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50 Themes

The Wammy Boys
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06 Rain [Mello und Near]

Der Regen prasselte leise gegen die Fenster und zog die Streifen an den Scheiben lang. Durch das Glas versank draußen alles in einem nebeligen, konturlosen Farbgemisch aus dem Grau des Himmels und der alten Steine der Gebäude und dem blassen Grün des Gartens, der langsam dem Druck des Frühherbstes nachzugeben begann.
 

Near saß auf der Marmorfensterbank und sah nach draußen. Er hatte die Beine an den Körper gezogen und seine nackten Füße auf den kalten, ebenso nackten Stein gesetzt. Die Kälte störte ihn nicht. Nachdenklich wickelte er eine seiner weißen Locken, die ihm wirr ins Gesicht fielen, um den Finger, bis es fast schmerzte, ließ sie dann los und begann erneut.
 

Der Regen wurde stärker und wusch den Schmutz, den die Pollen der Bäume am Glas abgesetzt hatten, von den Fenstern. Mittlerweile war die Scheibe ein Wasserfall – nicht mehr einzelne Tropfen, die sich an das kalte Glas klammerten, sondern ein durchgängiges Wasserbild, verschwommen und ständig in Bewegung. Der Himmel verfinsterte sich immer mehr und die dunklen Wolken am Horizont, die über die Dächer der Stadt zogen, kündigten ein Gewitter an.
 

Regen entstand in der oberen Troposphäre. Kleine Eiskristalle wirkten als Kondensationskeime, die Feuchtigkeit sammelten und durch Druck schmolzen und schließlich als Tropfen wieder zur Erde fielen. Das war die allgemeine Definition. Sie war fehlerlos und rational. Regen war ein ständiger, simpler Prozess, der sich immer wieder wiederholte.
 

Near hörte wie jemand die alten Holzstufen zum zweiten Stock hinaufkam und von seiner schnellen, harten Gangart, die Unzufriedenheit in jedem Schritt schrie, konnte er erkennen, dass es Mello sein musste. Es blitzte einmal.
 

Die Tür flog kraftvoll auf und schlug hart gegen die Wand.
 

„Verdammter Scheißdreck, dieses Pisswetter.“ Mello fuhr sich durch die nassen, blonden Haare, die ihm im Gesicht klebten und von denen kleine Tropfen auf seine Wimpern fielen, so dass er blinzeln musste. Er trat seine Lederstiefel lautstark in die Ecke und sie polterten gegen die Wand. Er kümmerte sich nicht darum, dass der Parkettboden unter ihm sich langsam dunkel färbte.
 

Von seiner geschützten Platz auf der Fensterbank betrachtete Near ihn. Dann sah er wieder nach draußen.
 

„Scheiße, schau dir das an – ich bin klatschnass. Weißt du, was das bei Leder bedeutet? Ich kann das Zeug wegwerfen.“ Barfuss waren seine Schritte leise. Nur der Saum seiner Hose, die nass und ohne die Absätze seiner Stiefel an seinen Fersen haftete und über den Boden schleifte, zeigte, dass er sich überhaupt bewegte. Er stellte sich auch an das Fenster und sah hinaus, als würde er erwarten, dort etwas Außergewöhnliches zu sehen.
 

Near sah nachdenklich nach draußen. „Behold, he cometh with clouds; and every eye shall see him, and they also which pierced him: and all kindreds of the earth shall wail because of him”, rezitierte er und began wieder damit, eine seiner Strähnen um seinen Finger zu wickeln.
 

Mello sah ihn langsam an und hob eine Augenbraue. Near schenkte ihm nur einen kurzen Blick und dann sahen beide wieder zum Fenster hinaus.
 

Sie schwiegen eine Weile, beide verloren im Geräusch des Regens und des leisen Donners in der Ferne. Irgendwann erwiderte Mello: „Offenbarung des Johannes, 1.“ Dann schnaubte er abfällig und fügte noch verächtlich hinzu: „Es ist nur Regen. Es pisst. Ich bin nicht durch dieses Scheißwetter gelaufen, um mir deine melancholischen Auswüchse anzutun.“ Es blitzte wieder.
 

