Calling~ ein Anruf
Kapitel II
Calling~ ein Anruf
Eine Stunde später brachte Kyo die leere Flasche wieder nach unten, sorgfältig darauf bedacht, Yuki nicht über den Weg zu laufen.
So leise wie möglich bewegte er sich durch das Haus, schloss behutsam die Küchentür hinter sich und holte einen Topf aus dem Kühlschrank hervor.
,Für Yuki-san und Kyo-kun', stand auf einem Zettel, der am Topf mit dem Essen befestigt war, in der sauberen, klaren Handschrift Torus.
Der rothaarige Junge öffnete den Deckel und roch an der Suppe. Sie roch sehr lecker. Er stellte den Topf auf den Herd und schaltete ihn ein. Kyo hatte eines der Fenster geöffnet- nicht, dass es gleich im ganzen Haus nach Essen roch und Yuki unnötig auf ihn aufmerksam wurde.
Nachdenklich lehnte er sich an die Küchentheke und sah der Suppe beim kochen zu. Als sie warm genug war, schaltete er den Herd wieder aus. Mit Küchenhandschuhen an den Händen stellte er den heißen Topf auf ein Brett, nahm sich dann eine Schale aus dem Schrank, um sich etwas von der Suppe einzuschöpfen. Sie schmeckte ziemlich gut- wenn Toru eines besonders gut konnte, dann kochen. Schnell hatte er seine Portion aufgegessen, wieder besser gelaunt, spülte er sein benutztes Geschirr ab. Gerade wollte er es wieder einräumen, als er erneut einen kalten Schauer spürte.
Er brauchte sich gar nicht erst umzudrehen.
"Willst du mir nichts anbieten?" Yukis Stimme klang gewohnt kühl, schwer zu sagen, ob er wütend war oder nicht. "Nimm´s dir doch selber.", erwiderte Kyo im gleichen Tonfall.
Yuki kam auf ihn zu. "Das ist von Toru. Wie nett von ihr." Yuki sah über Kyos Schulter hinweg auf die Suppe, die noch immer auf dem Brett stand.
"Man kann´s essen.", entgegnete Kyo leicht gereizt. Wieder spürte er den stechenden Blick Yukis auf sich ruhen. Kyo ging wortlos aus der Küche.
Bis zum Nachmittag hörte Kyo oben in seinem Zimmer Musik, doch er war nicht ganz bei der Sache. Dauernd musste er an Yukis Verhalten ihm gegenüber denken. Selten war es so schlimm gewesen, wie im Moment. Das Klingeln eines Handys riss ihn aus seinen trübseligen Gedanken. Kyo nahm ab.
"Ja...? Kyo hier."
"Hallo Kyo!" Das war Toru. "Ich wollte mal fragen, wie es euch so geht."
Sie klang fröhlich. Hauptsache einer von ihnen war es, dachte Kyo betrübt.
"Alles in Ordnung. Wie geht´s euch?"
Plötzlich riss jemand Toru das Handy weg.
"Guten Tag!", quiekte Momiji, das Hasen-Eto. "Habt ihr schon Mittag gegessen?"
"Ja." Kyos Stimme klang bedeckt und monoton.
"Schön!", freute sich Momiji, der natürlich mal wieder gar nichts mitbekam...
"Ich habe Toru-kun bei der Suppe nämlich geholfen! Hey-"
Wieder wurde das Mobiltelefon weiter gegeben.
"Gut, dass ihr euch vertragt." Shigures Lächeln konnte sich Kyo nur zu gut vorstellen...
"Wie man´s nimmt...", meinte Kyo nur distanziert.
"Könntest du mir mal Yuki geben?", erkundigte sich der Schriftsteller weiter.
Der rothaarige Junge antwortete nicht sofort und als er wieder sprach, sagte er: "Tut mir leid. Er ist gerade nicht da."
"Das ist schade.", meinte Shigure, seine Stimme klang leicht enttäuscht. Shigure war immer so eine Sache, bei ihm wusste man nie, was er gerade so dachte oder vorhaben könnte... "bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?"
"Ja, sicher.", antwortete Kyo emotionslos.
"Tut mir leid!", rief Momiji-kun mit einem Male im Hintergrund. "Aber wir müssen Schluss machen!"
"Wir rufen noch mal an.", versprach das Hunde-Eto Shigure.
"Wenn ihr wollt.", Kyo lächelte traurig. "Bis dann."
Kurz darauf hatten sie aufgelegt.
Obwohl er es nicht gerne tat, musste sich Kyo eingestehen, dass er sie alle sehr vermisste. Ein leichter Hauch von Ärger brodelte in ihm auf, verschwand aber gleich wieder. Er hatte sich an alle in diesem ,kleinen' Haushalt gewöhnt, auch wenn es ihm nicht gefiel.
Draußen war es bewölkt und ein wenig windig, aber es regnete nicht. Die Wolken hingen tief, zogen aber relativ schnell über die Landschaft hinweg. Kyo entschloss sich, einen Spaziergang zu machen. Die Luft war frisch und kühl. Es war angenehm, sich die Beine ein wenig vertreten zu können. Hie und da waren einige Baumwurzeln und Büsche ausgerissen.
»Wohl noch vom Sturm, letztens«, dachte Kyo, wechselte bald die Richtung und ging der Stadt entgegen.
Eine Ratte sah ihm nach, legte den Kopf leicht schief und lief zurück zum Haus der Somas.