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The Saga - Blossom of Eternity

von

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Prolog: Tears

End of a friendship
 

Prolog: Tears
 

'Ein bittersüßes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Nun wusste sie endlich, wie es um seine Gefühle stand. Der Glanz in ihren dunklen Augen verriet ihre Trauer, die sich tief in ihrem Herzen regte. Salziges Wasser floss langsam über ihre zartrosafarbenen Wangen, die Tränen vermehrten sich schnell. Eine ihrer Hände strich vorsichtig über das helle Holz der Tür, ihre Finger streiften die feinen Maserungen, dann umklammerte sie ein letztes Mal den Anhänger, der an der Kette um ihren Hals hing.

/Dies ist also das Ende unserer Freundschaft... /

Sie zog einmal kräftig am silbernen Band und ein paar Glieder gaben sofort nach. Das Medaillon anblickend kniete sie sich nieder und legte es behutsam auf die schmale Stufe, nahe an den Spalt der Tür.

/Wenn dies dein Wille ist, so will ich ihm nicht im Wege stehen. Ich würde alles für dich tun, auch wenn du nun nicht mehr greifbar bist. Obwohl du mich verletzt hast, werde ich dich niemals vergessen können. Meine Liebe zu dir wird vielleicht irgendwann verblassen, doch niemals völlig versiegen... /

Mit fest geschlossenen Augen dachte sie zurück. Ihren ersten gemeinsamen Kuss glaubte sie, immer noch schmecken zu können; ein tiefer Atemzug erinnerte sie an den edlen Duft seines Parfums, das er immer zu tragen gepflegt hatte. Nun ergossen sich weitere Tränen, die wie Perlen im Sonnenschein funkelten.

/Die Geborgenheit, die du mir gabst, werde ich nie wieder verspüren dürfen, ebenso wenig deine starken Hände auf meiner Haut. Ich hatte mich vorher nie bei einem Menschen so wohl gefühlt... /

Lethargisch erhob sie sich, wandte der Vergangenheit den Rücken zu und fasste sich mit einer Hand an die Brust, unter der ihr Herz im Takt einer traurigen Sinfonie schlug.

Sie fühlte sich so leer... und einsam.'

Chapter 1: Eyes

Chapter 1: Eyes
 

Die warme Frühlingssonne schien behutsam auf sie herab und eine kleine Brise stob ihr ins Gesicht. Kiara hielt sich eine Hand schützend an die Stirn und blickte gen Himmel, dessen strahlendes Blau sie schon als Kind so fasziniert hatte. Wie jeden frühen Nachmittag schlenderte sie durch die Wheaping-Allee und wie jeden Tag beobachtete sie die jungen Familien, die ihre Kinder stolz an den Händen hielten, und die älteren Menschen, die vergnügt und sich meist eifrig unterhaltend auf den Bänken am Wegrand saßen. Der frische Duft von blühenden Blumen stieg ihr in die Nase und sie blieb einen Augenblick stehen, kniete sich nieder, ganz nahe an die weißen und violetten Hyazinten heran und nahm einen tiefen Atemzug. Lächelnd erhob sie sich wieder.

/Herrlich. Wenn es solch Vitalität und Aroma nur jeden Tag geben könnte.../

Doch sie konnte sich schnell von dort lösen, schließlich war ihr Ziel noch lange nicht erreicht. Sie brauchte nicht erst auf die Uhr zu schauen, um zu wissen, dass sie dennoch gut in der Zeit lag.

"Schönen Tag, Kiara."

"Hallo Mr.Ricsen."

"Wie geht es deinem Vater heute? Immer noch Beschwerden im Bein?"

"Oh, ihm geht es recht gut. Er meinte heute Morgen, heute sei der erste Tag, an dem er es wieder annähernd schmerzfrei bewegen kann."

Sie blickte den alten Bekannten ihres Vaters freundlich an. Diesen ebenso freundlich erwidernd wandte Mr.Ricsen sich wieder seiner Frau zu, die neben ihm saß und Kiara auch kurz zunickte. Der grauhaarige Mann in einem schon reichlich abgenutztem Anorak legte seinen rechten Arm um die gebrechliche Dame. Kiara wusste, dass Mrs.Ricsen weit über 80 Jahre alt war, aber sie bestaunte jeden Tag von Neuen ihre glänzenden Augen, die diesen Ausdruck von reiner Freude in sich trugen. Plötzlich überkam Kiara ein Hauch von Traurigkeit. Sie musste an ihre Großmutter denken, die sie vor neun Jahren verloren hatte.

/Ich wünsche sie mir so oft zurück, doch... /

Ruckartig blieb sie stehen, kniff fest die Augen zu und schüttelte einmal kräftig den Kopf.

/Nein Kiara! Lass es! Es bringt dir nichts außer Trauer und Wut!/
 

Nach etwa einer Stunde sah sie endlich die Spitze des Kirchturms. Vor einer Weile schon hatte sie die Wheaping-Allee hinter sich gelassen und war durch mehrere Seitenstrassen gegangen. Ein wenig gedankenverloren starrte sie geradeaus, doch als sie nun auch das beruhigende Rauschen vernahm, klarte sich ihr Blick und ihre Augen begannen zu leuchten.

Sie streifte eine Haarsträhne zurück und begann fast zu rennen. Diese Anziehungskraft, die dieser Ort auf sie ausübte, ließ ihr Herz schneller schlagen und Adrenalin empor steigen. Vorbei an den vielen Reihenhäusern, die ihrer Meinung nach zu trostlos aussahen, denn ihre Bewohner machten sich anscheinend nie die Mühe, sie mit einem neuen Anstrich zu versehen oder den kleinen Rasenstreifen davor neu zu bepflanzen; vorbei an dem kleinen Kindergarten, in dem nun nur noch vereinzelt Kinder spielten, denn die meisten waren schon vor Stunden von ihren Eltern abgeholt worden; vorbei am Sportplatz, auf dem die Fußballmannschaft eifrig trainierte, um endlich den heiß ersehnten Aufstieg zu schaffen.

Völlig außer Atem erreichte Kiara ihr Ziel. Mit großen funkelnden Augen sah sie nun die Kirche vor sich, die sie frösteln ließ. Es war nicht irgendeine Kirche. Dieses Monument stand für ihre Familie, ihre Ahnen und Urahnen.
 

Sie kletterte geschickt auf den mittelgroßen Felsen rechterhand des Kirchturms und ließ sich darauf nieder. Nun konnte sie auch den Wielding sehen, auf dem einige Enten schwammen. Der Lauf des Flusses war weitreichend einzusehen und sie verfolgte ihn in Gegenflussrichtung bis hin zum Fuß des Waldes, in dem die Quelle lag, aus dem er das Leben schöpfte. Laut seufzend winkelte Kiara ihre Beine an und umklammerte sie mit beiden Armen.

Ein Gefühl des unendlichen Glücks überkam sie, das aber eine träge Sehnsucht in sich trug. Ein sanftes Kribbeln machte sich in ihrem Körper breit und erneute Gänsehaut befiel sie, die sich aber bald wieder legte.

Die Kirchturmuhr schlug und verkündete, dass die Dämmerung kurz bevorstand. Mit jedem Schlag des Klöppels an die Innenseite der Glocke klopfte Kiaras Herz laut. Sie erinnerte sich an eine Geschichte, die ihr ihre Mutter einmal erzählt hatte, als sie einen Abend bei Gewitter und Sturm allein daheim waren, da ihr Vater geschäftlich zu tun hatte. Diese Geschichte hatte sie nur ein einziges Mal gehört, aber Kiara konnte jedes einzelne, noch vielleicht so unbedeutende Wort wiedergeben. Sie glich eher einer alten Sage und Kiara konnte damals, und auch heute noch nicht recht glauben, dass sie persönlich darin involviert war. In ihren Gedanken kreiste wieder dieser Junge, Jake, wie ihre Mutter ihn genannt hatte. Von hohem Adel und aus fernen Landen.

/Jake, ja genau so betitelte Mom ihn. High Mountain, der Berg der Vernunft... ob es ihn wirklich je gab?/

Ihr wurde schwindlig und sie hatte Mühe, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Immer wenn sie an diese Worte ihrer Mutter dachte, überkam sie ein Unwohlsein, das aber eigenartiger Weise sehr angenehm und vertraut war. Kiara hob die Hände und rieb sich die Schläfen. Allmählich verbesserte sich ihr Zustand wieder und sie ließ sich nach hinten fallen, um in die weite Ferne des Horizonts blicken zu können. Nachdem einige weitere Bilder an ihrem inneren Auge vorbeizogen, die ihre Fantasie an jenem Abend geformt hatten, wurde es ganz still um sie und sie fiel in einen leichten Schlaf.

Plötzliche laute Rufe der Enten unter ihr weckten sie auf eine ein wenig unsanfte Weise. Kiara schrak mit einem leisen Schrei auf und realisierte erst nach und nach, dass sie sich ja noch auf dem Felsen befand. Und zu ihrer eigenen Sicherheit bemerkte sie auch, dass sie sich im Schlaf wohl ein paar Mal gedreht haben musste, denn sie lag nun nah an der Kante, fast schon zu nah. Behände wand sie sich einmal um die eigene Achse und stellte wieder den nötigen Abstand her. Die Enten schienen sich wieder beruhigt zu haben, denn es war wieder still um sie, wenn man mal vom Rauschen des Flusses und den Stimmen der wenigen Leute, die in der Umgebung wohnten, absah. Zwar hatte sie keine Ahnung, was das Geschrei der Vögel ausgelöst hatte, aber es interessierte sie auch nicht weiter. Vielleicht hatten ein paar Jugendliche Steine nach ihnen geworfen, was sie schon öfter missbilligend zu Gesicht bekommen hatte, oder irgendein natürlicher Feind hatte sie bedroht. Viel wichtiger war doch, dass sie genau zum richtigen Zeitpunkt aus dem Schlaf gerissen wurde. Sonst hätte sie den grandiosen Sonnenuntergang verpasst, der an diesem Ort immer ein freudiges Schauspiel der Natur war. Die orange-rot glühende Kugel näherte sich stetig dem Kirchturm und verlieh dem Gebäude einen so wunderschönen und mächtigen roten Glanz, dass ihr wieder der ganze Körper kribbelte. Der Himmel verdunkelte sich langsam und ließ schon bei genauem Hinsehen die ersten Sterne erkennen. Allmählich verschwand das letzte orange, bis nur noch das tiefe leuchtende rot überblieb. Kiara stand auf mit zitternden Beinen, konnte aber das Gleichgewicht halten. Gebannt sah sie auf das Ziffernblatt der Turmuhr und da war es wieder: dieses Zeichen, das Ewigkeit laut der Erzählung ihrer Mutter bedeutete. Man konnte es immer nur zwei Minuten am Tag sehen, wenn die Sonne tief genug stand, aber Kiara hatte es seit vielen Jahren kein einziges Mal verpasst, sofern die Witterungsverhältnisse dieses Spektakel zuließen.

/Die Ewigkeit des höchsten Gefühls, die Ewigkeit der Seele.../

Sachte blies der Wind Kiaras Haare nach vorn. Sie hob die Hand, um die dunkle Pracht wieder nach hinten zu streifen, die rötlich in den letzten Sonnenstrahlen schimmerten. Die mittlerweile recht kühle Luft trug so viel Frische in sich, dass Kiara nicht anders konnte als immer wieder tief einzuatmen.

Der Glanz um sie herum ließ aber nun stetig nach und der Kirchturm hütete jetzt wieder sein Geheimnis.

Als Kiara vom Felsen klettern wollte, vernahm sie Männerstimmen ganz aus der Nähe. Ihre Neugierde brachte sie dazu, noch eine Weile dort zu verharren, wo sie war und wartete, bis die zwei Männer, der eine Mitte 30, der andere um die 20, wie sie schätzte, näher kamen. Sie wusste, dass man sie nicht sehen kann, wenn sie sich hinlegen würde und darum tat sie das auch. Gespannt versuchte sie die beiden zu belauschen. Im Unterbewusstsein war ihr klar, dass sich das nicht gehörte, aber dafür war es eh schon zu spät. Die Männer blieben direkt unter ihr stehen.

"...ja ich weiß, dass dich das bekümmert, doch du solltest das nicht so ernst nehmen. Dies ist nur eine-"

"Ja ich weiß.", fiel der Jüngere ins Wort, resigniert fuhr er fort. "Ich weiß. Dennoch wurde ich damit seit Kindesbeinen konfrontiert, ich bin mit diesem Wissen aufgewachsen und nun weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll."

Der Ältere legte ihm kurz einen Arm um die Schultern, wollte ihn besänftigen, doch dieser Versuch schien keine Wirkung zu zeigen. Er schüttelte nur den Kopf.

"Lass es gut sein. Deine Geste ist nett gemeint, aber zwecklos. Ich..."

Den Rest konnte Kiara nicht mehr verstehen, denn die beiden waren weiter gegangen. Sie lugte um die Felskante, um ihnen nachsehen zu können und erstarrte genau in diesem Moment.

/Aber.../

Mit rasendem Herzschlag kauerte sie dort oben, ihre Finger versuchten sich ins harte Gestein zu krallen. Sie blinzelte ein paar Mal und weg waren die Fremden. Nun dachte sie sich, das eben nur eingebildet zu haben.

/Nein! Diese Augen waren real... Kiara, sie waren real!/

Verunsichert stieg sie den Felsen hinab und machte sich auf den Heimweg.

Chapter 2: Cognition

Chapter 2: Cognition
 

Wie in Trance ging sie ihres Weges und es hätte sie Gott persönlich ansprechen können, sie hätte es nicht wahrgenommen. Ihr Gefühl hatte sie nicht betrogen und das wusste sie. Ihr machte dies aber Angst.

Seit einem Jahr hatte sie schon davon geträumt. Dieses eine Bild verfolgte sie fast jede Nacht. Immer dann, wenn sie den Gedanken daran tagsüber verdrängt hatte. Sie hatte sich nie getraut, mit jemanden darüber zu reden, selbst ihren Eltern hatte sie kein Sterbenswörtchen gesagt. Vielleicht gerade deshalb nicht, weil dieses Thema zuhause eh mehr oder weniger tabu war.

/Dieses dunkle Blau.. dieser Ausdruck der Sehnsucht. Ich kenne sie. Sie sind mir vertraut. Und ich habe sie gespürt; ich habe die Macht gespürt... und die Ewigkeit, die Verbundenheit, selbst die Vergangenheit.../

Kiara blieb stehen und fasste sich an die linke Brust. Sie konnte ihr Herz schlagen fühlen, ihr Brustkorb hob und senkte sich stetig und schnell. Während sie ihren Kopf gen Himmel hob, starrte sie geradeaus, die Augen weit geöffnet. Die hell leuchtenden und zahlreichen Sterne nicht beachtend fixierte sie einen Punkt in der weiten Ferne.

"Er war es.", hauchte sie in die kühle Luft.
 

Leise schob sie den Schlüssel ins Schloss und hoffte, dass ihre Mutter sie nicht hören konnte. Später würde sie vielleicht jemanden sehen wollen, aber nicht jetzt. Auf Zehenspitzen trat sie ins Haus und war erleichtert, dass anscheinend keiner zuhause war, denn weder brannte Licht noch konnte man Geräusche vernehmen. Kiara seufzte.

"Zum Glück!"

Ihre Stimme klang dünn, aber erleichtert. Sie streifte ihre Schuhe ab und ging in die Küche. Als sie sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holen wollte, sah sie einen gelben Zettel auf dem Tisch liegen. Indem sie zwei Schritte nach rechts ging, konnte sie lesen, was darauf stand: 'Sind spätestens um neun wieder da. Gruß, Mom und Dad'
 

Eine Etage höher in ihrem Zimmer setzte sie sich auf die recht breite Fensterbank und sah nach draußen. Als sie die weißen Kirschblüten am Baum sah, die sich sachte hin- und herbewegten, dachte sie an den einen Tag zurück, der Teil ihres Schicksals war.

Chapter 3: The Saga

Chapter 3: The Saga
 

"Kiara, ich weiß, du solltest das niemals erfahren, doch ich kann nicht mehr. Dein Vater hat das Maß überschritten. Manchmal glaube ich, er ist mehr mit seiner Arbeit verheiratet als mit mir." Cecil seufzte laut auf und schüttelte mit dem Kopf. "Was sag ich hier schon wieder. Er ist immer auf mein Wohl bedacht, besonders auf deines, mein kleiner Liebling. Er tut das nur, um uns ein angenehmes Leben zu ermöglichen."

Kiara, damals nicht mal ganz zehn Jahre alt, schaute ihre Mutter mit ihren dunklen Augen an, die an diesem Abend sehr viel Furcht in sich trugen. Ein heftiger Knall ließ sie zusammenzucken. Sie schmiegte sich noch enger in den ihr Schutz bietenden Arm ihrer Mutter. Draußen tobte es schon mittlerweile seit mehr als einer Stunde. Die vielen Blitze machten die Nacht zum Tag und das Donnergrollen übertönte oft genug Cecils Stimme. Doch nicht nur die Wetterunruhen beunruhigten Kiara, schon den ganzen Tag über hatte sie ein sehr seltsames Gefühl gehabt. Als neunjähriges Mädchen nimmt man dies sicherlich noch nicht als schicksalhafte Vorahnung wahr, doch sie war alt genug, um zu wissen, dass bald etwas passierte, das ihr bisheriges Leben verändern könnte.

"Meine Kleine, du musst wissen, dass dein Vater und ich dich sehr lieben haben. Und falls wir mal etwas über den anderen sagen, dass in deinen Ohren bestimmt nicht nett klingt, dann mach dir deshalb bitte keine Sorgen. Wir haben schon sehr schwere Zeiten überwunden und uns fällt es oft nicht leicht, unter diesen Umständen dich aus allem herauszuhalten. Nein, er würde es niemals zulassen, dass ich dir davon erzähle, aber..."

Cecil schrak auf, wie konnte sie nur, wie konnte sie es auch nur in Erwägung ziehen. Nach einem kurzen Moment schaute sie zu ihrer Tochter, in deren wissende kindliche Augen. Wissend?

/Niemals. Das kann nicht sein. Sie ist noch ein Kind. Wie sollte sie.../

Doch ein weiterer Blick genügte. Cecil senkte den Kopf und drohte ohnmächtig zu werden. Ihre Augen wurden glasig und ihre Atmung wurde immer schwächer. Ihr rechter Arm schlug auf die harte Kante des hellen Holztisches, den anderen hielt Kiara fest umschlungen, sonst hätte diesem womöglich dasselbe gedroht. Das kleine Mädchen schrie auf, sie hatte ihre Mutter noch nie so gesehen und sie hatte Angst. Der schrille Ton ließ Cecil so plötzlich hochfahren, was Kiara bedrohlich hielt, aber zugleich für gut befand. Jedenfalls festigte sich Cecils körperlicher Zustand schnell und sie lächelte unbekümmert, zumindest bemühte sie sich sehr darum, ihr Kind an.
 

"Mir geht's wieder gut, meine Kleine. Ich glaub, ich hab mich heute nur ein bisschen überarbeitet."

Sanft strich sie mit einer Hand über Kiaras Stirn, nahm sie in den Arm und drückte sie sehr zärtlich. Ein paar ihrer dunkelblonden Haarsträhnen fielen nach vorne und kitzelten Kiara an der Nase, wodurch sie kichern musste und ihre Angst vorübergehend vergaß.

"Ich hab dich auch lieb, Mom."

Diese Worte versetzten Cecil dermaßen einen Stich im Herzen, denn sie bereute nun, den Gedanken erwogen zu haben, ihr es zu erzählen. Eine kleine Träne glänzte in ihren Augen und sie zwang sich, nicht vor ihrer Tochter zu weinen, wenigstens nicht jetzt. Von diesem Moment an glaubte sie, das Richtige getan zu haben. Etwas vielleicht sehr wichtiges zu verschweigen, wenn auch oft nicht angebracht, war in ihrer Situation wohl das beste.

Der Wind heulte und die Rollläden schepperten laut, wenn sie von einer Böe erfasst wurden. Es zischte und donnerte, es pfiff und krachte. An ein so starkes Unwetter glaubte sich Cecil nicht erinnern zu können. Wie man am nächsten Tag in den Nachrichten erfahren konnte, war es das schlimmste des letzten Jahrzehnts gewesen. Herumfliegende Äste hatten fast ein Dutzend Menschen zum Teil schwer verletzt, mehr als 20 abgedeckte Häuser waren zu verzeichnen und eine Scheune war völlig zerstört worden. Doch Kiara und ihrer Mutter ist an diesem Abend nichts zugestoßen, wenn man mal von einer gewissen Gegebenheit absah.
 

Die Wende naht,

des Kummers Saat.

Mit Glück vereint,

das Schicksal verneint.

Die Zukunft in Händen,

das Leid beenden.

Den Mut erbracht,

das Feuer entfacht.

Der Worte Klang,

doch Engelsgesang?

Den Berg erklommen,

dem Los entronnen.

Zwei Seelen gekämpft,

die Stimme gedämpft.

Das Schweigen gebrochen,

das Blut gerochen.

Die Wallung vernommen,

den Einfluss genommen.

Die Zeit verkündet,

die Vergangenheit verbündet.
 

Etwa eine Stunde verging, in der Cecil mit Kiara spielte, um das Kind und sich selbst von diesem Sturm abzulenken. Sie wusste, dass ihre Tochter sowieso kein Auge zugemacht hätte, selbst wenn sie sie ins Bett gebracht hätte. Doch sie konnte es ihr auf keinen Fall verdenken, denn sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie selbst als kleines Mädchen immer zu ihren Eltern ins Bett gekrochen war, wenn es draußen so unwirtlich wie heute und sie durch die Donnerschläge aus dem Schlaf gerissen worden war.

"Du bist dran."

Kiara nahm den Würfel in die Hand und ließ ihn auf dem Tisch rollen. Dann rückte sie ihren Spielstein um fünf Felder nach vorne und freute sich, weil sie damit nun den letzten ihrer Steine ins Ziel brachte.

"Freuuu, ich hab gewonnen."

Sie hüpfte einmal um den Tisch und blickte dann ihre Mutter treu an.

"Nein, Kiara das langt für heute. Vielleicht sollten wir es uns oben im Schlafzimmer gemütlich machen und hoffen, vielleicht doch ein bisschen schlafen zu können."

"Aber-"

"K-i-a-r-a!"

Diese scharfe Betonung ihres Namens konnte Kiara überhaupt nicht leiden, brachte sie aber zum Schweigen und sie befolgte den Vorschlag, sich Bett fertig zu machen. Etwas missmutig ging sie die Treppe hoch und begab sich ins Bad. Cecil konnte hören, wie sie die Tür hinter sich zumachte.

/Wenn Dave nur da wäre... bei ihm fühlt sich Kiara irgendwie... sicherer, geborgener../

Diese Gedanken taten ihr weh, auch wenn sie die Wahrheit verkörperten. Sie wusste nicht, warum Kiara so empfand, schließlich tat sie alles Erdenkliche, dass Kiara keinen Grund hatte, sich bei ihr unwohl zu fühlen beziehungsweise unsicher. Ein wenig streng musste sie sein, denn man kann einem Kind ja nicht alles erlauben und es muss gewisse Grenzen einhalten. Aber das gehört eben zur Erziehung. Und Cecil glaubte nicht, allzu hart mit Kiara umzugehen. Sie liebte ihr Kind über alles und dies verstärkte ihren Kummer.

Cecil ging um die Couch herum und wollte gerade das Licht ausschalten, als sie etwas im Regal sah, das sie warten ließ. Aus einem Buch ragte an der Seite eine kleine blaue Ecke wahrscheinlich eines Zettels hervor. Es war ihr Lieblingsbuch und sie wusste genau, dass sie nichts hineingelegt hatte. Zögernd nahm sie das Buch heraus und strich mit der Linken über den Einband. Das kräftige Rot mit der schwarzen Schrift war nun wieder sichtbar und gab den Titel frei: "Vulkan der Gefühle". Sie hatte es bestimmt schon viermal gelesen und bei jedem Durchgang hatte sie neue Szenen entdeckt, die ihr vorher irgendwie entgangen waren. Es weckte bei ihr solche starken Emotionen, dass sie sich wünschte, auch so schreiben zu können, um die Herzen anderer bewegen zu können. Sie bezeichnete diese Art des Schreibens als Gabe, als Geschenk.

Sie ergriff die blaue Ecke und zog das Papier heraus. Wie sie gleich feststellte war es ein Brief und auf dem Umschlag stand einfach nur 'Dave'. Verwundert drehte sie den Brief einige Male hin und her, aber sie konnte keinen Absender oder was immer sie sich erhofft hatte entdecken. Sie ging einen Schritt nach hinten und vergewisserte sich, dass Kiara nicht an der Treppe stand. Dann öffnete sie den Umschlag und wollte schon den Zettel herausziehen, den sie erwartet hatte vorzufinden, doch sie griff ins Leere. Verdutzt sah sie hinein und erblickte eine kleine graue Metallscheibe. Sie drehte den Umschlag auf den Kopf und ließ das Fundstück auf ihre Hand gleiten. Es war kalt und fühlte sich alt an. Cecil hielt es hoch ans Licht, um zu sehen, was es war. Noch in der Vorwärtsbewegung schrie sie leise auf und ließ das Metall fallen. Offenen Mundes verfolgte sie, in welche Richtung es rollte.

/Woher... woher kommt das? Es war an Dave adressiert.../

Sie zitterte.

/Er wird mir doch nicht etwas verheimlicht haben?/

Minuten vergingen. Der Sturm hatte immer noch nicht nachgelassen und wütete weiterhin. In Cecils Haus war es aber ansonsten still. Auch von Kiara war nichts zu hören.
 

Plötzlich flackerte die Lampe. Alles um Cecil herum wurde dunkel. Nur das Licht der Blitze, die ab und zu durch den Spalt des kaputten Rollladens drangen, erhellten kurzzeitig den Raum. Cecils Erstarrung löste sich allmählich und vernahm endlich das laute Weinen ihrer Tochter. Doch bevor sie nach oben rannte, griff sie schnell nach dem Metall und hielt es krampfhaft fest.

"N-e-i-n!", wimmerte Kiara, als Cecil das Schlafzimmer betrat. Mit einem Kissen im Arm saß das Mädchen auf dem Ehebett und weinte, was Cecil aber nicht erkennen konnte, da der Strom völlig ausgefallen war. Doch allein Kiaras herzzerreisende Stimme genügte, dass nun auch Cecil die Tränen kamen. Sie tastete sich langsam durch den Raum und setzte sich vorsichtig neben ihre Tochter und nahm sie in den Arm.

"Schon gut, meine Kleine. Spätestens morgen früh haben wir wieder Licht. Und ich hol gleich ein paar Kerzen, ja? Kann ich dich noch einen Augenblick allein lassen?"

Kiara seufzte, ließ aber ihre Mutter los.

Obwohl sich Cecil beeilte, schienen Stunden zu vergehen. Ein weiterer lauter Donnerschlag versetzte Kiara einen Schrecken; sie zog die Bettdecke über sich und vergrub sich darunter. Als Cecil mit flackerndem Kerzenschein zurückkam sah sie besorgt auf die Wölbung der Decke. Direkt neben dem Bett auf den Nachttisch stellte sie den kleinen Leuchter ab, den sie vor vielen Jahren von ihrer Schwester geschenkt bekommen hatte.

"Kiara?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Sie stupste sanft Kiara an, die immer noch nicht hervorkommen wollte.

"Gut, du musst nicht."

Cecil legte sich daneben und bemerkte erst jetzt, dass sie das Metall immer noch fest in der Hand hielt und es selbst beim Kerzen anzünden wohl nicht losgelassen hatte. Ihre Finger lösten sich langsam von der Scheibe und ihr wurde das Medaillon offenbart, das sie als das endlich erkannte.

"Was ist das?"

Kiara fasste nach dem Medaillon, doch Cecil hatte wieder die Hand geschlossen, bevor Kiara es berühren konnte. Verwirrt schaute sie ihre Mutter an, die dem Blick nicht standhalten konnte und sich wegdrehte.

"Mom? Was ist das?"

"Du hättest das nie sehen dürfen..."

Kiara fühlte sich vor den Kopf gestoßen.

"Aber..." Sie wusste, sie durfte ihre Mutter nicht reizen, doch sie musste es noch mal sehen. "Darf ich es mir nicht noch mal anschauen? Bitteee!"

Mit flehenden Augen betrachtete sie Cecil, die ihren Blick nur allzu deutlich spürte. Kiara konnte nicht mal im Entferntesten ahnen, welchen inneren Kampf ihre Mutter ausfochte.

Daher ließ sie auch nicht locker und bettelte weiterhin unerbittlich.

"Schon gut, Kiara. Du wirst es sehen. Doch zunächst werde ich dir was erzählen. Aber sei dir sicher, du wirst diese Geschichte danach wahrscheinlich nie mehr zu hören bekommen."

Begeistert und irritiert machte Kiara es sich bequem und lauschte ihre Ohren.

"Dein Vater und ich kennen eine alte Frau, glaub mir, sie ist sehr alt..."

Cecil beendete zunächst den Satz nicht, war einen Moment verunsichert, doch sie schüttelte nun endgültig ihre Zweifel ab und beendete ihre Erzählung nach etwa 20 Minuten. Kiara war in der ganzen Zeit mucksmäuschenstill und regte sich nicht. Stattdessen sog sie jedes einzelne Wort in sich auf und wie sich herausstellte, vergaß sie nie wieder eines davon.
 

"Sie war sehr alt. Es lag nicht an dem grauen langen Mantel, den sie trug, auch nicht an ihren schneeweißen Haaren, die sie unter einem Tuch versteckte, dass man erkannte, dass sie nicht mehr die Jüngste war. Nein, es waren eher ihre Augen, die es verrieten: diese Weisheit, die sie in sich trugen, war unendlich, so unbeschreibbar. Man konnte die ganze Welt in ihnen sehen und noch viel mehr.

Uns hatte sie sich als Aina vorgestellt, doch ich vermute,... nein, ich weiß, sie hat viele Namen.

Als ich mit dir schwanger war, stand sie eines Tages plötzlich vor uns. Sie brauchte nichts zu sagen, wir wussten auch so, dass ihre Anwesenheit allein uns galt, also deinem Vater und mir. Ohne ein Wort berührte sie kurz meinen Bauch und nickte. Dieses Gefühl in diesem Moment war gewaltig; ein warmer und zugleich kalter Energiestrom durchfuhr mich. Die Haare standen in dem Augenblick zu Berge und ich fühlte dich strampeln; das war das erste Mal, dass ich eine Regung in meinem Bauch spürte. Es war so, als begannst du, richtig zu leben. Mir standen Tränen in den Augen, salziges Wasser, das seinen Weg nach außen suchte.

Als ich meinen Mund aufmachte, um sie zu fragen, wer sie sei und was das bedeute, hob sie mahnend ihre rechte arthritisgeplagte Hand. Dies genügte, um zu erreichen, dass ich schwieg. Sie drehte sich kurz um und dann befahl sie uns mehr oder weniger ihr zu folgen; es war kein Bitten und auch keine höfliche Aufforderung. Ihr dominanter und äußerst strenger Tonfall missfiel uns zwar, aber wir widersetzten uns nicht. Dazu hatten wir zu viel Angst vor dem, was uns hätte erwarten können. Also gingen wir ihr nach und sie führte uns durch seltsame Gassen, die uns beiden unbekannt vorkamen und in denen es ungewöhnlich aussah. Es ist schwer zu beschreiben, aber dort schien es kein Leben zu geben. Alles war so trist, so farblos und verfallen. Eine Ruine war dagegen noch ein lebendiges, frohes Gebilde. Die Mauern, die sich an den Seiten zum Teil entlang zogen, wiesen langgezogene Risse auf, die sie eigentlich schon lang zum Einsturz hätten bringen müssen. Doch das Gemäuer stand fest. Um es auch zu glauben, fasste ich es sogar einmal an, was ich aber im selben Augenblick noch bereute. Ich erschrak bei dieser Berührung. Zuvor hatte ich noch nie eine solche Kälte gespürt. Die Steine schienen so leblos und kalt wie der Tod zu sein.

Dein Vater hatte das mitbekommen und nahm mich in den Arm, drückte mich fest. Er konnte mein Zittern vernehmen, das sich erst Minuten später wieder legte.

Wir wussten nicht, wohin uns diese Frau führte, aber eins wussten wir sicher: wir hatten keine andere Wahl, wir mussten ihr folgen.

Ich sage dir, zum Glück hatte es nicht mehr lange gedauert, bis sie uns durch einen Fingerzeig deutlich machte, dass wir da waren. Doch zunächst wunderte ich mich, dass wir genau dort verweilten. Weit und breit nur diese furchteinflössenden Mauern. Aber sie belehrte mich eines besseren, als sie ihre Hände hoch in den Himmel hob und ein paar Worte murmelte, die ich nicht verstand. Ich traute meinen Augen nicht, als ich plötzlich ein Tor vor mir sah, das jedoch wenige Sekunden zuvor noch nicht da war. Dein Vater behauptete damals und heute noch, dass er es von Anfang an gesehen hatte, doch ich vermute, dass das nicht der Wahrheit entspricht und ich kann ihm das auch nicht übel nehmen.

Jedenfalls wies sie uns an, das hohe Eisentor zu öffnen und hindurchzugehen. Dann konnten wir das Haus sehen. Ihr Haus. Ihr Sitz.
 

'Kommt! Nicht trödeln!'

Ihre Stimme hatte einen freudigen Unterton in sich, der mich offen zugegeben ein wenig beruhigte hatte.

Als wir das Haus betraten, hatte ich sogar fast meine Angst vergessen. Irgendwie strahlte es von innen so viel Macht aus, die nicht im Geringsten böse zu sein schien. Viele Gemälde hingen an den Wänden, die alle Monumente der ganzen Welt zeigten: Stonehenge, den Palast der Winde, die Meteora Klöster, nur um wenige zu benennen. Beim Betrachten jedes einzelnen Werkes dachte man dort zu sein und sie real zu sehen. Solche Kunst kam mir bisher nie wieder zu Gesicht und ich bezweifle, dass sich das jemals wiederholen wird."

Cecil hielt kurz inne und holte tief Luft. Man sah ihr ihre Mitgenommenheit an, sie hatte dies noch nie irgendwem erzählt. Draußen blies immer noch kräftig der Wind.

"Die alte Frau gewährte uns diesen Moment. Sie schien sogar ein wenig stolz darauf zu sein, dass wir mit solch einer Faszination an die Wände starrten. Ich stünde dort heute noch, wenn sie uns nicht dann doch weitergeschickt hätte. Wir gingen durch die Eingangshalle hindurch und wurden in einen Raum geleitet, der einem Wohnzimmer ähnlich war. Dort sollten wir uns niederlassen, was wir auch bereitwillig taten. Ich weiß nicht, wie lange wir gebraucht hatten, um dorthin zu gelangen, die Zeit war in gewisser Hinsicht nicht greifbar, aber meine Füße taten weh und ich war dankbar, mich ausruhen zu dürfen.

