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Wie das Leben so spielt

von

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Kapitel 9

Kapitel 9
 

Tuomas stappelte das Geschirr in der Spüle, als sein Blick zum wiederholten Mal auf den sauberen Kochtopf fiel, der neben dem Herd stand. Wieder seufzte er.

Er sollte ihn ihr zurückbringen...

Kurz blitzte in seinem Kopf die Möglichkeit auf, dass sie vielleicht noch mehr von dem Thaiessen haben könnte, doch er verwarf den Gedanken fast sofort wieder. Das könnte er sie niemals fragen! Er wusste ja nichtmal, was er sagen sollte, wenn er mit dem Topf vor ihrer Tür stand...

Vielleicht sollte er ihn einfach vor der Tür... –Nein! Also das wär nun wirklich kindisch und ausserdem mehr als unpassend!, rügte er sich selbst in Gedanken und griff in den Kühlschrank, um drei gekühlte Bier herauszunehmen. Er würde jawohl noch hinkriegen, jemandem einen simplen Kochtopf wiederzubringen, ohne sich mit seiner Schüchternheit total vor ihr zu blamieren!

Sein Blick streifte nochmals den Topf, als er sich umdrehte und wieder in den Garten ging, wo er Tero und Antti je ein Bier in den Schoss fallen liess.

„Oh danke, man“, seufzte Antti dankbar und riess den Verschluss ab. Tero setzte die Flasche sofort an und stürzte den Inhalt hinunter. Tuomas schmunzelte. Er umrundete den Tisch und liess sich wieder in seinen Stuhl fallen. Der Grill neben ihm strahlte noch etwas Wärme ab und Tuomas begann gedankenverloren in der Asche herumzustochern.

Gott, das wär wirklich zu dreist... Ganz davon zu schweigen, dass er die Frage, oder besser Bitte, niemals über seine Lippen kriegen würde... Was immernoch nichts daran änderte, dass er ihr den Kochtopf wiedergeben sollte... Er seufzte und Tero riss ihn vollends aus seinen Gedanken. „Sag mal, kann es sein, dass deine Geschmacksnerven unter eurer Tour durch Asien etwas gelitten haben?” Gespielt provokativ funkelte er zu seinem Freund hinüber. Tuomas zog nur unschuldig die Augenbrauen hoch und sah ihn fragend an.

„Das Essen war verdammt gut gewürzt“, erklärte Tero weiter und Tuomas konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Vielleicht hätte er den Beiden mal etwas von Svenjas Thaigericht geben sollen... Sein Grinsen wurde noch breiter und er entschied sich, nach dem Bier loszugehen.
 


 

Sie wusste nicht, wie lange sie so auf dem gefliesten Küchenboden gehockt hatte. Es hätten 5 Minuten oder auch 5 Tage sein können. Sie wusste nur, dass sie sich irgendwann wie in Trance erhob und zum Tisch wankte. Schwer stützte sie sich auf der Platte ab und starrte auf die gemusterte Tischdecke... Im Nachhinein konnte sie nichteinmal mehr sagen, welche Farbe sie gehabt hatte... Bilder liefen in abwechselnd schneller und langsamer Reihenfolge vor ihrem Auge ab. Szenen der letzten zwei Jahre, die sie in dieser Band gespielt hatte.

Wie Jyri sie den anderen vorgestellt hatte. Wie sie das erste Mal einen ihrer Songs gespielt hatten. Die Streitereien mit dem Hausmeister der Uni, wenn sie wiedermal bis in die Nacht hinein geprobt hatten. Den Sommer- und Winterurlaub, den sie zusammen verbracht hatten. Die erste Probe mit Zuschauern. Ihr erster Auftritt in ihrer Stammkneipe. Jyris Geburtstag. Weihnachten. Neujahr. Pfingsten.

Ein Stahlring schien sich um ihre Brust zu legen und sich erbarmungslos zusammenzuziehen. Ihr Brustkorb hob sich in unregelmässigen Abständen und ihr Atem ging flach. Lautlos ballte sie die Hände auf dem Tisch zu Fäusten. Sie senkte den Kopf und ihre Haare verbargen das Gesicht, als sich ihr Mund gepeinigt verzog und sie die Zähne aufeinanderpresste.

