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Luciana Bradley und der Orden des Phönix

von

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Unerwartete Hilfe

Unerwartete Hilfe

 

Vor dem Portrait der fetten Dame saß Potter, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt und er sah erst auf, als Luciana schon vor ihm stand.

     „Passwort vergessen?“, fragte Luciana beiläufig und versuchte die Wut, die auch nach den eben gerauchten zwei Zigaretten nicht gänzlich verschwunden war, nicht mit in ihre Stimme fließen zu lassen.

     „Nein“, sagte Potter, rappelte sich dabei vom Boden auf, „um ehrlich zu sein, ich hab hier auf dich gewartet.“

     Sie nickte und musste eine ganze Weile warten, bis er endlich fortfuhr.

     „Hör mal, ich denke es wäre das Beste, wenn wir diesen Vorfall unten bei Snape … einfach nicht erwähnen. Bei niemandem?“

     Dabei wirkte er angespannt, ob dies von der Erinnerung kam, die er sich unerlaubterweise angeschaut hatte oder weil Potter der blanke Horror vor der nächsten Begegnung mit Snape plagte, beides war denkbar.

     „Sicher – ich halt dicht, verlass dich drauf“, sagte Luciana schließlich.

     Wieder folgte eine Zeit lang Schweigen, dann wandte Potter sich um, murmelte der Fetten Dame beiläufig das Passwort entgegen und verschwand in dem Loch, welches das aufschwingende Bild freigelegt hatte. Kurz darauf tat Luciana es ihm gleich.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Einen Tag vor Beginn der Osterferien ließ Professor McGonagall Luciana in ihr Büro kommen – zunächst war sie davon ausgegangen, es würde um ihre schwachen Leistungen in Verwandlungen gehen, doch dieses ‚Problemchen‘ war nur ein kleiner Teil von McG’s Anliegen gewesen. Der Orden, oder vielmehr ihre Hauslehrerin, die, wie sie es sich lebhaft vorstellen konnte, unter Garantie die Hauptverantwortliche war, hatte nach Absprache mit Lucianas Paten für die zwei Ferienwochen einen Ersatzvermittler für die Sitzungen des Ordens eingestellt, damit Luciana selbst sich voll und ganz auf die Wiederholung des Unterrichtstoffes konzentrieren können würde.

     Nun ja, zugegebenermaßen, ganz unbegründet war McGonagalls Einfall nicht gewesen – in wenigen Fächern stand sie besser als ‚Annehmbar‘, vor allem mit Verwandlungen und Zauberkunst hatte Luciana ihre Schwierigkeiten (Verwandlungen katastrophaler als Zauberkunst, allerdings schien selbst ihre Hauslehrerin einzusehen, dass dies wohl mehr an dem Unwillen ihrer Schülerin liegen mochte, schmerzhafte Transfigurationen an Tieren auszuführen), von Verteidigung gegen die Dunklen Künste war kaum die Rede, da McGonagall die Benotungen ihrer Kollegin anscheinend weniger ernst nahm und Zaubertränke … nun ja, Zaubertränke hatte großes Potenzial ihr bei den Prüfungen das Genick zu brechen. Snape war noch immer nicht davon abgewichen, sämtliche Aufsätze mit einem dicken, fetten ‚M‘ zu versehen und Einsicht in die Notenvergabe der Tränke hatte Luciana bislang nicht bekommen.

     „Er sagte Sie seien nicht völlig untalentiert, das können Sie ruhig als Lichtblick ansehen, Miss Bradley“, hatte McGonagall sie aufmuntern wollen, doch irgendwie hatte Luciana das Gefühl beschlichen, dass sie Snape dabei nicht ganz vollständig zitiert hatte.

     So verbrachte sie die kompletten Ferien mit der Nase über Büchern, Unterlagen und Pergamenten, lernte Tabellen, Zutaten und Zeitdaten auswendig, übte in verlassenen Klassenzimmern mit allen erdenklichen Gegenständen und ihrem äußerst unwilligen Falken Schwebe-Verwandlungs-und Aufrufezauber. Und auch wenn man meinen sollte, dass sie dies völlig beschäftigen musste, nein – Luciana hatte bislang fast im gesamten Schuljahr den Ordenssitzungen beigewohnt und auch wenn sie niemals aktiv etwas für diese Organisation getan hatte, wie Wache schieben oder nach neuen Verbündeten suchen, Spionieren oder sonst was, rein gar nichts zu hören und nicht auf dem aktuellen Stand zu sein, ließ sie oftmals des Nachts nicht zur Ruhe kommen.

     Dies und die Wunden an ihren Ohren, die Tag für Tag mehr anzuschwellen schienen und deren Infektion sich mittlerweile bis zu ihrem Gehör durchgeschlagen hatte, ganz wie von Roger prophezeit.

     Luciana war noch immer nicht taub, aber die Geräusche um sie herum nahmen, je mehr Zeit verging, einen immer dumpferen Klang an, das Zwitschern der nun im Frühling wiederkehrenden Singvögel nahm sie irgendwann gar nicht mehr wahr und wenn sie nicht bald etwas unternehmen würde, dann hätte es nicht einmal Sinn gehabt, überhaupt zu den ZAG Prüfungen zu erscheinen. Wie sollte man eine Aufgabe im praktischen Teil erfüllen, wenn man die zu erbringende Aufgabenstellung schon alleine akustisch nicht verstehen konnte?

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

An einem Morgen, die unterrichtsfreien Wochen waren schon fast wieder vorüber (von Ferien konnte hierbei kaum mehr die Rede sein, Luciana hatte in dieser Zeit härter und intensiver an dem Schulstoff gearbeitet, als in ihrer gesamten Zeit auf Hogwarts), war Luciana vor lauter verzweifeltem Suchen nach ihrer Tausend Zauberkräuter und –pilze beinahe durchgedreht, bis sie diese unter einem mächtigen Stapel Broschüren und Merkblätter herausblitzen sah.

     Über Nacht waren jene auf so ziemlich jedem Tischchen, jeder Couch, jedem Sessel oder sonstigem Möbelstück des Gemeinschaftsraumes erschienen und zumindest ihre Mitschüler beschäftigten sich diesen und die darauffolgenden Tage mit nichts weiterem, als dem Gedanken an einen der Zauberberufe, über die die Broschüren informierten. Luciana hatte die Berufsberatungszeit in ihrer Muggelschule schon gehasst wie die Pest, all die großen und rentablen Firmen und Unternehmen, die plötzlich wie aus dem Nichts erschienen waren und um die Aufmerksamkeit der potentiellen neuen Mitarbeiter gebuhlt hatten. Um dem Ganzen noch ein Krönchen zu verpassen, war eine Mitteilung an das schwarze Brett gehängt worden:

 

BERUFSBERATUNG

Alle Fünftklässler sind verpflichtet,

während der ersten Woche des Sommertrimesters

an einer kurzen Unterredung

mit ihrem jeweiligen Hauslehrer

teilzunehmen,

bei der ihr künftiger beruflicher Werdegang erörtert wird.