Bis dahin hatten weder dein Vater noch ich nur einziges Wort gesprochen. Als wir längere Zeit alleine gelassen wurden, machte sich in mir Unsicherheit breit und ich spürte, dass es Dave genauso erging. Wir wussten nicht genau, warum wir überhaupt dort waren, was das alles sollte, und doch hatte uns nichts davon abgehalten, ihr bis dorthin zu folgen, wir wurden eher dazu angetrieben...

Fest umschlungen saßen wir also da und warteten. Keine Silbe ging uns über die Lippen, wir wollten miteinander reden, aber es ging nicht. So sehr wir uns auch bemühten, wir konnten das Schweigen nicht brechen.

Mir kam es so vor, als ob eine halbe Stunde vergangen war, bis die alte Frau wieder kam und sich uns gegenüber setzte. Sie hielt etwas in der linken Hand, wollte es uns aber noch nicht zeigen. Zuerst betrachtete sie deinen Vater eingehend, dann mich. Als sie mir in die Augen sah, empfand ich pures Staunen, man konnte keine Pupille in ihren mittelbraunen Augen erkennen. Aber dafür konnte man ganz andere Dinge sehen: Jahre, viele Jahre, die Vergangenheit, das Jetzt, die Zukunft. Vor allem spiegelte sich etwas leuchtend rotes in ihnen wider, das aber nur im letzten Moment zu sehen war, als sie ihren Blick schon wieder abwandte.

'Ihr werdet nun gut zuhören müssen, denn ihr werdet mich nach dem heutigen Tag nie wieder sehen. Nun möchte ich mich erst einmal vorstellen: die meisten Lebewesen hier nennen mich Aina, wobei das aber nichts zur Sache tut.'

Die alte Frau hob ihre linke geschlossene Hand.

'Hier halte ich das Schicksal eures Kindes...'

Wir wollten aufschreien, doch nur ein Krächzen entwich unserer Kehle. Ich fasste mir selbst an den Bauch und begann mich erneut zu fürchten. Doch bevor sich die Furcht verstärken konnte, sprach Aina weiter.

'Vor mehr als tausend Jahren wurde eine Prophezeiung kundgegeben. Es wurde gemunkelt, dass die Liebe zweier Menschen erst erblühen und dann vernichtet werden würde. Dass beide sich auflehnen würden gegen das Böse und dabei den Tod fänden. Doch wie sie ihre Runde machte, war sie nicht ganz richtig.

Dass die Liebe vorbestimmt ist und unendliche Macht mit sich bringen wird, das entspricht der Wahrheit. Es stimmt auch, dass sie eine Gefahr für die dunkle Seite darstellen wird. Aber sie werden dabei nicht sterben, zumindest nicht beide...vielleicht auch keiner von beiden, das kann selbst ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich bin dafür verantwortlich, dass diese Liebe erwachen wird. Und nun solltet ihr auch langsam verstehen, warum ihr hier seid. Eurer Kind, genauer gesagt eure Tochter, ist sozusagen auserwählt. Ihre Geburt wurde vor langer Zeit vorhergesagt. Sie trägt dieses Zeichen in sich.'

Aina öffnete die Hand und gab ein kleines Medaillon frei. Sie fasste es an einer Ecke an und wir sahen das Sigul, das der ewigen Blüte.

'Doch sie kann es nur entfalten, wenn sie an das Schicksal glaubt. Darum solltet ihr noch eines wissen. Die alte Kirche, Sacrament of Life, wurde von Daves Vorfahren erbaut. Es war ein wohlgehütetes Geheimnis, und das zu recht. Die Dunkelheit lauert überall und sie wird euch finden, wenn ihre eure wahre Identität preisgebt. Darum habt ihr auch bis zu dem heutigen Tage nichts darüber erfahren, eure Eltern durften euch zu eurem eigenen Schutz nichts davon auf euren Lebensweg mitgeben. Auch an ihrem Sterbebett waren sie zum Schweigen verpflichtet. Mittlerweile ist aber das Böse erstarkt. Es gewinnt immer mehr an Macht...'

Nach einer kurzen Pause fuhr sie leise fort.

'Und nun zu eurer Aufgabe: Um ihre Gabe schneller erwachen zu lassen, muss sie dieses Medaillon bekommen, aber erst, wenn die Zeit dafür wirklich reif ist. Heute kann ich es euch jedoch noch nicht mitgeben, dafür ist es zu früh. Ich kann nicht sagen, wann sie es bekommt; das steht noch nicht fest. Aber wenn es so weit ist, dann wird euch jemand aufsuchen, der es euch aushändigen wird. Dave und Cecilia, eure Pflicht ist es dann, sie zum Sacrament of Life bei Sonnenuntergang zu geleiten und ihr dort das Medaillon zu geben. Ihr sollt ihr dabei eines sagen und wirklich nur dies: "Du bist die Blüte der Ewigkeit!".

Sie wird verstehen...

Und sie wird ihr Gegenstück finden. Er ist bereits geboren. Jake, der Prophezeiung nach auch von hohem Stand. Auch wenn man dies in der heutigen Zeit nicht mehr so betitelt, ist er dennoch adlig. Aber sein Blut ist so rot wie eures... '

Aina schien in ihrem Gedächtnis nachzuforschen. Lange Minuten der Stille vergingen.

'Früher hatte es einmal einen Berg gegeben, High Mountain; der der Vernunft. Von ihm ist aber nicht mehr viel übrig, nur noch wenige Felsbrocken... aber immer noch heilig und schicksalstragend.'

Damit hatte Aina geschlossen. Mehr wollte sie uns nicht sagen, auch mit heftigem Flehen unsererseits nicht.

Ich habe sie seitdem wirklich nie wieder gesehen..."

Chapter 4: Remembering

Chapter 4: Remembering
 

/Mom hatte danach geweint, eine Träne nach der anderen ergoss sie. Sie hatte mir nicht in die Augen sehen können und kehrte sich von mir ab, obwohl ich sie doch so gebraucht hätte. 9 Jahre war ich gerade einmal alt und fühlte mich an diesem Abend allein gelassen. Seitdem gehen mir die Gedanken an diesen Jungen nicht mehr aus dem Kopf.../

Kiaras Augen verfolgten die wenigen Wolken, die langsam am Himmel vorbeizogen. In der Dunkelheit sahen sie wie kleine und große graue Schleier aus, die sich ständig verformten. Mal vereinigten sie sich, mal trennten sie sich. Die hellen Sterne wurden des öfteren verdeckt, dennoch konnte Kiara den großen Wagen eindeutig erkennen.

Ihre Hände waren ganz feucht, sie rieb sie kurz gegeneinander. Nachdenklich blickte sie weiterhin hinaus.

/Ich muss ihn wiedersehen... Ich möchte endlich erfahren, was mir bevorsteht. 'Blüte der Ewigkeit': Was soll das eigentlich bedeuten?/

Eine kleine Träne lief ihr über die linke Wange und tropfte hinab auf ihre Schulter. Sie glitzerte einen flüchtigen Augenblick im Mondschein.

Mit einer Hand streifte sie die Kette, die sie um den Hals trug, unter der Bluse hervor. Sie ergriff das Medaillon, das daran hing, und hielt es fest umklammert.

/Mir wurde es eine Woche nach diesem Sturm gegeben. Mom und Dad gingen mit mir tatsächlich zur alten Kirche, wie es ihnen aufgetragen worden war. Und sie sagten auch nichts anderes als: 'Du bist die Blüte der Ewigkeit'!... Mom hat ihm glaub ich nie gestanden, dass ich es weiß. Dass ich von all dem weiß. Und? Ich kann damit eh nichts anfangen.../

Nun schluchzte sie. Sie zog die Beine ganz nah an die Brust und weinte. Diese Unsicherheit quälte sie. Sie hatte ja niemanden, der sie dabei unterstützte.

/Verdammt!.../

Keiner war da, um sie in den Arm zu nehmen, um ihr zu sagen, was ihr bevorstand. Deshalb sehnte sie sich immer nach der alten Kirche, dem Sacrament of Live. Dort fühlte sie sich nicht so im Stich gelassen. Dieser Ort hatte so viel Kraft, sie konnte sie immer spüren; ein warmes Pulsieren ging von ihm aus. Daran hielt sie seit vielen Jahren fest.

Kiara öffnete die Hand und sah das Medaillon an. Das Zeichen darauf war dem des Kirchturms sehr ähnlich, glich ihm aber nicht wirklich. Dieses direkt vor ihr war feiner, geschwungener, weicher. Es gab einige Parallelen mit einer Blume, aber es stellte keine dar.

Mit dem Zeigefinger strich sie über die Linien, die sich abhoben und verfolgte sie, bis sie sich wieder trafen.

/Weiß eigentlich keiner, was in mir vorgeht? Alle schweigen. Sie trauen sich nicht, mir ins Gesicht zu sehen und zuzugeben, dass sie Angst haben. Doch das ist einfach nur feige. Sie tragen ja nicht dieses Medaillon und leben in völliger Ungewissheit./

Wütend und traurig schob sie die Kette samt Medaillon wieder unter die Bluse. Den Kopf an die Fensterscheibe lehnend entwich ihr ein langes Seufzen.
 

Die Tränen fließen.

Das Herz zerspringt.

Die Seele sehnt.

Das Hoffen nagt...
 

Kiara atmete schwer. Trotz ihres Gemütszustandes fasste sie dennoch Mut. Mit beiden Händen wischte sie die Tränen weg und ballte sie anschließend zu Fäusten. Sie legte so viel Kraft hinein, dass sich die Adern sehr deutlich abzeichneten.

/Seine Augen!... Ich werde nach ihm suchen und ich werde ihn finden. Vielleicht kann er mir sagen, was ich da um den Hals trage.../
 

Das Orchester spielt sein schönstes Lied,

es trompetet, dass der Schmerz versiegt.

Die Flöten trällern und halten ein,

hinfort mit all dem Leid und Pein.

Vom Flügel stets munter begleitet,

damit das Dunkel nicht mehr verleitet.

Das Cembalo hält lange den Ton,

der Zukunft treuer Lohn.

Kräftig klingen die Schellen,

um den letzten Kummer zu verprellen.
 

Mit einem leichten hoffenden Lächeln stand Kiara auf und ging um den kleinen Glastisch herum, auf dem eine hellblaue Vase stand mit einem einzelnen Zweig darin. Er trug mittelgroße Knospen, die sich bald zu wunderschönen vollen Blüten entwickeln würden. Daneben lag ein Holzkistchen, das durch ein kräftiges schwarzes Schloss verriegelt war. Kiara schob einen Arm in den Spalt zwischen Kleiderschrank und der Wand und tastete geschickt nach dem Schlüssel. Sie hielt ihn in dem kleinem Loch in der Mauer verborgen, das bei einem Missgeschick beim Schrankaufbau aus Versehen entstanden war. Ursprünglich hatte ihr Vater es mit Gips ausfüllen wollen, doch dann hatte er das in dem damaligen Trubel vergessen.

/Zum Glück.../, dachte Kiara, denn wer kannte ein besseres Versteck?

Als sie das recht kalte Messing auf der Handfläche spürte, zog sie den Arm wieder heraus. Der Schlüssel glänzte matt im Mondschein. Kiara atmete tief ein und steckte ihn ins Schloss, drehte. Die Kiste sprang mit einem leisen Knacken auf und entblößte das, was sie bisher niemanden gezeigt hatte. Sie starrte eine Weile hinein und dann schloss sie die Augen.

/Soll ich?... Eigentlich brauch ich das nicht, ich weiß es auch so. Nein, ich weiß es nicht nur, ich kann das mit hundertprozentiger Sicherheit sagen!/

Dennoch zögerte sie weiterhin, ins Kästchen zu greifen und es herauszuholen. Ihre Rechte bewegte sich leicht zitternd nach vorne.

/Los Kiara! Mach schon! Angst brauchst du nicht haben, es war dir schon immer so bestimmt. Los!/

Nun ergriff sie das oberste Blatt und nahm es heraus. Sie faltete es auseinander und sah wieder in die Augen, die sie heut schon einmal erblickt hatte. Es waren seine!
 

Mit bebendem Herzen sah sie das Bild an; sie hatte es selbst vor wenigen Jahren gezeichnet. Doch dies war nicht das einzige Portrait. Mehr als ein Dutzend befanden sich in dem Kästchen, auf allen dasselbe Motiv.

Die schwarzen Pupillen von einem leuchtenden dunklen Blau umgeben, das so strahlend und geheimnisvoll zugleich war. Ein schmaler dunkler Ring umrandete die Iris und verlieh ihm einen Ausdruck, den Kiara immer wieder stocken ließ. Sie fand seine Augen dermaßen faszinierend, sie musste sich meist zwingen, die Bilder wieder zurück ins Kästchen zu legen.

/Seit dem Traum kann ich sie nicht vergessen... Traum?... Doch eher eine Vision, oder doch nicht?/

Kiaras Gesichtszüge wirkten nun angestrengt.

/Mhh ich glaube, ich darf ihn zurecht als eine Art Vision titulieren. Schließlich habe ich sie heute real gesehen... und ich... ich will sie wiedersehen... ich sehne mich nach ihnen.../
 

Plötzlich vernahm sie das Motorgeräusch eines Autos. Dieses war ihr sehr wohl bekannt und sie erschrak. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr wurde sie leicht panisch. Schnell faltete sie die Zeichnung wieder zusammen und legte es behutsam zurück in das Kästchen. Nachdem sie es wieder sicher verwahrt hatte, versteckte sie den Schlüssel wieder in der Wand. In der Hektik hätte sie ihn beinahe fallen lassen, doch sie konnte dieses Unglück gerade noch verhindern.

Mit hohem Puls band sie sich die Haare zurück, atmete noch einmal tief durch und verließ ihr Zimmer, um ihre Eltern zu begrüßen.

"Hi Mom, hi Dad!"

Sie umarmte beide und grinste sie unbeschwert an, so als ob an diesem Tag nichts geschehen wäre...
 

"Nicht... geh!"

Kiara wälzte sich unruhig hin und her. Kleine runde Schweißperlen bahnten sich ihren Weg über ihre Stirn und über ihre roten heißen Wangen. Einzelne Haarsträhnen klebten ihr im Gesicht und die Bettdecke lag halb auf dem Boden.

Leise seufzte sie im Schlaf und drehte sich auf die Seite.

"Ich... zu..."

Wieder wandte sie sich und blieb letztendlich auf dem Rücken liegen. Die zitronengelben Ärmel ihres Pyjamas waren bis zu den Ellbogen hochgerutscht und man sah ihre leicht gebräunten Arme. Recht schnell hob und senkte sich ihr Brustkorb, ihr Atem rasselte ein wenig.

"...zu dir!"

Plötzlich schrak sie hoch und saß senkrecht im Bett. Sie presste eine Hand an die Brust und keuchte. In ihren Augen war aber kein Entsetzen zu lesen, auch keine Angst. Das einzige, was in ihnen stand, war: Sehnsucht!

Vor ihrem inneren Augen wiederholte sich die Szene immer und immer wieder; wie sie dicht vor ihm stand und er dennoch unerreichbar blieb. Wie sie ihre Arme nach ihm ausstreckte und durch ihn hindurchgriff ins Leere, ins Nichts. Wie sie ihm währenddessen ununterbrochen in die dunkelblauen Augen blickte, die sie bannten und nicht mehr losließen. Ihr Herz raste jedes Mal, wenn sie an ihn dachte.

/Ob er... ob er heute Nachmittag auch dieses Gefühl hatte? Dieses Empfinden, den anderen zu kennen, auch wenn es nur aus jahrelangen, immer wieder kehrenden Träumen ist?/

Sie langte hinter sich, nahm das Kopfkissen und schmiegte es an ihren Vorderkörper. Ganz fest hielt sie es mit beiden Armen umklammert und wiegte sich langsam vor und zurück. Während sie immer weiter schaukelte, summte sie leise eine Melodie. Sie hatte es damals im Kindergarten aufgeschnappt, denn ihre Kindergärtnerin hatte es fast täglich vor sich hin gesungen, als sie mit ihnen gespielt hatte. Genau diese Sanftmut und Wärme, die es in sich trug, hatte ihr schon immer so daran gefallen. Wenn sie dann auf ihre Mom immer als letzte, da Cecil nicht eher von der Arbeit weggekommen war, gewartet hatte, hatte sie es Marie, ihrer Kindergartentante, nachgemacht und versucht, sich jeden Ton einzuprägen und genauso wiederzugeben. Bis zu diesem Tag hat sie keinen einzigen Ton vergessen und war froh, dass sie etwas hatte, was sie wirklich glücklich stimmte.

Erst nachdem sie mehr als eine halbe Stunde so dagesessen hatte, überkam sie wieder die Müdigkeit. Sie gähnte, legte sich zurück und verfiel schnell einem traumlosen Schlaf.
 

Am nächsten Morgen fühlte sie sich gerädert. Nicht nur ihr Rücken schmerzte ziemlich stark, sie hatte sich wohl verlegen, sondern auch ihr Kopf tat weh. Sie rieb sich sachte die Schläfen und bewegte sich langsam, während sie sich im Bad fertig machte.

Doch wenn man ihr in die braunen Augen sah, erkannte man ihre körperlichen Leiden darin nicht; lediglich ihre Entschlossenheit. Ihre Entschlossenheit ihn zu finden und mehr über sich und ihrem Schicksal zu erfahren!

Chapter 5: The Search

Chapter 5: The Search
 

Nachdem sie am Frühstückstisch keinen Bissen heruntergebracht und ihren Eltern weisgemacht hatte, dass mit ihr alles in Ordnung und sie lediglich noch müde sei, begab sie sich nach draußen. Sie wusste, sie muss wohlüberlegt an die Sache gehen und so beschloss sie, erst einmal zum Sacrament of Live zu gehen und einen Plan zu schmieden. Sie brauchte etwas mehr als eine Stunde dorthin und sah währenddessen immer wieder hinauf gen Himmel, doch die Wolken wollten an diesem Tag einfach nicht weniger werden. Ein leicht kalter Wind stimmte Kiara ein wenig unheilvoll und sie begann zu zweifeln, ob sie den richtigen Weg einschlug.

/Hätte ich Mom und Dad nicht doch etwa -/

Noch während sie diesen Gedanken spann, hielt sie inne und versicherte sich, dass das keinen Sinn gemacht hätte. Sie wusste, dass vor allem ihre Mutter sie dann nicht gehen gelassen hätte. Denn die meiste Angst hatte Cecil, dessen war sich Kiara sicher. Schon damals in der besagten stürmischen Nacht hatte sie es in den Augen ihrer Mom lesen können: Sie hatte die Befürchtung ihr Kind zu verlieren!

/Selbst wenn ich ihn finde, verliert sie mich doch nicht... auch wenn es schwer ist, in Unwissenheit zu leben und sie es mir auch nicht immer leicht macht, hab ich sie lieb und würde ihr nie was Schlechtes wünschen.../

Als Kiara eine Bö erwischte, fröstelte sie. Sie rieb sich die Arme und zog ihre schwarze Jacke fester zu. Kleine weiße Blüten flogen an ihr vorüber. Sie sah ihnen nach, bis sie weit in die Ferne zogen.

/...wo fange ich am Besten an.../

Da der Wind weiterhin auffrischte, zog es Kiara vor, Schutz in der alten Kirche zu suchen. Mit einem lauten Ächzen ließ sich die Tür aus Eisen und Holz öffnen. Drinnen war es um einiges dunkler, doch sie schlüpfte hinein. Im Sacrament of Live war es zwar nicht viel wärmer als draußen, aber Kiara war dankbar, nicht mehr dem beißenden Wind ausgesetzt zu sein. Sie ging durch den langen Gang, den Blick immer wieder nach den Seiten und nach oben gerichtet. Die Faszination keimte hier immer von Neuem. Die bunten Mosaikfenster zeigten verschiedene Szenen; eines Maria mit dem kleinen Kind auf dem Arm, ein anderes die Steintafeln mit den 10 Geboten. Die Wände ringsum waren vor einer halben Ewigkeit von einem entfernt Verwandten von Kiara verziert und bemalt worden; von Edward Keyning, der von Kindes Beinen an seine Begabung als Künstler gefördert hatte. Die Kunstwerke im Sacrament of Life waren der Höhepunkt seines kreativen Lebens gewesen, sie spiegelten einen Großteil der Geschichten der Bibel wider.

Edward war sichtlich bemüht gewesen, jedes einzelne Detail fein herauszuarbeiten und Kiara bewunderte nun die schattierten Gewänder Jesus und Moses, die feurigen Dornenbüsche, die wirklich zu lodern schienen, und das gespaltene Meer, das jeden Moment drohte, wieder eins zu werden.

Langsam schritt sie bis zum Altar, doch kurz davor blieb sie abrupt stehen. Eine leichte Gänsehaut legte sich über sie. Mit großen Augen schien sie durch das harte Gestein hindurchzustarren. Dieses vertraute und doch fremde Gefühl, das sie beschlich, ließ sie innerlich erbeben. Ihr Atem stockte.

/Das ist... unmöglich!/

Sie hob vorsichtig ihre Hände und strich über den alten Altar, was aber nur dazu führte, dass sie ein weiteres Mal erbebte.

Mit der Vorahnung im Gemüt, dass sie dort bald wieder stehen werde und zwar nicht allein, ging sie ein Stück zurück und setzte sich auf eine der vielen Bänke. Ihr Kopf schmerzte wieder ein wenig, wie schon am Morgen. Als sie ihre Augen schloss, sah sie ihn wieder. Und sie versank wieder einmal in diesem tiefen Blau...
 

Der Wind nahm weiterhin zu und die Wärme vom Vortag war fast nicht mehr vorstellbar. Die gerade erst erblühten Bäume wurden geschüttelt, ein paar Blätter und Blüten lösten sich und wirbelten durch die frische Luft. Der Fluss, der Wielding, rauschte tosend. Das Vogelgezwitscher war bereits ebenfalls gedämmt, die meisten Tiere verkrochen sich in ihren Höhlen, Nestern und anderen Verstecken. Der Himmel wurde grauer und ein dunkles Schwarz mischte sich mit darunter. Die Wolken zogen schnell südwärts.

Kiara fuhr hoch. Kerzengerade stand sie da und wusste im ersten Moment nicht, wo sie war. Allmählich realisierte sie, dass sie noch im Sacrament of Live war. Sie hörte das Zischen des Windes, der sich in dem zwar nicht vor allzu langer Zeit renovierten, aber dennoch alten Dach der Kirche fing. Langsam ließ sie sich wieder zurück auf die hellbraune Holzbank sinken. In gewisser Hinsicht wusste sie gerade nicht, wo ihr der Kopf stand. Der Gedanke an ihn, der so real, aber so fern war, machte sie noch verrückt. Mit der Rechten langte sie sich an die linke Brust und verkrampfte sich in der Jacke. Die Haarsträhnen, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, fielen nun nach vorne, als ihr Kopf nach unten sank. Kleine Locken bedeckten nun teils ihr Gesicht.

/Warum?... Warum leb ich in dieser Ungewissheit!? Warum ich?/

Minuten vergingen. Kiara blieb lange regungslos sitzen.
 

Oh Schmetterling, fliege!

Verharre nicht und zeig deine Schönheit,

deine Augen in aller Herrlichkeit!

Oh du mein Liebster!

Komm hervor und zeig dein Antlitz,

mein Schicksal in deinen Händen.
 

Oh Schmetterling, fliege!

Weit weg und zeig deine Anmut,

deine Freiheit in jeder Bewegung.
 

Gefasst öffnete Kiara die Augen und das Dunkel ihrer Iris erblickte wieder die Welt.

/Bald.../

Sie lächelte, dennoch war es eher ein trauriges Lächeln.

/Bald weiß ich../

"..mehr!"

Ihr Gemütszustand änderte sich ständig, doch das Gefühl des auf sich gestellt seins, des allein seins, niemanden zu haben, mit dem sie über ihr Schicksal reden könnte, beherrschte in erster Linie ihr Denken. Dennoch fasste Kiara immer von Neuem Mut. Sie wollte sich nicht unterkriegen lassen. Schließlich gab es da jemanden, der nur darauf wartete, gefunden zu werden. Außerdem war dieses 17-jährige Mädchen eine wahre Kämpfernatur.

"Ich werde zuerst die Noth-Street beobachten, denn dort sind einige Pensionen und das Despera-Hotel angesiedelt."

Kiaras Stimme klang ein wenig rau, aber ein Hauch von Zuversicht schwang darin mit. In der alten Kirche schallten die Worte und der Hall jeder Silbe beseelte sie. Ihr Körper richtete sich auf und neue Kraft floss durch sie hindurch. Mit der Zunge befeuchtete sie ihre Lippen, die in der kühlen Luft ganz spröde geworden waren. Nach einem letzten Blick auf den etwas wuchtigen Altar, der aus schwerem Stein gefertigt war, machte sie sich auf den Weg.

Die grauen Schleier am Himmel waren nur noch rar. Ab und zu lugte sogar die Sonne hervor und ihre warmen Strahlen lockten auch wieder einige Leute aus ihren Häusern. Kiara waren aber nur ein paar Gesichter vertraut. Trumity war zwar nur eine Kleinstadt, doch es war eigentlich unmöglich, alle Menschen, die dort lebten und verkehrten zu kennen. Da sie seit ihrer Geburt dort lebte, kannte sie die meisten Jugendlichen in ihrem Alter und auch die meisten, die ein oder zwei Jahre älter beziehungsweise jünger waren. Ebenfalls viele Erwachsene und ältere Leute waren ihr bekannt, da ihr Vater als Kandidat für das Amt des Bürgermeisters viel mit den Bewohnern von Trumity zu tun hatte. Aber in den letzten vier, fünf Jahren hatte sich die Anzahl der Einwohner recht rasch vermehrt und nicht nur Kiara hatte deshalb den Überblick verloren. Doch sie kümmerte das im Gegensatz von Dave wenig. Ihr war es erst mal wichtiger, sich selbst zu helfen, indem sie sich auf die Suche nach Jake begab.

Kiara überquerte die Hopless-Lane und bog rechts ab in die Noth-Street. Direkt vor ihr erstreckte sich nun das Despera-Hotel. Die schönen Balkone mit den hellen Holzbrettern, die aufwendig geschnitzten Geländer, waren sein Markenzeichen. Immer wieder kamen Touristen, um das Meisterwerk aus der Nähe betrachten zu können. Das Hotel hatte, so viel Kiara wusste, acht Stockwerke und war bis auf wenige Ausnahmen ganzjährig ausgebucht. Dementsprechend tummelten sich immer einige Menschen vor dem Eingang, vor allem wenn eben Touristensaison war.

"Oh, entschuldigen Sie bitte junge Frau."

Kiara blickte in die fragenden hellbraunen Augen eines älteren Mannes.

"Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich das Postamt finde?"

"Am Ende der Noth-Street rechts.", erwiderte sie freundlich und zeigte in die entsprechende Richtung.

Der Mann, dessen graues Haar von einer Bö durcheinander gewirbelt worden war, bedankte sich höflich und ging dem beschriebenen Weg nach davon.

/Ob er hier wohnt? Ob... ich ihm hier begegne?/

Kiara lief eine ganze Weile vor dem Hotel auf und ab. Sie traute sich noch nicht, hinein zu gehen und nachzufragen, ob dort ein gewisser Jake ein Zimmer habe. Zögerlich setzte sie einen Fuß vor den anderen und hätte beinahe weiter an ihren Fingernägeln gekaut, wenn sie sich nicht dabei erwischt hätte, dass sie an ihrem Daumennagel nagte. Ein wenig beschämt steckte sie ihre Hände in ihre Hosentaschen und zwang sich, sie nicht mehr hervorzuholen.

Angst war nicht ganz das richtige Wort, um das Gefühl zu beschreiben, das sie in diesem Augenblick verspürte. Das, was sie erfahren würde, wenn sie ihn fand, würde ihr Schicksal sein; ihr Schicksal, das ihr schon so früh angedeutet worden war. Von dem sie nichts weiter wusste, als dass ER, Jake, eine bedeutende Rolle darin spielte. Und sie kannte ihn. Vor allem aus ihren Träumen...

"... zum Park."

"Ja Mom, ja. Es ist so schön hier."

Ein Mädchen, etwa neun Jahre alt, strahlte die rotwangige groß gewachsene Frau an. Die vielen Sommersprossen und die rotschimmernden Haare verliehen dem Kind etwas spitzbübisches, aber in erster Linie wirkte es aufgeweckt und freundlich. Es nahm die Hand seiner Mutter und die beiden liefen fröhlich an Kiara vorbei.

/Als ich in ihrem Alter war.../

Kiaras Miene verfinsterte sich kurz. Ihre Hände in den Taschen formten sich für einen kleinen Moment zu Fäusten. Obwohl sie sich sofort wieder entspannte, funkelten ihre dunklen Augen weiterhin. Nicht wütend auf ihre Eltern, dass sie sie allein mit dieser Prophezeiung gelassen hatten, sondern vor eiserner Entschlossenheit. Als sie nun wieder vor dem Eingang stand, kehrte sie ihm nicht erneut den Rücken zu, sondern durchquerte die offen stehenden Türen und betrat es, das Despera-Hotel.

Die Eingangshalle war kleiner als sie immer angenommen hatte. Die weite Fensterfront auf der Südseite tauchte den Empfangsraum aber in ein helles Licht und ließ es somit zu ihrer Zufriedenheit größer wirken. Als sich Kiara nach allen Seiten hin umsah, hielten sich nur ein paar wenige Menschen im Hotelerdgeschoss auf. Ein junges Liebespaar, das händchenhaltend an der Rezeption stand, eine ältere Dame, die auf einem der bequemen Sessel in der hinteren Ecke der Sitzmöglichkeiten saß mit der Tageszeitung in der Hand. Sie sah kurz auf und musterte Kiara, die staunend jedes Detail in sich aufsog. Als Kiaras Blick sie jedoch erfasste, senkte die alte Frau sofort wieder die Augen und studierte wieder ihre Zeitung.

Insbesondere die Ölbilder, die auf zwei gegenüberliegenden Seiten hingen, begeisterten Kiara. Die meisten Werke strahlten so viel Wärme und Sanftheit aus, dass sie sich zusammen nehmen musste, sich nicht von Freudentränen übermannen zu lassen. Vor allem eines nahm sie mehrere Minuten in Augenschein. Es zeigte einen prächtigen Falken, der über weiße schneebedeckte Berge schwebte. Der wehmütige Ausdruck in seinen Augen, der dennoch von Stolz und Erhabenheit umspielt war, brach ihr beinahe das Herz. Immer wieder betrachtete sie das rotschwarze Blut an den Federn seines linken Flügels. Sie fühlte sich an sich selbst erinnert. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie nur innerlich verletzt worden war.

Gerührt zwang sie sich, sich von dem Bild abzuwenden und die Rezeption zu erkunden. Ein junger Mann in einem schwarzen Anzug unterhielt sich gerade mit einer kleinen Gruppe von Touristen. Man identifizierte sie leicht an den Fotoapparaten, die sorgfältig um ihren Hals hingen. Als der Angestellte des Hotels, den Kiara auf Mitte Zwanzig schätzte, plötzlich aus dem Gleichgewicht kam, da er vermutlich aus Dankbarkeit von einer Frau von den Touristen heftig, aber kurz, umarmt wurde, musste sie lächeln. Er selbst war so verblüfft, dass er im ersten Moment nicht wusste, wie ihm geschah, doch dann fasste er die Situation mit Humor auf und winkte der Reisegruppe nach. Nachdem er sein Jackett wieder gerichtet hatte, begab er sich wieder hinter die Rezeption und begrüßte einen neuen Gast, dem er zum Schluss einen silbernen Schlüssel überreichte.

Zögerlich machte Kiara einen Schritt nach dem anderen auf ihn zu. Sie strich sich zaghaft eine Haarsträhne zurück und bemühte sich dann aufrecht und besonnen auf ihn zuzuschreiten.

Was sie als Glück empfand war, dass das Telefon klingelte und er damit beschäftigt war, als sie die Rezeption erreichte. Sie warf einen flüchtigen Blick auf das große schwarze Buch, in das er gerade einen Namen schrieb.

/Jake! Steht Jake darin?/

"Wie kann ich Ihnen helfen?"

Erschrocken sah Kiara auf. Die Frage galt tatsächlich ihr. Nervös nahm sie eine Broschüre vom Stapel, der direkt vor ihm auf dem Tresen aufgetürmt war, und nickte unbeholfen.

"Also... ähm, wie soll ich sagen..."

Sie schämte sich ihrer Stotterei. Mr. Werrington, sie konnte seinen Namen auf dem kleinen Schild, das an seiner linken Jacketttasche befestigt war, lesen, musste sie für leicht irre halten. Kiara bemerkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Nach einem kurzen Räuspern schien sie aber ihre Fassung wiedererlangt zu haben und fuhr ruhig fort.

"Ich suche einen Jungen namens Jake, der vermutlich vor ein paar Tagen hier eingecheckt hat."

"Wie lautet der Nachname?"

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nie darüber nachgedacht hatte. Klar kannte sie Jakes Nachnamen nicht, aber sie hatte sich auch nichts überlegt, was sie in dieser Situation sagen sollte.

"Ich weiß ihn leider nicht. Mein Onkel hat mich her geschickt, ich solle Jake was ausrichten, doch er hat den Nachnamen nicht erwähnt. Und falls er es doch haben sollte, dann habe ich ihn vergessen, tut mir leid."

Liebevoll sah sie den jungen Mann ihr gegenüber an, der sie freundlich anlächelte. Kiara konnte sich die Lüge nicht ganz verzeihen, ließ sich aber keine Form von Schuld anmerken. Mr. Werrington war äußerst attraktiv; er war glatt rasiert, strahlte enorme Sympathie aus und hatte ein bezauberndes Lächeln.

"Mal sehen, was ich machen kann.", entgegnete er schließlich.

"Danke."

Kiara sah zu, wie er schnell, aber auch sehr sorgfältig, die Gästeliste durchsah. Nun machte sich ein Kribbeln bemerkbar. Zwar ein wenig wegen des jungen Mannes vor ihr ausgelöst, denn sie fand ihn sehr anziehend, aber zum Großteil wegen der Hoffnung, Jake in ganz naher Zukunft ausfindig zu machen. Fast hätte sie sich ihrer alten Gewohnheit hingegeben und an ihrem Daumennagel genagt, doch sie konnte sich gerade noch beherrschen.

