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Träume

von

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KAPITEL 11
 

Der nächste Morgen brach an und Farin Urlaub wurde recht unsanft vom penetranten Piepsen seines Weckers aus dem Schlaf gerissen. Dieses Mal erwachte er in seinem Bett und in Shorts, anstatt in voller Montur am Schreibtisch. Er schlug mit der flachen Hand auf eine Taste des Weckers, die das Gerät zum Schweigen brachte. Ein kurzer Blick auf die Uhrzeit bedeutete ihm, dass er sich diesmal nicht abhetzen musste. Er rieb sich den Schafsand aus den Augen, räkelte sich kurz und setzte sich aufrecht hin. Nachdem er in seine Puschen geschlüpft war, trottete er ins Bad, entleerte sich und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen.
 

Der Morgen war klar und freundlich, und vereinzelt konnte Farin das Geräusch vorbei fahrender Autos vernehmen. Er fühlte sich gut. Er hatte gut geschlafen, seine innere Ruhelosigkeit war verschwunden, sein Gemütszustand hatte sich beruhigt. Ein viel versprechender Tag. Er konnte nicht glauben, dass er keine zwölf Stunden zuvor am Rande des Wahnsinns stand. Keine Halluzinationen mehr, keine Wutanfälle, keine Heulkrämpfe. Er schien aus dem gröbsten raus zu sein.
 

Als er leicht fröstelte, fiel ihm auf, dass er immer noch nur in Shorts in der Küche stand. Also flitzte er zurück in das Schlafzimmer, zog sich die Kleidung des Vortags an, machte sich Frühstück und sprang danach unter die Dusche.

Von seinem Anblick im Spiegel war er allerdings nicht sehr begeistert. Die Gefühls-Achterbahn der letzten Tage hatte ihre Spuren hinterlassen. Seine Augenringe waren noch tiefer und dunkler als sonst, und er hatte das Gefühl, dass sich über Nacht einige Falten zu den bereits vorhandenen gesellt hatten.
 

Alter, so kannst du nicht rum rennen. Da werden sie dich den ganzen Tag fragen, weshalb du heute so scheiße aussiehst. Ach, verdammt.
 

Nachdem er den Bartstoppeln zu Leibe gerückt war, fischte er seine Lieblingskappe von der Garderobe und setzte sie sich auf den Kopf, tief ins Gesicht. Das erspart mir schon das Hochtoupieren, dachte er lakonisch und packte seine Sachen zusammen. Schön gemütlich, ohne Hast und Eile.
 

Noch kurz alles aufräumen, etwas Ordnung schaffen, und wenn alles fertig ist, ruhig und gelassen ins Auto steigen und zum Tonstudio fahren.
 

Dort angekommen, fuhr er in Schrittgeschwindigkeit auf den Parkplatz, stellte sich in „seine“ Parklücke und lief die Treppen zum Studio hinauf. Ganz ruhig, keine Hektik, keine Aufregung.
 

Als er gerade die Tür öffnen wollte, hielt er inne. Er drehte sich langsam um, um den Parkplatz zu überblicken, auf der Suche nach dem Auto von…
 

Da stand es.
 

Farin musste schlucken. Er ist schon wieder vor mir da, verdammt. Das macht er doch mit Absicht.
 

Plötzlich überkam ihn Panik. Was sollte er tun? So tun, als ob nichts gewesen wäre, damit die anderen nichts merkten? Ihn ansprechen? Gar nichts sagen? Grüßen oder nicht?
 

Am liebsten wäre Farin wieder ins Auto gestiegen und davon gefahren. Doch er erinnerte sich daran, dass er kämpfen wollte, Bela zurück gewinnen wollte. So atmete er tief ein und aus und öffnete die Tür.
 

Der lange Flur war beleuchtet, keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. Farins Herz schlug schneller, bis zum Hals. Er versuchte gelassen auszusehen und sich nichts anmerken zu lassen. Seine Furcht vor einem Wiedersehen mit Bela drohte ihn erneut zu lähmen. Er nahm seine Umgebung nicht mehr wahr.
 

Dann merkte er, wie er gegen etwas prallte, als er gerade um die Ecke biegen wollte, und musste stehen bleiben. Er zuckte zusammen, denn er hatte nicht ansatzweise bemerkt, dass ihm etwas im Wege stand. Oder besser gesagt: jemand.

Dieser Jemand sah zunächst an ihm hoch, musterte ihn kurz, sah wieder weg und schickte sich an, wortlos an ihm vorbeizugehen.
 

„Dirk!“
 

Nach wenigen Metern blieb er stehen. Drehte sich aber nicht um.
 

„Was willst du!“
 

„Ich…“
 

Und schon wieder war er sprachlos. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, lähmte sein Sprachzentrum, ein dicker Kloß im Hals hinderte ihn, auch nur einen Ton von sich zu geben.
 

„Wenn du nichts zu sagen hast, kann ich ja gehen“, meinte Bela schroff und setzte sich wieder in Bewegung.
 

„Warte, Bela, ich…“ rief Farin panisch, doch der Ältere ignorierte ihn und lief davon.
 

Farin war wie gelähmt. Schon wieder. Er starrte mit leicht geöffnetem Mund stumpf vor sich hin. Das durfte nicht wahr sein. Etwas Falsches sagen, davor hatte er Angst, und konnte nicht damit rechnen gar nichts zu sagen. Irgendetwas ihn ihm ließ seine Beine einen Schritt vor den anderen setzen, und so folgte er ohne darüber nachzudenken Bela.
 