Die einzelnen Termine sind unten aufgeführt.

 

Ihren eigenen Termin, Dienstag, um sechzehn Uhr, notierte sich Luciana beiläufig in ihrem Hausaufgabenheft, ohne dabei auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, sich mit den zur Auswahl stehenden Berufen auseinanderzusetzen. Vielmehr beschäftigte sich ihre Gedankenwelt darum, wie eine Berufsberatung bei Professor Snape ablaufen würde. Hatte der Slytherin-Gemeinschaftsraum vielleicht sogar andere Broschüren als der der Gryffindors? Irgendwie musste der Schwarze Führer doch an Frischfleisch kommen, wieso dann nicht ein Flyer der Todesser, mit einem smarten Voldemort als Eyecatcher, der mit ausgestrecktem Zeigefinger dem Betrachter ein überzeugendes ‚Wir wollen DICH‘ entgegen schmetterte? Oder vielleicht eher der bestechliche Weg, frei nach dem Motto: ‚Komm auf die dunkle Seite, wir haben Kekse!‘ ? Und setzte Voldemort einen seiner Untertanen ein, um neue Mitglieder locken zu können? Immerhin saß Snape an der sprudelnden Quelle, wieso dann nicht alle Ressourcen ausnutzen?

     Ah, Snape … da war er wieder, diese Gedanke, der Luciana im Prinzip schon die ganze Zeit über verfolgte, auch, wenn sie sich dies höchstens für eine Millisekunde eingestand. Seit der Sache mit dem Denkarium hatte sie ihn nicht mehr gesehen, nicht einmal den Zipfel seines Umhangs, oder den Klang seiner Stimme, wenn sie, wie so oft in den Ferien, von dem Weg aus oder in die Bibliothek kam. Obwohl, gerade seine Stimme hätte sie zuletzt mitbekommen – Gesprochenes verstand sie mittlerweile meist nur vollständig, wenn sie zusätzlich die Lippenbewegungen ihres Gegenübers studierte.  

 

Und so kam es, dass Luciana am ersten Tag nach den Ferien weniger als die Hälfte von Professor Binns Vorlesung verstand – die Lippen eines Geistes zu lesen war beinahe unmöglich (bei Myrte brauchte sie sich nicht anstrengen, diese Ausgabe von Geist würde immer mehr schreien als reden) und ihre Gedanken waren zwar an einen Klassenraum gerichtet, allerdings lag der in ihrem Kopf ein paar Stockwerke tiefer.

     Die Begegnung mit Professor Snape stellte sich, kaum eine Stunde später, als tiefgehend ernüchternd heraus. Dieser war dazu übergegangen, sie und Potter zu ignorieren (diesen anscheinend mehr als sie, allerdings war dies weniger tröstlich). Selbstverständlich hätte das zur besseren Konzentrationsfähigkeit für das Zubereiten eines Stärkungstrankes führen können, da sie ausnahmsweise nicht im Fokus ihres Tränkelehrers und seinen bissigen und herablassenden Kommentaren stand – aber dieses kleine, nagende Gefühl, dass die Ohrfeige vor ein paar Wochen vielleicht ein wenig zu viel des Guten gewesen sein könnte, lenkte sie mindestens genauso von der Arbeit ab. Das und die ständigen Seitenblicke, die sie Snape zuwarf. Wenn man üblicherweise jede Begegnung mit einer Person dazu ausnutzte, deren Gemüts- oder allgemeinen Gesundheitszustand zu überprüfen, in dem man Hautfarbe oder Ränder unter den Augen studierte und dies plötzlich nicht mehr möglich war, da sich dieser jemand einfach nicht mehr blicken ließ, weder zu Mahlzeiten in der Großen Halle oder in den Gängen des Schlosses, dann hatte man nach so langer Zeit einiges nachzuholen.

     Snape machte auf den ersten Blick den typisch mürrischen, schlecht gelaunten Eindruck, den er zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Besten gab (mit Ausnahme Rauschmittel waren im Spiel), erst beim genauen Hinsehen schien sein ausladender Umhang ein wenig schlaffer als üblich über seinen Schultern zu hängen, seine Wangenknocken stachen etwas mehr hervor und seine Bewegungen waren im Gesamten eine Spur fahriger.

     Luciana konnte zwar gut nachvollziehen, dass der Professor wenig Drang dazu verspüren schien, seine Mahlzeiten an einem Tisch mit ES einzunehmen, allerdings sollte dies kein Grund dafür sein, gänzlich darauf zu verzichten. Auf der anderen Seite hatte sie keinerlei Schimmer, ob sich in Punkto Schwarzer Führer etwas getan hatte – besser gesagt, sie war überhaupt nicht mehr im Bilde. Gabriel hatte auf jede Anfrage ihrerseits nur Ausflüchte entgegengebracht, mit leicht bissigen Kommentaren versehen, sie solle die Zeit zum Studieren ihrer Schulunterlagen nutzen, die zusätzliche Arbeit käme schon früh genug wieder auf sie zurück.

     In Lucianas Kessel brodelte zum Ende der Zaubertrankdoppelstunde ein recht passabler Stärkungstrank und das schlechte Gewissen über ihre leichte Gewaltanwendung gegenüber Snape hatte schon seit fast einer ganzen Stunde ein jähes Ende gefunden. Selbstverständlich hatte er mitbekommen, dass sie ihn beobachtet hatte, doch selbst ein offenes und mindestens zehnminütiges Dauermelden (Aufgrund einer schier an den Haaren herbeigezogenen Frage über die Zutat Ingwerwurzel) hatte seine Aufmerksamkeit nicht auf sie lenken können.

     Als es an der Zeit war die Tränkeproben zu Snapes Pult zu bringen, ließ sie sich extra viel Zeit. Und so kam es, dass sie Zeuge eines ihr nicht unbekannten Schauspiels wurde. Potter, Ignorierobjekt Nummer Zwei, hatte seine Probe an Snape übergeben, mit dem Ergebnis, dass dieser sie vor den Augen aller Mitschüler fallen ließ – mit einem zärtlich, genüsslichem ‚Uuuhps‘ auf den Lippen. Dies veranlasste Luciana dazu auf Nummer sicher zu gehen, besser gesagt auf Nummer doppelt und dreifach sicher.

     Ganze vier Phiolen verkorkte sie mit ihrem Stärkungstrank, bevor sie ihren Kessel mit einem Schwung ihres Zauberstabs reinigte und sich, zumindest äußerlich, geduldig in die Schlange der Schüler einreihte. Mit einem etwas höherem Blutdruck als gewöhnlich stand sie einige Zeit später vor Professor Snape und das erste Mal seitdem Vorfall in seinem Büro schenkte er ihr seine Aufmerksamkeit – selbstverständlich setzte er augenblicklich seinen besten, mordrigen Blick auf, den Pansy Parkinson, eine Slytherin die vor ihr an der Reihe gewesen war, natürlich nicht abbekommen hatte.

