Zum Inhalt der Seite

Die Geschichte des Blutwolfes - Painwolf

Wenn eine Welt am Abgrund steht...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Leben der Gedankenlosen

- Die Versuchsklassen

Ein Schrei durchriss die Stille, des Versuchslabors. Es war selten, dass ein solcher Laut zu den Ohren der zahllosen Patienten vordrang, noch seltener war es, dass er von diesen vernommen wurde. Meistens war es nur ein Wimmern was man von denen hörte die geholt wurden, ein Schrei war etwas Außergewöhnliches. Auch die Wölfe blickten auf, richteten ihre farblosen Blicke auf die schmiedeeiserne Tür, welche sich mit einem dumpfen Schlag schloss, schon war es wieder still. Es gab keine Unterhaltung unter ihnen, den sie gehörten zu der Klasse der A-Projekte. Eine Klasse, die darauf basierte, dass diese Wesen kein Wissen hatten, keinen Charakter, keine Eltern. Sie waren Gen-Tiere, bestanden nur aus Zellen waren durch Elektrizität erschaffen.

Doch gab es auch andere Gruppen in den Mauern von „Black Hill“, wie die haarlosen, weißen Riesen es nannten, doch natürlich wussten die Patienten nicht, dass dies der Name ihres Gefängnisses war.

Im Ganzen gab es die Klassen A-E, welche soweit die Gefangenen, ausgenommen, denen der Klasse A, verstanden soviel bedeutete wie, je näher du bei dem Laut Eh bist, desto besser, denn dann wird dir weniger Qual zu teil. Die Tiere der Zweiten Klasse, waren Klone, Wesen, welche von einem bereits lebenden kopiert wurden, die der dritten Klasse, waren aus bearbeiteten Eizellen entstanden, die man dem Mutterleib eines Tieres eingepflanzt hatte, sie hatten also bereits Eltern.

Die der weiteren Klassen, waren Tiere die in den Labors gezüchtet, oder als Gefangene hierher gebracht worden waren, je nachdem, wie weit sie in der Klasse unten standen, desto weniger starke Mittel werden an ihnen erprobt. Die Patienten der Oberen Klassen, welche durch die verschiedenen Gifte klug geworden waren, sprachen sogar davon, in der Klasse E läge die Freiheit und es solle aller Ziel sein diese Klasse zu erreichen.

Dies könne nur damit funktionieren indem man sich dumm verhielt und sich bemühte keine Reaktionen auf die Behandlungen zu zeigen. So unterhielten sich die Tiere oft und schmiedeten Pläne zu entkommen, tatsächlich geschafft hatte es noch keiner, außer durch die Tür.

- Die Gedankenlosen

Die Wölfe verstanden die anderen Gefangenen natürlich nicht, sie verstanden nicht einmal was er hieß gefangen zu sein. Sie waren dumm ohne Wissen ohne Charakter geboren, sie mussten ihr Dasein an Schläuche hängend fristen, da sie nicht wussten was es bedeutete zu fressen. Sie erledigten ihr Geschäft da wo sie lagen und nicht wie die anderen in der letzten Ecke. Sie wehrten sich nicht wenn sie von den Weißen weggebracht wurden, konnten das Schreien der anderen nicht verstehen.

- Die Tür

So zeigten sie auch kein Interesse an der Tür, auf welche alle anderen immer wieder ihre Blicke warfen. Die Tür, dies war der Schlund in die Hölle, aber auch der Weg in die Freiheit.

Sie war aus gegossenem Eisen und die Patienten wussten, sie würden sie nicht durchdringen können, wenn sie nicht bereits offen stand.

Zu oft hatten sie versucht die Stäbe ihres Gefängnisses zu durchbeißen, welche aus dem gleichen Material bestanden, sie hatten längst gemerkt, dass es nicht ging, hatten ihre Zähne verloren und ein Maul voll Blut mit sich getragen. Manche von ihnen waren daraufhin durch die Tür gebracht worden, als die Weißen sie gesehen hatten, sie wussten wohl nichts mehr anzufangen mit den Blutbesudelten Tieren. Viele hatten dies jedoch als Bestätigung gesehen und hatten daraufhin mit noch mehr Kraft in ihren Käfigen randaliert.

- Der tot des Dachses

Einem Dachs war sogar der Kiefer gebrochen und die Zunge war herausgetreten, doch die Schmerzen hatten ihn nicht umgebracht und die Weißen waren wie so oft Tage nicht erschienen, um ihn zu holen.

Er war in einer Ecke gelegen und dann war er wieder trostlos auf und ab gerannt. Er hatte weder fressen noch trinken können, Blut hatte sich mit seinem Urin gemischt und nach mehreren Tagen war er einfach bewegungslos in seinem Käfig gelegen. Irgendwann waren die Weißen gekommen und hatten ihn mitgenommen, die Tür war weiter als sonst aufgeschwenkt und die Tiere hatten gesehen, dass der Raum dahinter von Leichen gepflastert war, welche in großen Wägen transportiert wurden. Dem toten Dachs war keine Beachtung mehr geschenkt worden, man hatte ihn einfach in hohem Bogen auf einem der Haufen geschmissen und die Tür war wieder ins Schloss gefallen. Daraufhin hatten die anderen Versuchstiere ihre Bemühungen eingestellt.

Die Wölfe hatten aufgeschaut, doch machten sie sich keine Gedanken darüber was dies zu bedeuten hatte, oft schon hatten die anderen Tiere sich seltsam verhalten, das war nichts Neues für sie, sie konnten sich nicht über ihr Verhalten wundern, weil sie nicht wussten, was es bedeutete sich zu wundern. Tagelang geschah nichts dergleichen mehr, Ratten, Mäuse, Kaninchen, Katzen, Hunde, Wildtiere wie Dachse, Wiesel, Füchse und auch die Wölfe verhielten sich ruhig.

Letztere begnügten sich wieder einmal damit sich nicht zu bewegen, während die Schläuche sie mit allem möglichen voll pumpten und sie auch ernährten.

- Die Wölfe und die Affen

Nur die Affen randalierten wie eh und je. Sie steckten ihre Hände durch die Stäbe und zerrten daran, sprangen auf und ab und gaben keckernde, traurige Geräusche von sich. Die anderen Tiere verachteten sie, da sie die Ähnlichkeit mit den Weißen längst bemerkt hatten, sie fügten sich viel zu schnell in ihr Schicksal wenn sie einer abholen kam, bissen nicht, kratzten nicht, ließen es kommen, als warteten sie auf etwas.

Zwar taten auch die Wölfe nichts daran sich zu wehren, doch wussten die anderen Tiere, wie viel Leid diese ertragen mussten, sahen die vielen Narben welche nicht heilen wollten und wie wehrlos sie doch waren. Diese Tiere kannten keinen großen, bösen Wolf, diese Tiere kannten den Wolf nur als ein armseliges, mageres Tier, was sich nicht wehren konnte.

Kannten sie nur mit zerzaustem weißen Fell, welches von Kot und Speichel verklumpt war, als Wesen die nicht in der Lage waren sich zu putzen oder zu ernähren – ja die Tiere welche von den Mitteln und Tränken mit Klugheit bestückt worden waren, hatten Mitleid mit den Wölfen.

- Der Raum des „nicht Lebens“

Wie alle Patienten wurden auch die Wölfe regelmäßig weggeführt, durch die „Luftschleier“, so nannten die Tiere, die Plastikbänder welche in einer anderen Tür hingen, vor diesem Durchgang verspürten die Tiere sogar noch mehr Furcht als vor dem anderen, denn regelmäßig verklang das Wimmern dahinter und man hörte sägende und kratzende Geräusche, ein Scharren und ein Knistern, ein Pfeifen und ein Jaulen ein Rattern und ein Klopfen, doch waren diese ganzen Geräusche nicht lebendig, denn durch den „Luftschleier“, betrat man den Raum des „nicht Lebens“.

Ja auch die Wölfe mussten ihren Weg immer wieder in diese Richtung schlagen, doch passierte es ihnen öfter als allen anderen Tieren, zurück kamen sie aus diesem zwar immer, doch boten sie dann einen erbärmlichen Anblick. Den Raum des „nicht Lebens“, verließ man stets mit zahllosen Wunden.

- Die Wunden

Die Weißen dachten nicht daran, die tiefen Risse, die ihre nadeldünnen Krallen den Tieren zufügten, wieder zu verschließen. Beinahe ein jedes Tier hatte ein großes Loch in seinem Kopf, vor allem die der oberen Klassen. Nur ein dünner Verband und zwei gekreuzte Klebestreifen schlossen die Stelle, wo mit einem Sägeblatt die Schädeldecke entfernt worden war, immer wieder wenn es in die Räume ging wurde es wieder aufgerissen.

Andere kamen mit, auf dieselbe Weise zugeklebten Augen zurück, oder mit tiefen Schnitten in der Brust, welche nur knapp und schlecht vernäht worden waren, sodass man sie bei Bedarf wieder aufreißen konnte.

Die Wölfe kamen diesbezüglich am besten davon, mochte man meinen. Sie hatten lediglich das Loch, welches das Gehirn freigab und eine Narbe dort wo am Hals der Erkennungschip eingesetzt worden war, ansonsten wurden sie nur immer wieder an die Schläuche angeschlossen, denn ihre Behandlung bestand darin, dass sie mit verschiedenen Mitteln und Tinkturen voll gepumpt wurden. Einerseits sollten sie diese am leben erhalten andererseits, dass Licht in ihnen wecken, denn durch die Kraft des Lichtes, sollte das Tor zum Paradies geöffnet werden.

Ein weiterer Gefangener

- Etwas Neues

Eines Tages, tat sich jedoch wieder etwas Neues unter den Reihen, der Patienten. Die Weißen kamen weniger häufig als sonst und wenn sie kamen dann blieben sie nur kurz vor den Käfigen der Wölfe stehen, machten jedoch keine Anstalten sie mitzunehmen. Es waren nur zwei der Wölfe übrig geblieben, welche sich aufs Haar glichen, so wie es bei allen Tieren einer Sparte war.

Die Wölfe erhoben nicht einmal die Köpfe als die Weißen kamen und wieder gingen, obwohl sie deren Verhalten natürlich nicht verstehen konnten und so etwas wie Verwirrung spürten, weil man ihre Routine in den Wind gestellt hatte.

Auch wurden die Stäbe nicht mehr geöffnet, niemand nahm sie mehr heraus und legte sie auf einen der Tische mit denen sie sonst weggebracht wurden, da sie doch nicht wussten was laufen hieß. Nur die klügsten unter den Tieren, konnten sich denken was da geschah. Die Ratten redeten ununterbrochen von einem neuen Wolf, der wohl soeben gemacht werde, da es sich bei den anderen ebenso zugetragen hatte. Die Patienten welche in etwa das Niveau der Ratten teilten sprachen da mit, doch die Wölfe verstanden nichts davon, sie wussten nicht einmal warum sie diesen Tieren lauschten, begriffen sie doch denn Sinn ihrer Worte nicht, wussten nicht was denn ein Wolf war.

- Die Empfindung der Ratte

So ging es einige Tage dahin bis wieder einer der Weißen herein trat und sich vor die Käfige der beiden Wölfe stellte. Er betrachtete die Tiere ausgiebig und rief dann schließlich einen zweiten der Weißen Männer herbei, der einen der Tische vor sich her schob. Es würde also wieder in die Räume des „nicht Lebens“ gehen, das dachten die Tiere alle nur eine Ratte, die klügste von allen stutzte. Noch einmal wanderte der Blick des weißen Riesen von einem zum anderen Wolf, dann deutete er auf einen und die Käfigtür wurde knarrend geöffnet.

Die Ratte erschauderte, bei diesem Geräusch ein jedes Mal, sie hatte sich längst eingeprägt wie man den Stab der den anderen Quergestellt war, wegschieben musste, um die Tür ins Freie zu öffnen, doch ihre Kräfte reichten dazu nicht und die anderen Tiere hatten nicht die geeigneten Pfoten, nur die Affen hätten es gekonnt, doch diese beteiligten sich nicht an der Flucht, sie beteiligten sich an gar nichts, sahen sich als etwas Besseres.

- Der eine Wolf

Der Wolf dem der Fingerdeut gegolten hatte wurde von den beiden Weißen auf den fahrenden Tisch gehievt und weggebracht. Die Ratte quiekte erregt und entsetzt, so als wäre ihr jemand auf den haarlosen Schanz getreten.

Dies waren nicht die „Luftschleier“, wodurch sie ihn brachten, dies war die Tür ohne Wiederkehr, die eiserne Tür, welche zu den Leichenbergen führte.

Die Ratte konnte nicht wissen was dort mit dem Wolf geschah, nur der Wolf selbst konnte es deuten, aber nicht verstehen. Er kannte diesen Raum nicht und er fragte sich auch was mit den Tieren war die bewegungslos verharrten, warum redeten sie nicht durcheinander? Warum waren sie nicht in ihren Käfigen? Der Wolf wusste nicht was es bedeutete tot zu sein und er wusste auch nicht, dass er sich diesen nun hätte wünschen sollen, denn sonst würde es schmerzlicher sein.

Die Weißen verschwendeten keine Zeit daran ihm eine Spritze zu verabreichen, ja sie schlugen ihn noch nicht einmal tot, sondern, legten ihn auf einen der Haufen, auf dem zwischen den Tieren kleine schwarze Punkte herumflogen und Geräusche von sich gaben, die dem Wolf aus dem Raum des „nicht Lebens“ bekannt vorkamen. Der Wolf wartete geduldig auf die Prozedur, doch sie kam nicht, er wurde nicht an die Schläuche angeschlossen und die Weißen schlugen ihm nicht ihre Krallen in den Leib.

Bald spürte der Wolf etwas, was er noch nie zuvor gespürt hatte, doch es tat ihm ungemein weh.

Er wusste nicht, dass sich so Todesangst anfüllte, dass sich sein Körper zusammenkrampfte und zu sterben begann. Etwas sagte dem Wolf er müsse aufstehen und laufen, plötzlich wusste er was Laufen hieß und wie es möglich war aufzustehen, er versuchte es immer wieder aber er konnte es nicht, dann nach etwa einem Tag, war der Schmerz vorbei und als erneut die Weißen in den Raum traten, waren die Fliegen soeben dabei Eier in die ausgehöhlten Augen ihrer neuen Behausung zu legen.

- Das Schild

Die Ratte beobachtete wie die kleinen Schildchen von dem Käfig genommen wurden, der nun leer stand, sie schrie und rumorte, der andere Wolf solle doch etwas Mitgefühl zeigen, doch der wusste, nicht einmal, dass er mit diesen Lauten gemeint war. Ein neues Schild wurde an dem Käfig angebracht, doch er blieb für Monate leer, kein anderes Tier wurde hineingesteckt und das Leben schien wieder seinen geordneten Gang zu nehmen.

- Der neue Wolf

Bis schließlich ein neuer Gefangener in den Käfig gebracht wurde, es war ein Wolf, nicht anders wie der, der vor ihm in diesem Käfig gelegen hatte. Reinweiß war sein Fell, noch klebte kein Kot daran, noch waren keine Narben zu erkennen. Es war nicht mehr als ein Kleines Fellknäuel ein Welpe, den die Weißen durch die „Luftschleier“ trugen und in den Käfig setzten, um damit zu beginnen dem neuen Versuchsobjekt die Schläuche und Kabel in den Körper zu pflanzen.

Die Tiere verabscheuten es, wenn ein Neuer kam, vor allem wenn dieser Neue ein Wolf war, denn da sich dieser nicht selbst ernähren konnte und die Schläuche Tag und Nacht zum überleben brauchte, kamen sie nicht darum herum dabei zuzusehen, wie ihm die Metallteile in den Körper geschoben wurden und gerade am Anfang, waren sie noch lebhaft, selbst wenn sie zur Klasse-A gehörten und schrieen und fiepten herzzerreißend. Angewidert und berührt verkroch sich die Ratte im hintersten Teil ihres Käfigs und wagte nicht das kleine Geschöpf anzuschauen, in den nächsten Tagen verharrte sie so und regte sich nicht, es sei denn ihr wurde das Futter gebracht, oder sie hatte durst und musste nach vorn wo die Wasserflasche hing.

- Das Geräusch

Einmal als die Ratte aus diesem Grund zum Gitter ihres Käfigs schlich und schließlich einen großen Schluck von dem ranzigen Wasser zu sich nahm, da hörte sie etwas das sie wunderte, denn im Gegensatz zu den Wölfen, konnte sie sich wundern.

Es war tiefste Nacht, doch das wusste die Ratte nicht, denn der Raum war immer von Neonröhren erleuchtet und Fenster gab es nicht, denn sie befanden sich Meter unter der Erde. Die Flammen loderten mal wieder hinter der Tür ohne Wiederkehr, denn ein regelmäßiges Rauschen drang davon zu ihrem Ohr und sie, die sie wild gefangen worden war, kannte dies als Feuer.

Oft hatte sie gehofft die Weißen würden in den Flammen umkommen, doch dies geschah nie. Die Tiere schliefen, selbst der kleine Wolf, der als einer von wenigen über ein Land herrschte das viel größer war als er selbst. Die Ohren der Ratte zuckten und ein dünner Speichelfaden floss ihr aus dem Maulwinkel, als sie das Trinken schlagartig einstellte.

- Die weiße Riesin

Da war einer von den weißen Riesen! Flugs verschwand die Ratte wieder im hintersten Bereich des Käfigs, doch als klügstes Tier in „Black Hill“, schlich bald wieder die Neugier in ihre Glieder, sie wollte wissen, was dieser Weiße vorhatte und vor allem, wie er hier hereingelangt war, denn die Ratte hatte weder die eiserne Tür noch das leise Rauschen der „Luftschleier“ gehört, zudem brannte da drüben gerade das Feuer, zu solch einer Zeit war keiner der Weißen unterwegs, gewöhnlich jedenfalls nicht.

Aufmerksam stellte die Ratte die Ohren auf, stellte sich auf die Hinterbeine und steckte das Schnäuzchen zwischen die Gitterstäbe. Ja da war eindeutig ein weißer Riese.

Die Ratte verschwendete keinen Gedanken daran, dass dies auch ein anderes Wesen sein könnte, niemand ging hier nur die weißen Riesen, etwas anderes gab es für sie nicht. Sachte bewegte sich ihr Näschen als sie den Geruch einer Wölfin wahrnahm. Die Ratte prallte zurück in ihren Käfig, sie hatte Schnee gerochen, Schnee und Bäume, solche Dinge hatte sie schon ein Jahr nicht mehr gerochen, sie hatte geglaubt dies wären nur Träume gewesen, Dinge die sie wegen den Medikamenten gesehen hatte, doch sie hatte sich getäuscht.

Wieder stellte sich die Ratte ans Gitter. Da war einer der Weißen, er stellte sich vor den Käfig des Wolfswelpen und sprach etwas in der Sprache der Wölfe. Die Ratte verstand ein bisschen davon, denn sie war ja das klügste Tier von ganz „Black Hill“. Angestrengt lauschte das kleine Tier, was die weiße Riesin, welche nach Schnee und Bäumen und einer Wölfin roch, zu dem kleinen Wolf sagte, der müde die Augen aufgeschlagen hatte.

- Die Worte der Riesin

„Bald wird es vorbei sein kleiner Wolf“, sprach die Stimme der weißen Riesin sanft und grollend wie das Knurren der Hunde, wenn eine Hand in ihren Käfig griff.

„Lass dich fallen, streng dich nicht an, sonst werde ich handeln müssen“, sprach die Stimme weiter und der kleine Wolf lauschte ihr. Doch er machte keinen Laut, zeigte keine Regung, er wusste nicht was die Stimme sprach, er fühlte nur etwas Warmes in sich, doch hätte er nicht einmal sagen können, dass es warm war. Es erinnerte ihn an eines der Medikamente was ihm die Weißen gaben und er dachte auch jetzt, sie würden es ihm wieder geben, dass er es fühlen konnte. In Wahrheit aber gefiel dem kleinen Wolf die Stimme, doch das wusste er nicht, er wusste nur, dass er mehr von diesem neuen besseren Medikament wollte. Er verstand die Worte nicht, doch es tat ihm gut, dass sich jemand mit ihm unterhielt und auch die Ratte wusste die Worte nicht zu deuten.

Was meinte die weiße Riesin, die nach Wolf roch damit, er solle sich „fallen lassen“? Er konnte doch nicht fallen, die Gitterstäbe hielten ihn davon ab und wozu sollte es gut sein? Was war bald vorbei?

„Ich werde wieder kommen, wenn es soweit ist und du nicht auf mich gehört hast“, sagte sie noch mahnend, dann verschwand sie, durch die Tür ohne Wiederkehr. Der kleine Wolf wollte sie aufhalten, wollte mehr von dieser Wärme hören, doch er konnte es der weißen Riesin nicht sagen, die in seinen Augen doch so sehr wie das große weiße Wesen im Nebenkäfig ausgesehen hatte, wie ein Wolf, doch wusste der kleine ja nicht was ein Wolf war. So legte er den Kopf wieder auf die Pfoten und verharrte.

Die Schule des Wolfes

- Die Sprache des kleinen Wolfes

Lange, lange Zeit geschah nichts dergleichen mehr und der kleine Wolf tat es als Traum ab, sofern er denn wusste was ein Traum überhaupt war. Er stellte es einfach gleich mit dem grellen, dem Hell, dass durch ihn gefahren war. Das warm gewesen war, als er noch nicht gewesen war. Er stellte es gleich mit der Elektrizität die ihn scheinbar aus dem Nichts erschaffen hatte. Der kleine Wolf fand keine Worte dafür es zu erklären, er kannte keine Worte.

Die anderen Tiere verstand er nicht, vor dem Wolf neben sich hatte er Angst und er wusste nicht einmal warum, er wusste auch nicht wie er Angst nennen sollte. Es war einfach ein Gefühl, alle Dinge waren nur Gefühle für ihn doch hatte er keine Bezeichnung für diese Gefühle und auch nicht für diese ganzen Dinge an sich, es war im Grunde keine Sprache, nicht einmal ein denken.

So war das zu Anfang mit dem kleinen Wolf, es war nur eine Schlussfolgerung ohne Worte ohne Gedanken. Sein Gehirn wusste manchmal was hier und da folgte. Es wusste wenn die Stäbe zur Seite geschoben wurden, dann würde man ihn am Genick packen und durch die „Luftschleier“ bringen, doch auch dafür hatte der kleine Wolf keine Bezeichnung, dies war die Zeit in der der kleine Wolf noch nicht am Leben war.

- Die Beobachtung der Ratte

Doch die Zeiten änderten sich, denn es gab da ja auch noch die Ratte, die immer wieder versuchte mit dem kleinen Wolf Kontakt aufzunehmen, deren Versuche aber nie Früchte trugen. Sie hatte die weiße Riesin welche nach Schnee und Bäumen und Wolf roch nicht vergessen und als Traum abgetan, so wie der kleine Wolf es getan hatte, sie erinnerte sich und wurde, sich allmählich der Bedeutung der Worte klar.

Ein Jahr verging in der die Ratte immer wieder mit ansehen musste, wie der kleine Wolf weggetragen wurde, bald schon kam er mit einem Loch im Kopf zurück, doch er versuchte nicht einmal sich den Verband herabzureisen, wie es die anderen Tiere taten. Bald war auch die Wunde im Hals entstanden, in der der Chip ruhte, doch auch den versuchte er nicht zu entfernen, wie sie es früher getan hatte.

Einmal kam er zurück und war blind, man hatte ihm die Augen mit Mull und seltsamer Paste zugeklebt. Tagelang waren sie entzündet und konnten doch einfach nur unheimlich schmerzen, aber der kleine Wolf regte sich nicht, gab keinen Laut von sich, so wie es alle Wölfe getan hatten.

Die Pfötchen um die Gitterstäbe geschlungen wie ein Mensch, das Schnäuzchen dazwischen durchgestreckt, verharrte die Ratte auf den Hinterbeinen ruhend und blickte zudem kleinen Wolf hinüber, der bald gar nicht mehr so klein war. Ihr dünnes Piepsen drang nun Tag und Nacht an seine Ohren, er hatte sich mittlerweile, an die den Nager gewöhnt, der von Beginn an hier gewesen war und anders lebte als er.

- Die Veränderung

Als dem kleinen Wolf endlich der Verband von den Augen genommen wurde und man mit feuchten Tüchern darüber fuhr um den Schleim wegzuwischen, der die Lider verklebte, war noch nicht viel geschehen. Die kleine Ratte erkannte die Rötung und erschrak. Sie hatte noch nie soviel Mitleid mit einem Tier empfunden, wie mit diesem Wolf.

Denn nun war er allmählich ein Wolf geworden, wenn er auch noch sehr jung war und die Ratte war längst alt, älter als die Ratten auf den Straßen von denen sie kamen hätten werden können. So drangen die Schmerzen des Wolfes in die Ratte ein und nahmen Besitz von ihr, doch bald schon besserte sie sich, denn sie sah, dass sich der kleine Wolf verändert hatte.

Noch immer hingen die Schläuche an ihm, nur atmen durfte und konnte er selbst. Die roten Lieder waren nicht mehr rot und der Wolf versuchte schon seit Stunden sie zu öffnen. Die Ratte verharrte an den Gitterkäfigen und forderte ihn auf sich anzustrengen, egal ob der Wolf Empfindungen für sie hatte, sie war sein Freund geworden.

Nach langen Stunden öffnete der Wolf die Augen, zuerst das rechte dann das linke. Noch war das weiß rot unterlaufen, aber etwas hatte sich verändert. Die Iris welche zuvor farblos gewesen war, wie die eines Toten, war nun giftig grün und funkelte als einziger Lichtschimmer von dem nun mehr nicht ganz so weißen Wolf zu der Ratte herüber. Sie fand diese Augen von Anfang an wunderschön und mochte den Wolf nun nur noch mehr.

- Die neue Sprache des Wolfes

Doch nicht nur die Augen hatten sich verändert, noch etwas war in dem Jungwolf vorgegangen, er war klüger geworden, hatte durch die neuen Behandlungsmethoden etwas gelernt. Bald schon erkannte die Ratte, dass ihr neuer Freund sich anders verhielt als sonst. Er lag nicht mehr den ganzen Tag bewegungslos in seinem Käfig, er richtete sich sogar einmal auf und blickte oft mit seinen grünen Augen über die anderen Käfige, so als sähe er die Tiere darin zum ersten Mal.

Wenn die Weißen kamen und ihn von den Schläuchen befreiten, um ihn, da er nun schon groß und schwer war, auf den fahrenden Tisch legten, dann gab er milde flüsternd Laute von sich. Laute wie „brah“ und „grra“. Das überraschte die Ratte und auch die anderen Tiere, denn noch nie hatte ein Wolf sich einer Sprache bedient.

Der Wolf hatte sich etwas überlegt, um die vielen Verwirrenden Gedanken die sein Gehirn nun auf einmal behalten konnte zu ordnen. Früher waren diese Gedanken einfach durch ihn durchgesickert wie durch ein großes Sieb. Es gab zwei Hauptbegriffe, wie auch die Ratte schon bald begriffen hatte. Die Laute welche mit einem harten „gr“ oder „kr“, begannen und die Worte welche mit einem weichen „b“ begannen.

Die Erste Art verhieß nichts gutes, so drückte der Wolf nun seine Schmerzen aus. Wenn er mit einer neuen Wunde zurückkam, konnte man ein gleich bleibendes Knurren von ihm hören ein, „grrrrra“, wenn ihm einer der Weißen einen Stoß verpasste war der Laut den er gebrauchte ein wildes und kurzes „krarr“ und wenn er endlich nach langen in den Schlaf viel so hörte man nur ein seufzendes „brr“ von ihm. Der Wolf hatte sogar angefangen mit der Ratte zu reden, auch wenn er ihre fiebsenden Worte noch immer nicht verstand. Doch immer wenn die Ratte ihn rief so machte er ein freudiges „brauh“.

- Die Ratte und der Wolf

Bald schon setzte sich die Ratte ein neues Ziel, sie wollte den Wolf klug machen, sie hatte es nun geschafft seine Aufmerksamkeit zu erregen, nun hieß es ihm das Sprechen beizubringen. So brachte ihm die Ratte, einzelne Worte und Bezeichnungen bei. Das erste Wort was er bald verstand war „Wolf“, doch war er von diesem Wort mehr als verwirrt.

Der Wolf sah zwar, dass es von jedem Tier mehrere in den Käfigen gab, doch hatte er sich bislang nicht dazugezählt, hatte geglaubt er wäre nur ein einzelnes Tier, oder vielleicht eine Ratte, wie das Wesen das immer zu ihm sprach. Als ihm die Ratte dann erklärte er wäre ein Wolf, so wie das große weiße Wesen im Nebenkäfig, vor dem er doch solche Angst hatte, da war er verwirrt, wie sollte er so etwas großes sein, war er doch selbst so klein? Bald aber gab er sich damit zufrieden und lauschte lieber den neuen Erklärungen der Ratte. Sie erzählte ihm vom „Luftschleier“ als welches sie „krara“ bezeichnete und von der eisernen Tür, der er selbst noch keinen Namen gegeben hatte.

Da er ja nun schon für vieles selbst Bezeichnungen gefunden hatte, war es schon fast ein leichtes das Sprechen zu lernen. „Brahu“ nannte man Käfig und die „kracha“ waren die weißen Riesen, „krag“ waren die Wunden. Und so lernte der Wolf für alles eine Bezeichnung die auch die Ratte wusste, alles was man hier in diesen Räumen so brauchte.

- Die Geschichte der Ratte

Eines Tages, der Wolf war nun schon über ein Jahr alt und sein Fell war nun schon wie das seiner Genossen von Narben übersät, jedoch nicht so schäbig wie das des anderen Wolfes, da er begonnen hatte sich zu putzen und sein Geschäft in die letzte Ecke des Käfigs zu machen, da fragte der Wolf.

„Ratte“, sagte er und die alte Ratte sah mit schweren Lidern auf, ihr Fell war grau geworden und sie lag nun Tag und Nacht direkt vor dem Gitter, sodass sie mit ihrem Schützling sprechen konnte.

„Ratte“, sagte der Wolf noch mal, „erzähl, wo war dein Käfig früher?“ Noch kannte der Wolf keinen anderen Begriff für den Ort wo man ist, als Käfig, denn hier war er immer gewesen, entweder hier oder im Raum des nicht Lebens. Er lauschte angestrengt denn er wusste die Ratte würde jetzt erzählen und ihre Stimme war schwach und man konnte sie nur ganz leise hören.

„Ich war im Wald“, sagte die Ratte und versuchte schwerfällig sich wie früher aufzurichten, „Ich war im Wald und im Schnee und in der Stadt.“

Der Wolf sah sie verblüfft an, so wie immer wenn er etwas nicht verstand. „Was ist ein Wald und was ist Schnee und was eine Stadt?“, fragte er schnell ohne der Ratte eine Verschnaufpause zu lassen.

„Der Wald, das ist ein Ort mit vielen, vielen Gitterstäben, die so dick sind wie ein weißer Riese und so groß wie dreißig von ihnen.“ Dreißig, dass wusste der junge Wolf, war die Zahl der Tiere, die sich in den Käfigen auf der Seite der Ratte befanden, er war verblüfft und öffnete den Fang, um noch eine Frage zu stellen, doch die anderen waren ja noch nicht beantwortet! So wartete er.

„Schnee, das ist Wasser was versucht sich in den weißen Pelz eines Wolfes zu verwandeln, es ist kalt und wenn man es berührt, so wird es wieder Wasser“, sprach die Ratte weiter und bemühte sich ihre Worte immer so zu formulieren, dass sie nur Worte benützte, die der Wolf schon kannte. Wieder war der Wolf verblüfft, als er versuchte, sich ihre Worte vorzustellen.

