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Luciana Bradley und der Orden des Phönix

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Abreise von Gleis neundreiviertel

Abreise von Gleis neundreiviertel

 

Lucianas letzte Wochen in der Fronhofstraße waren weitaus erfreulicher, als die von Stress erfüllten Tage vor dem Einkauf in der Winkelgasse. Gabriel hatte sich um die noch ausstehenden, formellen Angelegenheiten mit den Behörden gekümmert und setzte nun alles daran, ihre letzten Tage so abwechslungsreich wie nur irgend möglich zu gestalten. Dazu zählte ein Tagesausflug nach Düsseldorf in ihre Lieblingsläden (ein Pate mit furchtbar schlechtem Gewissen zahlte sich immer aus) oder die Investition mit einem Haufen Geld in Gerätschaften bei einem Schwarzmarkthändler, die zwar wie normale Musikanlagen oder Walkmans aussahen, aber es im Grunde nicht sein konnten.

     „Diese Geräte funktionieren auch in Hogwarts“, hatte Gabriel ihr erklärt. „In der Gegend um und vor allem im Zentralpunkt der Schule, liegt so viel magische Energie in Luft, dass jede Erfindung mit einem Schaltkreis oder einer Platine völlig verrücktspielt … diese Sachen“, er hatte mit seinem Zeigefinger auf den Warentisch vor ihnen gezeigt, „wandeln Energie magischen Ursprungs in der unmittelbaren Umgebung in Elektrizität um. An einem Ort wie Hogwarts spart man sich damit also jegliche Stromkosten und die Technik spielt nicht verrückt … das Manko ist nur, dass es nur in Anwesenheit von sehr viel Magie funktioniert. Da der Absatzmarkt bei den Zauberern gleich null geht, sind diese Sachen nicht gerade ein Verkaufsschlager. Und hier das Wichtigste“, er deutete auf ein recht großes, klobiges Mobiltelefon, wie diese Dinger, die vorrangig Mercedes-Fahrer in ihren Autos nachinstallieren ließen. Dabei hatte Luciana nie verstanden, wie man nur so wichtig sein konnte, dass ein Telefon auch unterwegs von Nöten war. „Das funktioniert auch in Hogwarts, ähnlich wie die anderen Geräte, nur etwas komplexer, wie du dir denken kannst - immerhin muss das Teil durch magische Schutzschilde ein Netz finden. Ich möchte, dass du es immer bei dir trägst!“ Luciana nahm das Handy mit skeptischem Blick vom Tisch. Es war nicht nur klobig, sondern auch nicht gerade ein Leichtgewicht.

     „Den sperrigen Klotz soll ich immer dabei haben?“, fragte sie ihren Paten skeptisch, dessen Gesichtsausdruck etwas Genervtes bekam.

     „Du musst lernen etwas mehr wie eine Hexe zu denken, Luciana.“ Und das kam von der Person, die die letzten Jahre alles daran gesetzt hatte, genau dies zu verhindern …  Mit diesen Worten zog er seinen Zauberstab aus dem Ärmel seines anthrazitfarbenen Sakkos und hielt ihn auf das Ungetüm in Hartplastikschale. Im nächsten Augenblick schrumpfte dieses auf Schlüsselanhängergröße zusammen.

     „Häng es dir als Kette um den Hals, oder was weiß ich, sei kreativ. Und wenn du es wieder benutzen willst oder es klingelt, zauberst du es einfach wieder auf Normalgröße … da muss ich dir aber nicht erklären wie das geht, mh?“ Luciana ließ das Handy brummelnd in ihre Hosentasche gleiten.

     Luciana bekam zum ‚Vorabschied‘ fünfzehn Stangen Lucky Strike von Johnny geschenkt, mit dem einzigen Kommentar, dass man nie genug davon haben könne; vor allem wenn man in der schottischen Pampa festsäße und der nächste Zigarettenautomat vermutlich eine Helikopterreise entfernt lag. Die ersten zwei Stangen rauchte sie in den letzten vierzehn Tagen, in der Hoffnung, sie könnten ihr Nervenkostüm ein wenig stabiler machen (was nur bedingt funktionierte) – denn all die Bücher, welche sie aufarbeiten musste, raubten ihr den letzten Nerv. Vier davon brauchte sie zwar nicht lesen, da sie sich vor ein paar Tagen für die Wahlfächer Wahrsagen (Kommentar ihres Paten: „Kannst du mit einem Kunst LK vergleichen.“) und Pflege magischer Geschöpfe (Zitat Johnny: „Du kannst Gabriel zähm‘n, dann schaffst du’s auch bei nem Höllenhund.“) entschieden hatte, aber gerade Geschichte der Zauberei, Kräuterkunde und Verwandlungen machten ihr zu schaffen.