     Luciana hob drei Phiolen in ihrer rechten Hand in Snapes Blickfeld (eine seiner Augenbrauen wanderte in die Höhe), die sie darauf mit einer extra langsamen und bedachten Bewegung an ihm vorbei in die Halterung der Proben hinein schob. Dann baute sie sich wieder vor ihm auf und reichte ihm, dieses Mal in einem ausgesprochen übertriebenen Zeitlupentempo, die Vierte. Seine Brauen hatten sich währenddessen zusammengezogen, Luciana konnte förmlich spüren, wie es in ihm brodelte – was sie als höchst zufriedenstellend empfand. Seine Hand griff nach dem Behältnis und nach seiner schnellen Bewegung zu urteilen, hatte er offenbar im Sinn gehabt ihr diese zu entreißen, wäre da nicht Lucianas Finger gewesen, der sich warnend erhoben hatte.

     „Sachte sachte, Professor, wir haben doch gerade eben gesehen, was so schnelles Grapschen bewirken kann“, damit deutete sie demonstrativ auf den kleinen Scherbenhaufen, inklusive Pfütze zu ihren Füßen, der einmal Potters Probe gewesen war. „Es ist doch ganz normal, dass man in Ihrem fortgeschrittenen Alter ein klein bisschen abbaut und auch die ersten Anzeichen von Rheuma in den Gliedern ist doch keine Schmach … Kytta-Salbe soll da wahre Wunder wirken, habe ich mir sagen lassen!“

     Snapes Finger hatten sich während ihrer kleinen Ansprache derart fest um die Phiole gelegt, dass Luciana das Bersten des Glases nicht einmal hören musste, um festzustellen, dass er das zweite Glas in fünf Minuten zerlegt hatte. Mit einem übertriebenen Seufzen und einem leichten Kopfschütteln deutete sie hinter ihn.

     „Da haben Sie noch drei Versuche.“

     Na zumindest hatte sie es vollbracht ein wenig Farbe in dieses gigantisch blasse Gesicht zu bringen – auch wenn es ihr zehn Punkte Abzug eingebracht hatte.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Es war lediglich dem reinen Zufall zu verdanken, dass Luciana, gegen Abend dieses Tages, nicht Gefahr gelaufen war, das Beste zu verpassen. Trotz beinahe vollkommener Taubheit auf gleich beiden Ohren, war sie die restlichen Stunden von Zaubertränke an glänzender Laune – sie schrieb dies dem Mini-Sieg der schier endlosen Schlachten mit Professor Snape zu und schenkte dabei dem Wohlsein, ihn wieder gesehen zu haben, keine Beachtung.

     Auf dem Rückweg von einer Raucherpause vom Klo im zweiten Stock, riss sie eine Erschütterung des Bodens unter ihren Füßen aus dem Durchgehen der Daten der Trollkriege im 19. Jahrhundert – dabei erwies sich ihre erste Vermutung, Snape habe mal wieder einen seiner heftigeren Wutanfälle im Kerker Luft gemacht, als falsch. Beim Betreten des Treppenhauses erkannte sie mit einem Blick über das Geländer die Bewohner des gesamten Schlosses (nun ja, wahrscheinlich nicht alle, aber auf den ersten Blick hätte es gut sein können) unten in der Eingangshalle stehen – Schüler wie Lehrer oder Hausgeister standen (oder schwebten) in einem großen Kreis entlang der Wände versammelt, im Fokus erspähte Luciana, und dabei rutschte ihr Herz ein paar Etagen zu tief, die roten Schöpfe der Zwillinge, die wie zwei kleine Mäuse von der alles verschlingenden ES Katze in die Ecke gedrängt standen. Mit einem Mal spurtete Luciana los, überwand dabei die Stufen in Rekordzeit und kam dann unten, etwas außer Atmen, zum Stillstand.

     Okay, ermahnte sie sich selbst, hier sind Augenzeugen und Lehrer anwesend, die wird die beiden schon nicht umbringen, was auch immer die angestellt haben …

     Filch, der neben ES stand und mit einem Zettel in der Hand herumwedelte, auf dem Gesicht die pure Vorfreude geschrieben, brabbelte irgendetwas von ‚Formular‘, doch mehr konnte Luciana aus den dumpfen Wortklängen und fahrigen Lippenbewegungen nicht herausfiltern. Und danach – hatte er ernsthaft was von ‚Peitschen‘ gesagt? Sie musste sich verguckt haben, das konnte ja wohl nicht sein Ernst … wieso eigentlich nicht – wenn die neue Schulleiterin mit Ritz-dich-blutig-Federn arbeitete, Schüler zur Strafe Verstümmelungen aufs Auge, pardon, Ohr drückte, war das Auspeitschen dann wirklich noch so weit? Auf der anderen Seite, Auspeitschen war kein elektrischer Stuhl oder die Todesspritze, zugegebenermaßen fast schon ein beruhigender Gedanke – obwohl, vielleicht handelte es sich gar nicht um die Nicht-magischen-Peitschen, die sie im Sinn hatte, sondern um magisch modifizierte mit Reißzähnen und Gift, oder Virenträgern, die einen über Wochen und Monate schmerzhaft dahinsiechen ließen? Ob an dieser Vermutung etwas dran war, würde sie zumindest an diesem Tag nicht herausfinden. Denn nach einem kurzen Wortwechsel, bei dem Luciana nicht einmal versucht hatte Teile davon zu verstehen, erhobenen George und Fred ihre Zauberstäbe, schwangen sie umher und nach ihrer Mundbewegung zu urteilen apportieren sie irgendetwas – ah, da waren sie ja: Bethany und Matilda, die Besen der Zwillinge. Das Leuchten in den Augen der Zweien hätte wohl nicht mal eine Horde Stripteasetänzerinnen auslösen können – ja, und das gekreischte „HALTET SIE AUF!“ von ES durchdrang selbst die von Eiter durchzogenen Gehörgänge Lucianas – und, sie traute kaum ihren Augen, Peeves der Schlosspoltergeist, zog zum Abschied seinen Hut vom Kopf und salutierte, als George und Fred hinaus durch das offene Eingangsportal flogen, in den Sonnenuntergang … fehlte da nicht eine britische Flagge im Hintergrund?

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Kurz nach Sperrstunde lag Luciana mit gemischten Gefühlen auf ihrem Bett und starrte den dunkelroten Baldachin an, ohne ihn wirklich zu sehen. George und Fred hatten zwar schon seit einiger Zeit angekündigt, dass sie bald die Schule verlassen würden, aber nun, wo es so gekommen war, hinterließ diese Tatsache einen bitteren Beigeschmack. Vielleicht, weil die Zwillinge die einzigen Personen in Hogwarts gewesen waren, deren Anwesenheit sie länger als ein paar Stunden ertrug, ohne ihnen überdrüssig zu werden. Nein, meldete sich eine kleine Stimme in ihrem Kopf, da gibt es noch jemanden der- Lucianas Gürtel zog sich zusammen. Mit einer schnellen Bewegung setzte sie sich kerzengerade auf, schob ihr Haar wieder ordentlich über die beiden offenen Blutspendekanäle und zog erst dann an ihrer Gürtelschnalle. Es vergingen keine zehn Sekunden, da stand auch schon die Patronuskatze ihrer Hauslehrerin im Raum. Tja, dass sie schlecht von einem silber-durchsichtigem-Stubentiger Lippenbewegungen ablesen konnte, hatte sie nicht bedacht und der naheliegendste Gedanke, und zwar, dass McGonagall Luciana zu sich ins Büro bestellt hatte, erwies sich dummerweise als falsch.

