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BlechHerz

von

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Es war zwar kühl im Treppenhaus, aber wenigstens nicht nass. Hana zog fröstelnd die kalten Hände in ihren Pulli, nur die Fingerspitzen schauten noch aus den Ärmelsäumen hervor. Ihr war unwohl zumute, als sie Joshua die hölzernen Stufen nach oben folgte. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht? Das ganze war völlig lächerlich. Sie nahm die Einladung dieses fremden Psychopathen an, nur weil er sie auf den Defekt ihrer Heizungen aufmerksam gemacht hatte. Total bescheuert. Sonst hatte sie die Kälte in ihrem Haus auch nie gestört, wozu gab es schließlich Decken?

Verunsichert und missgelaunt starrte sie seinen Rücken an. Sie hielt bewusst ein paar Stufen Abstand zu ihm. Sie war sich selbst nicht einmal sicher, warum. Vielleicht um den Abgrund zwischen ihnen aufrecht zu erhalten? Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie nur Joshua gegenüber diese Distanz bewahrte, oder ob sie schlichtweg jeden Menschen so behandeln würde. Sie wusste es nicht.

Der Junge schwieg, also blieb Hana auch stumm. Der gedämpfte Lärm eines Fernsehers drang von irgendwoher zu ihr herüber. Ansonsten war es still. Ach nein, da war ja auch noch das leise Ächzen der Treppe unter jedem von Joshuas Schritten. Verwundert heftete Hana ihren Blick an seine Füße. Ihre eigenen Schritte verursachten keinen einzigen Laut. Aber so viel schwerer konnte Joshua doch gar nicht sein, oder?

Der Junge blieb abrupt stehen und Hana, die noch immer auf seine Schuhe starrte, wäre fast gegen ihn geknallt, wenn sie sich nicht in letzter Sekunde an das Geländer gekrallt hätte.

„Pass doch auf.“ Eigentlich hatte sie ihn zurechtweisen wollen wie bisher, doch ihre Worte waren kaum mehr als ein Murmeln geworden. Irgendwie beschämte sie es, ihn weiterhin so anzugiften, während sie jetzt quasi sein Gast war. Außerdem war sie selbst es gewesen, die nicht richtig aufgepasst hatte. Seltsamerweise verbitterte sie diese Einsicht.

Joshua schloss still die Wohnungstür auf, zwei Mal drehte er den Schlüssel im Schloss.

„Ich bin wieder da.“, rief Joshua halblaut, nachdem Hana durch den schmalen Türspalt zu ihm in den Flur geschlüpft war. Sie rümpfte die Nase. Es roch nach Fisch.

Dann schloss Joshua hinter ihr ab. Wieder zwei Mal.

„Das ist schön.“ Joshuas Mutter. „Willst du etwas zu Essen?“ Die fremde Stimme klang dünn, irgendwie gebrochen, und kam aus einem Zimmer am anderen Ende des Flurs. Hana war etwas nervös.

„Nein.“, antwortete der Junge und durchquerte den Flur. Hana folgte ihm schnellen Schrittes und ließ währenddessen schweigend ihren Blick durch die Wohnung schweifen. Sie wusste die Atmosphäre nicht recht einzuordnen. Die Einrichtung erschien ihr ziemlich billig, die Wände grau und tot, aber trotzdem wirkte der schmale Flur nicht lieblos eingerichtet. Es mutete fast ein wenig paradox an. Der fleckigen hölzernen Kommode fehlten zwei Schubfächer, aber auf der Ablage konnte Hana nicht einmal die Spur von Staub finden. Stattdessen stand dort eine hellrote Plastikvase mit einer künstlichen pinkfarbenen Nelke. Darum tummelten sich liebevoll angeordnete Stoffblüten in völlig symmetrischen Mustern, nicht ein einziges rutschte aus seiner der Reihe. Ein paar schäbige, bunt bestickte Topflappen hingen an der gegenüberliegenden Wand und ergaben zusammen eine übergroße Blumenform. Überall wo Hana hinsah fand sie kitschige Details, die sich mit dem Rest der ranzigen Wohnung stritten. Hana konnte nicht wirklich Gefallen daran finden, und der ganze Klimbim passte auch überhaupt nicht zu Joshua. Die Dekoration war mit Sicherheit das Werk seiner Mutter.

