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K.O.M.A.

Komm ohne mich aus
von

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Ein halbes Jahr zum Sterben

Leise, leise atmete er.
 

„Herr Bonk?“
 

Langsam öffnete er die Augen. Schläuche waren mit seinem Körper verbunden. Die Frau in dem weißen Kittel sah ihn besorgt an.
 

„Wie geht es Ihnen, Herr Bonk? Sie hatten einen kurzzeitigen Herzstillstand.“
 

Die Augen sahen sich im Raum um. Weiß, alles weiß. Ein weißer Raum. Krankenhaus. Es roch nach Krankenhaus. Ein stetiges Piepen neben ihm, sagte ihm, dass er wohl noch lebte. Wieso war das eigentlich passiert?
 

Die Geräte sahen groß und leblos aus, sie wirkten falsch und kalt. Doch, sie hatten ihm wohl das Leben gerettet.
 

„Herr Bonk? Ich untersuche Sie jetzt noch mal kurz, und dann würde ich mich gerne mit Ihnen unterhalten. Fühlen Sie sich stark genug dafür?“ Er öffnete seine spröden Lippen. „….ja…“ Seine Stimme war ein krächzen. Doch sie war da.
 

Timo? Wie ging es Timo? Fremde Hände, warm und weich, berührten ihn. Hörten sein Herz ab, und überprüften die Schläuche und Maschinen.
 

Timo. Ob er schon aufgewacht war? Ob er je wieder aufwachen würde? Alles seine Schuld. Alles seine Schuld.
 

„Herr Bonk?“ Die Ärztin setzte sich. Sie sah ernst aus. Ein Teil der Geräte waren nun ausgeschaltet. Sie seufzte. „Herr Bonk, durch ihren Herzstillstand konnten wir einiges feststellen. Sie haben einen schwerwiegenden Herzfehler. Ihr Herz ist schwach und sie sollten größere Anstrengungen vermeiden. Ich habe sie auf die Liste für Herztransplantationen gesetzt. Wenn wir innerhalb der nächsten paar Monate keinen geeigneten Spender für sie finden, sehe ich leider keine Hoffnung mehr für sie.“
 

„Wie lang genau?“ Komisch, wie fest und klar, Stimmen plötzlich werden können, sobald es um das eigene Leben geht. Wieso machte ihm sein Leben nicht so viel Sorgen, wie Timos? Wieso war er so egoistisch, dachte aber nun daran, das er ein Arschloch war, das er sich nie bei Timo entschuldigen konnte. „Ich würde sagen ein knappes halbes Jahr.“
 

Beatmungsgerät. Flüssignahrung. Immer wieder die selbe Decke angucken. „Vielleicht sollten wir ihm was erzählen?“ Stille und Schweigen. Eine Angenehme Ruhe breitete sich aus. „Wer weiß schon, wie viel Wachkomapatienten mitkriegen. Das kommt drauf an.“ Weiß. Und immer wieder dieses weiß. Man konnte, wenn man lange genug drauf schaute Farben und Formen erkennen. Geschichten lesen. „Wir sollten es trotzdem machen, Chris.“ Es war bestimmt komisch, nur mit sich selber reden zu können. Ob man wohl verrückt wurde?
 

„Also Timo…wo fange ich an? Mhh, wohl am Besten bei David.“ Jan holte Luft. Wie interessant es war, wenn man nur noch hörte. Man hörte genauer hin. Man hörte die Untertöne heraus, was derjenige einem wirklich sagen wollte. „David ist Zusammengebrochen, hier im Krankenhaus, als er von dir erfahren hat. Das war was, sag ich dir. Wie professionell Ärzte sein können. Die Ärztin hat sich sofort um ihn gekümmert. Er liegt ein Zimmer weiter, aber noch darf keiner zu ihn. Er schläft noch. Seine Eltern sind auch hier. Deine konnten wir leider immer noch nicht erreichen, aber Frank und Juri fahren rum und suchen sie.“ Eine kurze Atempause. Durch atmen. Tief ein und aus. Spüre, wie die Luft in deine Lunge kommt und wie sie wieder entweicht. „Sieht wohl so aus, als hätte David irgendwas, jedenfalls meinte die Ärztin, dass er wohl etwas länger hier bleiben müsste. Einer von uns geht gleich noch mal rüber und guckt, dass er was raus finden kann. Ja und sonst…?“ Wohl wurden hilflose Blicke ausgetauscht. „Sonst…also ja, unsere Fans wissen noch nichts. Wir gucken, dass sie es auch nicht erfahren, aber ich vermute, dass das nicht lange brauchen wird, bis das hier durchgesickert ist. Wir werden so oft wie möglich kommen, aber ich denke mal, dass wohl David bald die meiste Zeit hier sein wird. Immerhin, wenn er länger im Krankenhaus bleiben muss…“ „Chris?“ „Ja?“ Ein schnauben folgte. „Manchmal bist du echt sensibel.“ Aber alles war normal geblieben. Bis auf die weiße Decke, die ihn einzufangen schien.
 

Stell dir vor, du hast nur noch ein halbes Jahr zu leben. Und die Hoffnung, dass es vielleicht doch länger wird, schwindet von Tag zu Tag. Wie würdest du reagieren? Oder anders gesagt:
 

Was würdest du tun?
 

Die Stille im Raum schien ihn zu erdrücken. Seine Eltern waren wieder weg. Konnten sie es nicht ertragen, ihn so zu sehen? Zu wissen, dass er vielleicht das nächste Weihnachten nicht erleben würde? Das er nie alt und klapprig an einem Rollstuhlrennen teilnehmen würde? Oder wollten sie stark für ihn sein?
 