/Das wäre peinlich gewesen.../

Kiara atmete innerlich auf. Zumindest war ihr diese Schmach erspart geblieben. Aber dafür konnte sie es nicht unterdrücken, ihr Gewicht ständig von einem Bein aufs andere zu verlagern. Langsam, aber stetig, hin und herwippend schienen für sie Stunden anstatt nur wenige Minuten zu vergehen. Unruhig versuchte sie die Namen auf der Liste entziffern zu können. Doch die Buchstaben waren zu klein und zu weit weg, als dass sie Erfolg haben konnte.

"Also.", Mr. Werrington sah auf. "In den letzten sieben Tagen hat sich nur ein Jake hier ein Zimmer gemietet, aber er ist schon vorgestern abgereist."

Er bemerkte Kiaras enttäuschten Gesichtsausdruck.

"Ich kann Ihnen nur anbieten, noch einmal nachzusehen!?"

Er hatte schon wieder die Liste in der Hand, doch Kiara winkte ab.

"Nein, ist schon gut. Aber ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen."

"Ist nicht der Rede wert. Für so eine liebe junge Dame tue ich das doch gerne."

Verschmitzt grinste er sie an, doch Kiara empfand das eher unangenehm, aber sie wollte nicht unhöflich sein und erwiderte seine Geste.

/Nichts... kein Jake... aber ich hatte es doch so gehofft.../

Mit hängendem Kopf verließ sie das Despera-Hotel. Es war bereits dunkel geworden und sie beschloss, nach Hause zu gehen.

Als sie ihre Zimmertür hinter sich zugemacht hatte, ließ sie sich resigniert auf ihr Bett fallen. Sie streckte alle viere von sich und starrte die weiß-gelbe Decke an. Ihre Augen folgten den Lichtreflexen, die durch den Mondschein auf dem aus Glasperlen bestehenden Mobile ausgelöst wurden. Und immer wieder tauchte ein ihr nur allzu vertrautes Gesicht zwischen den leuchtenden Stellen auf. Wie sehr sie an das Despera-Hotel geglaubt hatte. Kleine Tränen bildeten sich in ihren Augen, die sich aber nicht ergießen sollten. Denn plötzlich spürte sie, das sie auf etwas lag, das sie in die Seite piekste. Kiara drehte sich auf die Seite und zog die Broschüre hervor, die sie aus dem Hotel unbewusst mitgenommen hatte. Als ihr Blick auf die Titelseite fiel, waren all die trüben Gedanken vergessen.

Chapter 6: Sacrament of Live

Chapter 6: Sacrament of Live
 

"Hidden Glamour" war das Magazin schlechthin in Trumity. Die erste Auflage war vor über 30 Jahren erschienen, damals nur aus wenigen Seiten bestehend, das die Ereignisse, Schauspiele und Neuigkeiten der Stadt aufgeboten hatte. Mittlerweile wurden wöchentlich mehr als zehntausend Exemplare verteilt und immer noch die wichtigsten Termine bekannt gegeben. Kiara hielt das kleine Heft vor sich und konnte den Blick nicht von der untersten Schlagzeile lassen, die die gesamte Heftbreite einnahm. Die schwarzen geschwungenen Lettern festigten sich immer mehr in ihrem Kopf. Die Worte formten sich wieder und immer wieder in ihrem Verstand und ergaben immer von Neuem ein und dieselbe Tatsache: Sie wird in zwei Tagen Jake treffen!

"Unser ´Sacrament of Live´ wird 200 - Feiert mit!" Kiara starrte noch immer das Magazin an. Obwohl sie nicht sagen konnte, wieso sie sich so sicher war, dass Jake dort sein würde, aber sie wusste es. Und nichts auf der Welt könnte sie aufhalten, selbst dorthin zu gehen. Ihr wurde warm ums Herz. Endlich hatte sie die Gewissheit, dass sie in naher Zukunft mehr über sich und ihr Schicksal erfahren würde.

Getragen von dem wohligen Gefühl schloss sie die Lider und verbarg damit die dunklen besänftigt wirkenden Augen. Seit langem mal wieder schlief sie ruhig und genoss einen der aufregendsten Träume ihres Lebens.
 

__
 

"Lady Kira, darf ich Euch zur Gedenkstätte Eurer Vorfahren geleiten? Die Dämmerung beruft mich zu dieser Bitte, denn ich könnte es nicht verantworten, wenn Euch was zustoße."

Der edle junge Mann in feines schwarzes Gewand gekleidet, das nicht vornehmer sein könnte, sah sie mit seinen tiefblauen Augen eindringlich, aber sanft an und streckte ihr seine in weißem Handschuh gestreifte Rechte entgegen. Entzückt und anmutig ergriff sie sie und nickte ihm dankbar, aber auch herausfordernd, zu. Sie schätzte seine Nähe und Fürsorge sehr, auch wenn sie nach außen oft kalt und abweisend wirkte. Jaken von Valinsea erwiderte ihre Geste mit einem leichten Lächeln und führte sie den aus Marmorplatten bestehenden Weg entlang bis hinauf zum Hügel, auf dem ihre Familie begraben lag. Die fast untergegangene Sonne am Ende des Horizonts legte einen orangeroten Schatten über die weite Fläche, die sich ihnen offenbarte, als sie oben angekommen waren.

"Lasst Eure Blicke nicht trüben, Eure Familie wacht über Euch, auch wenn sie nicht mehr leibhaftig vor Euch steht."

"Das sind wahre Worte Sir Jaken. Dennoch beschleicht mich immer wieder das Gefühl von unendlicher Sehnsucht nach ihnen. Vor allem Vater und Mutter fehlen mir sehr. Das Schicksal hat sie von mir gehen lassen. Nur noch dieses Medaillon ist mir von ihnen geblieben."

Sie fasste sich an die Brust und ergriff das harte Metall, das sie ganz tief in ihre Hand grub. Behutsam legte ihr Begleiter einen Arm um ihre Schultern und zog sie fest an sich. Mit stockendem Atem ließ sie ihn gewähren und sog seinen herben Duft in sich auf. Wie geborgen sie sich bei ihm doch fühlte.

"Ihr wisst um Eure Aufgabe. Trauer und Verzweiflung bedeuten nur ein Hindernis und würden die vielen Opfer wirkungslos und zunichte machen. Dieses Euer Schicksal ist eine schwere Bürde, doch wenn Ihr endlich zulasst, sie mit mir zu teilen, dann steht Eurem Ziel nur noch eines im Wege: Euer Wille entgegenzutreten!"

Seine muskulöse Brust schmiegte sich an ihr Gesicht und sie vergaß für einen Moment all ihren Kummer. Sie fühlte sich frei, schwebend und unbeschwert.

"Sir Jaken", sie hob ihren Kopf an und sah ihm direkt und lange in die Augen, "ich habe schon zu lange diesen Schmerz in mir walten lassen. Wenn Ihr immer noch `mein Schwert` sein wollt, dann willigt jetzt ein und lasst uns gemeinsam zum High Mountain gehen. Nur die Zukunft weiß, ob wir lebend wiederkehren, doch ich fürchte den Tod und mein Schicksal nicht länger."

Jakens Gesichtsausdruck wurde sehr ernst und er ließ sich auf ein Knie sinken. Ehrfürchtig küsste er den Handrücken ihrer Rechten.

"Hiermit bin ich auf ewig Euer Gefährte. Ich werde Euch Schutz geben und all meine Kraft mit Eurer bündeln. Meine Loyalität und Ergebenheit wird nichts widerrufen können."

Mit geschlossenen Augen bekreuzigte er sich.

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Nervös lief Kiara die Straße vor dem Sacrament of Live auf und ab. Die Sonne schien schon seit Stunden an diesem Tag und tauchte die alte Kirche in ein Licht, das sie erhabener und heiliger als je zuvor wirken ließ. Die Mosaikfenster leuchteten gewaltig in allen Farben und ihre Reflexionen spielten auf der Straße, gingen hin und her wie das Mädchen, in dessen Brust das Herz fast zersprang.

Vor der Kirche hatten sich schon viele Menschen zusammengefunden. Einige Familien haben ihre Kinder mitgebracht, die jetzt auf der Wiese gegenüber herumtollten. Aber die Atmosphäre war ruhig, die Leute unterhielten sich und lachten oder sie fotografierten. Sie bildeten damit den perfekten Kontrast zu Kiaras Gemütszustand.

Die Glocke läutete. Es war so weit. Nun begann offiziell die Feier zu Ehren des Gebäudes, das ihr so viel bedeutete und das in ihrem Leben noch eine große Rolle spielen würde.

Der letzte Schlag hallte in Kiaras Ohren lange nach. Sie hörte immer und immer wieder den dumpfen Klang, den sie seit der Übergabe des Medaillons liebte und so sehr verinnerlicht hatte, dass sie ansonsten kein Geräusch aus ihrer Umwelt wahrnahm. Wie in Trance sah sie die Menschen in die Kirche treten, während ihre Augen über die Menge schweiften, die IHN aber nicht erblicken konnten. Tränen, hervorgerufen durch die Angst, dass er nicht hier sein würde, trübten ihren Blick und sie sah nur noch Konturen einer zuvor lebendigen und farbenfrohen Welt. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und sie war schon im Begriff aufzugeben und wegzurennen. Doch sie lief nicht.
 

Als die Glocken schließlich erklingen,

und die Engelsstimmen ihr Lied singen,

öffnen sich die Pforten und die Tore.

In Glanz erscheinen die gesandten Chore,

geschickt vom Schicksal der ewigen Blüte.
 

Als die Verheißung den zweiten Berg erklimmt,

und nun die göttliche Macht ins Lied einstimmt,

entfachen sich die Leuchter und die Kerzen.

Wie erwartet kommt er und berührt die Herzen,

doch vor allem das seiner ewigen Blüte.
 

Ein tiefes Blau durchdrang sie; es ließ sie erbeben und erzittern.

/Jake!/

Ein junger Mann in einem schwarzen Anzug und kurzen dunklen Haaren stand vor Kiara und sah sie an. Sie fühlte sich wie in einem Traum. Alles um sie herum schien vergessen, nur er war da und er kreiste um sie. Seine Augen ließen sie nicht los, sie bannten sie. In einem Augenblick dachte sie zu schweben, im nächsten befürchtete sie, aufzuwachen und alles habe ein Ende. Doch sie schlief nicht, sie war so wach wie der Wielding, der tobend rauschte. Sein Gesicht glich genau dem ihrer Bilder, er war genau so, wie sie ihn immer in ihren Visionen gesehen hatte. Und er stand leibhaftig vor ihr. Sie biss sich auf die Unterlippe und Tränen der Freude standen in ihren Augen. Ihre Atmung beschleunigte sich zunehmend. Plötzlich berührte er sie. Ihr war als ob ihr Herz zersprang. Seine Hand auf ihrer Schulter fühlte sich so gut an. Sie erkannte, dass er ebenso fühlte. Sie spürte seine Erregung und seine Wärme. In seiner Miene lagen all die Emotionen, die sie empfand. Nun schlang er seine Arme um sie, drückte sie fest an sich. Er schmiegte seine Brust an ihr Gesicht.

Die Zeit blieb für beide einen Moment stehen. Sie hatten endlich einander. Jeder sog den Duft des anderen ein, während sie mit geschlossenen Augen dastanden und sich wünschten, dass ihre Schicksale schon erfüllt seien.
 

"Ich wusste, wo du warst, doch mir wurde verboten, dich eher aufzusuchen. Schon seit meiner Kindheit bist du ein Teil von mir. Wenn ich dich auch nicht leibhaftig vor mir hatte, spürte ich dich und sehnte mich nach deiner Nähe."

"Oh ich weiß, wovon du sprichst."

Kiara und Jake hatten sich von dem Tumult, der mittlerweile vor dem Sacrament of Live herrschte, entfernt und saßen auf dem Felsen rechts vom Kirchturm, auf genau dem, von dem aus sie sich das erste Mal für einen ganz kurzen Augenblick real gesehen hatten.

"Frederic musste mich immer wieder zurückhalten. Irgendwann habe ich das Zählen aufgehört, wie oft ich zu dir wollte, aber bei jedem Versuch war er da und hielt mich ab. Und mittlerweile glaube ich zurecht...", Jake versank in Gedanken.

Kiara sah ihn an und erkannte seine Angespanntheit. Seine Lider schlossen und öffneten sich wieder; seine Wimpern waren mittellang und ebenso dunkel wie seine Haare.

"Indem ich fest an dich glaubte, konnte ich überleben." Jake wandte sich ihr zu und seine tiefblauen Augen sahen sie einvernehmlich an. "Allein der Gedanke an dich hat mich so weit gebracht."

Kiara merkte, wie die Röte in ihr aufstieg. Verlegen schaute sie auf das harte Gestein und strich mit der Rechten über den rauen, sandigen Untergrund.

"Was wird uns erwarten?", fragte sie nach einer Weile leise.

"Noch viel Schlimmeres als hinter mir liegt."

Erschrocken betrachtete sie ihn. Ihr Leben war bisher normal verlaufen, wenn man mal von ihrer Einsamkeit und der Verheißung und dem Medaillon absieht. Aber was musste Jake schon durchgestanden haben? Sie konnte sich bisher kein Bild davon machen.

"Du wirst bald mehr darüber erfahren, Kiara, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür."

"Wann denn dann?" Empört erhob sie sich. So lange hatte sie auf diesen Tag warten müssen und nun bekommt sie zu hören, dass es nicht der richtige Zeitpunkt sei. Er stand ebenfalls auf und packte sie sanft an den Schultern.

"Sei bitte nicht böse." Als er den Kopf senkte, tat es Kiara leid. Sie wollte ihn nicht verletzen.

"Ich will doch nur endlich wissen, was das alles auf sich hat. Seit Jahren gehe ich ahnungslos durchs Leben, nur dieses Medaillon begleitete mich und das Sacrament of Live. Mehr Anhaltspunkte hatte ich nie. Verstehst du denn nicht? Ich dachte schon, ich werde irre. Keiner hat mit mir darüber gesprochen, keiner." Nun brach sie in Tränen aus. Sie konnte nicht mehr an sich halten. "Nun bist du hier und sagst, dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist... diese Unwissenheit..."

"Es tut mir unendlich leid. Ich wollte nie, dass du so leidest. Aber ich durfte nicht zu dir. Bitte setze dich wieder und höre mir zu. Vielleicht kann ich es dir erklären." Seine Stimme war besänftigend und Kiara wehrte sich nicht. Als sie sich wieder niedergelassen hatten, holte sie ihr Medaillon hervor und hielt es vor ihn.

"Kannst du mir sagen, was dies zu bedeuten hat?"

Chapter 7: Sir Jaken und Lady Kira

Chapter 7: Sir Jaken und Lady Kira
 

Jake schloss die Augen, verhüllte das tiefe Blau und nickte.

"Dieses Medaillon existiert schon sehr lange und es hat dich schon einmal begleitet."

Verwirrt saß Kiara neben ihm, aber sie traute sich nicht, ihn erneut zu unterbrechen. Ihre Fingernägel bohrten sich langsam in den Stoff ihrer Jeans, sie platzte fast vor Neugier und Angst.

"Wie du ja weißt, wurden unsere Geburten vorhergesagt. Wir sind die Reinkarnation von Sir Jaken von Valinsea und Lady Kira von Ohiyama."

/Sir Jaken und Lady Kira? Diese Namen.../

"Diese Namen..", hauchte sie förmlich in die Luft.

"Ich dachte mir, dass du sie kennst."

Kiara starrte ihn mit weit geöffneten Augen an. "Erst vorletzte Nacht hatte ich so einen Traum, in dem Sir Jaken Lady Kira sein Leben anvertraute."

"Du kannst das ruhig als Reise in deine Vergangenheit bezeichnen."

Da Kiara ganz still wurde, ließ Jake ihr ein paar Minuten, um die Worte erst einmal zu verdauen. Er konnte sich gut daran erinnern, wie er reagiert hatte, als sein Vater ihm von seinem vorherigen Leben erzählt hatte. Damals hatte er auch sehr viel Zeit gebraucht, um der Situation Herr zu werden, aber mit dem Unterschied, dass seine Eltern immer hinter ihm gestanden und ihn langsam in alles eingeweiht hatten. Er spürte Kiaras Einsamkeit und das letzte, was er wollte war sie zu überfordern oder ihr noch mehr Kummer zu bereiten, doch er hatte keine andere Wahl. Sie musste alles erfahren und die Zeit drängte zunehmend.

Eine kleine weiße Wolke schob sich vor die Sonne und tauchte das Sacrament of Live in einen grauen Schleier. Die Kirche wirkte dadurch älter, geheimnisvoller. Kiara schaute hoch zum Kirchturm und starrte die große schwere Glocke an. Schon oft hat sie hier gesessen, hinüber geschaut und dabei über ihr Leben nachgedacht. Doch dieses Mal war es anders. Sie spekulierte nicht mehr nur über die Zukunft und das, was sie erwartete. Nein, nun bekam sie die Gewissheit darüber. Und der Beweis saß direkt neben ihr. Jake, auf den sie gewartet hatte, den sie so ersehnt hatte, war gekommen. Und offenbarte ihre Vorahnungen, ihre Träume und Visionen. Sie hatte damit seit geraumer Zeit gerechnet, doch dass es sie dennoch so trifft, hatte sie nicht erwartet. Irgendwie war es schon merkwürdig eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass man schon einmal auf dieser Welt gelebt hat, schon einmal diesen Schmerz durchlebt hat. Das Medaillon in den Händen spürend dachte sie an den Tag zurück, als ihre Mom die Fassung verloren und ihr von Aina erzählt hatte.

/Lady Kira... Kiara... war es auch Schicksal, dass ich diesen Namen trage?/

Überzeugt schüttelte sie den Kopf. Jake sah sie an, doch realisierte sofort, dass sie in Gedanken war. Am liebsten hätte er sie jetzt fest an sich gedrückt, aber ihm war klar, dass das nicht der richtige Zeitpunkt war.

Die Sonne kroch wieder unter der Wolke hervor und gab dem Tag das Strahlen zurück. Vor dem Eingang der Kirche hielten sich noch immer viele Menschen auf, auf deren Gesichter aber nicht so viel Kummer lag wie auf Kiaras.

Ihr wurde so einiges klar. Alles, was sich bisher in ihrem Leben ereignet hatte, sollte auch so geschehen. In ihr regte sich zunehmend eine Frage. Eine, die ihr zu schaffen machte: Waren alle Entscheidungen, die sie getroffen hatte, gar nicht die ihren? Waren sie nicht ihres Wollens Ursprung?

Sie schluckte. Ihr war so, als ob sie den Boden unter den Füßen verlor. Ihre Ängste ergriffen mehr und mehr Besitz von ihr.

"Handle ich frei? Entscheide ich nach eigenem Willen?", fragte sie forsch und wandte sich dabei an Jake. Er sah in ihre bestürzten dunklen Augen und brauchte ein wenig, um zu realisieren, was sie gerade sagte. Sein Blick wurde ganz weich.

"Ja, Kiara, das tust du. Wo du hingehst oder was du machst, liegt ganz an dir. Keiner `lenkt` dich, falls du das denkst. Ich gebe zu, es ereignet sich viel von damals, dennoch bist du ein freier Mensch, der ganz allein sein Leben bestimmt. Es mag dir momentan nicht so vorkommen und das verstehe ich sehr gut. Doch horche ganz tief in dich hinein und erkenne, dass nur du hinter deinen Taten steckst." Jake lächelte sie unbeschwert an. "Gib dir selbst ein wenig Zeit, um dich neu zu entdecken. Vielleicht spürst du dann auch die Kraft, die in dir steckt."

"Welche Kraft? Was meinst du?"

Aber Jake antwortete nicht, sondern zwinkerte ihr kurz zu und schaute dann hinab zur alten Kirche. Das erboste Kiara und sie hätte ihn am liebsten angeschrieen, was er damit zum Ausdruck bringen wollte. Doch sie hielt sich zurück, schließlich wollte sie ihn nicht vergraulen; denn sie war ja froh, dass sie ihn endlich bei sich hatte. Seufzend stand sie auf und kletterte den Felsen hinab. Ohne noch einmal zu Jake zu schauen, lief sie in Richtung Fluss. Sie schlenderte am Lauf des Wieldings entlang, hob ab und an einen kleinen Kieselstein auf und warf ihn schräg aufs Wasser und sah zu, wie er zwei-, dreimal auf der Oberfläche aufsetzte. Desinteressiert verfolgte sie die konzentrischen Kreise, die immer größer wurden und irgendwann verblassten, bis sie letztendlich gänzlich verschwanden.
 

"Du musst nun ganz stark sein, mein Junge. Was dir deine Mom und ich zu sagen haben, wird dir im ersten Moment unwirklich erscheinen. Setz dich am besten hin und stell jederzeit Fragen, wenn du welche hast. Wir bitten sogar darum. Denn wir wollen nicht, dass du irgendwas falsch verstehst oder gar nicht begreifst."

Jake dachte an früher. Es war damals sein 12. Geburtstag, als seine Eltern ihn in alle Details einweihten. Zwar hatten sie nie aus seiner Bestimmung ein Geheimnis gemacht, aber ihnen war klar, dass er vorher noch zu jung war, um dem, was sie sagten, annähernd folgen zu können.

Als er sich auf dem Felsen gegenüber des Sacrament of Live lang streckte, wohlwissend, dass Kiara irgendwo da unten ihren eigenen Gedanken nachhing, erinnerte er sich daran, dass er sich am besagten Tag in den aprikot-farbenen Sessel neben dem Kamin gesetzt und seine Eltern mit großen Augen angesehen hatte.

"Wir haben Aina schon mehrere Male vor dir erwähnt und du weißt auch, dass wir in gewissen Zeitabständen mit ihr Kontakt haben."

Er nickte, als sein Vater ihn fragend ansah. Und da bemerkte er erst die Besorgnis, die seinem Dad ins Gesicht geschrieben stand, doch da war auch noch etwas anderes, was er aber nicht deuten konnte. Zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht.

Während Jake aufmerksam zuhörte und versuchte keine Einzelheit zu verpassen, beobachtete er seinen Vater, der groß und kräftig gebaut war. Die Brille mit den tiefschwarzen Rändern fiel besonders an ihm auf, auch wenn er sie seit Jahren trug. Irgendwie konnte sich Jeffrey Antawa nicht von ihr trennen.Marian, Jakes Mutter, hatte sehr oft auf ihn eingeredet, er solle sich doch eine neue kaufen, da ihn die jetzige um einiges älter und bedrohlicher wirken ließ als er war. Aber nachdem er stur geblieben war, hatte sie eines Tages aufgegeben und sich damit abgefunden, dass er nicht gewillt war. Doch Jake fand gar nicht, dass sein Dad damit bedrohlich wirkte. Im Gegenteil, die Brille verlieh ihm einen Hauch von Stärke und Macht. Sie schwächte die ausdrucksstarken und sympathischen Augen ab, so dass nicht jeder gleich beim ersten Treffen dachte, er sei sehr freundlich und entgegenkommend und mit ihm könne man einseitige Geschäfte machen. Denn Jeffrey arbeitete in der Führungsebene eines großen und wichtigen Wirtschaftsunternehmens und er hatte nicht selten Verhandlungsgespräche mit geldgierigen und machthungrigen Geschäftsmännern. Aber so wie Jake seinen Vater kannte, ließ er sich nicht über den Tisch ziehen. Vielmehr lenkte er die Gespräche so, dass er auf der sicheren Seite war...

/Alles, was ich bisher weiß, ist auf Aina zurückführbar. Selbst habe ich sie nie zu Gesicht bekommen, doch Mom und Dad scheinen ihr zu vertrauen. Zumindest wollen sie mir das glauben machen. Leider kann ich nicht ganz einschätzen, ob sie es tatsächlich tun und Aina die Wahrheit prophezeit oder ob sie ihr misstrauen und nur vorgeben es sei anders, um etwaige Auseinandersetzungen zu vermeiden. Mehr als einmal hab ich Dad zur Rede gestellt und ihm tief in die Augen geblickt. Aber falls er Zweifel an Ainas Glaubwürdigkeit haben sollte, hat er sich diese nie anmerken lassen. Frederic hat mich schon des öfteren ermahnt, ich solle es unterlassen, dermaßen kritisch meinen Eltern zu begegnen.../

Eine Hand auf seiner Schulter riss Jake aus seinen Gedanken. Als er irritiert aufsah, schaute er direkt in Kiaras wunderschöne dunkle Augen. Die Augen, die ihn Nacht für Nacht in den Träumen verfolgt hatten und ihn nicht mehr losließen seit er sie das erste mal gesehen hatte.

/Wie strahlend sie doch sind../

"Können wir ein Stück laufen? Ich ertrage den Anblick der vielen Menschen nicht mehr, die das Sacrament of Live eh nicht zu würdigen wissen. Die seine wahre Bedeutung nicht kennen und seiner Macht und Wärme nicht bewusst sind."

Ein durchdringendes Flehen lag in ihrer Stimme, was Jake tief im Herzen berührte. Mit einem Mal vergaß er seine Eltern und Aina, und widmete seine ganze Aufmerksamkeit nur noch Kiara, seiner ewigen Blüte.

Die Häuser der Kleinstadt zogen an ihnen vorüber, so unbeachtet wie ein Schwarm Vögel, der in der Weite des Horizonts kreiste. Die Dunkelheit brach herein. Es wurde kühl und Jake legte seine Jacke, die er eigentlich immer mit sich trug, um Kiaras Schultern. Mit einem danksagenden Lächeln erwiderte sie seine Geste. Sie schmiegte ihre Arme überkreuz um sich und mit den Händen hielt sie den wärmenden Stoff am Kragen fest. Sie sog den Duft ein, den die Jacke verströmte; seinen Duft. Er war herb, aber keineswegs streng oder aufdringlich; vielmehr mischte sich ein liebliches Aroma darunter. Kiara bekam eine feine Gänsehaut als sie ihre Nase in den Stoff grub und den männlichen Geruch tief einatmete. Wenn sie sich nicht so beobachtet gefühlt hätte, hätte sie ihr ganzes Gesicht in seiner Jacke vergraben.

"Erzähl mir bitte mehr von Sir Jaken und Lady Kira." Kiara konnte das Schweigen nicht mehr ertragen. Außerdem plagte sie diese Frage schon seit sie sich von der alten Kirche entfernt hatten. Auffordernd blickte sie über ihre Schulter hinweg Jake an, dessen Silhouette sich deutlich von der grauen Mauer abzeichnete, die sich seitlich von ihnen entlang streckte. Die Dunkelheit hatte jedoch Trumity mittlerweile fest im Griff. Vereinzelt funkelten Sterne am schwarzen Abendhimmel und die Straßenlaternen leuchteten den beiden den Weg. Das orangefarbene Licht wirkte viel wärmer als die gelbe Mondsichel hoch oben, halb versteckt hinter dem Baumgipfel eines Kastanienbaumes.

"Lady Kira war gerade mal 14 Jahre jung gewesen, als ihre Eltern gestorben sind. Der Öffentlichkeit wurde berichtet, ihr Kutscher habe die Kontrolle über die Pferde verloren und sie seien geradewegs die Klippen hinuntergestürzt. Aber Kira wusste, dass dies nur erzählt wurde, um das Volk nicht in Angst und Schrecken zu versetzen und um neugierigen Leuten und Gerüchten vorzubeugen." Nach einer kurzen Pause fuhr Jake leise fort. "In Wahrheit starben sie ganz anders."

Er bemerkte, dass Kiara leicht zusammenzuckte. Ein kleiner Windhauch wehte ihr ein paar Locken in die Stirn, die sie sich in leichter Melancholie nach hinten strich.

"Es war zu der Zeit, als man endlich fertig war, um den High Mountain einen Schutzwall zu errichten. Die dunkle Macht, deren Namen ich noch verschweigen möchte, hat es auf etwas abgesehen, was in diesem Berg zu finden war. Um was sich hierbei genau handelte, habe ich nie gesagt bekommen. Mir wurde lediglich angedeutet, dass wir dieses Etwas beschützen sollen."

"Wie sollen wir etwas beschützen, das wir nicht einmal kennen?", seufzte Kiara. Auch Jake war nicht wohler zumute. Auch sein Leben war bisher von so vielen Ungewissheiten bestimmt gewesen. Er schüttelte mit dem Kopf.

"Ich weiß es nicht."

Ein Moment der Stille suchte sie heim.

"Jedenfalls war der Schutzwall so stark, dass das Böse nicht an dieses Etwas herankam. Und seine Wut und seinen unendlichen Zorn darüber mussten Kiras Eltern zu spüren bekommen. Es ging auf die Jagd nach ihnen, es witterte ihre Spuren und verfolgte sie, bis es sie in der Falle hatte... wie hilflose Tiere in einem Käfig."

"Grausam.."

"Das war noch nicht das Ende." Jake wollte nichts beschönigen. Da er in etwa abwägen konnte, was auf sie zukam, musste er Kiara so gut es ging darauf vorbereiten. Und sie zu sehr zu schonen war dabei nicht der richtige Weg. "Als das Böse sie endlich hatte, begann erst die grausamste Tat, die du dir vorstellen kannst: das Foltern. Aber nicht in dem Sinn, wie es uns heutzutage die Geschichtsbücher lehren. Nein, die Folter war nicht körperlicher Art. Sondern das Böse drang tief in ihre Gedanken ein und zeigte ihnen vor ihrem inneren Augen die übelsten Zukunftsvisionen. Anfangs konnten sie noch gegen die Verzweiflung ankämpfen. Doch als es dazu überging, ihre gemeinsame Tochter zu zeigen, wie sie mit einem gemeinen Grinsen unschuldige Menschen ermordete und sich daran genüsslich erfreute, wurde es Sir und Lady Ohiyama langsam zu viel. Bitterliche Tränen ergossen sie und die Bilder, die sie zu sehen bekamen wurden noch bedeutend schlimmer. Sie sahen wie sie das Blut ihrer Opfer trank; auch das von kleinen Kindern. Und wie sie zur Herrscherin über das Dunkel wurde..."

Abrupt blieb Kiara stehen und sank auf die Knie. Die schwarze Jacke rutschte dabei herunter und entblößte ihre sonnengebräunten Schultern. Als Jake zu ihr gehen wollte, winkte sie ab.

"Mir geht es gut." Behände richtige sie sich wieder auf und legte die Jacke wieder um. "Ich habe nur gerade..." Doch da spürte sie seine Finger auf ihren Lippen.

"Sprich es besser nicht aus."

Verstehend nickte sie. Noch immer direkt vor ihr stehend sah er sie einen Augenblick durchdringend an, wodurch ihr ganz heiß wurde und ihr die Röte ins Gesicht stieg.

"Diese Visionen haben sich nach dem Tod von Kiras Eltern doch nicht bewahrheitet oder?", flüsterte sie. Mehr gab ihre Stimme in dieser Situation nicht her.

"Nein haben sie nicht.", erwiderte Jake und hob seinen Kopf gen Himmel. "Denn sonst wäre die Welt schon längst eine Ausgeburt der Hölle."

"Der Hölle...", wiederholte Kiara für sich.

"Auch Kira hat nicht überlebt, doch vor ihrem Tod konnten sie und ihr treuer Gefährte, Sir Jaken, die dunkle Macht bannen."

Kiara spürte plötzlich wieder das Medaillon, wie es auf ihrer Brust auf- und abwippte beim Gehen. Sie nahm es ab und legte es in Jakes Hände.

"Kannst du mir nun sagen, was dieses Medaillon für eine Rolle spielt?"

Zum ersten Mal spürte Jake es. Das Metall war warm, von Kiaras Körper erhitzt. Für einen kurzen Augenblick fühlte er sich in die Vergangenheit versetzt und sah Lady Kira in einem eleganten cremefarbenen Kleid vor sich, die Sir Jaken das Medaillon entgegen streckte.

"Es ist dein Schlüssel zu deiner Kraft."

"Jetzt redest du schon wieder von dieser Kraft. Erklär mir doch bitte, was genau du damit meinst."

"Das kann ich nicht, Kiara."

"Und warum nicht?"

"Weil nur du allein sie definieren kannst."

/Definieren?... Das ist alles so vage. Das Wort ´Kraft` schwebt im Raum und ich allein kann ihm eine Bedeutung verleihen? Ich weiß doch nicht wie.../

Sie konnte wie aus weiter Ferne die Kirchturmuhr schlagen hören. Die Anzahl der Schläge zählte sie im Unterbewusstsein mit; es waren zehn. Mit einem Mal wurde sie aus den Gedanken gerissen und schaute Jake erschrocken an.

"Ich muss heim. Meine Eltern wissen gar nicht, wo ich stecke. Nicht dass sie einen Suchtrupp losschicken... manchmal sind sie zu besorgt, weißt du."
 

Als Kiara in ihrem Bett lag, wusste sie bereits, dass sie in dieser Nacht nicht schlafen würde. Jake hatte sie nach Hause gebracht und sie beim Abschied auf die Wange geküsst. Ihre Knie hatten mächtig gezittert und das Blut in ihren Adern pulsiert. Bevor er aber wirklich gegangen war, hatte er ihr noch ins Ohr geflüstert, dass er am nächsten Tag um zwei auf sie am Sacrament of Live warten werde. Der Gedanke an ihn zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.

Chapter 8: Love

Chapter 8: Love
 

Immer noch spürte sie seine zarten Lippen auf ihrer Haut. Noch immer sog sie seinen Duft ein. Wohlig kuschelte sich Kiara in ihre Decke ein.

Blass schien das Mondlicht ins Zimmer, reflektierte kaum merklich an den weißen Wänden. In den nächsten Tagen würde auch dieses Lichtlein vergehen. Kiara erkannte an der Sichel, dass Neumond kurz bevorstand. Ihr Fenster war weit geöffnet und man konnte den seichten Wind hören, der sich in den Blättern der Bäume fing. Eine Eule rief durch die kleine Stadt und verkündete die Nacht.

Allmählich legte sich die Welt schlafen; nur noch das sanfte Rauschen durchbrach die eingekehrte Stille. Nach und nach kam auch Kiara zur Ruhe und lauschte den friedlichen Vorboten der ewigen Dunkelheit.
 