Nach einiger Zeit richtete sie sich wieder auf und hob den Blick. Sie blinzelte ein paar Mal zu oft, als dass es normal gewesen wäre und auch ihr Atem wirkte etwas zu ruhig und abgehackt. Sie atmete einmal tief durch und verschloss dann die überquellenenden Emotionen wiedermal in ihrem Inneren.

Ihr Blick wanderte zur Gegensprechanlage und ihr Magen verkrampfte sich erneut. Ihre Hände zitterten leicht, ebenso wie ihr Atem, als sie nochmals tief Luft holte und sich versuchte, für das Kommende zu wappnen.

Sie hatte Angst, verdammt grosse Angst. Sie wollte nicht dort runtergehen und mit ihren Bandkollegen reden. Sie wollte am Liebsten wegrennen, das Ganze vergessen, aber so einfach war das leider nicht. Es war nie so einfach und die Wahrheit war etwas, was verdammt wehtun konnte. Genau deshalb wollte sie nicht in den Keller gehen. Ihr ganzer Körper schien sich dagegen sträuben zu wollen. Jede Faser ihres Leibes schien sich in die entgegengesetzte Richtung zu sehnen, als die, die sie nun einschlug. Es war, als würde sie gegen unsichtbare Ketten ankämpfen, nur dass diese alles bis auf ihren Kopf zurückhalten wollten. Jeden Quadratzentimeter ihres Körpers, jeden Winkel ihrer Seele. Doch das war etwas, vor dem sie nicht davonlaufen konnte. Das war etwas, was sie tun musste. Es war bereits zu spät, um umkehren zu können. Auch wenn sie jemand war, der Konflikte nicht unbedingt mochte, so war sie gleichzeitig niemand, der ihnen auswich. Sie konnte nicht ewig in einem Krisenherd leben, ohne diesen irgendwann bereinigen zu wollen. Und dieser Krisenherd, der sich >Band< nannte, brodelte schon zu lange vor sich hin, als dass sie ihn nach diesem Zwischenfall weiter sich selbst überlassen konnte. Sie hatte das zu klären, da führte kein Weg dran vorbei. Sie hätte es sogar schon viel früher machen sollen... Aber wie es so oft der Fall war, waren die Probleme nicht als so akut und tiefgreifend eingeschätzt worden, sodass man gedacht hatte, es würde sich mit etwas Zeit von selbst wieder einrenken.

Wie sehr man sich doch täuschen konnte...

Swentje zwang ihren Körper durch das Wohnzimmer und betrat den Billardraum, von dem aus die Treppe in den Keller führte. Je näher sie ihr kam , desto mehr rebellierte ihr Körper und desto schneller schlug ihr Herz. Als sie die oberste Stufe betrat, hatte sie das Gefühl, als ob ihr Magen das Mittagessen auf der Stelle wieder loswerden wollte und ihr Herz am liebsten ausserhalb ihres Körpers weiterrrasen würde.

Sie wollte nicht da runter. Sie wollte die Wahrheit nicht hören. Sie würde so verdammt wehtun.

Trotzdem zwang ihr Verstand sie, weiterzugehen. Gleichzeitig beobachtete er seltsam distanziert das Gefülschaos in in ihrem Inneren. Wie so oft in solchen extremen Situationen, hatte ihr Verstand völlig die Kontrolle über ihren Körper übernommen und wirkte seltsam losgelöst von den Emotionen, die in ihr tobten. Ganz so, als ob jegliche Verbindung zwischen Rationalität und Gefühl unterbrochen worden wäre. Ein Schutzmechanismus, hatte sie immer vermutet. Eine Mauer, von ihrem Verstand erschaffen, logisch, rational und absolut emotionslos. Etwas, dass ihr von den Menschen, die sie in so einer Situation schonmal erlebt hatten, den Kommentar eingebracht hatte, ein verdammt guter Staatsanwalt werden zu können, wäre sie in der Lage, diesen Zustand willentlich heraufzubeschwören und beibehalten zu können.

