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Show me Love

von

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Ewiger Streit......

Als die U-Bahn in den Tunnel einfuhr und in dem Waggon das Licht anging, konnte Gackt sein Gesicht im Fenster sehen. Und er sah, dass er lächelte. Fassungslos schaute er dieses Gesicht an, das ihm vorkam wie ein Fremdes. Er lächelte!
 

Ja, es kam ihm vor, als habe er eben sogar ein Lied gesummt, vielleicht nicht laut, doch die Melodie war immer noch in seinem Kopf. Er starrte sein Spiegelbild an.
 

„Hey“, flüsterte er, „ Bist du das, alter Freund? Warum bist du nur auf einmal so gut drauf? Nur, weil du eine Verabredung zum Kino hast? Mit einem gewissen Hyde, den du schon seit genau drei Jahren kennst, weil ihr nämlich im selben Klassenzimmer sitzt, Tag für Tag…

Kannst du dich nicht erinnern, dass du sie früher immer genauso albern wie Tetsu fandest? Oder schlimmer, wie dieser Chacha und Ken? Alles vergessen? Was ist denn nur los mit dir?“
 

Die U- Bahn schoss wieder aus dem Tunnel heraus und er sah sein Gesicht jetzt zwischen vorbeihuschenden Bäumen und auf Häuserfassaden. Die Bäume hatten keine Blätter, die Balkone keine Blumen, die Häuser waren Grau wie der Himmel und es begann wieder zu regnen, aber Gackt lächelte trotzdem. Es gefiel ihm, so sehr dass er sein lächelndes Gesicht eine Weile behalten wollte.
 

Er überlegte sich, wann er von zuhause los musste, um rechtzeitig vor dem Kino zu sein. Vor lauter Gedanken hätte er beinahe die Station verpasst, er bemerkte es erst, als die Fahrgäste ausgestiegen waren und die anderen vom Bahnsteig schon hineindrängten. Gackt schnappte sich seinen Rucksack und drängte sich durch die Leute, jemand fluchte, doch Gackt lächelte weiter. Er ging mit seinem typisch federnden Schritt zur Rolltreppe. Hielt sich am Geländer fest und stellte sich mit einem Bein auf die Stufe, das andere winkelte er an, um auszuholen für den Sprung. Gackt sprang immer noch fünf Stufen vorher ab. Aus keinem besonderen Grund, er hatte es sich eben so angewöhnt.
 

Vor dem Zeitungskiosk von Toshi lehnten die Fahrräder der Austräger. Hier hatte er auch schon gearbeitet, bis man ihm sein Fahrrad gestohlen und er dadurch seinen Job verloren hatte. Gackt blieb einen Augenblick stehen und betrachtete die Zeitungsstapel, die gebündelt auf dem Bürgersteig lagen. Er las sich die Sonderangebote im Mini Markt durch, irgendwelche Crevetten wurden billiger. Und noch eine Vielzahl an anderen Produkten. Im Winter wurden viele Dinge, die man zum Grillen benötigte günstiger und nach Weihnachten wurde sowieso alles preiswerter, weil die Leute kein Geld mehr hatten. Alles für das Fest ausgegeben, na ja so dachte es sich Gackt zumindest.
 

Eigentlich wollte er auch gar nicht an solch ein Fest denken, denn sein Letztes war ein einziger Alptraum gewesen. Vom 22. Dezember bis Neujahr, jeder Tag noch eine größere Katastrophe. Lieber nicht daran denken. Aber warum die Leute gerade an Weihnachten oder anderen Festen, die man mit der Familie verbrachte, immer besonders sentimental wurden und wieso sie deshalb ausrasteten, das müsste ihm mal jemand erklären. Er jedenfalls hatte noch nie so viel im Bett rumgelungert wie in diesen Ferien – eigentlich war er aus dem Bett überhaupt nicht mehr herausgekommen. Jedenfalls dann nicht, wenn seine Eltern gemeinsam in der Wohnung waren und sich unentwegt angifteten. Lieber nicht daran denken. Lieber an was anderes. Was noch mal genau? Ach ja, an Hyde, den süßen wundervollen Hyde.