     So stand sie, nachdem sie sich einen saftigen Abriss von Professor McGonagall abgeholt hatte (Luciana hatte kaum ein Wort verstehen können, aber Mimik und Körpersprache waren nicht fehl zu interpretieren gewesen), mit leichter Verspätung vor Snapes Bürotür, die schon aufgerissen wurde, nachdem sie einmal geklopft hatte. Zum Glück war Snape von der schweigsamen Sorte, das erste Mal war Luciana regelrecht dankbar dafür, dass er sie bloß am Arm zu packen pflegte und sie einfach dorthin zog, wo er sie haben wollte, ohne mündliche Anweisungen.

     Sein Griff war eine Spur fester als sonst und auch sein Tempo hatte er angezogen – ungesehen gelangten sie schneller als jemals zuvor an den Rand des verbotenen Waldes, ein kleiner Schwindel, Drehen und im nächsten Augenblick standen sie auch schon vor dem Grimmauldplatz Nummer Zwölf.

 

Verwirrung – ein passenderes Wort war für diese Sitzung kaum zu finden. Inmitten einer durcheinander plappernden Horde aus Zauberern und Hexen zu sitzen, die es an diesem Abend so überhaupt nicht schafften, sich gegenseitig ausreden zu lassen, führten zu einer vollkommen überforderten Luciana, die es gerade einmal fertig gebracht hatte, die Anwesenheitsliste zu Papier zu bringen.

     Außergewöhnlich war die Abwesenheit von Albus Dumbledore, der sie auch gleich das schier endlose Chaos am Tisch zuschrieb (wenn Dumbledore in den Sitzungen nicht in regelmäßigen fünf Minuten Abständen ein scharfes Machtwort sprach, hatte es in der Vergangenheit teilweise nicht anders ausgesehen) und die Anwesenheit der Weasley Zwillinge, die seit einer geschlagenen Stunde abwechselnd, oder sogar gleichzeitig auf ihre Mutter einredeten, schrien und brüllten (in einer Lautstärke, die selbst Luciana Wort wörtlich verstehen konnte) – die beiden hatten sich anscheinend in ihre Bork-ähnlichen-Kollektivköpfe gesetzt, jetzt, wo sie volljährig und keine Schüler mehr waren, dem Orden beizutreten.

     Dass diese Anträge auf eine Mitgliedschaft früher oder später gekommen wären, damit hatten wohl alle gerechnet, nur war Luciana nicht davon ausgegangen, dass es George und Fred so dermaßen eilig hatten. Außerdem schien ihre Taktik ein bisschen unklug gewesen zu sein, ihrer Mutter den ersten großen Hammer vorzusetzen, und zwar ohne abgeschlossene UTZ (unheimlich toller Zauberer – kein Scherz, das war tatsächlich die Bedeutung der Abkürzung, vergleichbar mit einem Hochschulabschluss, wenn man so wollte, die man in den Prüfungen der siebten Klasse an Hogwarts bekam) die Schule zu verlassen, nein, viel mehr einfach abzubrechen, ihr dann zu beichten, die Ladenlokale für den, von langer Hand geplanten, Zauberscherzladen in der Winkelgasse längst angemietet zu haben, ja und schließlich vollwertige Mitglieder der Schwarzen-Führer-Widerstandsgruppe zu werden, deren Mitgliedschaft, zugegebenermaßen, einige Gesundheitsrisiken barg.

     Mrs Weasley stand somit am Rande eines Nervenzusammenbruchs, immer wechselnd zwischen erbosten Herumgeschreie, erbittertem Weinens oder resigniertem Vor-sich-hin-Starrens. Einzig und allein Mr Weasley war der wirklich Leidtragende dieser ganzen Misere, hin und hergerissen vom Verständnis für seine Söhne oder der Sorgen seiner Frau – Zuckerschnäuzchen saß mindestens genauso zwischen den Stühlen und hatte irgendwann beschlossen, einfach gar nichts mehr zu sagen.

     Ja, und am restlichen Tisch waren alle möglichen Debatten, von Mysteriumswachschichten bis hin zu Diskussionen über ein Für-und Wider eines Rausschmiss des Ordensmitglieds Mundungus Fletcher ausgebrochen (dieser hatte eine Unzuverlässigkeitsquote von 89% aller ihm aufgetragenen Aufgaben bis zu diesem Zeitpunkt erbracht, wie das von Hestia Jones herumgereichte Handout einer wirklich sehr anschaulichen, selbst erstellten Grafik demonstrierte – Fletcher selbst war übrigens nicht anwesend und hatte, wie das kleine Kurvendiagramm rechts unten auf dem Zettel darstellte, nicht auf seinen Gürtel reagiert).

     Nur zwei Personen in der Küche beteiligten sich nicht an diesem migränefördernden Debakel – Lucianas Kopf schnellte von der rechten zur linken Seite um die verzerrten Laute, die in ihrem Gehör ankamen, in Kombination mit Lippenbewegungen Sinn zu verleihen – Remus hatte sich in die Fletcher-Frage eingeklinkt, ebenso Black, Moody, Diggel und Doge, mit Jones als Argumentationsführerin.

     Shacklebolt präsentierte Mrs Weasley in der Zwischenzeit Tonks als Paradebeispiel eines sehr jungen Ordensmitglieds und Professor Snape – ja, dieser saß an seinem Stammplatz, neben ihm der leere Sitz von Dumbledore und massierte seit einer geraumen Weile seine Schläfe.

     Im Prinzip kam keines der Diskussionsthemen auf den Punkt oder zu einem Ende, so lehnte sich Luciana nach einer weiteren halben Stunde auf ihrem Stuhl zurück, zündete sich die dritte Zigarette an diesem Abend an und richtete ihren Blick an die Decke – mit dem dumpfen Gebrabbel, welches gleich einem bassreichen Bienenschwarm an sie gelangte, gönnte sie sich einen Moment der Entspannung – eine Vibration des Tisches, welche kurz darauf folgte, riss Lucianas Aufmerksamkeit wieder dem treibenden Geschehen zu. Offensichtlich hatte Snape mit flacher Hand auf die Tischplatte gehauen, seine Augen waren zu wütenden, winzigen Schlitzen verengt und mit einem markerschütterndem „RUHE!!!“ brachte er es letztendlich sogar zustande, die Zwillinge und Mrs Weasley zum Schweigen zu bringen, die gerade wieder einmal dabei gewesen waren, ihrer Unterhaltung einen kreischenden Tonfall zu verleihen.