Allerdings hatten die Fälle, in denen sie so reagiert hatte, sie weniger getroffen, als die jetzige Aktion ihrer sogenannten Freunde...

Ihre Hände zitterten immernoch und ihr Magen fühlte sich an, wie ein Stein. Der Kampf, der sich in ihrem Inneren abspielte, war nur zu gut auf ihrem Gesicht nachzuverfolgen. Sie war blass und ihre Augen glänzten. Ab und zu war ein nervöses, ängstliches Flackern darin zu erkennen und ihr Atem wurde immer flacher, je näher sie der Tür zum Proberaum kam.

Als sie vor der Kellertür angekommen war, schrie alles förmlich in ihr danach, herumzufahren und die Beine in die Hand zu nehmen. Sie registrierte es kaum. Sie atmete tief durch den Mund ein und aus. Ihr Atem zitterte immernoch. Sie legte die Hand auf die Klinke und ihr Magen schien ihr durch den Hals herauskommen zu wollen. Sie schluckte hart und schloss die Augen. Erzwungen ruhig und kontrolliert einatmend lehnte sie die Stirn gegen die kalte Oberfläche der Tür. Die Klinke in ihrer Hand wurde rutschig, als Schweiss auf Metal traf.

Sie musste das tun. Das war der einzige Weg, das Theater zu beenden. Sie würde nicht weglaufen. Das war nicht ihre Art. Nicht mehr. Seit langem nicht mehr. Langsam öffnete sie wieder die Augen. Jede Zelle ihres Körpers schien elektisiert aufzuschreien, als sie die Klinke mit einer entschlossenen Bewegung herunterdrückte und die Tür öffnete. Dann war es weg und alles, was sie fühlte, war ihr verkrampfter Magen und das leichte Zittern der Hände.

Das Lied verstummte, als sie eintrat. Swentje schien alles um sich herum unglaublich intensiv und klar wahrzunehmen, bevor sich ihr Blick einen Sekundenbruchteil später auf die drei jungen Männer heftete. Sie spürte immernoch das Vibrieren der Boxen und hörte das leise Summen der Geräte in diesem Raum. Die Luft war kühl und sie konnte einen leichten Schweissgeruch wahrnehmen.

Die Drei wirkten wie erstarrt. Eigentlich hatten sie sich sofort nachdem sie sich von dem Schreck erholt hatten, wieder normal verhalten wollen, doch etwas in Swentjes Gesicht machte ihnen klar, dass das nichts mehr bringen würde. Die Spannung war geradezu greifbar.

Sie drehte sich um und schloss die Tür leise hinter sich und lehnte sich dann, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und den Blick wieder auf ihre Bandkollegen heftend, gegen diese. Nur ihre blasse Gesichtsfarbe gab einen Hinweis darauf, dass ihr die Situation nicht sehr angenehm war. Ihre Augen waren klar und ernst und mit einem Ausdruck dahinter, der erahnen liess, dass die Zeit für Ausflüchte und Lügen vorbei war. Sie strahlte eine Ruhe und Ernsthaftigkeit aus, so kompromisslos und ohne irgendeine unterschwellige Emotion, dass es die Drei ebenfalls innerlich verkrampfen liess.

„Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten.“
 


 

Der Himmel begann sich langsam aber sicher zuzuziehen und Tuomas verlegte bereits gedanklich den weiteren Verlauf der Gartenparty nach drinnen.

Den Topf unterm Arm überquerte er im Laufschritt die Kreuzung und bog in die Seitenstrasse ab, die zum Haus der Belzens führte. Er hatte immernoch keine Ahnung, was er sagen sollte, wenn er gleich an der Tür klopfte. Wahrscheinlich würde er wieder irgendeinen Standartspruch bringen, weil ihm nichts besseres einfiel. >Danke für das Essen, es war ausgezeichnet. Wo hast du so gut thailändisch kochen gelernt? ... Ach direkt in Thailand!? (Was für eine Überraschung, das hat dir deine Mutter schon erzählt!) Das erklärt, warum es so gut ist. ... Na gut, dann... Bis dann.< Oh Gott! Er würde sich wiedermal so dermassen blamieren!

