Der letzte Morgen
Halesch stemmte sich schwerfällig in die Höhe und wischte sich den Schweiß von der Stirn, ehe er ihm in die Augen rinnen konnte. Erschöpft und wenig kraftvoll anmutend vollführte er eine Drehung um seine eigene Achse. Seine Hand ruhte auf seinem Schwert, stets bereit es bei dem kleinsten Anzeichen eines Feindes zu ziehen. Doch es gab hier keine Feinde mehr. Das Feld war gespickt mit den Leibern toter Männer und in der Luft lag der süßliche Geruch des Todes. Halesch griff nach seinem zerfetzten Mantel der am Boden lag und legte ihn sich um die Schulter. Die silberne glänzende Schnalle war verschmiert von Blut und vorsichtig wischte er es mit dem Finger herunter.
Hinter sich vernahm er plötzlich ein Geräusch. Mit einer kraftlosen Bewegung, die nichts mehr von der Grazie des Söldners von früher hatte, fuhr er herum und starrte in das dämmrige Dunkel des Morgens, dass sich langsam, aber unaufhaltsam über das Wintergebirge schob. Wolken verhangen den Himmel und der Morgen würde Schnee mit sich bringen. Die Luft roch danach und auf der Kleidung einiger Toter, deren Leiber schon ausgekühlt und gefroren waren bildete sich eisiger Reif. Es würde kein schöner Tag werden, das spürte der junge Söldner und zog sich noch einmal den Mantel um die Schultern enger. Er fröstelte.
Er war in diesen Kampf gezogen mit der Gewissheit, dass sie alle sterben würde und dass er allein nun noch am Leben war, kam ihm wie ein grausamer Scherz der Götter vor. Der Schnee würde fallen und auch das war nur ein Ausdruck des kranken Humors einer höheren Macht. Das eisige Weiß würde die Körper der Männer bedecken und ihnen ein eisiges Grab bereiten. Nichts mehr würde in wenigen Stunden an die blutige Schlacht erinnern, die hier die gesamte Nacht getobt hatte und deren Kriegslärm erst vor kurzem langsam, aber unaufhaltsam verstummt war. Es war kein fairer Kampf gewesen und das hatte Halesch von Anfang an gewusst. Er hatte geahnt, dass sie verlieren würden und dennoch hatte er alles in die Hoffnung gesetzt, dass ein Wunder geschehen würde, dass nur einer ihrer Götter ihnen gewogen war und sie waren enttäuscht wurden. Was für ein Narr war er gewesen, dass er geglaubt hatte, sie hätten auch nur den Hauch einer Chance gehabt. Tausend seiner Männer lagen tot oder sterbend am Boden und jeder der noch Kraft hatte zu laufen war längst geflohen. Yasans Heer war mit wenigen hundert Mann über sie hergefallen, weniger als Halesch erwartet hatte, aber es waren Männer gewesen, die direkt aus der Hölle zu kommen schienen und sie hatten Drachen gehabt. Nicht viele, aber genug um die Männer in Grund und Boden zu stampfen. Kaum einer hatte die Schlacht überlebt und die die sie überlebt hatten würden entweder in den nächsten Stunden oder Tagen an ihren Verletzungen sterben oder nie wieder ein Schwert anrühren.
Ein erneutes Geräusch ließ Halesch zusammenfahren und riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste sich zusammenreißen. Wenn hier noch irgendjemand oder irgendetwas am Leben war, dann konnte es seinen Tod bedeuten, wenn er nicht aufpasste und auch wenn er nicht viel auf sein Überleben gab, hatte er das Gefühl es seinen Männern schuldig zu sein. Er zog sein Schwert und lauschte in die Dämmerung hinein. Es war noch zu dunkel, um irgendetwas genaueres erkennen zu können, alles was er sah waren verwaschene Schemen und so musste sich Halesch auf sein Gehör verlassen. Im ersten Moment hörte er nichts außer das leise Rauschen des Windes, der über die Ebene strich, dann jedoch mischte sich ein weiteres Geräusch hinzu. Der junge Krieger starrte angestrengt in die Dunkelheit vor sich. Sie war nicht mehr so absolut wie sie es in der Nacht gewesen war, doch das Licht des Tages reichte noch immer nicht um die Lebenden von den Toten unterscheiden zu können. Das Rascheln des Atems, der stoßweise und schwach ging, dass sich zu dem Geräusch des Windes gesellt hatte, war jedoch nicht weit entfernt. Nach einem weiteren Augenblick des Zögerns, rammte Halesch sein Schwert zurück in den Gürtel und ging langsam los. Sein Blick saugte sich an dem Boden vor ihm fest. Er stieg über den ersten Leichnam hinweg und schenkte den Mann einen kurzen mitleidigen Blick. Ein Pfeil hatte den armen Kerl direkt im linken Auge getroffen, er war eines schmerzhaften Todes gestorben, aber es war schnell gegangen und damit konnte man dieses Krieger vielleicht noch einen Glückspilz nennen, denn viele von ihnen waren einen langsameren qualvolleren Tod gestorben. Ein leises Röcheln und ein qualvolles Husten drang an Haleschs Ohr. Er beschleunigte seine Schritte und ließ sich dann neben einer, in einen braunen Mantel gekleideten, Gestalt in die Hocke sinken. Es war einer seiner Männer. Der Söldner erkannte ihn nicht, aber er spürte das es einer seiner Männer sein musste. Aus dem Leib des Mannes ragte ein Speer. Sein ganzer Unterleib war durchbohrt, doch durch einen grausigen Wink des Schicksals lebte er immer noch. Sein Atem wurde begleitet von einem erneuten Husten. Ein blubberndes widerliches Geräusch ertönte aus seiner Kehle und Blut rann ihm aus dem Mund die Wange und den Hals hinunter. Seine Lunge musste auch etwas abbekommen haben.