     Bei Geschichte der Zauberei war sie schon ganze drei Mal über dem Buch eingeschlafen. Trolle lagen ihr einfach nicht, zudem war es schier unmöglich, die Ursachen für all deren Streitereien der letzten Jahrhunderte zu ergründen - nicht einmal der Autor schien aus den Konflikten schlau geworden zu sein. Und für Verwandlungen zu üben, gestaltete sich als sehr schwierig, da bei jedem Wink ihres Zauberstabs eine Eule in ihr Zimmer geflattert kam und ihr einen weiteren Verwarnungsbescheid des Ministeriums brachte.

     Bei Numero sechshundertundneunundfünfzig setzte sie Azrael vor die Zimmertür, der einfach keine weiteren Briefe durchließ. Das Problem mit dem Monsterbuch der Monster (es hatte Luciana beim Öffnen des Gürtels, der um das Buch geschnallt war, fast die Hand abgerissen), hatte Johnny mittels eines geborgten Bunsenbrenners aus dem Tränkelabor ‚gelöst’ (man konnte es zwar jetzt ohne weiteres aufschlagen, jedoch verschwand es mit einem Heidengekreische unter Lucianas Bett, wenn sich Johnny ihrem Zimmer auch nur ansatzweise näherte).

     Am letzten Augustabend veranstaltete Gabriel eine Abschiedsparty für sie im ‚engsten‘ Kreis der Bewohner und Mitarbeiter des Bunkers.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

     Den nächsten Morgen erwachte Luciana mit dem größten Kater seit langer, langer Zeit. Ihr Schädel stach, pochte und schmerzte, ihr Mund war trocken und fühlte sie pelzig an. Eindeutig zu viel Schwelmer-Pils® gesoffen, dachte sie sich. Um den widerwärtigen Geschmack auf ihrer Zunge loszuwerden, machte sie sich sofort daran, eine Zigarette anzuzünden, kaum dass sie sich im Bett aufgerichtet hatte. Ein Blick auf ihren Wecker verriet ihr, dass sie noch über eine Stunde Zeit hatte. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie sie eigentlich innerhalb von einer halben Stunde von Deutschland zu einem Londoner Bahnhof gelangen sollte. Doch Gabriel hatte ihr gesagt, sie solle sich darum keinen Kopf machen. Gesagt, getan … Mit fahriger Handbewegung kramte Luciana in der überfüllten Schublade ihres Nachtschränkchens, bis ihre Finger, nach einer gefühlten Ewigkeit, endlich auf das kleine Glasfläschchen mit trübgelber Flüssigkeit stießen. Das Entkorken gestaltete sich in ihrem Zustand etwas schwierig, aber nachdem sie dies vollbracht hatte und den Inhalt des Fläschchens mit einem großen Schluck in ihren Magen beförderte, dauerte es keine Minute, bis erst das Pochen in ihrem Kopf und danach alle weiteren Symptome ihres Mega-Katers verschwanden.

     Ohne Eile schlurfte sie aus dem Bett, schnappte sich ein paar umherliegende Kleidungstücke von ihrer Couch und dem Berg Frischwäsche (welchen sie seit einer Woche versäumt hatte in ihren Kleiderschrank zu räumen), schlüpfte dann in eine Blue-Jeans und zog sich einen schwarzen Rollkragenpulli über den Kopf. Die dunkelroten Chucks zuzuschnüren beanspruchte ein wenig mehr Zeit, da das kleine Biest von einem Falken offenbar die Stunden ihrer Abwesenheit der letzten Nacht dazu genutzt hatte, ihre Schnürsenkel fein säuberlich aus den Schuhen zu rupfen.