Er fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Vor sich konnte er schon das Haus erkennen. Es war grösser, als er gedacht hatte, aber im finnischen Stil gehalten. Er atmete tief ein. Meine Güte, wie konnte man nur so nervös sein!?, rügte er sich selbst in Gedanken. Schüchternheit war doch echt was tolles!, grummelte er gedanklich und betrat schliesslich das Grundstück. Sein Magen entwickelte mal wieder ein Eigenleben und fast zögerlich streckte er die Hand zur Klingel aus. Kurz bevor er sie drücken konnte, wurde die Tür aufgerissen und ein reichlich zerzaust aussehender Jyri eilte hinaus. Und fast in ihn hinein. „Wow!“ Im letzten Augenblick blieb Jyri stehen und starrte Tuomas überrumpelt ins Gesicht. „Wow, das war knapp...“, meinte er schliesslich mit einem Blick auf die zwei Zentimeter Platz zwischen ihnen. “Sorry, ich hab echt nicht erwartet, dass jemand vor der Tür steht“, meinte Jyri dann etwas unglücklich aussehend und kratzte sich verlegen am Kopf. Tuomas lächelte leicht und öffnete den Mund. „-Sag mal, kennen wir uns?“, unterbrach ihn Jyri, bevor er auch nur ein Wort herausgebracht hatte. Verblüfft schloss Tuomas ihn wieder und starrte seinen Gegenüber nun ebenfalls an. Wollte er ihn verarschen? Er blinzelte ein paarmal irritiert und setzte dann erneut an. „-Nein, nicht so! Ich weiss, wer du bist!“, unterbrach ihn Jyri im leicht ungeduldigen Tonfall erneut, bevor auch nur die erste Silbe über seine Lippen gekommen war. „Ich mein: Kennen wir uns persönlich? Ich hab so ein Gefühl, dass ich dich schonmal live getroffen hab, also so wirklich von Angesicht zu Angesicht... Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wo das gewesen sein soll...“ Grübelnd blickte er den Schwarzhaarigen an. „Ähm..“, war das einzige, was Tuomas in dem Moment herausbrachte. Überrumpelt blinzelte er ein paar Mal und setzte dann vorsichtig an: „Freitag Morgen?“

Eine Zeitlang blickte Jyri ihn schweigend an. „Ja?“, harkte er dann gedehnt nach und sah Tuomas abwartend an.

„Als ihr vom Karhu nach Hause wolltet?“, spezifizierte er weiter. Jyri blickte ihn immernoch auffordernd an. Gott, der Typ schien ja echt nen Totalausfall zu haben, dachte Tuomas nur, dann schien das Gesagte irgendwas bei Jyri anklingen zu lassen. Überlegend runzelte er die Stirn, nur um kurz darauf völlig verplant zu fragen: „Du warst den Abend in der Bar?“ Tuomas konnt sich gedanklich nur an die Stirn fassen. Unglaublich. Sie hatte echt Recht behalten. Wer erinnerte sich an rein gar nichts mehr... „Ähm.. ja... Und ich.. hab euch hierher begleitet“, erklärte Tuomas und schien Jyris Verwirrung damit nur noch zu vergrössern. „Du hast was? Warum?“

„Ähm.. weil du und euer Leadsänger total breit waren und Svenja echt alle Hände voll mit euch beiden zu tun hatte?“ Tuomas wusste nicht, ob er amusiert oder genervt sein sollte, aber dieser Typ war ja echt von der Rolle. „Swentje.“

„Was?“

„Swentje. Ihr Name ist Swentje“, erklärte Jyri, als er Tuomas verwirrtes Gesicht sah. „Sorry, Angewohnheit“, fügte er dann im gleichen Augenblick entschuldigend hinzu. „Irgendwie kriegt keiner ihren Namen so wirklich auf Anhieb auf die Reihe.“

Tuomas erwiederte nichts darauf, er war viel zu sehr damit beschäftigt, zu versuchen, seinen Gegenüber irgendwie einzuordnen.

