Nightmare
Das Eis schmolz. Er war wehrlos. Er hatte Angst. Das Eis hatte ihn immer beschützt... Doch jetzt... war auch das Eis wie sein Mut und sein Stolz dahingegangen. Er war allein. Seine Panik wuchs. Sie kam näher. Und er wusste... ... er konnte ihr wieder einmal nicht entkommen... ... ... ...
Mit einem lauten Schrei fuhr er aus seinem Alptraum auf. Schwer ging sein Atem und ihm war kalt, eisig kalt. Angstschweiß rann ihm die Stirn hinab und zitterig wischte er ihn weg.
Als er spürte wie ihm plötzlich übel wurde und auch ein verdammter Schwindel dazu kam sprang er aus dem Bett und stürzte in sein Badezimmer, das durch eine Verbindungstür mit seinem Schlafzimmer verbunden war.
Er erbrach sich.
Erschöpft, mit einem schmerzhaften Kratzen im Hals und hämmernden Kopfschmerzen ließ er sich nach hinten gegen die Mauer sinken und fiel auf den Boden.
Er zitterte am Ganzen Leib und immer noch spiegelte sich die blanke Panik in seinen eisblauen Augen, welche doch sonst so lebendig und gefasst ins Leben sahen... Doch nun schienen sie beinahe tot. Leer und leblos.
Er schreckte auf als im Zimmer nebenan die Tür laut geschlossen wurde. Im selben Augenblick fasste er sich wieder und atmete einmal tief ein und aus. Er zitterte immer noch leicht, doch es war nicht mehr so schlimm wie vorher.
Mit einem schweren Seufzen erhob er sich langsam, strich sich einmal durch die blonden, noch zerzausten Haare und ging wieder leise in sein Schlafzimmer zurück.
Er ging zum Fenster hin und zog vorsichtig die dunklen vorhänge zurück, da er nicht sicher ob die Sonne schon ganz untergegangen war, oder nicht.
Doch es war schon anständig dunkel draußen... ... ...
Verdammt! Er hatte verschlafen!
Schneller als ihm lieb war, hatte er seinen liebsten türkisen Schlafanzug ausgezogen und sich in seine Schuluniform geschmissen, war ins Badezimmer gestürzt und versuchte nun dort seine Haare irgendwie in Ordnung zu bringen als es leise an seiner Zimmertür klopfte.
Verwirrt hob er den Kopf und blickte noch mal in den Spiegel. Argh, seine Haare würde er nicht mal in drei Tagen hinkriegen!!!
“Aidou? Bist du wach?“
Huch, die Stimme kannte man doch... ...Verwirrt blickte der Angesprochene zur Tür hin. Das war doch sein Kusin... ...
“Kain?“ fragte er leise und vorsichtshalber nach, und die Tür öffnete sich.
Kain Akatsuki, seines Zeichens Schüler der Night Class und der größte und kräftigste von ihnen allen trat in das Zimmer seines Kusins ein und erblickte diesen dann in dessen Badezimmer. Und es traf den Goldblonden wie einen Schlag als er Aidou in die Augen blickte, und dort nicht die gewohnte Lebensfreude vorfand.
Allerdings... ... war ihm dieser Blick, den sein Gegenüber nun draufhatte auch nicht unbekannt. Er hatte ihn schon mal gesehen. Vor ein paar Jahren... ... ... Und er hatte es niemals mehr vergessen... ...
“Aidou, was ist los?“ fragte er leicht besorgt und ging auf den Kleineren zu. Dieser schluckte nur, und setzte dann gezwungenermaßen sein unbeschwertes Lächeln auf:
“ Nichts, ich habe nur irgendwie Probleme mit meinen Haaren! Die wollen nicht so wie ich will... ...“
Kain seufzte:
“Baka... ...Lass mich das mal machen...“ meinte der Größere daraufhin, schnappte sich Aidous Haargel und richtete ihm seine Frisur zurecht.
... ...Früher hatte er das öfter gemacht... Als er und Aidou sich noch näher standen... ... ...
Aber ihr Verhältnis hatte sich mit den Jahren sehr verändert. Sie waren erwachsen und ihr Kontakt war weniger geworden. Sie redeten noch miteinander, doch eigentlich wusste niemand mehr so wirklich etwas von dem anderen. Es war schon... ...traurig. Besonders weil Aidou ihn früher auch immer Aniki (1) genannt hatte... Doch er tat es nicht mehr. Kain hatte es immer gemocht. Doch... ...die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Natürlich wusste Kain den Grund für den Tod ihrer engen Beziehung, doch er vermochte nicht näher darauf einzugehen. Er hoffte immer noch, dass Aidou endlich mit ihm darüber redete.. ... ... Schon seit so vielen Jahren... ... ... ...
“So. Fertig.“
Zufrieden blickte Aidou in den Spiegel und lächelte:
“Honto ni arigatou, Kain...“
“Jaja, schon gut. Nun beeil dich, die anderen warten schon, wir müssen los.“ meinte Kain knapp und verließ schon mal das Schlafzimmer.
Aidou seufzte und blickte noch ein Mal in den Spiegel... Er war immer noch sehr blass... ...Hoffentlich fiel es IHM nicht auf... Obwohl... ...Sogar ein Blinder würde sehen wie scheiße es ihm ging... ...
Ein weiteres Seufzen. Es war hoffnungslos.
Während er sein Schlafzimmer verließ, dachte er weiter nach.
Warum kam dieser verdammte Traum immer wieder?! Es war doch so lange her... ... Es war doch vorbei... Und trotzdem kehrte er ständig zurück!! Niemals sollte Aidou Ruhe vor seiner Angst haben, niemals würde er in Frieden schlafen können... ... Er würde immer wieder kommen... Dieser Alptraum verfolgte ihn noch bis ans Ende seines nie endenden Lebens... ... ...
Und das war eine Ewigkeit...
Er kam unten in der Empfangshalle des Moon Dorms an. Sie warteten wirklich alle auf ihn... ...
Etwas verlegen kam er zu ihnen:
“Gomene dass ihr warten mussten. Hab etwas verpennt...“ entschuldigte er sich beim Dorm Leader Kaname Kuran, und dieser nickte nur, mit einem skeptischen Blick auf den Blinden gerichtet. Dann öffnete er die Tür und gemeinsam gingen die Night Class Schüler zum Portal hin, das sich auch sofort öffnete.
Das Gekreische der Mädchen war wie immer grässlich. Und nicht wenige waren überrascht als Aidou, bekannt als der Playboy schlechthin, einfach unbeteiligt weiterging und niemanden eines Blickes würdigte.
Und niemand ahnte, dass der Grund dafür, ein nie endender Alptraum war, gepaart mit einer furchtbaren, tief sitzenden Angst... ...
(1) Aniki ist das japanische Wort für ´´großer Bruder´´