     In der Küche stand schon der Kaffee und ihr Lieblingsfrühstück bereit (Spaghetti Bolognese mit extra viel Parmesankäse). Johnny saß an seinem Platz; in den Händen hielt er, wie jeden Morgen, das Schundblatt des Jahrhunderts. Natürlich schwebte dabei ausgerechnet der Part vor ihrem Gesicht, der aus nichts weiter als Silikonmöpsen der Kategorie XXL zu bestehen schien.

      Azrael saß derweil auf dem Herd, inmitten des Topfes mit der Fleischsauce und pickte sich, fein akribisch, die größten Hackbällchen heraus.

     „Wo ist Gabriel?“

     „Der is im Wohnzimmer und schließt den Kamin an“, sagte Johnny, ohne den Blick von seiner Zeitung abzuwenden.

     „Verdammte-!“, kam es, wie aufs Stichwort, aus dem besagten Raum.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

     „Hast du deine Bücher?“

     „Ja!“

     „Zauberstab?“

     „Ja.“

     „Ausrüstung?“

     „Ja …“

     „Ausweis, Papiere, Geld?“

     „Jup.“

     „Handy?“

     „Si.“

     „Serum?“

     „Naturellement …“

     „Azrael?“

     „Jaaa …“

     „Verhütungsmittel?“

     „GABRIEL!!“

     Johnny, Gabriel und Luciana standen umzingelt von zwei Koffern, einem Rucksack und einem Vogelkäfig (mit von Tomatensauce beschmiertem Inhalt) vor einem ziemlich großen Kamin mitten im Wohnzimmer, der am vorherigen Tag noch nicht dort gestanden hatte.

     „Ich hab uns für eine Stunde am internationalen Flohnetzwerk angeschlossen, eine Stunde, keine Sekunde länger – das gilt vor allem für dich, Johnathan, keine spontanen Abstecher nach Soho, verstanden?“ Johnny machte ein Gesicht, als habe Gabriel ihm gerade einen ganz besonders schmackhaften Lutscher weggenommen. „Bereit?“

     Luciana fragte sich in diesem Moment, warum Gabriel nicht schon zum Zeitpunkt ihres Winkelgasseneinkaufs auf die glorreiche Idee mit dem ‚internationalen Flohnetzwerk‘ gekommen war – jedoch wurde sie im nächsten Atemzug auch schon in den Kamin geschoben. Sie nahm sich eine handvoll Flohpulver aus der Schachtel, die Gabriel ihr direkt unter die Nase hielt und dann fiel ihr ein, dass sie gar nicht wusste, welchen Ort sie dem Flohnetzwerk angeben sollte.

     „Gleis neundreiviertel“, beantwortete Gabriel ihre ungestellte Frage und schüttelte ihr das Flohpulver aus der Hand.

     Und schon begann sich um sie herum alles zu drehen. Ein starker Sog beförderte sie aus dem heimischen Wohnzimmer – hunderte von Kaminen schossen in rasanter Geschwindigkeit an ihr vorbei, ihr Magen schien sich um neunzig Grad gedreht zu haben, während sie mit an ihren Körper gepressten Armen den hie und da engeren Mauern der Kamine auswich – Der Sog war so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Als Luciana es wagte, den ersten Atemzug zu nehmen und dabei mit wackeligen Beinen den Kamin frei machte, war ihr gesamtes Blickfeld von einer scharlachroten Dampflok eingenommen. Auf einem Schild über der qualmenden Lok stand Hogwarts-Express, 11 Uhr. So einen eindrucksvollen Zug hatte sie das letzte Mal bei einem Klassenausflug in ein historisches Museum zu Gesicht bekommen.

     „Nimm deine Griffel von meinem Arsch!“ Gabriel. Luciana wandte sich von der Lok ab, drehte sich auf dem Absatz um und dort saß er, über ihm Johnny und ihr Gepäck, auf dem aschebedeckten Boden des in das Mauerwerk eingelassenen Kamins.

     „So, dann suchen wir dir mal einen freien Waggon“, sagte Gabriel, rappelte sich auf und strich sich die Asche von seinem Armani Anzug.