     „ … mbledore hat … er …liedschaft …beid …en zugestimmt“, Meine Fresse, jetzt bekomm doch mal deine Zähne auseinander, ich seh nur jedes zweite Wort, verdammt!, dachte Luciana frustriert und kniff angestrengt ihre Augen zusammen, „… obliegt alleine … Entscheidung … lendung … igkeit … Orden … treten. … kann … Sorge …vollziehen, aber das …ort  … hne, … gefällt … nicht.“

     Wie bitte was?

     Mrs Weasley blitzte Snape darauf gefährlich an, wischte sich eine Träne aus ihren Augenwinkel und beschloss wohl ab jetzt mit verschränkten Armen vor der Brust die Tasse vor sich anzustarren und den Rest der Sitzung schweigend zu schmollen – welch eine Wohltat. Die Zwillinge hingegen nickten mit hartnäckig entschlossener Miene in die Runde.

     Nachdem über das offizielle Eintreten von George und Fred mit Handzeichen abgestimmt worden war (selbstverständlich bewegte sich die von Mrs Weasley dabei keinen Millimeter, ihrem Gesichtsausdruck nach zu folgen kommentierte sie jede weitere, positive Meldung mit einem verächtlichen Schnauben, lediglich ihr Ehegatte bekam einen gepfefferten Schlag auf den Hinterkopf, als auch dieser seine Hand zur Zustimmung hob), kam noch einmal das Thema Mundungus Fletcher auf – diese leidige Unterredung überwand Luciana schließlich mit dem Studium der Saturnmonde für die Astronomieprüfung und gerade, als sie die letzte Konstellationsskizze für die Sommermonate zu Papier gebracht hatte, erschien eine wedelnde Hand vor ihrem Gesichtsfeld. Mit einem erschrockenen Laut schreckte sie auf, vollführte dabei einen Hüpfer auf ihrem Stuhl und bemerkte erst dann, dass Moody und Black zusammen als Letzte die Küche verließen. Sie hatte das Ende der Sitzung verpasst, so sehr war sie mit ihren Unterrichtsunterlagen beschäftigt gewesen.

     „Mi … adley!“, drang es leise zu ihr hindurch – Professor Snape stand keinen halben Meter von ihr entfernt. Offenbar war es auch seine Hand gewesen, die sie schließlich wieder in das Hier und Jetzt gewedelt hatte.

     „…ören Sie … echt?“ Na, er schien wohl ‚Hören Sie schlecht‘ gemeint zu haben – Luciana hätte lachen können, wäre die Situation nicht derart verzwickt. „… dritte Mal …-rufen!“

     „Ich komme sofort, bin gleich fertig!“, sagte sie und packte hastig ihre Unterlagen zusammen.

     „…gessen…“ Wieder hob sie ihren Blick, versuchte dabei Snape nicht allzu ratlos anzusehen. „Sie …ben … da- … vergess-…“, wiederholte er und deutete dabei auf eine Akte, die außerhalb Lucianas Blickfeldes lag. Selbstverständlich war ihm nicht entgangen, dass sie ihm, statt in die Augen, auf die Lippen sah – seine Brauen zogen sich misstrauisch zusammen und Luciana beeilte sich die Akte in ihrer Tasche zu verstauen.

     „Ich rede mit Ihnen!“ Diese Worte musste Snape beinahe geschrien haben, ihr Kopf ruckte blitzartig hoch – Ja, verhalt dich doch noch ein wenig auffälliger, ist ja nicht so, dass der Kerl ohnehin nen sechsten, siebten und wer weiß was noch für welche Sinne hat … - ja, und schon hatte sich seine Hand um ihren Oberarm gelegt, der sich von dem vorherigen ‚Spaziergang‘ nicht einmal ein bisschen hatte erholen können. Snape zog sie ein Stück zu sich heran (nicht, dass es viel einfacher gewesen wäre, selbst einen Schritt auf sie zuzugehen – er schien mehr von der Sorte ‚Der Berg kommt zum Propheten‘ zu sein), hob seine rechte Hand und führte diese, ganz zu Lucianas Entsetzen, zu ihrem Haar, welches ihr in der Öffentlichkeit nun schon seit dem Tag in Umbridges Büro ins Gesicht hing. Mit langsamer Bewegung hob er die Strähne an, die ihr rechtes Ohr bedeckte, um einen Blick darauf werfen zu können – für einen kurzen Moment weiteten sich seine Augen, beim Anblick des Schlachtfeldes, welches sich ihm bot, daraufhin ließ er ihren Arm los und wiederholte die Überprüfung auch auf der anderen Seite.

     Nachdem er ihr Haar wieder nach vorne hatte gleiten lassen, standen sie sich schweigend gegenüber. Snape musterte Luciana abschätzend, was dabei hinter seiner Stirn vor sich ging, ließ sich weder erraten, noch erahnen. Wenigstens schien er es aufgegeben zu haben, verbal mit ihr zu kommunizieren, denn nach ein paar weiteren Minuten, in denen sie unter dem nicht abbrechen wollenden Blick ihres Tränkeprofessors angefangen hatte ungeduldig von einem auf das andere Bein zu treten, ruckte sein Kopf Richtung Ausgang und dieses Mal schien er ihr sogar genug Verstand einzugestehen, den Weg bis vor die Haustür ganz alleine und ohne seine ‚führende‘ Hand zu bewältigen.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Erst in der Großen Halle, die verlassen im gedämmten Licht der wenigen Fackeln zu dieser späten Stunde dalag, schnappten seine Finger nach Lucianas Arm und zogen sie von ihrem eingeschlagenen Pfad nach oben Richtung Gryffindorturm in den entgegengesetzten der Kerker.

      Den ganzen Weg, von den Ländereien hoch zum Schloss, hätte sie schwören können, Snape wäre nur aus reiner Neugierde der Ursache ihres Gehörausfalls auf den Grund gegangen, nicht aber, weil er es in Betracht gezogen hatte, etwas an diesem Zustand zu ändern. Auf der anderen Seite musste er nicht unbedingt im Sinn haben ihr zu helfen, vielleicht hatte er auch nur Unterlagen von Dumbledore, die er Luciana überreichen sollte? Oder aber, er hatte ein ebenso umfangreiches Repertoire an Folterinstrumenten wie ES und im stand der Sinn nach verspäteter Rache wegen der Ohrfeige?

     Zum aller ersten Mal betrat Luciana Snapes Privaträume nicht durch die Hintertür seines Büros, sondern trat durch den Haupteingang, einen Korridor von seinem Büro entfernt. Ein kleiner, düsterer Flur, in dem sie die Schatten eines kommodenähnlichen Gegenstandes und die Haken einer ungenutzten Garderobe erahnen konnte, führte geradewegs zu einer Tür, hinter der das Wohnzimmer lag.