Joshua trat durch einen verblichenen Perlenvorhang in die Küche und Hana folgte ihm verunsichert – diesmal dicht hinter ihm. In der Küche war der Fischgeruch noch intensiver. Der Regen prasselte von außen an die Fensterscheibe.

„Es gibt Fisch.“, erklärte Joshuas Mutter tonlos, als wäre das nicht schon offensichtlich gewesen.

Die Frau saß im Rollstuhl. Einen Moment lang schämte sich Hana dafür, Joshuas Mutter vorhin als psychopathisch abgestempelt zu haben, nur weil diese das Haus so gut wie nie verließ. Die Frau hatte ja keine Wahl gehabt. Hana hatte vorschnell geurteilt.

Dann schoss dem Mädchen ein anderer Gedanke durch den Kopf: Es war sicher unhöflich, wenn sie die Fremde nicht einmal begrüßte. „Hallo.“, murmelte sie halblaut.

Sie bekam keine Antwort. Die Frau schien sie gar nicht zu beachten, sondern starrte nur ihren Sohn an. Ihre Augen waren ebenfalls grün, nur viel älter. Viel trüber.

„Ja, Mama. Danke. Aber ich habe keinen Hunger.“ Joshuas Stimme ließ das Mädchen frösteln. Seine Worte waren distanziert, sachlich. Selbst Hana behandelte er herzlicher.

„Gut. Dann esse ich ein wenig mehr.“ Die Stimme der Frau hatte etwas Selbstmitleidiges. Ihr Gesicht sah noch gar nicht so alt aus, doch ihr wirres Haar war dünn und blass.

Hana verlagerte ihr Gewicht unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sie fühlte sich unwohl, ihr behagte die Stimmung zwischen Joshua und seiner Mutter nicht. Ihr Blick zuckte nervös über die altbackenen, beigefarbenen Fliesen des Küchenbodens. Sie waren blitzblank.

„Du weißt doch, weil ich krank bin. Da habe ich keinen Hunger.“ Joshuas Stimme war noch immer abgeklärt und ruhig.

Eine Weile passierte gar nichts und Hanas Unbehagen wuchs mit jeder Sekunde. Hätte sie seine Einladung doch einfach abgelehnt! Das Mädchen beschloss, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Dann kam ihr die zwei Mal verschlossene Wohnungstür in den Sinn. Sie schluckte.

Schließlich nickte die Frau, während sie mit der Gabel abwesend auf ihrem Teller herumkratzte. Sie hatte den Fisch noch nicht einmal angerührt.

Ohne ein weiteres Wort wand sich Joshua ab und verließ die Küche. Hana schob sich hinter ihm flink durch den Perlenvorhang hindurch. Sie war froh, dass sie hier raus war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Lingo
2010-01-06T22:01:29+00:00 06.01.2010 23:01
Irgendwie tut mir die Mutter ja leid.
Sie strengt sich an und bekommt die Antworten immer nur unverpackt, schichtchenweise serviert. Dass er zu einem- ihm ja eigentlich fremden- Mädchenso nett ist, aber zu seiner eigenen Mutter distanziert, ist wirklich komisch.
Gut, er mag Hana, aber er wird seine Mutter doch wohl genauso mögen. Sie strengt sich doch ziemlich an, oder wer macht den ganzen Haushalt? Ich glaube kaum, dass er es ist...
irgendwie fand ich das Kapitel dadurch richtig traurig...
irgendwie hoffe ich, dass sich die Stimmung im nächsten Kapitel dann wieder etwas hebt...;)
Von: abgemeldet
2008-10-20T20:06:52+00:00 20.10.2008 22:06
hm. ich muss sagen, es tut mir wirklich gut, mich zurückzuhalten und nicht mehr "kapitel" auf einmal zu lesen. so entsteht für mich der eindruck einzelner kurzer episoden. so kleine stichprobenartige ausschnitte aus dem leben von hana und joshua. ja, ich glaube das beschreibt es ganz gut.
und so kann ich die geschichte viel besser in mich aufnehmen. sie wird mit jedem mal interessanter und mysteriöser. und diesmal is mir aufgefallen, dass ich meinen iPod ausschalten musste. ich wollte die worte ganz allein in meinem kopf hallen lassen. (omg, schön langsam werden meine kommentare kitschig. das bin ich überhaupt nicht gewohnt)