„Und eine Stadt, das ist ein Ort mit vielen, vielen Räumen so wie diesem hier, in dem die weißen Riesen leben, dort gibt es keine Bäume wie die einzelnen Gitterstäbe des Waldes heißen nur Häuser, wie ein Raum von außen heißt.“

- Die Frage des Wolfes

Jetzt war der Wolf verwirrt, der Raum hieß von außen Haus und ein Gitterstab heißt Baum? Hatte die Ratte nicht einmal gesagt, dass dieser Raum und alle daneben in denen sie sich befanden im ganzen „Black Hill“ hießen? Hatte sie ihm nicht damals versprochen ihm zu erklären was denn ein Hügel war.

„Was ist ein Hügel?“, fragte der Wolf trotzig, aber die alte Ratte war müde und wollte schlafen. Er hätte noch so viele Fragen gehabt, doch die Ratte sagte, sie werde ihm nur mehr erklären was denn ein Hügel ist.

„Ein Hügel besteht aus Erde, die ist dreckig und braun wie dein Kot, darüber wächst Fell, das die Farbe deiner Augen hat, das nennt man Gras. Viel Gras nennt man eine Wiese und wenn diese sich buckelt wie die Katze, so ist das ein Hügel“, die Ratte verstummte und schlief sofort ein und der Wolf musste sich damit begnügen, obgleich er nun nur noch verwirrter war als zuvor.

- Das Fressen

Aus diesen Fragen bestand nun das Leben des jungen Wolfes, je öfter er aus dem Raum des „nicht Lebens“ zurückkam, desto mehr wollte er wissen und desto mehr, verstand er plötzlich. Bald schon war der junge Wolf viel klüger als die meisten Tiere, er schien die Ratte geradezu auszusaugen, denn diese wurde immer schwächer und kränklicher und bewegte sich kaum noch, doch auch die Weißen, bemerkten den rapiden Anstieg, denn die Forschung mit dem Wolf nahm, endlich hatten sie es geschafft aus Strom ein Wesen zu erschaffen, dass leben konnte.

Es dauerte nicht lange und die weißen Riesen kamen und befreiten ihn von seinen Schläuchen, der junge Wolf musste von nun an alleine Essen können. Sie stellten ihm eine Schale voll Fleisch und eine mit Wasser in den Käfig in dem er sich bald nicht mehr würde herumdrehen können und ließen ihn allein.

Der Wolf stöhnte vor Hunger und Durst und nach einem Tag, lag er nur noch da und fragte nicht einmal mehr die Ratte nach Rat. Diese aber sah, denn Zustand ihres Schützlings und rappelte sich seit langem Mal wieder auf um auf den Hinterbeinen am Gitter zu stehen, ihr grau behaartes Schnäuzchen durch die Stäbe zu stecken und ihren dünnen Ruf zu ihrem Freund hinüber zu schicken.

„Du musst fressen!“, schrie sie pfeifend und dachte nach einigen Stunden schon, der Wolf könne sie nicht hören, da er schon so schwach war. Brauh, ertönte der Ruf, des Wolfes schwach zu ihr herüber und hätte die alte Ratte es gekonnt, wäre sie vor Freude in die Luft gesprungen.

„Du musst fressen und trinken!“, schrie die Ratte wieder, doch der Wolf regte sich nicht.

„Ich weiß nicht wie das geht“, sagte er mit karger Stimme und blickte müde zu dem Nager hinüber. „Ich kann das nicht.“

„Doch du kannst es“, sagte die Ratte, „Ich habe es dir oft genug erklärt du musst nur mit deiner Zunge an dem Wasser lecken und ein Stück von dem Fleisch damit nehmen, so als ob du redest, dann musst du den Kiefer auf und ab bewegen“, erklärte sie mit zittriger Stimme.

„Ich kann das nicht“, sagte der Wolf wieder und drehte beschämt, den Kopf von seinem Freund weg.

„Doch du kannst es, bitte, bitte mach es“, redete die alte Ratte weiter auf ihn ein, doch ihre Kräfte schienen bald zu versagen, ihre Beine zitterten von ihrem Gewicht.

Der junge Wolf wusste nicht was das Wort „bitte“ bedeutete, es war ein Wort der Riesen, doch benutzte es die Ratte immer, wenn sie am verzweifeln war und ihr Leben für jemand anderen geben würde, denn im Gegensatz zu dem Wolf der vor seiner Ankunft in dem Käfig gelebt hatte, wusste dieser was es hieß zu sterben, glaubte es jedenfalls zu wissen.

Mühsam, schleppte er sich zu dem Wassernapf und tat, was die Ratte ihm gesagt hatte, er streckte die Zunge hinein, doch das kühle wenn auch dreckige Wasser entglitt ihm immer wieder.

„Du musst die Zunge zu einem Löffel formen“, quiekte die Ratte. Der Wolf wusste nicht was ein Löffel war, wohl wieder ein Wort der Riesen dachte er, so tauchte er seine Nase noch tiefer in das Wasser und merkte bald das es auch ohne die Zunge klappte, bald war sein Durst gestillt.

Also wand er sich dem Fleisch zu, es zwischen die Zähne zu nehmen, war nicht schwer wie er bemerkte, schwerer war es schon, den Kiefer auf und ab zu bewegen und dabei aufzupassen, dass einem das Fleisch nicht heraus fiel, doch mit der Zeit ging auch das. Die Ratte war stolz auf ihren Schützling, er hatte einen bedeutenden Schritt getan, nun konnte sie wieder über die Flucht nachdenken, denn nun konnte sich der Wolf ernähren.

Durch Schmerz erwacht das Licht

- Die Vorahnung

Eines Morgens, die Ratte hatte sich den Plan für die Flucht zurechtgelegt und wollte, sobald der Wolf aufwache ihm alles über die Riegel an den Käfigen erklären, da kam ein weißer Riese in den Raum mit den Käfigen. Wie gewohnt, rückten die Tiere in die hinterste Ecke zurück, nur die Ratte nicht, denn sie war bereits zu schwach, sie wusste, ohne ihren Freund würde sie nicht mehr fliehen können, vielleicht ging es auch gar nicht mehr, denn sie beide waren in den höchst gelegenen Käfigen untergebracht. Sie waren in Augenhöhe mit den Riesen, im Grunde die beste Unterkunft, denn so blieb ihnen der Unrat der anderen Gefangenen erspart, der sonst durch die Gitterstäbe gesickert wäre.

Mit lauten Schritten, ging der Riese durch die Reihen, als bedurfte es einer Suche den neuen Patienten zu finden. Hie und da nahm er eines der Schilder in die Hand und prüfte nach, worauf und wann die Tiere das letzte Mal getestet worden waren und machte dann mit einem Stift ein rotes Kreuz auf das Kärtchen, auch bei der Ratte und den beiden Wölfen.

Als er wieder weg war wusste die Ratte plötzlich, dass es eilte und das sie nicht mehr würde fliehen können. Sie fühlte etwas in ihrem Inneren, dass den tot ankündigte, so wie ein Schatten hing etwas über der alten Ratte wie damals über dem Dachs.

- Der Fluchtplan

„Kleiner Wolf!“, schrie die Ratte, so laut sie konnte und ihr Schützling erhob sich in seinem Käfig und blickte unruhig zu ihr hinüber, denn es hatte wie ein Hilferuf geklungen.

„Was ist Ratte? Habt sie dir Wunden gemacht?“, bellte der junge Wolf und versuchte das Gitter mit seinen Zähnen zu durchbeißen.

„Hör auf damit kleiner Wolf“, sagte die Ratte flehend, da sie sich an den Dachs erinnerte und der Wolf hörte auf, mit seinen Zähnen am Metall zu kratzen. Sein Kiefer schmerzte wie damals als die weißen Spitzen durch seine Haut gebrochen waren. „Ich will dir etwas erzählen, kleiner Wolf. Hör gut zu es ist wichtig.“

Wie immer wenn die Ratte dies sagte verstummte der junge Wolf und legte sich hin, die Ohren aufmerksam aufgestellt.

„Du musst fliehen kleiner Wolf“, sprach sie.

„Aber wie, wie soll ich nur aus dem Käfig kommen? Sag es mir Ratte, sag es mir“, bellte der Wolf ungeduldig.

„Ich sage es dir. Siehst du den kleinen Stab, der den anderen Quer steht und mit den langen ein Kreuz bildet?“, fragte die Ratte und blickte zu ihrem Freund hinüber. Der Wolf suchte die Stäbe ab, ja er sah ihn.

„Ich sehe ihn“, sagte er und musterte ihn ausgiebig.

„Gut“, sagte die Ratte, „Du musst ihn mit der Pfote so drehen das du den Knick mit deinem Maul erreichst.“ Nun konnte der junge Wolf den Knick im Metall sehen von dem die Ratte sprach. „Und wenn du ihn im Maul hast musst du ihn herausziehen, dann fällt er hinab und die Tür geht auf.“

„Ich habe verstanden Ratte, aber was mach ich dann? Es ist tief hinab, ich werde fallen“, sagte der Wolf und stieß ein ängstliches Fiepen aus während er in die Tiefe blickte.

„So weit ist das nicht, nicht für dich kleiner Wolf, du musst einfach springen wenn es so weit ist, du wirst auf den Füßen landen, und dann, ja dann musst du dich verstecken. Siehst du den Tisch neben der eisernen Tür?“ Die Ratte deutete mit ihrem Schnäuzchen kurz in die Richtung, ließ den Kopf aber dann gleich wieder sinken.

Der Wolf folgte den Blick, nun weiß ich was ein Tisch ist, dachte er. Es war ein weißes Ding mit seltsamen kleinen Krallen darauf, die der Wolf aus dem Raum des „nicht Lebens“ kannte, ja darunter würde er genug Platz finden.

„Was mache ich dann?“, fragte er die Ratte gierig und dachte über das Abenteuer nach, was er zu erleben hatte, sein erstes eigenes, keines was die Ratte ihm nur erzählte.

„Du wartest bis die eiserne Tür aufgeht und schlüpfst hindurch.“

Der junge Wolf erschauderte, die eiserne Tür? Lagen dahinter nicht die Toten? Gelangte man nicht nur dahin, wenn sie einen hinbrachten und dann kam man nicht wieder.

„Ja es ist die Tür ohne Wiederkehr“, sagte die Ratte als hätte sie seine Gedanken gesehen, aber du darfst auch nicht wiederkehren, du musst Wölfe suchen, Wölfe wie du einer bist.“

„Aber du kommst doch mit?“, stöhnte der Jungwolf flehend, doch die Ratte sagte darauf nichts und wenn der Wolf hätte weinen können, wäre ihm eine Träne entglitten, doch nicht einmal ein Winseln drang über seine schwarzen Lefzen.

„Irgendwo hinter der eisernen Tür ist eine Treppe, Zähne die aus dem Boden wachsen und nach oben führen, du musst hinauf, soweit hinauf bis es nicht weiter geht und dann musst du dem Geruch des Grases folgen und dort hinlaufen wo die Farbe deiner Augen leuchtet, du darfst dich nicht wieder einfangen lassen!“, mahnte die Ratte noch, doch ihr Schützling sagte nichts mehr, er war traurig und hörte wie die Ratte, das Klimpern und dann das Rauschen der „Luftschleier“.

- Das neue Medikament

Ein weißer Riese schritt in den Raum und es war das erste Mal, das der junge Wolf eine Spritze außerhalb des Raumes des „nicht Lebens“ erhalten sollte, dass erste Mal für die meisten Patienten, aber vor allem auch für ihn, da es die erste war die er direkt ins Fleisch bekam und nicht wie sonst durch einen der Schläuche.

Das Rattern von Rädern mischte sich in das nervöse Winseln, Fiepen und Pfeifen der Tiere. Der weiße Riese schob den Tisch vor sich her, auf dem die Utensilien bereitlagen, die der Wolf zuvor gesehen hatte. Zitternd duckte er sich in die hintere Ecke des Käfigs und schmierte sich mit seinem Kot voll, der dort lag. Eine Hand griff in den Käfig und der Wolf biss drohend hinein, doch dies nutzte wie immer nichts.

Der Wolf konnte ha nicht wissen, dass die Riesen einen Schutz trugen, eine zweite Haust die aus Widerstandsfähigem Material bestand. Hart nahm ihn diese Hand am Genick und zog ihn vor. Der Jungwolf keuchte und strampelte, regte sich aber dann nicht mehr, wie es bei den meisten Tieren war, wenn man sie auf der richtigen Stelle am Genick schnappte.

Mit einem Ruck fuhr die Spritze in seinen Hals und er wurde losgelassen und der Käfig wieder verschlossen. Es war kein großer Schmerz gewesen, im Grunde hatte er es kaum gespürt und dennoch drang immer wieder ein grollendes „krarrr“, von ihm, während er dem Riesen nachblickte, der von einem Käfig zum anderen wanderte, um die Prozedur zu wiederholen.

Als er schließlich bei der Ratte angelangt war heulte der Wolf erregt auf, denn die Spritze war tief in den Leib seines Freundes eingedrungen und dies hatte einfach furchtbar schmerzhaft ausgesehen.

- Die Qual

Die nächsten Tage und Wochen waren wie ein einzelner großer Aufenthalt im Raum des „nicht Lebens“. Schmerzenslaute durchdrangen die Gitterstäbe und wanderten anhaltend durch den ganzen Raum. Es war einfach einer riesige Ironie, so kurz vor dem Tod noch so viel Leben in sich pulsieren zu spüren.

Dem jungen Wolf war als ob ein Feuer in ihm brannte, er fühlte die Hitze in seinen Gliedern, trank unablässig von dem Wasser, ertränkte sich fast darin, doch es verschwand nicht.

Verschwommen waren die Bilder vor seinen Augen, er konnte sehen wie sich die Gitterstäbe in riesige silberne Bäume verwandelten, die drohten ihn zu erschlagen. Die Tiere in den Käfigen wurden zu einer riesigen Schar von schwarzen Hügeln über denen das Feuer tobte, welches rauschend aus dem Raum ohne Wiederkehr zu ihm herüber drang.

Sein Geruchssinn war betäubt, sein inneres Auge, von den Bildern die es durch die Nase erhielt verwirrt. Riesige rote Schlieren tanzten herum und kündigten von der Glut, schwarze verbanden sich mit den Roten zu gigantischen Knoten und brachten den jungen Wolf zum husten.

Bleiern war die Farbe der Angst die sich in seinen Gedanken eingenistet hatte. Rostrot die Farbe des Schmerzes welcher in seinem Körper pochte, grell weiß sah er die Hand der Riesen ihn umfassen, ein teuflischer stinkender Geruch, ein Geruch wo keiner sein durfte. Eisig, kalt, Gefühllos, so rochen sie.

Und da war noch ein Geruch, der Geruch des Todes, der sich grau und bedrückend wie seine Lider auf ihn herabdrückten, welcher dreckig war wie der Geruch des Kotes und aussah wie Verwesung und Gift, grün wie seine strahlenden Augen.

Der junge Wolf und alle anderen Tiere, die zwar nicht die Kraft hatten mit der Nase zu sehen aber, ganz andere Sachen sahen, die er nicht hätte sehen können, ertrugen nun denselben Schmerz. Alle wälzten sie sich in den Käfigen, in ihrem Kot, bissen sich die Zähne an den Stäben aus oder rammten sie in ihr eigenes Fleisch, blieben mit den Gliedern im Boden hängen und brachten sie mit lautem Knacken entzwei – alle verloren sie den Verstand und litten unter unendlicher Qual.

- Die Wut des Wolfes

Ein wildes Knurren drang von links auf den Jungwolf ein. Es war der andere Wolf, der sich zu seiner vollen Größe erhoben hatte und mit wild gefletschten Zähnen im seinem Käfig randalierte. Blut quoll aus seiner Nasen, seinen Ohren, seinen Augen, doch galt das Knurren nicht dem jungen Wolf, es war eine allgemeine Verwirrung.

Der Wolf wunderte sich nur mäßig über diese Tatsache, er selbst war benebelt und schrie aus voller Kehle wegen seiner Schmerzen. So konnte er es gar nicht richtig erfassen, dass der Wolf den immer noch teilweise die Schläuche im ganzen Körper hingen während andere abgerissen waren und ihren Inhalt oder das Blut des Wolfes an die Gefangenen in den unteren Käfigen verteilten, sich nun zum ersten Mal erhoben hatte und Laute von sich gab. Dennoch erzitterte der Körper des jungen Wolfes, unter dem Heulen seines großen Artgenossen. Neben ihm wirkte er nun doch wieder wie ein Welpe und da ihm seine Augen und seine Geruch im Stich ließen sah er an der Stelle seines Käfignachbarn, einen weißen Riesen mit der bestialischen Wut eines Wolfes.

- Der tote Körper

Drei Tage war es nun schon her, welche sich die Tiere quälten, der Zorn des Riesenwolfs war verebbt, er regte sich wieder nicht mehr, erzitterte nur stark und sog tief die Luft in sich ein, aber so, oder so ähnlich ging es nun eigentlich den Meisten.

Es war ein Virus gewesen, den man ihnen verabreicht hatte, sie wollten die Lebensfähigkeit ihrer Patienten so auf die Probe stellen, nicht alle hatten es geschafft. Nicht alle lagen nun der Länge nach in ihren Käfigen und sogen die Luft, ein. Eine Luft die nur durch riesige mechanische Maschinen an Frische gewann und immer eine konstante Temperatur hatte.

Viele waren durch den Schmerz gestorben und ihre Leichen lagen nun in den Käfigen und verströmten den anhaltenden Todesgeruch, den der junge Wolf unbewusst schon gleich zu Beginn der Prozedur gerochen hatte.

Doch auch waren nicht alle allein durch das Medikament gestorben, viele waren verblutet, oder an dem Blut in ihren Lungen erstickt. Einige hatten sich die Kiefer ausgehenkt, wie der Dachs damals, andere sich die Läufe gebrochen wieder andere waren schlicht verdurstet.

Eines der weißen Kaninchen, welche meist an den Augen auf die Stärke und Auswirkung von Giften getestet wurden, hatte sich, da der Schmerz in seinen aufgedunsenen und hervor quellenden Augen gar zu groß war, einer scharfkantigen Stelle des Gitters bedient, welches es sich durch das Auge bis ins Gehirn gerammt hatte.

Dem jungen Wolf schauderte bei diesem Anblick und wie sonst, wenn er Hilfe und Trost brauchte, wand er den Blick und seine Hoffnung zu der Ratte im gegenüberliegenden Käfig.

„Ratte“, flüsterte der Jungwolf ängstlich. „Ratte“, doch sie regte sich nicht, lag nur still vor dem Gittern ihres Käfigs, die Trinkflasche war zersprungen, doch das Wasser, welches ausgeflossen war, war schon lange wieder getrocknet.

„Ratte, so wach doch auf. Ratte!“, das Flüstern wurde zu einem Ruf und der Ruf zu einem Schluchzen und Winseln. „Ratte!“, rief der nun wieder allzu kleine Wolf wieder, voll Angst und Trauer und streckte die Nase weit durch die Stäbe des Gitters, doch nutzte alles nichts, die alte Ratte war tot, war noch gestorben bevor sich das Medikament richtig hatte ausbreiten können in ihrem Körper, zum Schluss war der Tot doch noch friedlich für sie verlaufen. Und noch lange hallte das trostlose Heulen eines Wolfes wieder, der sich nun ganz allein fühlte in dieser Welt.

- Der Lichtstrahl

Der junge Wolf merkte in seiner Trauer nicht einmal die weißen Riesen, welche sich in den Raum begaben, um die Leichen einzusammeln, sie wild packten und achtlos in den Karren warfen, um sie anschließend in den Raum ohne Wiederkehr zu bringen, wo sie Monate lang den Fliegen überlassen wurden, bis man sie schließlich verbrannte.

Nein der junge Wolf merkte nichts davon, spürte nicht die Blicke seines Artgenossen, der ihn wie ein Welpe aber mit zum Leben erwachten Augen musterte, merkte nicht wie die anderen Tiere im Raum verstummten und seinem traurigen Gesang lauschten.

Er heulte einfach heulte aus voller Kehle, diese Kunst hatte ihm niemand beibringen müssen, die Fähigkeit Trauer zu zeigen konnte man nicht erlernen. Wild, hochtreibend, abfallend wanderte der Singsang durch die Räume, blieb nicht in den Käfigen, blieb nicht in der Kehle des Wolfes nicht in seinem Herzen, sondern wurde gehört bis hoch hinauf zu den Hügeln von „Black Hill“ und dann ganz plötzlich verstummte es.

Der junge Wolf hielt die Augen fest geschlossen und erzitterte, eine Träne lief ihm über die Wange und versiegte in seinem Fell, warum konnte er auf einmal weinen?

Plötzlich begann das Herz des Wolfes zu rasen, doch er stand, bewegte sich nicht bis auf sein Zittern, bis die Zähne aufeinander. Es war als würde ihn ein Blitz treffen, er sah diesmal das Feuer, blauweißes Feuer, er erinnerte sich nicht, dass Feuer diese Farbe hatte, doch hatte er auch noch nie eines gesehen.

Die Riesen traten mit schnellen Schritten an seinen Käfig heran, doch bemerkte er es nicht, immer noch hielt er die Augen fest geschlossen. Es war kalt und heiß zu gleich um ihn geworden, es war ein wohliges, befreiendes Gefühl und gleichsam, schien es als würde es durch eine Finsternis erzeugt. Es war ein einziges Paradoxem, dass ihn der Lichtstrahl, mit dessen Hilfe er das Tor ins Paradies öffnen sollte ihn gerade in einer Stunde tiefster Dunkelheit berührte, dass der Weg in eine Welt von Licht von Wesen gesteuert wurden die so dunkel und bösartig waren und sich in weißen Gewändern verbargen – doch genau das war es, was in diesem Moment mit dem Wolf geschah, denn als er endlich die Augen aufriss, konnte er nichts anderes sehen als blendendes Licht.

Der Weg in die Freiheit

- Die darauf folgende Nacht

Trostlos glitten die leuchtenden Augen durch die Dunkelheit, rührten sich nicht. Ein Fremder mochte sie wohl für den Blick einer Katze halten, doch war es der des Jungwolfs. Lange Stunden hatte er ihm Raum des „nicht Lebens“ verbringen müssen, hatte Hitze und Kälte durch seine Adern pulsieren gespürt. Es hatte sich angefühlt als würde man ihm die Knochen herausnehmen, doch war sein Blick ins Leere gegangen, hatte er nur das Licht gesehen sonst nichts, als es schließlich verebbt war, hatte alles in blauem Feuer gestanden, doch vergangen war es nur langsam.

Man hatte wieder die grellen Blitze durch ihn gejagt und seine Schädeldecke geöffnet, um in ihn hineinzuschauen, man hatte ihn an die Schläuche gehängt und ihm die nadeldünnen Krallen in den Leib gerammt. Er hatte den Laut eines Sägeblattes vernommen und das Rattern einer Maschine, ein Sirren, welches er nicht beschreiben konnte und dann ein anhaltendes gleichmäßiges Fiepen.

Nun aber lag er in einem Käfig und versuchte zur Ruhe zu kommen, er fühlte sich entkräftet, als wäre er lange gelaufen, so wie es ihm die Ratte gesagt hatte, er solle laufen, solle fliehen. Er hatte kaum noch den Willen dazu, dies in die Tat umzusetzen, vielleicht Morgen, dachte er.

Seine Pfoten lagen auf etwas kaltem, auf Eisen worauf sonst? Doch der Boden war hart und durchgängig, das waren keine Eisenstäbe mehr, das war etwas anders. Für den Moment dachte der Wolf er läge noch auf dem Operationstisch, man hätte ihn einfach vergessen. Sachte schob er die Pfote vor, so wie es seine Kraft gewährte, da waren Stäbe, er war in einem Käfig. Mehr konnte er nicht mehr herausfinden, denn es war zu dunkel, viel zu dunkel, nur ein winziger Lichtschein lag in der Ferne und ließ seine Augen glühen. So schlief der Wolf schließlich ein, der Strapazen überdrüssig und sog tief die Luft ein, die ausnahmsweise nicht nach Tod stank.

- Die Stimme

„Ich hatte dich gewarnt“, flüsterte die zarte, knurrende Stimme. „Ich hatte dich gewarnt, du solltest dich fallen lassen, aber du konntest ja nicht auf mich hören.“ Die Ohren des Wolfes zuckten, seine Nase machte es denen gleich, noch hielt er die Stimme für einen Traum, noch wollte er die Augen nicht wieder öffnen.

Seine Lider waren schwer, schwer und angenehm, er wollte schlafen, warum ließ man ihn nicht? Warum träumte er von so dummen Dingen, die ihn nicht ruhen ließen?

„Ich bin gekommen, um zu handeln und das werde ich nun, wach auf Grünauge, wach auf, es kämpft sich nicht gut, wenn der eine von zwei Kämpfenden schläft“, flüsterte die grollende wie zarte Stimme weiter und mehr denn je klang sie wie die eines Hundes.

„Bist du es Ratte?“, fragte der Wolf schlaftrunken wie er war, doch kam keine Antwort, kein Auflachen. Als der Wolf seine Augen öffnete, war ihm als sähe er in den Spiegel seines Trinknapfes. Augen blickten ihm entgegen, Augen gleich den seinen, nur das sie blau waren, blau wie die von einem der weißen Riesen, die er kannte. „Wer bist du flüsterte er? Warum störst du meinen Schlaf, wenn es endlich einmal Nacht ist, was sprichst du von einem Kampf?“

Der Wolf hatte sich aufgerichtet und blickte unschlüssig in die Augen. Er hatte einige Sekunden gezögert, bevor er seine Worte gewagt hatte, glaubte er doch immer noch einen der Riesen vor sich zu haben, einen ganz bestimmten, denn es roch nach Wolf und nach Schnee und nach Bäumen.

„Wer ich bin? Erinnerst du dich nicht? Ich habe dich schon einmal besucht, vor gut einem Jahr“, sprach die weiße Riesin weiter, doch der Wolf blickte sie trotzig an, ohne zu antworten, sie wusste, dass er sie erkannte. „Was weißt du denn schon von der Nacht? Das Licht fehlt seit Stunden, draußen ist es eben erst Nacht geworden, dies hier ist nur ein dunkler Raum unter der Erde und ein Kampf, ist was du heraufbeschworen hast.“ Der Wolf horchte auf, die Stimme der Riesin hatte ihre Tonlage verändert, sie klang nun fast so als ob ihr Leid täte, was sie nun als nächstes zu tun hatte.

- Eine Entscheidung

Ein Scheppern erfüllte den Raum und dann ein müdes Knacken wie von einem alten Schloss, quietschend schwangen die Gitterstäbe auf und jeder Muskel in dem Wolf spannte sich. „Ich wurde eben erst untersucht, lass mich schlafen, oder ich wehre mich“, ein Knurren drang aus seinem Rachen.

„Du verstehst meine Beweggründe nicht, du weißt nicht wer du bist und was du anrichtest“, gab sie im Flüsterton zurück und unwillkürlich lockerten sich die Glieder des Jungwolfes wieder. Diese Stimme beruhigte ihn wie damals, es war wie eine Droge und er musste sich anstrengen, um sich nicht hinzulegen und eine leichte Beute abzugeben.

„Dann sag mir wer ich bin, doch glaube nicht, dass du mich besiegen kannst, ich fürchte den Tod nicht!“, sagte der Wolf im selben Ton wie die Riesin und nun folgte tatsächlich ein Lachen, doch klang es sehr traurig.

„Ein Kind schickt man mich zu töten, ein Kind von dem ich kaum glauben kann, dass es uns schaden kann“, sie verstummte und sammelte sich wieder, der Jungwolf war sich sicher eine Träne in ihren Augen blitzen zu sehen.

„Ich kann dir nicht sagen, wer du bist, dass muss jeder für sich herausfinden, doch glaube nur das ich dich besiegen kann und sei nicht töricht den Tod nicht zu fürchten, sonst bist du es früher als du denkst.“

Ein Knurren drang durch die Dunkelheit, ein tiefes bösartiges Grollen und dann sprang die Riesin auf den Wolf zu, so schnell wie er es nicht für möglich gehalten hätte. Nichts konnte er sehen, aber auch gar nichts, nur das blau ihrer Augen. Noch nie hatte er gekämpft und auch diesmal senkte er sich auf den kalten Eisenboden und entblößte der Riesin die Kehle, ohne von sich selbst zu wissen was er tat.

Ein rütteln schüttelte die Riesin, welche über den Wolf gebeugt war, tief drangen ihre Augen in die seinen und dann waren sie verschwunden, sie hatte sie abgewandt, wollte ihn nicht ansehen.

„Was ist mit dir?“, fragte der Wolf auf einmal und seine Stimme war anders, klang beinahe so als wäre es die des Welpen, den die weiße Riesin damals vor sich gehabt hatte, doch dieser hatte nie gesprochen, sie wand den Blick wieder zu dem Wolf, der vor ihr lag.

„Ich kann dich nicht töten“, sagte sie wie zu sich selbst, „Ich kann es nicht, weil du dich nicht benimmst wie das kalte Licht, was im Herzen der Schwärze wohnt.“ Die grünen Augen blickten sie unschlüssig an und die Riesin empfand etwas in sich, was sie nie zuvor in sich gespürt hatte.

- Weiß ist das Böse

Schritte erklangen in die Ferne, Schritte und dann wurde eine Tür geöffnet und grell weißes Licht durchflutete den Raum, sprang ab von den vielen metallenen Oberflächen und blendete den Rüden, sodass er die Augen fest aufeinander presste. Der Riesin stockte der Atem, als sie ihre Artgenossen vor der Tür sprechen hörte, wie hatte sie ihr kommen überhören können?

War sie schon so verwirrt, auch ihren Auftrag hatte sie noch nicht erledigt. Der Blick der Riesin fiel zurück auf den weißen Wolf, der noch immer im Käfig hockte und bei jedem Versuch die Augen zu schließen, zusammenzuckte.

„Folge mir“, hauchte sie und stieg geschwind aus dem Käfig.

„Ich falle“, stöhnte der Jungwolf nur, der die Augen nicht öffnen konnte. Die Riesin hatte ihre Stimmlage wieder geändert, sodass der Wolf ihr verfiel, doch das war ihm nun egal, er wollte zu der Tür, der eisernen Tür, so wie es ihm die Ratte empfohlen hatte. „Der Käfig steht zu hoch, ich werde stürzen, ich sehe nur weiße Flammen, weiße Flammen“, stöhnte er.

Eile lag in den blauen Augen der Riesin, als sie zur Tür blickte. „Nein der Käfig steht am Boden“, hauchte sie, denn sie wollte die Aufmerksamkeit der anderen Riesen nicht auf sich lenken, „Steig einfach heraus und dann folge meiner Stimme.“

Vorsichtig ließ der Jungwolf eine Pfote aus dem Käfig hängen, sekundenlange wanderte sie ängstlich in der Luft herum, bis sie auf dem Boden stieß und sich schließlich der gestammte Wolf aus dem Käfig schob.

„Gut und nun folge mir“, flüsterte die hündische Stimme.

„Aber ich sehe nur weiße Flammen, alles steht in weißen Flammen.“

„Weiß ist das Böse, Schwarz ist der Freund“, sprach die Riesin, „Lauf dahin, wo du etwas schwarzes siehst, benutze deine Nase und deine Ohren.“ Der Jungwolf war verwirrt, etwas sagte ihm er könne dieser Stimme vertrauen, doch weiß ist der Feind? Die Ratte hatte damals ganz anders von diesen Dingen gesprochen, oder galt dies für jeden anders? War diese Regel nur in diesem Moment gültig? Gehässig ließ er den Kopf wandern und schnupperte und lauschte.

- Gestalten im Grellen

Er horchte leises Ticken und die Stimmen der Riesen, das Winseln der Tiere, er wusste wo er war, im Raum des „nicht Lebens“! Und er wusste auch wo er hinzulaufen hatte.

„Folge mir“, schrie die Stimme erneut und entfernte sich zu der Tür, wo die anderen Riesen standen, nur kurz dachte der Wolf an eine Falle, er war noch nie in eine geraten und sein Verstand sprach ihm erneut auf diese Riesin gut zu.

Der Rüde rannte, rannte zum ersten Mal in seinem Leben und ihm war als wäre er leichter als sonst, diese Bewegungen glitten so leicht in ihm dahin, als hätte er nie etwas anders getan. Dennoch war ihm nicht wohl dabei, er versuchte von dem grellen Licht zu fliehen, doch die Flammen loderten überall.