     Snape deutete mit einer ausladenden Geste auf die grüne Samtcouch, auf der Luciana schon bei ihrem letzten Besuch gesessen hatte und verschwand selbst in seinem Büro. Zögerlich schaute sie sich um – im Kamin prasselte ein kleines Feuer, welches in nicht allzu ferner Zukunft ohne weitere Holzscheite den Geist aufgeben würde. Um die ein Dutzend Öllampen hatten sich an der Wand wie automatisch angezündet, sobald sie den Raum betreten hatten und so erstrahlte das Wohnzimmer in hellem Licht. Luciana legte ihren Mantel auf der Couchlehne ab, setzte sich zögerlich auf das abgenutzte Polster und versuchte aus ihrer Position einen Blick in das Büro zu werfen, bei dem die Tür halb offen stand. Sie war sich fast sicher, dass wenn sie normal hätte hören können, Geräusche von dort erklingen würden und tatsächlich – als Snape eilig in den Raum trat, war er mit den Händen voller Flaschen und Behältnissen beladen, die er im Vorbeigehen auf den niedrigen Tisch vor ihr abstellte und gleich durch die nächste Tür brauste – Schlafzimmer, wie sie aus eigener, unvergesslicher Erfahrung wusste.

     Von dort erschien er mit einem Stapel Handtücher (dunkelgrün, wie konnte es auch anders sein), die er auch auf dem Wohnzimmertisch ablegte, Lucianas Augen wurden von Mal zu Mal größer, vor allem, weil die zwei Flaschen und der kleine Bottich da vor ihrer Nase nicht einmal beschriftet waren. Die fast schon fluoreszierende, orangene Farbe der größten Flasche und die klare Flüssigkeit der Zweiten, in der allerdings flockige, dunkelbraune Flecken herumschwammen (nicht als Bodensatz, es hatte beinahe den Anschein, als wären winzige Kaulquappen darin unterwegs), machten nicht gerade einen besonders vertrauenerweckenden Eindruck auf sie. Lucianas Sitzhaltung hätte unentspannter kaum ausfallen können. Sie saß derart kerzengerade auf dem Sofa, als hätte man ihr Rückgrat mit einem Besenstiel vertauscht.

     Doch Snape ließ sich davon, oder von ihrem zunehmend panisch werdenden Blick, nicht aus der Ruhe bringen – eines der Handtücher breitete er direkt vor ihr auf der Tischplatte aus, schraubte den Deckel einer mittelgroßen, keramischen Dose ab und zupfte eine Handvoll Wattepads daraus.

     „Kopf Handtuch!“, rief Snape, nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt und deutete auf eben jenes, mit einem Blick der keine Widersprache duldete. Trotzdem gönnte sich Luciana ein Zögern, bei dem sich die zwei kleinen Stimmen in ihrem Kopf einfach nicht einig werden wollten, ob es besonders klug war, diesem unberechenbaren Kotzbrocken Vertrauen zu schenken. Aber welch eine Wahl hatte sie schon? Sollte sie ein Ablenkungsmanöver starten und mit einem Sprint aus seiner Wohnung türmen? Und die noch viel dringendere Frage, hatte sie selbst nicht vor gehabt, Snape wegen ihrer Ohrenangelegenheit zu Rate zu ziehen und war dies nicht nur aufgrund eines äußerst bescheidenen Timings gescheitert? Du hättest dich mal lieber mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, diese Folterkammer von Schulleiterbüro zu betreten, anstatt jetzt so nen Affentheater wegen Snape zu machen – da, schau, sieht doch fast handzahm aus, wie er so dasteht und gleich nen Herzklabaster bekommt, weil du nicht sofort und auf der Stelle das machst, was er von dir verlangt …

     Luciana ließ Snape nicht eine Sekunde außer Augen, während sie sich auf den dunklen Holzfußboden des Wohnzimmers kniete und, wie befohlen, ihren Kopf auf das erstaunlich weiche Handtuch bettete. Snape nahm dies mit, für seine Verhältnisse, zufriedenem Blick zur Kenntnis und brachte sich selbst in ‚Operationsposition‘. Zunächst entkorkte er die beiden Flaschen, wobei die mit der orangenen Flüssigkeit sofort einen beißenden Geruch verströmte, ähnlich, wie ein handelsübliches Desinfektionsmittel, nur vielfach schärfer.

     Mit einem seichten Schwenker seines Zauberstabs beförderte Snape eine der Öllampen von ihrer Halterung an der Wand auf ihn zu – die Lampe blieb ein Stück über dem Tisch in der Luft schweben, sachte schob er dann ihr Haar beiseite, um das ‚Operationsfeld‘ freizulegen.

     Gerade, als Luciana sich fragte, wieso die Spitze seines Zauberstabes nun auf sie selbst gerichtet war, hatte er den Silencio-Zauber schon ausgesprochen … und sorgte bei ihr für augenblickliche Panik. Snape hätte es beinahe nicht geschafft sie am Aufspringen zu hindern, beinahe – seine linke Hand klammerte sich nun wie ein Schraubstock um ihren Nacken, während er die Rechte nutzte, um seinen Zauberstab wegzulegen.

     Noch einmal versuchte Luciana sich aufzubäumen, doch sein Griff hatte sie regelrecht auf dem Tisch fixiert. Mit weit aufgerissen Augen starrte sie auf die noch freie Hand des Professors, die gerade ihre Finger um die kleinere der beiden Flaschen, die mit den Kaulquappeninhalt, gelegt hatte. Ihr war nicht die Idee gekommen zu fliehen, weil sie befürchtete, Snape würde der Sinn nach Schülerfolter stehen, nein, mittlerweile war sie fest davon überzeugt, er würde ihr helfen – allerdings hatte er ihr dieses Mal sicherlich nicht ihre Stimme wegen ihres nervigen Geplappers temporär entfernt, der Zauber und die Fixierung an die Tischplatte ließen nur einen Schluss zu: Die Prozedur würde schmerzhaft ausfallen. Wie schmerzhaft, ja, das fand sie ein paar Tropfen Kaulquappenreisszahnätzessenz später heraus – nun ja, Snape war ein vorausschauender Mann, denn wäre der Schrei, der gerade geräuschlos Lucianas Kehle verließ, ungefiltert an die Oberfläche gelangt, er hätte vermutlich Hogwarts Schlossmauern zum Bersten gebracht.

     Es benötigte Snapes kompletten Körpereinsatz sie auf dem Tisch zu halten, um dann, mehr oder weniger geschickt, nach der leuchtend orangenen Flasche zu greifen und damit ihr Ohr ‚abzulöschen‘. Mh – das Pochen und die dumpfe Geräuschkulisse war auf der rechten Seite verschwunden, dafür brach ein ungeahnt starkes Kribbeln und Jucken aus. Die Hand, die sie daraufhin zum Kratzen an ihr Ohr hob, schlug Snape nebenbei beiseite (dabei hatte er diese Bewegung nur aus dem äußersten Augenwinkel heraus wahrnehmen können) und lockerte seinen Griff um ihren Nacken.