„Ok... dann sag ich mal Danke, nicht!?“, meinte Jyri dann unvermittelt und lächelte etwas unsicher. „Was? Wofür?“ Tuomas fühlte sich von dem Halbfinnen thementechnisch hin- und hergeworfen.

Jyri musste daraufhin grinsen. „Dafür, dass du mitgeholfen hast, uns nach Hause zu bringen“, erläuterte er dann übertrieben langsam und deutlich, als ob Tuomas schwer von Begriff wäre. Einen kurzen Moment lang befürchtete er, zu weit gegangen zu sein, doch Tuomas schien ihm den gutmütigen Spott nicht übel zu nehmen. Viel eher setzte er zum Gegenschlag an. „Na einer musste ihr ja unter die Arme greifen! Wie sonst hätte sie es schaffen sollen, dich dazu zu bewegen, das Auto nicht mit nach Hause zu nehmen“, grinste Tuomas fast schon etwas hinterhältig. Ihm war vollkommen klar, dass Jyri sich nicht daran erinnerte, was er alles angestellt hatte und irgendwie bezweifelte er, dass Swentje es ihm unter die Nase gerieben hatte. Tatsächlich starrte Jyri ihn einen Augenblick lang fast schon fassungslos an, bevor sein Gesichtsausdruck leicht beunruhigt wurde. „Ich hab WAS machen wollen?“ Tuomas grinste breit. „Du schienst einen VW am Strassenrand dermassen lieb gewonnen zu haben, dass du ihn stürmigst umarmen musstest und gar nicht mehr loslassen wolltest.“ Tuomas wusste, dass dieses Spielchen irgendwie fies war, aber Jyris Gesichtsausdruck war einfach zu göttlich. Man konnte die Räder hintr seiner Stirn arbeiten sehen, als er versuchten, einen Sinn in dem Gesagten zu erkennen. Plötzlich weiteten seine Augen sich etwas und er barg gequält seufzend das Gesicht in den Händen. „Nein~...“, jammerte er fast schon. „Swentje hat auch irgendsowas mit nem Auto angedeutet...“ Wenn es überhaupt noch ging, wurde Tuomas Grinsen noch breiter. „Und du hast nicht nachgefragt? Also ich hätt mich schon über die Bauschmerzen am nächsten Morgen gewundert und die Klamotten, die im Bad hingen...“, trietzte er ihn weiter. Vergessen war die Nervosität und das Unbehagen, das er noch vor ein paar Sekunden verspürt hatte. Ein Teil von ihm registrierte überrascht, wie natürlich es sich anfühlte, hier mit Jyri zu stehen und ihn aufzuziehen. Irgendwie glaubte er zu verstehen, warum Swentje ihm nicht wirklich hatte böse sein können.
 


 

Die Stille im Raum war geradezu erdrückend. Das Summen der Boxen schien immer weiter anzuschwellen, bis sie es schliesslich nicht mehr aushielt.

„Ich glaub, das ist immernoch meine Gitarre, ich wär dir also sehr verbunden, wenn du sie zurückstellen könntest“, meinte sie ruhig an Bastian gewandt. Als dieser ihrer Aufforderung wirklich nachkam, fügte sie noch hinzu: „Du hättest auch einfach fragen können, anstatt sie dir unerlaubt zu nehmen.“

„Ja klar! Als ob du es mir dann erlaubt hättest!“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück und der harte, zynische Spott in seiner Stimme traf sie ziemlich. „Wir wissen doch alle, wie ungern du deine Gitarre von anderen benutzen lässt!“ „Und das berechtigt dich, sie dir einfach so zu nehmen?“, setzte sie augenblicklich nach und zog demonstartiv spitzfindig die Augenbrauen hoch. „Darüberhinaus schein ich ja auch allen Grund zu haben, mich so zu verhalten, nicht!?“

„Hey, sei nicht sauer“, warf Kim vorsichtig ein. „Is ja nichts passiert. Er hat sie ja gut behandelt...“ unsicher sah er zu ihr. Swentje schwieg und dachte sich ihren Teil dazu. Kims Finger begannen nervös mit den Ärmeln seiner Jeansjacke zu spielen und er senkte den Blick gen Boden.