Er konnte nun die Tür sehen, als ob sie in Flammen stand, die Luftschleier, hinter denen sich zwei weiße Riesen verstecken, auch sie standen in weißen Flammen und die Flamme die vor ihm auf und abtanzte musste die Riesin sein, sie war winzig, dachte der Wolf, doch konnte er kaum einen Gedanken daran verschwenden.

Die Laute, die Gerüche alles formte sich zu einem Bild. Doch waren es nicht mehr wie früher bunte Schlieren, die sich leicht unterscheiden ließen sondern tanzende, weiße Glut.

„Lauf dorthin wo es schwarz ist“, drang die sanfte, grollende Stimme wieder zu ihm durch. Der Wolf spürte die Luftschleier auf seinem Rücken und sah Gestalten nun direkt vor sich, ihre Schreie verformten sich und machten ihre Gesichter deutlicher, sie rammten ihm winzige Krallen in den Leib, doch der Wolf Widerstand ihnen. Blitze zuckten durch den Raum und durch die Äste, welche aus den Armen des Feuers wuchsen und bohrten sich in ihn, doch er blockte die Schläge einfach ab und lief weiter. Er merkte nicht einmal wie die Riesin ihre Artgenossen abdrängte und zu Boden schmiss, er roch nur das Blut, was fortan wieder vor ihm tanzte und das Bild verdeutlichte.

- Durch die Eiserne Tür

Ein schwarzer Umriss, tat sich vor ihm auf, die Eiserne Tür, der Wolf verharrte. Wie sollte er durch sie gelangen, wenn sie nicht schon offen war? Doch auch dieses Rätsel löste sich, denn die Lichtgestalt der Riesin vor ihm, reckte sich in die Höhe und wuchs, wuchs zu einer riesigen Flamme und der schwarze Fleck öffnete sich und gab einen neuen Raum frei. Langsam trat der Jungwolf durch die weißen Reihen aus Flammen, durch den schwarzen Umriss der Tür und schon fiel sie hinter ihm ins Schloss und ein neuer grausamer Geruch machte sich in ihm breit, der Geruch von Tod und Ruß, der Geruch der Verwesung.

Lange Zeit blickte sich der Wolf vergebens nach einem weiteren schwarzen Punkt um, versuchte verzweifelt die Augen zu öffnen doch es gelang ihm nicht. Langsam schritt er durch die stinkenden Reihen, alles war so grell so monoton, nichts änderte sich, keine andere Farbe. Der Jungwolf glaubte erblinden zu müssen, doch es geschah nichts dergleichen.

Wie konnte ein Ort nur so voll von einer einzigen Farbe sein, von einem einzigen Geruch? Nicht einmal die weiße Riesin konnte er in dieser Fülle des Gestanks sehen. Plötzlich war es als ob die Pfoten des Jungwolfs gefrieren würden, er klebte am Boden fest, konnte sich nicht rühren. Er hatte Angst. Wie sollte er weiter kommen wenn die tanzende Flamme der Riesin nicht mehr vor ihm war? Was sollte er nur tun? Er hatte getan was Ratte gesagt hatte, er war durch die Eiserne Tür gegangen, wie sollte es nun weiter gehen? Zähne die aus dem Boden wachsen! Jetzt fiel es dem Wolf wieder ein, aber egal was er versuchte, seine Pfoten bewegten sich nicht vom Fleck, nur ein Winseln drang aus seinem Fang.

"Komm kleiner Wolf, lauf dorthin wo es schwarz ist", erklang wieder die sanfte Stimme und es schien ihn als käme sie aus seinem Kopf.

"Aber es ist nirgendwo schwarz", stöhnte der Jungwolf nur und im nächsten Moment wurde er in die Höhe gerissen. Hände hatten ihn unsanft gepackt und nahmen ihn mit. Unwillkürlich zuckte der Wolf zusammen, erstarrte wie ein Welpe, den man am Genick gepackt hatte. War es die Riesin die ihn nun trug? Würde sie ihn womöglich hinauf tragen dorthin wo die Farbe seiner Augen leuchtete?

"Zähne die aus dem Boden ragen", jaulte der Jungwolf ihr zu, dass sie auch nicht den falschen Weg einschlug, doch sie antwortete nicht. Da eine Flamme, klein und flink, schnell huschte sie auf sie zu.

- Beine, Mäuler und Augen

Der kleine Wolf konnte nicht einmal einen Gedanken fassen so schnell ging es. Er war sich nicht sicher vor welcher Flamme er Angst haben sollte, vor der großen die ihn gepackt hatte, oder vor der kleinen die ihnen entgegeneilte? Sekunden später flog sein schmächtiger Leib durch die Luft. Dies war wieder eine ganz neue Erfahrung für den Jungwolf. Noch nie hatte er vollends in der Luft gehangen. Hatte er sich in einen Vogel verwandelt? Ratte hatte doch einmal davon gesprochen, das es solche Wesen gab, damals hatte er nicht geglaubt, dass es möglich wäre durch die Luft zu fliegen. Ein Freudentaumel setze in dem kleinen Wolf ein, er fühlte sich für den Augenblick frei, dachte niemand würde ihm nun mehr etwas anhaben können. Leider wehrte dieser Zustand aber nur kurz und die Wahrheit war, dass er sich nicht etwa in einen Vogel verwandelt hatte, sondern lediglich weggeschleudert wurde und auch wieder irgendwo aufkommen musste.

Was nach diesem vermeidlichen Flug folgte, war eine weiche, aber mit Nichten angenehme Landung. Beine, Mäuler, Augen. Er war in einer Art Trog gelandet, in einem von vielen Behältern, in denen die Tierleichen aufbewahrt wurden, bevor man sie im Ofen verbrannte. Schäumende Mäuler, in den Himmel gereckte Glieder, leichenblasse Augen, aufgerissene Leiber. Alles durchzogen von Maden, besiedelt von Käfern und Würmern, welche ihnen aus den Körperöffnungen quollen.

Es wäre ein gar Grauen erregender Anblick gewesen, hätte der kleine Wolf im Moment nicht die Tugend besessen, alles als Flammen zu sehen. Wie gut es im Moment nicht tat blind zu sein! Wie gut das er nicht sah, was dieser schleimige Trichter wirklich war, in dem er die eine Pfote vergraben hatte! Wie gut, dass er nicht erkennen konnte, was da über seinen Leib gerutscht war. Wie gut, dass er nicht sagen konnte was ihn da berührte.

In den Gedanken des kleinen Wolfs, in dem nur noch wenig Platz war, der nicht von diesen widerwärtigen Gestank eingenommen worden war, glomm ein Bild von dem Dachs auf der damals tot im Käfig gelegen hatte und auch ein Bild von Ratte, das letzte was er von ihr gesehen hatte. Hätte der Jungwolf weinen können, er hätte es nun getan, zum Teil bestimmt wegen dem beißenden Gestank, der ihm die Sinne vernebelte.

- Laufen

Kein Winseln drang aus dem Fang des Wolfs, auch rührte er sich nicht. Die Pfoten waren tief begraben in den toten Leibern, auch Bauch und Kopf waren auf ihnen gebettet. Alles bis auf den Rücken hatte sich an ihm rot gefärbt. Bestimmt wäre der kleine Wolf liegen geblieben, hätte ihn nicht plötzlich eine Hand berührt ihn hochgehoben und bald darauf auf dem glatten sauberen Steinboden gesetzt.

"Alles ist gut kleiner Wolf, lauf einfach weiter, dorthin wo es schwarz ist", flüsterte die sanfte Stimme der Riesin ihm zu, welche nun ganz nahe war, doch bald war die große Flamme, die sie war, wieder klein geworden und verschwand. Die Schnauze des Jungwolfs drehte sich herum, der Blick seiner blinden Augen huschte durch den Raum. Ganz benommen war er noch, fast schon orientierungslos. Der Geruch des Todes, der sich in schwarzen, roten und braunen Schlieren darstellte, fesselte ihn. Lauf kleiner Wolf du musst laufen, du musst fliehen, wenigstens du musst frei sein, lauschte er den Worten von Ratte in seinem Kopf. Das Bibern, das Wimmern und Jauchzen, die durch den Jungwolf glitten, der sich noch immer nicht gerührt hatte und den die Riesin bald schon gedachte doch im Stich zu lassen da es nichts bringen würde ihn zu retten, sprang plötzlich auf und begann zu laufen. Die Fesseln lösten sich von dem kleinen Bluttropfenden Körper. Schneller und schneller wurde der nasse Leib. Ein physikalischer Moment, die Anstrengung, welche man zu Beginn hat wenn man das Rad anschiebt, das einfache Weiterlaufen im Nachhinein.

Schreie, Worte lagen dem kleinen Wolf in den Ohren. Die Riesen fluchten, wollten ihn fangen, aber er dachte gar nicht daran stehen zu bleiben, er konnte gar nicht mehr stehen bleiben! Es war ein erfüllender Lauf den der Jungwolf da hinsetzte, es war ein richtiger Lauf. Der erste den er zuvor angetreten war, war ihm schon als erlösend erschienen, doch dieser war noch viel besser. Die plumpen Pfoten setzten von ganz allein auf, rollte sich ab und katapultierten ihn nach vorn, die glatte Oberfläche ließ ihn nicht etwa straucheln, sondern machte ihn nur noch schneller. Der Jungwolf achtete nicht mehr auf seine Umgebung, zu schnell flitzten die Flammen vorbei, zerflossen wie Wasser. Er konnte den üblen Gestank nicht mehr riechen, weil er sich vor seiner Nase kräuselte und nicht eindringen konnte.

Ein Feuer begann nun in ihm zu glühen, eine Glut der er seine ganze Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Heißer und heißer wurde es in seinem Leib. Zuvor war es nur in seiner Brust gewesen, nun breitete es sich aus. Ein wohltuendes Gefühl war es, ein heißer Rausch der ihn noch mehr anspornte, doch irgendwie tat es mit der Zeit weh und bald schon fand sich der kleine Wolf sitzend wieder - er war stehen geblieben, einfach so auf die Hinterläufe gesackt und nun schnaufte er.

Wie weit war er gelaufen? Wie lang konnte denn der Raum in dem es so stank denn nur sein? Gab es so viele Tote, dass der Raum beinahe unendlich lang war? Denn so war ihm der Lauf vorgekommen "unendlich" und nun hatte er doch sein Ende gefunden.

- Über die Zähne in den Himmel

Lärm hallte von hinten. Knurren, Schreien, Klappern. Die weiße Riesin schlug ihren Kampf mit ihren Artgenossen. Die Gedanken des kleinen blutverschmierten Wolfs lagen hinten, dort wo die Geräusche herkamen, seine Augen lagen aber bereits in der Zukunft, auch wenn sie nicht sahen, was da vor ihnen lag. Ohne, dass er es hörte lag der Laut seines eigenen Hechelns in seinen Ohren, ohne das er sie sehen konnte lag die Treppe vor seinem Blick. Jetzt wo der Lauf zu Ende war, war sein Körper müde, er kannte die plötzliche Anstrengung nicht, auch wenn sein Wille gerne weitergelaufen wäre. Weiße Flammen reckten sich spiralförmig in die Höhe, die Wände und die Zähne entlang, es war wie ein Schlund, eine Hölle? Es dauerte nur Sekunden und die Realität brach wieder über dem Jungwolf ein. Eine richtige Realität, so wie er sie das Jahr seines Lebens gekannt hatte, eine farbige, finstere, monotone Realität. Jetzt sah er sie die emporragenden Zähne, sah die gegilbten Wände des Instituts, war sich des dreckigen Bodens auf dem er saß wieder bewusst.

Aber sein Blick lag nun, wo der seltsame Flammenzauber der ihn befallen hatte, beendet war, woanders. Er lag oben am Ende der Treppe, an einer Stelle die er eigentlich gar nicht sehen konnte, doch er sah die Auswirkung, dessen was sich dort befand. Er sah Licht, Sonnenlicht! Der kleine Wolf konnte im Grunde gar nicht wissen, dass das was dort auf die kalte Wand strahlte Sonnenlicht war, denn er hatte noch nie welches gesehen, doch auch ohne, dass er es wusste, übte dieses Leuchten eine regelrechte Anziehungskraft auf ihn aus.

Das muss der Weg in den Himmel sein, dachte der Wolf, das war der Weg den Ratte gegangen war und nun würde er ihn auch gehen. Er würde aus seinem dreckigen, vernarbten Körper hinausgehen und wieder mit Ratte zusammen sein. "Ich gehe jetzt in den Himmel", schrie der kleine Wolf. "Ich werde jetzt sterben", setzte er noch nach. Etwas im Rücken des Jungwolfs begann nun zu schlagen, es fächelte ihm kühle Luft zu, während er sich das Bild von seiner Ratte vorstellte und einfach nur gebannt auf das Licht starrte. "Ja ich sterbe jetzt", rief er noch einmal in den Raum hinein, ohne, dass Angst oder Freude in seinen Worten gehangen hätte.

- Ein grauer Wolf

Doch dann fuhr ein Fang in den Hals des Jungwolfes und er verlor den Boden unter den Füßen. In schnellen Streifen huschten die einzelnen Treppenstufen unter seinen Blick dahin und wenn er versuchte den Kopf zurückzudrehen, sah er graues Fell und weiße Riesen hinter sich. Kein Laut drang über die blutrote Schnauze, wie es immer war wenn man ihn an dieser Stelle packte. Doch auch dieser Zustand währte nur kurz. Der kleine Wolf war nicht mehr so klein, als das man ihn so tragen könnte. Die plumpen Pfoten schlugen hart auf die Kanten und der Fang der ihn hielt schwankte. Das Gewicht des Wolfes drückte ihn hart gegen die Zähne die ihn festhielten und bald spürte er Blut an seinem Nacken.

Dann endlich fiel sein Leib auf den Boden und er musste erst einmal wieder halt auf den Stufen finden. Was der kleine Wolf nun sah verwunderte ihn und ob es nahe liegend war, schaffte es sein Verstand nicht das Bild zu erklären. Ein grauer Wolf war da hinter ihm, die langen Läufe hatten ihn von den Stufen abheben lassen und nun glitt er durch die Luft und schlug bald auf die Riesen auf, denen er den Fang in die Glieder rammte. Rote Farbe färbte die Synthetik ihrer Kleider - reglos blieben die Riesen am Fuße der Treppe liegen, der Wolf über ihnen.

Der kleine Wolf merkte erst, dass er zitterte als der Graue zu ihm hinauf blickte. Blau leuchteten die Augen zu ihm hinauf, blau wie die Augen der Riesin, aber Schlüsse konnte der Jungwolf dennoch keine ziehen, Stille herrschte in seinen Gedanken. Dann endlich dachte er wieder an die Flucht, er wollte nicht in diese Augen sehen, auch wenn ihn der Anblick irgendwie beruhigte, er wollte es nicht, es war eine Bedrohung, das sagte ihm sein Instinkt. Hilflos glitt der grüne Blick hoch zum Ende der Treppe. Noch nie war der kleine Wolf eine Treppe hochgestiegen, aber zuvor war er ja auch noch nie gelaufen. Entschlossen hob der Jungwolf eine Pfote auf die nächste Treppenstufe, dann noch eine, bald schon alle Viere. Er war einen Schritt weiter und er würde weitere Schritte machen! Dann würde er dorthin gehen wo die Farben seiner Augen leuchtete! Augen. Der Blick des kleinen Wolf glitt über die Schulter zurück. Der graue Schatten hob sich dunkel und deutlich zwischen dem Weiß-dreckig der Wände ab, Blut hatte seine weiße Halskrause besudelt, die blauen Augen lagen auf ihm.

Wieder setzte er Jungwolf die Vorderpfoten auf eine neue Stufe und zog den Hinterleib nach, dass jeder seiner Schritte Blutspuren über den Boden zog ignorierte er. Er musste schneller werden, schneller und schneller er musste hier weg, er musste hoch zu dem Leuchten, in den Himmel, zu Ratte. Hatte er nicht eben noch gesagt er würde der Farbe seiner Augen folgen? "Ratte", winselte der kleine Wolf ohne anzuhalten und gleich darauf stockte ihm der Atem. Das Gesicht des grauen Wolfs war direkt vor dem seinen, ganz nahe, nahe genug, dass er den Atem des anderen spüren konnte.

"Sag so etwas nie wieder, so was darfst du nicht sagen verstanden?", hielt ihm die sanfte Stimme vor - die Stimme der Riesin? Der Jungwolf war verwirrt, verwirrt und verängstigt. Dieser Wolf war die Riesin. Er verstand es nicht, konnte es nicht verstehen, es hatte keine Logik für ihn, wusste er denn was Logik war?

- Kampfgetümmel

"Du darfst dir nicht wünschen zu sterben, das Leben muss immer wichtiger für dich sein okay?", knurrte die sanft-raue Stimme und brachte den kleinen Wolf dazu tonlos zu nicken. Abschätzend lagen die blauen Augen auf ihm, fragend, doch fragten sie ihn oder sich selbst? Lärm klang von unten herauf, dann von oben. Zwei Riesen hatten sich am oberen Ende der Treppe aufgebaut, sie hielten seltsame formlose Gitter und Krallenartige Auswüchse in den Händen, das Sonnenlicht ließ sie glänzen wie ein frischer Wassernapf. Der Jungwolf konnte gar nicht so schnell reagieren, da war der graue Leib der Wölfin an ihm vorbei gehuscht. Nun stürmte sie, mit aufgerissenem Fang, auf die Riesen zu. Nadeln bohrten sich in ihren Leib und ihre Zähne bohrten sich in den zur Abwehr hochgerissenen Arm ihres Gegners. Gebannt blickte der kleine Wolf hoch zu dem Szenario. Riese und Wolf fielen zu Boden, wie schon zuvor, sie riss ihn mit ihrem Schwung nieder um ihn außer Gefecht zu setzen. Aber bald schon brach ein Jaulen durch das Echo des Treppenaufganges.

Der Jungwolf zuckte zusammen, wusste nicht was zu tun war. Von unten hörte man die Riesen kommen, oben war der Kampf im vollen Gange. Ein Riese, der, der zu Boden gerissen worden war, hatte die Waffen beiseite gelegt und drückte mit der unverletzten Hand auf den Biss in seinem Arm, der andere, hielt das Krallending auf die Wölfin gerichtet, sodass kleine Nadeln daraus hervor schossen.

"Komm herauf kleiner Wolf, lauf an ihnen vorbei, während ich sie aufhalte", schrie die sanfte Stimme, der Riesin, nein der grauen Wölfin ihm entgegen. Hastig setzte der Jungwolf die Pfoten auf die nächste Stufe, zog sich hoch und tat es erneut, wieder und wieder. Er wusste nicht warum er tat was sie ihm sagte, vielleicht weil er sich für die Beruhigung die ihm ihre Stimme schenkte dankte?

Licht flutete durch ein Fenster auf den Kampf und nun auch auf den kleinen Wolf hernieder. Mit geweiteten, giftigen Augen blickte er auf den am Boden liegenden Riesen, der nun nicht mehr riesig war, dann wanderte sein Blick zur Wölfin, die nun auch keine Riesin mehr war - irgendwie war in der Freiheit nichts so, wie es den Anschein hatte. Nur für Sekunden war der Jungwolf stehen geblieben um sich umzusehen, doch schon glitt ein Quietschen an seine Ohren und etwas nassen versuchte ihn zu packen. Der verwundete Riese hatte sich herumgedreht, die Schuhe waren über den blutfeuchten Boden geglitten und seine Hände waren auf den kleinen Leib hernieder gestoßen. Der Jungwolf jaulte auf, viel mehr aus Schreck, als aus Schmerz. Sein blutgetränktes Fell war glitschig geworden und so schaffte er es aus den Fängen zu schlüpfen wie ein wendiger Fisch.

Hilfe suchend glitt der Blick des kleinen Wolfs zu der Wölfin. Blut träufelte aus ganz vielen kleinen Wunden an ihrem Körper, der Riese war nun über ihr und gedachte sie als nächstes zu treten.

"Du musst Laufen!", schrie der kleine Wolf, als er das sah, und von diesen Worten beeindruckt, drehte sich die Graue auf ihrem Rücken herum und entging so dem Fußtritt, sofort schnellte ihr Fang vor und biss in das Bein, welches nun hart am Boden aufgekommen war. Grell kam der Schrei des Riesen und erweckte in dem kleinen Wolf den Impuls loszulaufen, auch die Hände des zweiten Riesen konnte ihn da nicht mehr greifen.

- Endspurt

Die Pfoten des Jungwolfs schlugen taktvoll auf dem Boden auf, rote Spuren blieben dort wo sie aufgesetzt wurden. Das Licht der Sonne spielte mit seinem Pelz, aber es war nicht etwa warm, sondern kalt und steril wie so vieles hier. Es war ein weiterer langer Gang, den der kleine Wolf entlang hastete. Vom Sonnenlicht helle Rechtecke, hingen hoch über ihm zu seiner Linken, graue, welche sich bis zum Boden erstreckten waren zu seiner Rechten - Türen und Fenster, wobei er nicht wusste, was es mit den Fenstern auf sich hatte. Wieder breitete sich diese Hitze in ihm aus, wurde heißer und heißer und schmerzte bald. Aber er lief doch gar nicht weit! Nun selbst dachte er diese Proteste nicht, schließlich wusste er nicht wie weit man normalerweise laufen konnte, er lief doch erst zum dritten Mal in seinem Leben!

Der kleine Wolf versuchte das Feuer hinunter zu kämpfen und lief weiter, er blickte nicht mehr zurück, wollte sich nicht die Zeit nehmen. Jeder weitere schrille Schrei der Riesen tat ihm in den Ohren weh und machte ihm nur noch mehr angst. Seine Gedanken waren verworren, er wusste nicht ob er an den Himmel denken sollte, oder an Ratte, ob er die Worte der Wölfin befolgen sollte, oder ob er lieber sterben sollte, oder doch dorthin laufen wo die Farbe seiner Augen leuchtete? Plötzlich blieb der kleine blutverschmierte Leib stehen und blickte herum. Fremde Gerüche lagen im Fang des Wolfes, aber sie waren nicht sehr interessant. Lieber blickte er sich nach etwas um das Grün war wie seine Augen. Aber wohin er auch blickte er fand nichts. Da waren dreckig-weiße Wände und grauer Boden, eine helle graublaue Farbe leuchtete durch die Rechtecke zu seiner Linken. Die Türen waren auch nicht grün. Der kleine Wolf konnte nicht einmal eine Zimmerpflanze finden, nun als solche hätte er sie auch nicht erkannt.

- Der Blick durch die "Nicht-Tür"

Dann aber sah er etwas Grünes aufblitzen, etwas das seine Neugierde weckte, eine Neugierde von der man in diesem Zustand nicht hätte denken können, dass sie eintrat. Mit tapsigen Schritten ging der Jungwolf auf das Grün zu, welches er erblickt hatte. Er hatte eine geduckte Haltung eingenommen, die Ohren lauschend zurückgestellt, denn in seinem Rücken tobte noch immer das Chaos. Als er stehen blieb, lag sein Blick auf seinem Blick - so paradox es klang. Eine seltsame eckige Scheibe lag vor ihm, eines der Fenster, der "Nicht-Türen" wie es der kleine Wolf nun in seinem Kopf nannte. Sein Blick glitt auf seine eigenen grünen Augen, auf den blutverschmierten Unterleib, den Weißen Rücken, die Narben, die Verbände - ja tatsächlich hingen dort und da noch Verbände an seinem Gliedern. "Wasser", flüsterte der Jungwolf. Und stieß mit der Schnauze gegen sein Spiegelbild. Es verwirrte ihn, dass es nicht nachgab, was war das wenn es kein Wasser war? Eine Tür aus hartem Wasser, was sollte das sein?

Noch viel mehr fixierte der Jungwolf nun seinen Blick auf seinem Spiegelbild, prägte es sich ein, prägte sich wieder die Farbe seiner Augen ein. Womit die Riesen sie wohl gefärbt hatten? Je länger er auf das Bild starrte desto mehr viel ihm ein Detail auf, dass er ganz am Anfang noch nicht gesehen hatte. Auf diesem Bild war nicht nur er allein, auch nicht sein Hintergrund, da spiegelte sich etwas, dass gar nicht da war. Eine große Graue Fläche umgeben von einem hohen Gitter und die Decke dieses Raumes den er da sah, war graublau und von weichen Wellenbewegungen bedeckt. Ganz weit hinten, am Ende des grauen Bodens, noch hinter den Gitterstäben, waren große krumme Rücken, schwarze Rücken. "Hügel", hauchte er ehrfürchtig, ja das mussten Hügel sein, so wie Ratte es ihm beigebracht hatte. Der Buckel einer Katze.

"Ja, das sind Hügel, dorthin müssen wir fliehen", erwiderte eine Stimme neben dem kleinen Wolf und als er aufblickte, sah er die blauen Augen der Wölfin aufleuchten. Irgendwie hatte er nun gar keine Angst mehr vor ihr.

- Die Verwandlung

Fragend, erwartungsvoll, so war der Blick des Jungwolfs im Moment, der auf der Grauen haftete. Ihr Blick glitt indessen zurück, ihre Ohren waren gespitzt, sie hatte keine Zeit hier rum zu sitzen, das wusste sie. Und dann geschah, es der Beweis, dass die Wölfin die weiße Riesin war, zeigte sich endlich und sogar der ungebildetste Dummkopf hätte keinen Zweifel mehr daran gehabt, dass es so war. Ihr Körper wuchs empor, dehnte, sich. Synthetik legte sich über das Fell, welches verschwand, ausfiel und nur rosafarbene Haut übrig lies, das Fell an ihrem Nacken färbte sich indessen fahl braun. Pfoten wurden zu Händen und die Schnauze zu einer kurzen Nasen und vollen runden Lippen - nur die Augen zeugten, davon, dass sie immer noch die graue Wölfin war.

Der kleine Wolf schluckte und zuckte zurück, sein Leib presste sich ängstlich gegen die Spiegelfläche, seine Augen waren geweitet wie die eines Kaninchens. Warum hatte er nun wieder Angst vor ihr, zuvor war die Angst doch wie weggewischt gewesen? Aber der Jungwolf verstand einfach nicht und was man nicht versteht, davor hat man Angst. Schreie, nein Worte, Befehle, Streit? Alles hallte von hinten aus den Gängen zu ihnen hervor. Die Hand der Riesin legte sich auf ein Pult welches knapp unter Brusthöhe vor ihr an der Wand hing. Die dünnen Finger huschten darüber, was ein mehrfaches Piepsen wie von einer Maus ertönen ließ und dann öffnete sich plötzlich die "Nicht-Tür" und der kleine Wolf fiel aus dem Raum hinaus. Wieder war er belehrt worden, denn bei der "Nicht-Tür" handelte es sich sehrwohl um eine Tür, um eine Glastür um genau zu sein, aber das hatte ihm ja niemand gesagt.

- Völlig neue Eindrücke

Kalte Luft drosch auf den Jungwolf ein. Nie hatte er etwas anderes als die voreingestellte synthetische Luft des Institutes geatmet, nun war da Wind! Fremde Gerüche hingen in der Luft, Gerüche die er nicht zuordnen konnte. Kälte stieg ihm in die Glieder, nie zuvor war ihm kalt gewesen. Der kleine Wolf versuchte, auf diesen Schock hin die Luft anzuhalten, doch lange schaffte er es nicht und als er endlich einen tiefen Luftzug nahm, drang die Kälte auch in sein Inneres vor. Kalte, frische, wohlschmeckende Luft. Wieder kam dieses Stechen in seine Brust, doch diesmal war es ein kaltes Stechen, nicht diese heiße Flamme von vorhin.

Der kleine Wolf stemmte sich vom Boden auf, auf den er gefallen war, blickte hoch zu der Riesin, doch da war keine Riesin mehr, da war wieder die graue Wölfin. "Wer bist du?", wisperte der Jungwolf, ohne, dass er über seine Worte nachdachte. Sein Blick lag standhaft auf ihr, gerade so als wollte er sie zwingen ihm zu antworten, doch kannte er so etwas überhaupt?

"Später kleiner Wolf, noch sind wir nicht in Sicherheit", antwortete sie hastig und ihre Aufmerksamkeit glitt noch einmal in ihrer beider Rücken. Die weißen Riesen waren bereits zu sehen, es waren mehr als zuvor und sie hatten viele kleine glänzende Gegenstände bei sich. "Wir müssen zu den Hügeln", meinte sie wie zu sich selbst und hieb ihre Schnauze in seinen Rücken, das er zu Laufen begann.

Hart war der Boden hier draußen, anders als in den Räumen des Instituts. Einzelne Kiesel lösten sich unter seinen Pfoten und stachen ihn, die Kälte in ihm wurde immer brennender und gleichsam wurde ihm nun wieder warm. Es war einfach nur ein absolut seltsames Gefühl mehr konnte er nicht erfassen. Große Geräte mit blinkenden blauen Augen postierten sich nun vor den Gitterstäben, die viel höher und dicker waren als die, welche er kannte und bei deren Größe er wieder daran denken musste was ihm Ratte über Bäume erzählt hatte. Aus den blinkenden Dingern stiegen nun noch mehr Riesen, doch diese waren nicht weiß sondern blau, so wie die dunkle Decke. Sie schrieen und warfen sich hastig Wortfetzen zu. Der kleine Wolf warf seinen Blick indessen Hilfe suchend zur Wölfin hinüber, sie war stehen geblieben und blickte sich um, als ob sie nach etwas suchen würde, so tat er es ihr gleich, obwohl er nicht wusste wonach sie Ausschau hielten.

Als sie weiterlief setzte er ihr nach. Sie liefen nun auf die Gitterstäbe zu, je näher sie ihnen kamen, desto höher schienen sie - bestimmt konnte nicht einmal ein Riese über sie hinwegsetzten.

- Das Loch im Zaun

Ein tiefes Knurren setzte über ihren Köpfen ein, die Decke knurrte! Der kleine Wolf riss den Kopf in die Höhe und bald schon war da etwas neues, was er nicht kannte. Die Decke knurrte nicht nur, sie flackerte auch wie die Stromkabel und nicht nur das sie bewegte sich noch dazu. Es mussten Wellen sein, dachte der Jungwolf. Zuvor hatten ihn diese blauen Streifen und Kringel schon an Wasser erinnert nun war er sich sicher, das da oben war Wasser! Aber hatte er nicht auch geglaubt, dass die Tür vorhin Wasser gewesen wäre, vielleicht irrte er sich ja wieder?

So fasziniert von der Wasserdecke, wie der kleine Wolf im Moment war, übersah er die Gitterstäbe auf die sie zuliefen und lief dagegen. Verwirrt blieb er vor ihnen sitzen und blickte geistesabwesend an das obere Ende des Gitters. "Nun komm schon kleiner Wolf, es bleibt keine Zeit du musst fliehen!" Riss ihn die sanfte Stimme aus den Gedanken, doch er konnte nur den Kopf der Wölfin sehen, der aus dem Boden ragte und dann verschwand sie vollkommen. Verunsichert näherte sich der Jungwolf der Stelle an der sie verschwunden war. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Boden sich verändert hatte, er war braun und hart und hatte die Farbe von Kot. Erde, ging es ihm durch den Kopf.

An der Stelle, an der die graue Wölfin verschwunden war, war nichts anderes als ein großes, schwarzes Loch. Der Blick des kleinen Wolfs hob sich und traf ihre blauen Augen, welche ihm von der anderen Seite des Gitters abwartend und leicht vorwurfsvoll anblickten. Ein wenig graute dem Jungwolf davor in das Loch zu springen und durchzukriechen, auch wenn sie es ihm vorgezeigt hatte, irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass er Angst davor hatte. Davon hatte ihm doch Ratte auch nie etwas gesagt, das hatte sie ihm nie beigebracht, protestierte er in Gedanken.