     „Nicht kratzen“, wies er an, sprach dies extra leise aus. Luciana nickte bestätigend. „Gehör wieder da“, merkte Snape darauf, mehr zu sich selbst, an und schraubte den Deckel einer metallenen Dose auf. „Liegen bleiben und stillhalten!“ Und mit diesen Worten strich er eine bräunliche Paste auf die Kuppe seines rechten Zeigefingers, beugte sich wieder konzentriert über sie und strich das klebrige Zeug großflächig auf ihre Ohrmuschel – dabei legte er eine feinfühlige Sanftheit an den Tag, die sie ihm nicht in tausend Jahren zugetraut hätte. Es dauerte keine Sekunde und das Jucken machte einem Taubheitsgefühl Platz, das, zu ihrer Freude, nicht ihren Hörsinn zu beeinträchtigen schien.

     „Umdrehen, andere Seite“, sagte Snape dann harsch, als er sich seine Hände an einem frischen Handtuch abgewischt hatte. Und wie es sich auch bei Spritzen verhalten konnte, selbst wenn man ganz genau wusste, sie würden helfen, man hatte trotzdem das Bedürfnis kreischend das Weite zu suchen.

     Den inneren Schweinehund beförderte Miss Dominant mit einem kräftigen Arschtritt aus Lucianas Gedankenwelt, sie drehte ihren Kopf mit sehr flauem Gefühl in der Magengegend auf die nächste Seite und kaum, dass sie wieder zum Liegen gekommen war, spürte sie seine Fingerspitzen auf ihrer Wange und wie diese abermals die umherliegenden Haarsträhnen beiseite strichen. Dass diese Berührung ein Prickeln auf ihrer Haut auslöste, schob sie auf mögliche Reste der Paste, die sich noch auf seiner Haut befinden mussten – was allerdings nicht ihren beschleunigten Herzschlag und die Röte erklärte, die sich in ihrem Gesicht ausbreitete.

     Wieder legte sich seine linke Hand in ihren Nacken, doch dieses Mal war sie vorbereitet. Ihr Mund formte sich nicht zu einem stummen Schrei und auch wenn sie ein leichtes Zucken nicht ganz unterdrücken konnte, presste Luciana lediglich ihre Lider fest zusammen. Snape wiederholte die gesamte Prozedur mit den zwei Flüssigkeiten und der Paste, atmete dann, als er endlich fertig war, hörbar aus, nahm den Silencio von ihr und machte sich daran, die Flaschen, Behälter und Handtücher wegzuräumen. Nur das Behältnis mit der braunen Paste ließ er auf dem Tisch stehen.

     Luciana setzte sich in der Zwischenzeit wieder auf das Sofa, kramte in ihrer Hosentasche nach einem Zopfgummi und band sich, nach schier endlosen Wochen, das erste Mal in Gesellschaft einen Pferdeschwanz. Vorsichtig befühlte sie ihre Ohren, doch außer dem Taubheitsgefühl schien alles wieder beim Alten zu sein. Tja, lange Zeit voller Schmerz und Taubheit hätte sie sich damit wohl sparen können. Und wer war mal wieder Schuld an dem ganzen Dilemma? Erst kam ihr ihre nicht von der Hand zu weisende Dickköpfigkeit in den Sinn, aber es war doch wesentlich einfacher, Professor Snape die Schuld in die Schuhe zu schieben. Hätte er an dem Abend mit dem Denkarium und Potter nicht derart überreagiert, wäre es niemals so weit gekommen. Ja, das klang logisch und brachte Luciana wieder mit sich selbst ins Reine. Zumindest bis zu dem Augenblick, als Snape wieder das Wohnzimmer betrat, die Tür zu seinem Büro hinter sich schloss und ihr gegenüber auf dem Sessel Platz nahm. Eigentlich war sie fest davon ausgegangen, er würde sie aus seinen Räumen jagen, sobald sie wieder halbwegs aufrecht sitzen konnte. Er tat allerdings nichts dergleichen, saß nur da und begann mit diesem schier endlos nervigem Starren. Wenigstens sparte er sich das Tee-Angebot, ansonsten wäre sie Panik schreiend aus seinen Räumen geflohen.

     „Umbridge, nehme ich an?“, sagte er nach Minuten der Stille. Luciana nickte. „Zumindest keine Eiserne Jungfrau“, kommentierte er darauf.

     „Die steckt wahrscheinlich noch im Zoll fest“, murrte sie und knirschte dabei sichtlich mit den Zähnen.

     „Es war sehr leichtsinnig von Ihnen, diese Art von Wunde nicht früher behandeln zu lassen. Bis zu einer Blutvergiftung hat nicht mehr viel gefehlt.“

     Damit ließ er ihr einen seiner ‚Sie haben einfach zu wenig Hirn‘ Blicke zukommen.

     „Hab’s versucht, nur bin ich dabei irgendwie aufm Kerkerboden gelandet, frag mich nur wie ich bloß dahin gekommen bin“, säuselte Luciana ihm entgegen und selbstverständlich verfehlten diese Worte ihr Ziel nicht. Nun war es an Snape mit den Zähnen zu knirschen.

     „Sie haben in den letzten Monaten bemerkt, dass diese Schule über einen Krankenflügel mit einer kompetenten Heilerin verfügt, Miss Bradley?“

     „Ich bitte Sie, glauben Sie ernsthaft Umbridge nötigt mich zur Selbstverstümmelung, um mich daraufhin in den Krankenflügel zu schicken? Seit wann sind Sie denn so naiv?“

     Den letzten Satz, den Snape sicherlich als Beleidigung hätte auffassen können, überhörte er scheinbar geflissentlich – er hatte sich in seinem Sessel ein wenig nach vorne gebeugt, eine Augenbraue war dabei in die Höhe geschnellt. „Selbstverstümmelung?“

     „Klar, die Dame macht sich doch nicht persönlich die Hände schmutzig … hätten Sie mal am Anfang des Schuljahrs sehen müssen, die hat eine Ausgabe von der Ritz-dich-Blutig-Feder mit der man Elefanten häuten könnte!“

     Snapes Augenbrauen wanderten nun zwei Abteile hinunter.

     „Anfang des Schuljahres?“, knurrte er leise. „Haben Sie Ihre Hauslehrerin davon in Kenntnis gesetzt?“ Luciana hob nur belustigt ihre Brauen. „Den Schulleiter?“ Ihr schiefes Lächeln wurde breiter, Snapes Gesicht immer rasender.

     „Sir, Ihre Einwände in allen Ehren, aber mal ehrlich, wie hätte Dumbledore der Ollen nachweisen sollen, dass sie … unlautere Bestrafungsmethoden bei Schülern einsetzt? Mal ganz davon abgesehen, dass Umbridge und der Minister ihn von Anfang an von seinem Posten sägen wollten.“

     „Es ist nicht Ihre Aufgabe, für den Schulleiter zu denken“, sagte Snape daraufhin barsch, „und hätte ich den Schaden an Ihren Ohren nicht per Zufall entdeckt, hätte der schlampige Umgang mit Ihrer Gesundheit bleibende Ausfälle oder Schlimmeres verursachen können!“, wetterte er weiter – Lucianas Augen waren währenddessen immer größer geworden. Seit wann interessierte es Snape, wie es um ihre Gesundheit stand? Wenn es nicht gerade darum ging, sie abnippeln zu sehen?