Near zuckte mit den Schultern und stieg von der Fensterbank hinunter. Mello zog die Augenbrauen wütend zusammen, aber anstatt etwas zu sagen, ballte er nur die Hände zu Fäusten.
 

Auf dem Sekretär lagen einige Dokumente. Near nahm sie, drehte sich wieder herum und reichte sie Mello, der ihm widerwillig die zwei Schritte entgegenkam und ihm die Papiere förmlich aus der Hand riss. Er überflog sie kurz und sein Mundwinkel begann zu zucken. Near hatte sich abgewandt und auf den Boden gesetzt, in mitten einer strukturierten Bausteinlandschaft. Ein Turm war durch Mellos Stiefel eingestürzt.
 

Er war gerade dabei, ihn wieder zu errichten, da unterbrach Mellos vor Wut zitternde Stimme die Stille des Raumes und den ausgeschlossenen Regen.
 

„Vergiss es, ich bin nicht dein verfluchter Handlanger. Du Bastard! Ich arbeite nicht für dich.“ Er knirschte mit den Zähnen und warf Near die Papiere vor die Füße.
 

Der sah nur langsam auf und zog eine Augenbraue hoch. „Ich dachte, du seist auch nicht gut auf diese Person zu sprechen. Habe ich mich etwa geirrt?“
 

„Hast du nicht und das weißt du auch, du Bastard.“
 

Es klickte, als ein Baustein auf dem anderen einrastete. „Dann wäre es doch auch von Vorteil für dich, wenn er dingfest gemacht würde.“
 

Die Lederhandschuhe knirschten, als Mello die Hände zu Fäusten ballte. „Aber ich arbeite nicht für dich, Drecksschwein. Ich kann nicht glauben, dass du mich für diesen Scheiß angerufen hast!“
 

Near antwortete nicht. Es blitzte. Der Donner ließ einige Sekunden auf sich warten.
 

Irgendwann, nach einigen Minuten, in denen Mello versuchte, seinen Zorn zu kontrollieren und Near das Grundgerüst seines Turmes vollendete, blitzte es wieder.
 

Mello schnaubte abfällig und setzte sich widerwillig auf den nassen Parkettboden. Er riss die Blätter an sich. „Dass wir uns nicht falsch verstehen, ich mache das nur für mich! Und ich mache das auf meine Weise, also schmier dir das ab mit dem verfluchten Dingfestmachen.“ Er blätterte wütend durch die Dokumente. „Außerdem habe ich keine Lust, durch dieses beschissene Kackwetter zurückzulaufen, klar?“
 

Er erhielt keine Antwort. Nur das Einrasten eines weiteren Bausteins und Nears abgewandter Rücken.
 

Sie saßen so eine ganze Weile da. Draußen schlug der Regen gegen die Fensterscheiben, als wolle er Einlass verlangen. Nur das Rascheln der Blätter und das Klicken der Bausteine störte hin und wieder die konstante Geräuschkulisse der Tropfen gegen das Glas.
 

Plötzlich blitzte es hell auf und der Donner krachte fast gleichzeitig gegen die Häuserdächer. Mello sah von seinen Dokumenten auf und Near von seinem Projekt und beide sahen sich an und beide merkten, dass Mello unruhig mit den Fingern über seinen Rosenkranz fuhr und dass Near sich auf die Lippe biss und seine Hand, die durch seine Haare gefahren war, zum Stillstand gekommen war, aber beide sagten nichts. Ein Blick wurde ausgetauscht und dann wandten sich entschieden wieder ihren Aufgaben zu.
 

Sie saßen noch lange auf dem Fußboden, die Rücken zueinander. Das Gewitter zog vorbei und danach klarte der Himmel auf und es wurde ein schöner Tag.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  shinu
2007-11-20T21:15:16+00:00 20.11.2007 22:15
also als erstes: ich bin einfach sprachlos...
mir fehlen die worte um rüberzubringen, wie gut ich allein dieses erste kapitel fand. aber ich versuche es einfach mal ~.^
deinen schreibstil finde ich einfach fantastisch =) wie du die szenerie beschrieben hast, near, mello, ihr handeln und und und...diese ganze atmosphäre...da kann ich M-san und makei-san einfach nur nickend zustimmen. ich hielt es immer für schwierig ausgerechnet für DN eine fanfic zu schreiben(nja, das ist etwas falsch ausgedrückt, da ich selbst nicht schreibe, sondern eher lese) aber du hast das hervorragend gemeistert finde ich. meine achtung hast du. vorallem mag ich die stimmung die du erzeugt hast und dieses...brizzeln(?) zwischen den beiden =)
freue mich darauf noch mehr von dir zu lesen.