Die Wölfin wurde indessen nervös, vom Zögern des Kleinen, immer näher kamen die Wachmänner, die hinter ihnen her waren. "Komm schon kleiner Wolf, das schaffst du, du hast schon so vieles geschafft", versuchte ihm die sanfte Stimme Mut zuzusprechen, aber er schüttelte nur den Kopf. "Du bist doch auch ganz allein die Stufen hinauf gestiegen", versuchte sie es weiter und ihre Stimme wurde eindringlicher und ängstlicher, sie war sich nicht sicher ob sie ihn wie einen Welpen, handhaben sollte, wo er dem Welpenalter doch schon entwachsen war.

Wieder schüttelte der kleine Wolf den Kopf. "Das hat mir Ratte beigebracht", winselte er und die Riesen in seinem Rücken näherten sich auf Netzen. Die Wölfin spürte in dessen ein Gewehr auf sich gerichtet, konnte es aber nicht sehen.

"Ratte?", fragte sie sich. "Gut dann stell dir vor, ich wäre Ratte und bringe dir etwas Neues bei."

Das Kopfschütteln des Wolfs war schon zur Monotonie geworden. Sein Blick lag ausdruckslos auf dem Loch, sein Atem ging flach, ihm war kalt und er war müde. "Ratte ist tot, sie kann mir nichts mehr beibringen", schluchzte er. "Dann bring ich dir jetzt etwas bei", meinte sie und hatte indessen begonnen unruhig am Zaun hin und herzulaufen. Warum hatten sie noch nicht geschossen? War dieser Jungwolf so wichtig für sie, dass sie Angst hatten ihn zu treffen? "Du willst doch etwas lernen oder? Du willst doch fliehen?"

- Fell das in der Farbe meiner Augen leuchtet

"Ratte sagte ich müsse dorthin laufen wo die Farbe meiner Augen leuchtet." Wieder knurrte die Decke. Grelle Stromschläge glitten durch die Wasserfluten. "Wenn du nicht durch das Loch schlüpfst wirst du sterben", hauchte die Wölfin und der Blick des kleinen Wolfs hob sich. Sterben, hatte sie nicht gesagt er durfte nicht sterben? Ratte hatte auch gesagt er darf nicht sterben, aber was sollte er tun? Nirgendwo leuchtete die Farben seiner Augen - oder? Nun wo der Jungwolf den Blick wieder angehoben hatte sah er etwas. Dort hinter den Gitterstäben, auf den Hügeln - war das Fell?

"Fell das in der Farben meiner Augen leuchtet?", fragte er sich selbst, sodass die Wölfin verwirrt aufhorchte. Der grüne Blick fixierte die Hügel in der Ferne. Es war dunkel hier draußen. Die Wolken warfen tiefe Schatten auf die Hügel und er hatte sie nicht gesehen, die Nadeln die Haare. Grüne Haare! Die Riesen waren bereits nahe gekommen, doch bevor sie sich versahen war, der Wolf durch das Loch geschlüpft und rannte mit großen Sprüngen den Hügel hinauf. Die graue Wölfin folgte ihm, beobachtete jeden Schritt des Artgenossen. Der Lärm der Sirenen heulte zu ihnen herüber, der Jungwolf achtete nicht mehr darauf. Er rannte, rannte was er noch konnte. Das grüne Fell kitzelte seine wunden Flanken und stach ihm in die Nase, sodass er niesen musste. Bisher war er auf Fliesen gelaufen, auf Treppen und auf Beton, aber nun lief er auf Erde und Gras! Das war das Beste, von allem.

Wie zuvor brannte das Feuer in seinem Inneren, aber es hatte etwas Gutes, denn es vertrieb die brennende Kälte. Bald schon hatte er die Spitze des Hügels erreicht und schon blieb er wie angewurzelt stehen - was da vor ihm lag, war viel atemberaubender als alles zuvor. Der Raum in dem sie sich befanden war riesig, viel größer als jeder andere. Das hier war der Raum der Freiheit! Und nicht nur das, das war nicht einmal das Überwältigendste. Dort hinten, weit weit weg, konnte er riesige spitze, grüne Stacheln sehen. Bäume!

Wieder ein Donnern, der Widerhall hing noch lange in den Mündern der Täler, bis endlich die Wolken begannen sich über der Landschaft zu entleeren. Nur ein erneuter Schauer, der die Hills ereignen sollte. "Was ist mit dir kleiner Wolf?", fragte die Wölfin besorgt, weil sich der andere auf den Boden geschmissen hatte und sich im Gras wälzte. "Ich hab's gefunden", schrie er darauf. "Ich hab das Fell gefunden, das in der Farbe meiner Augen leuchtet, jetzt bin ich frei!"

Hart prasselte der Regen auf die beiden Wölfe, hart und kalt, wie es der Herbstregen meistens tat. Sie begannen erneut zu laufen, den Hügel hinab und einen anderen hinauf, weit weit über die Ebene und die Menschen verloren sie schon bald in den aufkommenden Nebeln. Die weißen Riesen konnten ihnen im Schwarz der Nacht einfach nicht folgen - denn Weiß ist das Böse, Schwarz ist der Freund.

Ein warmer Platz zum Schlafen

- Einfach nur weg

Gehorsam tapste der kleine Wolf der grauen Wölfin hinterher. Seine Ohren waren neugierig aufgestellt, aber nur solange ihm kein Wassertropfen hineinkam, kam es dazu legte er sie an und schüttelte sich augenblicklich. Ganz schnell fielen die Regentropfen auf seinen Rücken und wuschen das Blut weg, dass im Fell der beiden Wölfe klebte. Der kleine Wolf hatte keinen Grund den Fang aufzumachen, er war viel zu verblüfft von den ganzen Dingen, die ihm so neu waren. Noch nie hatte er Regen gespürt, noch nie Gras gesehen. Das Herz in der Brust des kleinen Wolfes schlug höher als sonst. Er war so aufgeregt! Aber so aufgeregt und glücklich er auch war, er hatte getan was seine Ratte ihm aufgetragen hatte, und jetzt wurde er müde. So neu diese Eindrücke auch waren, schön waren sie nicht. Es war kalt und nass und die große Wölfin lief so schnell, dass er ihr kaum folgen konnte. Nur eines beruhigte den kleinen Wolf irgendwie, dass die Bäume näherrückten, die Bäume die er so gern einmal sehen wollte!

- Alleingelassen

Irgendwann, war die Müdigkeit des Jungwolfs so groß, dass er auf dem matschigen Boden ins Rutschen kam und stürzte. Aufgeweichte Erde spritze ihm in die Augen und für eine kurze Zeit, konnte der kleine Wolf nicht richtig sehen. Als er wieder sicher auf den Beinen stand, war die graue Wölfin im Regenschleier verschwunden. Das Herz des Jungwolfs setzte für einen Moment aus, dann stellte sich ein böser Schmerz ein, derselbe, denn er damals gespürt hatte als Ratte gegangen war und ihn allein gelassen hatte. Jaulend setzte sich er sich in den Dreck, während sich die Verzweiflung in seinem Herzen ausbreitete.

"Was hast du kleiner Wolf?", folgten die starken Worten der Grauen, die ihn schnell wieder aufbauten. Schwanz wedelnd trottete der Jungwolf der Wölfin entgegen und drückte seine Schnauze freudig gegen die ihre.

"Ich habe gedacht du wärst weg", antwortete er auf ihre Frage und setzte sich dann gehorsam vor sie hin, da sie ihm ihren Fang entzogen hatte. Die Wölfin lächelte sanftmütig, seufzte dann aber, als sie den Blick wieder in die Richtung schweifen ließ, in die sie wanderten. Erwartungsvoll schaute der kleine Wolf auf seine Retterin und ließ sich von ihren blauen Augen fangen. Seine Glieder schmerzten ihm, aber er beschwerte sich nicht, er war müde, aber er war auch glücklich nicht allein zu sein.

- Ein anderer Kurs

"Komm, lass uns einen Unterschlupf vor dem Regen suchen", meinte die Fähe zu dem halben Welpen und gab erneut die Richtung an. Zuvor hatten sie direkt auf den Wald zugesteuert, nun aber liefen sie einfach hinein in die Graslangschaft. Der Jungwolf war neugierig, was denn in dieser Richtung sei, deshalb versuchte er nun wieder mit ihr schritt zu halten. Ich kann ihn noch nicht zu den anderen bringen, nein, es wäre zu früh..., glitt es der Wölfin durch den Kopf. Dieses mal lief sie nicht mehr nur stur geradeaus, sondern achtete darauf, dass ihr Begleiter nicht noch einmal zurückfiel. Der kleine Wolf wusste nicht wohin seine Reise ging, er wusste nicht, dass hinter dem Wald eine Stadt lag in der sich ein Rudel Wölfe niedergelassen hatte. Er wusste nicht, dass die Wölfin Zweife gehabt hatte und daher gegen ihren Auftrag handelte und deshalb wohl so schnell nicht würde zurück können.

Nicht viel wusste der Jungwolf. Er wusste wie man läuft und wie man isst, wie man spricht und, dass es Gras war auf dem er lief. Er wusste weshalb die Bäume jetzt nicht mehr näherrückten und er glaubte zu wissen, dass ihm die Wölfin nichts tun würde. Das alles genügte dem kleinen müden Wolf.

- Gras mit großen scharfen Blättern

Die Wolken waren schwarz und blau, aber sie versteckten sich hinter dem Regen, den sie ausspieen. Da war kein Wind der die Luft hätte kälter machen können, aber es war auch so schon kalt genug. Der kleine Wolf konnte die Bäume nicht mehr sehen, er sah nur die Wölfin vor sich. Das Gras war jetzt so hoch, dass es höher war als er. Die langen Blätter waren scharf und schnitten ihn wenn er nicht aufpasste, aber die dicken Halme standen weit genug auseinander, dass er es nicht berühren musste.

Unter seinen Pfoten war tiefer Matsch - nur noch langsam kam er voran. Der kleine Wolf hatte keine Augen mehr für die Knollen, die oben an den Stängeln hingen. Ein Seufzen drang aus dem kleinen Fang, denn er war müde und wollte am liebsten einfach stehen bleiben.

"Es ist nicht mehr weit", flüsterte die sanft-raue Stimme und die Schnauze der grauen Wölfin stieß ihn von hinten an. Wie sie dorthin gekommen war wusste der Jungwolf nicht, aber es erschreckte ihn seltsamerweise auch nicht. Gehorsam lief er weiter. Als das Gras mit den großen Blättern aufhörte und die grünen Augen des kleinen Wolfs endlich wieder nach vorne sehen konnten, da blieb er stehen und sog die nasse Luft ein.

- Blöcke - Räume von der anderen Seite

Ein Zittern ging durch den Jungwolf während er den sanften Hügel nach unten blickte. Ratte hatte ihm gesagt, das es nicht nur den einen Raum gab in dem er sich befand und sie hatte gesagt, dass er von der anderen Seite ausschauen würde wie ein Käfig ohne Stäbe.

"Blöcke", flüsterte der kleine Wolf ehrfürchtig und die Wölfin hob ihren Kopf um durch den Regen zu sehen.

"Das sind Häuser, in ihnen wohnen Menschen", erklärte sie und störte sich gar nicht mehr an dem Nass, dass ihr über die weisen Wangen lief.

"Was sind Menschen?", fragte der Jungwolf und er war fasst schon zu müde zum sprechen. Die blauen Augen musterten den Kleinen eine zeitlang, dann schüttelte die Wölfin ihr Fell, das bis auf die Haut nass geworden war.

"Ein andermal kleiner Wolf", sagte sie, "Lass uns zuerst einen trockenen Platz finden, damit du nicht frierst." Der Jungwolf erwiderte nichts darauf, blickte sie nur an und die Graue überlegte, ob er sie denn verstanden hatte, lief dann aber einfach weiter. Er folgte ihr. Sie liefen den Flachen Hügel hinunter, genau auf die Räume zu in denen die Riesen lebten. Der kleine Wolf zitterte vom Anblick der Blöcke mit ihren leuchtenden "Nicht- Türen", und war froh, dass sie nicht in die Lichtecken traten, die diese auf den Boden warfen. Langsam liefen die beiden Wölfe um die Häuserblocks herum. Ein ums andere Mal bedeutete die Wölfin dem Jungwolf zu warten und er legte sich flach auf die Erde und hoffte sie würde ihn nicht lange alleinlassen. Der Regen wollte nicht aufhören und es war nicht deutlich ob es schon Nacht war, oder ob die Wolken den Nachmittag verdunkelten.

Nicht einmal mehr über die Bäume konnte sich der kleine Wolf freuen, er war einfach zu erschöpft dazu. Müde lag er unter einem Birnbaum und blickte in die Dunkelheit, bis er die blauen Augen der Wölfin erkannte. Seine Glieder taten ihm weh, als er sich erhob. Nur mäßig pendelte seine Rute.

- Leuchtende Augen im Dunkel

"Ich habe einen Platz gefunden an dem es trocken ist, dort kannst du schlafen", sagte die Wölfin und lächelte den Jungwolf aufmunternd an. Der kleine Wolf schüttelte sich das Fell und folgte ihr um Bäume herum, die süßlich dufteten, bis zu einem Hügel, der kaum größer war als er selbst. Die Ohren des kleinen Wolfs legten sich an und er duckte sich als er den Hügel fauchen hörte. Zwei leuchtende Augen funkelten ihn vom Fuße her böse an.

"Du bist es schon wieder", zischten die Lichtpunkte. Der Jungwolf verstand nicht was damit gemeint war, er legte sich hin und zitterte, während der Regen auf ihn einschlug. Die Wölfin musterte ihn besorgt, bevor sie scharf sagte: "Ja ich bin es wieder und du gibst und lieber den Karren, sonst verjag' ich dich!" Das Fauchen wurde lauter und dann setzte ein Piepsen und Fiepen ein, wie der kleine Wolf glaubte es einmal von Ratte gehört zu haben. Ganz kurz verschwanden die Lichtpunkte und dann huschte ein Schatten unter dem Hügel hervor.

"Verschwinde", hörte man das wütende Fauchen. Die Wölfin begann zu knurren und der Jungwolf, der den Kopf gehoben hatte, erkannte eine Katze, wie die, in den Käfigen im Institut. Im Dunkeln war sie schwarz wie die Nacht und ihre Augen leuchteten gelb, wenn das Licht sie streifte. Warum stritten sie beide? Der kleine Wolf wusste es nicht, aber es machte ihm Angst wenn die Wölfin knurrte.

"Mach mich nicht wütend, oder ich beiße dich!", drohte die Fähe und ihre Nackenhaare stellten sich auf. Mit großen Augen betrachtete der Jungwolf die Katze, sie war sogar noch größer als er, so wie sie sich nun aufplusterte und sich zu einem Buckel krümmte.

"Ich werde dir den Unterschlupf nicht geben, du passt ja nicht einmal hinein", argumentierte sie und ihre Augen funkelten böse. Ihr helles Knurren war wie der Laut der Nadeln im Raum des "Nicht-Lebens". Die Wölfin schnappte erbost nach der Katze, was den kleinen Wolf zusammenzucken ließ. Es war nur eine Warnung gewesen, aber das Nachtauge hatte sich bedroht gefühlt - jetzt waren zwei rote Striemen auf der Nase der grauen Wölfin.

"Es geht auch nicht um mich, es geht um den Kleinen", kam die Fähe zu Wort. Da blickten die Lichtpunkte das weiße Fellknäuel an, als sahen sie es zum ersten Mal. Der Jungwolf zitterte leicht unter ihrem Blick. "Also bekommen wir den Karren?", fragte die Wölfin immer noch wütend. Die Katze schaute sie aus trotzigen, hochmütigen Augen an, zeigte aber keine Angst, was der kleine Wolf an ihr bewundernswert fand.

- Nur einem erlaube ich es

"Der Kleine darf rein, aber ich werde nicht gehn", waren die letzten Worte des Nachtauges und bevor die Wölfin noch einmal nach ihr schnappen konnte, war sie auch schon wieder in der Mulde unter dem Hügel – der ja eigentlich ein Karren war, verschwunden. Aus großen, fragenden Augen, schaute der kleine Wolf zu der Fähe auf, die immer noch knurrte und ihren Fang nahe vor der kleinen Öffnung hielt. Warum war sie so erbost auf die Katze? Sie hätte bestimmt nur höflich fragen müssen und dann hätte es keinen Streit gegeben. Ging es dem Jungwolf durch den Kopf.

"Schlüpf hinein", sagte die sanft-raue Stimme und die Wölfin gab sich geschlagen.

"Und was ist mit dir?", fragte der kleine Wolf zögernd und drückte seine Schnauze gegen ihre Nase. Sie ließ es geschehen und lächelte, ihre Augen waren geschlossen.

"Ich schlafe hier draußen, aber jetzt höre auf mich und schlüpf hinein." Die Ohren des jungen Wolfs legten sich zurück und seine Augen lagen zögernd auf dem Leib der Fähe, die sich einfach so hingelegt hatte, obwohl es regnete. Dann aber zwängte er sich doch durch die Öffnung, wie damals durch das Loch im Zaun.

- Eine Mutter verteidigt ihre Jungen

Der Hügel war kalt und hart und sah aus wie ein herumgedrehter, großer Futternapf. Unter dem Hügel aber war eine Mulde, die genug Platz bot, dass er aufrecht stehen konnte. Es war warm und der Duft der Katze kitzelte ihm in der Nase, aber da war auch ein anderer würziger Geruch der ihm gefiel. Auf müden Pfoten machte der kleine Wolf einen Schritt vor, denn er spürte das es in der letzten Ecke am wärmsten war, aber er wurde sofort durch ein Fauchen empfangen.

"Komm nicht näher!", warnte die Stimme der Katze. Aber der Jungwolf versuchte es ein zweites Mal, denn ihm war kalt und er konnte sich nicht zurückhalten. Nadeln trafen ihn im Gesicht und er jaulte auf.

"Kleiner Wolf", schrie die Wölfin von draußen und knurrte laut, aber es kam keine Antwort von unter dem Karren. Aus wilden, leuchtenden Augen blickte die Katze auf das dreckige Bündel und als der Welpe vor ihr zu winseln begann, leckte sie ihm aus einem Reflex über die Schnauze um ihn zu beruhigen.

"Komm", sagte die Stimme der Katze ganz nahe bei ihm. "Aber weck mir bloß meine Kleinen nicht!" Der Jungwolf tapste vorsichtig ein paar Schritte nach vorne. Er wusste nicht was die Katze mit ihren Worten gemeint hatte, aber sein Instinkt sagte ihm, dass er aufpassen musste wo er hinstieg. Draußen war es dunkel, aber unter dem Karren war es dunkler, man konnte nichts sehen und es war nicht viel Platz, aber genug. Immer noch hörte man das Knurren der Wölfin von draußen. Sie war nervös, schritt hin und her und überlegte ob sie die Mulde mit ihren Krallen vergrößern sollte, um sich diese Katze zu greifen. Der kleine Wolf suchte stattdessen mit seiner Nase den Boden ab, er konnte die Nachtaugen auf sich spüren, die ihn beobachteten. Da stieß seine Nase gegen etwas kleines weiches. Kugeln aus Fell lagen da, sie rochen nach Katze und sie atmeten leise und drängten sich auf einen Haufen zusammen - ganz viele kleine Kugeln, kleiner noch als Ratte.

"Sind das deine Ratten?", flüsterte der Jungwolf und die Katze fauchte erbost.

"Wage es nicht meine Kinder als Ratten zu bezeichnen", knurrte sie, beruhigte sich aber schnell wieder und bürstete den Kätzchen mit ihrer Zunge das Fell.

"Was ist kleiner Wolf! Tut sie dir etwas?", klangen die Worte der Wölfin, die sich nicht wieder hinlegen wollte, bevor sie Gewissheit hatte.

"Nein sie tut mir nichts", sagte der Jungwolf. "Aber hier sind kleine Katzen, kleiner noch als Ratte, die sie Kinder nennt." Der kleine Wolf wusste nicht, was Kinder waren, er war erschaffen worden und hatte noch nie andere Jungtiere gesehen, außer sich selbst.

"Dann hat sie nur ihre Jungen beschützt", flüsterte die sanft-raue Stimme zu sich selbst und die Fähe beruhigte sich wieder. Ganz langsam rutschte der kleine Wolf jetzt näher und drängte sich an die Katze und ihre Jungen, die soviel Wärme abgaben. Ein wachsames Auge ruhte auf ihm, während er einschlief.

Am nächsten Morgen

- Träume vom Gestern und vom Heute

Krallen bohrten sich in den Leib des Jungwolfs, Krallen und Nadeln. Sie waren kalt, aber sein Köper war warm. Es roch nach Wasser und nach Metall, aber vor allem roch es nach den Mittelchen, die in den Schläuchen waren. Es war dunkel und hell zugleich und dann konnte der kleine Wolf die Augen sehen, die die gleiche Farbe hatten wie das Wasser, wenn man schräg in den Napf blickte und es frisch und gut war.

Ihm wurde heiß und kalt als sich alles in weißes Feuer verwandelte und sein kleines Herz schlug so doll wie damals, als Ratte gestorben war. Es stank sosehr, dass ihm die Nase wehtat und die Beine taten ihm auch weh, aber da war auch die sanft-raue Stimme in seinen Ohren die ihn beruhigte.

Der Jungwolf sah Hügel, die ganz hell und schön in der Farbe seiner Augen leuchteten und er sah den Himmel, der so blau war wie die Augen der Wölfin. Die Pfoten taten ihm nicht länger weh und er lief ganz schnell über die Wiese mit den großen Blättern und die Blätter schnitten ihn nicht und er freute sich.

Er konnte den Regen riechen, aber sein Fell wurde nicht nass und er probierte von dem Gras, das wunderbar würzig schmeckte. Und dann konnte er die Sonne sehen, die wie ein großes Auge über seinen Kopf hing und warm war und aussah wie das weiße Feuer, aber er hatte keine Angst vor der Sonne, obwohl weiß das Böse war und schwarz das Gut.

Und da war die Wölfin mit den blauen Augen und die Katze, die ihn bei sich aufgenommen hatte und da waren ganz viele kleine Katzen nicht größer als Ratte und alle spielten sie mit ihm im weichen Gras. Der kleine Wolf fiepte und jaulte, vor Glück und dann sah er seine Ratte oben in der Sonne und sie lächelte ihm zu und freute sich weil er geschafft hatte, was ihr nicht mehr gelungen war. Und der kleine Wolf war glücklich, denn alles war gut und schön.

- Essen sie dich?

Irgendwann blinzelte der Jungwolf. Er konnte einen Blick auf sich spüren, aber es war ihm nicht unangenehm, auch hörte er dieses Surren, was ihn an die Nadeln und Schläuche erinnerte die er kannte, aber es beruhigte ihn und erschreckte ihn nicht.

Als der kleine Wolf die Augen aufschlug konnte er die Nachtaugen sehen, die ihn unentwegt anblickten. Die Katze war aufmerksam und dennoch schien sie zu schlafen. Licht fiel durch das Loch herrein und er konnte erkennen, dass zwischen ihm und ihr die kleinen Katzen lagen, die er in der Nacht nur gespürt hatte. Die Kätzchen drängten sich an den dargebotenen Bauch ihrer Mutter und gaben ein saugend-schnurrendes Geräusch von sich. Sie waren grau und weiß und schwarz und alle waren sie gescheckt. Auch die große Katze war nicht einfarbig, sie hatte einen sandfarbenen Ton, weiße Wangen und dunkle Streifen auf dem glänzendem Fell. Sie gähnte verschlafen und blickte den Jungwolf dann wieder an - sie wirkte irgendwie zufrieden und schien sich in keiner Weise mehr bedroht zu fühlen.

"Schöne Augen hast du", sagte sie plötzlich und ihre Stimme war irgendwie scharf, ganz anders als die der grauen Wölfin. Der kleine Wolf wusste nicht was er darauf sagen wollte, irgendwie fühlte er das sich etwas in ihm zusammenzog wenn er zulange in die gelben Nachtaugen ah, deshalb senkte er den Blick wieder auf die Kätzchen zwischen ihnen beiden.

"Findest du jetzt immer noch, dass meine Kleinen wie Ratten aussehen?", fragte ihn die Katze und leckte ihrem Jungen über das Fell. Der Jungwolf schüttelte den Kopf ein sie sahen nicht aus wie Ratte. Aber sie sahen auch nicht aus, wie er fand, dass eine Katze aussehen musste. Sie waren klein und ihre Ohren bogen sich an ihre großen Köpfe, ihre Pfoten waren auch zu groß und ihre Schwänze zu kurz und, was den kleinen Wolf irritierte, sie hatten keine Augen.

"Können sie nichts sehen?", fragte er zögernd und stupste eins der Kätzchen mit der Nase an, sodass es zu miauen begann, weil es die Zitze verlor. Der Jungwolf stellte die Ohren betroffen zurück, bis wieder Ruhe war. Die Katze blickte ihn abschätzend an, bevor sie sagte: "Nein sie sehen noch nichts, aber es dauert nicht mehr lange." Eine Weile blickten vier Augen auf die kleinen Kätzchen hinab und keiner sagte was. Der kleine Wolf wusste nicht, wie es gemeint war, was die Katze gesagt hatte. Waren sie krank? Oder waren sie eben erst behandelt worden und deshalb dauerte es erst ein bisschen, bis sie wieder sehen konnten? Waren die weißen Riesen vielleicht auch dafür verantwortlich, dass sie so kleine waren?

"Stört es dich nicht, dass sie dich beißen?", fragte er dann und legte die anderen Fragen erst einmal beiseite.

Die Nachtaugen öffneten sich überrascht, dann kam wieder das sanftmütige Lächeln.

"Nein natürlich nicht, ich möchte meine Kinder doch nicht verhungern lassen." Der Jungwolf legte den Kopf schief.

"Sie essen dich auf ?", fragte er vorsichtig. Die Katze begann daraufhin leise zu lachen - schließlich wollte sie ihre Jungen nicht aufschrecken, dann blickte sie den halben Welpen mitleidig an. Was musste mit ihm geschehen sein, dass er nicht wusste was Kinder waren? Hatte er keine Eltern, kannte er überhaupt die Bedeutung von Eltern? Das die Wölfin nicht seine Mutter war, hatte sie gleich erkannt, sie war doch selbst noch zu jung dafür um einen einjährigen Welpen zu haben. Die Katze streckte sich vor und strich den Jungwolf mit ihrer rauen Zunge über die Nase. Milde lächelte sie ihn an.

"Nein, sie essen mich nicht auf", sagte sie und legte sich wieder zurück, dass ihre Jungen in Ruhe trinken konnten. "Mein Körper stellt eine Milch her, die trinken sie. So macht es der Körper jeder Mutter, die Nachkommen erwartet", versuchte sie ihm zu erklären, aber der kleine Wolf tat sich schwer zu verstehen. Die Katze seufzte, sammelte sich und wollte erneut zu erklären beginnen, als von draußen her ein leises Heulen erklang.

- Was Wölfe essen

"Komm heraus kleiner Wolf, ich habe dir etwas zu essen gebracht", klang die Stimme der Wölfin von draußen herein und der Jungwolf fiepte, weil es ihm froh machte, dass sie noch bei ihm war. Kurz huschten die grünen Augen zu den Nachtaugen - die Katze lächelte ihn stumm an -, dann schlüpfte er durch das Loch.

Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne blinzelte hinter den Häuerblocks hervor. Der kleine Wolf staunte, als er all das Grün und den Himmel sah, der noch viel blauer war, als die Augen der grauen Wölfin. Die Fähe legte den Hasen zur Seite den sie gefangen hatte und lächelte den Jungwolf freudig an, dabei entgingen ihr aber nicht die Kratzspuren in seinem Gesicht.

"Ich hoffe du hast Hunger", sagte sie und der kleine Wolf tapste schwanzwedelnd um sie herum. Seine Pfoten wollten vor Freude hüpfen und springen und seine Schnauze stieß ein ums andere Mal an die der Wölfin.

Der kleine Wolf wusste gar nicht recht was er da tat, es war der Instinkt der aus ihm sprach und über den wusste er doch nichts. Plötzlich übergab sich die Fähe mit den blauen Augen vor ihm und er schreckte überrascht zurück. Verblüfft und schockiert blickte er auf das vorverdaute Fleisch und das Blut am Boden.

"Ich... ich wollte dich nicht krank machen", sagte der Jungwolf benommen und trat einen Schritt zurück. Die Wölfin fasste sich wieder und blickte ihn ebenso überrascht an.

"Du hast mich nicht krank gemacht", sagte die sanftraue Stimme. "Das... das ist ganz normal." Ja normal war es, aber bisher war der Blauäugigen so etwas noch nicht passiert - eine kleine Verwirrung zeigte sich in ihrem Blick, die sich aber schnell wieder löste.

"Aber, das kann nicht normal sein", protestierte der kleine Wolf. Wenn man erbrach, dann war man krank! So hatte er es doch gelernt?! Die Wölfin schüttelte sachte den Kopf.

"Wenn Welpen Hunger haben, dann stoßen sie den erwachsenen Wölfen an den Fang, damit sie für sie das Essen erbrechen", erklärte sie langsam und setzte sich erstmal auf die Hinterhand. Der kleine Wolf hatte lange geschlafen. Lange genug, dass sie zweimal hatte Jagen gehen können, es hatte es wohl nichts gebracht schon mal zu fressen.

Der Jungwolf starrte mit großen Augen den Fleischbrei am Boden an. Irgendwie machte ihm dieser Anblick einen noch größeren Hunger, als er ihn schon gehabt hatte, aber er war sich noch nicht so recht sicher was er tun sollte. Verzweifelt blickte er die Graue an. Die Wölfin legte den Kopf schief, senkte dann den Kopf und stieß den Hasen mit der Schnauze an, den sie zuvor neben sich gelegt hatte.

"Den habe ich eigentlich für dich gefangen", meinte sie nur. Der kleine Wolf erschrak als er den toten Hasen sah und dann begann er leise zu Wimmern.

"Warum hast du ihn sterben lassen?", fragte er betroffen und konnte es nicht fassen, dass die Wölfin so etwas tun würde, dann erinnerte er sich aber daran wie sie die weißen Riesen getötet hatte. Damals hatte er sich aber nicht so elend gefühlt wie jetzt!

- Eine erfahrene Mutter

Die Katze schob sich, aus der Mulde unter dem Karren und schritt elegant auf zu den beiden Störenfrieden hinüber, die ihre Jungen aufgeweckt hatten. Leicht erzürnt funkelte sie die Wölfin an und richtete ihren Blick - der etwas angewidert war, auf die Bescherung.

"So ist das also", flüsterte sie zu sich selbst, während die Fähe die Ohren zurücklegte. Langsam stellte sie sich neben das zitternde weiße Bündel und bürstete ihm das Fell bis er sich ein bisschen beruhigt hatte.

"Beruhige dich", sagte ihre scharfe Stimme. "Die Welt ist nun einmal so, die starken fressen die schwächeren,

daran ist nichts falsch. Du musst lernen es zu akzeptieren." Es war weniger, dass was die Katze sagte, sondern vielmehr die Art, wie sie es sagte, was den kleinen Wolf schließlich beruhigte.

Er schluckte den Kummer hinunter und blickte die Wölfin wieder an, vor der er kurze Zeit angst gehabt hatte. Die Fähe hatte die Ohren immer noch angelegt, sie war leicht bestürzt über die Tatsache, dass die Katze mit dem Kleinen besser umgehen konnte, als sie.

"Muss ich ihn jetzt essen?", fragte der Jungwolf und blickte direkt in die blauen Augen der Wölfin.

"Wenn du das Vorverdaute lieber haben möchtest.." Sie kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, denn der kleine Wolf mit den leuchtend grünen Augen sagte schnell: "Ja bitte lass mich das essen", worauf sie nur noch nickte.

Die Blauäugige war etwas verwirrt über die Art des Kleinen. Sie hatte gedacht er hätte keinerlei Charakter, so wie er auch fast nichts wusste, was ja verständlich war, aber sie hatte sich wohl geirrt. Als die Wölfin die Nachtaugen auf sich ruhen spürte und die Katze lächeln sah, da lächelte auch sie.