Der Drummer stand auf den Treppen und schien in Gedanken zu sein. Farin öffnete leise die Tür, ohne jedoch das Gebäude zu verlassen.
 

Verdammt, was tue ich hier eigentlich? Wieso bin ich ihm gefolgt? Er wird mit Sicherheit nicht sehr erfreut sein, mich hier zu sehen. Vielleicht sollte ich einen besseren Zeitpunkt abwarten und wieder gehen.
 

So drehte Farin sich leise um und wollte die Tür wieder schließen, doch sie hinterging ihn und machte Bela auf ihn aufmerksam, indem sie quietschte.
 

Bela fuhr herum, und während Farin innerlich wüste Flüche ausstieß, vernahm er die Stimme des Mannes, der für ihn alles bedeutete.
 

„Sag mal, hast du sie noch alle?! Was machst du hier?“
 

„Nichts. Wie du siehst, wollte ich gerade wieder gehen“, erwiderte Farin leise und tonlos, mehr an sich selbst gerichtet. Langsam wollte er, gesenkten Hauptes, die Tür wieder schließen, als er merkte, dass sie ruckartig aufgerissen wurde.
 

Er drehte sich um. Bela stand dicht vor ihm und funkelte ihn wütend an.
 

„Begreifst du eigentlich, was du hier für eine Scheiße abziehst? Das ist das letzte, Jan Vetter, wirklich das allerletzte! Hast du vergessen, was ich dir auf den AB gesprochen habe? Verpiss dich!“
 

Um Belas Nase herum hatten sich Zornesfalten gebildet. Er meinte es todernst. Farin jedoch witterte in dieser Aussage seine Chance.
 

„Ich habe den Anrufbeantworter nicht abgehört. Wieso, was hast du denn gesagt?“
 

Farin wusste, dass das hochprovokativ war. Wie er so dastand und Bela mit kühlem Blick diese Worte entgegenbrachte, als ob es ihm gleichgültig sei. Was hatte er schon zu verlieren.
 

Bela sah ihn noch einige Sekunden an, dann wandte er sich ab.
 

„Bela, ich hatte meine Gründe, so zu reagieren. Ich weiß, dass es scheiße von mir war, aber es tut mir von Herzen Leid, ehrlich. Ich wollte das nicht sagen! Gib mir wenigstens eine Chance!“
 

Farin ließ seine Verzweiflung in seine Worte mit einfließen, denn er wollte dieses eine Mal ehrlich zu Bela sein. Er hoffte auf Belas Großmütigkeit, sein Herz, in dem fast jeder Mensch auf diesem Planeten einen Platz hatte. Und es brach Farin das Herz, dass Bela diesmal kalt wie Eis blieb.
 

„Deine Gründe interessieren mich nicht. Genauso wenig wie ich dich zu interessieren scheine. Anstatt zu bedenken, dass ich gerade genug eigene Schwierigkeiten habe, denn meine Ex-Freundin hat mich immer noch verlassen, falls du das vergessen hast, beleidigst und verletzt du mich auf die schlimmste Art und Weise. Wer solche Freunde hat… du kennst ja das Sprichwort. Scheiß Egoist. Lass mich endlich in Ruhe.“
 

Farins Augen weiteten sich. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Daran, dass Bela noch vor zwei Tagen so traurig und niedergeschlagen war, weil – wie hieß sie noch gleich? – ihn verlassen hatte. Und dann kam er an, kümmerte sich DENNOCH um Farin, als dieser einen Tag später dieselben Gefühle erlitten hatte. Und was tat er? Jagte Bela mit all seinem Schmerz und all seiner Liebe zum Teufel.
 

Farin fühlte sich mit einem Male furchtbar elend. Als er realisierte, was er angerichtet hatte, wäre er so gern einfach vom Erdboden verschluckt worden. Hätte am liebsten sofort aufgehört zu existieren. Wäre vor Scham im Boden versunken. Sein schlechtes Gewissen schlug und hämmerte unerbittlich und erbarmungslos auf ihn ein, sein Magen stimmte in die Meuterei mit ein. Sein Körper gehorchte ihm nicht länger und fing an zu zittern.
 

Es ist vorbei, und nichts in der Welt wird es je wieder gutmachen können…

Wie in Trance zog Farin den Zettel hervor, den er sich tags zuvor in die

Hosentasche gesteckt hatte. Er knüllte ihn in einer Hand zusammen, zitterte vor Ohnmacht, kämpfte mit den Tränen. Schon wieder.
 

Bela stand mit dem Rücken zu ihm. Sagte nichts, tat nichts, bewegte sich nicht.
 

Soll es das gewesen sein…?
 

Farin sah langsam auf. Langsam ging er auf Bela zu, ganz langsam. Streckte die Hand leicht aus. Atmete schwer.
 

„Hier… den wolltest du doch unbedingt. Kannst ihn behalten. Ist eh … an dich...“
 

Bela konnte Farin kaum verstehen. Er sprach leise und gebrochen, mit bebender, zittriger Stimme. Bela drehte den Kopf und sah Farin über die Schulter hinweg an. Auch sein Blick war leer. Er glitt an Farin hinunter zu der ein wenig ausgestreckten Hand und registrierte die Papierkugel darin. Langsam nahm er sie an sich, da seine Neugier siegte.
 

Augenblicklich wandte Farin sich ab, spurtete die Treppen hinauf und rannte ins Gebäude zurück.



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