Einen Horrorfilm sehen mit ihm. Wer hätte gedacht, dass er auf solche Filme steht. Die Melodie in seinem Kopf war immer noch da, er summte leise vor sich hin. Ein Hund raste quer vor ihm über den Bürgersteig und verschwand unter einem Lieferwagen.
 

„Pass auf Kumpel“, rief Gackt, „Der Laster!“
 

Er hob den Kopf, um zu sehen, ob der Hund heil über die Strasse gekommen war und erstarrte.

Auf der anderen Straßenseite stand sein Vater, war einfach plötzlich da. Gackt spürte, wie er sich verkrampfte, die Musik in seinem Kopf war weg. Wie ausgeknipst, genau wie das Lächeln… Hatte er je gelächelt?

War er irgendwann in der letzen halben Stunde wirklich guter Laune gewesen?

Sein Vater winkte. Es war zu spät, um einfach weiterzugehen und so zu tun, als habe er ihn nicht gesehen. Sein Vater winkte mit beiden Armen. Er trug keinen Wintermantel, nur dieses Jackett, das er seit einem Jahr jeden Tag trug und das ausgebeulte Taschen und einen abgewetzten Kragen hatte. Darunter einen dieser Baumwollpullis mit einem Reißverschluss.
 

Gackt blickte nach rechts und links. Autos von beiden Seiten. Also noch eine kleine Verschnaufpause. Sein Vater gestikulierte auf der anderen Seite. Die Passanten machten einen Bogen um ihn.
 

„Ich muss mit dir reden!“, brüllte er, „Renn nicht weg!“
 

Als wenn ich weglaufen würde, dachte Gackt. Ich bin doch kein Baby. Ich halte das schon aus, ich halte alles aus. Er setzte einen Fuß auf den Asphalt, sein Atem ging schwer, er bekam schon wieder keine Luft. Doch das ging niemanden etwas an. Nur ihn alleine. Seinen Vater schon gar nicht. Er wartete, zog ganz langsam die Luft ein. Nicht aufregen, nicht in Panik geraten, dann wird es nur schlimmer. Ganz langsam tief Luft holen, bis weit in die Lungen, eine Weile so verharren, ausatmen.

Sein Vater stürzte über die Strasse auf ihn zu, mit ausgebreiteten Armen, er lächelte, doch er sah furchtbar aus.
 

„Was ist, Kleiner, willst du warten, bis sie hier eine Ampel für dich bauen, die jedes Mal, wenn du die Strasse betrittst, auf Grün schaltet?“
 

Sein Vater grinste, Gackt verzog das Gesicht.
 

„Komm Kleiner, lach mal.“

„Ich lach doch“, meinte Gackt

„War doch ein guter Joke, oder etwa nicht?“

„Besser als mancher andere.“

„Oh Mann, der Herr Sohn ist schlecht gelaunt. Was ist passiert?“

„Das weißt du doch am besten.“ Gackt umklammerte den Schulterriemen seines Rucksackes. Er brauchte was, an dem er sich festhalten konnte.
 

„Wegen deiner Mutter? Was hat sie dir denn erzählt?“

„Nichts, was ich nicht vorher schon gewusst hab“, brummte der Blonde „Warum könnt ihr euch nicht wie andere Eltern verstehen? Warum geht das nicht? Warum ist bei uns immer alles beschissen?!“

„Bei anderen Leuten ist auch nicht alles süßer Honig“, sagte sein Vater, „Außerdem ist noch nicht aller Tage Abend, es kommen auch wieder bessere Zeiten.“

„Mann, wenn man dir zuhört, wie du redest!“

„Wie red ich denn?“
 

Gackt zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Alles, so auswendig gelernte Sprüche. Nicht aller Tage Abend, Mensch ich bin siebzehn! Warum sollte für mich aller Tage Abend sein?! Ich will nichts anderes als ein normales Zuhause. Warum ist das so schwer zu kapieren?!“