Geduldig warteten Katze und Fähe, bis der kleine Wolf aufgegessen hatte, dann bat das Nachtauge ihn, er solle doch wieder zu ihren Kindern hinein gehn und auf sie aufpassen. Stolz schlüpfte der Jungwolf unter den Karren und besah sich der kleinen, schlafenden Pelzknäuel.

- Gespräche mit einer Katze

"Er macht mir Sorgen... wo hast du ihn gefunden Wölfin?", fragte die Katze dann, so leise, dass der kleine Wolf sie nicht würde hören können.

"Er stammt aus dem Labor, in das die Menschen immer wieder gefangene Tiere bringen...", sagte die Fähe, irgendwie war ihr Groll gegen die andere verflogen. Besorgt blickte das Nachtauge zum Karren hinüber.

"Dann haben sie ihn also seinen Eltern weggenommen..."

"Nein", entgegnete die Blauäugige. "Er wurde von den Menschen erschaffen, er hatte ...nie Eltern." Bestürzt blickte die Katze zu der Wölfin auf - solch ein Ausdruck war selten in ihren schönen Augen. Von den Menschen erschaffen? Wie mochte das wohl sein, sie wollte es sich nicht vorstellen. Eine Weile schwiegen die beiden Tiere und starrten stumm auf den Karren. Von weiter entfernt hallten die Laute von Menschen zu ihnen her, aber sie hatten beide keine Angst vor ihnen. Die Wölfin wusste, dass sie, sie nicht als solche erkennen würde und eine Frau die mit einer Katze spielte, war nichts was ihre Aufmerksamkeit erregen würde.

"So jung und schon so viele Narben... einige von den Wunden sind noch nicht einmal verheilt... das macht mich traurig", flüsterte die Sandfarbene.

"Ja, mich auch", pflichtete die Wölfin der Katze bei. Sanfter Wind kräuselte ihr graues Fell und der Duft der Birnbäume lag ihr in der Nase.

"Wohin wirst du jetzt mit ihm gehen?" Die Fähe, zögerte bevor sie dazu etwas sagte. Sie hatte schon die ganze Nacht darüber nachgedacht, sie würde sich alleine um ihn kümmern müssen, so sehr es sie auch zu ihrem Rudel zurückzog, das tat ihr in der Brust weh.

"Ich kann ihn nicht zu meinem Clan bringen, sie würden ihn nicht akzeptieren, nicht bevor er sich an das Leben gewöhnt hat, vielleicht nie ...deshalb wollte ich mit ihm raus, weg von der Stadt", erklärte die sanft-raue Stimme dann. Die Katze reagierte vorerst nicht, ihre Augen ruhten auf denen der Wölfin, bis ihr der Hals weh tat und sie den Kopf senkte.

"Deshalb seit ihr hier draußen", stellte sie fest. Gerne hätte sie der Fähe und dem Welpen angeboten hier bei ihr zu bleiben, aber sie wusste, dass das nicht ging und im Grunde wollte sie es auch nicht, denn es würde ihre Jungen in Gefahr bringen.

"Er kann sich noch nicht tarnen, deshalb müssen wir so weit weg von den Menschen wie wir können." Die Wölfin war sich sicher, dass es nur für eine Weile war, hätte sie nicht die Möglichkeit irgendwann zu ihren Rudel zurückzukehren - sie wüsste nicht ob sie so weit gehen würde um einen fremden Jungwolf zu rette, der obendrein eine Waffe der Menschen war.

"Ich danke dir für deine Hilfe Katze", sagte die Wölfin plötzlich und das Nachtauge, sah sie ausdruckslos an und nickte dann. "Kleiner Wolf wir gehen weiter", rief die Graue nach ihrem Schützling.

"Pass gut auf ihn auf, du bist noch sehr jung, darum kommt dir der Umgang mit ihm so fremd vor. Aber ich bin sicher du schaffst das, gib einfach dein bestes", klang die scharfe Stimme der Katze noch, während sie sich erhob um sich wieder zu ihren Jungen zu legen. Die blauen Augen lagen auf der Sandfarbigen mit einem seltsamen Ausdruck. Bisher hatte sich die Wölfin immer nur von anderen Wölfen belehren und helfen lassen, nun aber, fand sie, dass dieses Nachtauge nicht weniger klug war, als eine erfahrene ihrer Art auch.

"Pass du auch auf dich und deine Jungen auf", sagte die Blauäugige mit einem warmen Gefühl der Dankbarkeit im Herzen, dass sie nicht erwartet hatte. Der kleine Wolf stellte sich neben sie und lauschte ihren Worten, fragte aber nichts. Die Katze lächelte.

"Das sind nicht die ersten Kinder, die ich großzuziehen habe! Egal wie gefährlich unsere Welt geworden ist um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen", und mit diesen Worten verschwand Mutterkatze unter dem Karren. Auch die Wölfin lächelte, froh über diese neue Erfahrung - ihr war als hätte sie jetzt ein Heer verbündete mehr hinter sich, die ihr halfen.

"Bist du ausgeschlafen?", fragte die Graue den kleinen Wolf, dieser nickte. "Dann komm kleiner Wolf lass uns einen Ort finden, an dem wir bleiben können." Sie nahm den erlegten Hasen in ihren Fang und lief los, der Jungwolf folgte ihr wie immer gehorsam und fragte auch nicht nach.

Dort wo die Gitterstäbe leben

- Im Wald, wo es dunkel und schön ist

Ein breites Lächeln hatte sich auf die Lefzen des kleinen Wolfs gelegt, als er bemerkt hatte wohin die Wölfin ihn führte. Sie gingen einen Hügel hinab über ein Feld, mit großen scharfen Blättern, wie das, durch welches sie auch in der Nacht zuvor gegangen waren.

Dahinter lagen noch mehr Wiesen, die den Jungwolf kitzelten, während ihm die Sonne den Rücken wärmte. Es war fast genauso wie in seinem Traum.

Wohin sich die beiden Wölfe auch umblickten hier draußen gab es keine Häuser mehr, hier waren nur noch Wiesen und dreckige braune Flächen aus Erde und vor ihnen lag ein Wald - lange dunkle Gitterstäbe die in den Himmel empor wuchsen. Damals als Ratte ihm davon erzählt hatte, hatte es der kleine Wolf nicht glauben können, nun aber schienen ihm die Bäume noch viel fantastischer, als er es sich hätte vorstellen können.

Die Wölfin trat hinaus, auf eine lange Erdfläche, die von einer Seite zur anderen verlief, aber sonst ziemlich schmal war.

"Das ist eine Straße, geh nie allein auf eine solche denn sie ist gefährlich", sagte sie, woraufhin ihr der Jungwolf zögernd folgte.

Auf der anderen Seite der Straße lag eine Böschung, die den kleinen Wolf bei dem Versuch an ihr hinab zu laufen straucheln ließ. Er schlug auf den Boden, der weich war und nach Erde und etwas anderem roch, auf. Neugierig blickte er ihn an und erkannte ganz viele kleine Nadeln.

"Endlich sind wir da!", jubelte er, nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte und den Blick an den langen Stäben hochwandern ließ. Mit einem verwunderten Blick, drehte sich die Fähe zu ihm um und legte den Hasen zur Seite.

"Wo sind wir endlich?", fragte sie und der kleine Wolf antwortete freudig: "Im Wald." Die Wölfin lächelte und blickte sich dann um.

Die Fichten waren hoch und hatten nur noch wenige Nadeln, unten hatten sie nicht einmal Äste und ihre Stämme waren schwarz und tot. Am Boden konnte man auf die Schnelle nicht eine grüne Pflanze entdecken. Es war ein Wald, so wie sie solche kannte, aber sie wusste, dass die Wälder früher ganz anders gewesen waren, voll Grün und plätschernden Bächen, aus denen man trinken konnte, ohne sich vorher vergewissern zu müssen, dass das Wasser sauber war.

Und eben deshalb freute sich die Fähe so für den Jungwolf - darüber, dass er sich an etwas erfreuen konnte, was andere bereits enttäuschte.

"Ja kleiner Wolf, das ist ein Wald", sprach die sanft-raue Stimme lächelnd. "Hier bist du sicher, denn hier ist es dunkel sodass dich niemand sieht."

"Und es ist schön", ergänzte der kleine weiße Wolf und strahlte die Wölfin an.

- Die Lehren des Waldes

Langsam gingen die Wölfe weiter - es brauchte nun keine Eile mehr, denn hier würde ihnen niemand auflauern können, hier hatten sie den Überblick über alles, sofern sie denn auf die Umgebung und auf den Wind acht gaben. Die Bäume waren wie große Beschützer - denn sie standen eng und ihre Krone schützte die Tiere des Waldes vor Blicken der Menschen, die in den Flugschiffen flogen - aber davon wusste der kleine Wolf ja noch nichts und so machte er sich auch keine Gedanken darüber. Lieber fragte er dann, wenn er etwas brauchte.

Als es Mittag wurde und er Durst bekam, fragte er die graue Wölfin, beispielsweise, ob sie ihm etwas zu Trinken geben könne und die Fähe erklärte ihm, wie man Wasser finden konnte und wie man erkannte ob es trinkbar war.

"Präge dir die Laute des Wassers und seinen Geruch gut ein", merkte sie an und nahm selbst einige tiefe Schlucke aus dem Bach, um vorsorglich zu sein.

Wäre ein Waldtier vorbeigekommen, so hätte der kleine Wolf gewiss auch die Wölfin danach gefragt, aber es blieb ruhig, gerade mal ein Vogel war zu hören, den die Graue Amsel nannte ohne ihn überhaupt sehen zu müssen. Als die Sonne durch die Zweige blinzelte, erklärte die Wölfin dem Jungwolf, dass man diese Richtung Süden nannte und die Sonne wenn sie am höchsten stand eben dort war - Mittag, nannte sie diese Zeit und sagte auch dazu, das es zu dieser Stunde am ungefährlichsten war, weil die Menschen - als die man, wie sie erklärte, die weißen Riesen bezeichnete - um diese Zeit in ihren Häusern waren um zu essen.

Der kleine Wolf hörte mit Eifer zu, wenn ihm die Fähe, Moos, Farn und andere Pflanzen zeigte und ihm zu einer jeden eine Geschichte über die Vor-, und Nachteile erzählte, die ein Verzehr dieser Pflanzen nach sich ziehen würde. So lernte der Jungwolf, dass man Pflanzen und Flüssigkeiten, die gefährlich waren, da sie einem großen Schmerzen bereiten, oder sogar töten konnten, als Gifte bezeichnete und davon besser die Pfoten lassen sollte.

Über die Phrase "Die Pfoten lassen", konnte der kleine Wolf nur lachen und obwohl ihm anfangs nicht klar war, wozu man etwas sagen sollte, dass nicht ganz der Richtigkeit entsprach, denn er sollte ja nicht die Pfoten sondern den Fang von den Giften lassen, benutze er diese Worte bald schon recht häufig.

- Der Name der Wölfin

Es war Nachmittag geworden und die beiden Wölfe waren nun schon so tief in den Wald hineingelaufen, dass sie endlich das Grün umgab, dass einen Wald doch eigentlich ausmachte. Seit dem frühen Morgen, waren sie nun gelaufen, aber der kleine Wolf war nicht müde, weil die Wölfin regelmäßig Pausen einlegte um ihn zu schonen.

Die Augen des Jungwolfs hingen an den Blättern, eines Laubbaumes, als sich die Wölfin erhob. Sie setzte einfach einen Fuß vor den anderen, daran gewöhnt, der Jüngere würde ihr brav folgen - aber das tat er nicht, zumindest nicht sofort.

"Was ist kleiner Wolf? Wir müssen weiter los komm", knurrte die sanft-raue Stimme auffordernd, während sich zuerst die Ohren der Fähe und dann ihr Kopf nach hinten drehte um den Artgenossen in Augenschein zu nehmen.

Aus zartgrünen Augen blinzelte sie der kleine weiße Rüde an, bevor er sich erhob. Schnell stellte er sich neben sie und senkte demütig den Kopf.

"Ich habe nachgedacht", sagte der kleine Wolf, nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren. Die Wölfin hielt an.

"Worüber?", fragte sie neugierig. Ihre blauen Augen lagen auf ihm, der sich auf die Hinterhand gesetzt hatte.

"Du hast mir so viele Dinge beigebracht und allen hast du einen Namen gegeben", begann der Jungwolf und zögerte dann kurz, um seine Schlussfolgerung noch einmal zu überdenken. "Hast du auch einen Namen?"

Die plötzliche Frage verblüffte die Wölfin. Abschätzend sah sie ihn an. Würde er als nächstes fragen wie sein Name lautete?

"Ja ich habe einen Namen", sagte sie, da sie seinen wartenden Blick auf sich lasten spürte. "Naumi, ist mein Name", ergänzte sie noch und hoffte er würde nicht nach seinem Namen fragen, denn sie kannte nur einen und den wollte sie ihm nicht nennen.

Ausdruckslos lagen die grünen Augen auf der grauen Fähe, aber dann lächelte der kleine Wolf unverhofft. Er war froh, dass sich seine Schlussfolgerung bestätigt hatte. Nun war es die Fähe die abwartete, was der andere zu sagen hatte.

Aber der Jungwolf, sagte nichts weiter. Er wusste nicht ob ihr Name schön war, denn Ratte hatte ihm erklärt, dass man etwas als "schön" bezeichnet, wenn es nützlich war, also wenn es einem helfen konnte - aber den Nutzen eines Namens kannte er nicht. Auch nach seinem eigenen fragte er nicht, denn er dachte gar nicht weiter darüber nach. Irgendwie dachte er nie über sich selbst nach, sich selbst glaubte er ja zu kennen und die Welt war so viel interessanter.

Naumi war froh über den Ausgang dieses Gesprächs und lief mit neuem Elan weiter. Die Nase der Fähe glitt immer wieder durch den Wind und ihre Augen suchten nach einem als Unterschlupf geeigneten Ort. Schon eine Weile, liefen sie nicht mehr weiter, nicht weil sie die Umgebung als nicht sicher empfand, sondern weil sie nach einer Höhle Ausschau halten wollte - wenn es keine gab, würde sie eine graben müssen.

- Schatten brechen, Schatten kommen

Die Amsel schrie weit oben im Geäst und hielt erst Inne, als sie den grauen Schatten und gleich darauf das weiße schnaufende Bündel unten am Waldboden sah. Der kleine Wolf hechelte, er war müde, aber er wollte sich damit zufrieden geben, dass die Wölfin "gleich, gleich" gesagt hatte. Er dachte gar nicht daran sich seinen Unmut ein weiteres mal Luft zu machen, sondern konzentrierte sich darauf eine Pfote vor die andere zu setzen. Farn kitzelte seine Flanken und stach ihm in die Augen.

"Schatten brechen, Schatten kommen", schrie die Amsel in den Bäumen, die den Neuankömmlingen flügelschlagend folgte. "Nachzügler verenden, verenden", echote ihr Ruf durch das aufkommende Zwielicht.

Abrupt hielt die Wölfin an und blickte sich nach dem Kleinen um, der ein paar Minuten brauchte um an ihre Flanke zu gelangen. Schnaufend blieb der Jungwolf neben der Fähe stehen, setzte sich aber nicht hin, da er erwartete gleich weiterlaufen zu müssen.

Naumi betrachtete ihren Schützling eine Weile von der Seite, ließ den Blick dann noch einmal schweifen und seufzte Schlussendlich. Der kleine Wolf spitzte die Ohren und sah sie fragend an.

"Ich bin zu langsam", sagte er mit bitterem Ton und senkte den Kopf. Immer noch lasteten die blauen Augen auf ihm und zum erstenmal beruhigte ihn ihre Anwesenheit nicht. Die graue Wölfin stupste ihn sachte mit der Schnauze an, bevor sie ihm widersprach.

"Du bist nicht zu langsam. Wie sollst du auch schneller sein, wenn du gestern zum erstenmal gelaufen bist?" Am Blick des jungen Rüden, konnte die Fähe nicht erkennen, ob er sie verstanden hatte oder nicht. Es irritierte sie, dass sie ihn so gar nicht einschätzen konnte. Die längste Zeit wusste er nicht viel mehr als ein Neugeborener und hin und wieder war er so klug wie sie selbst - das war zumindest ihr Eindruck von dem Kleinen.

"Schatten brechen, Schatten kommen", klang erneut der Ruf der Amsel aus den Ästen zu ihnen herunter und wie es ihre Worte verkündeten, kehrte allmählich die Dunkelheit ein und der Nachmittag wurde zum Abend.

- Ein Zuhause bedeutet Arbeit

Ein letztes Mal streckte Naumi den Fang in die Luft und lauschte dem Wind, bevor sie sich sicher war, dass der Ort sich für ihr vorhaben eignete, dann trat sie an den breiten Stamm eines Ahorns und prüfte dessen Wurzeln. Die Nase der Wölfin berührte das Moos, dann kratzten ihre Krallen darüber. Der Baum war alt, das Holz dick, die Wurzeln reichten vermutlich sehr tief und sie würde sie nicht zerbeißen können. Aus großen grünen Augen betrachtete der kleine Wolf wie die Graue um den Baum herumschritt.

"Ich werde drum herum graben müssen", sagte die Fähe zu sich selbst. Hoch oben in den Ästen saß die neugierige Amsel und beäugte die Wölfin, so wie es der kleine Wolf tat. "Schatten brechen, Schatten kommen", rief sie monoton vor sich hin. Der Jungwolf hatte sich mittlerweile hingelegt, um die Ruhepause zur Erholung zu nutzen. Tief sog er die kühle Abendluft in sich ein.

Die Wölfin aber lag nicht faul herum, sie spannte ihre Muskeln und hieb ihre stumpfen Krallen in die Erde, zwischen zwei dicken Wurzeln. Die Luft war erfüllt vom Scharren der Krallen die, die harte Erde lockerten.

"Gräbst du ein Loch", fragte der kleine Wolf plötzlich, aber er wartete keine Antwort ab, sondern fragte gleich darauf weiter. "Müssen wir unter dem Baum durch fliehen?" Naumi unterbrach ihr Werk und blinzelte den weißen Jungwolf witzelnd an.

"Nein, wir müssen nicht fliehen, ich baue uns ein Zuhause und ein Zuhause bedeutet nun einmal Arbeit." Dies gesagt hieb die Wölfin ihre Krallen ein weiteres Mal in den Boden und etwas später setzte sie ihre ganze Kraft in den Akt, die lose Erde aus der entstandenen Mulde zu schaffen.

Vorsorglich schob sie den Schmutz, mit Pfoten und Schnauze von dem Loch weg, sodass er nicht wieder zurück hinein fallen konnte.

So vergingen Stunden, in denen die Graue zuerst die Erde lockerte und den angefallenen Dreck danach wegschob. Der kleine Wolf sah ihr aufmerksam zu um zu lernen, aber irgendwann, als schon der gesamte Kopf Naumis in dem Loch und der hereingebrochenen Dunkelheit zu verschwinden drohte, vielen ihm die Augen zu.

Zur selben Zeit beendete auch die Amsel endlich ihr monotones Lied und flog in einen nahen Busch aus dem sie nicht wieder hervorkam, die Fähe aber grub unbeirrt weiter, bis tief in die Nacht hinein.

- Eine Nacht voller Lichter

Irgendwann zu später Stunde war dann ein Säuseln zu hören. Ein Geräusch wie von Wind der gegen etwas metallenes schlägt; Wind der eine eiserne Platte vibrieren lässt. Es war ein seltsamer Laut, der etwas Hohes hatte, das nicht so recht in die Natur passen wollte.

Auf diesen Ton, der immer höher wurde, folgten Lichter die blendend durch das Baumdach hindurchfielen, als wollten sie den Wald zerreißen um auf seinen Grund hinabblicken zu können.

Der kleine Wolf wachte erst auf, als sowohl das Geräusch als auch das Licht über ihm waren. Er versuchte sich zu bewegen, spürte aber eine schwere Masse auf sich, die ihn an jeder Bewegung hinderte. Als er die Augen aufschlug konnte er die Lichtsäulen sehen, die hastig über den Boden wanderten.

"Bewege dich nicht kleiner Wolf, sie sind direkt über uns!", warnte die sanft-raue Stimme, woraufhin sich der Jungwolf duckte. Schützend drückte Naumi den kleinen Leib, der unter dem ihren lag, zu Boden und gab ihn erst frei, als sie die Düsen nicht mehr hörte und die Scheinwerfer weitergewandert waren.

Der kleine Wolf aber rührte sich nicht, auch nicht als die Wölfin von ihm wegging und ihn allein im Dunkeln stehen ließ. Bald schon hörte man wieder das Scharren der Pfoten und irgendwann schlief der verängstigte Jungwolf dann doch an einen Baumstamm geschmiegt ein.

- So geht 's nicht

Es dauerte Tage bis sich das kleine Erdloch in eine richtige Höhle verwandelte. Naumi grub anfangs ohne Pause und unterbrach sich nur um eine Beute für den kleinen Wolf zu fangen und sich selbst einige Käfer zu genehmigen, die sie vom Waldboden aufsammelte. Als die Sonne das dritte Mal unterging musste sie jedoch feststellen, dass sie so nicht weiterkam. In ihrer Hast, so schnell wie möglich einen Unterschlupf zu bauen in dem sie sich verstecken konnten, vergaß sie ganz auf ihre Gesundheit.

Die Wölfin begriff, dass sie nie an ihr Ziel kommen würde, wenn sie so weitermachte weshalb sie sich schlafen legte. Die Mulde war jetzt gerade groß genug, dass sie beide darin eng aneinandergekuschelt Platz hatten. Sie schliefen einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang.

Als Naumi und der kleine Wolf von dem langen Schlaf aufwachten, spürten sie einen zehrenden Hunger. Sofort machten sie sich zur Jagd auf. Die Tage zuvor hatte die Wölfin den Jungwolf zurückgelassen um keine Zeit zu verlieren, nun aber nahm sie ihn mit um ihm etwas beizubringen.

- Entenjagd

Die Graue erinnerte sich daran, dass es hier in der Nähe einen Teich geben musste. Damals war er kein gutes Jagdgebiet gewesen, die Frösche schmeckten nicht gut und die Enten waren zu flink, als dass sie sie erwischt hätte. Aber nun war sie älter und erfahrener und wie sie erwartet hatte waren die Enten fett geworden.

Es mochten noch ein oder zwei Tage sein, bis sich die Wasservögel auf ihre große Reise in den Süden aufmachen würden. Sie hatten sich die letzten Wochen lang Fettreserven angelegt und waren nun plump und nur auf eines fixiert, die schnelle Nahrungsaufnahme.

Der kleine Wolf schnüffelte aufgeregt zwischen dem Schilf herum und beäugte neugierig die braunen Knollen an den langen Halmen, bis ihm eine der Enten ins Auge schoss. Das Tier hatte soeben mit den Flügeln geschlagen und rieb sich das Gefieder nun mit Fett ein, das sie von der Stelle unter der Schwinge bezog.

Die blauen Augen der Wölfin funkelten in der Dämmerung. Der Hunger trieb sie immer näher ans Ufer und somit auch an die Enten heran. Geduld schöpfend legte sie sich auf ihre Läufe und wartete ab. Den kleinen Wolf hatte sie bei ihrer Jagd für den Moment komplett ausgeblendet und das war ein Fehler, denn sie kurze Zeit darauf bereuen sollte.

- Die Attacke des kleinen Wolfs

Der Magen des Jungwolfs machte sich bemerkbar, aber mehr als das überwog seine Neugierde. Nur noch das Schilf lag zwischen ihm und dem seltsamen Vogel mit dem Kopf, der die Farbe des Grases hatte. Er konnte ihn fast schon berühren. Mit einem Satz sprang der weiße Leib auf den Wasservogel zu, welcher sogleich wild mit den Flügeln schlagend durchs Wasser davonzog, während der kleine Wolf aufgeregt zu paddeln begann. Wie hätte er auch wissen sollen, dass er mit dieser Tat den Boden unter den Pfoten verlieren würde?

Die Wölfin blickte ihn bestürzt und überrascht an, dann glitten die blauen Augen zu der Entenschar, die in dem Tumult den der Kleine anrichtete auflog. Jetzt würde ihr Magen noch länger warten müssen. Die Graue reckte ihren Hals weit nachvor bis zu dem Jungwolf, der jetzt beinah schon am Ufer war. Sanft drängten sich ihre Zähne in seinen Nacken und mit einem Ruck zog sie ihn zurück ins Schilf. Innerlich schalt sie sich selbst, dass sie so dumm war ihn in ihrem Übermut außer Acht gelassen zu haben.

"Weder kannst du schwimmen, noch weißt du wie man Enten jagt", sagte die sanftraue Stimme vorwurfsvoll zu dem kleinen Wolf, der sich unter ihrem Blick weg zu ducken suchte. Wie könnte sie böse auf ihn sein, wenn sie doch selbst schuld war? "Beobachte mich ganz aufmerksam wie ich eine von ihnen fange, sieh mir nur zu, beim nächsten mal versuchst du es und irgendwann kannst du es selbst, okay?"

Der Weiße nickte zustimmend. "Ich mache was du sagst", meinte er ernst und blickte sich schon im nächsten Moment nach dem nächsten Wasservogel um, aber es war keiner mehr auf dem Teich, dessen Wasser nun schon wieder ruhig dalag. "Jetzt sind sie alle weg", sagte er schuldbewusst.

"Die kommen schon wieder. Komm jetzt folge mir kleiner Wolf." Der kleine Wolf erwiderte nichts mehr, sondern folgte der Wölfin durch das Schilf zurück zum Waldrand. Er fragte sich ob sie jetzt keine Enten mehr jagen würden, wann diese wohl zurückkamen und ob es normal war, dass die Trinknäpfe hier so groß und tief waren. Als die beiden Wölfe auf dem halben Weg zurück zum Waldrand angelangt waren, wand sich die Wölfin nach links und begann damit den Teich zu umgehen.

- Zweite Attacke

Sie hatten das Gewässer beinahe umschritten, als ein Rauschen und ein Schnattern zu hören war. Die Graue duckte sich ins Schilf und der Weiße tat es ihr gleich. Fast zeitgleich tauchten die Enten am Himmel auf und ließen sich elegant auf dem Wasserspiegel nieder. Schon Minuten später schienen sie den Angriff der Wölfe gänzlich vergessen zu haben, denn sie widmeten sich bereits wieder der Suche nach Nahrung.

"Tu jetzt genau was ich mache und wenn ich mir die Ente schnappe bleibst du still im Schilf liegen." Der kleine Wolf fragte sich ob sie mit Schilf das lange Gras mit den braunen Knollen meinte und wunderte sich wie viel verschiedenes Gras es gab. Er nickte gehorsam und sie drehte sich wieder Richtung Teich. Langsam und geduckt schlich die Wölfin voran, immer darauf achtend nirgendwo draufzusteigen, geradeso wie eine Katze. Anders war das Federvieh auch nicht zu erwischen und Wolfstaktik war für einen einzelnen jagenden Wolf auch ziemlich fehl am Platz.

Bald schon berührten die Pfoten der Grauen beinahe das Wasser und ihre Nase drängte sich zwischen den Halmen hindurch. Wie zuvor war es ein Erpel der ihnen zu nahe kam. Er suchte zwischen den Wurzeln der Pflanzen nach Würmern anstatt sich wie die anderen die Mühe zu machen tief zum Grund hinabzutauchen. Die Augen der Wölfin funkelten im aufkommenden Zwielicht. Sie schlug die Krallen in die feuchte Erde und leckte sich erregt über die Lefzen. All ihre Muskeln spannten sich an. Der Erpel war nun so nahe, dass sie ihn mit der Nasenspitze berühren konnte und dennoch sah er sie nicht einmal!

Der Schweif des kleinen Wolfs zuckte während er Naumi zusah. Er war aufgeregt und wollte nicht länger warten, aber das musste er auch nicht. Die Wölfin schoss mit weit geöffneten Fang vor und tauchte samt dem Wasservogel auf den schwarzen Grund des Teiches hinab. Erschreckt sprang der Jungwolf auf und stellte sich nahe ans Ufer, aber es war mittlerweile zu Dunkel um irgendetwas zu sehen.

Gleich darauf tauchte die Graue wieder auf. Sie stemmte sich zurück ans Land, die Ente hielt sie dabei in ihren Fang. Tropfnass war ihr Fell nun und mit einem hastigen Schütteln befreite sie sich von der Nässe.

"Juhu du hast es geschafft!", jubelte der kleine Wolf und tänzelte um die Wölfin herum, die das Federvieh vor sich niederlegte.

"Ja das habe ich, nun nimm die Ente und trag sie tiefer in die Wiese hinein. Dort kannst du dann schon Essen wenn du möchtest, ich fange derweil noch mehr." Der Jungwolf gehorchte und in seinem Blick lag etwas freudiges und eine milde Gier. Endlich konnte er seinen Hunger stillen. An diesem Abend fing die Wölfin noch zwei weitere Enten und nach dem Mahl machte sie sich, diesmal in gemäßigtem Tempo wieder an die Arbeit.

Ein Unglück folgt dem anderen I

- Der Notausgang

Es dauerte fünf weitere Tage bis man ihr Heim wahrhaft Höhle nennen konnte. Anders als die Tage zuvor hatten sich diese viel kürzer und angenehmer angefühlt, weil die Wölfin regelmäßige Pausen eingelegt hatte in denen sie dem Jungwolf etwas beibrachte. Der Bau führte nun etwa zwei Meter unter dem Baum hindurch und teilte sich dort in zwei Gänge, der eine führte in den Schlafraum, der andere war momentan noch eine Sackgasse aber Naumi arbeitete daran. Die Graue hatte zuviel mitmachen müssen um nun einfach ein Loch zum Schlafen zu graben, das war der Grund für sie einen zweiten Ausgang anzulegen der an irgend einer versteckten Stelle enden sollte. Den Bau des Schlafraumes, der momentan noch sehr eng war hatte sie dafür erst einmal zur Seite gelegt. Die Wölfin schnaufte während sie ihre Krallen in die Erde hieb um den Tunnel zu verlängern. Draußen mochte der kalte Herbstwind wehen hier drinnen aber war es Windstill und relativ warm. Einen Tag lang arbeitete sie jetzt schon am Notausgang und von Zeit zu Zeit lief sie nach draußen um sich zu vergewissen, dass sie immer noch auf den Ginsterbusch zuhielt.

Das Gestrüpp würde den perfekten Sichtschutz für das Loch bilden, was der Grund war weshalb sie sich gerade diese Stelle auserwählt hatte. Die dicken Wurzeln des Ahorns stabilisierten den Eingang, sowie die Höhlenwände und die Nähe des Teiches stellte einen guten Jagdgrund dar. Jedoch hatten sie beide am letzten Morgen miterleben müssen wie die Entenschar gen Süden davonzog, weshalb sie sich nach anderer Beute hatten umsehen müssen.

- Die störrische Wurzel

Die stumpfen Krallen der Wölfin stießen auf eine Wurzel. Sie versuchte sie zu durchreißen oder auch nur wegzuschieben, aber es mochte ihr nicht gelingen obwohl sie nicht sehr dick war. Immer wieder sprang die Wurzel in ihre alte Position zurück. Deshalb schnappte sie mit ihrem kräftigen Kiefer danach und zog daran bis sie endlich durchriss.

Als ob sie sich rächen wollte warf die Wurzel mit einer Erdfontäne um sich, welche die Wölfin im Gesicht traf und ihr die Augen verklebte. Gereizt begann Naumi damit sich die Erde mit den Pfoten von der Schnauze zu wischen, bis sie hinter sich ein zögerndes Fiepen vernahm.

- Der Moosteppich

Hinter ihr im Tunnel saß der kleine Wolf und blickte sie fragend an. Die Graue wusste im ersten Moment nicht was er von ihr wollte. Sie wischte sich den restlichen Dreck aus den Augen und sah dann das Moos, welches vor den Pfoten des Weißen lag.

