaos, das Getöse wandelte sich zu einem leiseren Rauschen und Klirren. Menschen warfen sich herum, hechteten aufeinander zu, und über ihnen stand Joseph Conrad mit seinem entschlossenen, nichts fürchtenden Blick, er hob seine Hand, die den Degen hielt, sein Rock flatterte im Wind, er hob den Degen und öffnete den Mund weit, er blies wie zum Angriff, ich wollte nach ihm rufen, hatte auf einmal das Verlangen, es zu tun, dann schoss etwas von der Seite über seiner Brusst an ihm vorbei, kann es nicht erkennen, es ist auch schon weg und plötzlich sprenngt sich Josephs Gesicht mit dem weit geöffneter Mund von seinem Körper ein rundes Objekt mit hellblonden Locken, wirbelt durch die Luft schlägt gegen den Mast mit einem dumpfen Klopfen, prahlt ab und als ich zurücksehe, Joseph steht nicht mehr auf der Brüstung, hählt sich nicht am Netz seinen Degen in die Höhe, das letzte Duell entscheidet sich gerade und man hört nur noch Stöhnen. Mit einem Mal war er weck, ich weiß nicht, warum. Ich und Theodore halfen, die besiegten Gegner über Bord zu werfen, ich erkannte sie an ihren Kleidern und an den Schnitten in den Beinen, es war ruhig bis auf die Möwen, das Deck wurde geschrubbt, die Sonne hatte den Zenit überquert und das Meer glitzerte, ich sah zwei oder drei Delfine, als einige wie Menschen geformte, in Leinen gewickelte Pakete über Bord geworfen wurden und Lieutenant Bennett ein Gebet vortrug, Theodore stand neben mir, dicht neben mir und ich dicht neben ihm, Joseph fanden wir nicht wieder, ich sah auf die Delfine, sie spielten im letzten Sonnenlicht. Jemand nahm die rot verklebte, blond gelockte Kugel und warf sie endlich über Bord. Wir sprachen ein Amen.
 

Er ging nicht von uns, weil er im Gefecht unterlegen oder feige war. Er ging nicht heldenhaft von uns, und wahrscheinlich ging er nicht, wofür er lebte. Er war ein Held, aber nicht im Tod, und jetzt frage ich mich, ob überhaupt irgendjemand im Augenblick seines Todes ein Held sein kann. Vielleicht davor, vielleicht sogar danach, aber wenn es passiert, genau dann, wenn es passiert, exakt in dieser einen Sekunde? Mich lässt die Überlegung nicht mehr los, obwohl man so etwas nicht überlegen soll, wie der Tod meines Herrn Vaters sein wird. Auch er wird nicht als Held sterben, das ist gewiss, selbst wenn er, auch das ist sicher, als Held tot sein wird. Denn Joseph Conrad konnte nicht heldenhaft von uns gehen, wobei er doch bis zu seinem Tod wie ein Held dort auf der Brüstung des Schiffes gestanden hatte, mutig und entschlossen, war sein Tod sinnlos, und deshalb wird bald niemand mehr an ihn denken.
 

Eines weiß ich bestimmt: Der Anblick des Meeres vom Hafen aus, wenn auf seiner Linie Schiffe langsam vorbeischweben, die Sonne einen geraden Strahl über die Wasserobenfläche schickt, der sich fast bis zum Ufer zu strecken scheint, oder eine Art Steg aus Licht, dem man folgen zu können glaubt. Wenn einen die ungestörte Entfernung nahezu anzieht, und es wehtut, am Rande des Hafens stehen bleiben zu müssen. Wenn man anfängt, die Möwen um ihre Flügel zu beneiden. Dann trügt dich das Meer. Denn wenn du erst bist, wo du sein wolltest, dann wirst du feststellen, dass es keine Scheu kennt, die romantische Vorstellung, von der du geblendet bist, mit einem gehässlichen Grinsen zu vernichten.
 

Ich muss mich entschuldigen, doch ich werde diesen Brief nicht mehr zu Zwecken der Korrektur überlesen. Ich bin ein wenig besorgt, dass er dann nicht mehr ehrlich sein wird, und ich sollte ehrlich sein. Nicht, weil Sie mich darum beten. Ich sollte schlichtweg ehrlich sein, solange ich es mir noch erlauben kann. Es wird nicht mehr lange dauern, da wird es mir nicht mehr möglich sein.
 

Wenn es Ihnen keine zu großen Umstände bereitet, grüßen Sie bitte alle einmal von mir. Alle.
 

J. L. Norrington


 

Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Daikotsu
2011-03-06T14:30:55+00:00 06.03.2011 15:30
Eine sehr schöne Lösung um die Aktionen auf dem Schiff zu verdeutlichen ohne den Erzähler auszutauschen. Zudem haben mich erst die Rechtschreibfehler sehr irritiert, nahm dann aber bei den vierten oder fünften die Absicht des Ganzen an und war beim Zehnten gar sicher, das es welche wäre. So stand dies auch im Ende des Briefes. Wirklich eine sehr schöne Lösung, die du gefunden hast und ein sehr aufwühlendes Kapitel


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