Die Geräte waren fast alle aus. Er würde Medikamente nehmen müssen, ein paar am Tag. Morgens. Mittags, Abends. Nachts. Keine Anstrengungen mehr. Wegen einem dummen Herzfehler, der ihn früher auch nicht gestört hatte. Warum sollte er jetzt auf einmal aufpassen? Weil er sich bei Timo entschuldigen wollte. Krank.

Er war so krank. Ein Vogel zwitscherte und die Sonne schien in den Raum. Wie sollte er Timo jemals verstehen?

Die Türe quietschte als sie aufging und tapsige Füße hörte er. Langsam setzte er sich auf. „Onkel David?“ Er lächelte, als er sein Patenkind sah. „Hallo Mirelle. Wie geht es dir?“ Ja, er konnte er Alte sein, wenn er wollte. Doch, wollte er das? Sie versuchte aufs Bett zu klettern und er half ihr, so gut es ging. Sanfte Kinderhände umarmten ihn vorsichtig. „Wirst du bald wieder mit mir spielen, wenn du gesund bist?“ Er lächelte sanft. „Klar. Ganz oft.“ Sie strahlte. „Mit Timo, ja? Wie früher“? „Ja, wie früher.“ Lügen, nichts als lügen. Und doch machten diese Lügen Menschen glücklich. Würde er je wieder dieses Zimmer verlassen? Oder hier sterben, wo es nichts gab, was er liebt. Er seufzte. Und lächelte. Wie stark Menschen doch sein können, wenn sie nicht wollen, dass andere sich Sorgen machen. Ob er wohl mal zu Timo gehen konnte? Vielleicht würde es ihm dann besser gehen. Zumindest dem Egoistischen Teil in ihm.
 

„Wenn triste Gedanken dein Denken bestimmen, kann man leicht depressiv werden. Man fällt in einen Tunnel, aus dem man nicht so leicht wieder entkommt. Manche schaffen es, tragisch, dass sie es tun, aber leider nicht änderbar. Doch die meisten, entkommen nie. Wirst du entkommen, David Lauden Bonk? Oder wirst du leiden, bis du dir den Tod wünscht. Bis du dir mich wünscht.“
 

Erschrocken öffnete er die Augen. Es war nachts. Mirelle war nach einer Stunde abgeholt worden und seine Tante hatte sich nach seinem Befinden erkundigt. Danach war die Ärztin hier gewesen, mit der Nachricht, dass er morgen aufstehen dürfe. Sie hatte ihm das ekelhafte Abendessen und die ersten Tabletten mitgebracht. Große grüne Tabletten. Er war froh gewesen, als er einschlafen dürfte. Und nun das. Ein Alptraum mit dem Tod persönlich. Er seufzte und dann schwang er die Beide aus dem Bett. Sein Blick auf die Uhr sagte, dass es vier Uhr morgens war. Und der Blick in den Spiegel, dass er diese hässliche Krankenhauskluft an hatte. Schlimm, diese Dinger.

Leise, leise, auf Sohlen, in seinen Kuschelhausschuhen, schlich er sich aus seinem Zimmer und schlüpfte in Timos. Die Vorhänge waren nicht zugezogen und der Mond schien herein. Konnte der Andere bei dem Licht schlafen? Schlief man überhaupt, wenn man im Wachkoma lag? Oder war man dauerhaft wach. Egal! Er brauchte jemanden zum reden, oder besser gesagt zu zuhören. Der Hocker neben Timos Bett sah weniger einladend aus, als das Bett selbst. Außerdem war es leicht kühl in dem Raum und so legte er sich kurzerhand zu seinem wohl noch hoffentlich besten Freund unter die Decke. „Hey Timo. Ich darf? Wenn nicht musste es mir sagen, wenn du wieder reden kannst….sorry, das war blöd.“ Er seufzte. Schon lange nicht mehr, hatte er diese Vertrautheit gespürt. Und immerhin konnte der Ältere jetzt nicht widersprechen. Das musste man ausnutzen! „Ich hatte einen Alptraum. Weißt du, ich habe einen Herzfehler. Die Ärzte haben ihn hier festgestellt, als ich wegen dir zusammengebrochen bin.“ Er brach ab. Der egoistische Teil kontrollierte ihn. Timo ging es nicht viel besser, doch anstatt ihm zu ermutigen, erzählte er von seinem Schicksal. Er war genialer, als er gedacht hatte, er war ein Arschloch. Doch er schwieg und schluckte die Tränen runter. Atmete tief ein und aus. Dann sprach er weiter.

„Jedenfalls, das wird schon wieder mit mir, aber ich hatte einen Alptraum. Und der Tod kam darin vor…jedenfalls glaube ich, dass es der Tod war. Eine Frau war es. Weißt du, ich war in einem dunklen Raum und saß auf einem Stuhl ich konnte mich nicht bewegen. Und dann hat sie mir ihre Worte ins Ohr gehaucht. Etwas über Gedanken und Depressionen und einem Strudel. Und dass man sich nach ihr sehnt. Was glaubst du bedeutet er?!“ Ruhe, Schweigen. Maschinen, die Arbeiteten. David seufzte und kuschelte sich unter die Decke. „Manchmal wünschte ich mir, dass du wieder so wirst wie früher, Timo.“ Er schloss die Augen. „Manchmal wünschte ich mir, dass ich wieder wie früher werden könnte....“ Und er schlief ein.
 

Manchmal wünscht man sich, dass es wieder wie früher werden kann. Doch die Zeit manipulieren wird der Mensch nie können. Niemals.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-12-28T21:13:22+00:00 28.12.2009 22:13
oh man das ist so traurig...
du schreibst immer so wunderschöne Geschichten...
mach unbedingt weiter!
mal sehen was als nächstes passiert...


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