"Du hast also welches gefunden. Das hast du toll gemacht", lobte sie ihren Schützling und anschließend schleckte sie ihm anerkennend über die Stirn. Es war das erste Mal gewesen, dass sie den Jungwolf allein losgeschickt hatte um eine Aufgabe zu erfüllen, bisher hatte sie immer zu große Angst um ihn gehabt, aber der Kleine hatte sich von Tag zu Tag mehr gelangweilt während sie gegraben hatte. Schwanzwedelnd und mit einem breiten Wolfslächeln auf den Lefzen blickte sie der kleine Wolf an. Er war stolz auf sich und freute sich endlich was zu tun zu haben.

"Gibt es sonst noch was, das ich machen kann?" Fragte der Jungwolf aufgeregt woraufhin sich die Wölfin an ihm vorbei durch den Tunnel schob.

"Komm mit", meinte sie knapp und bog gleich darauf in den Gang zum Schlafraum ab. Der kleine Wolf folgte ihr, das Moos nahm er mit. Fragend blickte er zuerst in den Kreisrunden Raum und dann in die meeresblauen Augen.

"Leg das Moos da rein kleiner Wolf. Wenn du den Boden damit bedeckst haben wir bald ein weiches Nest." Der weiße Rüde strahlte über beide Backen. Er legte das Moos auf den Boden und trat es etwas breit. Es war ein kleiner Anfang, bestimmt würde es den ganzen Tag dauern bis der ganze Boden bedeckt war.

"Das mach ich", rief er freudig und stürmte aus der Höhle hinaus um sich sofort an die Arbeit zu machen. Die Wölfin rief ihm noch nach er solle vorsichtig sein, war sich anschließend aber nicht sicher ob er sie noch gehört hatte. Ob sie wohl das richtige Tat indem sie ihn einfach so gehen ließ? Es war noch nicht einmal Dunkel. Eine Weile verharrte die Graue und überlegte, aber dann ging sie wieder zurück an ihre Arbeit.

- Nagetiere

Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt als sich der graue Leib der Wölfin zwischen den Wurzeln hervorschob. Im Geäst des Ahorns saß die Amsel, welche sie schon seit den ersten Tag immer wieder besuchte. Vermutlich hatte der Vogel irgendwo in der Nähe sein Nest. Wie immer sang er sein monotones Lied von den Schatten. Die Ohren der Wölfin zuckten, während sie sich misstrauisch umsah. Der kleine Wolf war nicht in der Nähe, er war immer noch auf der Suche nach Moos. Als die Graue zuvor die Schlafstelle betrachtet hatte, war schon beinahe der ganze Boden mit der weichen Pflanze bedeckt gewesen. Naumi verließ die Höhle und lief tiefer in den Wald hinein. Sie lauschte und beschnüffelte den Waldboden bis sie gefunden hatte wonach sie suchte.

Wie auf Kommando begann die Wölfin zu graben. In Windeseile schaufelte sie Erde weg, welche sofort im hohen Bogen durch die Luft flog. Dann schnappte ihr Fang in das somit entstandene Loch. Zum Vorschein kam eine dicke Waldmaus und nach weiteren Graben und zuschnappen wurde daraus eine ganze Waldmausfamilie. Nach etwa einer halben Stunde war Naumi fertig mit ihrer Jagd. Wenn sie noch länger weitermachen würde hätte sie die Mäuse auch gar nicht mehr tragen können. So gut es ging nahm sie die kleinen Nager in ihren Fang. Sie versuchte es sie nur an den Schwänzen zu packen, damit sie sie alle tragen konnte, aber sie musste dennoch ein paar zurücklassen.

- Ich habe etwas gefunden!

Als die Wölfin bei der Höhle ankam saß dort der kleine Wolf und wartete schon auf sie. Er sprang sofort auf, lief auf sie zu und tänzelte um sie herum, als er sie näherkommen sah. Die Graue hob den Fang reflexartig aus seiner Reichweite, legte die Beute aber dann doch vor ihm nieder. Der Jungwolf verschlang zwei der Mäuse ohne sich auch nur zu bedanken. Er schien es geradezu eilig zu haben. Naumi sah ihm verdutzt dabei zu, sie wollte warten bis der Kleine satt war, dazu kam es aber noch nicht. Der kleine Wolf ließ sich nicht einmal die Zeit richtig zu fressen.

"Ich habe etwas gefunden", jubelte er, dann duckte er sich um sich für seinen Übermut zu entschuldigen, woraufhin die Wölfin ihm kurz eine Pfote auf die Schulter legte um ihn zum Ausreden aufzufordern. "Ich war gerade dabei Moos zu sammeln, da habe ich einen Stein gefunden, der wie ein Futternapf glänzt", erklärte er schnell, dann ging er ein paar Schritte in die Richtung in der sich sein Fund befand. "Komm mit", forderte er, legte dabei aber die Ohren respektvoll an.

- Der Stein der wie ein Futternapf glänzt

Die Wölfin folgte dem kleinen Wolf tiefer in den Wald hinein. Sie entfernten sich ein ganzes Stück von ihrer Höhle und auch von ihrem Jagdgebiet. Nach einer kurzen Weile passierten sie einen großen Felsen, der wie ein drohender Wachmann aus dem Boden ragte, daraufhin liefen sie einen Hügel hinab bis zu einem Rinnsal. Vom schlammigen Ufer her funkelte den beiden Wölfen ein Metallstück entgegen. Es war ein eiförmiger von Rillen durchzogener Gegenstand, der tief in der Erde steckte, sodass nur ein kleiner Teil von ihm sichtbar war.

Naumi stutzte während der kleine Wolf mit einem Jubelschrei den Hügel hinab und auf den vermeidlichen Stein zudonnerte. Es dauerte eine Sekunde zu lange bis der Wölfin klar wurde, welche Gefahr von dem Gegenstand ausging. Ihr Warnruf erstickte zwischen den Baumriesen, aber ihre Pfoten trugen sie schneller voran, als ihr Ruf den Jungwolf hätte erreichen können.

Sie stieß den Weißen zur Seite, konnte sich aber selbst nicht mehr stoppen wodurch sie mit der Pfote gegen das Eisenstück stieß. Zeitgleich wurde der alte Sprengkörper aktiviert und die entstandene Explosion riss ein tiefes Loch in den Boden, welches sich sofort mit schlammigen Wasser füllte. Der kleine Wolf hatte die Ohren angelegt. Er winselte und blickte verwirrt auf die Stelle wo eben noch der Stein gelegen hatte. Ihm war nichts passiert, außer das sich einige Schlammspritzer auf sein weißes Fell gelegt hatten.

- Glück im Unglück

Während die grünen Augen auf das gurgelnde Wasser in dem sich füllenden Loch fixiert waren, lag einige Meter weiter die Wölfin und rührte sich nicht. Da ertönte ein lautes Winseln, welches das des Jungwolfes übertönte, überrascht sah er auf und erblickte die Graue. Hastig lief er auf sie zu und stupste sie an. Naumi hatte Glück gehabt, die Explosion war nicht stark genug gewesen sie zu töten, vermutlich war die Feuchtigkeit durch die Mine gedrungen und hatte ihre Kraft gemindert. Schwerfällig öffnete sie ein Auge und zwang sich dem kleinen Wolf ein Lächeln zu schenken.

Sofort verschleierte Blut, welches ihr über die Stirn herab rann ihr Sichtfeld. Alles in ihrem Körper tat ihr weh, jeder Muskel zog und fühlte sich an als ob er zum zerreißen gespannt wäre, obwohl sie ausgestreckt dalag. Aber von allem am meisten schmerzte ihr rechter Vorderlauf, der mit dem sie zuvor an die Mine gestoßen war. Die Wölfin stellte ihr herzergreifendes Winseln ein, als sie bemerkte wie sehr sie dem kleinen Wolf damit zusetzte.

"Mir geht es gut, du brauchst dir keine Sorgen zu machen", flüsterte ihm die sanft-raue Stimme abgehakt zu. Aber der Jungwolf schüttelte nur den Kopf.

"Du blutest überall", meinte er knapp und betroffen. Er zitterte am ganzen Körper und wusste nicht was er tun sollte. Die Graue blickte ihn aus einem Auge an. Was würde ihr Schützling tun wenn sie nicht mehr war? Was sollte das alles gebracht haben, wenn sie nun versagte? Es war ihre Entscheidung gewesen ihn zu retten, sie hätte es nicht tun müssen, ja sie hätte es nicht tun sollen denn es schadete ihr selbst am meisten.

Und dennoch hatte sie sich dafür entschieden. Die Wölfin versuchte sich aufzustemmen, merkte aber sofort das ihr rechter Vorderlauf unbrauchbar war. Beinahe strauchelte sie auf dem schlammigen Untergrund, aber sie schaffte es doch zum Stehen zu kommen. Auf drei Beinen stand sie unsicher da und blickte auf ihren verletzten Lauf hinab.

Der Anblick verschlug ihr fast den Atem, das Winseln des Rüden bestärkte dieses Gefühl nur noch. Haut und Fell hing in alle Richtungen und überall war Blut, als sie darüber leckte erkannte sie darunter den blanken Knochen. Naumi wunderte sich, dass es nicht mehr schmerzte. Es tat höllisch weh, das stand außer Frage, aber die Wunde wirkte eher so als ob sie dadurch eigentlich die Besinnung verlieren musste. Aber dem war nicht so und der Knochen selbst war unverletzt. Die Wölfin wollte erleichtert seufzen, aber es gelang ihr nicht. Sie brachte keinen Laut über die Lefzen, der kein Schmerzensschrei war.

Der kleine Wolf saß im dreckigen Wasser und starrte sie unentwegt an, er schien geistig gar nicht anwesend zu sein. Als Naumi ihm einen Blick in ihre blauen Augen gewährte, rückte er hastig näher an sie heran und leckte ihr zärtlich das Blut von der Stirn. Den Lauf wollte er nicht berühren, da er Angst hatte er könnte ihr damit wehtun.

- Die Ohnmacht kommt dann wenn es der Wille gestattet

Keiner von beiden sagte etwas, als sie sich langsam den Hügel hinaufkämpften. Der Jungwolf zwang sich auf den Boden zu schauen, schaffte es aber nicht seinen Blick von der Grauen loszueisen. Als sie oben angelangt waren, wand er sich forschend herum. Er wollte alles im Auge haben, denn er hatte Angst jemand könnte die Wölfin in diesem Zustand angreifen.

Naumi schleppte sich weiter, Schritt für Schritt, den wunden Lauf hielt sie dabei angewinkelt und wenn es dazu kam, dass er die Erde berührte so winselte sie leise. Es fiel ihr schwer mit drei Beinen voranzukommen und als sie den großen Felsen erreichte legte sie sich erstmal hin um sich ihre Wunden zu lecken. Der kleine Wolf setzte sich und sah sie schweigend an, nervös ließ er immer wieder den Blick über die Umgebung wandern. Seine Ohren zuckten erregt, aber er sagte nicht ein Wort.

Als sich die Wölfin erhob stand der Jungwolf sogleich auf den Beinen, wartete aber geduldig bis sie an seiner Seite war. Gemeinsam schlichen sie weiter bis zurück zur Höhle. Auf dem Weg dorthin geschah nichts ungewöhnliches. Lediglich die Amsel gesellte sich irgendwann zu ihnen, verhielt sich aber ebenso ruhig wie die Wölfe.

Bei ihrem Bau angelangt schob sich die Graue durch das enge Loch. Sie musste sich ducken und dennoch streifte ihr Rücken die Decke, was ihr einen Schmerzenslaut entgleiten ließ. Neben den Hügel war diese Stelle die schlimmste für sie, weil sie nicht den Platz hatte den sie gebraucht hätte um sich dreibeinig fortzubewegen. Endlich im Schlafraum angelangt fiel sie schlagartig in eine tiefe Ohnmacht und egal wieviele Worte der kleine Wolf an sie wand, egal wie laut er zu ihr sprach sie wachte nicht auf.

- Ein langer aber wenig erholsamer Schlaf

Die Wölfin schlief die ganze Nacht und den ganzen Vormittag lang. Sie lag einfach nur da und rührte sich nicht. Der Jungwolf hatte sich an ihre Brust gekuschelt und rührte sich ebensowenig. Sie wirkten wie zwei tote Leiber, eingeengt von Erde und Wurzeln.

Als es Mittag wurde und aus der anhaltenden Dunkelheit in der Höhle ein mildes Dämmerlicht wurde öffneten sich die Augen des kleinen Wolfs und er schob sich etwas von der Fähe weg um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Naumi lag mit offenen Augen da und starrte an die Wand. So lange sie auch geschlafen hatte, er war so wenig erholsam gewesen wie sie geträumt hatte.

Die Wölfin hätte erwartet von Alpträumen geplagt zu werden, aber sie konnte sich an keinen erinnern. Der Jungwolf hingegen wusste sehr wohl das er geträumt hatte.

Immer noch hing die Erinnerung davon in seinen Gedanken, als wäre sie in ein Spinnennetz geraten und schaffte es nicht sich zu befreien. Sein Traum hatte von dem Tag gehandelt an dem sie geflohen waren. Die schleimige Öffnung in der seine Pfote steckte, die grauenvollen roten Schlieren, welche den Verwesungsgeruch darstellten, er hatte alles fühlen, alles riechen können. Anders als bei dem tatsächlichen Erlebnis war es ihm jedoch gelungen seine Augen zu öffnen und gesehen hatte er dann etwas gänzlich anderes.

Die Erinnerungen hatten sich an genau dieser Stelle mit dem kürzlich erlebten verbunden. Seine Pfote steckte in der schlammigen Mulde in der der Stein gelegen war und die roten Schlieren verwandelten sich in das Blut Naumis.

- Durst und Fieber

Es war unheimlich warm im Schlafraum, gerade so, dass dem kleinen Wolf heiß wurde. Sein Blick lag auf der Wölfin die immer noch an die Wand starrte und sich nicht regte. Irgendwann trat seine Zunge aus dem Fang hervor und er begann zu hecheln. Da drehten sich die blauen Augen in seine Richtung und blickten ihn glasig an.

Der Jungwolf ertrug den Blick dieser glasigen Augen nicht, aber er wagte auch nicht sich dagegen zu äußern, deshalb drängte er sich an die Graue heran und drückte seine Stirn gegen ihre Wange.

"Kleiner Wolf", sprach die sanft-raue Stimme heißer und im ersten Moment glaubte der weiße Rüde sie sehe ihn nicht. "Kleiner Wolf, kannst du losgehen und mir etwas Wasser bringen, bitte?" Ihre Worten waren wie gehaucht.

"Was ist mit dir?" Fragte der Jungwolf und seine Kehle fühlte sich trocken an. Er hatte seit Stunden nicht gesprochen und jetzt erst merkte er wie durstig er war. Aber wie sollte er Wasser holen? Es hatte doch keinen Körper und verschwand sofort wenn man es halten wollte. Die Wölfin versuchte ihm einen mütterlichen Blick zu schenken und ihm damit zu sagen, das alles in Ordnung sei, aber es gelang ihr nicht. Sie wollte ihn nicht beunruhigen aber sie wusste das der Wundbrand zum Fieber geführt hatte.

"Wie soll ich das Wasser fangen?" Stellte der kleine Wolf eine zweite Frage als er merkte, dass sie die erste nicht beantworten würde. Er hatte die Ohren zurückgelegt und in seinem Blick lag Trauer. Die Graue leckte ihm beruhigend über die Stirn und stupste mit ihrer Nase die seine an.

"Du musst dir etwas von dem Moos nehmen und es ins Wasser tunken, dann bringst du es mir ganz vorsichtig", erklärte die sanft-raue Stimme. Der kleine Wolf nickte und sagte dann noch einmal laut: "Ja, und ich bin gleich wieder zurück", er sprach die Worte aus, das er glaubte sie könnte ihn sonst missverstehen und sich Sorgen um ihn machen wenn er einfach verschwand.

Naumi wand ihren Blick wieder der Wand zu und der Jungwolf konnte nicht umhin sie noch eine Weile anzustarren. Als die Wölfin die Augen schloss und ihren Kopf niederlegte schlüpfte er durch den Tunnel ins Freie und verschwand Richtung Teich. So schnell er konnte lief der kleine Wolf zu dem Wasserloch und auf den Weg dorthin riss er mit seinen kleinen Schneidezähnen etwas Moos von einem Baumstumpf. Dieses trug er bis an den Rand des Wassers und tunkte es ein, so wie es ihm gesagt worden war. Dabei bekam er Wasser in die Nase und musste niesen. Der Jungwolf zwang sich nicht zu schlucken während er das vollgesogene Moos zur Höhle zurücktrug.

Bei der Wölfin angelangt reichte er ihr das Bündel und sie nahm es dankbar entgegen und drückte die Feuchtigkeit heraus bevor sie die Pflanze ausspuckte. Die milde Nässe war nur ein geringfügiger Trost, denn es war viel zu wenig als, dass es etwas gebracht hätte. Aus diesem Grund lief der kleine Wolf noch fünfmal hin und her bevor er sich erschöpft in das weiche Moos legte, das er den Tag zuvor gesammelt hatte.

Ihm war nicht entgangen, das die Hitze, welche den Raum ausfüllte von ihr kam. Ihre Stirn war glühend heiß und das machte ihm große Sorgen, aber er wusste nicht was er dagegen tun konnte. Naumi war mittlerweile eingeschlafen, weshalb er die letzte Wasserration selbst getrunken hatte und nun ebenso die Augen schloss.

- Verwesungsgeruch

In der warmen Luft der Höhle entwickelte sich über den Nachmittag hinweg ein leichter Verwesungsgeruch, der die Wölfin schließlich aufweckte. Sie öffnete ihre Augen und blickte ziellos umher, denn sie hatte keine Orientierung und war verwirrt.

In diesem Moment fühlte sie sich sehr einsam und schwach. Der Geruch machte sie nervös, aber sie konnte nicht orten von wo er kam. Das Fieber vernebelte ihr die Sinne und machte sie nun gänzlich hilflos.

Durch das ängstliche Winseln, welches sie von sich gab wachte schließlich auch der Jungwolf auf, der eigentlich nur vorgehabt hatte etwas zu dösen. Bestürzt blickte er den grauen bebenden Leib neben sich an und begann selbst zu zittern. Woher sollte er nur wissen was in solchen Momenten zu tun war? Wenn doch Ratte hier wäre, ging es ihm durch den Kopf, denn er fühlte sich ebenso allein und hilflos wie Naumi.

Es war gerade einmal eine Woche vergangen, seit er frei war, vielleicht etwas mehr und er hatte schon soviel gelernt, aber was er gegen die Hitze auf den Kopf der Grauen tun konnte wusste er dennoch nicht. Bibbernd erhob er sich und stellte sich in das Sichtfeld der blauen Augen.

"Was soll ich tun?" Fragte er verzweifelt. Aber die Wölfin antwortete ihm nicht. "Wie kann ich dir helfen, wie bekomm ich das Warm weg?" Er setzte sich hin unfähig noch länger stehen zu bleiben. Ihm war nach weinen zumute, aber er wusste ja nicht einmal wie man weinte. Es war damals einfach passiert und danach hatte er sich viel besser gefühlt. Wenn er weinen würde, ganz viel weinen, dann hatte er vielleicht auch genug Wasser für die Wölfin und dann würde sie bald wieder gesund werden.

"Was soll ich nur tun?" Fragte er wieder, aber abermals folgte keine Antwort. Der kleine Wolf blieb noch eine Weile sitzen, solange bis er sein eigenes Zittern überwunden hatte, dann sagte er so mutig wie er nur konnte: "Ich hole dir noch mehr Wasser", und verschwand im Höhlengang.

Die Graue sprach nicht ein Wort als ihr der Jungwolf das Wasser brachte und sie wollte auch nicht trinken, der kleine Wolf aber redete auf sie ein und lief wieder und wieder um neues Wasser zu holen. Als er das dritte Mal zurückkam merkte er wie Naumi auf dem Moosbüschel das er zuvor gebracht hatte herumkaute und von da an trank sie ohne Zwischenfälle. Als die Amsel mit ihren Lied begann lief der kleine Wolf immer noch zwischen dem Teich und der Höhle hin und her. Erst als es zu dunkel geworden war um noch etwas zu sehen, ließ er es sein. Er fraß eine der Mäuse, die er nach dem Unfall der Grauen in den Höhlengang getragen hatte und legte zwei davon vor die Schnauze der Wölfin, dies getan schlief er erschöpft ein.

- Die Stimme im Dunkeln

Es musste etwa ein Uhr morgens sein als Naumi erwachte. Sie fühlte sich besser spürte aber immer noch die Trockenheit in ihrer Kehle. Der Verwesungsgeruch war nun direkt in ihrer Nase, aber das war es nicht was sie geweckt hatte. Die Schnauze der Grauen stupste die beiden Mäuse zögernd an.

Eindeutig war die alte Beute für den Geruch verantwortlich, aber das hielt sie nicht davon ab die beiden Happen sogleich zu verschlingen um den gröbsten Hunger zu stillen. Ein Flüstern ging durch die Dunkelheit, ein Säuseln. Die Wölfin war sich sicher das dies nicht der Wind war, aber im ersten Augenblick konnte sie nichts verstehen. Sie blickte sich nach dem kleinen Wolf um der friedlich neben ihr schlief, zwar sah sie ihn nicht, aber sie fühlte wie sich der Leib im gleichmäßigen sanften Takt hob und senkte.

Er war für die Geräusche nicht verantwortlich. Wieder folgte ein Säuseln und ein Flüstern. Die Fähe schloss die Augen und lauschte angestrengt. Ihre Wunde brannte fürchterlich und ihre Glieder schmerzten weil sie sich so lange nicht bewegt hatte. Da, wieder dasselbe Geräusch. Allmählich kristallisierten sich Worte heraus. Die Wölfin glaubte eine Stimme zu vernehmen, eine feine Stimme die von der Erdoberfläche herab an ihr Ohr drang.

"Helfen...vergessen..." Die Worte waren kaum vernehmbar, aber Naumi war sich sicher, diese Botschaft vernommen zu haben. Aber wer wollte ihr helfen? Was meinte er mit vergessen? Es dauerte minutenlang bis die Wölfin endlich verstand und das Verstehen gelang ihr in genau dem Moment in dem sie es aufgab in die Nacht hinein zu lauschen.

"Ich kann dir helfen, sofern du unsereins noch nicht vergessen hast", sprach die Stimme deutlich aus dem Dunkeln heraus und es schien als käme sie von Oben, von den Wänden und gleichzeitig aus ihrem Herzen. Wer spricht da? Durchglitt es die Gedanken der Wölfin, aber sie wagte nicht es in Worte zu formen, da sie angst hatte dies könne ihr erneute Schmerzen bereiten.

"Also hast du uns bereits vergessen", sprach die Stimme und verstummte für eine lange Weile, welche Naumi beinahe in den Wahnsinn trieb. Spielte ihr das Fieber einen Streich? War sie schon so nahe am Tod, das sie sich Dinge einbildete? Oder war diese Stimme real und sie hatte mit ihrer gedanklichen Frage die einzige Chance zur Hilfe verspielt?

- Der Schwur

Wieder machte sich Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung im Körper der Wölfin breit. Ihre Schmerzen und das getrübte Glas vor ihrem Verstand ließen es nicht zu, dass sie klar denken konnte, sonst wäre ihr die Antwort viel schneller gekommen. Der Ahorn, fiel es ihr ein. Natürlich war es die Stimme des Baumes die sie vernahm, schließlich waren die Pflanzen ihr Element.

Naumi hatte noch nicht oft mit den Pflanzen gesprochen, befehligt hatte sie sie noch seltener. Damals, als ihr Rudel ihr den Umgang mit ihren Element beigebracht hatte, hatte sie eine große Furcht und eine Schuld vor der Natur verspürt, weshalb sie sich selbst den Schwur auferlegt hatte es nur im Notfall zu verwenden. Die Wölfin wartete ab, aber die Stimme kam nicht wieder. Aus irgend einem Grund fiel ihr diese scheinbar bedeutungslose Wurzel ein, die sie vor einigen Tagen durchbissen hatte.

Für den Moment schweifte Naumi ab und fragte sich wieviele Tage und Nächte wohl schon seit ihrem Unfall vergangen waren, dann aber kam sie wieder zum wesentlichen Punkt. Bestimmt war es so, dass der Ahorn es ihr nicht verzieh, dass sie ihm ein Leid zugefügt hatte. Die Wölfin senkte den Kopf und legte ihn betrübt auf ihre heile Pfote. Sie verspürte ein beißendes Schuldgefühl in ihren Glieder.

Wenn ich meine Kraft eingesetzt hätte, so hätte ich die Wurzel befehligen müssen, wäre es denn wirklich besser gewesen sie zu zwingen? Die Frage, die sich die Fähe stellte blieb nicht ohne Antwort.

"Es wäre angenehmer gewesen", säuselte die Stimme des Baumes, woraufhin Naumi den Kopf hob und in die Finsternis starrte. Es ist ihm lieber unterdrückt als leicht verletzt zu werden? Wieder mischte sich die Pflanze in ihre Gedanken ein.

"Es hätte auch genügt wenn du gefragt hättest. Wer uns zwingt wird unseren Zorn spüren aber wer uns fragt mit dem kämpfen wir. Du darfst uns nicht als Waffe sehen die du nicht verwenden willst, du musst uns als einen Freund betrachten, der dich im Kampf unterstützt." Die Wölfin lauschte den Worten und schaffte es für einen kurzen Moment ihren Schmerz von seinem Thron zu stoßen.

Immerzu hatte sie Angst verspürt ihr Element einzusetzen, sie hätte es nicht als Waffe bezeichnet, sondern vielmehr als eine Kraft derer sie sich nicht sicher war, ob sie sie beherrschen konnte. Aber wie der Ahorn gesagt hatte ging es gar nicht darum diese Fähigkeit zu beherrschen. Zum erstenmal spürte die Fähe eine Verbundenheit zu ihrem Element. In diesem Fall, sprach sie zu sich selbst, schwöre ich jede Pflanze zu bitten, wenn ich etwas von ihr brauche.

- Der hölzerne Partner

"Gut, so helfe ich dir", säuselte der Ahorn. Auf die Worte des Baumes hin konzentrierte sich Naumi auf ihre Kraft. Sie wusste das ihr hölzerner Partner nicht ohne zutun imstande war ihr zu helfen, das konnte nur sie mit ihrer Elementarkraft bewirken. Es kostete die Fähe eine große Menge ihrer Kraft genügend Energie aufzubringen um eine der Wurzeln wachsen zu lassen, bis die Spitze genau vor ihrer Schnauze in der Luft hing.

Plötzlich war es so einfach zu wissen wie der Ahorn ihr helfen wollte und was sie zutun hatte. Das Element in ihr bewirkte, dass sie ein denkendes Wesen waren. Dies war auch der Grund weshalb die Stimme zum Teil aus ihrem Herzen gesprochen hatte, denn eigentlich hatte sie in ihrem Fieberanfall nichts anders getan als mit ihrem Inneren zu sprechen um eine Lösung zu finden.

Die Wölfin ließ ihre Kraft in die Wurzeln des Baumes strömen, welcher das Wasser aus großer Tiefe heraufsog und in ihren Rachen gleiten ließ. Die Feuchtigkeit lief den Wurzelstrang entlang direkt in den Fang der Fähe und der Fluss versiegte erst als sie keinen Durst mehr verspürte. Naumi hatte viel getrunken und wieder fühlte sie die Schuld in ihrer Brust.

"Bald kommt der Schnee", sprach der Ahorn. "Ich muss darauf acht geben, dass mein Stamm nicht so feucht ist, dass er gefriert." Das ungute Gefühl im Herzen der Grauen verschwand schlagartig und die verbrauchte Energie forderte ihren Tribut indem sie sogleich wieder einschlief.

- Keine Beute mehr

Der kleine Wolf hatte nichts von dem nächtlichen Gespräch mitbekommen. Natürlich nicht, denn die Stimme des Baumes konnte nur die Wölfin vernehmen und diese hatte keinen Laut von sich gegeben. Als er aufwachte wunderte er sich über die Wurzel, die über dem Kopf Naumis hing und einzelne Wasserperlen auf ihre Stirn tropfen ließ.

Er ging zu ihr hin und befühlte mit der Nase ihren Kopf, dessen Temperatur sich endlich abgekühlt hatte, dann hielt er die Zunge unter die Wurzel und nahm ein paar der Tropfen zu sich. Ein beißender Hunger hatte sich in die Glieder des Jungwolfes geschlichen, weshalb er aus dem Schlafraum hinausschlüpfte um sich nach den Mäusen umzusehen. Es waren nur noch zwei von den kleinen Nagern übrig.

Eigentlich wollte der kleine Wolf diese Naumi geben, denn er gab ihr immer zwei und beanspruchte selbst nur eine für sich, weil sie größer war als er, nun aber fraß er eine von den zweien, ganz langsam und schuldbewusst. Als er fertig war legte er die andere Maus vor die Schnauze der Wölfin. Nicht wissend was er nun tun sollte legte er sich wieder hin und betrachtete die Graue bis diese schließlich aufwachte. Er sah ihr dabei zu wie sie die Maus fraß und fühlte sich gleichzeitig einsam weil er schon so lange mit niemanden mehr gesprochen hatte. Die Wölfin, die sich über das Verhalten ihres Schützlings wunderte blickte ihn eine Minute aus wieder klaren blauen Augen an, bevor sie zu ihm sprach.

"Du rationierst die Beute? Klug von dir", bemerkte sie und es fiel ihr auf wieviel besser es ihr plötzlich ging. Naumi wusste, dass das Element der Natur eines von denen war die man hauptsächlich zur Heilung einsetzte, aber sie hätte nicht gedacht das der Ahorn es fertig bringen würde ihr solch eine schnelle Besserung zu verschaffen.

"Es ist nichts mehr da", kommentierte der kleine Wolf als Antwort und senkte betrübt den Kopf. Die Wölfin hatte alle Mühe ihre Bestürzung zu unterdrücken. Sie hatte so viele Mäuse herangetragen und schon waren keine mehr übrig. Eigentlich hätte sie es erwarten sollen, aber ein klares Denken war in den letzten Tagen nicht möglich gewesen.

Was sollten sie nun tun? Das Fieber war gesunken, der Wundbrand so gut wie überstanden, nun konnte die eigentliche Heilung der Wunde einsetzen, aber bestimmt würde es noch dauern bis sie wieder jagen konnte. Bis dahin würden sie beide oder zumindest der Jungwolf verhungern.

Von diesem Gedanken geplagt versuchte die Fähe sofort sich aufzurichten, woraufhin der kleine Wolf erschrocken zurückwich. Ein lautstarker Wehruf setzte ein und Naumi sank wieder in sich zusammen. Noch strengte es sie viel zu sehr an und was sollte es auch bringen? Auf drei Beinen war nicht gut zu jagen.

"Es geht nicht, du musst für uns auf die Jagd gehen", sagte die sanft-raue Stimme und der kleine Wolf sah sie mit einem Ausdruck an den sie nicht deuten konnte.

Ein Unglück folgt dem anderen II

- Magere Tage

Nichts ereignete sich in den folgenden Stunden und Tagen, nicht das geringste. Jetzt wo das Fieber zur Gänze abgeklungen war, konnten sich die Wölfe wieder unterhalten, aber ihnen war nicht nach einer Unterhaltung zumute. Ihr Wasserproblem war behoben und der kleine Wolf fragte sich wie es dazu gekommen war, aber diesbezüglich äußerte sich die Wölfin nicht und so gab er sich damit zufrieden.

Die Zeit zog sich dahin und Naumi versuchte regelmäßig sich aufzurichten, aber es gelang ihr nie. Der Jungwolf hingegen machte sich auf um seinen Beitrag zu leisten. Er erinnerte sich an den Tag an dem die Wölfin gesagt hatte er müsse ihr nur beim Jagen zusehen, es dann selbst probieren und dann würde er es können.

Hungrig schlich er durch den Wald. Zuerst führten ihn seine Schritte zum Teich, dort angelangt sah er sich nach einer möglichen Beute um. Nachdem er das Gewässer zur Hälfte umrundet hatte fiel ihm ein braunes Tier mit einem langen buschigen Schweif ins Auge, welches aufgeregt am Boden herumsprang als suche es nach etwas.