/Die Welt wäre eine Ausgeburt der Hölle... das Böse wurde gebannt... Lady Kira und ihre Eltern fanden den Tod, um das Leben und das Licht zu retten. Doch was ist mit Sir Jaken von Valinsea geschehen?/, dachte Kiara, während sie zum Sacrament of Live ging. /Warum kam Jake gerade jetzt? Warum nicht schon früher?/

Viele Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Es gab noch so viele Unklarheiten, auf die sie sich keinen Reim machen konnte. Einerseits hätte sie schon gerne alles gewusst und alle Zusammenhänge gesehen, andererseits fürchtete sie sich davor. Denn wer versicherte ihr, dass sie nicht bald sterben würde bei dem Kampf gegen das Böse, so wie es Kira erging? Zwar konnte sie ihre Lage noch nicht vollkommen einschätzen, aber so viel verriet ihr ihr gesunder Menschenverstand, dass sie auserwählt war, um gegen die dunkle Macht anzutreten, die anscheinend wieder erstarkt war. Und das Medaillon, das sie seit Jahren um den Hals trug, sollte sie dabei unterstützen, wenn auch sie noch nicht genau abwägen konnte wie. Das Medaillon, das ihr in einer stürmischen Nacht zum ersten Mal zu Gesicht gekommen war. Das so schicksalstragend war.

Mit dem linken Zeigefinger strich sich Kiara über die Wange. Genau über die Stelle, auf die sie Jake geküsst hatte. Sie lächelte kurz.

Ein Schmetterling schwebte vor ihr, ließ sich nach ein paar wilderen Flügelschlägen auf einem kleinen Ast des Busches nieder, der Kiara am nächsten gelegen war. Sie schaute ihn sich genauer an und erkannte die Augen auf seinen Flügeln. Das schwache Gelb des Randes erinnerte sie an den Mond der vergangenen Nacht. Der blass auf sie und Jake herabgeschienen hatte.

/Irgendwie kann ich immer noch nicht glauben, dass er nun wirklich hier ist, hier bei mir. Ich bin so glücklich, dass meine Träume von ihm nicht nur Träume blieben. Er sieht haargenau so aus wie ich ihn schon immer `gesehen` hatte... leider dürfen wir uns nicht unter anderen Umständen kennen lernen. Das Böse erstarkt... das Böse, das er nicht weiter erläutert hat. Das aber schon einmal viele Menschenleben gefordert hat. Auf der Suche nach dem Etwas.. dem Etwas!?/

Sie sah zum Himmel hinauf, der mit vielen weißen Schleierwolken übersät war, die die Sonne halb verdeckten. Eine Amsel zog einen weiten Kreis über die Dächer der Stadt.

Sinnend über die wahre Identität des Etwas lief sie in leichter Melancholie die letzten Meter zum Sacrament of Live.

"Hi Kiara."

Eine warme Stimme riss sie aus den Gedanken und bescherte ihr eine angenehme Gänsehaut.

"Hi, ich.. äh", stammelte sie. Vor Scham errötete sie. Doch Jake lächelte sie an und legte eine Hand an ihr Gesicht.

"Ich freue mich, dass du gekommen bist."

Kiaras Herz raste. Seine Selbstsicherheit und das Strahlen seiner tief blauen Augen machten sie noch nervöser. Ein starkes Gefühl regte sich in ihr, ihn zu küssen. Aber sie brachte den Mut nicht auf und löste sich stattdessen von ihm.

"Lass uns in die Kirche gehen.", sagte sie fast schon unfreundlich und hätte sich am liebsten gleich dafür gescholten.

Er hielt ihr die Tür auf und als sie an ihm vorbeiging, konnte er den Duft ihres Shampoos riechen. Nur mit großer Anstrengung konnte er sich beherrschen, sie nicht festzuhalten und zu küssen...

Nachdem er ihr hinein gefolgt war, spürte er die Macht, die von den alten Gemäuern ausging.

"Du bist sehr oft hier, hab ich recht?"

Kiara nickte. "Eigentlich jeden Tag. Seit-", sie stockte flüchtig. "Seit mir das Medaillon gehört."

"Kann ich gut verstehen."

Jake sah sich nach allen Seiten hin um.

"Wunderschön."

"Wunderschön!? Das Sacrament of Live ist vielmehr. Es ist der Inbegriff der wahren Macht."

Zunächst sah er sie mit großen Augen an, dann klärte sich sein Blick und er grinste.

"Ja das stimmt."

Kiara ging geradewegs zum Altar und ließ sich auf der vordersten Bank nieder. Jake setzte sich nicht, sondern blieb am Altar stehen und berührte ihn ehrfurchtsvoll.

"Ich kann es spüren."

"Ich weiß."

"Das Pulsieren ist so schön gleichmäßig - bubumm bubumm." Im selben Rhythmus klopfte sich Jake auf die linke Brust.

"Wir müssen es beschützen!".

Jake drehte sich sofort zu Kiara um; er war erstaunt über die Kraft und Entschlossenheit, mit der sie das sagte.
 

/So unkontrolliert kenne ich mich gar nicht. Mein Herz klopft wild, mein Magen verkrampft sich und ich bin so abweisend zu ihm. Dabei will ich ihm doch nah sein. Ich verzehre mich nach ihm. Jeder Teil von mir will bei ihm sein. Und doch... doch wehre ich mich dagegen. Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut, wenn er seinen Kopf zu mir dreht. In seinen tiefblauen Augen versinke ich immer von Neuem. Ewig könnte ich in sie blicken und immer wieder Neues entdecken. Und doch... doch wende ich den Blick von ihm ab.../

"Kiara?"

/Warum tu ich das!?/

"Hey Kiara!"

Leicht stupste er mit dem Zeigefinger auf ihre Schulter. Wenig später wandte sie sich ihm zu und er sah die Tränen in ihren Augen.

"Was-"

Bevor er weitersprechen konnte, fiel sie ihm um den Hals und vergrub ihr Gesicht in seinem Shirt. Jake legte seine Arme um sie und drückte sie fest an sich.
 

Siehst du mich schweben?
 

Das Glühen in mir wird stärker,

endlich befreit aus dem Kerker

errichtet aus Angst...
 

Siehst du mich schweben?
 

Das Licht vor mir bist du,

endlich erlöst von dem Spuk

gerufen durch die Angst...
 

Fühlst du mich schweben?
 

Die Kraft in mir erwacht,

das Medaillon pulsiert sacht

auf meiner Brust...
 

/Es ist soweit. Die Blüte der Ewigkeit entfaltet ihre Blätter. Das Licht in ihr beginnt zu leuchten: warm und hoffnungsvoll. Auf ihren Schultern liegt die Zukunft der Welt. Mein Leben gehört ihr; bis zu meinem Tod werde ich sie beschützen!/

Hell strahlten Jakes Augen. Entschlossen hielt er Kiara fest und tröstete sie. Wer weiß, wann sie das nächste Mal so ruhig in seinen Armen liegen kann.
 

"Ich danke dir Jake. Ich danke dir, dass du hier bei mir bist. Ich danke dir, dass du mir die Unwissenheit nimmst." Kiara hob den Kopf leicht an und küsste erst seinen Hals, dann sein Kinn und arbeitete sich immer weiter vor, bis ihre Lippen ganz zart seine berührten.

Die Welt um sie herum verschwamm, schien sich in nichts aufzulösen. Das Innere des Sacraments of Live war nur noch eine trübe Silhouette, die ihr Schutz bot. Sie spürte seine weichen Lippen, die nach und nach den Kuss erwiderten. An nichts anderes mehr als an ihn und seine Nähe konnte sie denken. Ihre Zunge umspielte seine Mundwinkel, befeuchtete sie und wurde dann von seiner eingefangen...

Sie lächelten sich an; die tiefe Liebe zwischen ihnen war nun endgültig entfacht.
 

"Jake!?" Erregt deutete sie auf die bunten Mosaikfenster der Kirche, durch die bis eben noch die Sonne geschienen hatte. "Was ist das?"

Verwirrt schaute er auf die Stelle, auf die sie zeigte, noch immer den Kuss schmeckend. Nun erkannte er, was sie so plötzlich in Aufregung versetzte.

"Mach dir keine Sorgen." Leider musste er feststellen, dass seine Stimme nicht so fest klang wie er wollte. "Sie gehen bald wieder. Durch die Mauern der Kirche können sie nicht dringen."

Er legte einen Arm um Kiaras Taille. Damit beruhigte er auch sich selbst. Die dunklen Schatten kreisten immer schneller um das Sacrament of Live und hüllten das junge Paar in tiefe Finsternis, nur durchbrochen von den wenigen kleinen Flammen der Kerzen, die in ihren silbernen Haltern brannten. Kiara spürte das Medaillon auf ihrer Brust vibrieren. Vorsichtig holte sie es unter ihrer nachtblauen Bluse hervor. Die feinen Linien, die fast eine Blume zeichneten, schimmerten in einem blassen rosa, das sich in ihren braunen Augen widerspiegelte.

/Vollkommen. Ja, das ist meine Blüte der Ewigkeit./

Stolz und fasziniert betrachtete Jake Kiara. Ihre Haare fielen in Locken über ihre Schultern; ein warmes Licht umgab sie. Auf ihn wirkte sie wie ein Engel.

Wäre es nicht so finster gewesen, hätte er vielleicht die Leere in ihrem Blick gesehen. Eine Leere, die absoluter nicht sein konnte.

Die Stille im Sacrament of Live bedrückte ihn allmählich. Noch immer bewunderte er Kiara, doch ihre Starrheit verunsicherte ihn. Gerade als er sie ansprechen wollte, lösten sich die Schatten auf und gaben das Sonnenlicht wieder frei. Jede einzelne Bankreihe bis ganz nach hinten, jedes Detail der monumentalen Bildern an den Wänden war wieder erkennbar. Jake atmete erleichtert auf, doch plötzlich sank Kiara auf die Knie.

"Kiara!?"

"Ich fühl mich nur etwas schwach."

Als er ihr aufgeholfen und ihr angewiesen hatte, dass sie sich hinsetzen solle, strich er sich eine Haarsträhne aus der Stirn und sah sie sich noch einmal genau an.

"Deine Kraft ist noch nicht vollends erwacht."

Chapter 9: Before time I

Chapter 9: Before time I
 

Vor der hölzernen Truhe sitzend starrte er unentwegt das aus Eisen geschmiedete Schloss an. Sollte er sie tatsächlich öffnen?

Die Fackeln an den Felsenwänden flackerten unstet, warfen aber genug Licht, um die feinen schwarzen Linien im hellen Ahornholz erkennen zu können. Sie erstreckten sich über den gesamten oberen Teil der Truhe, ein paar zogen sich weiter hinab. Man hatte den Eindruck, dass sie in den kalten Boden darunter dringen würden.

Der Mann im schwarzen Mantel rührte sich überhaupt nicht, wandte den Blick nicht mal für einen kleinen Augenblick von der Truhe ab. Wie in Trance saß er auf seinen Knien, die Hände gefaltet im Schoß.

In den vergangenen 23 Monaten hatte er ausschließlich das Buch über die "Inauguration" studiert. Jede Minute, in der er nicht geschlafen hatte, hatte er damit verbracht, den Text zu entschlüsseln. Seit er zum ersten Mal von Kira von Ohiyama gehört hatte, hatte er an nichts anderes mehr denken können als an sie. Er war richtiggehend besessen. Solange er denken konnte, jagte er schon geheimnisumwobenen Mythen nach. Sein Ehrgeiz, mehr über dieses Mädchen zu erfahren, war im Jahre 1642 geweckt worden.
 

"Mein Herr, bitte helft mir. Ich erflehe nur eine warme Mahlzeit." Ein alter Mann hatte vor ihm gekauert und ihn herzzerreißend angeblickt.

Nachdem der Jüngere ihn sich genauer betrachtet hatte, hatte er ihn zu sich nach Hause eingeladen und ihm seine Frau und seinen fünfjährigen Sohn vorgestellt. Als das deftige Essen zubereitet war und der Alte die ersten Bissen gierig hinuntergeschlungen hatte, hatte er begonnen eine zunächst merkwürdig klingende Geschichte zu erzählen. Doch umso mehr der Gastgeber erfahren hatte, desto mehr hatten ihn die Worte gefesselt. Etwa eine Stunde lang hatte der schon längst ergraute Mann mit den eingefallenen Wangen und dem langen ungepflegten Bart geredet und dabei nicht geduldet unterbrochen zu werden.

Als er geendet hatte, war er sofort aufgebrochen und beim Abschied hatte er seinen freundlichen Spender einvernehmlich angesehen. Danach waren sie sich nie wieder begegnet.

Doch dieser Mann hatte sein ganzes Leben verändert. Genau an diesem Abend hatte er erstmals den Namen Kira zu hören bekommen.

Ab diesem Zeitpunkt hatte er alles daran gesetzt, mehr über dieses Mädchen herauszufinden. Er hatte unbedingt wissen wollen, was es mit den Mitgliedern der `Inauguration` und dem High Mountain auf sich hatte. Seine Bemühungen waren dabei ins Unermessliche gegangen und er hatte begonnen sich immer seltener zuhause bei seiner Familie blicken zu lassen. Als er nach einer längeren Reise zurückgekehrt war, hatte es ihn sehr hart getroffen, als seine Frau und sein Sohn nicht mehr da gewesen waren und er das Haus völlig verlassen vorgefunden hatte. Mehrere Tage lang hatte er versucht sie zu finden, doch die Nachfragerei war vergebens gewesen. Die Nachbarn hatten ihn verachtend gemustert und es vorgezogen, ihm aus dem Weg zu gehen. Da also die Suche keinen Erfolg gebracht hatte, hatte er seinen schmerzlichen Verlust im Alkohol ersticken wollen. Mehr als eine Woche hatte er im totalen Rausch gelebt und als er seinem Leben hatte ein Ende setzen wollen, war er noch bevor er das Messer packen konnte gestürzt. Mit blutender Kopfwunde hatte er einige Minuten bewusstlos am Boden gelegen. Genau in diesen Minuten hatte er nur eine einzige Person vor sich gesehen: Kira!

Als er wieder erwacht war, waren alle Gedanken an Selbstmord vergessen und er hatte beschlossen, sein Ziel mehr über sie herauszufinden weiter zu verfolgen und seine Familie für immer hinter sich zu lassen. Er war im Laufe der Zeit zum Einsiedler geworden, hatte sich von der Gesellschaft abgeschottet und geforscht, Bücher und Schriftrollen gelesen.

Ein Jahr war vergangen ohne zufrieden stellende Resultate, doch dann hatte er von einem Buch gehört. `Inauguration` befände sich in der Bibliothek im alten Schloss von Breth. Sofort hatte er sich dorthin begeben, war aber zu seinem Entsetzen gerade dort auf seinen Erzfeind Remik gestoßen.
 

"Erin, was führt Euch denn nach Breth?" Herausfordernd grinste er und bleckte genüsslich seine gelben Zähne. Remik war ein kräftiger Mann mit langen blonden Haaren und stierenden hellblauen Augen. Schon als Kind hatte er Erin Angst eingeflößt. Für gewöhnlich floh Erin vor seinem Widersacher, doch dieses Mal musste er sich ihm stellen. Er musste an dieses Buch kommen, auch wenn das bedeutete, dem Tod direkt in die Augen zu sehen.

"`Inauguration` ist der Grund meines Erscheinens."

Remiks Augen blitzten und er begann höhnisch zu lachen. "Oh Erin, du Narr." Erneutes Gelächter umspielte seine Mundwinkel. "`Inauguration` befindet sich in meinem Besitz. Ha ha, wie gedenkt Ihr nur, an dieses zu gelangen!?"

Erins Zögern bestärkte seinen Feind noch mehr. Es war nun an der Zeit, ihm endlich einmal entgegenzutreten. Er durfte nicht länger davonlaufen.

Nach einem letzten kurzen Zögern sah er zu Remik hinauf, der immer noch vor den Toren der Bibliothek thronte, und begann freundlich zu lächeln. Tatsächlich,.. er konnte für einen Augenblick Unsicherheit in den Augen von Remik sehen. Nun brachte er endgültig den Mut auf, den er in den früheren Begegnungen so herbeigesehnt hatte.

/Jede Fassade bricht einmal zusammen, mag sie noch so hart und kalt sein.../

Selbstbewusst lief Erin ein paar Schritte auf den anderen zu. Als er ihn fast berühren konnte, blieb er stehen, griff mit seiner Rechten an die Tasche, die an seiner Hüfte baumelte und hob sie empor.

"Im Gegenzug für `Inauguration` gebe ich Euch `Genesis Age`, die als vermisst geltende Schriftrolle!"

Die Worte hallten in der weiten Halle lange nach, dann kehrte eine unruhige Stille ein. Erin konnte Remiks Gefühlszustand nicht einschätzen und bekam allmählich ein mulmiges Gefühl im Magen.

"Einverstanden.", erklang mit rauer Stimme.

Innerlich sprang Erin vor Freude und Erstaunen in die Luft, doch äußerlich wirkte er gelassen und nickte, dabei den Blick von seinem Widersacher nicht abwendend. Er konnte es kaum fassen, dass Remik so widerstandslos einwilligte. Aber das sollte ihn nun nicht kümmern, wichtiger war doch, dass er bald `Inauguration` in den Händen halten würde!

"Morgen um 11 Uhr hier vor den Toren zur Bibliothek von Breth - gleichzeitige Übergabe." Dann entschwand Remik.
 

Die Übergabe war glatt verlaufen, sehr zur Verwunderung von Erin. Doch es war ihm bewusst gewesen, dass er schleunigst die Stadt hatte verlassen müssen, denn Remik würde ihn bestimmt nicht so einfach davon kommen lassen. Für die Anheuerung von Kopfgeldjägern war er schließlich bekannt gewesen. Tatsächlich war er verfolgt worden, doch mit dem Buch im Gepäck hatte er allen Anschlägen entfliehen können und von da an hatte erst die mühselige Arbeit begonnen: das Entziffern und Übersetzen der teils noch unbekannten Zeichen!

Mehr als 12 Monate hatte er Tag und Nacht daran gearbeitet und er hatte immer mehr über Kiras Leben erfahren. Nur ein einziges Mal in `Inauguration` fiel der Name "Die Blüte der Ewigkeit", aber Erin wusste, dass er ein Sigul war. Was ihn zu dieser Überzeugung gebracht hatte, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, aber er hatte bisher in seinem Leben immer auf sein Instinkt vertraut, so auch in diesem Falle. Seine ganze weitere Forschung basierte auf diesem Titel. Und nun saß er in dieser kalten Höhle vor dieser Truhe. Verbarg sich darin in der Tat die Antwort?

Chapter 10: Burning Candles

Chapter 10: Burning Candles
 

/Schwerelos schwebte ich über allem. Es war fast so, als ob meine Seele meinen Körper verlassen hätte. Von allem losgelöst spürte ich nichts mehr außer einem ganz warmen Licht. Es umhüllte mich und drang dann tief in mich ein. Es wurde eins mit mir. Doch ich weiß nicht, was dann geschah. Ich habe keine Ahnung, wie die dunklen Schatten verschwunden sind und ob ich damit etwas zu schaffen habe. Jedwede Erinnerungen fehlen mir daran. Ich fühlte mich plötzlich so kraftlos und dann vernahm ich Jakes Stimme. Ich hätte ihm gern erzählt, was geschehen war, doch mir erschien es nicht richtig. Meine innere Stimme sagte mir, ich solle ihm nichts sagen. Aber ich zweifle daran, dass diese Eingabe von meinem Verstand herrührte. Zwar meinte Jake, ich würde nicht gelenkt werden und alles frei entscheiden, doch dieses Mal bin ich anderer Meinung. Diese Stimme hatte sich so in meinem Verstand manifestiert, dass es fast schon weh tat, überhaupt zu denken. Genau in diesem Moment habe ich begriffen, was die Zukunft für mich parat hält: Schmerzen und Finsternis. Doch wenn die dunkle Macht denkt, ich gebe klein bei, dann hat sie sich geschnitten. Nicht umsonst hab ich so lange gewartet. Ich möchte mein Schicksal selbst besiegeln!/
 

Kiaras Blick schweifte über die Dächer der Stadt. Trumity lag in tiefem Schlaf und wirkte dabei so friedlich. Mit hoch gezogenen Beinen saß Kiara auf dem Fensterbrett ihres Zimmers, lediglich mit einem roten Schlafshirt bekleidet, das lose über die Knie fiel. Ein leichter Windhauch wehte ihr Haar nach hinten und lüftete ihre in Falten gelegte Stirn. Sie schloss die Lider und sog den frischen Duft der Nacht ein. Eine Grille zirpte direkt unter ihrem Fenster. Die Luft trug den hellen Ton davon, hallte leise in der Ferne wider.
 

"Du warst bei ihr!?" Eindringlich sah Frederic seinen jungen Gegenüber an. "Jake?"

Doch Jake gab keine Antwort, sondern nahm stattdessen ein Glas Wasser in die Hand und nippte daran. Ihm ging es seit Kurzem ziemlich auf die Nerven, dass er ständig darüber Rechenschaft ablegen musste, was er mit Kiara erlebt hat. Frederic wusste doch, dass er ohne sie nicht mehr leben konnte. Er wusste doch, dass er bei ihr war, wenn es die Umstände zuließen. Noch immer betrachtete ihn der Ältere scharf.

"Ja natürlich war ich bei Kiara.", sprach Jake leise. Verärgert starrte er das längliche Gefäß in seiner Rechten an. Ein paar Mal drehte er es hin und her und studierte die Lichtreflexionen. Die eingekehrte Stille brach an den Wänden. Die Luft schien im Raum wie eine Mauer aus Stein zu stehen. Aber Jake ertrug das Schweigen nicht und drehte sich plötzlich energisch um.

"Warum in Gottes Namen musst du das wissen?"

Da verspürte er eine starke Hand auf seiner Schulter, roch den warmen Atem Frederics. "Jake, es muss sein und du weißt warum."

"Ja leider." Resigniert ließ er den Kopf sinken und verließ den Raum.

/Kiaras Kraft muss überwacht werden. Falls irgendwas in ihrer Entfaltung schief läuft, kann das uns allen das Leben kosten. Aber warum muss ich die Aufgabe innehaben? Hoffentlich erfährt sie nie, dass ich sie insgeheim ausspioniere. Wenn ich doch nur eine andere Wahl hätte... ich würde alles dafür geben!/

Jake stand auf dem großen Balkon und stützte beide Hände auf das hölzerne Geländer. Nachdenklich sah er über die Dächer Trumitys hinweg, weit in die Ferne. Ihm missfiel es so sehr, dass er nur ein Werkzeug war, das dazu benutzt wurde, Kiaras Privatsphäre zu verletzen. Er liebte sie wahrhaftig; warum konnte er dann nicht ohne solche Machenschaften mit ihr zusammen sein?

"Es bringt dir nichts, dich von mir abzuwenden und wütend zu sein. So leid es mir tut, Jake, das Schicksal hat entschieden. Die Blüte der Ewigkeit ist nun erwacht, so wie es einst prophezeit worden ist, und nun beginnt erst das Bangen. Jake, wir müssen nun auf der Hut sein."

/Ich möchte sie doch einfach nur in den Armen halten.../

"Deine Eltern unternehmen alles Erdenkliche, um euch Zeit zu gewähren, damit-"

/...ich möchte doch einfach nur ihre Nähe spüren.../

"...denn nur indem ihr euch-"

/...sie festhalten und küssen.../

"...vereint!"

Frederic rüttelte den Jüngeren sanft. "Hast du mir überhaupt zugehört?"

"Mh?"

"Du verliebter Narr." Grinsend und kopfschüttelnd zog er Jake zurück ins Zimmer. "Aber du musst bald zur Vernunft kommen, sonst kann es für uns alle zu spät sein.", fügte er leise hinzu, wohlwissend, dass er nur mit sich selbst sprach.
 

Das Medaillon in den Händen spürend saß Kiara noch immer mit geschlossenen Augen da. Ihre Brust wog sachte auf und ab und ihr Puls ging langsam. Sie musste unablässig an dieses Gefühl denken, das sie am Nachmittag verspürt hatte. Gewissermaßen fühlte sie sich wie eine Fremde in ihrer eigenen Haut. Dieses Licht oder diese Kraft, oder was es auch immer gewesen sein mochte, hatte sie verändert.

/Ich weiß nur noch nicht wie... ich kann jeden Muskel meines Körpers bewegen, ich habe dieselben Reflexe wie vorher und sehe durch dieselben Augen, dennoch ist es anders. Aber nicht im negativen Sinne, es ist eher... befriedigend... Eine unermessliche Hitze durchflutet mich, an der ich aber nicht verbrenne... und in mir keimt plötzlich so eine Gier... nach/

Der tiefe Klang der Glocken läutete tief in ihrem Verstand. Sie schlug die Augen auf und brauchte ein paar Sekunden, bis sie realisierte, wo sie war. Benommen schüttelte sie den Kopf, aber auch mit größter Mühe konnte sie sich an den letzten Gedanken partout nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich zu ihrem Glück schob sie es auf ihre Müdigkeit und dachte nicht mehr darüber nach. Erschöpft legte sie sich schlafen.
 

Auch Jake zog sich in sein Zimmer zurück. Er konnte Frederics Anblick an diesem Abend einfach nicht mehr ertragen. Die vergangenen 10 Jahre hatten ihm gezeigt, seinen treuen Begleiter schätzen und mögen zu lernen, aber es gab nun einmal Zeitpunkte, in denen man lieber allein sein mochte. Die Ereignisse hatten sich in den letzten Tagen überschlagen und Kiara ging ihm nun endgültig nicht mehr aus dem Kopf. Und seine größte Angst war, dass ihr was zustoßen könne. Erst vorherige Nacht hatte man ihm mitgeteilt, dass die dunkle Macht nicht mehr lange von den Mitgliedern der `Inauguration` aufgehalten werden könne. Jeffrey, sein Vater, war einer von ihnen und er war auch derjenige, der ihm diese schlechte Nachricht zukommen ließ. Beim Abschied vor über einem Monat hatte er Jake abschließend noch einen Satz ins Ohr geflüstert, der ihn tief berührt hatte und ihm nun ständig durch den Kopf ging.

"Für die Liebe meines Lebens würde ich sterben.. und deine Mutter verkörpert diese."

Auf Jakes Lippen machte sich ein trauriges Lächeln breit.

/Ich kann das gut nachempfinden.../

Er sah nur noch Kiaras weiches und hübsches Gesicht, ihre lockigen Haare und ihre dunklen Augen, die ihre Ausstrahlung und ihr Erscheinen für ihn so perfekt machten, vor sich.
 

Der Morgen war kühl und Reif überzog die Blätter des Kastanienbaumes, dessen Zweige fast Jakes Zimmerfenster streiften. Seine tief blauen Augen wanderten unruhig hin und her. Er hatte schlecht geschlafen und die Dunkelheit der Nacht hatte einfach nicht weichen wollen. Irgendwie hatte er sich im Bett überhaupt nicht wohl gefühlt. Nun wippte sein linker Fuß auf und ab. Das Klacken des Schuhs hallte dumpf auf dem Parkettboden.

Er erblickte einen kleinen Spatz, der sein Nest auf einem weit auslaufenden Ast mit dürren Zweigen neu bestückte. Drei winzige Köpfchen lugten des Öfteren daraus hervor und die Mutter, wie Jake unschwer vermuten konnte, flog erneut los und kehrte wenig später mit einem Regenwurm im Schnabel zurück.

/Schwebende Federn so zart wie die Haut fliegen gen Himmel, suchen das Weite und kreisen immer höher hinauf.../

Sehnsüchtig beugte er sich aus dem offenen Fenster und sein Blick schweifte nach oben.

/Einfach entschwinden.. mit Kiara dem bevorstehenden Unheil entfliehen und in der Ferne auf Freiheit und Frieden hoffen.. Aber was würde mit der Welt geschehen, wenn ihr einzig möglicher Retter weglaufen würde?/

Seiner Kehle entwich ein langer Seufzer.

/Die Mitglieder der `Inauguration` können nur noch wenige Tage standhalten. Danach muss Kiara-/

Vor Schreck zuckte er zusammen. Daran sollte er lieber nicht denken. Er schloss die Augen und betete.
 

Die sieben dumpfen Schläge des Sacrament of Live verkündeten Kiara, dass es an der Zeit war, sich fertig zu machen. Jake und sie waren zum Essen verabredet und sie wollte sich für ihn doch hübsch machen. Um halb acht würde er sie abholen und Kiara geriet langsam in Panik, weil sie sich immer noch nicht entscheiden konnte, was sie anziehen sollte. Auf ihrem Bett lagen Tops, Blusen, Röcke, Hosen und Kleider wild verstreut und sie wühlte verzweifelt in dem Wäscheberg herum.

/Wah, ich werde noch verrückt. Das ist alles nicht das Richtige. Es passt aber auch nichts zusammen.../

Deprimiert sank sie auf den Boden und lehnte ihren Kopf an die von einem hellblauen Betttuch umhüllte Matratze.

/Wenn ich so weiter mache, muss ich noch einmal duschen./

Bei diesem Gedanken musste sie über sich selber lachen. Denn normalerweise kannte sie solche Schwierigkeiten nicht, etwas Passendes zum Anziehen zu finden, egal für welchen Anlass. Mit beiden Händen klopfte sie sich auf die Oberschenkel, stand wieder auf und zog das an, was sie zuerst in die Finger bekam. Als sie den letzten Knopf geschlossen hatte, stellte sie sich vor den großen Spiegel, der nun schon seit einem Jahr in der Ecke ihres Zimmers stand, und war positiv überrascht.

"Geht doch!", ermunterte sie sich selbst und grinste.

Sie war sehr aufgeregt. Nichts sehnlicher wünschte sie sich als ganz nah bei ihm zu sein, dennoch fürchtete sie sich auch davor. Letztendlich war Jake ihr erster richtiger Freund, der ihr aber sehr vertraut war. Schließlich kannte sie ihn ja schon so lange aus ihren Träumen und Visionen. Und real war er genau so wie sie ihn immer gesehen und gespürt hatte. Hitze durchfuhr sie, ihre Wangen erröteten. Allein der Gedanke an ihn ließ sie erbeben. Wie gern sie ihn doch küsste...

Ein letzter Blick in den Spiegel musste genügen, denn es hatte bereits einmal an der Haustür geklingelt. Dumpf konnte sie die Stimme ihrer Mom vernehmen. Dann hörte sie ihren Namen rufen.

"Ich komme!"

/Ganz ruhig, Kiara.../

Sie ging die Treppe hinunter und da stand er. Verblüfft und erfreut sah sie ihn an. In einem schwarzen Anzug hatte sie ihn wahrlich nicht erwartet. Das Jackett betonte seine breiten Schultern und seine Taille. Ihr wurde ganz schwindlig.

"Schönen Abend Kiara." Der dunkle Klang seiner Stimme bereitete ihr endgültig eine Gänsehaut.

"Schönen Abend Jake."

Nachdem sie sich bei ihm unter gehakt hatte, gingen sie beide lächelnd.
 

/Oh Kiara, meine Kleine. Ich hoffe weiterhin, dass du mit ihm glücklich werden kannst, auch wenn ich weiß, dass es anders kommen wird. Das Schicksal hat euch beide zusammen geführt und es wird euch wieder trennen... Irgendwie überkam mich diese Gewissheit schon damals, als wir bei Aina waren.../
 

Flieg´ mit mir im Takt der Melodie,

hör´ das Lied der traur´gen Sinfonie.

Schweb´ mit mir in den Untergang,

vergiss deiner Mutter Stimme Klang...
 

Wie angewurzelt stand Kiara vor dem schmiedeeisernen Tor, die Hände an den kalten Eisenstäben geheftet. Ihr Blick lag lange geradeaus über den durch kleine Lampenschirme beleuchteten Weg hinweg auf dem von zwei prächtigen Kerzenständern eingesäumten Tisch. Je fünf Kerzen brannten unter dem dunklen Abendhimmel. Der Tisch wies zwei Gedecke auf und in seiner Mitte thronte ein dritter Kerzenständer, der aber um einiges kleiner und zierlicher als die anderen war. Kiara vernahm wie in Trance das Rauschen von Wasser, aber sie wusste sogleich, dass es vom Wielding stammen musste. Leichte Gänsehaut befiel sie, die Romantik des Ortes rief ein innerliches Zittern wach. Als sie nun Jakes Arm auf ihren Schultern verspürte, begann ihr Herz zu beben.

"Lass uns hineingehen." Die Sanftheit seiner Stimme weckte Gedanken in ihr, die sie erröten ließen. Sie nickte ihm zu, versuchte dabei ihr Gesicht vor ihm zu verbergen, vergrub es vorsichtshalber in seinem Jackett.

Kaum hatte Kiara zugestimmt, eilte ein Mann herbei, verbeugte sich kurz und öffnete das Tor.

"Guten Abend, Herr. Es ist alles vorbereitet."

Jake schaute den Schwarzhaarigen freundlich an, dann lief er los und zog Kiara neben sich her, die ihn mit großen Augen anblickte. Ihre Verblüffung schien sie zu lähmen und ohne ihn stünde sie noch immer dort und würde dem eher schmächtig gebauten Mann dabei zusehen, wie er das Tor wieder schloss.

"Das war Ricardo. Schon vor meiner Geburt hat er für unsere Familie gearbeitet."

"Ihr... habt einen Diener?"

Seltsames Schweigen trat ein und Jake blieb abrupt stehen, wandte sein Gesicht von Kiara ab und atmete schwer aus.

"Diener klingt für mich so abwertend... aber ja, er ist unser... im Grunde ist er unser Diener... zum Großteil hat er mich aber, zusammen mit Frederic, aufgezogen. Für mich ist er ein... Freund... und ich hab ihn nicht gebeten, dies hier", mit seiner Rechten beschrieb er einen Halbkreis, "heute für uns zu arrangieren..."

"Jake, ich... es tut mir leid." Traurig darüber, dass sie ihn so verstimmt hatte, schloss sie die Augen und drehte den Kopf zur Seite. Plötzlich spürte sie seine zarten Lippen auf ihren. Als er wieder von ihr abließ, strich er über ihre Wange.

"Du konntest das doch nicht wissen. Lass uns das einfach vergessen... komm schon, lächle wieder, denn ich hab es gerne, wenn deine Augen strahlen."

Kiara wurde erst heiß, dann merkte sie wie ihr Herz fast zersprang. Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln, woraufhin er sie noch einmal küsste.
 

Jake entzündete ein Streichholz und entfachte damit die erste Kerze des Ständers in der Mitte des Tisches, dann gab er es an Kiara weiter und deutete ihr an, sie solle das mit der rechten Kerze machen.

"Die dritte und damit letzte zünden wir gemeinsam an, denn nur so können wir in Frieden speisen."

Er umgriff Kiaras Hand und führte sie zum Docht. Als nun alle drei Kerzen brannten, erklärte er ihr, dass dies ein Ritual sei, um die dunklen Mächte von diesem Ort fernzuhalten.

"Ich glaube, meine Eltern vollführen es schon immer. An kein Datum kann ich mich zurück erinnern, an dem sie es vergessen hätten. Anfangs habe ich tatsächlich an diesem Ritual gezweifelt, doch auch nur bis ich zum ersten Mal von den Schatten heimgesucht worden bin. Von da an begann ich daran zu glauben und verbringe keinen Tag ohne drei Kerzen zum Brennen zu bringen... und heute wurde mir endlich die Ehre zuteil, das Ritual mit dir gemeinsam durchführen zu dürfen."