     Auf dem Bahnsteig tummelten sich massenweise Schüler mit ihren Eltern, Verwandte und Menschen in roten Uniformen, die alle ein ‚Hogwarts-Express‘ Schildchen auf der Brust trugen. Dem Großteil von ihnen hätte man auch in der Winkelgasse begegnen können, doch einige machten den Eindruck, ganz und gar nicht hierher zu passen. Eine Handvoll dieser besagten Leute schauten sich zudem mit kugelrunden Augen immer wieder zu allen Seiten um, als könnten sie nicht begreifen, in welcher Szenerie sie sich gerade aufhielten. Dabei waren diese immer in Begleitung von ganz besonders jungen Schülern. Demnach schloss Luciana, dass es sich um das ahnungsfreie, nicht-magische Völkchen handeln musste, die bis vor kurzem nicht den Schimmer einer Ahnung von den außergewöhnlichen Veranlagungen ihrer Sprösslinge gehabt hatten. Nun ja, zu deren Verteidigung: Luciana selbst war es bis letzten Monat vollkommen unbekannt gewesen, dass man als Hexe mit britischer Geburtsurkunde zwingend notwendig einen Abschluss an einer Zauberschule vorzuweisen hatte, wenn man denn unbehelligt Magie anwenden wollte. Was übrigens nicht zu verhindern war – es würde sich immer, früher oder später, eine Situation ergeben, in der man als magisch Begabter einen Zauber anwandte, ob freiwillig oder nicht. Was Hogwarts, ganz nebenbei erwähnt, zu einer Zwangseinrichtung machte, wenn man sein Leben nicht als Verbrecher auf der Flucht verbringen wollte. Doch bevor dieser Gedanke ihr schon wieder die Laune verhageln konnte, sah sie im Augenwinkel Johnny und Gabriel, die sich mit ihrem Gepäck auf den Weg zu den mittleren Waggons machten.

      Ein Blick auf das Ziffernblatt der Bahnhofsuhr verriet ihr, dass der Zug in zwanzig Minuten das Gleis verlassen würde. Es sei denn, der Verein hier war Mitglied der Deutschen Bahn AG.

     Luciana bemühte sich, durch das Gedränge nicht ihre beiden Begleiter aus den Augen zu verlieren. Letztendlich fand sie die zwei erst im Innern des Zuges wieder, aber zumindest hatten sie es vollbracht das anscheinend letzte, freie Abteil für sie in Beschlag zu nehmen.

     „Wenn du irgendwelche Schwierigkeiten hast, dann schreibst du mir – sofort!“, merkte Gabriel, mit hocherhobenem Zeigefinger, beim Abschied an. „Lass dich nicht auf Sachen ein, die dir sonderbar vorkommen, trete keinem Zirkel bei – und ich möchte nächstes Jahr nicht mehr Kinder vom Bahnhof abholen, als ich verabschiedet habe!“

     Darauf hatte sie nichts weiter als einen tiefen Seufzer und eine Runde Augenrollen zu entgegnen. Ein Glück, dass das Abteil eine Schiebetür hatte und keine Sterbensseele Zeuge dieser Ansprache geworden war …

     Nachdem Johnny Luciana noch einmal in den Arm geschlossen und Gabriel ihr einen Händedruck verpasst hatte, verließen sie das Abteil. Als sich der Hogwarts-Express, pünktlich um elf Uhr, in Bewegung setzte, winkten sie zum Abschied, wie es ihnen Dutzend anderer Menschen auf dem Bahnsteig gleichtaten.

      „Und vergiss nicht: Getötet wird nur im äußersten Notfall!“, hörte sie Gabriel aus der Menge schreien und jap, hätte sie in diesem Moment nicht den Kopf aus dem Fenster des Abteils gesteckt, hätte sie auch niemand mit diesem Anhängsel in Verbindung bringen können.

     Der Zug verschwand nun in der Kurve, selbst der schwarze, große Hund hatte es aufgegeben hinter der Lok herzulaufen.

     Luciana beschloss es sich ein wenig gemütlicher zu machen und ihr neu erstandenes Terry Pratchett Werk näher in Augenschein zu nehmen. Azrael machte allerdings einen solchen Aufstand in seinem Käfig, dass sie ihn hinauslassen musste.

     „Wie siehst du nur wieder aus …“

     Von seinem Federkleid bröckelte angetrocknete Sauce.

     „Ratzeputz!“

     Das Kreischen von ihm war wohl noch vorne in dem Fahrerhaus zu hören – sträubend schlug Azrael den Schaum aus seinen Flügeln und saute somit den gesamten Waggon ein.

     „Na das fängt ja gut an …“

 

    

 

 



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