Er stirbt!, schoss es Halesch durch den Kopf und ein schwaches Gefühl des Mitleids regte sich in ihm.
Als der Todgeweihte versuchte zu Sprechen, war es leise und schwach und in seiner Stimme war etwas das Halesch erschreckte: Erleichterung!
„Herr, ihr seit noch am Leben.“, sagte der Soldat schwach. „Das ist gut!“
Er schloss die Augen für einen langen Augenblick und fasst glaubte der junge Söldner er würde sie nicht mehr öffnen. Als er es endlich tat konnte Halesch nur noch Schrecken und Schmerz in seinen Augen lesen.
„Ich werde dich hier raus bringen!“, sagte Halesch, auch wenn er genau wusste, dass das unmöglich war. Der Mann vor ihm war tot, das wusste er, aber er hatte das Gefühl so etwas in der Art sagen zu müssen, um den Mann eine Last von den Schultern zu nehmen, die er nicht tragen konnte, die Gewissheit seines eigenen Ablebens.
Der Mann machte ein Geräusch, dass wohl ein Lachen sein sollte, jedoch in einem Röcheln endete.
„Herr, ihr wisst genauso gut wie ich, dass ich es nicht überleben werde!“, sagte er mit einer ernüchternden Klarheit in der Stimme, dass es Halesch fröstelte. „Wichtig ist nur, dass ihr überlebt habt, Herr.“
Wieder war diese Erleichterung in seiner Stimme und in seinen Augen, dass Halesch zusammenfuhr.
„Was meinst du damit?“, fragte er.
„Mir bleibt keine Zeit mehr, Herr! Ich sterbe bereits!“, er schüttelte den Kopf, um sich selbst in seinen Worten zu bestärken: „Nein, ich bin bereits tot. Aber ihr lebt und ihr allein seit nun noch übrig, um unsere Seelen zu retten! Rettet Kalisch!“
Er sprach im Fieberwahn und seine Augen verloren langsam den Glanz. Halesch hatte schon viele Menschen getötet, aber er hatte noch keinen auf solch langsame Art sterben sehen. Die Gedanken des Sterbenden waren verwirrt und sein Blick weit in die Ferne gerichtet, aber sie sahen schon nichts mehr. Doch auch wenn seine Gedanken wirr waren, hatte er recht. Kalisch war die einzige Chance sie alle zu retten. Vielleicht wusste die alte Zauberin ein Mittel wie man Yasans und die Drachen bei kommen konnte, aber niemand wusste wo Kalisch war. Es war unmöglich sie zu finden. Halesch wollte es dem sterbenden Mann vor ihm gerade sagen, aber er hielt sich zurück. Was immer die Zukunft bringen würde, dieser Mann würde sie nicht mehr erleben, also sollte er in der Hoffnung sterben, dass alles gut werden könnte. Er nickte.
Der Mann setzte erneut dazu an etwas zu sagen, aber seine Wort waren nicht mehr als ein Flüstern und erst als Halesch sich über sein Gesicht beugte und sein Ohr an die Lippen des Soldaten hielt konnte er seine Worte verstehen.
„Herr, dies heute ist mein Todestag. Sagt mir, wird die Sonne scheinen?“, in seinen Augen glomm so etwas wie ein Hoffnungsschimmer auf.
Halesch stemmte sich hoch und drehte sich Richtung Osten. Über den Spitzen des Gebirges war ein Schimmer des Morgens zu sehen. Jedoch lag dieser immer noch hinter einer dicken Wolkendecke, die Sonne würde mit Sicherheit nicht scheinen. Die ersten Flocken begannen bereits zu fallen.
Als er sich jedoch wieder über den Sterbenden beugte und den hoffnungsvollen Ausdruck in seinen Augen las, da war ihm klar, dass es ganz egal war, was er sagen würde, denn es würde das Letzte sein, was der Mann hören würde.
„Noch ist es nur ein kleines Licht am Horizont, aber ich denke die Sonne wird bestimmt heute scheinen!“, log er den Mann an. Er wusste nicht ob die Lüge gut war, sie kam ihm durchschaubar vor, als er aber dem Soldaten in die Augen blickte schien sich der Schimmer der Hoffnung verstärkt zu haben.
„Das ist gut.“, flüsterte er. „Das heißt, dass die Götter uns nicht vergessen haben!“
Halesch spürte, dass der Mann noch etwas sagen wollte, aber seine Kraft schien nun aufgebraucht zu sein und so beschränkte er sich darauf das zu sagen, auf das Halesch die ganze Zeit gewartet hatte. Der Söldner stemmte sich hoch. Es war nicht das erste Mal, dass er das tat, aber dieses Mal fiel es ihm unglaublich schwer. Als er sein Schwert aus dem Gürtel zog, da schien es plötzlich viel schwerer zu sein. Seine Hand zitterte und, als müsse er sich selbst beruhigen, legte er seine andere Hand darüber. Er sah noch einmal auf den Soldaten hinunter, der sich nun unter heftigen schmerzhaften Krämpfen zu schütteln begann, dann schloss er die Augen und tat worum er gebeten wurde.
ENDE
© Manuela Schmohl, 2007