Noch während er sprach, sah er ihr tief in die Augen.

"Herr?"

Jake wandte sich um und nickte. Dann griff er nach dem Stuhl, der vor ihnen stand, zog ihn zurück und bat Kiara zu Tisch. Als er selbst Platz genommen hatte, trug Ricardo zwei Teller herbei, stellte einen vor Kiara und einen vor Jake, und zog sich sogleich wieder zurück.

"Ich wünsche dir einen guten Appetit, Kiara." Sanft lächelte er sie über den Tisch hinweg an.

"Danke, den wünsche ich dir auch. Die Suppe duftet ja herrlich." Sie tauchte ihren Löffel in die helle Kost und probierte. "Sehr gut."

Zufrieden begann nun auch Jake zu essen...

Nach dem Hauptgang dachte Kiara schon, sie platze, aber dann wurden frische Früchte aufgetragen, die einfach zu einladend aussahen, als dass sie ablehnen konnte.

"Jake, ich glaube immer noch zu träumen." Mit einer weinroten Serviette tupfte sich sich galant den Mund ab.

"Freut mich sehr, dass es dir geschmeckt hat. Nun wird uns ein kleiner Spaziergang sicherlich gut tun."

"Gerne... doch zuvor...", sie stand auf und lief zu ihm, "zuvor möchte ich mich bei dir bedanken." Liebevoll strich sie ihm durchs Haar, brachte ihr Gesicht ganz nah an sein Ohr. "Ich liebe dich.", hauchte sie hinein, schloss die Augen und küsste ihn anschließend.
 

"Darf ich dich etwas fragen?" Erwartungsvoll sah Kiara ihren Freund an. Sie konnte die Rosen riechen, die rechts und links den Weg zierten, der neben dem Fluss verlief. Schon mehr als eine halbe Stunde war vergangen, seit sie zum Nachtspaziergang aufgebrochen waren. Jake hatte ihr einen kleinen Springbrunnen gezeigt, der nicht weit von dem Platz entfernt lag, an dem ihnen das Essen serviert worden war. Dort war sie vor allem auf die fein ausgearbeiteten Engelsfiguren aus Marmor hingewiesen worden, die ihr wirklich sehr gefallen hatten. Nun liefen sie entlang des Wieldings, der frohlockend nach Süden floss.

"Selbstverständlich darfst du das."

"Also mich...", ihr Zögern beunruhigte sie, was Jake spürte.

"Nur zu, du kannst mich alles fragen."

"Mich würde interessieren, wie... du... mich gefunden hast... schließlich kannte ich auch", die letzten Worte sprach sie fast unhörbar, "nur deinen Vor... namen."

Sie fühlte sich unwohl dabei, doch irgendwie brannte es ihr auf der Seele, sie wollte es unbedingt erfahren.

"Meine Eltern wussten seit deiner Geburt, wer du bist."

Bedrückendes Schweigen befiel sie.

"Was!? Das heißt... ich musste so lange auf dich warten, obwohl..." Tränen perlten in ihren Augen. Enttäuscht sah sie ihn erst an, dann löste sie sich von seinem Arm, der um ihre Taille geschlungen war, und rannte einige Meter davon. Keuchend hielt sie inne und weinte. Die Einsamkeit, die sie die letzten Jahre so gequält hatte, bohrte erneut einen Stich in ihr Herz. Warum hatte sie nur so lange stillschweigend leiden müssen, wenn man doch über ihre Existenz Bescheid gewusst hatte?

Kräftige Arme packten sie sanft und trotz mancher Gegenwehr drückte Jake sie fest an sich.

"Ich habe meine Eltern lange bedrängen müssen, bevor sie mir deinen Namen verrieten... sie hatten ihn mir verschwiegen, weil... die Mitglieder der `Inauguration` sind und den Befehl dazu hatten... doch vor etwa fünf Monaten baten sie mich zu sich und gaben mir endlich das preis, was ich schon lange ersehnt hatte... Kiara Ladeur... und nun bin ich hier... bei dir."

"..."

Er ließ sie wieder los und legte seine Hände auf ihre tränennassen Wangen.

"Verzeih´ mir, ich konnte nicht eher hier sein."

Erneute Tränen traten zum Vorschein und funkelten wie Diamanten im Mondlicht. Vorsichtig küsste er jede einzelne weg, bis keine mehr vorhanden waren. Als er sie unentwegt anblickte, in der Hoffnung sie vergebe ihm, fiel sie ihm plötzlich um den Hals.

"Bitte Jake, halt mich für immer fest. Auch die Ewigkeit soll dich mir nicht nehmen."

Glücklich erwiderte er ihre Umarmung. "Ich werde dich niemals verlassen... ich liebe dich."
 

Da die Nacht immer kälter wurde, suchten sie Schutz im Wärme bietenden Hotel, in dem Jake wohnte. Kiara war zuvor noch nicht dort gewesen und war erstaunt, dass er ein riesiges Appartement für sich allein hatte. In gewisser Weise war sie sehr froh darüber, denn sie wollte nun ganz allein mit ihm sein. Sie fühlte sich wohl in seinen Armen und wollte seine Nähe noch ein wenig genießen.

"Du zitterst ja.", bemerkte Jake und legte eine weiße Wolldecke über ihre Beine. "Nicht dass du dich noch wegen mir erkältest." Mit sorgenvollem Blick verließ er das Zimmer und kehrte wenig später mit zwei Tassen heißem Tee wieder zurück.

"Trink den, dann ist dir bald wieder warm." Er reichte ihr eine cremefarbene Porzellantasse, auf der ein kleines Kätzchen abgebildet war.

"Dankeschön." Wohlwollend hielt sie die Tasse, aus der feine Nebelschwaden aufstiegen, in ihren kalten Händen. "Ich danke dir für diesen Abend... ich möchte mich wegen vorhin bei dir entschuldigen, ich-"

"Schon gut, denk nicht mehr daran. Lass die Vergangenheit ruhen, Kiara."

"Mh-mhh.", erwiderte sie vor Erleichterung lächelnd.

"Du bist wirklich wunderschön, wenn du lächelst.", sagte er nach einer Weile, griff nach ihrer halb geleerten Tasse und stellte sie auf den Tisch neben dem Sofa. Dann neigte er sich zu ihr herunter und küsste sie leidenschaftlich. Seine Hände fuhren durch ihre Haare, dann suchten sie den Weg hinab zu ihren Hüften und gruben sich unter ihre Bluse. Die Wärme von Jakes Händen auf ihrem Rücken durchzuckte Kiara und das wallende Blut schoss in ihre Wangen.

Ihre Zungen spielten miteinander und in Kiara begann eine Hitze zu wüten, die sie zuvor noch nie verspürt hatte. Ihr Oberkörper wog schnell auf und ab und in ihrem Bauch schienen tausend Schmetterlinge gleichzeitig zu schweben. Erregt glitten ihre Finger über seine Brust und öffneten einen Knopf nach dem anderen seines Hemdes, arbeiteten sich immer weiter hinab, bis sie den Gürtel an seiner Hose zu spüren bekamen. Sie hielt in ihrer Bewegung inne, woraufhin Jake ihre Hände ergriff und sie zur Schnalle führte und diese mir ihr gemeinsam öffnete. Seine Lippen begannen derweil ihren Hals mit Feuchtigkeit zu benetzen und sein Kinn streifte ihren Busen. Plötzlich umgriff er sie und hob sie hoch. Noch bevor Kiara wusste, wie ihr geschah, lag sie im weichen Bett, seinem Bett. Ihr wurde noch heißer und ihr Verlangen nach ihm war nun unermesslich. Schon befand er sich wieder über ihr, küsste sie auf den Mund, glitt dann aber mit seiner Zunge immer tiefer. Während er ihre Brustwarzen umspielte, die unter seinen Lippen hart wurden, schob er eine Hand in ihren Slip und massierte sie, bis sie wollüstig aufstöhnte. Anschließend befreite er sie aus dem restlichen Stück Stoff und spürte ihre Anspannung.

"Entspann´ dich", er legte sein Gesicht an ihres. "Ich werde auch ganz vorsichtig sein."

Nun suchte er erneut ihren Mund auf und küsste sie mit einer behaglichen Gier, drang dabei in sie ein.

"Ah.. Jake..."

"Verkrampf dich nicht..."

Sie spürte ihn, sie spürte ihn in sich wie er vor und zurück wippte. Allmählich bewegte sie ihren Körper im selben Rhythmus und sie verlor sich im Rausch der Liebe...

"Ich liebe dich, Kiara." Sanft strich er ihr Haar zurück und sah in ihr schlafendes Gesicht.

/Ich liebe dich!/

Chapter 11: Psalm 21

Chapter 11: Psalm 21
 

"Spürt Ihr das auch?"

"Ja...", sie atmete tief ein, hielt kurz die Luft an und stieß sie dann leise aus. Marian stützte sich mit beiden Händen auf die Tafel, die zwischen ihr und ihrem Volk stand. Die Mitglieder der `Inauguration` sahen sie bedrückt, aber ehrfurchtsvoll an.

"Das Licht ist endlich vollends entfacht.", verkündete sie und blickte dabei jedem Einzelnen für einen Moment in die Augen. Sie wollte die Stimmung ihrer Gemeinschaft abwägen, um auch sichergehen zu können, dass sie bereit waren. "Sie haben sich vereint... doch die entstandene Macht ist zu groß und noch ist sie darauf nicht vorbereitet."

Ein leises Murmeln ging durch die Menge, verstummte aber sogleich wieder.

"Unser aller Untergang steht bevor... wird immer unabwendbarer, wenn wir nicht handeln..."

Während sie mit sich rang, trat Jakes Vater an ihre Seite und legte ermutigend seine Hand auf ihre Schulter. Die Kraft, mit der er zudrückte, sollte ihr zu verstehen geben, dass er hinter ihr stand und ihre Entscheidung respektierte.

"Nun gibt es nur noch eine Möglichkeit, wie Kiara dazu gebracht werden kann, ihre Kraft ohne unser Zutun, also eigenhändig, beherrschen zu lernen..." Es fiel ihr sichtlich schwer, ihren treuen Ergebenen den Befehl zu erteilen, aber sie musste sich dazu durchringen, zum Wohle aller. "Uns bleibt keiner andere Wahl...", ihr Blick wurde eisern, "Ihr wisst was ihr zu tun habt!"

Einer nach dem anderen verneigte sich vor ihr und verließ dann schweigend den Tempel, ging hinaus in die Nacht, ließ seine Herren alleine zurück.

Marian senkte den Kopf und schloss die Lider.

"Du trägst keine Schuld... keiner trägt sie. Es ist nun einmal so gekommen und wir müssen das akzeptieren und aufs Beste hoffen. Wir handeln richtig!"

"Oh Jeffrey, warum musste das nur geschehen!?... Er wird uns das nie vergeben."

"Du weißt, Jake ist willensstark... aber auch ich kann dir nicht versprechen, ob er uns dafür verantwortlich machen wird. Dennoch, meine liebe Marian, du hast dich richtig entschieden und ich stehe zu dir."

Von hinten legte er seine starken Arme um seine Frau und flüsterte ihr sein Liebesgeständnis ins Ohr...

Nach einer Weile traten auch sie aus dem Tempel, der unter dem fahlen Licht des Mondes geheimnisvoll und düster wirkte. Seit der Gründung der `Inauguration` diente er schon den Treffen des eigens für den Kampf gegen die dunkle Macht gegründeten Volkes, das seine Wurzeln aus der Zeit der Wende zum 17.Jahrhundert hat. Anfangs waren die Mitglieder vom Schicksal auserwählte Menschen gewesen, die einem von höheren Mächten dazu erkorenen Anführer willenlos unterstanden hatten, dem sie widerstandslos zu gehorchen hatten. Doch die Mentalität hatte sich mit jedem Jahrhundertwechsel verändert und so auch die Hierarchie in den Reihen der Gemeinschaft. Heute stehen Jakes Eltern an der Front, doch sie wurden als Herr und Herrin von den Mitgliedern selbst dazu ernannt. Es hatte eine Wahl gegeben, in der sie einstimmig gewählt worden waren. Seither wurden sie von den Erben der Ahnen und Urahnen vergangener Tage als Herrscher anerkannt und dementsprechend behandelt, sogar verehrt.

Marians weißes Gewand mit der dunkelroten Stickerei auf Rücken und Ärmel, die fast einer Blume glich, glitt schwebend über die Treppe, die vom Tempel hinab führte. Der hauchdünne Stoff wurde durch eine leichte Brise nach hinten geweht. Ihr bekümmertes Gesicht glänzte matt unterm Sternenhimmel.

"Jeffrey...", begann sie leise. "Bitte gehe zu den anderen und...", ihre Stimme wurde hart und glich wieder der starken Frau, die er geheiratet hatte. "Bereite mit ihnen gemeinsam die Zeremonie vor."

Wortlos entfernte er sich, drehte sich im Schatten der alten Weide von ihr unbemerkt noch einmal um und betrachtete ihr Antlitz, das steif am Fuße der Treppe stand. Die Zeit der Entscheidung rückte näher; die Ruhe wartete nur darauf, durchbrochen zu werden...
 

Verba vox ad deos (Der Ruf an die Götter)

in nomine dedicationis resonat. (erklingt im Namen der `Inauguration´.)

Custos templi, a vobis creandis, (Die Templer, von euchgeschaffen,)

voluntatem ultimam nuntiant. (verkünden den letzten Willen.)

Audite preces psalmum viginti unus, (Erhört Psalm 21,)

donate vires (verleiht Kraft)

in perpetuum. (für die Ewigkeit.)

Gens nostra grates agunt, (Unser Volk sagt Dank,)

in honore et in obsequio. (in Ehre und Ergebenheit.)
 

Die Mitglieder der ´Inauguration´ fassten sich bei den Händen und senkten die Köpfe auf die Brust, so dass ihre Gesichter gänzlich von den langen Kutten, von festem roten Strick um die Hüfte fixiert, verdeckt wurden. In ihrer Mitte reflektierte das Wasser im großen, einfach angelegten Steinbecken das Licht der Fackeln, die ringsum an den kahlen Wänden angebracht waren. Ihr Sprechgesang hallte dumpf wider, verlor sich aber schnell in der Höhe des Raumes. Regungslos standen sie im Kreis und beschworen die höheren Mächte. Einzig Jakes Eltern hatten die Augen geöffnet, aber ihr Blick war ebenso leer wie ihre Körper zu sein schienen. Wie willenlose Marionetten sahen sie aus, die lediglich den Mund öffneten und wieder schlossen. Diese Art Trance dauerte noch fast zehn Minuten an, bis sich plötzlich das Wasser vor ihnen zu bewegen begann. Unentwegt floss es im Uhrzeigersinn am Beckenrand entlang. Erst war die Strömung langsam, aber dann gewann sie an Geschwindigkeit und erreichte letztendlich so eine Schnelligkeit, dass der Verlauf mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar war und sich im Zentrum ein Loch bildete, das immer tiefer wurde. Der Gesang wurde zunehmend lauter und die Stimmen trugen immer mehr Leidenschaft und Intensität in sich. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf den Gesichtern der Angehörigen der ´Inauguration´, die aber im Dunkel der weißen Kutten verborgen blieben. Mit einem Mal trat eine Fontäne aus dem Steinbecken, spiegelte den Schein der Fackeln wider, wand sich immer weiter drehend nach oben. Feine Wasserstrahlen, die sich aus ihr emporhoben, brachten das einzige Licht des Raumes zum Erlischen. Tiefe Finsternis legte sich zunächst über das Volk, das sich weiterhin an den Händen hielt und eine Einheit bildete. Ihr Gesang aber verebbte allmählich; gänzliche Stille kehrte ein, nur durch das Keuchen weniger Mitglieder durchbrochen.

Die Luft kühlte immer weiter herunter und ließ den Atem der Templer als Schleierschwaden im wenigen Licht, das von draußen hereindrang, erkennen. Nun hob Jeffrey den Kopf und sein Blick klärte sich. Sein Gesicht wurde durch gleißendes Licht bestrahlt, das noch im selben Augenblick durch das Wasser der Fontäne drang.
 

"Dirimite virium tenebricosorum, quod virtus in vacillatione incurrit,

imperate cursum novum fortunae, conglutinate cogitationem priscam!"
 

Noch bevor Jeffrey das letzte Wort mit tiefer Stimme gesprochen hatte, stimmten die anderen wieder ein und sangen im Chor nach.
 

"Haltet ein der dunklen Macht, wenn die Kraft gerät ins Wanken,

gebietet des Schicksals neuen Lauf, bindet ein die alten Gedanken!"
 

Nach einigen Wiederholungen zog sich das Wasser wieder ins Steinbecken zurück und nahm das helle Licht mit sich, das eben noch erstrahlte. Der letzte Schein wurde von Jeffreys Gesicht genommen. In der wiedergekehrten Finsternis ließen sie sich los und gingen bedächtig, noch immer mit gesenktem Haupt, hinaus in die Morgendämmerung...
 


 

Kiara öffnete die Augen, spürte ihre Rechte unter ihrem Gesicht. Während sie erst einige Male blinzeln musste, um zu realisieren, dass sie gar nicht in ihrem eigenen Zimmer war, fuhr sie sich verschlafen durchs Haar.

"Gut geschlafen?"

Erschrocken drehte sie sich um, sah Jakes nackten Oberkörper und errötete ein wenig. Sogleich wandte sie sich wieder von ihm ab und vergrub sich unter der Bettdecke.

"Wer versteckt sich denn hier gleich?" Jake kniete sich aufs Bett, zog sanft die Decke zurück und beugte sich über sie. Glücklich grinste er sie an und gab ihr einen Kuss.

/Wie lieb er doch ist... mein Herz beginnt schon wieder zu beben... ach und wie seine Augen funkeln... dieses tiefe Blau, in dem ich so gern versinke... ich.../

"Kiara, es tut mir leid, aber...", sein Blick verfinsterte sich, "Frederic erwartet mich schon seit fünf Minuten. Ich muss nun-" Da verspürte er ihren linken Zeigefinger auf seinen Lippen. "Schon gut, geh nur. Ich warte hier solange." Kiara stützte sich auf ihre Ellenbogen und küsste ihn auf die Stirn.

/Mein Herz bebt.../

"Ach Kiara,..." Er schloss die Augen für einen kurzen Moment, seufzte und stand dann auf. Als er sich ein Hemd angezogen hatte, nahm er seinen Schlüssel vom Nachttisch und sah sie noch einmal an. "Vergiss nie, dass ich dich liebe." Die Tür schloss sich hinter ihm.

Verwirrt lag Kiara da. /Vergiss nie, dass...??/ In Gedanken wiederholte sie seine letzten Worte ohne zu begreifen, was sie zu bedeuten hatten. Sollte das eben etwas heißen, dass...? Wollte er damit vielleicht sagen, dass...?

Vehement schüttelte sie den Kopf. /Nein, gewiss nicht. Vermutlich hat er es nur so dahin gesprochen.../

"Ja, genau so wird es gewesen sein... schließlich hat er mir versprochen, immer bei..." Sie verstummte, setzte sich unsicher auf und starrte lange die helle Tür an...

/Komm bald wieder!/
 

"Sieh mich bitte nicht so grimmig an. Ja, ich habe dich hierher gebeten, doch die eigentliche Intention stammt nicht von mir." Frederic hat sich solche Vorwürfe schon immer verbeten. "Deine Eltern gaben mir den Auftrag dazu."

Erstaunt sah Jake ihn an. "Meine Eltern?" Seit über einer Woche hatte er nichts von ihnen gehört. Schließlich war er es gewohnt, dass seine Familie mehrere Tage oder auch Monate von ihm getrennt war und ihm eher selten Nachrichten zukommen ließ respektive lassen konnte. Und Neuigkeiten, die anscheinend von solcher Wichtigkeit waren, dass er trotz Besuch am frühen Morgen gerufen wurde, hatte es bisher auch noch nie gegeben. Mit einer Hand strich er sich übers dunkle Haar, das matt im fahlen Licht der Sonne glänzte, das hinter ihm durch das mittelgroße Fenster schien und sich allmählich hinter großen Wolken versteckte. "Wie geht es ihnen?", wollte er wissen.

Frederic sah ihn ernst an, seine Miene verhärtete sich, wandte dann aber den Blick vom Jüngeren kurz ab.

"Ist etwas passiert?... Ist einer von ihnen verletzt worden? Oder-"

Als der Ältere die Hand hob und abwinkte, verstummte Jake. "Um Himmels Willen nein, sie sind unversehrt..."

Skeptisch betrachtete Jake seinen jahrelangen Begleiter und Freund. Er kannte ihn und wusste, dass hinter seiner harten Fassade, die er immer zu Tage legte, wenn er einen wichtigen Befehl ausführte, ein besorgter und gefühlvoller Mann steckte.

Frederic räusperte sich und wies auf einen edlen Holzstuhl, der in der Ecke des Raumes stand. "Bitte setz dich."

Unruhig lehnte Jake ab und verlagerte ständig sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Dann griff er nach der Stuhllehne, wendete sie um 180 Grad und stützte sich mit beiden Armen auf sie. Eindringlich sah er seinen Gegenüber an. "Frederic, du weißt ganz genau, dass ich es nicht leiden kann, wenn mir jemand etwas verschweigt... es gab schon zu viel Heimlichtuerei in meinem Leben, ich habe dies langsam satt. Ständig bin ich der Letzte, der eingeweiht wird und das-" Indem er sich schmerzhaft auf die Lippen biss, brachte er sich selbst zum Schweigen. Manchmal ging sein Temperament mit ihm durch, aber er wusste, dass sich das nicht geziemte und er sich zu zügeln hatte. Also ging er um den Stuhl und ließ sich darauf nieder. "Ich möchte doch einfach nur wissen, warum ich hier bin." Resigniert ließ er seine Arme seitlich herabhängen.

"Die höheren Mächte wurden von den Mitgliedern der ´Inauguration` gerufen.", erwiderte Frederic endlich, woraufhin eine lange Pause folgte.

/Die höheren Mächte.../

Dann stand Jake wieder auf und stellte sich vor Frederic, der ihn ein ganzes Stück überragte. Entschlossen ergriff er dessen Hände und drückte sie fest.

"Bitte sag mir, was das zu bedeuten hat."

/... seit meiner Geburt herrschen meine Eltern über diese kleine Gemeinschaft. Zwar bin ich ihr leiblicher Sohn, werde aber fast immer aus den Angelegenheiten der `Inauguration` herausgehalten... zu meinem eigenen Schutz sagen sie immer... doch ich bin jetzt erwachsen, ich will endlich wissen, was unser beider Schicksal bestimmt... immer nur einzelne Aspekte erzählt zu bekommen, die ich mir dann zusammenreimen darf, genügt mir nicht mehr... wenn ich bedenke, dass Kiara bei Weitem noch weniger weiß, dann-/

Diesen Gedanken schüttelte er ab, denn er hatte sich vor langer Zeit geschworen, für sie alles zu tun, was in seiner Macht stand. Etwas Wichtiges lag in der Luft und wartete nur darauf, ausgesprochen zu werden. Darum durfte er jetzt nicht abschweifen. Verzweifelt sah er Frederic in die Augen.

"Nun gut, Jake. Du willst es nicht anders."

"..."

"Ein neues Schicksal wurde heraufbeschworen und damit hat die letzte Zeremonie der `Inauguration` stattgefunden."

/Neues Schicksal?/

"Du wirst schon bald merken, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Entschuldige mich." Frederic eilte zur Tür. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal zu Jake um. "Es tut mir leid." Dann ging er ohne nähere Erläuterung.
 

Wirre Gedanken kreisten in den Köpfen aller. Keiner fühlte sich in jenem Augenblick wohl in seiner Haut. Das Schicksal hatte sich gewendet, das Rad der Zeit gedreht. Die Weichen wurden neu justiert und der Lauf der Welt wurde neu bestimmt...

Dunkle Wolken zogen auf und brachten einen heftigen Sturm mit sich. Trumity lag für mehrere Stunden in grauem Nebel. Regen prasselte an die Scheiben und der Wind peitschte in den Bäumen. Die Straßen waren leergefegt und das Leben auf dem Marktplatz völlig verstummt. Die Sonne kämpfte vergebens gegen die Finsternis, die den ganzen Tag nicht enden wollte...
 

/Wo bleibt er nur so lange.../ Seit mehr als einer Stunde starrte Kiara schon die blaue Wanduhr an und konnte das laute Tick-Tack-Tick-Tack nicht mehr ertragen. Als sie den Gedanken fasste, doch besser nach Hause zu gehen, vernahm sie das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss drehte.

"Da bist du ja end-" Ihre Stimme erstarb, als sie ihren Freund teilnahmslos im Türrahmen stehen sah. Der leere Blick, der sein Gesicht zeichnete, verunsicherte sie und ließ sie ihren Ärger vergessen.

"Jake!?", doch sie erhielt keine Antwort. Unergossene Tränen perlten in ihren braunen Augen und sie legte ihre warmen Hände auf seine weißen Wangen. "Was ist mit dir? Jake? Bitte... sag doch was."

Er wehrte ihre Geste ab und Ironie bestimmte nun seine Gesichtszüge. "Was magst du denn hören!?"

Entsetzt über den scharfen sarkastischen Klang entfernte sich Kiara einen Schritt von ihm.

/Soll ich dir sagen, dass meine lieben Eltern einfach über uns entschieden haben?... dass wir beide nur ein Werkzeug sind, das man beliebig benutzen kann?.../

Jake ging zum Fenster, öffnete es und lehnte sich weit hinaus in den Regen. Trotz des heftigen Windes, der ihm die Nässe entgegenpeitschte, legte er sich aufs Fensterbrett und sah hinab in die Tiefe.

/Was würden sie machen, wenn sich eins ihrer Spielzeuge...?/

Plötzlich brach er in hysterisches Gelächter aus. Ängstlich betrachtete Kiara die Szene, die sich ihr darbot, und konnte nicht begreifen, was vor sich ging. Das laute Pfeifen des Windes drang an ihr Ohr und die kalte Luft, die aus dem offenen Fenster hereinströmte, ließ sie frösteln. Um gegen die Kühle und gegen den Schock ankämpfen zu können, schlang sie ihre Arme um ihren Körper.

"Kiara?", stürmisch drehte sich Jake um und packte sie an den Schultern. "Was hältst du von einem Wochenende in", er überlegte angestrengt, "in den Bergen? Forest of Eagle?"

Nun völlig verwirrt blickte sie ihn an, zögerte, nickte dann aber unsicher. "Klingt gut." Ihre Stimme war dünn; die Situation behagte ihr nicht gerade. Doch was sollte sie machen? Ablehnen, weil er Eigenschaften an den Tag legte, die sie von ihm nicht kannte!? Nein, sie lief nicht davon, nur weil etwas in ihm vorzugehen schien, was sie nicht gleich verstand. Dafür liebte sie ihn viel zu sehr...

/Was ist dir nur widerfahren...?/

"Lass uns packen!" Hektisch zog Jake wahllos Kleidungsstücke aus dem Schrank und warf sie unachtsam in einen schwarzen Koffer, den er behände unter dem Bett vorgezogen hatte.

Wie in Trance verfolgte Kiara das Schauspiel. Jake rannte von einem Zimmer zum nächsten und wieder zurück und legte immer wieder Dinge auf dem Bett ab, die er zum Schluss alle in den Koffer stopfte. Nachdem er ihn zugeklappt und den Reißverschluss zugezogen hatte, nahm er ihn in die eine Hand und mit der anderen griff er sachte nach Kiaras Arm. "Können wir?"

"Ähm...", nach einem kleinen Moment des Schweigens, "Okay, gehen wir."
 

/Wir fahren schon seit zwei Stunden und noch immer hat er nicht gesagt, warum wir überhaupt weggehen. Er blickt immer stur geradeaus und möchte seine Trauer vor mir verbergen...

Letzte Nacht... scheint in tiefer Vergangenheit zu liegen.

Die Wärme seines Körpers, die auf meinen überströmte... fließt immer langsamer in meinen Adern.

Seine Lethargie ergreift langsam von mir Besitz, auch wenn ich mich dagegen wehre.../

Bedrückt sah Kiara die Landschaft an sich vorbeiziehen. Lange Baumreihen, die im grauen Regenschleier ihr sattes Grün des Frühlings einbüßten, hohe kahle Mauern, die öfter die Straße säumten, weite Felder, von Dunst behangen, passierten sie.

/Dieses Schweigen ist kaum noch zu ertragen... Jake, sag doch etwas, irgendwas.../

Durch die Spiegelung im Fenster sah sie seine verschwommene Silhouette. Sie seufzte, als ihr bewusst wurde, dass er sie kein einziges Mal angesehen hatte seit sie im Auto saßen.

/Er ist völlig abwesend... worum sich seine Gedanken wohl drehen mögen... was in Gottes Namen ist heute Morgen passiert!?/

Hilflos zuckte sie unbemerkt mit den Schultern und gab sich dem Prasseln der Regentropfen auf der Heckscheibe hin...

Vor ihnen ragte der Turm einer Kirche zunehmend höher empor. Aus der Ferne tippte Kiara auf Rokoko und sollte damit auch Recht behalten. Dieser Baustil aus dem 18. Jahrhundert faszinierte sie seit jeher aufgrund seiner Eleganz und seiner asymmetrischen Formen. Vor allem der graziöse und liebenswürdige Dekorationsstil rief immer wieder Begeisterung in ihr wach.

"Können wir dort kurz halten?", fragte sie vorsichtig auf die Kirche deutend und brach damit die Stille.

"Sicher.", erwiderte er freundlich.

"Danke dir."

/Noch immer blickt er mich nicht an.../
 

Als Kiara aus dem Auto stieg, streckte sie sich ausgiebig und hörte ihre Knochen knacken. Sie war froh darüber, dass der Regen endlich nachgelassen hatte und nur noch vereinzelt Tropfen vom Himmel fielen. Mittlerweile war es schon früher Abend und sie waren den ganzen Nachmittag unterwegs gewesen. Ihre Eltern wussten darüber nicht einmal Bescheid, was sie im Moment aber nicht kümmerte. Ihr Blick heftete sich wieder auf die Kirche.

/Heute ist der erste Tag seit langem, dass ich nicht das Sacrament of Live sehe... die Wärme, die von ihm ausgeht und mein Herz erfüllt, kann keine andere Kirche ausstrahlen... aber ich verspüre so einen Drang, dort hineinzugehen. Irgendetwas dort drinnen ruft nach mir, streckt die Hände aus nach mir.../

Langsam dahin schreitend näherte sie sich der mit Engelsfiguren verzierten Tür, die sich zu beiden Seiten hin öffnen ließ. Als sie nur noch einen Schritt von ihr entfernt war, verharrte sie und streckte ihre Rechte aus. Behutsam legte sie sie auf das nasse Holz und schloss die Augen.

/Ich kann ganz dumpf Stimmen hören... sie scheinen im Chor zu sprechen, bis auf eine... sie klingt mächtig, sie/

Plötzlich riss sie die Augen auf und drehte sich um. /Er ist mir nicht gefolgt. Regungslos lehnt er am Auto mit Blick in die Ferne... er nimmt mich heute überhaupt nicht mehr wahr./ Enttäuscht betrachtete sie ihn noch eine Weile, wandte sich dann doch wieder von ihm ab. /Bringt nichts auf ihn zu warten. Er geht ja doch nicht mit hinein, dafür hängt er zu sehr seinen Gedanken nach... um was sie sich auch drehen mögen. Dann eben allein!/

Mit aller Kraft zog sie eine Hälfte der schweren Tür auf und schlüpfte schnell hindurch, bevor sie krachend wieder zufiel. Drinnen war es nicht dunkler als draußen, wo die Wolken dicht an dicht hangen. Dennoch musste sie sich erst an das Licht der kleinen Halogenlampen, die unauffällig in den Wänden eingearbeitet waren, gewöhnen. Nachdem sie sich die Augen gerieben hatte, sah sie sich neugierig um. In Brauntönen gehaltene Linien schlängelten sich auf den cremefarbenen Wänden entlang, formten verschiedene Muster, ergaben aber ein vollkommenes und einheitliches Gesamtbild. Vom Boden bis zu Decke reichte diese Art von Dekoration und in den Rahmen, die sie ab und an bildete, waren Gemälde sichtbar. Kunst, die von Präzision und Handarbeit geprägt war. Von solcher Größe, dass ein einziger Blick nicht ausreichte, um die Szene, die dargestellt wurde, ausmachen zu können. Über dem kompletten konkaven Mittelteil der Decke erstreckte sich ein Werk, das Kiara bekannt vorkam. Auch mit scharfem Nachdenken wusste sie nicht, wo sie es schon einmal gesehen haben könnte. Alles betrachtend schritt sie auf die langen Bankreihen zu, die anders als im Sacrament of Live schwarz waren und nur vereinzelt Sitzkissen aufwiesen.

`Kiara!`

Erschrocken sah sie sich um, konnte aber niemanden erblicken. Mehrmals zwinkerte sie und strich sich braune Locken aus dem Gesicht.

"Hallo? Ist da wer?" Keine Antwort. Noch einmal drehte sie sich im Kreis, jede Ecke mit den Augen scharf absuchend, aber es war keine Menschenseele da außer ihr. Mit einem Schulterzucken schob sie es auf ihre Fantasie und setzte sich auf den cremeweißen Stoff der hintersten Bank. Der prachtvolle Altar mit der hohen Kanzel im Hintergrund lag nun in ihrem Blickfeld. Helle Figuren wanden sich zu beiden Seiten, alle gesenkten Hauptes, ehrerbietend. Goldene Kerzenhalter schmückten den Altar, in deren Mitte ein Buch lag. Dieses war riesig und von schwarzem Leder umhüllt. Davon fasziniert erhob sich Kiara sogleich wieder und begab sich ans andere Ende der Kirche. Vorsichtig strich sie mit Zeige- und Mittelfinger über die feinen Einkerbungen im Einband.

/Ich wusste gar nicht, dass es eine so große Bibel gibt.../

Nach einigem Zögern schlug sie die erste Seite auf und erstarrte noch im selben Augenblick.

`Ich rufe nach Dir.` Erneut diese raue Stimme. Erneut schaute Kiara umher und erneut bekam sie niemanden zu Gesicht.

/Seltsam... ich hab sie doch aber sicher gehört.../ Nervös kaute sie auf ihren Fingernägeln und las, was vor ihr im Buch stand.
 

<< Ich rufe nach Dir.

erwache meine Schönheit,

die mich aus dem Bann befreit.

Meine Stimme erklingt,

um Dich zu wecken,

damit das Böse erwacht.