     „Sir, ich muss mir nun wirklich keine Gesundheitstipps von jemandem geben lassen, der es nicht einmal schafft, regelmäßig ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen.“

     Im ersten Moment schien Snape von dieser Aussage regelrecht geplättet zu sein (und vor allem von dessen Bedeutung und zwar, dass Luciana ihn über längeren Zeitraum hatte genauestens beobachten müssen, um zu diesem Schluss zu kommen), darauf schien er allerdings regelrecht aufzublühen … in seinem Tobsuchtsanfall.

     „HALTEN SIE SICH GEFÄLLIGST AUS MEINEN PRIVATANGELEGENHEITEN!“

     „Dito.“

     „Ich bin Ihr Lehrer!“

     „Gut erkannt: Nicht mein Vater.“

     „Solange Sie an dieser Schule unter der Obhut des Lehrerkollegiums stehen, habe ich als Lehrer die Verantwortung eines Vormundes jeder meiner Schüler inne und das schließt Sie genauso mit ein!“

     „Uh, heißt das ich bekomm Taschengeld von Ihnen?“

     „Wenn Sie sich weiterhin über mich lustig machen, wird dies ernsthafte Konsequenzen für Sie haben, Miss Bradley.“

     „Wie wär’s mit Auspeitschen?“

     „Vortreffliche Idee, wo Mr Filch jetzt die offizielle Erlaubnis dazu hat.“

     „Sie bluffen …“

     „Wollen Sie es darauf ankommen lassen?“

     Wollte sie das? Snapes triumphierendes Gesicht ließ sämtliche Alarmglocken in ihrem Geiste aufheulen. Ja, irgendwie passte diese Aussage zu dem überglücklichen Gesichtsausdruck des Hausmeisters, welches er aufgelegt hatte, als George und Fred bei ihrem letzten Streich erwischt worden waren. Und hatte er dabei nicht mit einem Zettel herumgewedelt, ganz als sei dies der Heilige Gral für ihn gewesen?

     Luciana schluckte. Und Snape schien immer noch wütend über ihre ‚kleinen‘ Unverschämtheiten zu sein. Wenn sie ehrlich zu sich war, wen in diesem vermaledeiten Schloss hatte sie noch, den sie zumindest halbwegs zu ihren Verbündeten zählen oder wenigstens um Hilfe bitten konnte? Der Großteil ihrer eigenen Hauskameraden mieden sie wie eine stinkende Kloake, Potter, Granger und Ronald waren mit sich selbst beschäftigt, Longbottom und einige andere Mitglieder der DA waren vielleicht nicht ganz so übel wie vermutet, aber konnte Luciana ernsthaft auf sie zählen? Myrte schloss sie in diese Überlegung erst gar nicht mit ein, Filch war zum Lakaien von ES mutiert und für McGonagall hatte sie zwar Sympathie übrig, aber wenn es wirklich hart auf hart kam, würde Lucianas Weg immer in die Kerker führen und nicht zum Büro ihrer Hauslehrerin.

     „Danke für Ihre Hilfe, Sir“, murmelte Luciana kleinlaut und schaute dabei auf ihre gefalteten Hände, die in ihrem Schoß lagen. „Ich weiß, ich hätte was sagen sollen, aber ich bin einfach zu dickköpfig gewesen … es wird nicht wieder vorkommen.“

     Ha, das war es wohl mit dem Wind in Snapes Segeln gewesen, selbst seine wutverzerrten Gesichtszüge waren ihm für ein Nanosekündchen entglitten. Und wieder einmal breitete sich Schweigen zwischen Snape und Luciana aus – der Professor verzichtete dieses Mal sogar darauf, sie anzustarren.

     „Hab ich das richtig mitbekommen, George und Fred sind im Orden aufgenommen?“, kam es Luciana in den Sinn.

     „Haben Sie“, antwortete Snape knapp, anscheinend überhaupt nicht glücklich über diese Erinnerung, wieder Stille und dann: „Miss Bradley, sagen Sie, wie lange ist ihr Gehör schon in Mitleidenschaft gezogen gewesen?“

     „So dass ich fast nix gehört hab?“

     Snape nickte.

     „Ein paar Tage, denk ich.“

     Noch ein Nicken.

     „Nun gut, Sie können gehen.“ Mit dieser abrupten Gesprächsbeendung lehnte sich Snape ein Stück nach vorne und schob den Tiegel mit der Paste in Lucianas Richtung. „Morgens und abends dünn auftragen, eine Woche lang.“

     Aaarrrgh, dieser Kerl war doch zum verrückt werden! Erst was ansprechen und dann nicht sagen, worauf er überhaupt hinaus wollte. Luciana schnappte sich die Salbe, hielt sie in der Hand und blieb noch einen Moment sitzen, doch Snape machte nicht einmal minimale Anstalten dem etwas hinzuzufügen. Also gab sie sich seufzend geschlagen, erhob sich und nahm ihren Mantel und ihre Tasche von der Sessellehne. Sie war fast an der Tür, die zu seinem Büro führte, angelangt (sie wäre beinahe auf die andere Tür zugesteuert, die, die in den Flur und in den anderen Korridor wies, allerdings war ihr im letzten Moment in den Sinn gekommen, dass es sicherlich ein wenig komisch für Schüler, oder vor allem Lehrer und Schulleiterinnenaugen aussehen würde, sollte sie dabei gesehen werden, wie sie aus den Privaträumen von Professor Snape spazierte), als sie sich noch einmal auf dem Absatz herumdrehte.

     „Sir, wieso haben Sie gefragt?“

     Snape drehte seinen Kopf in ihre Richtung und schien abzuwägen, ob sie überhaupt eine Antwort verdient hatte.

     „Ich habe mich gefragt, ob Sie meine Ergänzungen bezüglich des Unterrichtstoffes für die Zaubertrankprüfung mitbekommen haben.“

     „Ergänzungen?“, platzte es aus Luciana heraus und das bekannte Gefühl von Panik stieg in ihr auf. „W-was für Ergänzungen?“

     „Die, dass Gegengifte Prüfungsthema sein werden.“

     „A-aber es war doch nur die Rede von Stärkungs- und Heiltränken …“ Ihre Stimme klang dabei monoton und irgendwie … geschockt. „Es sind doch bloß noch vier Wochen bis zu den ZAG’s … wieso sagen Sie das denn erst jetzt?“

     „Aber, aber, Miss Bradley, Sie sollten doch den gesamten Unterrichtsstoff beherrschen“, schnarrte Snape genüsslich. Luciana öffnete die Tür, wendete sich aber nochmals Snape zu.

     „Und Sie hätten mich ins offene Messer laufen lassen, wenn ich grad nicht nochmal nachgefragt hätte …“

     Diese Bemerkung ließ Snape unkommentiert, nur ein leicht zuckender Mundwinkel verriet seine boshafte Schadenfreude über ihre Empörung.

     „F-i-e-s und g-e-m-e-i-n!“, schmetterte Luciana ihm entgegen und warf die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloss.



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