„Ich hab mich bemüht, Kleiner, das weißt du, aber es ist nicht einfach. Der Job, deine Mutter, die immer so nervös ist, die politischen Zeiten. Hör dich mal um, anderen geht es auch nicht besser.“

„Andere haben kein leeres Wohnzimmer.“ Gackt bückte sich, um den Hund zu streicheln, der eine Weile neben ihm hergegangen war, ganz nah an ihm. Doch als er jetzt sein Fell berührte, jagte der Hund in Panik davon. Auch so ein Einzelgänger, dachte sich Gackt, der nichts an sich ran lassen will. Er blickte wieder seinen Vater an.
 

„Ich dachte, die Schreibtischlampe hättest du mir geschenkt?“
 

Sein Vater lachte aus voller Kehle. Richtig erleichtert hörte es sich an.
 

„Oh die Lampe, ach du, natürlich hatte ich dir die geschenkt. Wie konnte ich dich nur so enttäuschen, dir einfach die blöde Lampe wegzunehmen.“ Er hörte einfach nicht auf zu lachen.

„Genau, wie konntest du das nur machen!!!“
 

Gackt versuchte seine Stimme so kühl klingen lassen wie Phillip Marlowe.
 

„Junge, Kleiner! Deshalb bin ich gekommen. Ich wollte es dir selbst sagen.“

„Was?“
 

Gackt blieb stehen, blickte zu seinem Vater auf. Sein Vater war mindestens ein halben Kopf größer und doppelt so breit wie Gackt. Ein muskulöser Mann, mit einem großen freundlichen Mund. Und schönen sanften Augen. Nicht zu fassen, wenn er jemanden erzählen würde, dass sein Vater schon mal von der Polizei abgeführt worden war, weil er seine Mutter halb tot geprügelt hatte, das würde ihm keiner glauben. Nachher hat es ihm ja auch wahnsinnig leid getan, schrecklich leid. Wie er da geweint hatte. Richtig geschluchzt. Und sie beide um Verzeihung gebeten, Gackt und seine Mutter. Damals war Gackt acht Jahre alt gewesen und hatte, während sich die Eltern stritten, vor Angst in die Hose gemacht. Das würde er seinem Vater nie im Leben verzeihen, dass er ihn dazu gebracht hatte, mit acht Jahren noch in die Hose zu machen. Aber daran wollte er lieber nicht mehr denken. Er schämte sich immer noch dafür. Es gab Sachen, die fallen einem immer wieder ein, und jedes Mal wird man wieder rot und denkt: Ey, das darf echt nie ein Mensch erfahren, nie im Leben!
 

Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter, eine Pranke, die eine Tonne wog.

„Komm, wir gehen was essen. Eine gute Schüssel Ramen Wie klingt das?“

„Ich hab keinen Hunger.“

„Klar hast du Hunger! Jeder Mensch hat Hunger!“

Gackt gab zögernd nach: „Okay, aber nur am Imbiss.“

„Warum denn das? Wir setzen uns schön wohin. Dann können wir richtig reden und gemütlich dabei essen. Im Stehen essen ist ungesund.“

„Du willst doch bloß was trinken“, sagte Gackt.
 

Sein Vater blickte ihm in die Augen, mit seinen braunen Augen, die so treu und ehrlich waren wie Hundeaugen.

„Junge, traust du mir das zu? Heute? Wo ich mich bei dir entschuldigen will?“

„ Ich trau dir alles zu“, meinte Gackt.
 

Sein Vater schnaubte nur.
 

„Außerdem hab ich keinen Hunger. Also, was willst du mir sagen?“
 

Sein Vater holte tief Luft, er knurrte etwas, er war jetzt nicht mehr so gut gelaunt und Gackt hatte auch nicht das Gefühl, dass er sich wirklich entschuldigen wollte.
 

„Gut, wenn du es eilig hast…“ Sein Vater blickte ihn durchdringend an. Die steile Falte auf seiner Stirn wurde tiefer.
 