In Dir erwacht! >>
 

Schnell klappte Kiara die Bibel zu und konnte nicht fassen, was sie soeben gelesen hat.

`Erwache meine Schönheit.`

Entsetzt stolperte sie ein paar Schritte rückwärts, stieß sich schmerzhaft den Rücken an und taumelte dann die eine Stufe vom Altar hinab. Alles drehte sich in ihrem Kopf. Verzweifelt krallte sie sich am Geländer der Kanzel fest und kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn.

"Was geschieht hier nur?" Ihre Worte hallten an den hohen Wänden unbeantwortet wider.

`Meine Stimme erklingt, um Dich zu wecken, damit das Böse erwacht.`

"Was geschieht hier n..." Leer,... ihr Blick wurde gänzlich leer. `In Dir erwacht!`

Chapter 12: Before Time II

Chapter 12: Before time II
 

` Flieg` mit mir im Takt der Melodie,

hör das Lied der traur´gen Sinfonie.

Schweb´ mit mir in den Untergang,

vergiss deiner Mutter Stimme Klang.

Komm zu mir, ich rufe nach Dir.

Spür uns´re unendliche Gier

nach wohlschmeckendem Blut.

In Dir erwacht nun die böse Glut.
 

Ich zeig´ Dir mein dunkles Reich,

meine Gefolgschaft, mein Geleit.

Die finst´re Burg in den Tiefen

Deines Bewusstseins, den Verließen.`
 

Mit einer Hand an der Stirn wankte Kiara durch den großen Gang der Kirche. Die Stimme in ihrem Kopf machte sie wahnsinnig. Jede Gegenwehr schien vergebens zu sein. Dieser raue Ton manifestierte sich in ihrem Verstand. Es tat weh, so weh...

Schmerz durchzuckte ihren Körper, als sie über einen Stuhl fiel, der noch von der letzten Messe neben einer Bankreihe stand. Gekrümmt lag sie auf dem kalten steinigen Boden und Tränen liefen an ihren Wangen hinab.

"Geh! Lass mich in Ruhe!"

Ihr leises, qualvolles Wispern drang als fast unhörbares Echo zurück an ihr Ohr. Sie fühlte sich so einsam in diesem Moment. Der, den sie jetzt so dringend brauchte, war nicht hier, bei ihr.

"Jake", flüsterte sie in die kühle Luft.

`Die finst´re Burg in den Tiefen deines Bewusstseins, den Verließen.`

Kiaras Augen schlossen sich und sie verlor das Bewusstsein.
 

Gerade mal 19 Jahre war Kira von Ohiyama jung gewesen, als `Inauguration` in Erins Besitz übergegangen war. Das Buch hatte hindernisärmer den Besitzer gewechselt als es eigentlich an Wert innehatte. Doch Remik hatte diese Schrift vom ersten Tag an gehasst. Von Stunde zu Stunde hatte er sie immer dringender wieder loswerden wollen. Aber wer gab so eine Kostbarkeit schon billig oder gar umsonst her? Da war ihm dieser Fanatiker, Erin Ashantis, gerade recht erschienen; zumal er etwas als Gegenwert vorgewiesen hatte, das für ihn einen sehr großen Reichtum darstellte. Ihm war es egal gewesen, ob Erin über den persönlichen Wert Bescheid gewusst hatte oder nicht. Hauptsache er hatte sich lohnend der `Inauguration` entledigen können.

/Nie wieder werde ich auch nur mit einem Teil meines Körpers dieses Buch berühren... Erin, du Narr!/

Höhnisch lachte Remik in seiner eigenen Bibliothek. Mit der Rechten nahm er ein Glas Wein, an dem er sich nur bei besonderen Anlässen gütlich tat, und hob es hoch in die Luft.

"Auf Euch, Erin! Sei `Inauguration` mit Euch!"

Mit einem verschmitzten Lächeln kippte er das ganze Glas auf einmal herunter.
 

********

"Herr, vor Euren Toren fand man heute Morgen dies hier." Ein klein gewachsener Mann mit langem grauen Bart, der ihm bis zur Brust reichte, reichte Remik ein großes braunes Paket. "Entschuldigt uns, denn wir konnten trotz aller Mühen nicht herausfinden, wer es dort ablegte." Mit gebückter Haltung hielt er weiterhin das in Stoff gehüllte Etwas entgegen, den Blick stur auf den Boden gerichtet. Er hatte zu viel Angst, seinen Gebieter anzublicken, geschweige denn ihm in die Augen zu sehen.

Remik griff danach. "Nun geh schon aus meinen Augen, Pack! Bei deiner nächsten Unfähigkeit lass ich Strafe walten!"

Völlig eingeschüchtert verließ der Betagte den Raum, jede Beschwerde unterdrückend.

Neugierig betrachtete Remik das Paket und drehte es im Sonnenschein, das durch die vielen Fenster der Bibliothek fiel, hin und her. Der braune, glänzende Stoff reflektierte die Strahlen und projizierte helle Lichter auf dem sonst kargen, dunkleren Grund. Eindringlich studierte er sein Geschenk und ließ nach einer ganzen Weile Astus rufen. Als dieser erneut zitternd vor ihm stand, fürchtend, nun sei es um ihn geschehen, erhob Remik seine herablassende Stimme.

"Du hast dieses Ding hierher gebracht, nun sollst du es auch öffnen! Wer weiß, was sich darin verbergen mag."

Zögernd begab sich Astus zum großen Ahorntisch, auf dem Remik das Paket abgestellt hatte.

"Mach endlich! Meine Geduld reicht nicht ewig!"

Der Alte griff vorsichtig nach dem Stoff und verfluchte sich währenddessen insgeheim dafür, dass er es gefunden und nicht gleich weggeworfen hatte. Nachdem der braune Satin vollends abgestreift war, pfiff er durch die Zähne. "Götter, was ihr uns bescheret..." Als er begierig nach dem Inhalt des Pakets greifen wollte, wurde er so unsanft von Remik weggestoßen, dass er zu Fall kam. Vor Schmerzen schrie er auf, versuchte aber schnell das Johlen herunterzuschlucken, "Köpft ihn!", aber es war bereits zu spät. Zwei kräftige Männer packten ihn und schleiften ihn unsanft hinter sich her. "Habt Gnade, mein Herr." Aber die letzten verzweifelten Worte Astus` wurden von niemandem erhört.

"Ein Buch?", sprach Remik zu sich mit fasziniertem Unterton. Mit beiden Händen fasste er danach und mitten in der Aufwärtsbewegung ließ er es sogleich wieder fallen. Die Haare standen ihm zu Berge. Er zitterte am ganzen Leib.

"Herr, geht es Euch-"

"Verschwindet! Alle!"

Mit aller Mühe versuchte Remik seinen Körper wieder in seine Gewalt zu bringen. So wehrlos wollte er vor seinen Bediensteten nicht dastehen. Schwäche konnte er sich nicht erlauben. Er verabscheute diesen Charakterzug.

Noch immer vernahm er das Pochen in seinem Schädel, das eingesetzt hatte, als er das Buch berührt hatte. Dieses Hämmern schien sein Gehirn zu zermatern. Als er sich allein in der Bibliothek wusste, legte er die Hände auf sein Haupt, krallte seine Finger in den Haaren fest und schrie einmal laut auf. Der wehleidige Ton wurde von der Weite des Raumes verschluckt. Die Sonne schien unablässig auf den dunklen Einband und ließ die wenigen Buchstaben darauf silbern leuchten.

/`Inauguration`!/

Ein weiterer tiefer Schmerz bohrte in seinem Kopf und zwang ihn in die Knie. Er strich sich hilflos über die verschwitzte Stirn und kämpfte sich wieder auf die Beine. Mit letzter Kraft streifte er den braunen Stoff über das Buch.

"Du verfluchtes Ding!", stöhnte er und sank erneut zu Boden.

********
 

Die Weinflasche war schon mehr als halb geleert, da klopfte es unerwartet an der Tür. "Ich dulde keine Störung!" Seine Stimme klang weicher als gewöhnlich, vermutlich durch eine kleine Nuance des Lallens hervorgerufen. Ein erneutes Klopfen, das sehr energisch war, ließ seinem Unmut freien Lauf. "Ich sagte, ich dulde es nicht, gestört zu werden!", rief er barsch in Richtung Tür. Als sie trotz Verneinung knarrend geöffnet wurde, stieg Räte der Wut in sein Gesicht. "Wer wagt es, sich mir zu wider-"

...

"Reiks, du!?"

Ein groß gewachsener, sehr kräftiger Mann stand in einem dicken Pelzmantel im Foyer und blickte geringschätzig auf Remik. Seine Lider schlossen sich kein einziges Mal, während er ihn musterte.

"Du hast dich kein bisschen verändert. Und du bist noch derselbe Dummkopf wie damals."

Das kantige Gesicht wies Spuren von alten Verletzungen auf.

Remiks Blick verfinsterte sich zunehmend. Auf diesen Besuch hätte er liebend gerne verzichtet. Was dachte sich Reiks eigentlich dabei, nach so vielen Jahren hier aufzutauchen und ihn auf diese Art und Weise zu kritisieren? Sichtlich verstimmt schob er die Weinflasche beiseite.

"Mein Bruder... der mir schon immer meinen Erfolg missgönnt."

Ein herablassendes Schmunzeln umspielte die Mundwinkel des Älteren. "Was soll ich dir denn missgönnen!? Etwa das hier??" Reiks deutete auf die voll gestellten Bücherregale. "Ha, das nenne ich nicht Erfolg, mein ach so bescheidener kleiner Bruder. Du verkriechst dich hier in deinem Gemäuer und merkst nicht einmal, wie dumm du warst."

"Raus hier! Das muss ich mir nicht bieten lassen, auch nicht von dir!" Mit einer Hand zeigte er auf die noch offen stehende Tür. Doch Reiks schritt leichtfüßig auf ihn zu, beugte sich so weit herunter, dass der Jüngere den leicht sauren Geruch wahrnehmen konnte, der von ihm ausging.

"Hol es dir zurück!", flüsterte er Remik mahnend ins Ohr, wodurch dieser mächtig zusammenzuckte.

Ohne weitere Worte verließ Reiks die Bibliothek wieder, ließ seinen Bruder benommen zurück.

/Es zurückholen.../ Bei diesem Gedanken schüttelte es ihn. Zwar hatte er ein paar Leute auf Erin angesetzt gehabt, um diesem das Entfliehen nicht zu einfach zu machen, aber doch vor allem um etwas Spaß zu haben. Eigentlich war das nur egoistischer Zeitvertreib gewesen und niemals eine Unternehmung, um wieder an dieses Buch zu kommen. Remik hatte sich geschworen, nie wieder Hand an `Inauguration` zu legen, geschweige denn es erneut in seinen Besitz bringen zu wollen. Aber nun!? Wie sollte er sich entscheiden? Schließlich war Reiks bestimmt nicht ohne driftigen Grund gekommen und aus alter Erfahrung wusste er stets, wovon er sprach.
 

`Inauguration`. Das Buch, das für so viel Aufregung einst gesorgt hatte. Das seit Generationen von einem Gelehrten zum nächsten durchgereicht worden war. Doch bis zu Erin Ashantis´ Erscheinen war es jedem so ergangen wie Remik. Die, die es in den Händen gehalten hatten, hatten körperliche Schmerzen erfahren müssen; hatten es freiwillig weitergegeben. Dennoch, so viele waren begierig auf dieses Buch gewesen. Selbst vor Morden waren sie nicht zurückgeschreckt. Der Misserfolg hatte alle heimgesucht: Das Buch hatte sie nicht auserwählt!

Mit Erin hatte sich alles ändern sollen. Zum ersten Mal hatte einer die seltsamen Schriften entziffern sollen...

"Gebäret das Kind der Kraft, erschaffet ein Wesen des Lichts. Betöret die Götter, um ihre wahre Macht zu offenbaren."

Im fahlen Kerzenschein, das immer dann stark aufflackerte, als eine schwere Seite des Buches umgeblättert wurde, rieb sich Erin erschöpft die Augen. Die Anspannung und Erregung der letzten Stunden zermürbten ihn nun. Lauthals gähnend sank er in sich zusammen und verfiel einem leichten, unruhigen Schlaf. In seinem Traum fühlte er sich verfolgt. Irgendetwas schien seine nächtliche Ruhe stören zu wollen. Schon nach wenigen Stunden wachte er schweißgebadet auf und fand sich in völliger Dunkelheit wieder. Mit zittrigen Händen tastete er nach seinen Streichhölzern und brachte nach einigen vergeblichen Versuchen den kurzen Docht zum Brennen. Abwesend strich er sich durchs Haar und seine sorgenvolle Miene verzerrte sich mehr und mehr zu einer hässlichen Grimasse. Als er aber das Buch so friedlich vor sich liegen sah, stöhnte er laut.

/Du hast mir das beschert... seit ich dich habe, suchen sie mich heim... sie lauern... sie umgarnen mich... um mich irgendwann zu verschlingen./

Nun begann Erin zu lächeln. "Aber ich werde dich nie wieder hergeben."

Im wenigen Licht des Raumes konnte man das fanatische Blitzen in seinen Augen gut erkennen. Er war so sehr von `Inauguration` besessen, dass er selbst nicht bemerkte, dass er in den letzten Wochen stark gealtert war. Die ersten grauen Strähnen mischten sich nun unter seine einstige Haarpracht; tiefe Furchen im Gesicht verliehen ihm ein kränkliches Aussehen. Sein ganzes Auftreten litt unter den ständigen Strapazen, denen er sich aussetzte, indem er pausenlos an den geheimnisumwobenen Zeichen tüftelte und auf Teufel komm raus versuchte, den Text sinngemäß zu entschlüsseln.

Bisher konnte er aber nur wenige Erfolge verbuchen. Erst um die vierzig Zeilen hatte er, noch voller Lücken, übersetzen können. So recht hatte er noch nicht begriffen, wie sich die einzelnen fremden Buchstaben zusammensetzten. Doch Erin war dafür bekannt, dass er seine Arbeit niemals aufgab. Bezüglich seinem Familiensinn und seiner Menschenkenntnis mochte er vielleicht große Schwächen haben, aber die Übersetzerei und Forscherei waren nun einmal sein Leben, sein Odem. Nichts und niemand konnte ihm da etwas vormachen; keiner konnte ihn auch nur annähernd davon abbringen, sich weiter so zu schänden, selbst wenn es lebensbedrohlich würde.

Mit beiden Händen gleichzeitig schlug er sich plötzlich ins Gesicht und schüttelte sich anschließend. Nachdem er noch einen kräftigen Schluck Wasser zu sich genommen hatte, setzte er sein Werk fort. `Inauguration´ schien sich an seine Finger zu schmiegen, die Zeile für Zeile über die aufgeschlagene Seite fuhren. Die schwarzen Lettern manifestierten sich in Erins Verstand, brannten sich tief hinein...
 

Remik saß noch immer benommen auf seinem Stuhl. Unter anderen Umständen wäre er so angetrunken, wie er war, draußen und hätte ein paar schöne Frauen belästigt, doch in diesem Augenblick konnte ihn ein solcher Gedanken nicht im Geringsten erregen. Als er nach der zweiten Weinflasche des Abends greifen wollte, stieß er sie versehentlich um. Sie rollte über die Kante und zerbarst in tausend Scherben, als sie den harten Boden berührte.

"Verflucht!"

Remiks Gesichtsausdruck trug nun nur noch Wut und Hass in sich. Hass auf seinen Bruder, Hass auf Erin Ashantis und insbesondere Hass auf dieses verdammte Buch. Es war so ein erhebendes Gefühl gewesen, `Inauguration` endlich loszuwerden.

"Und dann kommt Reiks und beleidigt mich deswegen. So was zu wagen...!"

Der sonst so gebieterische und herrschaftsvolle Remik war sichtlich gekränkt; durch sein eigen Fleisch und Blut bloß gestellt. Zähne knirschend schlug er mit der Faust auf den Tisch. Das konnte, wollte er nicht so auf sich beruhen lassen!

"Erin!", das Funkeln seiner Iris war stechend, "Macht Euch auf was gefasst!"

Sehr geräuschvoll verließ er nun die Bibliothek, hinter sich die Tür zuknallend.

Wie geisteskrank lief er durch die dunklen Straßen und fauchte zwei Männer an, die seinen Weg kreuzten. Völlig angewidert sahen diese Remik hinterher und wechselten einen vielsagenden Blick. Aber um dann doch einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, ließen sie den Mann mit den langen blonden Haaren, wovon ihm einige Strähnen im schweißnassen Gesicht klebten, ziehen.

In seiner Rechten hielt Remik eine Flasche, die er sich vorher noch schnell gegriffen hatte, und gönnte sich immer wieder einen kräftigen Schluck aus ihr. Zunehmend schwankend stapfte er durch die Nacht. Blieb nach einer Weile abrupt stehen, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Er breitete die Arme weit aus.

"Eriiin!" Der tiefe Laut hallte lange in der Ferne wider.

Chapter 13: Voice´s getting face

Chapter 13: Voice´s getting face
 

Schritt für Schritt stolperte sie durch die Dunkelheit. Sich immer wieder um die eigene Achse drehend versuchte Kiara krampfhaft irgendetwas zu erkennen. Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen drehte sie ihren Kopf stets von einer Seite zur anderen. Doch die Tatsache, dass kein einziges Licht auszumachen war, kein Anhaltspunkt, der auf das Ende der bedrängenden Finsternis verwies, machte sie ganz verrückt. Verzweifelt ging sie weiter, setzte einen Fuß vor den anderen. Tiefe Beklommenheit durchströmte ihre Glieder und ließ sie teils wanken. Kleine Tränen stiegen allmählich in ihr empor und flossen langsam die heißen Wangen hinab, verdunsteten halbwegs auf der erhitzten Haut. Mit zittrigen Händen fuhr sie sich nun übers Gesicht, wischte das Zeugnis von Bestürzung und Trauer weg.

"W-a-r-u-m?", schrie sie lauthals ins weite Nichts...

Nach einer Weile begann sie zu rennen. Aber sie machte sich keine Sorgen darüber, irgendwo anzustoßen, über irgendetwas zu fallen oder den Fakt, dass ihre Tritte auf dem Boden keinerlei Geräusche verursachten. Schließlich wusste sie, dass sie nicht in der realen Welt umherirrte. Nein, sie wusste es besser. Diese raue Stimme hatte sie gerufen und sie dorthin geholt. Dorthin, wo nichts war außer ihr zerfurchtes Selbst.

Plötzlich blieb sie stehen und hielt sich die Seite, da sie rasendes Seitenstechen plagte.

/Schmerzen!? ... das heißt immerhin, dass ich nicht träume ... aber wo bin ich hier gelandet? Wohin genau hat er mich verschleppt?/ Die Gedanken kreisten. Allmählich wurde sie noch nervöser. Dass sie in keinem Traum gefangen war, versetzte sie in Angst. Denn ihr widerfuhr etwas noch Sonderbareres als sie zunächst angenommen hatte.

"Weil du mir gehörst, Kira von Ohiyama."

Kiara erstarrte.

"Weil du schon immer MIR gehörst!"
 

Jake stand noch eine ganze Weile draußen in der Dämmerung und dachte über die letzten Ereignisse nach. Frederics Worte hallten immer wieder in seinem Kopf nach. /Ein neues Schicksal wurde heraufbeschworen... die letzte Zeremonie der `Inauguration` hat stattgefunden, Psalm 21.../ Oh er hatte schon einmal von diesem Psalm gehört, doch er konnte immer noch nicht fassen, dass seine Eltern ihn wirklich heraufbeschworen hatten. Wie konnten sie ihm und Kiara das antun? Schließlich waren sie nicht irgendwelche Dinge, über die man einfach so entscheiden kann. Nein, sie waren Lebewesen mit Gefühlen und eigenem Willen! Doch Jake kam es so vor, als ob das keinen interessieren würde. Nicht mal seine Mutter noch seinen Vater schien das zu kümmern. Er war so sauer und enttäuscht.

Mit einer Hand strich er sich übers mittlerweile sehr feuchte Haar. Der Nieselregen stob ihm weiterhin ins fahle Gesicht. Seine tiefblauen Augen sahen glasig zum Horizont.

Sehr überstürzt hatten sie Trumity verlassen, Frederic, Cecil, Dave und das Sacrament of Live hinter sich gelassen. Von keinem hatten sie sich verabschiedet, doch das bereute er in diesem Augenblick noch nicht. In diesem Moment glaubte er, die ganze Welt hätte sich gegen sie beide verschworen. Da war es ihm völlig gleich, ob sich jemand um ihn und Kiara sorgte.

/Kiara!/

Sein Blick weitete sich. Denn nun wurde ihm erst richtig bewusst, dass er sie forsch behandelt hatte. Plötzlich sank seine Stimmung weiter in die Tiefe. Er schämte sich, dass er sie so ignoriert hatte in den letzten Stunden. Schließlich trug sie keinerlei Schuld an Getanem und Gesagtem. Voller Gewissensbisse drehte er sich gen Kirche und sah sie einvernehmlich an. Auch er verglich sie erst einmal mit dem Sacrament of Live und kam ebenfalls zur Erkenntnis, dass sie ihm nicht im Entferntesten Konkurrenz bieten konnte. Zwar sah sie einladend und gut instand gehalten aus, doch an den Ausdruck von Stärke und Wärme des Sacrament of Lives kam sie bei Weitem nicht heran. Nun begann sich ein flaues Gefühl in seinem Magen breit zu machen. Irgendwas stimmte nicht. Als er das Gemäuer so in Augenschein nahm, fiel ihm auf, dass es zwar punkt 18 Uhr war, doch die Glocke nicht läutete. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie kein einziges Mal ertönt war, solange er dagestanden hatte. Und irgendwie beunruhigte ihn das ziemlich. Sein Magen zog sich immer weiter zusammen, als ob ihm jemand einen Strick umgebunden hätte und fest daran zöge. Mit hastigen Schritten eilte er über den gepflasterten Platz hin zu der mit Engeln versehenen Tür. Er legte eine Hand um die Klinke und zog einmal kräftig, doch nichts rührte sich. Keinen Zentimeter weit ließ sich die Türe bewegen. Zig weitere Versuche unternahm er. Er zog so fest er konnte, er lehnte sich mit seinem gesamten Körpergewicht in die entgegengesetzte Richtung, doch sie wollte einfach nicht aufgehen...
 

"Ich gehöre niemandem.", wisperte Kiara trotzig, die endlich ihre Stimme wieder gefunden hatte. Langsam wandelte sich ihre Starre und Angst in Wut. Nun rührte sie sich wieder und begann erneut zu rennen. Sie wollte ihrem Widersacher in die Augen blicken können!

Sie hatte keine Ahnung, woher die Stimme kam, denn sie schien von allen Seiten her zu ihr gedrungen zu sein. Doch sie konnte nicht anders. Kiara konnte nicht verharren, darum hatte sie sich entschieden, einfach zu laufen. Was sollte sie denn machen? In dieser Finsternis konnte sie nicht einmal die Hand vor Augen erkennen. Was war schon rechts, links, geradeaus?

In diesen Minuten gingen ihr so viele Dinge durch den Kopf. Tausend Gedanken und Erinnerungen schienen in ihr emporzusteigen, doch kein einziger war wirklich greifbar. Sie zogen wie feine Nebelschwaden an ihr vorüber. Bilder aus ihrer Kindheit, Gedanken an ihre Familie, ihre Eltern, das Sacrament of Live und Jake, der auch nur einer verschwommenen Silhouette glich. Nur am Rande des Bewusstseins nahm Kiara das alles wahr...

Zu diesem Zeitpunkt wollte sie nur eines: Wer tat ihr das an? Wer manifestierte sich in ihrem Verstand?

Unerwartet tauchte ein kleiner heller Schimmer vor ihr auf. Abrupt blieb sie stehen und spähte schwer atmend und nun doch wieder ängstlich nach vorne. Mit der Rechten umfasste sie das Medaillon, das einen leuchtend violetten Rand angenommen hatte.

/Es pulsiert... genau wie mein Herz./
 

"Hallo? KIARA?" Aus Leibeskräften schrie Jake die Tür an, in der Hoffnung, Kiara oder jemand anders könnte ihn dort drinnen in der Kirche hören. Doch die ersehnte Antwort blieb aus. Voller Besorgnis trat er gegen das Holz, hämmerte mit den Fäusten darauf herum, aber nichts half. "Bitte mach doch auf! Es tut mir so leid, Kiara. Ich wollte dich nicht verletzen..." Seine Stimme erstarb und er sank nun mit den Schultern nach vorne, lehnte seinen Kopf an die Tür. "Bitte mach doch auf.", sprach er leise und sich selbst verachtend vor sich hin. Er hasste sich gerade. Wie hatte er sich ihr gegenüber nur so verhalten können?

Er biss sich auf die Lippen und Schmerz durchzuckte ihn. Ein kleines Rinnsal Blut lief nun über sein Kinn. Mit einem verkniffenen, fast schon irren Gesichtsausdruck richtete er sich wieder auf und lief um die Kirche herum, nach einem weiteren Eingang suchend. Als er wieder dort angelangt, wo er losgelaufen war, machte er kehrt und ging noch mal in entgegengesetzte Richtung herum. Aber es gab keine zweite Tür, keinen anderen Weg hinein zu Kiara. Noch einmal drückte er die Klinke herunter, zerrte und zog, doch wieder mit demselben vernichtenden Ergebnis.

Jake blickte sich nach allen Seiten hin um. Irgendwo musste doch jemand sein, der ihm helfen konnte. Doch keiner war weit und breit zu erspähen. Und im Innern seines Bewusstseins war Jake auch klar, dass keiner kommen würde. Irgendwas wollte ihn von Kiara fern halten.
 

Noch immer schaute Kiara hinab auf das schwach leuchtende Medaillon. Nun schossen ihr die Worte ihrer Mutter in den Kopf, die sie ihr damals in der stürmischen Nacht mitgeteilt hatte: ,Sie trägt das Zeichen in sich. Doch sie kann es nur entfalten, wenn sie an das Schicksal glaubt.'

/Glauben... an welches Schicksal? An das, das mir vielleicht den Tod bringt? So wie Kiras Eltern sterben mussten? Und Kira selbst?/

Ein trostloses Lachen entwich ihrer Kehle. Zu allem Überfluss überkam sie nun eine Welle der Trauer. Wieso haben all diese Menschen sterben müssen?

Sie fragte sich, wie jemand oder etwas nur so grausam sein konnte; wie jemand nur zu solchen Taten bereit sein konnte. Mit halb geschlossenen Augen sah sie ein letztes Mal das Medaillon an und vergrub es sodann wieder unter ihrer Jacke.

"Zeig´ dich! Ich möchte dir von Angesicht zu Angesicht sagen," sie wurde immer lauter, "wie ich dich HASSE!"

Kiara ballte die Hände zu Fäusten und schritt entschlossen auf den hellen Fleck weit vor ihr zu, bis er immer größer wurde und sie letztendlich umgab. Ihr Herz pochte. Als sich ihre Augen an das Licht allmählich gewöhnt hatten, hielt sie entsetzt inne...

Sie schluckte schwer. Sie wollte schreien, doch keinen Laut brachte sie hervor. Indem sie sich fest die Augen rieb, versuchte sie, das eben Gesehene aus ihren Gedanken zu bannen. Doch natürlich vergeblich. Sie traute sich kaum, die Hände vom Gesicht zu nehmen. Viel zu schrecklich war das, was sie noch einmal erblicken könnte...
 

Jake hatte bereits die Gegend abgesucht nach einem Holzpflock oder eine Art Brecheisen. Nach irgendwas, was ihm helfen könnte, diese verdammte Tür aufzubekommen. Mit weit aufgerissenen Augen und nach allen Seiten hin spähend war er mehrere Minuten umhergeirrt. Nur um mit einem mittelgroßen Ast der Buche zur Linken der Kirche zurückzukehren. Enttäuscht, aber willig unternahm er den Versuch, damit in den Spalt zwischen den beiden Türhälften zu kommen, um vielleicht den Riegel ein wenig lockern zu können. Da der Ast nicht im Geringsten in den engen Schlitz hineinpasste, ging er zum Auto und holte das Taschenmesser aus dem Handschuhfach, das sein Vater darin einmal verstaut hatte. "Für Notfälle, man weiß ja nie!", hatte er damals gesagt und gegrinst. /Dies ist eindeutig einer.../, brummte Jake fast unmerklich vor sich hin.

Er nahm den Ast und schnitzte hastig an einem Ende, formte eine dünne Spitze. Als er sie als geeignet genug erachtete, startete er einen neuen Versuch. Mit Mühe glitt das Buchenholz zwischen die Türhälften und Jake ruckelte nervös darin herum.

/Aber... nein das kann nicht sein./

"Das ist unmöglich!"

Noch einmal fuhr er mit der Spitze den Spalt auf und ab. Abermals stieß er auf keinen Widerstand. Die Tür war unverschlossen!

Kopfschüttelnd und verwirrt drückte er die Klinke herunter und zog, aber wie vor einer halben Stunde tat sich absolut nichts.

"Wie.. wie kann das nur sein?"

Sukzessive wurde ihm bewusst, dass die dunkle Macht näher und stärker war als er geahnt hatte. Als er sich bisher erträumt hatte.

/Aber warum Psalm 21? Warum ein neues Schicksal heraufbeschwören?/

Jake erinnerte sich, wie ihn sein Vater vor etwa einem Jahr zur Brust genommen hatte. Jeffrey und Marian waren gerade aus der 'Inauguration' zurückgekehrt, die sich zu dem Zeitpunkt nur einmal pro Monat für einen Tag zusammengefunden hatte. Mit ernster Miene war Jeffrey auf ihn zugeschritten und hatte ihn ins Freie geschleift. Unter den letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages hatte er begonnen zu erzählen, dass die 'Inauguration' die höheren Mächte heraufbeschwören und somit Einfluss auf den Lauf der Dinge nehmen konnte. Doch das gelänge nur, wenn die Lage ernst und die Menschheit bedroht sei. Nachdem er noch ein paar Ausführungen gegeben hatte, hatte er seinen Sohn scharf angesehen und ihn darauf hingewiesen, dass sie einen letzten Willen hätten, den sie niemals, wenn es sich auch nur im Entferntesten vermeiden ließe, einzusetzen vermochten. Viel näher war er nicht darauf eingegangen.

Aber nun wusste Jake ja, dass sie Gebrauch von ihm gemacht hatten. Nur war ihm noch nicht klar, wie sich das auf die seine und Kiaras Zukunft auswirken würde. Doch schon bei Frederics Worten war er sich gewiss gewesen, dass es nichts Gutes verhieß.

Unbesänftigt starrte er die Engelsfiguren an. Was mochte da drinnen nur vor sich gehen?
 

Am ganzen Leib zitternd rührte sich Kiara nicht vom Fleck, die Hände noch immer zum Schutz vor dem Gesicht.

"Trau dich, Kira! Sieh ihn dir noch einmal an!" Der schadenfrohe Unterton in der rauen Stimme versetzte Kiara einen erneuten Stich im Herzen. Sie spürte die Tränen, die sich ergießen wollten, doch ihre Augen blieben trocken. Der Schock saß zu tief. Sie brachte nicht mal die kleinste Perle hervor.

"Zier´ dich doch nicht. Ist doch ein schöner Anblick, nicht wahr!?"

Nun reichte es ihr langsam aber sicher. Tief durchatmend nahm sie all ihren Mut zusammen und ließ die Hände vorsichtig herunter. Mit leeren Augen starrte sie auf Jake, der leblos mit einem Strick um den Hals vor ihr hing...

"Was soll das? Ich weiß-", einen kleinen Moment lang hielt sie inne. "Ich weiß, dass er lebt." Eine kleiner Windhauch, der wie aus dem Nichts zu kommen schien, ließ sie frösteln.

"Kannst du dir da sicher sein?"

Ihr Teint wurde noch blasser als zuvor. "Ich weiß es." Aber sie merkte selbst, dass viel Unsicherheit in ihrer Stimme lag.

"Er hat dich nicht verdient. Nimm mich an seiner statt, ich kann dir viel mehr bieten als er."

Eine lähmende Stille trat ein. Kiara wusste nicht, wie ihr geschah. Die letzten Tage, seit sie Jake getroffen hatte, waren so ereignisreich gewesen. Viele neue Emotionen hatten sie heimgesucht, Emotionen, die sie vorher noch nie kennen gelernt hatte. Auf das riesige Glücksgefühl hin, als er sie das erste Mal geküsst hatte, folgte nun die unendliche Bitterkeit.

"Sprich nicht so über ihn."

"Du willst mich zurechtweisen?" Höhnisches Gelächter drang tief in ihre Ohren. "Dein Mut hat mich schon immer beeindruckt.", fuhr er ernst fort. "Schon vor hunderten von Jahren hast du mir imponiert."

"Das war nicht ich."

Als er nichts mehr erwiderte, fühlte sich Kiara erleichtert. Am liebsten wäre sie jetzt davongerannt, doch sie fühlte sich so matt. Sie brachte gerade einmal die nötige Kraft auf, sich von der abscheulichen Szene abzuwenden. Jake tot... noch immer ängstigte sie der Gedanke.

/Er lebt, das spüre ich... ich spüre es doch irgendwie in mir... irgendwie.../

Ihre Finger krallten sich in den kalten Stoff ihrer Jacke, so fest, dass ihre Knöchel ganz weiß wurden...

"Komm zu mir.", hallte es plötzlich aus unmittelbarer Nähe. Das Licht um sie herum flackerte, erlosch kurz und flammte dann erneut auf, doch dieses Mal um einige Nuancen schwächer. In weniger als zehn Meter Entfernung stand nun jemand, in einem langen schwarzen Umhang gehüllt, das Gesicht darin verborgen. "Komm zu mir.", forderte er Kiara von neuem auf. Seine Stimme klang nun noch rauer und unangenehmer.

"Niemals... niemals werde ich das tun, was du von mir verlangst."

"Ich werde dir deine Widerspenstigkeit noch abgewöhnen."

"Dazu wird es nicht kommen.", flüsterte sie fast unmerklich. "Lass", sie bemühte sich lauter zu sprechen, "mich gehen."

"Du gehörst mir!"

"Das stimmt nicht..."

Wieder ertönte ein überhebliches Lachen. "Sicher. Das Blut in deinen Adern ist der Beweis."

Kiara verstand nicht. Zerrüttet blickte sie die dunkle Gestalt an, die seine Identität weiterhin in Unmengen von Stoff vergrub.

"Das Blut.. in meinen Adern...?"

"Ganz recht. Schon so lange hab ich auf diesen Moment gewartet. Bald wirst du endlich ganz und gar mein sein."

Unerwartet schritt er auf sie zu, Kiara geriet in Panik. Sie lief rückwärts, wollte auf alle Fälle verhindern, dass er ihr zu nahe kam.