Als auch nach mehreren Minuten keiner der Drei Anstalten machte, die Situation zu erklären, ergriff sie schliesslich erneut das Wort. Ihr Herz hämmerte dabei schmerzhaft gegen ihre Rippen und ihre Knie fühlten sich unnatürlich weich an. Schweiss sammelte sich in ihren Handflächen und so behielt sie die Hände weiterhin hinter ihrem Rücken.

„Also... Was soll das hier?“

Bastian sah sie weiterhin ruhig an, während Kim und Stefan interessiert den Boden zu ihren Füssen begutachteten. „Das sieht man doch!“, antwortete er, als wäre diese Situation die normalste in der Welt. „Wir proben!“

Swentje blickte ihn einen Moment lang schweigend an und man konnte in ihrem Gesicht lesen, für wie zweifelhaft sie diese Antwort hielt.

„Ihr probt...“, vergewisserte sie sich nochmals und zog in typischer Manier eine Augenbraue hoch.

„Ist doch offensichtlich, oder?!“, patzte Bastian zurück und breitete untermalend die Arme aus.

„Und du meinst nicht, dass zu ner vernünftigen Bandprobe die gesamte Band anwesend sein sollte!?“, warf Swentje anmerkend ein und hatte dabei einen Unterton in der Stimme, als würde sie mit einem bockigen Kind reden. In Bastians Augen blitzte es wütend auf.

„Und seit wann spielst du Gitarre? Oder schreibst an meinen Liedern herum?“ Ihre Stimme war hart geworden und verlangte nach einer Antwort. Bastian sah sie nur provozierend an, bevor er sich nach einer kleinen Ewigkeit zu einer Antwort bequemte. „Seit wann ist es verboten, ein Instrument zu erlernen?“ In seinen Augen funkelte es herausfordernd. „Und was die Lieder angeht: Wer sagt, dass es deine sind? Sie haben vielleicht nur etwas Ähnlichkeit mit deinen.“

Ja, klar!, explodierte eine wutende Stimme hinter ihrer Stirn und sie musste sich zusammenreissen, um ihm diese beiden Wörter nicht entgegenzuschleudern. „So so...“, kam es dann gepresst über ihre Lippen. „Nur ähnlich, hm!?“ Ihre Augen schienen wortwörtliche Blitze auf ihn abzufeuern. Wie konnte er es wagen!!! „Dann nehm ich mal an, dass es auch nur Zufall ist, wenn alle >deine< Lieder eine gewisse Ähnlichkeit zu meinen aufweisen, hm? So wie in der Vergangenheit, nicht wahr!?“ Ihr Blick schien ihn regelrecht an Ort und Stelle festzunageln und doch erdreistete er sich zu antworten: „Ganz genau! Zufälle gibts immer wieder.“ Swentje konnte nicht anders, als die Hände hinter ihrem Rücken zu Fäusten zu ballen und ihn weiterhin anzustarren. Das war doch echt die Höhe!

Kim und Stefan warfen den beiden Kontrahenten immer wieder nervöse Blicke zu. Die Spannung in der Luft war fast greifbar und sie hatten das ungute Gefühl, dass sie sich bald mit einem grossen Knall entladen würde.

„Und hast du mal dran gedacht, dass...“, ihre Augen verengten sich kurz, „du die Band vielleicht mal über diese Veränderungen informieren solltest!? Wir machen immerhin zusammen Musik und da wäre es schon angebracht gewesen, uns über deine Pläne aufzuklären.“

Wieder diese arrogante Blick und Swentje glaubte, Bastian jeden Augenblick an die Kehle zu gehen. „Wer sagt, dass ich das nicht machen wollte!? Der Zeitpunkt hat bis jetzt einfach nicht gestimmt.“ Leichtfertig zuckte er mit den Schultern und schien ihre unterdrückte Wut geradezu zu belächeln.