„Ja“, sagte Gackt, „Ich hab nachher noch etwas vor.“

„Ah klar, das ist natürlich wichtiger als ein Gespräch mit seinem Vater.“

Gackt stöhnte leise auf, „Rate mal, wie oft wir schon versucht haben miteinander zu reden. Wie viel tausendmal. Und was es letzten Endes gebracht hat!“

„Natürlich gibst du mir die Schuld“, schnaubte sein Vater.

„Nein, tu ich nicht. Es ist mir inzwischen egal, wer die Schuld hat. Ich will bloß nicht darüber reden. Was ist nun mit der Lampe?“

Sein Vater zögerte, „Du könntest sie zurückhaben.“

„Bedingungen?“, fragte Gackt.

„Dass du heute Nachmittag mit mir kommst. Ich will dir was zeigen.“

„Heute geht aber nicht.“

„Es ist aber wichtig!“

„Okay, morgen. Was willst du mir zeigen?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Offenbar interessiert es dich auch nicht besonders, sonst würdest du gleich heute mitkommen.“

„Vater, ich hab heute etwas vor. Das hab ich schon zweimal gesagt. Was willst du mir zeigen?“

„Meine neue Arbeitsstelle.“

„Du hast eine neue Arbeit?“, Jetzt war Gackt wirklich überrascht, sein Vater lächelte stolz.

„Jawohl. Eine sehr gute Spedition, fahren immer Japan - Kiew und zurück.“

„Prima, freut mich“, lächelte Gackt nun ein wenig, „Dann kannst du Mutter ja ein wenig Geld geben, sie ist nämlich total pleite.“

„Wer ist das nicht heutzutage?“
 

Gackts Vater steckte seine großen Hände in die Jackentasche und holte ein paar Yen aus ihr und stopfte die Scheine in die Jackentasche von Gackt.
 

„Das ist schon mal eine kleine Anzahlung.“

„Oh“, meinte der Blonde überrascht, „Danke.“

„Du musst dich nicht bedanken. Ich weiß selbst, dass ich dir seit Monaten kein Taschengeld mehr bezahlt habe.“

„Stimmt“, sagte Gackt, „deshalb fall ich dir ja auch nicht gleich aus Dankbarkeit um den Hals.“

„Also, wann kommst du dir meine neue Wohnung ansehen?“

„Ich weiß noch nicht, nächste Woche vielleicht, hängt von der Menge der Schularbeiten ab.“
 

Eigentlich hatte der Blonde überhaupt keine Lust zu seinem Vater zu fahren. Er fürchtete sich davor, mit ihm allein in einer fremden Wohnung zu sein. Das hatte etwas Unberechenbares. Er wusste schließlich nicht, in welcher Stimmung er seinen Vater antreffen würde. Und es gab Stimmungen, da war man besser weit weg.

Wer Gackt jetzt beobachtete, wie er mit seinem Vater die Strasse hinunterschlenderte, wäre nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, dass Gackt Panik vor ihm hatte. Doch Gackt hatte Angst. Immer, wenn er mit seinem Vater zusammen sein musste, war er in Alarmbereitschaft. Man wusste nie, wann dessen Laune umschlug, wie lange er es durchhielt, so leutselig und freundlich zu sein, den lieben Papa zu spielen.

Manchmal hielt er einen halben Tag durch, manchmal aber auch nur eine halbe Stunde.

Gackt blieb stehen.
 

„Ich komm doch nicht mit essen“, meinte er leise, „Es ist schon spät. Und ich muss noch etwas für die Schule machen, bevor ich los muss.“

„Was ist das denn für eine Verabredung?“

Gackt zögerte. Sein Vater lächelte, zwinkerte kumpelhaft. „Musst gar nichts sagen. Es ist eine Frau nicht?“

Der Blonde nickte ein wenig beklommen.

„Eine aus der Schule?“

Gackt nickte wieder.

