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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 8

Kapitel 8
 

’Fühlst du dich auch oft allein und wünschst dir jemanden an die Seite, der dich einfach mal in den Arm nimmt, damit du merkst, dass du gar nicht einsam bist? Kennst du das Gefühl, in der unmittelbaren Nähe anderer zu sein und doch nicht an ihrem Leben teilzuhaben? Weißt du, wie es ist, nachts im Bett zu liegen und dich an ferne Orte zu wünschen? Nagt in dir auch öfter der Gedanke, wegzugehen und ein neues Leben zu beginnen?

Stell dir vor, du könntest fliegen. Wo würdest du hinfliegen? Zu einem Freund? Zu dem, den du liebst? Oder würdest du einfach nur die Schwerelosigkeit genießen und das Gefühl, allem entfliehen zu können? Würdest du fernab von Zivilisation fliegen hinein in die Gewalten der Natur? Würdest du dich im Rausche eines Wasserfalls wiegen oder mit den Wolken spielen? Würdest du knapp über dem Meer schweben und deine Hand über das Wasser gleiten lassen? Würdest du über weite Wiesen fliegen und den Duft von frischem Gras und Blumen einatmen?

Wo würdest du landen, wenn dich die Fähigkeit zu fliegen plötzlich wieder verlässt? In dem Bett deines Liebsten? Auf der Spitze eines Berges? Auf den Türmen eines Schlosses?

Kann man denn seinen Gefühlen entfliegen? Begleiten sie nicht einen auch auf diesem Wege?

Ist ein Mensch nicht immer allein?

Ich bin nur eine kleine Seele, die sich nach wahren Worten sehnt. Wenn du mir ein paar schenken möchtest, dann maile mir zurück.’
 

Immer wieder las sich Rick die Zeilen durch und konnte nicht von ihnen lassen. Voller Abneigung hatte er den Rest der Mails gelesen, aber die letzte der sieben Stück hatte ihn in den Bann gezogen und gab ihn nun nicht mehr frei. Wie gut er nur all die Fragen nachvollziehen konnte. Gab es da draußen jemanden, der ebenso fühlte wie er? Jemanden, der ihn verstehen konnte?

Ein weiteres Mal las er die Mail und versank in ihr.

Seine Augen glänzten, das Meeresblau verwandelte sich in ein Ozean, dessen Wellen wild auf und abwogen. Kleine Perlen sammelten sich in den Winkeln und wollten sich einen Weg nach draußen bahnen. Vehement wehrte er sich jedoch dagegen. Warum eigentlich? Warum wehrte er sich? Er wusste es nicht.
 

/Sollen sie doch ergossen werden…/
 

Das salzige Nass bedeckte alsbald seine rötlichen Wangen, die nun im fahlen Licht schimmerten.

Irgendwie hatte die Mail sein Herz berührt. Er hätte im Leben nicht erwartet, dass die Anzeige eine solche Reaktion mit sich brachte. Darum hatte es ihn mehr getroffen, als er je vermutet hätte.

Seine Finger strichen sanft über die Tastatur, doch sie schrieben nichts. Was sollte er darauf antworten? Wollte er denn wirklich etwas erwidern?
 

/Meine Liebe ist nur wenige Meter von mir entfernt…/
 

Unentschlossen besah er die Zeilen, die in schwarzen Lettern auf dem Monitor geschrieben waren. Jede einzelne von ihnen wurde zum dutzenden Male von dem Dunkelhaarigen in sich aufgesogen.
 

/Die Mail könnte von mir stammen…/
 

Rick setzte seine Finger zum Schreiben an, aber er konnte nicht. Er konnte diesem Mann keine Antwort zukommen lassen. Wenn er dies täte, würde er seine Liebe an Joe verraten. Und dennoch zauderte er weiterhin.
 

/Ich verrate meine Liebe doch nicht, nur weil ich jemanden ein paar Zeilen schreibe… dass der Anlass meine Annonce war, spielt doch dabei keine Rolle… oder?/
 

Er seufzte. Wie er sich entscheiden sollte, wusste er nicht. War denn keiner da, der ihm einen Rat geben konnte? Warum musste er das einzig und allein auf seinen Schultern austragen?

Joe konnte er ja nicht fragen. Wen denn dann? Sollte er einfach aus dem Herzen heraus doch antworten?
 

„Rick?“

Besorgt sah Joe auf seinen Freund und reichte ihm ein Taschentuch.