lgruß
shinu
Von:  maykei
2007-05-17T10:03:10+00:00 17.05.2007 12:03
baohr, ich bin baff. Du kannst mit einfachen Worten und Sätzen unglaublich dichte Atmopheren erschaffen, die nicht nur um Geiste schöne Bilder zeigen, sondern auch noch eine ganz einmalige, suggerive Botschaft übermitteln.
Dein Stil erinnert mich ein wenig an Murakami, nur dass er nicht so apathisch ist. Ich muss ja sagen, dass ich lange gezögert habe, bis ich auf animexx eine death note FF lesen wolle, denn diese Serie ein unglaublich schwieriger Stoff, aber ich muss sagen, es hat sich schon allein wegen dieser FF gelohnt!
Besonders gefiel mir die erst und zweite. Die Charaktere sind einfach unglaublich gut getroffen und du übermittelst wirklich total gut ihre innere Stimmung ohne auch nur einmal zu sagen, wie es ihnen geht. Bei Snow hat man L's Passivität regelrecht spüren können, diesen Vorwärtswollen, aber gleichzeitig ruhige, paralyzierte Verweilen.. einfach nur klasse.

lg

maykei
Von:  Anshie
2007-04-18T13:57:29+00:00 18.04.2007 15:57
Etwas hast du VERDAMMT gut drauf. Und zwar etwas, worum ich dich beneide, denn das lasse ich gerne außer acht: Die Beschreibung der Umgebung. Du beschreibst den Regen, die Fenster, den Himmel und das alles wunderbar detailliert und dabei auch noch kreativ. Es wirkt nicht wie aus einem billigen Roman abgetippt sondern eigenständig überlegt und vermittelt ein ganz deutliches Bild davon, wie du diesen Regen siehst, dir die Szene vorstellst und was für eine Atmosphäre dadurch entsteht. Das ist eine Gabe!
Nebenbei hast du auch Nears und Mellos Charakter wieder toll getroffen. Mellos Sprachniveau, das sich so deutlich von Nears unterscheidet. Einfach klasse.
Am Ende hab ich irgendwie noch eine Pointe (shit, schreibt man das so? ><) erwartet - irgend eine überraschende Wendung (dass Mello doch zusagt mit zu arbeiten hab ich jetzt nicht weiter als diese gesehen). Aber es ist auch ohne wirklich gut. ^^

lg
Raito
Von:  M
2007-04-12T12:52:49+00:00 12.04.2007 14:52
Ich mag es sehr! Was du wirklich unheimlich gut wiedergegeben hast, sind die unterschiedlichen Gemütszustände der beiden. Vor allem bei Mello, dem man diese unterschwellige Wut und Angespanntheit wirklich durch all diese kleinen Gesten anmerkt, das Zerren am Papier, das Zucken der Mundwinkel. Allein schon, wie du die Schritte seiner Stiefel beschreibst. Man spürt eine Menge von diesem Zorn, der später mal Konsequenzen haben wird.
Die Situation gefällt mir auch ... so in etwa stelle ich es mir auch vor, wenn die beiden sich begegnen ... diese Widerwilligkeit und diese Probleme, miteinander zu reden. Und auch, daß die Initiative dazu von Near kommt. Diese unbehagliche, immer unruhige Atmosphäre zwischen den beiden finde ich unheimlich passend.
Von dem Bibelzitat war ich überrascht ... ich halte Near immer für zu nüchtern, um sowas zu bringen, aber andererseits paßt es sehr gut zu dem, was ich mir unter seiner Erziehung vorstelle. Und daß Mello betonen muß, daß er das Zitat kennt. Ich war erstaunt, daß Mello so viel flucht, ich glaube, das macht er in der Serie nicht, aber das hat diese innere Nervosität betont, die ihn auszeichnet.

Ach, ich liebe melancholische M/N-Oneshots. Vor allem mit so vielen schönen stillen Beobachtungen. Danke!

M


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