ich finde es ein bisschen seltsam. kann es sein, das hana nicht wirklich sichtbar ist für andere? und dass nur joshua sie sehen kann?

oh. joshuas wohnung find ich toll!! so ein kunterbunter stilmix und die tolle pinke nelke. trotzdem wirkt alles düster und irgendwie verarmt. ist auch irgendwie logisch, wenn man bedenkt, dass die mutter im rollstuhl sitzt und deshalb nicht arbeiten kann. joshuas mutter tut mir leid. ich hab eigentlich etwas gegen mitleid. ich finde es ist ein blödsinniges gefühl und verletzt denjenigen, der bemitleidet wird eigentlich noch mehr. trotzdem, die art, wie joshua sie behandelt finde ich traurig für sie.
hana mag ich wirklich sehr. mit jedem kapitel wächst meine begeisterung für sie. man kann richtig nachempfinden, wie sie fühlt und was sie sich denkt. an ihrer stelle wär ich auch froh, wieder aus der küche zu seinXD

so, bis morgen^__^
Von: abgemeldet
2008-09-05T17:45:34+00:00 05.09.2008 19:45
Mhm...komisch...
Joshua verursacht Geräusche auf den Treppen,
wobei er nicht viel schwerer als Hana sein kann.
Also muss noch jemand existeiren, der nur Joshua sehen kann
und mit dem er spricht...ein Geist oder irgendeine Kreatur?!?
*grins*
Komisch fand ich, dass die Mutter Hana nicht bemerkt hatte,
sowie auch das sie niemand kennt.
Kann es sein, dass Hana nur für Joshuas Augen Existiert?!?
Ein Geist?!?
Ui, das ist sowas von spannend und wirft viele Fragen
und Vermutungehn auf.
Super gemacht, einfach genial^^
LG Kelly :)

Von:  blacksun2
2008-09-01T06:55:26+00:00 01.09.2008 08:55
ich weiß ich wiederhole mich und auch auf die Gefahr das ich dich langweile (wenigstens langweilst du nicht mich ^^): das ist der Wahnsinn
ich bin hin und weg,
diese sehr tiefsinnige, sehr gefühlsvolle Geschichte hat mich in ihren Bann gezogen
ich liebe deine sehr liebevoll und fein ausgearbeiten Charaktere
dein Ausdruck ist der Hammer
bin super froh auf diese Fanfic gestoßen zu sein

auch dieses Kapitel war wieder ein Meisterwerk
seine Mutter tat mir unglaublich leid, denn er war wirklich ziemlich kühl zu ihr und ich seh sie immer noch allein in der Küche sitzen vor ihren Fisch
Joshua, hmm *grübel* er ist ein personifiziertes Rätsel, einfach nur undurchsichtig
was bewegt ihn dazu so nett zu Hana zu sein, ist es mitleid? oder was anderes; ein Gefühl der Verbundenheit, weil beide ein sehr schweres Schicksal haben?

kann mir sehr gut vorstellen, wie sich Hana in dieser Situation gefühlt hat, da würde ich auch meine Decken bevorzugen
aber jetzt hat sie sich einmal überwunden mit Joshua zu gehen, und ich hab das Gefühl das ist gut so, denn scheinbar brauchen beide einen Freund
bin auf jeden Fall sehr gespannt wie es weitergeht, wie gut oder schlecht die beiden miteinander klarkommen

glg
blacksun



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