Swentje hatte gar nicht wirklich registriert, wie die Angst vor dem Ausgang dieses Gesprächs langsam aber sicher verschwunden war und einem brodelnden Zorn Platz gemacht hatte. „Und wann wäre das gewesen?“ Aufgebracht stiess sie sich von der Tür ab und kam etwas näher. „Wenn du genug vorbereitet hast, um meinen Part in der Band zu übernehmen?“, die letzten Worte spie sie ihm regelrecht angewidert entgegen und Zorn loderte in ihrem Blick. Stefan und Kim schienen regelrecht zusammenzuschrumpfen, während Bastian weiterhin seine Stellung hielt, unbeeindruckt von ihrem Zorn.

„Und wenn es wäre?!“, erwiderte er schliesslich vollkommen ruhig und sah hochmütig auf sie herab. Sprachlos ob so viel Dreistigkeit und Unverschämtheit konnte sie nur ungläubig aufkeuchen. Sie hatte das nicht wirklich so gemeint, aber seine Antwort hatte klargemacht, wie zielsicher sie ins Schwarze getroffen hatte.

Lange Zeit herrschte Stille im Keller, in der sich Bastian und Swentje gegenseitig anstarrten. Swentje konnte immernoch nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte und ihr Körper schien wie paralysiert. Ebenso wie ihr Hirn, wo sich die Gedanken nur träge bewegten und kaum Sinn ergaben.

Schliesslich keuchte sie erneut auf und schüttelte fassungslos den Kopf. Als sie ihn wieder hob, konnte man eine gewisse Enttäuschung in ihrem Blick erkennen. „Wenn das so ist...“, konnte man ihre leise Stimme im Keller vernehmen, „... dann sollten wir jetzt mal klären, wie es nun weitergehen soll.“ Speziell Stefan und Kim warf sie dabei einen undeutbaren Blick zu. Alarmiert zuckten die Beiden zusammen und Swentje kam es vor, als ob sich der Dolch, den Bastian ihr ins Herz gestossen hatte, noch ein gutes Stück weiterbewegen würde. Kurz flackerte die Angst wieder in ihr auf, doch ein Teil von ihr klammerte sich an ihre beiden Freunde.

„Er oder ich! Beide in einer Band scheint jawohl nicht zu funktionieren.“ Ihre Stimme klang seltsam gefasst und ihr auffordernder Blick suchte den von Kim und Stefan.

Nur, dass sie keinen von beiden zu fassen bekam...

Beide starrten krampfhaft zu Boden und schienen sich unter ihrer Forderung zur Stellungnahme zu winden. Kim biss auf seiner Unterlippe herum und seine Hände hatten sich in seinen Ärmeln verkrallt. Sein Blick huschte unstet über den Kellerboden, wobei er es tunlichst vermied, in ihre Richtung zu sehen. Stefan stand da, wie ein Häufchen Elend, händeringend und den Blick starr auf seine Schuhe gerichtet. Swentje fühlte sich, als würde jemand einen Eimer mit eiskaltem Wasser über ihr ausleeren. Fassungslos starrte sie ihre beiden Freunde an, die sich regelrecht hinter Bastian zu verstecken schienen und nicht einmal die Courage hatten, ihr ins Gesicht zu sehen.

Das Summen der Boxen gewann wieder an Lautstärke, als sich Schmerz und abgrundtiefe Enttäuschung in Swentjes Gesicht abzuzeichen begannen. Der Dolchstoss, den Bastian ihr bereits verpasst hatte, war nichts im Vergleich zu dem Herumdrehen der Klinge in der Wunde, was ihre beiden sogenannten Freunde mit ihremSchweigen bewirkten.
 