„Hey, warum weinst du denn?“

Joes Stimme trug so viel Sanftheit in sich, dass Rick nur noch mehr weinte. Egal, was er tun würde, es wäre falsch oder würde sich zumindest falsch anfühlen. Die Lage war einfach nur noch verzwickt und konnte von Rick nicht mehr festgehalten werden. Zu viel war in den letzten Tagen geschehen, als dass er damit allein fertig würde. Und somit liefen die Tränen ungehindert an seinen Wangen hinab und fanden kein Ende.

„Was ist denn los?“

Da der Größere keine Antwort erhielt, schaute er auf den Monitor und las das, was dort stand, durch.

Minuten vergingen, in denen keiner von beiden etwas sagte. Die Stille im Raum trieb weitere funkelnde Perlen in Ricks Augen. Warum musste Joe auch immer so verständnisvoll sein? Könnte er ihn nicht einfach hassen, damit sein Herz wieder frei würde?
 

/Ich könnte ihn niemals hassen, egal was passiert…/
 

„Komm her.“

Joe zog den Kleineren in seine Arme und hielt ihn fest. Seine Hand fuhr vorsichtig durch die dunklen Haare des anderen, um ab und an tiefer zu gleiten und ein paar Tränen wegzuwischen.

In Rick verkrampfte sich alles. Die betörende Nähe machte alles nur noch schlimmer. Alles in ihm wehrte sich gegen sie, doch er fand keine Kraft, sich aus ihr zu befreien. Stattdessen lehnte er sich freiwillig gegen Joes Oberkörper und ließ dessen Berührungen ungehindert zu.

„Worte können einen wirklich berühren und deine Sensibilität verstärken diese noch“, sagte Joe leise vor sich hin und war sich nicht einmal bewusst, dass er dies nicht nur dachte.

Rick nahm die Worte auf und sie stimmten ihn noch trauriger, wenn dies überhaupt möglich war. Wenn ihn jemand kannte, dann Joe…
 

/… Warum tust du das alles für mich?... /
 

‚Ich glaub, ich weiß, wo du hinfliegen würdest’, dachte Joe und drückte seinen Freund noch fester.
 

„Geht´s wieder?“

Rick nickte nur stumm, doch an seinem Gesichtsausdruck erkannte Joe, dass er das ehrlich meinte.

„Gut, dann koche ich dir einen Tee und derweil versuchst du, wieder ein Lächeln auf dein Gesicht zu zaubern, okay?“

Joe wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich sofort von Rick ab und lief zur Tür hinaus. In der Küche setzte er Wasser auf und als zwei Tassen vor ihm standen, lehnte er sich an den Schrank. Mit einer Hand wischte er sich das rechte Auge und stellte verwundert fest, dass er wohl selbst geweint hatte. Er hatte sich von den Tränen des Kleineren tatsächlich mitreißen lassen. Mit gesenkten Lidern senkte er den Kopf in seinen Nacken und wurde das Bild von eben nicht los. Warum nur war Rick so aufgelöst? Hatte er seinen Freund zu sehr bedrängt, ihn zu einer Tat gezwungen, die er partout nicht wollte?
 

/Dann hätte er die Anzeige doch niemals abgeschickt./
 

Joe konnte sich schon denken, warum Rick die Mail dermaßen mitnahm. Schließlich war er lange genug sein bester Freund und wusste um seine Vergangenheit, die alles andere als rosig war. Doch irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass dies nicht der einzige Grund für Ricks Zustand war.
 

/Aber was war es dann?/
 

Lautes Pfeifen riss Joe aus seinen Gedanken. Liebevoll richtete er ein Tablett mit dem Tee und ein paar Keksen her.
 

/Ich hoffe, das bringt dich wieder auf andere Gedanken./
 

„Hier, eine kleine Aufmunterung!“

Mit einem seichten Lächeln stellte Joe das Tablett vor Rick ab, der in der Zwischenzeit den Computer heruntergefahren hatte. Der Dunkelhaarige nahm eine Tasse, aus der heißer Rauch stieg, in seine Hände und nippte an dem fruchtigen Getränk.

„Danke.“

„Das ist selbstverständlich.“

„Würdest du mich bitte allein lassen?“

„Was?“, entfuhr es Joe, denn er verstand diese Bitte nicht.

Flehentlich sah Rick den Blonden an, der sonst nichts entgegensetzte.

„Lass den Kopf nicht hängen, versprich mir das.“

„…“

„Versprich es mir!“

„Versprochen“, erwiderte Rick leise.

Mit einem letzten verworrenen Blick auf Rick verließ Joe das Zimmer.
 