Der kleine Wolf ging langsam auf seine auserwählte Beute zu, aber schon nach etwa zehn Schritten hob das Tier seinen Kopf und war Sekunden später den Stamm eines nahe stehenden Baumes hochgeklettert. Voll Bitterkeit wurden dem Jungwolf klar, dass er gleich die erste Lektion vergessen hatte, nämlich das er sich duckten musste wenn er sich ungesehen anschleichen wollte.

Droben am Himmel ballten sich währendessen die Wolkenmassen zusammen und es wurde dunkler und dunkler. Dem kleinen Wolf war nicht bewusst, dass dies nicht der Sonnenuntergang war, bis die ersten Regentropfen seine Nase berührten. Er sah hoch in den Himmel und blinzelte, da ihm das Wasser in die Augen rann. Im fiel ein, dass es am ersten Tag seiner Freiheit auch geregnet hatte und, dass dieser Regen angenehm gewesen war und alles gut gemacht hatte. Vielleicht, sagte sich der kleine Wolf, wird dieser Regen auch alles gut machen.

Leider aber musste er feststellen, dass er auch heute keine Beute machen konnte. Er stellte sich einfach zu ungeschickt an, aber das war diesmal nicht das einzige Problem. Die Tiere des Waldes zogen sich in ihre Schlumpfwinkel zurück um sich vor dem niederprasselnden Regentropfen zu verstecken. Niedergeschlagen schlich der Jungwolf zur Höhle zurück und berichtete Naumi wie sein Tag gewesen war. Die Wölfin horchte ihm aufmerksam zu, denn im Moment war das ihre einzige Unterhaltung und auch ihre letzte Verbindung zur Außenwelt. Keiner von beiden wusste wie lange, der Tag an dem sie den vermeidlichen Stein gefunden hatten schon zurück lag.

- Regentage

Am nächsten Morgen war da keine Sonne, die die Wölfe geweckt hätte. Immer noch war der Himmel von geballten Wolkenmassen verdeckt und der Regen trommelte auf die Erde. Mit traurigen giftig grünen Augen blickte der weiße Wolf in den düsteren Wald hinaus. So trostlos war ihm noch kein Tag seit seiner Flucht erschienen. Er hatte den Kopf auf die Pfoten gebettet und wartete ab.

"Aber, dass du mir ja nicht hinausgehst", warnte die sanft-raue Stimme hinter ihm in der Höhle. Natürlich wollte die Fähe nicht, dass sich ihr Schützling erkältete.

"Mach ich nicht", gab der kleine Wolf die Worte zurück, doch zum ersten mal war ihm danach gegen ihre Worte zu handeln. Bisher hatte er sich immer damit zufrieden gegeben ihr zu gehorchen, aber diesmal glaubte er ihr wiedersprechen zu können. Natürlich tat er es dennoch nicht, aber in seinem Kopf spielten sich allerlei Gedanken ab.

Der Jungwolf ließ die Zunge über die Lefzen gleiten. Ihm war als wisse er gar nicht mehr wie die Waldmäuse geschmeckt hatten. Seit einigen Stunden spürte er neben dem beißenden Hunger einen furchtbaren Schmerz im Bauch, so als hätten ihm die weißen Riesen eine ihrer nadelfeinen Klauen hineingejagt. Er zwang sich nicht zu wimmern, weil ihr wusste das Naumi es hören würde.

Als er zuvor probiert hatte Kot zu lassen, war der Schmerz plötzlich unerträglich gewesen. Das alles erinnerte ihn sosehr an seine Gefangenschaft, den engen Käfig und die vielen traurigen Laute seiner Leidensgenossen, dass er am liebsten einfach weglaufen würde. Laufen, einfach nur laufen und verschwinden bis ihm endlich nichts mehr weh tat.

Er konnte die Worte von Ratte in seinem Kopf hören und auch die sanft-raue Stimme der Wölfin, die beide sagten er dürfe gar nicht daran denken einfach so zu sterben und er rechtfertigte sich damit, dass er doch nur laufen wollte. Zu all diesen Gedanken kamen noch ganz andere. Als er letzte Nacht an die Brust der Grauen gekuschelt geschlafen hatte, hatte er all ihre Knochen gespürt. Sofort war er laut geworden und hatte versucht sie aufzuwecken und da ihre Antwort so lange ausblieb, war er schon im Glauben gewesen sie wäre tot.

- Zum ersten mal

All das, die Schmerzen, die Erinnerungen und die Angst um die Wölfin, die doch die einzige war die er hatte, brachten den kleinen Wolf irgendwann dazu aufzustehen und in den Regen hinaus zu laufen. Es war noch nie vorgekommen, dass er nicht auf Naumi gehört hatte. Und immer war doch alles gut gewesen, wenn er ihr gehorchte, was wenn jetzt etwas schreckliches geschehen würde?

Schon nach ein paar Schritten drehte sich der Jungwolf noch einmal um und für Minuten blickte er auf den Höhleneingang, während sich sein Fell mit Wasser vollsog. Ich muss das tun, ging es ihm durch den Kopf, aber gleichzeitig fühlte er schon jetzt die nagenden Schuldgefühle. Hastig wand er sich herum und rannte so schnell er konnte in den Wald hinein.

Weg vor diesen Gefühlen, weg vor der Schuld, der Angst, dem Schmerz und den Sorgen. Er musste etwas tun! Wie könnte er einfach so herumsitzen und sie sterben lassen? Hätte der kleine Wolf anders gehandelt wenn er gewusst hätte, das sein eigener Tod viel näher stand als ihrer? Wer weiß...

- Auf der Suche

Das weiße Bündel richtete seine Nase auf dem Boden um eine Spur aufzunehmen. Es roch nach Wasser, nach Schlamm, nach Nadelholz, aber nicht nach einer Beute. Bald schon hatte der Jungwolf Wasser in der Nase und zu seinen Leiden gesellte sich die Kälte die ihm in die Glieder kroch. Er blieb stehen, hob die Pfote und wischte sich damit über Gesicht und Schnauze, immer wieder, er wollte die Gefühle abstreifen wie eine Haut, wollte das sie weggingen, dass es aufhörte, damit er der Wölfin helfen konnte.

So ein großes Herz hatte der kleine Wolf, dass er allen helfen wollte, aber vor allen ihr weil sie ihm geholfen hatte. So klug war er, sowenig er auch wusste. Aber wer sollte ihm helfen in dieser dunklen Stunde?

Ja dunkel war es. Man konnte nicht einmal sagen welche Stunde geschlagen hatte und der Regen war kalt wie Eis aber was erwartete man zu dieser Jahreszeit? Der Jungwolf erwartete nichts, er kannte weder Frühling, noch Sommer oder Winter, er kannte nur Tage an denen es regnete, solche an denen es lediglich bewölkt war und solche an denen die Herbstsonne schien.

Der kleine Wolf rieb so lange an seinem Kopf herum bis sie plötzlich etwas löste und zu Boden sank. Fragend stupste er den Verband mit der Nasenspitze an. Immer noch roch er nach Blut und Medikamenten. Dieser Geruch war das letzte was der Jungwolf im Moment brauchen konnte, denn es verstärkte seine Erinnerungen nur noch.

Suchend stapfte er durch den Schlamm. Er konnte nichts riechen außer das Wasser, nichts sehen außer die Tropfen. Wann immer sich wo ein Gebüsch bewegte, so war da nichts, denn nur das Wetter hatte ihn bewegt und der Schmerz war zu einer konstanten Realität geworden, so wie das Atmen.

- Der Sturm

Während der kleine Wolf damit kämpften musste seine verbliebene Hoffnung und die Orientierung nicht zu verlieren, gesellte sich zum Regen ein leichter Wind der kontinuierlich stärker wurde. Irgendwann war dieser Wind so stark, dass der Jungwolf glaubte ihm würden die Beine unter dem Leib weggerissen werden.

Gut das er immer noch seinen Instinkt besaß, diese seltsame Seite an sich die er gar nicht kannte und die immer richtig handelte und Dinge tat von denen er nicht das geringste verstand. Hastig schlüpfte er unter einen Busch mit harten Geäst und blättern, die sich eng an den Boden pressten. Dort legte er sich hin und wartete. Wieder hieß es warten, hätte er doch nur auf Naumi gehört und wäre in der Höhle geblieben. Das leise Winseln des Weißen ging in dem mittlerweile zum tosenden Sturm gewordenen Wind unter.

- Ein Schatten in der Nacht

Stille herrschte vor als der Jungwolf aufwachte. Es war so ruhig, das er sich sicher war, er wäre deshalb aufgewacht. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen und der Regen hatte sich gelegt. Vorsichtig schob sich der kleine Wolf unter dem Busch hervor und blickte sich um. Vermutlich war der Sonnenuntergang noch gar nicht so lange her, stellte er fest.

Dennoch verspürte er plötzlich eine Angst in sich und kalt war ihm auch schon die ganze Zeit. Vorsichtig setzte er eine Pfote vor die andere. Er wollte zurück. Er wollte wieder in diese meeresblauen Augen sehen die ihn immer beruhigten. Langsam bewegte er sich in die Richtung aus der er gekommen war. Sein Magen knurrte fürchterlich.

Da ein Schatten. Ohne das ein Geräusch entstanden wäre flog auf einmal ein Geister über ihn hinweg und streifte den Jungwolf an der offenen Stelle auf seiner Stirn, wo vor kurzem noch der Verband gewesen war. Verängstigt schrie der kleine Wolf auf und traute sich keinen Schritt mehr weiter.

"Du brauchst vor mir doch keine Angst zu haben", rief eine tiefe Stimme von oben herab. Orange Augen funkelten den Weißen aus dieser Richtung entgegen, woraufhin er zu zittern begann. "Jetzt habe doch keine Angst." Auf lautlosen Schwingen glitt der Schatten auf den Boden herab. Der kleine Wolf betrachtete den Vogel mit verängstigtem Blick. Es war eine Eule und sie stakste auf ihn zu, als ob sie nicht sehr glücklich darüber war, sich am Erdboden zu befinden.

- Die Worte der Eule

"Wer, wer bist du?" Fragte der Jungwolf zögernd. Dieser Vogel war groß und seine Krallen sahen sehr scharf aus, aber am meisten verschreckten ihn diese runden Augen, die so grell leuchteten und die steilen Brauen darüber, die ihn so grimmig schauen ließen.

"Ich? Ich bin die Waldohreule", sagte die Eule und daraufhin ließ sie ein lautes „Huh-Huhuhu-Huuuh“ ertönen, welches der kleine Wolf sofort wieder erkannte. Der Vogel trat von einem Fuß auf den anderen hin und her, dann drehte er den Kopf bevor er sich nahe zu dem Gesicht des Jungwolfs hinlehnte.

"Die Farbe deiner Augen ist interessant", sagte er, als wollte er ihr Gespräch in diese Richtung lenken, dann aber begann die Eule ihr Gefieder zu putzen und wirkte auf einmal ganz abwesend. Der kleine Wolf versuchte diesen großen orangen Augen zu entgehen in dem er sich zurücklehnte, außerdem wollte er antworten, war aber durch das Verhalten des Vogels zu verdutzt um etwas zu sagen.

"Ich habe noch nie einen Wolf mit solchen Augen gesehen. Woher kommst du?" Die Eule hatte damit aufgehört ihr Gefieder zu putzen und stattdessen ihre Schwingen ausgebreitet, sie schlug sanft damit als wolle sie die einzelnen Feder ausschütteln, dann legte sie die Flügel umständlich an. Der Jungwolf wunderte sich darüber, dass dieser Vogel offensichtlich nicht still stehen konnte, aber in dem Moment in dem seine Gedanken in diese Richtung gingen rührte sich die Waldohreule plötzlich gar nicht mehr. Minutenlang ging keine Bewegung durch den Raubvogel.

"Ich... ich komme aus einem Labor", antwortete der kleine Wolf zögernd und die Eule sah ihn verblüfft an.

"Aus einem Labor? Etwa das, dass die Menschen "Black-Hill" nennen?" Der Rüde nickte langsam. Der Vogel war ihm ganz und gar nicht geheuer. "Meine Gattin ist dort... sie haben sie mitgenommen. Schon im Frühjahr." Der kleine Wolf wusste nicht was Frühjahr bedeutete, aber er hatte verstanden. Mitleid wanderte in seinen Blick, aber er war nicht sicher ob er etwas dazu sagen sollte.

Plötzlich blickte die Waldohreule den Jungwolf mit anderen Augen an. Jetzt war da etwas in diesen leuchtend runden Augen, als sehe sie erst richtig die Narben und die magere Gestalt des Wolfes. Es war nicht sicher ob sie das Mitleid das ihr entgegen gebracht wurde überhaupt erkannte, aber es stand fest, dass sie nun ihrerseits Mitleid empfand, auch wenn man es nicht sah.

- Das Opfer

Die Eule zögerte, sie wunderte sich. Gewöhnlich half eine Tierart der anderen nicht, es lag nicht in ihrer Natur wenn für sie selbst nichts dabei raussprang, so war nun einmal der Lauf der Dinge. Und dennoch wirkte dieser halbe Welpe als ob er seine Gefährtin befreien würde, wenn er es denn könnte. Deutlich war sein Mitleid zu sehen.

So deutlich wie der Raubvogel nun sein eigenes Mitleid spüren konnte und das wunderte ihn noch mehr. Er wollte diesem Geschöpf helfen und es lag auch in seiner Macht, aber für ihn würde es keinen Nutzen bringen und dennoch wollte er es. Schweigend hatte der kleine Wolf den Vogel angesehen nun aber zuckte er zusammen und sprang daraufhin zur Seite.

Die Eule hatte ihre Flügel ausgebreitet und schlug heftig damit, dann verschwand sie im Dunkel der Nacht. Als sich der Jungwolf umsah konnte er die orangen Augen an einem nahe gelegenen Baum erspähen.

"Folge mir", rief die dunkle Stimme und entfernte sich dabei. Der kleine Wolf zögerte nicht und tat was der Raubvogel ihm sagte. Er konnte zwar nichts sehen aber hören konnte er gut und so lief er dem anhaltenden „Huh-Huhuhu-Huuuh“, das durch die Nacht hallte hinterher. Der Boden war feucht vom Regen und hier und da lagen Zweige, die der Sturm von den Bäumen gerissen hatte. Wären die Rufe der Eule aufeinmal verklungen, der kleine Wolf hätte nicht mehr gewusst wo er sich befand. Er fürchtete sich je tiefer er in den Wald hineinlief, aber er traute sich auch nicht mehr umzudrehen.

Nach einer Weile wanderte der Ruf gehn Erdboden hinab. Die Waldohreule war auf dem Stamm eines liegenden Baumes gelandet. Der Jungwolf wusste nicht, weshalb dieser Baum einfach so dalag, aber er wollte auch nicht fragen. Zudem war ihm ein Geruch in die Nase gestiegen, den er nicht ausblenden konnte. Es roch nach Blut.

"Hier, das ist für deine Anteilnahme, friss dich daran satt", gab der Raubvogel zwischen dem Gefiederputzen von sich. Feder für Feder zog er durch seinen Schnabel. Die grünen Augen blickten von dem Vogel hinab zum Boden. Unter dem Baum lag ein totes Reh und das erschreckte den kleinen Wolf.

"Warum bewegt es sich nicht", fragte er ohne über seine Wortwahl nachzudenken. Die Eule unterbrach sich und schaute den Jungwolf lange aus ihren runden Seelenspiegeln an.

"Der Sturm hat den Baum niedergerissen und dieses Geschöpf unter sich begraben", erklärte sie trocken.

- Endlich etwas zu fressen

Der Weiße näherte sich dem toten Reh vorsichtig und schnupperte daran. Er verstand nicht warum dieses arme Tier hatte sterben müssen. Niemand hatte es getötet und doch war es tot. Nein, der Baum hatte es getötet. Unsicher blickte sich der kleine Wolf um. Bäume konnten töten?

Seine Zurückhaltung hielt nicht lange an, viel zu lange hatte er nichts mehr gefressen. Es waren Tage gewesen, so viele Tage. Der Kadaver roch frisch, kein Käfer hatte es berührt und auch die Zeit hatte ihre Finger noch nicht nach ihm ausgestreckt. Er biss in das Bauchfleisch und zog und riss heftig daran. Am Anfang hatte er nur Fellbüschel im Mund später kleine Stückchen die er hastig hinunterschlang.

Die Waldohreule beäugte ihn bei seiner Mahlzeit, dann hüpfte sie vom Stamm herunter und wies dem Jungwolf mit ihrem Flügel zur Seite zu gehen. Nur trotzig gehorchte dieser, denn sein Hunger hatte die Oberhand gewonnen. Der Raubvogel hieb mit seinem scharfen Schnabel und mit den noch schärferen Krallen nach dem Bauch des Rehs bis eine klaffende Wunde den Weg zu dem saftigen Fleisch freigab.

Der kleine Wolf drängte sich an der Eule vorbei, die sogleich wieder auf ihren Hochsitz sprang, und begann hastig zu fressen soviel er nur konnte. Schnell füllte sich sein Magen an wie eine pralle Kugel und eine Wärme durchflutete ihn, die die bösen Gedanken an das Labor vertrieb. Und endlich verschwand auch dieser furchtbare Schmerz.

- Schuldgefühle

Plötzlich stoppte sich der weiße Rüde woraufhin die Waldohreule annahm er wäre satt. Im Grunde sah sie ihre Arbeit getan und wollte sich einen Baum zum ausruhen suchen, bevor sie im Morgengrauen wieder auf die Jagd gehen würde, aber irgendetwas hielt sie davon zurück. Fragend besah sich die Eule den Jungwolf.

Er saß einfach nur da und starrte auf das Reh hinab, als täte es ihm leid von ihm gefressen zu haben und dann begann er leise zu winseln. Wieder hüpfte der Raubvogel zu ihm hinab und stoppte sein Jaulen indem er ihm fest in die Augen blickte, was den kleinen Wolf schlichtweg erschreckte.

"Was ist los mit dir? Wenn du es nicht frisst werden es andere tun." Der Weiße schüttelte beklommen den Kopf. Darum ging es doch überhaupt nicht.

"Ich habe einfach gefressen", wimmerte der Jungwolf. "Und Naumi hat immer noch großen Hunger, ich hätte ihr vorher etwas bringen müssen." Die Augen der Eule schienen für den Moment noch größer und runder zu werden. Sie hatte nicht erwartet, dass dieser Welpe noch eine Freundin bei sich hatte.

"Du kannst ihr jetzt immer noch etwas bringen. Jetzt nachdem du gefressen hast hast du wenigstens die Kraft das Fleisch zu tragen." Der Blick des Jungwolf erhellte sich schlagartig. Der Vogel hatte mit dem was er sagte recht, aber bestimmt würde die Graue dennoch böse auf ihn sein, weil er einfach weggelaufen war obwohl sie es ihm verboten hatte.

Aber vielleicht, dachte er sich, würde sich die Wölfin freuen wenn er besonders viel Beute mitbringen würde, genug damit sie bald wieder gesund war und mit ihm jagen gehen konnte. Nur wie sollte er soviel mitnehmen? Wieder begann er zu winseln.

"Was ist denn jetzt noch?" Fragte die Waldohreule und ihre Worte klangen zusehends genervter. Sie war sich nicht mehr so sicher ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, gegen ihren eigenen Insinkt vorzugehen.

- Bitte hilf mir

"Kannst du mir helfen das Fleisch zur Höhle zu tragen? Bitte", das letzte Wort hängte der kleine Wolf mit Nachdruck an, denn er erinnerte sich daran, das Ratte ihm gesagt hatte man solle nie darauf vergessen. Mit traurigen Augen starrte der Wolf die Eule an, welche damit begann unbehaglich von einen Fuß auf den anderen zu steigen.

Der Vogel plusterte entrüstet sein Gefieder auf und drehte den Kopf. Für meinen Moment wirkte er als wolle er einfach nur seine Ruhe haben und würde die Augen nicht wieder öffnen. Einsichtig legte der Jungwolf die Ohren an und begann damit seinerseits ein großes Stück aus der Beute zu reißen.

Hierführ schnappte er nach dem Lauf, denn das Fleisch darauf hatte er noch nicht angerührt und es wäre ein großer Happen. Die Eule beäugte ihn derweil aus einem halboffenen Augen. Dann aber wand sie sich ebenso dem Kadaver zu und löste ein Stück aus dem Bauch.

"Gut dann führ mich zu deiner Freundin", sagte sie dem Schicksal ergeben. Wie es schien war nichts mehr so wie es früher einmal gewesen war, wenn sich jetzt schon die verschiedenen Tierarten untereinander beistanden.

Der kleine Wolf jubilierte, dann zog er noch einmal mit aller Kraft an dem Lauf bis er sich endlich löste. Jedoch forderte dieser Kraftakt auch seinen Tribut denn der Jungwolf rutschte dabei aus und war nun voller Schlamm und Erde, aber das störte ihn nicht weiter.

Sofort machte er sich auf Richtung Höhle. Er brauchte ein bisschen um den Weg wieder zu finden. Aber als er an der Stelle war wo er die Eule getroffen hatte war ihm schon wieder klar, wo er sich befand. Der Raubvogel folgte ihm flügelschlagend, das Fleischstück in den scharfen Klauen.

- Wiedersehensfreude

Es war schon vorhin relativ dunkel gewesen, nun aber war die Nacht so düster wie sie nur sein konnte. Zumindest hatten sich Sturm und Regen nicht wieder blicken lassen. Der Himmel war trotzdem voller Wolken, nicht einen Stern konnte man sehen. Als die Höhle in Sicht kam landete die Waldohreule oben im Geäst des Ahorns und blickte fragend in die Tiefe. Dieser Teil des Waldes war nicht ihr Jagdgebiet, aber sie kam trotzdem hin un wieder hier vorbei und an dieses Erdloch erinnerte sie sich nicht.

Prüfend blickte sie in die grünen Augen des kleinen Wolfes. Er hatte die Höhle gewiss nicht gegraben, aber wer dann? Als der Jungwolf den Blick der Eule erwiderte löste diese die Klauen von dem Fleischstück und es fiel zum Erdboden hinab, direkt vor den Eingang.

"Kleiner Wolf bist du das?" Es war die sanftraue Stimme der Wölfin die da zu ihnen hervordrang.

Die Waldohreule plusterte sich auf, während der Weiße die Beute zur Seite legte und ihr zurief. Dann nahm er das kleiner Fleischstück, das die Eule getragen hatte in den Fang und schlüpfte hastig in den hinein. Naumi lag im Schlafraum wie eh und je, aber über den Boden des Ganges zogen sich einzelne Moosbällchen, was darauf hinwies, dass sie auch am Eingang gewesen war.

"Ich habe mir furchtbare Sorgen gemacht", sagte sie als der kleine Wolf zu ihr in den engen Raum geschlüpft war. Ihre raue Zunge leckte ihm überschwänglich über die Stirn, sowie über die offene Stelle an seinem Kopf. Sie ist gar nicht wütend bemerkte der Jungwolf und wedelte dabei hastig mit dem Schweif.

"Ich habe dir was zum fressen gebracht", jubelte er und schob das Fleischstück vor ihre Schnauze. Es war zu Dunkel in der Höhle um etwas zu sehen, aber das behinderte die Wölfin nicht. Sie roch sofort, dass es sich um frisches Rehfleisch handelte.

"Wie hast du es denn geschafft so ein großes Tier zu erlegen?" Der kleine Wolf nahm sich nicht sofort Zeit zum Antworten. Er drängte sich an den Hals der Grauen und leckte ihr freudig durchs Fell. So fest drückte er seine Schnauze in den dichten Pelz, das er nur noch sie roch und alles andere unwichtig wurde. Endlich war er nicht mehr allein, endlich brauchte er keine Angst mehr zu haben. Seine Rute schlug so wild umher, dass sie auf der Höhlenwand trommelte.

- Das hätte ich nicht erwartet

Die Wölfin lächelte sanft und beließ es dabei, ihr Hunger war auch viel zu stark um noch länger zu warten. Hastig wie es Wölfe nun einmal taten schlang sie das Fleischstück hinunter. Es war ein relativ großes Stück und sie fühlte wie gut es ihr tat.

Naumi kaute noch am letzten Bissen herum, als am Höhleneingang ein Rascheln zu hören war. Die Ohren der Grauen zuckten aufgeregt, der kleine Wolf aber kuschelte sich rundum zufrieden an ihren Bauch.

"Ich hätte erwartet du und deine Freundin würden auch einmal nach draußen kommen", erklang eine raue Stimme und die blauen Augen blickten auf den Eingang in den Schlafraum obgleich sie nichts sehen konnten. Da erschien ein oranger Schimmer. Der Vogel hatte sich ganz entgegen seiner Natur in die Erdhöhle hinein begeben, er wusste selbst nicht was ihn dazu getrieben hatte.

"Du bist...?" Fragte die sanft-raue Stimme und die Eule erwiderte: "Eine Waldohreule und du eine ausgewachsene Wölfin." Wieder plusterte sie das Gefieder. Keines der beiden Tiere hatte erwartet dem anderen hier zu begegnen.

- Ein Gespräch

"Er hat mir geholfen das Fleisch zu finden und es herzubringen", jubelte der kleine Wolf und hüpfte durch den engen Raum was aber nicht wirklich funktionierte. Naumi blickte mit einem seltsamen Gefühl im Bauch in die orangen Augen und die Eule sah sie wohl mit einem ähnlichen Gefühl an, anders als die Wölfe konnte sie ja auch hier noch recht gut sehen. Als uns damals die Katze geholfen hat, hat mich das schon beeindruckt, aber immerhin war sie ein Säugetier, ging es der Grauen durch den Kopf.

"Danke", formte sie ihre Gedanken in Worte. Sie fand keinen Grund weshalb ein Eulerich ihnen helfen sollte und war umso dankbarer, das er es getan hatte. Der Vogel drehte verwirrt den Kopf und wusste nicht recht was er antworten sollte, schließlich konnte er sein Verhalten selbst nicht erklären. Wieder begann er damit einzelne Federn durch seinen Schnabel zu ziehen um sie zu säubern, scheinbar half ihm das dabei einen klaren Kopf zu bekommen.

"Dein Welpe kommt aus demselben Labor in das sie meine Gattin gebracht haben und er hatte obendrein Mitleid mit ihr", erklärte die Waldohreule dann, wusste aber schon nicht mehr weiter.

"Oh das tut mir Leid", antwortete Naumi. "Dann wirst du dir wohl eine neue Gefährtin suchen müssen."

"Das sollte ich", antwortete der Raubvogel. "Im Frühjahr hört man immer die Rufe anderer Eulenmännchen drüben im Wald hinter den Feldern. In diesem Teil des Waldes waren meine Gattin und ich aber immer die einzigen Eulen", sie verfiel einen Augenblick in Gedanken und trauerte den alten Tagen nach in denen sie beide Jungtiere aufgezogen hatten.

"Dann gebe es also keine Eulen mehr hier, wen du dich dazu entschließen würdest hinüber zu fliegen", erkannte die Wölfin und irgendwie schmerzte ihr diese Tatsache. Immer mehr Tierarten verschwanden, obgleich die Menschen seid einigen Jahren die Wälder selbst nicht mehr anrührten. Die Labors, sowie die Krankheiten und die alten Fallen die man vergesse hatten taten ihr übriges.

"Und eben dieser Gedanke liegt mir zu fern... noch bin ich nicht bereit dazu meine Heimat zu verlassen." Die Waldohreule und Naumi schwiegen. Der Raubvogel rührte sich nicht, wie es seine Rasse zu tun pflegte, war er wie zur Statue erstarrt, der kleine Wolf hingegen war, an den Bauch der Grauen geschmiegt, eingeschlafen.

- andere Wölfe

"Ihr könnt euch glücklich schätzen", sagte die Eule irgendwann während sie den Jungwolf bei seinem ruhigen Schlaf beobachtete. Die Wölfin blickte auf und sah fragend in den orangen Schimmer. "Ihr seid nicht die letzten in diesem Waldgebiet", ergänzte der Raubvogel und begann abermals sein Gefieder zu putzen.

Irgendwie fühlte er sich hier unter der Erde als wären seine Federn mit einer Staubschicht bedeckt. Naumi versuchte geduldig zu bleiben und zu warten bis ihr Gast fertig war, aber sie hielt es schon nach einigen Minuten nicht länger aus.

"Du hast andere gesehen?" Die sanft-raue Stimme klang erregt. Wenn es tatsächlich so war, dann könnte das eine ernsthafte Bedrohung für sie darstellen. Die Waldohreule plusterte ihr Gefieder und die großen Büschel über ihren Augen bewegten sich, natürlich sah dies niemand in der Dunkelheit. "Sag es mir bitte", sagte die Wölfin mit Nachdruck. Sie wusste das ihr altes Rudel auch manchmal in diesen Wald kam um zu jagen, aber gewöhnlich drangen sie bei weitem nicht so weit vor als das die Eule sie hätte sehen können.

"Vor einigen Tagen sah ich einen Wolf durch den Wald streifen er suchte offenbar nach etwas", erklärte der Raubvogel aber seine Stimme klang halb erbost, denn ihm gefiel ihre Tonlage nicht.

"Wie sah er aus? War es ein Rüde?"

"War es", antwortete die Waldohreule die ihren Blick zu dem kleinen Wolf wandern ließ der sich regte weil die Wölfin so hastig gesprochen hatte. "In der Dämmerung sieht man Farben nicht so gut." Erst der durchdringende Ausdruck in den blauen Augen brachte den Raubvogel dazu genauer zu werden. "Er war nicht sehr besonders, sein Fell war wie der Boden, braun, grau, weiß. Seine Augen hatten die Farbe von Harz."

"Wie alt war er?", fragte Naumi aber dies war eine Frage zuviel. Die Eule breitete in dem engen Gang ihre Flügel aus und schlug damit so weit es ging. Sie drohte.

"Woher soll ich das wissen Wölfin? Ich bin keiner von euch, für mich seht ihr alle gleich aus." Noch eine Weile plusterte der Raubvogel die Federn auf, damit er größer aussah, dann legte er sie an und wand sich zum Gehen. "Es ist spät ich muss mir jetzt einen Schlafplatz suchen."

Die Gestalt der Eule verschwand begleite von einem Rascheln. Die Fähe war beunruhigt sie atmete schwer und blickte mit geweiteten Augen in die Dunkelheit. Wenn es nun tatsächlich ein Wolf aus ihrem Rudel war und wenn er nach ihnen suchte? Aber die Beschreibung konnte auf jeden passen.

Der kleine Wolf regte sich und öffnete eines seiner Augen. Es gelang ihm nicht zu schlafen solange Naumi sich bewegte. Hastig leckte ihm die Wölfin über die Stirn und bettete dann ihren Kopf auf ihre Pfoten. Nur wiederwillig schloss sie die Augen.

Eine Entscheidung erfordert viel Kraft

- Die Krankheit

Der feine Geruch von Rehfleisch lag in der Luft, als sie beide am nächsten Tag erwachten. Mit Ausnahme der Singvögel war es ruhig und allgemein lud die Atmosphäre zum Wolfühlen ein, wäre da nicht das Gepräch von letzter Nacht gewesen, welches Naumi nachwievor beunruhigte.

Sie hob die feine Nase und schnüffelte, aber was sollte sie im Schlafraum schon riechen, außer Erde, Wurzeln, das Fleisch, den kleinen Wolf und sich selbst? Ihr war danach sich zu erheben, aber sie ließ es sein da sie fürchtete dies würde dem Heilungsprozess nicht sonderlich zugute kommen. Sanft rieb sie ihre Schnauze am Nacken des kleinen Wolfes um ihn aufzuwecken. Sie fühlte eine angenehme Wärme von dem Weißen aufsteigen, dachte sich aber nichts dabei.

Als sich die leuchtend grünen Augen öffneten blickte sie der kleine Wolf verschlafen an. Die schöne Farbe war von einem weißlichen Schleier bedeckt, seine Nase tropfte und sein Gesichtsausdruck zeigte ihr, dass er sich gar nicht gut fühlte.