„Nein! Das hab ich echt gemacht?!“, fassungslos starrte er Tuomas an, der immernoch lachte und konnte sich selbst ein leicht ungläubiges Grinsen nicht verkneifen. „Oh man... Wundert mich echt, dass sie mir dafür nicht den Arsch aufgerissen hat...“ Durch den Mund ausatmend fuhr er sich durch die Haare. Tuomas grinste nur. „Sie meinte nur, dass du dich eh an nichts erinnern wirst und es deshalb eh nichts bringen würde.“ Überrascht sah Jyri auf. „Das hat sie echt gesagt?“ Tuomas nickte nur und schliesslich verfiel Jyri in ein erleichtertes Lachen. „Man, was bin ich doch für ein Glückskind.“

Im Wohnzimmer wurden schnelle Schritte laut und kurz darauf eilte Swentje in ihr Blickfeld. Noch immer lachend wollte ihr Jyri etwas zurufen, doch ein einziger Blick in ihr Gesicht und jegliches Wort blieb ihr im Halse stecken. Sein Lachen gefror ihm regelrecht im Gesicht. Da stimmte etwas ganz gewaltig nicht!

Swentje langte nach ihren Schuhen und zog sich diese hastig an, als hinter ihr auch schon Kims atemlose Stimme ertönte und er aus dem Wohnzimmer in den Flur gerannt kam. „Nun warte doch mal! Verdammt, nun überstürz doch nicht alles!“ Er kam hinter ihr zum stehen, als sie sich schweigend den zweiten Schuh zuband. Kims Gesichtsausdruck nahm einen gequälten Ausdruck an und er schien sich ob ihres Schweigens regelrecht zu winden. Zutiefst beunruhigt und verwirrt blickte Jyri von einem zum anderen. Tuomas hatte das starke Gefühl, hier gerade mehr als fehl am Platze zu sein.

Swentje richtete sich wieder auf und drehte sich ein letztes Mal zu ihrem sogenannten Freund um, als auch schon Stefan und Bastian hinter ihm auftauchten. „Überstürzen? Die Sache ist recht eindeutig.“ Die Bitterkeit in ihrer Stimme liess in Jyris Kopf sämtliche Sirenen aufheulen. „Ich hätte von euch nur mehr Ruckrat erwartet.“, fügte sie zutiefst enttäuscht an und man konnte Tränen in ihren Augen glitzern sehen. Sie fuhr auf dem Absatz herum und wollte sich an Jyri und Tuomas vorbeizwängen, als Jyri sie am Arm zurückhielt. „Was ist denn-„ Grob riss sie sich los und funkelte ihn wütend und schmerzerfüllt zugleich an. „-los...?“, schlagartig hatte seine Stimme jeden fordernden Ton verloren und das letzte Wort kam nur leise und zutiefst beunruhigt über seine Lippen. Was ging hier ab? Was war passiert, dass sie wirklich jeden Menschen von sich stiess? Das ungute Gefühl in seinem Magen wurde stärker. So hatte er sie bis jetzt nur einmal erlebt und daran erinnerte er sich nicht so gerne zurück...

Tuomas wünschte sich inständig an jeden erdenklich anderen Ort, als diesen hier, aber auch ihm blieb fast das Herz stehen, als er ihre leise, tonlose Stimme vernahm, als sie sich an ihm und Jyri vorbeizwängte und davoneilte.

„Ich bin raus.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yagyuu
2009-02-26T21:38:31+00:00 26.02.2009 22:38
*seufz*

Huhu!
Ich bin durch Zufall auf diese FF gestoßen, indem ich mal so rumgestöbert hab.^^
Ich muss sagen, dass ich sie ganz toll finde.
Dein Schreibstil gefällt mir ganz gut und die Story ist äußerst interessant und vielschichtig.
*applaudier*

Würd mich freuen, wenn bald mehr Kapis kommen.

*Stück Kuchen dalass*
*knuddel*

Von: abgemeldet
2008-12-09T17:52:08+00:00 09.12.2008 18:52
Es hat lang gedauert, aber gut Ding will ja Weile haben :DD *begeistert ist* :D Paar kleine Fehlerchen haste au drin, aber die sin nich wirklich der Rede wert. =) Freu mich schon auf weitere Kapitel :DDDD *Kekse dalass*
LG

P.S.: hab ich dir schon die Links gegeben zu der 7 - Teiligen Doku über Tuomas? o.O Wenn nicht, sag bescheid, dann schick ich se dir =)


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