"Man hat dich mir schon einmal beraubt. Ein zweites Mal werde ich das nicht zulassen." Er kam ihr gefährlich nahe. Kiara drehte sich um und versuchte schneller zu laufen, doch stolperte über ihre eigenen Füße und fiel zu Boden. Sie versuchte noch sich aufzurichten, doch es war zu spät. Eine starke Hand hatte sie am Arm gepackt und eine eisige Kälte drang durch ihre Kleidung und tief in ihre Haut...
 

"Komm zu dir." Jake rüttelte Kiara sanft, die halb in seinen Armen und noch halb auf dem Boden lag. Mit seiner blutverschmierten Hand strich er ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

"Wach auf, bitte wach doch endlich auf."

Als sie sich immer noch nicht regte, begann seine Miene noch sorgenvoller zu werden.

"Komm schon... bitte."

Sein Blick schweifte unruhig hin und her.

/Was war hier bloß vorgefallen?/

Doch er konnte sich die Frage selbst nicht beantworten. Während er sich weiterhin Gedanken machte, spürte er plötzlich, dass sich Kiara rührte. Sie schlug die Augen ruckartig auf und Jake sah die Panik darin, die sie immer noch heimsuchte.

"Kiara?"

Mit einem Mal schoss ihr Oberkörper hoch und ihr Kopf wanderte Richtung Altar. Dann wandte sie sich wieder Jake zu und klammerte sich fest an ihn.

"Es war so schrecklich..."

Chapter 14: Ardour of wicked vein

Chapter 14: Ardour of wicked vein
 

Sanft strich Jake über Kiaras Kopf, die auf dem Beifahrersitz leicht döste. Lange schaute er in ihr hübsches Gesicht und wandte erst nach vielen Minuten den Blick ab. Während er sie aus der Kirche getragen hatte, hatte sie sich weiterhin fest an ihn geklammert. Am ganzen Körper hatte sie gezittert...

Notdürftig verarztete Jake nun seine aufgerissenen Hände. Das getrocknete Blut versuchte er mit ein bisschen Wasser wegzuwischen und riss dann ein T-Shirt entzwei und band das kleinere Stück um seine Rechte und das größere um seine Linke, die wesentlich mehr schmerzte als er sich eingestand. Nachdem der letzte Knoten gesetzt war, hob er die Hände vors Gesicht und drehte sie ein paar Mal hin und her.

/Wie hätte ich sie sonst da raus holen sollen!? Welch Hindernis es auch sein mag.../

Dong...dong...

Mit erzürntem Blick beugte er sich nach vorne und sah zur massiven Glocke empor, die schwerfällig von einer Seite zur anderen schwang. Das dumpfe Läuten schien eine Ewigkeit nachzuhallen, bis es sich endlich in der wohl ersehnten Weite verlor.

/Dachte ich es mir doch... aber warum war mir das nicht schon vorher aufgefallen? Ich hab direkt daneben gestanden und... ich hab.../

Sein Blick wanderte wieder zu Kiara.

/...versagt./
 

"Er war verhüllt, ich konnte ihn nicht sehen. Aber als er mich berührte, durchflutete mich eine eisige Kälte." Bei dem Gedanken erschauerte Kiara. "Und plötzlich war ich wieder in der Kirche und da warst du..."

/... sieh mich nicht so dankbar an, das habe ich nicht verdient... Mein Scheitern ist unverzeihlich./

"Ah Jake, was", sie legte behutsam eine Hand auf seine, "ist passiert?"

"Halb so wild, nichts Ernstes."

/Wenn ich dir sagen würde, dass ich sie zwischen die Türhälften gepresst habe, um zu dir zu gelangen... wenn ich sagen würde, dass ich einen Teil meiner Haut dort zurückgelassen habe,... würdest du dir nur Sorgen machen... die ich nicht verdient habe.../

"Aber-"

"Nein wirklich, es tut auch gar nicht weiter weh."

Er zwang sich zu einem ehrlichen Lächeln, das ihm anscheinend recht gut gelang, da sie nicht weiter nachhakte.

"Jake?", begann sie, als sie sich wieder zurückgelehnt hatte. "Es war kein-"

/Traum./

Das letzte Wort wollte ihr nicht über die Lippen gehen.

"Ja?"

"Ähm, kein schöner Ort."

"Nein, das war er wirklich nicht."

Sie wusste nicht, warum sie es ihm nicht sagen konnte. Ein Teil von ihr wollte es irgendwie für sich behalten. Nachdenklich blickte sie hinaus. Der Regen hatte wieder eingesetzt und ergoss sich nun in Strömen. Die Äste der Buche zur Linken der Kirche wogen friedlos im Wind...

"Lass uns endlich weggehen von hier."
 

Sie fuhren mindestens zwei Stunden, bis sie ihr Ziel erreichten. Der Abend hatte schon seine Züge genommen und die Nacht brach mit all ihren Facetten an. Wo die vielen Sterne und der fast volle Mond sein sollten, waren nur dicke Wolken, die ein tiefes Grau bis Schwarz annahmen. Zaghaft beleuchteten die orange schimmernden Laternen den Weg.

"Darf ich bitten?" Mit seiner bandagierten Hand zeigte Jake auf eine cremefarbene Tür, die die Nummer 21 in eisernen Lettern trug.

Lediglich ein mattes Lächeln entgegnete Kiara. Ihre ganze Erscheinung war deutlich von den Erlebnissen des Tages gezeichnet. Ihr kam es so unwirklich vor, dass sie am Morgen noch so überglücklich gewesen war. Wie in weiter Ferne schien die innige Berührung mit Jake zurückzuliegen... dieses wohlige Gefühl der vergangenen Nacht hätte sie zu gern wieder verspürt, doch es blieb ihr verwehrt. Eher suchte sie nun eine tief gehende Leere heim, die sie zu verdrängen versuchte...

"Ich wünsche dir eine erholsame Nacht, Kiara."

/Und hoffe, dass du in Ruhe schlafen kannst./

Behutsam küsste er sie auf die Stirn und ließ einen Finger über ihre kalte Wange streifen.

"Gute Nacht.", murmelte sie abwesend.

Besorgt ließ er die Tür zum Schlafzimmer ins Schloss fallen und legte sich selbst schlafen. Er machte es sich auf der Couch gemütlich, die in der Mitte des Hauptraumes stand. Zu dem kleinen Apartment, das er gemietet hatte, gehörte noch ein tristes Bad. Aber nachdem er froh war, überhaupt eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden zu haben, nachdem sie um einiges verspätet im Forest of Eagle angekommen waren, hatte er keinen Grund, irgendetwas am seltsamen Geschmack der Einrichtung zu bemängeln. Eine kaputte Feder spießte ihm in den Rücken, doch er wollte daran keinen Gedanken verschwenden. Es gab nun wichtigeres und das war ein bisschen schlafen, um Kraft zu tanken.
 

Die Wogen der Finsternis beginnen zu wallen,

siehst du die schwarzen Federn fallen?

Bleib den stechenden Augen fern,

sie haben frisches Blut viel zu gern...
 

Der nächste Morgen brach herein. Warme Sonnenstrahlen fielen durchs Fenster und weckten Jake. Sich dehnend und streckend stand er auf und sah hinaus. Nur noch wenige Wolken trübten den Himmel und nichts von der bedrückenden Atmosphäre des Vortages war mehr sichtbar. Die Sonne tauchte den Wald unter ihm in ein friedvolles und angenehmes Licht. Die hohen Baumspitzen reckten sich den gut gesinnten Strahlen entgegen. Leise drangen die Geräusche der Natur, unter anderen helle Vogelstimmen, ins Zimmer. Jake erfreute sich sehr daran. Ein tiefer Atemzug entwich seiner Kehle.

/Was gestern geschah, hätte sich nicht ereignen dürfen. Wie sie die Begegnung wohl wegsteckt? Ich hätte dies niemals zulassen dürfen./

"Guten Morgen." Kiara war lautlos eingetreten und gesellte sich zu ihm ans Fenster. Ein wenig erschrocken sah er sie an und legte dann einen Arm um sie, drückte sie an sich. "Wie geht´s dir?", fragte er sie mit sanfter Stimme.

/Deine Augen verraten mir, dass du nicht glücklich bist... sie ersehnen Frieden, den ich dir geben möchte.../

"Alles in Ordnung." Mit einem breiten Lächeln schaute sie zu ihm auf und wandte dann den Blick nach draußen. "Wunderschöner Ausblick."

/Warum lügst du mich an? Warum sagst du mir nicht, wie es wirklich um dich steht?/

Aber Jake hatte nicht das Recht, ihr Vorwürfe zu machen. Schließlich wusste er mehr als er ihr sagen konnte. Ja, er lebte auch viel in Unwissenheit, doch das bisschen, das er wusste, war weitaus mehr als er ihr preisgegeben hatte.

"Ja ist eine wunderschöne Gegend. Was hältst du davon einen kleinen Spaziergang zu machen?"

Sie nickte, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf seine Lippen und verschwand dann im Bad.

/Du versuchst, die Pein zu überspielen... hoffentlich versinkst du nicht in den schrecklichen Erlebnissen... wir brauchen dich, die Welt braucht dich... ich brauche dich... und ich werde mich für dich opfern, wenn es die Umstände erfordern sollten.../
 

Sie liefen durch den Wald, kühlten ihre Hände in einem kleinen Bach, der so klar war, dass man jeden einzelnen Stein am Grund deutlich erkennen konnte, und beobachteten einen Adler, der seine Kreise zog. Es schien, als ob nie was passiert wäre; als ob es keinen Mann von Stoff umhüllt gegeben hätte, der Kiara zu nahe gekommen war...

"Ich hab immer dasselbe Motiv gemalt. Meine Kunstlehrerin verzweifelte schon an mir." Ein Lächeln huschte über Kiaras Lippen. "Sie meinte, ich sei besessen von diesen Augen..."

"..."

"Wobei sie da gar nicht unrecht hatte.", fügte sie leise hinzu.

"Frederic meinte dafür, ich sollte das endlich mal zu Papier bringen, was ich in meinen Träumen sehe, um endlich damit aufzuhören, ihm immer und immer wieder dasselbe zu erzählen. Er war manchmal richtig genervt von mir."

Ihre Blicke trafen sich kurz und dann lachten beide los. Plötzlich ergriff Jake Kiaras Arm und sie blieben stehen, das Lachen verstummte. Er sah sie nun ernst und lange an.

"Ich hoffe, du weißt, dass du mir alles sagen kannst. Auch wenn wir uns erst vor einigen Tagen zum ersten Mal gesehen haben, kennen wir uns doch schon viel länger... Ich möchte dir hiermit sagen,... dass ich für dich da bin."

/Hast du mir überhaupt zugehört? Deine Augen bergen plötzlich eine solche Leere... sie spiegeln nichts wider... nicht einmal mein Abbild.../

Minuten des Schweigens zogen dahin. Kiaras blasser Teint hob sich nicht im Geringsten vom weiß-grauen Felsen hinter ihr ab. Ein leichter Windzug blies ihr Haar ins Gesicht, doch sie reagierte nicht einmal mit einem Lidschlag darauf. Das leise Pfeifen, das zu ihnen drang, wenn sich die Luft in den Ritzen des Berges fing, hallte lange in Jakes Verstand nach. Seine Sorge um Kiara wuchs zunehmend, denn sie wirkte so starr, fast leblos.

"Kiara?"

"Ja ich weiß, dass du für mich da bist.", sagte sie glücklich und ihre Gesichtszüge waren wieder unerwartet lebendig.

/Von einem Moment auf den anderen.../

Irritiert zog er sie fest an sich.

"Hey nicht so fest, du erdrückst mich noch.", sagte sie neckisch.

/...warst du weggetreten... und nun bist du wieder... gänzlich gegenwärtig./

Er beugte sich zu ihr hinab und begann sie zu küssen...

Ab diesem Moment war Kiara wieder völlig sie selbst. Den restlichen Tag schienen beide zu genießen. Es tat ihnen unwahrscheinlich gut, ungestört zu sein. Sie redeten viel, durchforsteten die Gegend und hatten Spaß. Als sie durch das kühle Wasser wateten, bespritzten sie sich gegenseitig vergnügt, und als sie den großen Felsen erklommen, zog Jake Kiara freudig hinter sich her. Für diese Stunden gab es keinen Psalm 21, es gab keinen Mann in Stoff gehüllt, es gab keinen, der sie ängstigte. Für diese Stunden gab es einzig und allein sie beide. Selbst Jake, der sehr besorgt um Kiara war, ließ sich von den warmen Sonnenstrahlen und dem blauen Himmel hinreißen. All die trüben Gedanken schoben beide weit von sich weg. Für beide zählte für diese Augenblicke nur noch der jeweils andere...

"Hast du dich auch mal gefragt, was dort oben noch so alles ist?"

Kiara deutete auf den klaren Himmel. Ihr Kopf lag auf Jakes Brust und sie konnte den rhythmischen Takt seines Herzschlages vernehmen.

"Sehr oft sogar. Vor allem abends, wenn ich bei uns zuhause allein auf der Terrasse saß, sah ich immer gen Horizont. Meine Sehnsucht nach dir war so groß und ich durfte nicht zu dir... und da blickte ich immer hoch zu den Sternen und empfand sie näher als dich..." Seine Hand streichelte ihren Arm, während er sprach. "Und da stellte ich mir vor, wie wir uns dort oben träfen... irgendwo dort oben in der Ferne."

"Mh-mhh, dort oben zwischen den Himmelskörpern tanzen..."

"Sich frei und ungebunden in den Armen des anderen wieder findend-"

"dahinschweben.", beendete Kiara Jakes Gedanken.

Kiara erhob sich nun so weit, dass sie mit purem Glanz in den Augen Jake ansehen konnte. "Lass mich schweben!", flüsterte sie hauchzart in die Luft. Ihre Lippen näherten sich den seinigen und die Berührung zwischen ihnen entfachte erneut eine Leidenschaft, die Kiara erbeben ließ. Langsam fuhr sie mit einer Hand über sein Gesicht und vergrub sie dann in seinen weichen Haaren. Sie küssten sich innig und Jakes Finger wanderten unter ihre Bluse, fuhren ihren warmen Rücken auf und ab. Leicht zitternd tastete sich ihr Mund zu seinem Hals und liebkoste mit der Zunge seine erhitzte Haut. Sie hörte, wie sein Atem immer schneller wurde. Kurz ließ sie von ihm ab, suchte aber bald wieder seine Lippen auf. Die Begierde wuchs rasch und sie verloren sich allmählich in ihrer Erregung. Ihre Zungen spielten miteinander und ihre Hände glitten vom Kopf bis zur Taille des anderen. Sie konnten nicht voneinander ablassen, bis plötzlich ein schriller Schrei die Stille durchbrach. Zugleich, als sie sich erschrocken umsahen, folgte ein zweiter ohrenbetäubender Laut. Kurz darauf näherten sich zwei Adler wild mit den Flügeln schlagend. Ihre hakenförmig gebogenen Schnäbel und besonders ihre scharfen gelben Augen wirkten Furcht einflößend. Mit lautem Geschrei und weit gespannten Flügeln zogen sie mehrere Kreise über Jakes und Kiaras Köpfe hinweg und ließen sich dann auf einem Felsvorsprung ganz in ihrer Nähe nieder.

"Sie sind ganz schön aufgebracht."

Kiara sah zu den beiden Vögeln und betrachtete das braune Gefieder, das im Sonnenlicht teils gräulich glänzte. "Irgendwie wirken sie..."

"Beunruhigt.", ergänzte Jake.

Die Augen des etwas kleineren Steinadlers wanderten ständig zwischen den beiden hin und her, bis sein Blick letztendlich auf Kiara ruhen blieb.

"Seltsam. Ich dachte, der Aquila chrysaetos hält sich nicht in der Nähe von Menschen auf."

"Der was?"

"Aquila chrysaetos ist der lateinische Name für diese Gattung... schau mich nicht so verblüfft an, das habe ich mal gelesen."

"Mh..."

"Eventuell sind sie Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung gewohnt, doch... dass sie sich so nah aufhalten, wundert mich sehr."

"Jake!? Sieh mal genau hin!"

Obwohl er mehr als eine Minute lang die zwei Adler begutachtete, wusste er nicht, auf was Kiara hinauswollte.

"Was meinst du?"

"Siehst du das nicht?"

"Was soll ich sehen?"

"..."

"Komm sag schon."

"Naja, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein."

Ein wenig gereizt drehte er seinen Kopf zur Seite und blickte Kiara an, deren lockiges Haar in verschiedenen Erdtönen funkelte. "Bitte Kiara." Ihren Namen sprach er mit besonderer Betonung aus.

"Das Gefieder... es wirkt so... unecht."

Gerade als Jake noch einmal genauer hinsehen wollte, erhoben sich die Adler wieder kreischend in die Lüfte. Ihre Flügel schwangen flink hin und her und in sekundenschnelle waren sie so hoch, dass man sie nur noch als schwarze Punkte am Himmel ausmachen konnte.

"Zu spät."

"Möglicherweise täuschte das nur durch die Reflexion des Lichtes..."
 

/Ewig könnte ich in seinen kräftigen Armen liegen... für immer könnte ich seinen warmen Atem in meinem Nacken spüren. Du bereitest mir stets diese angenehme Gänsehaut, die sich auf meinem gesamten Körper ausbreitet. Der Rhythmus deines Herzens wird zu meinem./

"Kannst du noch mal einen von ihnen sehen?"

Jake schirmte seine Augen mit einer Hand ab, um sie gegen die hellen Sonnenstrahlen zu schützen, und suchte den blauen Himmel ab.

"Nein, keine Spur von ihnen."

"Vielleicht sitzt einer dort vorne in der Baumkrone und beobachtet uns heimlich."

Ein amüsiertes Lächeln zierte nun seine Gesichtszüge und er sagte sanft: "Kiara, komm schon, allmählich machst du dich lächerlich. Seit einer halben Stunde fragst du mich, wo die beiden Adler sind, ob ich sie noch einmal gesehen habe oder ob sie vielleicht ganz in der Nähe sind. Ja es war ungewöhnlich", fügte er hastig hinzu, als er Kiaras Unmut spürte, "dass sie sich so nah bei Menschen, in diesem Falle uns, aufhielten, doch ich glaube kaum, dass das irgendwas zu bedeuten hat."

"Ha, und falls doch?"

Kiara löste sich aus seinen Armen und stand auf, streckte sich und ging anschließend ein paar Schritte nach vorne. Jakes Blick ruhte halb belustigt, halb besorgt auf ihr.

"Das waren doch nur zwei Vögel."

"Und was war mit ihrem Gefieder?"

"Auf das ich nicht geachtet hatte!? Eventuell hast du dir das doch nur-"

"Naaa danke."

Beleidigt entfernte sie sich noch ein paar Meter von ihm. Nun war sie dem Baum, in dem sie mindestens einen von den beiden Adlern vermutete, recht nahe. Neugierig betrachtete sie ihn und indem sie ihren Kopf schief legte, versuchte sie, zwischen dem dichten Blätterwerk was erkennen zu können.

"Es tut mir leid.", ertönte Jakes vertraute Stimme nicht weit von ihr entfernt. "Ich habe die gestrigen Erlebnisse nicht vergessen und möchte dir nun nicht unterstellen, dass du nicht ernst zu nehmen seiest. Dennoch kann ich deine Vermutungen nicht bestätigen, da ich nichts gesehen habe."

"Ach schon gut. Hilf mir lieber da rauf!" Mit ihrem rechten Zeigefinger deutete sie auf den hoch gewachsenen Baum und blickte über ihre Schulter zu ihrem verdutzten Freund.

"Ähm, willst du wirklich da hoch klettern?"

"Warum nicht?"

Obwohl Jake immer noch recht verwirrt war, baute er mit Kiara eine Räuberleiter und verhalf ihr auf diesem Weg auf den ersten kräftigen Ast, der vom Boden aus erreichbar war. Behände stieg sie ein paar weitere Reihen nach oben und drehte sich immer wieder nach allen Richtungen.

"Siehst du irgendwas?"

Nachdem sie zwei, drei Schritte auf dem Ast balanciert war, rutschte sie plötzlich mit einem Fuß aus und kam ins Rudern. Mit den Händen konnte sie sich noch rechtzeitig abfangen und damit vor einem Sturz drei Meter in die Tiefe bewahren. Jake hatte laut ihren Namen geschrieen und bat sie nun inständig, wieder herunterzukommen.

"Jaja, ich komm wieder runter. Und nein, ich habe nichts entdeckt."

Als sie wieder sicher vor Jake stand, fügte sie hinzu: "Aber ich habe nicht viel sehen können, dazu war ich nicht weit genug oben. Glaub also nicht, dass ich meine Behauptung einfach so fallen lasse."

"Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist."

Auf Kiaras Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. "Also das war doch nicht gefährlich."

/Wie nennst du dann den gestrigen Tag?/

Gerade als er einen Arm um ihre Taille gelegt hatte und sie ein wenig vom Baum weg schob, zeichnete sich für einen kurzen Augenblick ein dunkler bewegter Schatten vor ihnen am Boden ab, der aber von beiden unbemerkt blieb.
 

Die Wogen der Finsternis beginnen zu wallen,

siehst du die schwarzen Federn fallen?

Sieh sie nicht näher an,

denn sie ziehen dich in ihren Bann...
 

"Das war wirklich schön heute."

Müde sah Kiara Jake an und vergaß dabei nicht zu lächeln. Ihr Haar fiel in seidigen Locken über ihre Schultern und ein zartes Rosa zierte ihre Wangen. Ihre braunen Augen fixierten ihren Freund, der ihren Blick unablässig erwiderte.

"Ja es-"

/Da ist es wieder!/

Schweigen trat ein. Nur das Ticken seiner Armbanduhr hallte wie hundert Mal verstärkt an den dünnen Wänden des kleinen Apartments wider.

/Diese Leere, die komplementärer zu dem eigentlichen Strahlen nicht sein könnte. Jeglicher Glanz ist verschwunden, als ob dein Körper nur noch eine leblose Hülle wäre./

Mit einer Hand streifte Jake über eine ihrer Wangen und er fühlte kalte Haut. Zärtlich strich er ein paar Locken hinter ihr rechtes Ohr. Langsam beugte er sich hinunter, so dass seine Lippen fast ihren Hals berührten.

"Kiara, lass es nicht zu."

Jake konnte sich inzwischen denken, was mit Kiara passierte. Vor etwa einer Stunde war ihm eine Idee gekommen, die sich immer mehr in seinem Gehirn zusammenspann. Seitdem hatte er jeden Augenblick damit gerechnet, dass das passierte. Dass sie für wenige Minuten wie weggetreten war. Doch auch wenn er darauf eingestellt war, war es erneut ein ziemlicher Schock für ihn. Sie so ohne jegliches Leben zu sehen, versetzte ihm einen gewaltigen Stich im Herzen. Seine eigenen Vorwürfe gegen ihn selbst flammten wieder in ihm auf. Er könnte sich dafür schelten, dass er sie in diese Kirche gehen gelassen hatte. Dass er sie allein dort hinein gelassen hatte.

"Bezwinge es.", flüsterte er ihr hauchzart ins Ohr.

Die fast untergegangene Sonne warf das letzte Licht des Tages in den Raum, der nun in ein tiefes Gelb bis Orange getaucht wurde. Die Fensterscheibe reflektierte die schwachen Strahlen und warf hinter der kleinen durchsichtigen Vase, die auf der Fensterbank stand, ein Meer aus vielen winzigen Lichtern, die vergnügt auf und ab tanzten. Kiaras Schatten, der weit in die Länge gezogen war, rührte sich nicht, nicht mal ein klein wenig.

Allmählich wurde Jake unruhig. Wie lange würde sie so verharren? Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie länger als zwei Minuten in dieser Art Trance bleiben würde. Nervös lief er im Zimmer auf und ab, stets mit Blick auf Kiara.

/Komm zurück, komm schon... ich hätte sie nie dazu überreden dürfen, mit mir wegzugehen. Ich habe sie aus dem Schutz ihrer Familie gerissen. Aber meine Eltern haben... sie haben es tatsächlich getan. Und ich lasse nicht mit mir spielen! Dennoch ist es unverzeihlich, dass ich sie im entscheidenden Moment allein gelassen habe. Erst der Psalm, dann das.../

Während Jake mit sich focht, strichen einige Minuten dahin. Er blieb stehen, baute sich vor Kiara auf und legte seine Hände auf ihre Schultern.

/Als ER dich berührte... hat er wohl... ein Band geschaffen... und möchte so... die Kontrolle über dich... erzwingen./

"Das wird nicht geschehen!", sagte er bestimmt.

Plötzlich sank ihr Kopf auf ihre Brust und Jake wich vor Schreck einen Schritt von ihr zurück. Als er sich ihr wieder nähern wollte, kehrte wieder vollends Leben in sie zurück und sie hob ruckartig ihren Arm, der nun als Abstand zwischen ihnen diente. Er stieß gegen ihre abwehrende Hand, deren unnatürliche Hitze durch sein Hemd drang und ihn wieder zum Rückzug zwang.

"Bleib weg von mir!" Ihre Stimme klang eine halbe Oktave tiefer als gewöhnlich. Schlangenartig richtete sie sich auf und sah durch pechschwarze Augen abwertend auf Jake, dem die Fassungslosigkeit förmlich ins Gesicht geschrieben stand. Er konnte nicht begreifen, was gerade vor sich ging. Soeben hatte er noch mit Kiara gesprochen, seiner Kiara, deren sympathische Ausstrahlung ihn immer bann, und nun stand er einer gegenüber, die nicht weniger von der wirklichen haben konnte. Mit sich ringend bemühte er sich etwas zu sagen, doch er brachte kein einziges Wort über die Lippen. Sein Mund ging also wortlos auf und wieder zu. Da er sich nicht weiter zu helfen wusste, streckte er seine Hände von sich und wollte sie Kiara oder besser der Person, die vor ihm stand, auf die Schultern legen, um damit den Abstand zwischen ihnen zu tilgen. Kiara musste doch da sein, irgendwo da drinnen sein. Zögerlich machte er einen Schritt auf sie zu.

"Wage es nicht!" Der abweisende, verachtende Klang ließ Jake erneut zurückweichen.

/Die Finsternis hat Besitz ergriffen... sie nimmt meine Geliebte ein und ich muss tatenlos zusehen. Der Schmerz, der in meinem Herzen bebt, zehrt an mir... zeigt mir, wie dumm ich gewesen bin. Die Verantwortung trage ich für... das hier. Kiara, bitte lass es nicht zu.../

"...bitte..."

Mit ausdruckslosen Augen schaute Kiara auf Jake und endlose Sekunden zogen dahin. Auf einmal verzogen sich ihre Mundwinkel und sie begann verächtlich zu grinsen. "Was für eine Schmach. Dies soll der Mann an ihrer Seite sein!? Wie lachhaft!... N-e-i-n!"

Abrupt löste sich Jake aus seiner Starre, denn er erkannte den Klang der Stimme. "Kiara?" Nun zögerte er nicht mehr und griff nach dem Mädchen, von der sich ein Teil strikt dagegen wehrte, der andere sich tief danach sehnte. Der innere Kampf, den Kiara bestritt, dauerte ein wenig an. Jake redete derweil immer wieder auf sie ein, appellierte an das Gute in ihr. Ihre Rechte, die sich weit in das Fleisch seines Armes grub, verbrannte die Haut, die sie berührte, doch Jake ließ sich nicht beirren. "Glaub an dich, du kannst es verhindern... denk an was schönes, denk mit all deinen Gefühlen." Das Mädchen in seinem Griff wand sich und wimmerte. Das Blut in seinen Adern gefror bei dem Anblick. "Kiara liebe mit deinem ganzen Herzen." Mit aller Kraft versuchte er seine Stimme ruhig zu halten. Ihre Hand grub sich immer tiefer in seinen Arm und er biss sich auf die Unterlippe, um nicht aufgrund des stetig wachsenden Schmerzes laut aufzuschreien. Die Bandagen, die er am Morgen sorgfältig um seine Hände gewickelt hatte, tränkten sich allmählich mit Blut. Lange würde er nicht mehr durchhalten können und dessen war er sich bewusst. "Liebe Kiara, liebe!"...

Genau in dem Moment, in dem er dachte, er stirbt vor Schmerz, ließ sie von ihm ab. Er seufzte mit gequältem Gesicht laut aus. Hatten sie es überstanden?

"Kiara?", hörte er sich zweifelnd fragen.

Chapter 15: Black feathers are fallin´

Chapter 15: Black feathers are fallin´
 

Der Himmel war tiefblau gefärbt. Feine Nebelschwaden zogen zwischen den dicken Baumstämmen des Forest of Eagle hindurch. Die klamme Luft kroch knapp über dem Boden, schlängelte sich widerstandslos über die kräftigen, lang auslaufenden Wurzeln hinweg. Eine kleine Spitzmaus schnupperte solange im Dickicht, bis sie ein lautes Rascheln über ihr vernahm, und lief flink davon. Eine schwarze Kreatur hob sich für einen kurzen Moment von den Schatten der Bäume ab, war beim nächsten Lidschlag schon wieder verschwunden...

"Sieh mich an."

/Ich muss in deine Augen sehen... um herauszufinden, ob du es bist.../

Mit seiner blutüberströmten Hand hob Jake das Kinn des Mädchens an, das in seichter Melancholie vor ihm stand.

/Sie erstrahlen in dem gewohnt tiefen Braun... wie erleichtert ich doch bin... der Schmerz, den du (?) mir zugefügt hast... wird vergeben sein... ehe du wieder über deinen Körper wachst.../

Erschöpft sank er vor ihr in die Knie und fasste sich an den verletzten Arm. Erst dachte er, die Wunde würde glühen, so wie ihre Hand, als sie auf ihr gelegen hatte, doch als er sie abtastete fühlte sie sich nicht unnatürlich heiß an, sondern tat nur höllisch weh. Er unterdrückte die Tränen, die nun in ihm aufstiegen. Bis jetzt waren ihm die Mahnungen seiner Eltern nie so klar gewesen und er fühlte sich völlig übermannt von den Gefühlen, die in ihm zu wallen begannen. Mit aller Kraft wehrte er sich gegen das salzige Nass, während die Stimmen von Jeffrey und Marian in ihm widerhallten. Er sah seinen Vater vor sich, der ihn streng ansah, und seine Mutter, die eine Hand liebevoll nach ihm ausstreckte.

"Es ist meine Schuld, ich geb´s ja zu!", rief Jake in die Stille des Raumes. Enttäuscht von sich selbst sank er auf alle vier und gab den Tränen nun freien Lauf.

/' Überlass sie der Obhut ihrer Eltern!'...'Sei vernünftig'...'und widme dich deiner Bestimmung'...'sei nicht immer so dickköpfig' ...

Oh Kiara, es tut mir so leid!/

Als Jake drohte, in den Tiefen seiner Gedanken zu versinken, wehrte er sich heftigst dagegen und rappelte sich mühsam auf die Beine.

/Ich darf das nicht, ich darf mich nicht erneut.../

Er versuchte die Apathie, die seine Glieder langsam hinab schlich, abzuschütteln. Mit seiner Rechten verpasste er sich selbst eine kräftige Ohrfeige, so dass er wieder zu klarem Verstand gelangte. Als seine Finger seine kalte Haut berührten, durchzuckte ihn ein Schmerz, der ihn wachrüttelte.

/Nein ich darf mich nicht den Wogen des Selbstmitleids hingeben... Ich muss nun retten, was noch zu retten ist!/

Zärtlich strich er über Kiaras Wangen und spürte leichte Vibration, die von ihr ausging.

/Bald wird sie erwachen und einen ersten Sieg über das Böse errungen haben, das spüre ich... aber wie lange?/

Jake musste Vorbereitungen treffen. Was war, wenn die dunkle Macht schneller wiederkehrte, als ihm lieb war? Was war, wenn Kiaras Kraft dann nicht ausreichte?

Daran durfte er gar nicht denken. Er musste sich nun mit kühlem Kopf entscheiden... entscheiden für den richtigen Weg.

Eine ungewollte Panik brach in ihm aus. In Hast stürmte er von einer Ecke des Raumes zur nächsten. Hier griff er nach dem Telefon, dort nach den Autoschlüsseln. Während er das bisschen Hab und Gut, das sie mitgenommen hatten, zurück in den schwarzen Koffer warf, klappte er sein Handy auf und wählte. Unruhig verfolgte er das leise Klingeln, bis er endlich eine vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung vernahm.

"Frederic Confides." Die Stimme klang sehr müde.

"Frederic? Hier ist Jake. Ich-" Doch er kam nicht dazu, weiter zu sprechen, denn er wurde lautstark unterbrochen.

"Gott sei dank. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wo steckt ihr? Geht es euch gut? Deine Eltern haben mir stundenlang in den Ohren gelegen, wie ich es nur zulassen konnte dich gehen zu lassen. Jake, ich wollte nie, dass..." Den Moment des Zögerns nutzte Jake, um sich wieder Gehör zu verschaffen.

"Frederic, bitte hör mir zu und schwöre mir, dass du ab nun jedes einzelne Wort gegenüber meinen Eltern verschweigst!"

Eine kleine Pause trat ein und Jake kam sie viel zu lange vor. Doch er vertraute ihm immer noch, Frederic, seinem Freund. Er wusste tief in sich, dass Frederic die treueste und loyalste Seele auf Erden war, die er kannte.

"Ich schwöre." Jake vernahm das heftige Widerstreben der Worte Klang, aber er konnte es Frederic nicht übel nehmen. Schließlich stand er unter Befehl von Jeffrey und Marian.

"Gut." Nach ein paar Sekunden des Schweigens seinerseits, erzählte er Frederic grob, was sich bis eben ereignet hatte, überhörte geflissentlich die vielen Seufzer von Frederic und schloss dann mit folgenden Worten. "Warte im Sacrament of Live auf uns, ich fahr uns so schnell ich kann dorthin!"

"Jake!?" Er erschrak, denn es war nicht die Stimme seines Freundes, die zu ihm sprach. Vehement klappte er das Handy zu und drehte sich zu Kiara um, die ihn fragend und zugleich wissend ansah. Ihr Ausdruck in den Augen raubte ihm fast den Atem. Es lag so viel Wärme darin, die ihn in den Bann zog. Er spürte sie innerlich, wie sie ihn beruhigte, sein Herz umhüllte. Kiara machte die wenigen Schritte auf ihn zu, die sie von ihm trennten, ergriff seinen verletzten Arm. "Lassen wir ihn nicht warten."