"Oh nein! Jetzt bist du wirklich krank geworden, weil du den ganzen Nachmittag bei Sturm und Wetter draußen rumgestreunt bist." Naumis Worte klangen nicht zorning in den Ohren des Jungwolfs obwohl er erwartet hätte sie würde ihn endlich dafür schimpfen, dass er ihre Regel missachtet hatte.

"Ich dachte du verhungerst wenn ich nichts fange", flüsterte er mit leiser, heiserer Stimme. Ich musste das doch tun, ging es ihm durch den Kopf. Und während die Wölfin ihm über die wässrigen Augen leckte wurde ihm wieder bewusst, wie wenig sie gegessen hatte und, dass draußen noch das Bein des Rehs lag. Der kleine Wolf stemmte sich vom Boden ab und wollte zum Höhleneingang laufen, aber Naumi hielt ihn fest und drückte ihn zurück ins warme Moos.

"Lass das kleiner Wolf. Heute bleibst du einmal hier liegen und ich hole die Beute für uns", der Nachdruck war deutlich in der sanft-rauen Stimme zu hören gewesen und hätte der Jungwolf aufgesehen, so hätte er bemerkt das sie ihre Zähne zeigte. Ja das war eindeutig der Befehl eines Ranghöheren. Der Weiße sank in sich zusammen und blieb traurig liegen. Sie hatte doch Schmerzen, sie durfte nicht aufstehen, aber er fühlte sich aufeinmal so schlaff und müde, so als ob er ganz weit gelaufen wäre.

Naumi leckte dem kleinen Wolf über die offene Stelle auf seinem Kopf um ihn zu beruhigen, aber sein Zustand änderte sich durch diese Geste kein bisschen. Sie überlegte kurz ob sie ihn nocheinmal fragen sollte ob er nun auch brav ihre Regeln beachten würde, aber sie ließ es bleiben, gewiss würde er das um ihr damit einen Gefallen zu tun.

Sie stemmte sich mit ihren drei Beinen schwerfällig auf und versuchte für eine Sekunde ihren verletzten Lauf zu belasten. Es tat höllisch weh, ihr Gesichtsausdruck verzerrte sich und ein leises Winseln entglitt ihren Lefzen - der kleine Wolf aber rührte sich nicht, so sehr war er in Gedanken versunken.

- Buntes Treiben

Ganz langsam schob sich die Wölfin aus der Schlafkammer in den Gang. Immer wieder kam sie mit der Schulter an den Wänden an und dann durchzuckten sie kalte Schauer, aber sie konnte einen Wehruf unterdrücken. Sowie es auch gestern der Fall war, zog sie wieder eine kleine Schar an Moosbällchen hinter sich her. Du schaffst das, sprach sie sich selbst gut zu und tatsächlich gelang es ihr ohne größere Schwierigkeiten den Höhleneingang zu erreichen.

Als sie den Rehschenkel so in der Mittagssonne liegen sah, wurde ihr wieder bewusst wie groß sich die Leere in ihrem Magen nachwievor anfühlte. Die Böschung, die aus dem Erdloch führte, war nicht sehr hoch, aber Naumi wollte es dennoch nicht riskieren sich dabei zu verletzen. Der Hals der Wölfin schien immer länger zu werden als sie sich streckte um sich schließlich die Beute zu schnappen.

Misstrauisch blickten die blauen Augen hin und her. Sie hatten schon viel zu lange keinen Blick mehr über dieses Gebiet werfen können, schließlich war ihr der Regen in die Quere gekommen. Kalter Wind strich ihr ins Fell und wehte ihr eines der Ahornblätter auf die Nase.

"Für mich wird es allmählich Zeit schlafen zu gehen", sprach die dunkle Stimme des Baumes zu ihr woraufhin sie zu seinem Zweigen hochblickte. Goldgelb war er geworden und nicht nur er. Im Umfeld gab es hier und da sanfte rote, braune und gelbe Farbkleckse. Geduckt, den Fuß angewinkelt, die Beute in der Schnauze stand sie da, zwischen den Wurzeln des Ahorns und blickte wie versteinert in den Herbstwald hinaus.

Naumi mochte diese Jahreszeit nicht, aber es gab noch eine die sie weniger mochte, das war der Winter. Die Wölfin hatte sich nie wirklich erklären können warum das so war, aber jetzt durchflutete es sie wie das Wasser die Wurzeln der Bäume. Es tat ihr weh mitanzusehen wie die Pflanzen in diesen tiefen trostlosen Schlummer fielen. Ja, wie es ihr hölzerner Partner gesagt hatte war es nur ein langer Schlaf und es gab immer noch ein Erwachen. Aber würden sie alle wieder darauß erwachen?

Die Graue konnte den Schmerz in ihrer Brust spüren der ihr sagte, dass es nicht so war. Und egal wie gut der Ahorn ihr zureden mochte, egal wie oft man ihr ins Gedächtnis rief, das dies nunmal der Lauf der Natur war, sie hasste in diesem Moment den Boten des Winters noch viel mehr als sie es je zuvor getan hatte.

- Du bist stark kleiner Wolf

Ein Rütteln ging durch die Fähe und sie fühlte sich als ob ihr gleich alle Haare ausfallen würden, so wie es den Bäumen mit ihren Blättern erging. Ohne weiter in Gedanken zu leben drehte sie sich um und verschwand wieder im Höhlengang, wo sie dem beißenden Wind entging. Im Schlafraum durfte sie dann endlich wieder die angenehme Wärme entgegennehmen, die sie die letzten paar Tage gespürt hatte.

Sie legte die Beute zur Seite und fuhr ein paar mal mit ihrer rauen Zunge durch das weiße Fell des kleinen Wolfes. Dieser stöhnte müde und drehte sich in ihre Richtung, denn er konnte ihren Geruch nicht aufnehmen und wollte sie wenigstens sehen, damit er sich nicht mehr so alleine fühlte. Die Wölfin ließ sich erschöpft nieder und leckte sich ihre Wunde, den Blick des Rüden ignorierte sie solange, bis sie seine Worte vernahm.

"Werde ich jetzt sterben?", fragte der kleine Wolf heiser. Naumi blickte ihn überrascht an.

"Nein. Wie kommst du darauf, wenn ich sogar diese Wunden hier überstanden habe?"

"Ich bin nicht so stark wie du", nuschelte der Jungwolf daraufhin und vergrub seine Nase im weichen Moos. Als er die Augen schloss lehnte sich die Graue vor und kniff ihn in einers seiner großen Ohren.

"Aber das stimmt doch gar nicht! Du bist bis hier in den Wald geflohen, wer sonst aus "Black Hill" könnte das von sich behaupten?" Naumis Worte klangen laut in den Ohren des Jungwolfs, seine Augen blickten sie an als sähe er sie gar nicht richtig. Es entging der Fähe nicht, das er immer noch nicht recht an ihre Worte glaubte. "Du hast mir das Leben gerettet kleiner Wolf. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft", sie hatte ihre Stimme nun gesenkt, auf ihren Lefzen zeichnete sich ein dankbares Lächeln ab.

"Du bist stark kleiner Wolf", sagte die sanftraue Stimme. Noch ruhten ihre tiefblauen Augen auf ihm und sie strahlte ihn mit ihrem Lächeln all ihre Dankbarkeit und Freude entgegen, dann zog sie das Bein des Rehs an sich heran und riss ein großes Stück heraus, das sie dem Jungwolf vor die Schnauze legte. "Und nun iss, damit du noch viel stärker wirst!"

Sachte pendelte die Rute des kleinen Wolfes und ein milder Ausdruck hatte sich auf seinen Zügen gebildet.

- Letzte Herbsttage

Das Fallen der Blätter war also hereingebrochen. Und wie jedes Jahr ging es nach diesem Start ganz flott. Bald war das wunderbare Grün, dass die Landschaft zuvor erfüllt hatte verschwunden und man fand die Farbe nur noch wenn man in die Augen des kleinen Wolfes blickte. Aber auch diese waren nachwievor trüb und blass, denn noch hatte er sich nicht erholt. Die Tage waren ruhig und friedlich aber in der grauen Wölfin brach sich die Brandung eines aufgeschäumten Sturmgepeitschten Meeres.

Sie war nervös und traurig, fühlte sich Elend und von der Welt verstoßen. Ihre Gedanken hingen weit weg von der Erdhöhle und ihrem kleinen Schützling. Naumi dachte an die Hinomekanshu die sie aufgenommen und versorgt hatten. Sie waren so führsorglich und freundlich zu ihr gewesen obwohl sie nichts weiter als eine Fremde für sie sein musste und nun hatte sie sie verraten. Gewiss würde sie nicht zurückkehren können.

Die Wölfin seufzte, ihr Kopf ruhte auf ihren Pfoten und ihr Blick ging ins Leere. Sie lag draußen vor der Höhle und starrte vor sich hin, doch der Anblick der Bäume stimmte sie nur noch trauriger. Hoch droben im Ahorn pfiff die Amsel, aber Naumi bemerkte ihre Anwesenheit gar nicht, erst als sie vor ihr landete sah sie den schwarzen Vogel. Schweigend trafen sich der blaue Blick der Wölfin und der Blick der Amsel.

Da begann das Tier zu pfeifen und zu singen, wie es das immer tat, aber der Liedtext war ein anderer als sonst. "Aufbruch, Aufbruch", rief sie und dann sang sie ein Lied vom Haus des Bauern und von Futterhäuschen voller Sonnenblumenkerne und Schmalz. Die Fähe stellte die Ohren betrübt zurück und der Vogel breitete seine Schwingen aus und flog mit schnellen Flügelschlägen davon. Diesmal würde er nicht am Abend wiederkehren und sich in seinem Baum schlafenlegen.

Weg ist sie, dachte Naumi. Und sie stellte sich vor wie die Amsel zu den Futterplätzen zu fliegen, die die Menschen ihnen im Winter zur Verfügung stellten. Sie stellte sich vor dort auf all die anderen Amseln, Meisen, Spechte und Eichhörnchen zu treffen, sich mit ihnen über den Sommer zu unterhalten und ihre Kinder kennen zu lernen. Ein Winter voll Nahrung und Betriebsamkeit, aus dem man im Frühjahr vielleicht mit einem Partner zurückkehren würde.

- Hinter einer Wand aus Eis

Schritte hingen in der Luft, sie schienen auf einem dünnen Wolkenfilm Millimeter über dem Erdboden zu schweben, sodass sie niemand hören konnte. Die Gestalt war groß, sie hatte keine feste From, war nur eine wabernde, flackender Masse. Ein Zucken ging durch den Leib der Grauen bevor sie erwachte. Sie starrte gebannt auf die Höhlendecke, ihre Ohren waren gespitzt.

"Ein Traum?", fragte sie sich, bevor sie auf den kleinen Wolf hinabblickte der an ihrer Seite schlief. Irgendetwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass sie sich nicht gettäuscht hatte. Aber was wenn sie sich doch irrte? Es war so still, als ob alles um sie herum gestorben wäre. Sie legte ihren Kopf auf den Rücken des Weißen und versuchte weiter zu schlafen, aber es ging nicht. Das Gefühl ließ sie einfach nicht los. Es war so penetrant und gegenwärtig, als ob es ihr ihre Kraft entziehen würde. Schutzsuchend griff Naumi nach ihrem Element, aber es hatte sich eine große Wand aus Eis um ihre Kraft gelegt. Erneut zuckte die Wölfin zusammen und riss den Kopf hoch, dieses Mal so heftig, dass der kleine Wolf ebenso aufschreckte. Verwirrt blickte er sie an.

"Ist... etwas passiert?", fragte er sie zögernd, denn die Angst die in ihrem Blick stand griff mit langen dünnen Fingern nach ihm. Die Wölfin kniff die Augen zusammen und versuchte sich zu beruhigen. Es musste einen natürlichen Grund dafür geben, dass sie ihr Element nicht aufrufen konnte, schließlich hatte sie es doch erst vor kurzem das erste Mal bewusst geschafft. Gewiss war sie einfach noch nicht bereit dazu.

"Nein, es ist alles in Ordnung", sagte die sanft-raue Stimme, doch sie schien sich damit kaum selbst überzeugen zu können. "Ich gehe kurz nach draußen und schaue mich um, du bleibst hier." Naumi leckte dem kleinen Wolf ein paar mal über die Stirn, dann blickte sie ihm fest in die Augen. "Falls ich deinen Namen rufe benutz den Fluchtausgang", flüsterte sie und hoffte gleichzeitig, dass sie draußen nichts vorfinden würde.

- Ein Wiedersehen und gemischte Gefühle

Naumi schob sich aus dem Höhleneingang. Es gelang ihr zum erstenmal ihren verwundeten Lauf gänzlich zu missachten. Als sie ihren Kopf aus der Öffnung schob blinzelte sie, denn die Sonne war greller als sonst. Schnee. Die blauen Augen konnten es kaum fassen, eine dünne Schneeschicht bedeckte den gesamten Waldboden. Gebannt starrte die Wölfin das weiße Puder an, dass sie so sehr blendete. Im ersten Moment waren ihre Gedanken wie leergefegt, dann aber machte sich wieder die Unruhe in ihr breit.

Was wenn sie doch etwas gehört hatte? Schließlich dämpfte der Schnee die Geräusche. Naumi trat hinaus in die Kälte und humpelte einige Schritte nach vor. Ihr Blick glitt hoch in die Baumkronen, dann zu ihrer Linken und ....

Ein Wolf stand hinter ihr, ein Rüde. Seine Stirn war von einem dunklen Grau, seine Wangen von reinem Weiß, um seine Augen und Ohren und auf dem Rücken seiner Nase spielten sich die Brauntöne. Er war größer als sie und seine Seelenspiegel waren wie Harz - das Blut der Bäume. Das schwarze "V" das sich über seine Schultern auf seine Brust herab zog und das sanfte Lächeln erinnerten Naumi an alte Tage.

"Koda", sagte sie heißer und ihre Rute begann freudig zu pendeln. Doch schon eine Sekunde später trat sie einen Schritt zurück und sträubte ihr Rückenfell. Ein Teil in ihrem Inneren wollte ihn freudig begrüßen, ihm die Nase ins Fell stecken und ihm das Nackenhaar zausen, ein anderer Teil von ihr wollte rufen "verschwinde!" und ihn fernhalten von sich und ihrem Schützling. Hin und hergesissen stand sie da und wusste nicht was sie tun sollte und was tat der Rüde? Er rührte sich nicht und sah sie traurig an.

"Naumi ich...", der Rüde mit Namen Koda trat einen Schritt auf die Wölfin zu, doch diese hob ihren Fang in die Luft und schnappte nach ihm.

"Komm keinen Schritt näher!" Es tat ihr weh ihn anzuschreien, es tat ihr weh ihn zu sehen und ihn auf Abstand halten zu müssen. Warum musste es er sein? Warum konnte diese dumme Eule nicht irgend einen anderen Wolf gesehen haben?

"Naumi bitte du musst mich begleiten!" Koda machte einen weiteren Schritt auf die jüngere zu, doch diese rupfte ihm das Fell von der Schulter, woraufhin er zurücktaumelte und sie verdutzt anstarrte. Auch ihm tat es weh sie so zu sehen. Sie knurrte und schäumte vor Verzweiflung und sie weinte, natürlich nicht wörtlich aber er wusste, dass es so war.

"Bitte hör mir zu, Fedon ist wütend, aber keine Sorge er will, dass wir den Blutbringer lebend zu ihm bringen." Naumis Augen weiteten sich und zogen sich dann wieder wütend zusammen. Früher war es für sie ein gebräuchlicher Begriff gewesen, dieses Wort - Blutbringer, nun aber hasste sie es und sie wollte nicht das jemand es ausspach und mit dem kleinen Wolf in Verbindung brachte. Es stimmte nicht, es war eine Lüge, er war kein Blutbringer, er würde niemals Wölfe töten, nicht wenn er bei ihr blieb, nein, sie hatte ihn verändert!

- Eine Reaktion, so unerwartet wie keine andere

Warum nur Koda, warum? Diese Frage bohrte sich tief in ihre Gedanken. Er stand so ruhig da, mit diesem traurigen Blick, nichts an ihm sprach von Dominanz, nichts von Angriff. Als er ihr näher kam, knurrte sie lauter, aber sie wich nicht mehr zurück, dieses freundschaftliche Gefühl in ihrem Inneren ließ sie nicht. Der Rüde trat an ihre Seite und streckte seinen Fang nach ihrem verwundeten Bein aus. Naumi zuckte zusammen.

Sie fuhr mit einem Ruck, der ihr Schmerzen bereitete herum und schlug ihre Zähne in seine Schulter. Der metallische Geschmack von Blut streifte ihre Zunge. Die Graue merkte, dass sie auf dem Boden lag und ihre Vorderläufe auf Kodas Rücken ruhten. Ihre Gedanken standen still, sie hatte sich verbissen und sie würde nicht loslassen egal was geschah.

Ein kaltes Blatt streichelte ihren wunden Lauf. Es brannte ein bisschen doch es tat ungemein gut. Naumi brauchte eine Weile um zu begreifen das Koda ihre Wunde leckte. Wieder durchströmte sie dieses eine Wort "warum". Warum tust du das Koda, warum tust du mir das an? Die Blauäugige wollte weinen, sie wollte schreien und sich einfach gehen lassen. Sie wollte keine Verantwortung übernehmen, nicht länger, sie wollte einfach mal wieder das Gefühl haben eine starke Kraft hinter sich zu wissen die sie beschützte, doch alle Kräfte waren gegangen. Ihre Eltern hatten sie verlassen, ihre Kräfte hatten sie verlassen und sie, sie hatte ihr Rudel verlassen.

"Hör mir zu Naumi. Hör mir einfach zu. Fedon hat mich auf diese Mission geschickt weil ich dir Nahe stehe das stimmt. Er will, dass ich dich überrede mit zu kommen... aber er unterschätzt meine Loyalität dir gegenüber." Koda brach ab. Er hatte sich tagelang darauf vorbereiten müssen was er tun würde wenn er Naumi tatsächlich gefunden hatte, aber jetzt wo es soweit war wusste er nicht welchen Weg er einschlagen sollte.

Er hatte vorgehabt gegen seinen Alpha vorzugehen und ihnen beiden zur Flucht zu verhelfen. Nun aber schien ihm diese Entscheidung falsch... er wollte nicht das sie ging und alles nur wegen einem Ding das die Menschen geschaffen haben.

"Ich will... bitte komm mit mir Naumi... komm mit und lass... lass ihn hier." Koda spürte wie der Druck auf seine Schulter stärker wurde. Sie war ein Mitglied seiner Familie er kannte sie seit er sie damals im Welpenalter gefunden hatte. Immerzu hatte er im Sinne des Rudels gehandelt und jetzt machte er alles falsch. Der Rüde legte den Kopf flach auf dem Boden, ihm war nach Schluchzen zumute aber er war ganz still.

- Bitte geh!

"Ich dachte es wäre gut wenn ich dich vor Vadin und Devaki finde... du und Vadin ihr könnt euch ja nicht riechen", Koda rang sich ein leises Lachen ab. "Nun aber merke ich, dass ich alles falsch mache." Als der Rüde den Kopf wieder hob erblickte er etwas weißes in der Höhlenöffnung. Der kleine Wolf fiebte laut als er entdeckt wurde und Naumi lockerte augenblicklich ihren Fang und wand sich herum. Wieder durchzuckte der Schmerz ihren Lauf.

Die Wölfin baute sich vor dem Weißen auf und knurrte in Kodas Richtung, doch dieser lag immer noch auf dem Boden. Seine Augen hatten sich beim Anblick des kleinen Wolfes geweitet und endlich durchzuckte Mitleid seine Züge. Er sah all die Narben und die Rippen die sich hinter dem Pelz abzeichneten. Im Grunde waren sie beide in einem gleichsam schlechten Zustand, Naumi und dieser Jungwolf. Koda erhob sich, machte aber keinen weiteren Schritt auf die beiden zu, sondern blickte sie einfach nur an.

"Danke das du mir helfen willst Koda, aber es ist besser du gehst jetzt, geh und berichte Vadin, dass in diesem Berreich des Waldes niemand ist." Endlich hatte es die Graue geschafft ihr Wort an den Rüden zu richten, endlich hatte sie sich durchringen können die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Vor Wochen hatte sie noch daran geglaubt, den kleinen Wolf eines Tages mit den Hinomekanshu bekannt machen und glücklich mit allen leben zu können, nun war diese Idee verfolgen. Ja jegliche Hoffnung an diesen Wunsch war nun ausgelöscht worden.

"Und wenn er mir keinen Glauben schenkt?" Der Rüde war mindestens ebenso besorgt wie Naumi. Sie wirkte so schwach und ihre Wunde sah gar nicht gut aus, in ihrem Lager konnte sie behandelt werden, aber hier draußen? "Sieh dich doch um, der erste Schnee ist gefallen, Vadin und die anderen werden bestimmt den ganzen Wald absuchen, dass heißt du musst ihn sofort verlassen... und mit ihm die wärmende Höhle."

Koda fragte sich ob er gerade egoistisch handelte, weil er sie nicht gehen lassen wollte, oder ob man sein Handeln der Vernunft und der Logik zuschreiben konnte. Ganz sicher war er sich nicht, aber als sich das Bild von Naumis bewegungslosen Leib im Schnee manifestierte, drehte sich ihm der Magen um.

"Und was ist mit ihm?!" Die Graue stellte sich über den kleinen Wolf und stubste ihn führsorglich an, nicht zuletzt um zu testen wie es ihm ging. "Sie werden ihn töten wenn ich mitkomme!" Koda senkte den Kopf und ging langsam auf Naumi zu. Die Wölfin begann leise zu knurren, aber sie hinderte ihn nicht daran sich den kleinen Wolf aus der Nähe anzusehen. Böse Erinnerungen und Schmerz durchfluteten den mehrfarbigen Rüden, als er sich den Jungwolf ansah, der seinen Blick zitternd erwiderte.

- So viele Worte

Wie oft hatte er schon Wölfe in einem ähnlichen Zustand gesehen und dieser hier war so jung. Und seine Augen! Koda war als blickten ihm diese Augen in die Seele, aber es war ihm keineswegs unangenehm, auch wenn es ihn an all die Welpenaugen erinnerte die ihn je so angesehen hatten - hilfesuchend. Egal ob dieser Jungwolf von den Menschen geschaffen worden war oder nicht, er war ein Lebewesen... und außerdem hatte dieser Wolf in seinem Alter schon viel mehr mitmachen müssen, als er selbst. Er verdiente es, dass man ihm hilft, gerade er.

"Wir können nicht zulassen, dass sie ihn töten Koda, er kann doch nichts dafür, wer er ist. Sieh ihn dir an, er ist ein Wolf wie wir... und selbst wenn er keiner wäre er..." Der Rüde unterbrach Naumi in dem er den Blick hob und sie direkt ansah, im Grunde wollte er nur dem Anblick des Jungwolfes entgehen.

"Nein... nein du irrst dich, du musst dich irren. Er ist nicht der erste Welpe aus dem Labor den wir getötet haben... das was die Menschen dort bauen sind keine Wölfe, sie haben keine Gefühle keine Gedanken..." Koda schüttelte den Kopf und versuchte sich diese Worte selbst einzureden.

"Was redest du da! Denkst du das wirklich?" Naumi trat nun selbst einen Schritt auf den anderen zu und fuhr ihn an. Angst und Verzweilung nagte an ihr, außerdem schmerzte ihr Bein fürchterlich und in ihrem Kopf kam so viel zusammen, dass ihr schwindlig wurde und sie glaubte bald in Ohnmacht fallen zu müssen. Heiser und flüsternd war ihre Stimme als sie wieder sprach. "Du kennst ihn nicht... du verstehst es nicht... lass uns doch einfach allein."

Koda brachte kein weiteres Wort mehr heraus. Er starrte einfach nur Schweigend in die blauen Augen und glaubte bald drei Herzen rasen zu hören. Es war unfair ihm so eine wichtige Entscheidung zu überlassen! Wie sollte er sie gehen lassen und wie sie zwingen mit ihm zu kommen wenn sie das nicht wollte? Gewiss kamen Vadin und Devaki immer näher.

"Mir ist so kalt und ich habe Angst können wir nicht wieder in die Höhle gehn?" Flehend presste sich der Jungwolf an Naumis Seite und blickte zu ihr auf. Seine Augen waren nun schon seid Tagen trüb und ihm war ständig heiß und kalt, außerdem tat ihm seine Schnauze weh und seltsamer Schleim tropfte aus seiner Nase.

Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste. Das weiße Zeug am Boden verängstigte ihn und der Anblick des Fremden und das Blut, das seine Schulter färbte machten ihm gleichzeitig Angst und traurig. Er verstand nicht warum Naumi jemanden wehtat der sie zu kennen schien und so freundlich lächelte. Außerdem hatte der Fremde nicht das geringste getan. Bisher hatten ihnen alle Tiere geholfen, auch wenn sie ganz anders ausgesehn hatten wie sie selbst und nun stand ein Wolf vor ihnen und sie kämpften. Naumi leckte dem kleinen Wolf beruhigend über die Schnauze, aber als sich Koda bewegte riss sie den Kopf sofort wieder hoch und knurrte.

- Bitte!

"Hör auf!" Verblüfft blickte die Wölfin den Jungwolf an. "Du machst mir Angst... und er tut uns doch nichts oder? Er hat die ganze Zeit nichts getan..." Der kleine Wolf begann zu Winseln, er schlich einige Schritte von der Grauen weg und starrte sie an. "Ich mag es nicht wenn andere sich wehtun...", gebannt blickte er auf den angewinkelten Lauf. Ich bin Schuld daran, dachte er, ich bin an allem Schuld.

Die Ohren Kodas legten sich kurz an, dann aber stellten sie sich wieder nach vorne und er senkte den Kopf und sah dem Weißen direkt in die Augen. Naumis Blick zeigte Verblüffung aber sie riss sich zusammen und knurrte nicht.

"Keine Sorge keiner von uns wird sich noch einmal wehtun ok?" Besorgt wand sich der Rüde an die Graue. "Ich weiß du willst das nicht hören aber ihr werdet hier draußen nicht überleben und genau das ist es was mir so große Angst macht. Deshalb, bitte komm mit mir mit." Koda wusste das Naumi protestieren wollte, deshalb schob er schnell seinen Kopf an ihrer Wange entlang und vergrub seine Nase in ihrem Nackenfell. Ihr Körpergeruch vermischt mit den Gedanken sie könnte davonlaufen und sterben machten ihn schier verrückt.

"Bitte Naumi wenn du es nicht für dich tust, dann tu es für den Kleinen. Er ist krank und ohne die Höhle wird es ihm bald noch schlechter gehen... Alani könnte euch beide schnell wieder Gesund machen."

- Eine Entscheidung

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus, das nur vom Winseln des Jungwolfes durchbrochen wurde. Koda hatte die Augen geschlossen. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er nicht vielmehr sagen konnte und, dass dieser Moment vielleicht der letzte war an dem er Naumi so nah sein konnte. Während sie so dastanden setzte der Schneefall wieder ein. Es war ein flaumiger leichter Schnee, der bald wieder schmelzen würde.

"Du hast ihn "Kleiner" genannt", begann Naumi plötzlich zu sprechen und ihre Stimme klang schwach und brüchig wie welkes Laub. Sie fühlte sich ausgelaugt und müde und gleichzeitig glaubte sie das eine Kraft von Koda ausging die durch die Berührung in ihren Körper floß.

"Ja", gab der Rüde zu. Er konnte nun nachvollziehen warum Naumi vorhin so wütend auf ihn gewesen war. Sie hatte keine gefühllose Marionette aus dem Labor entführt sondern einen lebenden, denkenden Welpen. Was wohl Fedon davan halten wird, ging es ihm durch den Kopf. "Begleitest du mich?" Koda ging einen Schritt zurück um ihr wieder in die Augen sehen zu können. In den blauen Seelenspiegeln sah er Unentschlossenheit.

"Ich...", die Fähe wand ihren Blick ab und legte die Ohren zurück. Sie hatte Angst, so große Angst und zwar nicht vor einer Bestrafung... wem hatte sie sich je so verbunden gefühlt wie diesem Welpen? Keinem. Sie war doch noch nicht einmal zwei Jahre alt und soviel war ihr verwehrt geblieben. Nie hatte sei gegen Fedon agiert außer dieses eine mal... nun okay das stimmte vielleicht nicht ganz.

Der kleine Wolf blickten mit seinen trüben Augen zwischen Naumi und Fedon hin und her. Er wollte brav sein und geduldig warten bis man ihn etwas fragte, aber dann fiel ihm auf das die Graue zitterte, da wollte er sich nicht länger zurückhalten.

"Wir kommen mit", sagte er plötzlich fest und überzeugt und zwei Augenpaare starrten ihn verblüfft an.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (16)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Fuega
2010-12-29T22:57:00+00:00 29.12.2010 23:57
Als gestandener Wolfs Rain Fan bin ich zufällig hier drauf gestoßen und habe mal das 1. Kapitel gelesen.
Der Leser wird relativ uneingeweiht mitten in die Handlung geschmissen, und die Atmossphäre wirkt. Es ist völlig unverklärt geschrieben, es gibt noch keinen Protagonisten, es wird erst einmal eine Art Gesamtüberblick gegeben - und hier gefällt mir die Atmossphäre sehr.
Es ist steril, düster, brutal, gerade passend zur Laboratmossphäre - sehr schön, ich werde mich mal an die nächsten Kapitel setzen :)
Von:  Enyxis
2010-09-11T09:17:59+00:00 11.09.2010 11:17
OMG...
DAS IS SO DERBEST DERBEST DERBEST GEIL!
XDD ohne scheiße einfach nur total mega geil XD
Bin ma gespannt wer die anderen aus dem Rudel alle sin un warum naumi weg is ^^
Von:  Enyxis
2010-04-22T17:21:27+00:00 22.04.2010 19:21
OOOAAAAAHHH
Ich find den kleinen Wolf soooooooooooooooooooo niedlich ey ^^ ich würd den so gern abknuddeln XD
Ich find es sooo schön wie der kleine Wolf die Welt entdeckt, wie du das beschreibst...
Hoffe ma die Naumi kommt schnell wieder auf die beine un ich hoffe dieser andere Wolf ist nich böse....immer hin sin ya nich alle gut :o
Von:  Enyxis
2010-04-13T18:02:35+00:00 13.04.2010 20:02
Also ich hab eben festgestellt wenn man Painwolf liest und neben bei dern Gladiator OST hört is das noch schöner =D
XDDD eigentlich kanns nich schön genug sein ^^
viel glück kleiner wolf =)
Von:  -Angi-chan-
2010-04-09T11:46:56+00:00 09.04.2010 13:46
Das stimmt, es ist echt toll geschrieben^^
Diese Erklärungen fand ich besonders gut, ich wäre nie auf die Idee gekommmen Schnee, Gras oder Hügel so zu beschreiben xD
Ja, die Ratte mag ich auch^^ schade nur, das sie schon so alt ist...
Von:  Enyxis
2010-04-08T14:00:08+00:00 08.04.2010 16:00
Nach 8 Kapis weiß ich net mehr was ich sagen soll OO
XDD Ach doch noch was:
Die pic die du gemalt hast sin total schön ^-^
Von:  Enyxis
2010-04-08T13:51:25+00:00 08.04.2010 15:51
Ich mag die katze....die ist stark! Einfach klasse! =D
Von:  Enyxis
2010-04-08T13:32:56+00:00 08.04.2010 15:32
*o* ich find das is so schön kindergerecht geschrieben (nicht negativ gemeint!!!) einfach nur herrlich.....diese ruhe...wie der kleine wolf die welt entdeckt....
Von:  Enyxis
2010-04-06T19:17:52+00:00 06.04.2010 21:17
XDDD puhh....*erleichert an wand runterrutschen lässt* un cih dacht schon er wär RICHTIG blind....der kleine wolf ^^
Na ik bin jez ma gespannt was noch so alles passieren wird =D
Von:  Enyxis
2010-04-06T19:07:34+00:00 06.04.2010 21:07
OO boa mann ey....
Ich würd ma sagen das hier is das neue Wolf´s Rain....


Zurück