„Und? Ist sie hübsch?“

„Ja, glaub schon“, murmelte Gackt, da er sich an keines der Mädels in der Klasse erinnern konnte und er würde sich lieber die Zunge abbeißen, als seinem Vater zu sagen, dass es sich um einen Jungen handelte. Er war froh, als sein Vater nicht mehr auf das Thema einging.
 

„Na dann muss ich dich wohl ziehen lassen, wenigstens hab ich mit dir sprechen können und weiss, dass du nicht mehr böse auf mich bist. Und die Lampe nimmst du mit, wenn du mich besuchst. Ist das ein Angebot?“
 

Gackt nickte.
 

„Deine Mutter beobachtet uns übrigens die ganze Zeit“, sagte sein Vater.
 

Der Blonde wirbelte herum. Er bemerkte jetzt erst, dass sie wieder vor seinem Haus angekommen waren. Seine Mutter stand am Küchenfenster. Das Fenster war geschlossen, aber man konnte ihre Silhouette sehr klar gegen den Kegel der runden Glaslampe sehen. Unbeweglich stand sie da und starrte auf die Strasse herunter.

Auch das noch, dachte Gackt. Jetzt löchert sie mich, was Vater wollte, was er gesagt hat und was ich geantwortet hab. Und gibt nicht Ruhe, bis sie haarklein alles weiß. Nur um sich dann noch mehr aufzuregen. Egal, was er sagen würde. Sie würde sich immer aufregen, das wusste Gackt. Ob er lügen oder die Wahrheit sagen würde, ganz egal. Allein die Tatsache, dass er mit seinem Vater gesprochen hatte, lange und offenbar freundschaftlich und noch vor dem Haus. Sodass alle Nachbarn es mitbekamen, das würde seine Mutter für Verrat halten.

Denn sie dachte, dass Gackt und sie auf einer Seite kämpften. Und sein Vater auf der anderen. Aber der Blonde war sich da nicht hundertprozentig sicher. Denn es gab immer noch winzige Augenblicke, in denen er seinen Vater liebte, oder etwas empfand, was er für Sohnesliebe hielt.
 

Es war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte: Als Gackt die Wohnungstüre aufschloss, stand seine Mutter im Flur, die Hände in die Hüfte gestemmt.
 

„Na? Was hat er gesagt?“, rief sie.

Gackt seufze. „Ich muss Schularbeiten machen.“
 

Er versuchte an seiner Mutter vorbeizugehen. Aber sie stellte sich ihm in den Weg.
 

„Nein, du machst nicht Schularbeiten! Wem interessieren diese überhaupt, wenn bei uns die Hölle los ist?!“

„Gut dass du es endlich einsiehst“, Gackt schob seine Mutter grob zur Seite.

„Dass bei uns die Hölle ist? Ja, ist das vielleicht meine Schuld?“
 

Seine Mutter folgte ihm, zu Gackts Leidwesen war sie schneller im Zimmer als er seine Zimmettüre zuschlagen konnte.
 

„Mensch Mutter, warum lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe?“

„Gleich, Gackto, gleich lass ich dich in Ruhe. Ich will nur wissen, welche Lügengeschichten dein Vater dir erzählt hat. Über das hier, das Ende, seinen letzten großen Auftritt?“

„Wir haben über etwas anderes gesprochen.“
 

Gackt setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl und zog die Schlappen von den Füssen, dann zog er sich seine Socken aus. Er lebte ständig in Panik, Schweißfüsse zu haben. Er wollte auf jeden Fall frische Socken anziehen, wenn er sich mit Hyde traf. Nicht, dass er ihm seine Füße auf den Schoss legen wollte. Aber trotzdem. Es war ein besseres Gefühl, mit sauberen Socken neben ihm zu sitzen.
 

„Was soll das denn?“ Seine Mutter starrte ihn an. „Willst du am helllichten Tag ins Bett gehen? Ist das deine Antwort auf alles? Sich einfach ins Bett zu verkriechen?“

„Ich zieh mir bloß frische Socken an, reg dich nicht auf.“
 

Seine Mutter setzte sich auf die Bettkante. Sie sah blass aus, müde und elend. Eigentlich tat sie ihm leid. Sie machte sich Sorgen um die Zukunft, um ihr Leben, auch um sein Leben, das wusste er. Bestimmt dachte seine Mutter öfters über ihn nach als sein Vater, der war auch meistens gar nicht in der Lage dazu.
 