/Deine Güte versetzt mir immer wieder Stiche, die mir allmählich mein Herz zerfetzen… jede wohlwollende Tat von dir bereitet mir so viel Schmerz, dass ich an ihm zugrunde gehe… und doch bleibst du für mich die Person, der ich niemals entsagen möchte… verzeih´ mir, dass ich dich einfach so weggeschickt habe!/
 

Rick legte sich auf sein Bett und schaute die Decke an, durch die er mehr oder minder hindurch sah. In seichter Melancholie konnte er noch die Arme von Joe um sich spüren. Er bettete den Handrücken auf seine Stirn, konnte aber nicht die Wärme fühlen, die er dort vermutet hatte.

Peitschender Regen prasselte gegen die Fensterscheibe, was in ihm ein Déjà-vue hervorrief.
 

/Immer weint der Himmel mit mir… ob die Engel dort oben mir damit sagen wollen, dass ich mit meiner Trauer nicht allein dastehe?.../
 

Die Dämmerung nahm allmählich das letzte Licht und legte Ricks Zimmer in dunkle Schatten. Die Stunden waren mürbe an ihm vorbeigezogen, ohne dass es ihn kümmerte. Soll die Zeit doch an ihm vorbeiziehen!
 

/Wen stört es schon, wenn ich untätig bin?/
 

Eine kleine Stimme in seinem Ohr meldete sich zu Wort, die so unfassbar liebevoll war und doch so bestimmt.

’Lass den Kopf nicht hängen, versprich mir das!’

Ein Satz, der in Ricks Verstand immer wieder nachhallte. Er hatte es versprochen, aber konnte nicht umhin, sich in der Last des Seins zu wiegen. Hatte er sein Versprechen gegeben, nur um des Friedens Willen? Darüber dachte Rick eine ganze Weile lang nach. Dann klärte sich sein Blick ein wenig.
 

/Ich habe es ihm versprochen, weil er für mich da war… weil er mich in den Arm nahm und mir Liebe gab… und ich bin kein Mensch, der sein Wort bricht… /
 

Mühsam richtete sich der Dunkelhaarige in seinem Bett auf und sah hinaus auf die Stadt, die von warmem orangenen Licht umhüllt war. Der Abend war bereits halb vorüber und gab die Welt der Finsternis preis.

Langsam stand er auf und ging ins Nebenzimmer, schaltete den Computer ein.
 

’Ein Lichtlein ist uns allen gegeben, in welcher Form auch immer. Sieh in dich hinein und suche nach diesem. Ich bin mir sicher, du wirst es finden.

Tauche dein Ich in warmes Licht, umhülle es und liefere es nicht den tiefen Schatten aus, die dich umwerben.

Begib dich auf die Suche nach einer Quelle, aus der du immer von Neuem Kraft schöpfen kannst. Doch falls diese einmal versiegt, dann gib nicht auf, sondern erforsche deiner Selbst; dort verbirgt sich mehr Kraft, als man oft denkt.

Fliegen ist nur eine Art sich zu verstecken. Hast du das nötig? Möchtest du nicht vielmehr entdecken, was du nicht kennst?

Sehnsüchte können gestillt werden, du musst dich nur dafür einsetzen.
 

Gezeichnet

Heilloser Romantiker’
 

Er zögerte nicht und schickte die Mail ab. Seine eigenen Worte gaben ihm selbst den Mut zurück, den er brauchte, um nicht unter der Last der Gefühle begraben zu werden. Schließlich hatte er ein Lichtlein, das ihn sogar in die Arme geschlossen hatte. Er durfte nicht unentwegt das Negative in seiner Situation sehen, sondern musste an dem Positiven festhalten, sich an ihm emporziehen und zurück aus dem dunklen Loch kehren, das schon viel zu tief war.

Seine Wunde begann sich zu schließen und er griff nach dem Telefonhörer. Es läutete keine dreimal, da erklang schon eine ihm vertraute Stimme.

„Hi, ich bin es, Rick. Ich wollte dich nicht so vor den Kopf stoßen, doch ich brauchte ein wenig Zeit für mich. Nein sage nichts, höre mir ausnahmsweise einfach mal zu. Du weißt, wie wichtig du für mich bist, darum war es nicht richtig, dich wegzuschicken. Wenn ich damit deine Gefühle verletzt haben sollte, dann tut mir das leid. Doch ich habe mein Versprechen eingehalten und lasse den Kopf nicht hängen. Schließlich habe ich einen besten Freund, der immer zu mir hält, und dem darf ich das nicht antun. Joe, bitte verlasse mich nie.“

Für einen Moment sagte keiner von beiden etwas, bis dann ein Räuspern aus der Leitung drang.

„Versprochen!“

Es klickte und Rick nickte froh dem Telefon zu, legte den Hörer an seine Brust und begann zu lächeln.



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