„Ziehst du zweimal am Tag frische Socken an?“, fragte sie fassungslos. „Was ist das für ein neuer Tick?“

„Überhaupt kein Tick, ich hatte bloß Lust dazu.“ Er blickte seine Mutter kampfbereit an. Wenn du wegen dieser Sache Krieg haben willst, dachte er, kannst du ihn haben.
 

„Und ich stell mich nach der Arbeit hin und wasch dem Herrn die Socken, ja? Stellst du dir das so vor?“

„Ich mach es selbst, reg dich nicht auf.“ Gackt hob die schmutzigen Socken auf und ging an seiner Mutter vorbei. Als er die Küche betrat, öffnete er die Tür der Waschmaschine und warf die Socken herein. Als er sich umdrehte, war seine Mutter schon hinter ihm.
 

„Bist du verrückt?“, schrie sie. „Wegen ein paar Socken die Waschmaschine anzustellen?“

„Hab ich gesagt, dass ich sie anstellen will?“ Gackt griff sich an den Kopf. „Oh Mann, ich halt das alles einfach nicht mehr aus!“

„Hat dein Vater gesagt, dass er eine neue Arbeit hat?“, fragte sie und folgre ihm wieder über den Flur in sein Zimmer.

„Ja, hat er.“

„Bei dieser Firma die Sachen nach Russland importiert?“

„Ja. Wenn du es weißt, warum fragst du mich dann?“

„Ich wollte nur wissen, ob er uns beiden verschiedene Lügen erzählt. Du glaubst doch nicht etwa, dass das wahr ist?“

„Warum sollte es gelogen sein?“

„Denk doch mal nach, Junge, weil dein Vater schon seit Jahren keinen Führerschein hat! Weil sie ihm den dreimal abgenommen haben, zweimal wegen Trunkenheit und einmal, weil er diesen Unfall hatte, bei dem zwei Menschen verletzt wurden.“
 

Scheisse, dachte Gackt, das stimmt. Warum hab ich das vergessen? Warum erzählt er dann solch einen Mist?

Er spürte, dass seine Mutter ihn beobachtete, in seinem Gesicht zu lesen versuchte. Trotzig hob er den Blick. „Er hat nicht gesagt, dass er als Fahrer eingestellt wurde. Er kann doch Beifahrer sein, oder? Einfach nur Packer. Die brauchen jemanden, der den Laster fährt und jemanden, der die schweren Kisten umlädt und so. Was meinst du, wie schwer die sind?“
 

Seine Mutter schwieg. Sie blickte ihn an und hatte Tränen in den Augen. Sie kam zu ihm, nahm ihn in den Arm, bevor er sich abwenden konnte und küsste ihn.

„Mein Junge, es tut mir so leid, so leid.“ Sie strubbelte durch seine blonden Haare und küsste ihn immer wieder. Gackt schloss die Augen, warum lassen die mich nicht in Ruhe, warum ziehen sie mich immer in den Kram mit rein.

„Du nimmst ihn immer noch in Schutz, deinen Vater.“ Seine Mutter lächelte unter Tränen, wischte mit dem Handrücken die Tränen von der Wange, verschmierte ihre Wimperntusche, aber merkte es nicht. „Du liebst ihn immer noch, nach allem, was er dir angetan hat.“

„Mir hat er nichts getan“, murmelte Gackt, „Ich bin ja nicht mit ihm verheiratet gewesen.“

„Aber du bist sein Sohn!“
 

Der Blonde schwieg. Er wartete mit hängenden Armen, bis seine Mutter ihn endlich wieder losließ.
 

„Sonst hat er nichts gesagt?“

„Nein“, meinte Gackt, „Kann ich nun meine Schularbeiten machen?! Bitte!“

„Klar. Nur noch eine Frage: Hat er sich entschuldigt wegen heute Nacht, dass er im Flur randaliert hat? Hat er sich da nur ein einziges Mal schuldig gefühlt?“

„Mutter, bitte, frag ihn selbst, wenn du das wissen willst. Ich hab genug, verstehst du?“ Er starrte seine Mutter an, als wolle er sie hypnotisieren. „Ich kann nicht mehr! Verstehst du das?! Lass mich in Ruhe verdammt noch mal.“
 

Er schob sie einfach aus dem Zimmer und knallte die Türe zu. Sofort schnappte er nach Luft, warf sich aufs Bett, die Augen geschlossen. Langsam atmen, dachte er. Vorsichtig atmen. Dann kommt es wieder. Wenn ich mich nicht aufrege, hab ich genug Luft. Und ich ersticke nicht. langsam und ruhig. Dann geht es schon. Es geht immer. Siehst du? Schon besser. Kein Grund zur Panik.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  cute-hasi_to_Mars
2007-10-05T10:18:53+00:00 05.10.2007 12:18
jaaaaaaaa endlich geht es weiter. ^w^
jaja der "liebe" vater. ich wäre auch immer noch misstrauisch nach allem was der angestellt hat! >_>
aber die mutter ist echt schlimm. >.< ich weiß sie meint es nicht böse, aber dieses ausgefrage kann ich auf den tod nicht ausstehen!!!

freu mich aufs nächste kappi und den kino-besuch der beiden. ^.~
das Hasi
Von:  Kimiko02
2007-10-04T19:16:47+00:00 04.10.2007 21:16
Wow, endlich geht es weiter!! *freu*
Aber nach so nem Kapitel muss ich auch erstmal nach Luft schnappen ^^;
Hat der Vater sie eigentlich noch alle? o_O
Das hab ich mir an der Stelle gedacht als er da lächelnd und winkend auf der anderen Straßenseite stand *drop*
Der arme Gackt kann einem echt Leid tun mit zwei derart gestörten Eltern ^^;
Ich frage mich ja echt, was der Vater denn mit dem ganzen Treffen bezweckt hat bzw. was er ihm wirklich zeigen wollte ... das mit dem Job ist ja nun nicht mehr wirklich glaubwürdig ... nur woher hat er dann das Geld o_O
Und als wär das Treffen mit dem Vater nicht schlimm genug, nervt ihn seine Mutter dann auch noch ^^;
Übrigens seine Sorge mit den Socken kommt mir nur allzubekannt vor ... aber ich trage nunmal am liebsten Turnschuhe ^^;;

Du siehst also, du hast es mal wieder wunderschön hinbekommen, dass man sich total in die Story hineinversetzen kann ^_^
Ich hoffe nur, dass bald auch wieder schönere Dinge passieren und dass das Treffen mit Hyde nicht auch im Chaos endet. Das wäre nicht schön >_<
Freu mich schon aufs nächste Kapitel!!!
Von:  Tatsu-addict
2007-10-04T14:04:30+00:00 04.10.2007 16:04
mir gefällt es gut
*grins*
vorallem, dass man mal mehr über den vater erfährt.
allerdings ist der mir immernoch sehr unsympathisch...
ich freu mich schon auf das nächste kapi!
*knuddel*
Von:  Ruki_
2007-10-03T23:22:58+00:00 04.10.2007 01:22
also mir gefällt deine ff sehr gut, nicht nur wegen dem pairing (was ich übrigens total mag^^), sonder auch wegen deinem schreibstil, der is nämlich echt klasse ^__^ was ich auch noch gut finde is das du über die probleme schreibst, denn es gibt ja viele jugendliche wo die realität leider so aussieht.
ich merke grad ich sollte um diese uhrzeit lieber keine kommis mehr schreiben, denn irgendwie kann ich mich nicht so gut grad ausdrücken^^°
gomen!!!
kurz gesagt:
deine ff is klasse! ^____^

LG
Moe_chan


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