Als sie im Auto saßen und den Forest of Eagle schon einige Kilometer hinter sich gelassen hatten, fühlte sich Jake immer noch wie gebannt. Er hatte die Macht gespürt, die in Kiara ruhte. Tatsächlich hatte sie in ihm selbst gebebt. Wie hatte er nur jemals zweifeln können? Nun begriff er allmählich, welch bedeutsame Aufgabe ihm zuteil wurde. Und nun sehnte er sich noch mehr danach, niemals diesen Fehler begangen zu haben...

Jake raste, er nutzte die volle Geschwindigkeit, die das Auto zu bieten hatte. Erst als sie sich wieder Wohnhäusern näherten, verringerte er das Tempo. Die Nacht legte sich dunkel über die Dächer und streckte ihre Arme gierig in jeden Winkel, der sich darbot.

"Sie versinkt im Schatten."

Ein kurzer verwirrter Seitenblick von Jake ließ Kiara erklären. "Die Stadt. Begraben unter der Schwärze der Nacht."

Jake sagte nichts. Ihre Worte hallten in seinem Kopf wider. Sie klangen in seinem Verstand noch beklemmender als Kiara sie ausgesprochen hatte.

/Das Sacrament of Live,... ich hoffe wirklich, dass das der Weg ist, den wir zu gehen haben./

"Schatten rühren sich."

Jake erschrak. Was gab da Kiara von sich? Er hielt an und nahm sie fest ins Visier. Nun nahm er wahr, was er seit dem Aufbruch nicht registrieren wollte. Kiara wirkte älter, reifer. Ihre Ausstrahlung beruhte nicht mehr auf einem strahlenden Lächeln, das ihre manchmal noch kindlichen Gesichtszüge hervorhob, nein, sie beruhte auf einer Eleganz, die nun in einem starken Maße von ihr ausging. Aber warum sprach sie von sich bewegenden Schatten?

"Fahr weiter Jake, Frederic erwartet uns."

Sie beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn fest auf die Lippen, womit er in dem Augenblick überhaupt nicht gerechnet hatte. Doch so schnell sie ihn berührt hatte, so schnell hatte sie wieder von ihm abgelassen, so dass er nicht die Möglichkeit besaß, den Kuss zu erwidern. Aber die Wärme, die ihn zum wiederholten Mal durchflutete, brachte sein Gemüt zur Ruhe. Er verwarf den Gedanken, sie danach zu fragen.

"In zwei Stunden müssten wir da sein." Er warf den Motor an, blinkte links und drückte leicht aufs Gaspedal...
 

Frederic Confides saß noch eine ganze Weile neben seinem Telefon. Mühsam versuchte er zu verarbeiten, was er soeben von Jake gehört hatte. Obwohl er viel kürzer als manch anderer für die Familie Antawa arbeitete, wurde er fast von Anfang an in das Vertrauen von Marian und Jeffrey gezogen. Nach elf Monaten treu ergebenen Dienstes hatte ihn Jeffrey zu sich gebeten. Frederic sah das Zimmer noch vor sich, als ob es erst gestern gewesen wäre, dabei war es schon über neun Jahre her...

Hohe Bücherwände zu beiden Seiten bargen Tausende Werke, darunter auch Schriftrollen, eingebettet in Glas und Samt. Ein alter ovaler Tisch stand in der hinteren Mitte des Raumes, umgeben von drei Stühlen, verziert mit geschwungenen Linien, die etwas zu bilden schienen, das er da aber noch nicht entschlüsseln konnte. Jeffrey, dessen dichtes dunkelblondes Haar fahl im Licht des kleinen Kronleuchters an der Decke leuchtete, saß in der rechten Ecke in einem dunklen kleinen Lesesessel. Als Frederic gänzlich das Zimmer betrat, fiel hinter ihm die große Eichentür ins Schloss und er verneigte sich vor seinem Herrn. Für diese Zeit mochte eine solche Geste ungewöhnlich erscheinen, doch vom ersten Tag an war es Frederic normal vorgekommen. Warum konnte er nicht sagen, vielleicht lag es an dem Haus, das in gewisser Weise einem alten Schloss glich.

"Setzen Sie sich." Als Frederic sich auf einem der Stühle niedergelassen hatte, wurde er lange in Augenschein genommen. Dann erhob sich Jeffrey und nickte überzeugt.

"Schließen Sie Ihre Augen und befreien Sie sich von all Ihren Gedanken."

Frederic wusste nicht wie ihm geschah, doch er gehorchte. Nicht im Traum hätte er es gewagt, sich den Wünschen seines Herrn zu widersetzen.

"Lösen Sie sich von all Ihrem Leid und all Ihren Schmerzen, die sie je empfunden haben. Denken Sie an nichts außer... an zwei Kinder, die auf dem Spielplatz herumtollen. An einen Jungen und an ein Mädchen, die zusammen Sandburgen bauen... eine schöne Szenerie, nicht wahr? Und nun sagen Sie mir, wären Sie bereit, ihr Leben zu geben, um diese Kinder zu beschützen?"

"Ja." Es war eine einfache, schlichte Antwort, doch er gab sie offen und ehrlich.

Erleichtert atmete Jeffrey auf und strich mit der Rechten den linken Ärmel seines schwarzen Jacketts glatt. "Gut, dann öffnen Sie die Augen wieder."

Erwartungsvoll blickte Frederic Mister Antawa an. So recht verstand er immer noch nicht, welches Verlangen ihn hierher geführt hatte. Doch Jeffrey ließ ihn nicht lange im Nebel der Unwissenheit und erhob erneut seine Stimme. "Seit fast einem Jahr ziehen Sie meinen Sohn groß. Lieben Sie ihn?"

Ein wenig konsterniert legte sich Frederic eine Antwort zurecht, von der er hoffte, dass sie nicht zu indiskret sei. "Ich liebe ihn wie einen eigenen."

Als Jeffrey sich abwandte und auf eine der beiden Bücherwände zusteuerte, fragte sich Frederic, ob er zu ehrlich gewesen sei, zu direkt geantwortet hätte. Weil sein Herr immer noch schwieg, plagten ihn allmählich Gewissensbisse. Was machte er eigentlich hier? Warum wurden ihm derart persönliche Fragen gestellt? Er konnte sich keinen Reim darauf machen.

Jakes Vater griff nach einem kleinen Glaskasten und pustete den feinen Staub herunter, der sich wie immer in wenigen Tagen darauf gebildet hatte. Er ging damit direkt auf Frederic zu und stellte ihn vorsichtig auf dem Tisch ab, der nun die beiden nur noch voneinander trennte. Frederic versuchte in Jeffreys Gesicht zu lesen, war dieser empfand, doch die Konzentration, mit der er den Deckel öffnete, ließ nichts Aufschlussreiches erkennen. Mit viel Rücksicht hob Jeffrey das Stück Papier heraus, das er anschließend auffaltete. "Werfen Sie einen Blick darauf."

Ein einfacher Angestellter soll einen Blick auf etwas werfen, das so kostbar behandelt wurde? Bemüht, nicht gänzlich verwirrt zu wirken, stand er auf und gesellte sich neben Jeffrey. "Schauen Sie schon darauf, es wird Sie auf das vorbereiten, was ich Ihnen gleich erzählen werde."

Obwohl es Sich nicht gehörte, seinem Herrn über die Schulter zu sehen, konnte Frederic nun seiner Neugier nicht mehr länger standhalten. Er beugte sich ein Stück hinunter und begutachtete das Pergament, das Jeffrey sachte in den Händen hielt. Oben in der Mitte prangten dieselben feinen Linien, die er schon auf den Stühlen entdeckt hatte, doch nun schienen sie an etwas zu erinnern: an eine Blume. Darunter standen ein paar Zeilen geschrieben, doch in einer Sprache, die er nicht verstand. Er las sie sich mehrmals durch, war aber nicht imstande, sie zu verstehen.

"Ich bitte um Entschuldigung, aber ich kann dies nicht übersetzen."

Jeffrey lachte auf und ließ Frederic dadurch zurückschrecken. "Oh verzeihen Sie, ich wollte nicht unhöflich sein. Dass es sich um Latein handelt, haben Sie sicherlich erkannt.
 

Parite filium virium, create vitam luminis.

Occaecate deos veram opem ut aperire.

Defendite malum attendere et aucupari.

Facite amicum filium ut protegere.
 

Das heißt so viel wie:
 

Gebäret das Kind der Kraft, erschaffet ein Wesen des Lichts.

Betöret die Götter, um ihre wahre Macht zu offenbaren.

Bewahret es vor dem Bösen, das wartet und lauert,

schafft Euch einen Verbündeten, um es zu beschützen.
 

... einen Verbündeten, verstehen Sie?"
 

Nach einem Eid, bis an sein Lebensende der Familie zu dienen und niemandem etwas über sie zu erzählen, war Frederic in das Geheimnis der Familie eingeweiht worden. Er erfuhr von dem Bündnis, dem Jeffrey und Marian angehörten, der 'Inauguration'. Dass es aus einigen Individuen bestand, die durch ihr Blut dazu bestimmt waren, zu den Templern zu gehören. Abend für Abend war er in die Geschichte eingeweiht worden, die die letzten 350 Jahre die 'Inauguration' nicht aufatmen ließ...

/Seitdem bin ich wirklich verantwortlich für Jake... kein Wunder, dass sein Vater so enttäuscht von mir ist, dass ich ihn nicht aufgehalten habe. Es wäre meine unabdingbare Pflicht gewesen... aber Jake ist erwachsen, ich kann nicht auf ewig die Gouvernante spielen... Ein junger Mann ständig umgeben von einem Diener, der einen jenem unbekannten Eid geleistet hat... welch Ironie. Er war immer so gewissenhaft, er hätte es verdient, aufgeklärt zu werden. Ich war so oft kurz davor, ihm seine Fragen zu beantworten, die er mir so oft stellte, doch damit hätte ich Verrat an seinen Eltern begangen... es war nicht richtig von ihnen, diesen einen Teil zu verschweigen... nun müssen sie es ihm aber endlich offenbaren, sonst tue ich es! Zu viel hat sich schon ereignet, was nicht hätte passieren dürfen./

Betrübt folgte Frederic nun Jakes Bitte und begab sich ins Sacrament of Live. Als er die Kirche betrat, wurde ihm noch schwerer ums Herz. Er erblickte das Kreuz.

/Werden auch sie für die Menschheit dermaßen leiden müssen?.../
 

Ein leises Knarren schreckte Frederic aus seinen Gedanken auf. Schritte näherten sich. Erleichtert wandte er sich um, doch das Lächeln gefror sofort in seinem Gesicht, als er Jake erblickte. Der junge Mann vor ihm glich nicht im Geringsten dem, den er vor knapp zwei Tagen aus der Tür gehen gesehen hatte.

"Oh Jake, J-un-ge,...". Frederic bekam lediglich ein Wispern zustande. Mit der Rechten fuhr er sich durchs Haar und anschließend über seine trockenen Lippen. Nicht das Blut und die Wunden allein waren für seinen Schrecken verantwortlich. Vielmehr waren es Jakes Augen, die unermesslichen Kummer in sich trugen.

Jake konnte es nicht ertragen, so mitleidvoll angesehen zu werden. Er wusste, dass er an allem die Schuld trug, doch er war nicht gewillt, von Frederic wie ein Todkranker begutachtet zu werden. Eilends senkte er sein Haupt und wich auch folgend den Blicken des anderen aus. "Danke, dass du gekommen bist."

Nun vernahm er Frederics Hand auf seiner Schulter, die ihn kurz, aber fest, drückte. Mühsam unterdrückte er ein Schluchzen, das ihn durch diese Geste beinahe übermannte. /Ich danke dir.../

Frederic nickte Kiara zu, die schon die ganze Zeit hinter Jake gestanden hatte. "Setzt euch. Ich glaube, ihr braucht beide erst mal fünf Minuten Ruhe."

Es verstrich eine viertel Stunde, in der alle drei dasaßen und schwiegen. Einzig Kiara hatte ihre Hände nicht zum Gebet gefaltet.

Das Sacrament of Live gab Jake eine gewisse Geborgenheit zurück, die ihm an diesem Abend verloren gegangen war. Als er Kiaras Verwandlung erlebt hatte, war ein Teil in ihm zerrüttet worden, von dem er nicht gewusste hatte, dass er so wichtig für ihn war. Er liebte seine Eltern, das tat er schon immer. Doch er konnte nie sagen wie sehr. Durch ihre Bestimmung waren sie nicht viel für ihn da gewesen und hatten ihn anderen in Obhut gegeben. Bediensteten, die im Laufe der Zeit zu Freunden und Vertrauten geworden waren. Manchmal hatte sich in ihm etwas geregt. Er würde sagen Wut. Wut darauf, dass Jeffrey und Marian nicht so waren wie alle anderen Eltern. Aber als er das Böse in den Augen des Menschen gesehen hat, den er mehr liebte als alles andere auf dieser Welt, hatte er plötzlich begriffen, warum sein Leben so verlaufen war. Er akzeptierte jetzt das Schicksal seiner Eltern und sein eigenes. Und nun hat er sie enttäuscht. Er hat alle enttäuscht...

"Frederic?", Jakes Stimme hallte leicht in der Weite der Kirche. "Ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen, darum werde ich Kontakt zu meinen Eltern aufnehmen und ihnen-"

"NEIN!"

Der entsetzte Ausruf Frederics verwunderte den Jüngeren. Auch Kiara sah ihn mit großen Augen an.

"Du kannst es ihnen nicht sagen... in deinem eigenen Interesse."

"Hmm, aber ich muss es tun! Das bin ich ihnen schuldig."

"Tue es nicht. Du bereust schon genug."

"Könntest du mir bitte sagen, was hier los ist?"

Mit funkelnden Augen sah Jake Frederic an. Nervös senkte dieser den Kopf. "Also naja, ich halte es für besser, wenn weder Jeffrey noch Marian davon erfahren."

"Das glaube ich dir nicht. Komm sag schon, was verschweigst du mir?"

Nachdem Jake aufgesprungen und um die Kirchenbank herumgegangen war, postierte er sich genau vor Frederic, stützte sich mit den Ellenbogen auf der Lehne vor ihm ab. Er beugte sich so weit vor, dass sein Gesicht exakt auf der Höhe dessen Frederics war. "Was verschweigst du mir?", wiederholte er eindringlich.

"Wenn sie davon etwas zu Ohren bekommen, dann... wird alles nur noch schlimmer."

"Kannst du das bitte präzisieren?"

"Jake, lass ihn. Siehst du nicht, dass er schon genug durchleidet?" Kiara konnte nicht mit ansehen, wie Frederic mit sich rang.

"Aber-"

"Kein aber. Er ringt mit sich. Fordere nichts heraus, was du später bedauern wirst." Behutsam strich sie ihm eine Strähne aus der Stirn. "Er ist hierher gekommen, reicht das denn nicht?"

Jake seufzte. "Okay wie ihr meint." Resigniert ließ er sich zurück auf eine der schwarzen Bänke fallen.

"Wie geht es Ihnen, Miss Ladeur?" Seine Chance nutzend wandte sich Frederic Kiara zu.

"So weit alles in Ordnung. Ich kann mich nur vage an das erinnern, was", sie wurde ganz leise, "geschehen ist."

"Blicken Sie nicht zurück. Lassen Sie es hinter sich."

"Wie denn?... Ich hab Jake verletzt!" Ihre letzten Worte trugen eine gewisse Trauer in sich. "Ich bin unzurechenbar." Plötzlich wallten in Kiara all die Emotionen, die Jake bisher seit dem 'Zwischenfall' vermisst hatte. Salziges Wasser bildete sich in ihren Augen. "Ich bin... gefährlich." Nun flossen Tränen an ihren Wangen hinab und sie vergrub ihr Gesicht unter ihren Händen.

/Kiara.../

Jake ging zu ihr und legte einen seiner kräftigen Arme um sie. "Denk nicht mehr daran. Ich habe dir schon längst verziehen."

"Ver-zieh-en?" Sie weinte und lachte gleichzeitig. "Das ist unentschuldbar!", fuhr sie ernst fort.

/Die dunkle Macht hätte niemals diese Gelegenheit bekommen, wenn ich nicht so ein sturer Narr gewesen wäre... nun muss ich mit den Konsequenzen leben.../

Betretene Stille kehrte ein. Sie hörten das einsetzende Glockenläuten. Drei Schläge, drei atemberaubende Klänge. Die Nacht war schon halb vorüber, das Tageslicht würde in wenigen Stunden wiederkehren. Jake regte sich. Entschlossen richtete er sich auf. Mit einer Geste wies er Frederic an, mit ihm zu kommen.

"Sie hat heute genug durchlitten, wir sollten sie ins Hotel bringen, damit sie ein wenig Ruhe findet. Bevor wir gehen, möchte ich, dass du weißt, dass ich nicht aufgeben werde. Ich werde herausfinden, was du mir vorenthältst."

Als sie gemeinsam durch die Dunkelheit liefen, warf Frederic Jake einen besorgten Seitenblick zu.

/Vorhin wollte ich ihm noch alles erzählen, doch als ich ihn sah, fiel es mir zu schwer. Ich konnte nicht... ich kann ihm das Kommende nicht ersparen... vielleicht ist es besser, wenn er damit so spät wie möglich konfrontiert wird... darauf einstellen kann sich sein Herz sowieso nicht.../ Wehmütig schritt Frederic mit seinem Schützling und Kiara dahin.

Chapter 16: Remik´s desperate fight

Chapter 16: Remik´s desperate fight
 

Widerwillig gewöhnte sich Remik langsam an den Gedanken, um 'Inauguration' zu kämpfen. Seit dem unerwarteten Auftauchen seines Bruders war ihm dieses Buch nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ungern erinnerte sich an die physischen Schmerzen, die es verursacht hatte, doch er hatte eine Entscheidung gefällt. Er wird es sich zurückholen! Noch immer wusste er nicht, was hinter dem Besuch von Reiks steckte, aber in gewisser Hinsicht hatten sich die Worte von jenem in ihn eingebrannt und er wollte, dass jener zu ihm aufsah. Remik hatte so oft um Ansehen und Stolz in seiner Familie gekämpft, doch jedes Lob und jede Ehre hatte Reiks gebührt. Immer wurde Reiks bewundert. Immer hatte Reiks alles bekommen, was er wollte. Und dennoch hatte er seinen Bruder geliebt. Nun tat er das aber nicht mehr. Zu viel war geschehen.

"Ja, ich hol es mir zurück, aber nicht für dich, mein Bruder. Und ich werde des Rätsels Lösung noch finden, warum es dir so wichtig ist." Remiks raue Stimme durchflutete den großen Bibliothekssaal. "Und am Ende werde ich derjenige sein, der hinabblickt."

Wochen vergingen, in denen sich Remik rastlos darum bemühte, eine Spur von Erin zu finden. Jedem Hinweis war er nachgegangen, doch der ersehnte Erfolg war ausgeblieben. Einmal hatte er sogar eine junge Frau gefoltert, ihr eine glühende Eisenstange in den Bauch gerammt, aber die entsetzt geschrieenen Worte halfen ihm auch nicht weiter. Wo mochte dieser Mistkerl nur stecken?

Remik raufte sich die strähnigen langen Haare. "Bringt mir was zu essen!" Mit funkelnden Augen stierte er zwei Bedienstete an, die sofort den Saal verließen.

Als ihm die geforderten Speisen serviert wurden, griff er nach dem Arm eines jungen Mannes. Mit roher Gewalt zwang er diesen in die Knie. "Wer ist dein Herr?"

"Ihr, mein Herr."

"Wen verehrst du?"

"Euch, mein Herr.", flüsterte er halb verängstigt, halb angewidert.

"WEN VEREHRST DU?", schrie Remik dem dunkelhaarigen Ergebenen ins Gesicht. Mit aller Mühe versuchte dieser sich zusammenzureißen und seine Stimme zu festigen. "Euch, mein Herr." Remik ließ von ihm. "Nun geh!"

Unsicheren Schrittes brachte der junge Mann zunehmend Distanz zwischen sich und Remik, verschwand letztendlich erleichtert hinter der großen schweren Tür.

Gierig nahm Remik eine Keule in die eine Hand und biss in das heiße Fleisch, dessen fettiger Saft an seinem Kinn hinab lief. Mit der anderen packte er sich ungestüm ein Glas und vergoss so den halben Wein, der ihm kurz vorher eingeschenkt worden war. Schmatzend sank er in sich zusammen und grübelte. Während er immer wieder von neuem seinen Mund füllte, dachte er darüber nach, wie er Erin doch noch kriegen könne. Als er den letzten Bissen hinunterwürgte, rülpste er laut auf, hämmerte sich auf die Brust und gähnte anschließend herzhaft. Gesättigt und damit zumindest zum Teil befriedigt schlief er ein...
 

Das wenige Licht, das die Kerzen spendeten, genügte eigentlich nicht zum Lesen. Doch Erin saß tief gebeugt über einem großen Buch und kaute auf dem Federkiel in seiner Hand herum. Die tiefen Furchen in seinem Gesicht schienen immer tiefer zu werden. Die Ringe unter seinen Augen waren dunkel und eingefallen. Unverständliche Worte drangen aus seinem Mund. Erschöpft schrieb er etwas auf eines der unzählbaren losen Blätter neben ihm. Seine Finger führten die Feder so schwach, dass er mittendrin wegrutschte und das Tintenfass dabei umstieß, das dicht neben seiner Hand geruht hatte. Schwarze zähe Flüssigkeit verbreitete sich unaufhaltsam. "Verdammt!" Erhitzt nahm er ein Leinentuch zur Hand und tupfte zitternd die überschüssige Tinte weg. Aber er war nicht schnell genug gewesen. Als er das Tuch beiseite geworfen hatte, zog er ein erschütterndes Resultat. Drei Blätter voll mit Aufzeichnungen waren halbwegs ruiniert. Zornig riss er den unbrauchbaren Teil ab, zerknüllte ihn und warf ihn in eine Ecke. Erin stand auf und ging fluchend nach draußen. Wohlwollend sog der den frischen Duft von reiner, ungebrauchter Luft ein. Er stieß mit seinem Fuß einen Stein zur Seite und ging ein paar Schritte auf und ab. Wie lange er schon nicht mehr hier draußen war, vermochte er nicht zu sagen. Doch auch wenn es sich nur um Tage handeln konnte, kam es ihm doch fast wie sein ganzes Leben vor. Seit er zum ersten Mal in Berührung mit 'Inauguration' gekommen war, waren für ihn alltägliche Dinge nichtig geworden. Sie hatten an Glanz und Bedeutung verloren. Diese unbekannte Sprache, diese eigenartigen Gebilde und Zeichen hatten ihn gänzlich eingenommen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als sie zu entschlüsseln und Kira von Ohiyama für sich zu gewinnen. Je mehr er über sie und ihr noch bevorstehendes Leben wissen würde, desto mehr könnte er sie in seinen Bann ziehen. So hoffte er zumindest. So dachte er. So war er überzeugt.

Kalte Luft wehte von Osten her. Er zog die Jacke, die er trug, fester um sich. Er hörte seinen Magen knurren. In dem Wissen, dass in seinem Versteck nichts mehr Essbares zu finden war, er aber was zu sich nehmen musste, um wieder zu Kräften zu kommen, machte er sich auf den Weg ins Dorf, das am Fuße des Berges angesiedelt war. Schweren Schrittes lief er den steilen Hang hinab. Ein paar kleine Steine, die ab und an unter seinen Schuhen wegrutschten, erschwerten den Abstieg ungemein. Wild keuchend war er froh, als er wieder festen Untergrund unter sich hatte. Doch er hatte keinen besseren Platz gefunden. Die halb verfallene Hütte war ihm vor Wochen gerade recht gekommen. Er hatte sie notdürftig umgebaut, so dass er darin seiner Arbeit nachgehen konnte. Seitdem hauste er dort und besorgte sich ab und an ein paar Lebensmittel aus der Siedlung, die nun direkt vor ihm lag. Die verächtlichen Blicke der Bewohner war er mittlerweile gewohnt. Er scherte sich nicht mehr um das Gerede, das wegen ihm aufkam. Mit hängenden Schultern lief er geradewegs auf einen Stand zu, hinter dem ein älterer Mann mit blendend weißem Haar stand.

"3 Laibe Brot bitte."

Während der Bauer seiner Arbeit nachging, warf Erin verstohlene Blicke umher. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass nicht mehr als das übliche Misstrauen entgegengebracht wurde, bedankte er sich knapp, legte ein paar Münzen auf den langen Tisch und machte sich auf den Rückweg. Er hatte das Dorf schon fast hinter sich gelassen, da hörte er zwei Frauen miteinander tuscheln. Nur wenige Wortfetzen schnappte er auf, doch die genügten ihm, um schneller zu gehen. Als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, rannte er.

Völlig atemlos erreichte er seine Behausung.

/Er ist also doch hinter mir her. Ich muss schleunigst hier weg./

In überstürzter Hast packte er seine wenigen Sachen zusammen, wickelte 'Inauguration' trotz der Eile sorgfältig und mit aller Vorsicht in den braunen Stoff, knotete ein dünnes Seil herum und vergewisserte sich, dass das Buch sicher aufbewahrt war. Ohne einen Blick zurückzuwerfen machte er sich auf und davon.
 

"Wo ist er hingegangen?" Remiks harter Gesichtsausdruck schüchterte die Frau ein, die er am Arm gepackt hatte. Das hagere Weib deutete weg von der Siedlung in Richtung des Berges. "Männer, gehen wir!" Er schubste sie von sich weg, so dass sie auf die Holzbretter ihres Hauses prallte.

/Endlich hab ich dich! Ich kann es kaum erwarten, dich zwischen die Finger zu bekommen und zu zermalmen./ Sein höhnisches Gelächter ging im lauten Getrappel der Hufe unter. Als er seinem Pferd die Sporen gab, wieherte es und schwebte dahin. Remik trieb es den unebenen Hang hinauf, trieb immer wieder von neuem die Sporen in das erhitzte Fleisch. Als der Weg sehr schmal wurde, scheute der braune Hengst und warf seinen Reiter ab.

"Herr!?" Zwei Männer waren sofort von ihren Pferden gesprungen und griffen Remik unter die Arme, um ihm aufzuhelfen. Sobald er wieder auf den Beinen war, schüttelte er die beiden ab und fluchte dem Tier hinterher, das das Weite gesucht hatte. "Herr, der Weg ist für die Pferde unpassierbar." Remik fauchte den Mann mittleren Alters an, der sich nicht einschüchtern ließ. Cholerisch wandte sich Remik um und stapfte los, seine Begleiter hinterher.

Auf der Lichtung angelangt, erspähte er den hinteren Teil einer Hütte.

/Also hier hast du dich die ganze Zeit versteckt. Nun sitzt du in der Falle!/

Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen deutete er seinen Männern an, sich um die Hütte herum zu postieren. Er selbst schlich sich nahe an die Tür und legte kurz sein Ohr an die modernden Bretter. Indem er den rechten Zeigefinger hob, gab er einem jungen Mann ein Zeichen, die Tür einzutreten. Dumpfes Zerbersten von morschem Holz war zu vernehmen. "Nun gehört es wieder mir!" Bevor Remik allen voran eintrat, konnte er schon die verängstigte Miene von Erin spüren. Als er sich in der leeren Hütte umblickte, wich jedwede Freude aus seinem Gesicht. Abgestandene Luft hüllte ihn ein.

/Zu spät... ich bin zu spät./

Wutentbrannt stapfte er wieder ins Freie.

"Dieser verdammte Narr ist mir schon wieder entkommen."

"Er kann nicht weit sein."

Interessiert schaute Remik den Mann an, der mit keiner Wimper zuckte. "Die Luft drinnen war warm und die Luft roch schwefelhaltig, das heißt, dass er uns vielleicht eine halbe Stunde voraus ist. Und es sind keine Spuren von einem Pferd oder sonst einem Reittier auszumachen. Folglich ist er zu Fuß unterwegs."

"Attilus!" Der junge Mann, der die Tür eingetreten hatte, trat vor. "Lauf zurück ins Dorf und bringe einen Ortskundigen her."

"Ja, mein Herr."

"Der Rest schaut sich weiter hier um."

Die Männer verbeugten sich und verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen.

/Er kann also nicht weit sein... sehr gut, sehr gut./ Er knetete seine Hände und das Grinsen war in sein Gesicht zurückgekehrt.

"Habt ihr was gefunden?", rief er in die hügelige Landschaft hinein. Von allen Seiten her drangen nur verneinende Antworten an sein Ohr.

/Dieser Erin weiß sich zu tarnen... doch er ist allein, das wird mein Schlüssel zur Macht sein./

"Sucht weiter!"

Nach einigen Minuten sah er seinen Gesandten zurückkommen, in Begleitung eines klein gewachsenen Mannes, der aber mühelos mit dem Jüngeren Schritt hielt, obwohl dieser jenen um mehr als einen Kopf überragte.

"Guten Tag, Herr. Mein Name ist Sandir Kohr.", stellte sich der Langbärtige vor. Seine weisen Augen glänzten im Licht des Tages und das Grün seiner Iris glich Smaragden.

"Also Ihr kennt jeden Winkel hier oben?"

"Jawohl, Herr."

"Wie weit kommt man in fünfundvierzig Minuten Fußmarsch?"

"Kommt darauf an, welchen Weg man wählt." Remiks drängender Blick ließ ich sogleich fortfahren. "Einer führt westwärts um den Gipfel herum und anschließend hinunter ins Tal der rennenden Wiesel. Der andere umgeht die Spitze des Berges ostwärts und mündet in den Feldern von Rentis. Letzterer ist der beschwerlichere und gefährlichere von beiden."

"Männer, wir teilen uns auf. Attilus, Unnar, ihr kommt mit mir. Wir folgen Herrn Kohr, der uns sicher über den im Osten gelegenen Weg führen wird."

/Erin wird mit Sicherheit diesen eingeschlagen haben./

"Tut mir leid, aber meine Familie erwartet mich." Sandir verbeugte sich kaum merklich und bewahrte seine kühle Distanz.

"Ihr werdet fürstlich entlohnt werden."

"Ihre funkelnden Steine möchte ich nicht haben." Noch im Sprechen wandte er sich ab und ging.

"Selbstherrlicher Trottel.", rief Remik ihm nach. "Also los, wir haben schon genug Zeit verloren."

Als er zum dritten Male über einen großen Stein gestolpert war, wünschte er sich, er hätte den leichteren Weg genommen. Doch die Gier, Erin selbst erledigen zu können, trieb ihn weiter an. /Nicht umsonst habe ich Kopf und Kragen riskiert, um hierher zu gelangen... es kostete mich Unmengen von Edelsteinen, um die notwendigen Informationen über Erins Erscheinen zu bekommen. Und beinahe wäre ich dabei selbst zugrunde gerichtet worden. Doch dem Bastard hab ich's gegeben.../ Mit Genugtuung erinnerte sich Remik an den Zweikampf, den er mit Werther Dunkolm persönlich bestritten hatte. Werther war der Graf des benachbarten Landes und hatte ihn herausgefordert. Da Remik mit faulen Tricks, die er bis heute nicht zugeben würde, gewonnen hatte, war Werther gezwungen zu offenbaren, wo er Erin gesichtet hatte. Aber nicht nur das. Es war noch um vielmehr gegangen. Um das Buch. Um 'Inauguration'.

/Es gleicht einem Kompass. Angeblich soll es die zukünftigen Geschehnisse vorhersagen. Die Geschichte, die darin erzählt wird, soll den Pfad weisen, dem der Auserwählte zu folgen hat, um Macht zu erhalten... deswegen ist Reiks so versessen darauf... ich werde ihm zuvorkommen. Und wenn ich es gefunden habe, dann werde ICH diese Macht-/ Eine aufgeregte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

"Da vorne ist etwas."

Remiks Augen folgten der Richtung, auf die der junge Attilus verwies. Aus der Ferne sah es wie ein Beutel aus, was sich dann auch bewahrheitete. Unnar hob ihn auf und roch daran. "Brot... man riecht es noch. Jemand hat ihn vor kurzem hier fallen gelassen."

"Erin."

"Gut möglich, Herr."

"Schneller... wir müssen schneller gehen. Bald haben wir ihn."

Alle beschleunigten den Schritt. Unaufhaltsam verfolgten sie Erins Fährte.

"Du entkommst mir nicht,", zischte Remik vor sich hin...

Chapter 17: Shadows are growing

Chapter 17: Shadows are growing
 

"Was hast du dir nur dabei gedacht? Du hast alle in Gefahr gebracht."

Jake neigte den Kopf zur Seite, er konnte das wutentbrannte Gesicht von Frederic nicht mehr länger erdulden. Seit sie im Hotel angekommen waren und Kiara außer Hörweite war, konnte der Angestellte der Familie Antawa nicht mehr an sich halten. Dass er in der Kirche so gelassen gewirkt hatte, konnte unmöglich von Dauer sein.

"Denkst du, ich wollte das? Wer konnte denn ahnen, dass so etwas passiert."

"Ich hätte dich aufhalten müssen."

"Dazu wärst du nicht in der Lage gewesen." Indem Jake wieder aufblickte, bekräftige er seine Aussage.

/Deine Augen wirken so kühl und zugleich besänftigend. Ich weiß sehr wohl, dass du hin- und hergerissen bist zwischen mir und meinen Eltern./

"..."

"Keiner von uns kann es ungeschehen machen. Also haben wir keine andere Wahl. Ich werde meinen Vater kontaktieren."

/Warum wirst du so blass? Was verheimlichst du mir?/

"..."

"Brich dein plötzliches Schweigen, denn es bringt uns nicht weiter."

Geräuschvoll ließ sich Jake auf einen Stuhl sinken. Das Scharren der Holzfüße auf den Fliesen schien für einen Moment den ganzen Raum zu füllen.

"Es würde dich aber nicht beruhigen."

"Kann es denn noch schlimmer werden? Schließlich hab ich dem Bösen" -Kiara...- "direkt in die Augen gesehen."

Nervös zupfte sich Frederic sein Hemd zurecht. Das reine Weiß unterstrich seine Unschuld. Jakes Schultern sackten nach unten. "Du willst doch nicht wirklich andeuten, dass..."

"Ich habe gar nichts!"

"Stimmt, du starrst mich nur an und sagst mir nicht, was Sache ist."

"Der Eid... du weißt, dass ich ihn nicht brechen kann."

"Grrr, diese Geheimhaltungen.... Obwohl ich meine Eltern mittlerweile einigermaßen verstehen kann, dass sie eine wichtige Aufgabe haben und darum mein Leben in dieser Weise verlaufen ist, dass ich auf sie hätte hören müssen und Kiara nicht hätte mitnehmen dürfen, dennoch... möchte ich doch nun das wieder gut machen, was ich verschuldet habe."

"Ich weiß, Jake. Glaubst du denn im Ernst, es fällt mir leicht, dich abzuweisen?"

Ein Seufzer. "Nein, natürlich nicht."

"..."

"Was machen wir nun?"

"Wir dürfen Kiara nicht mehr aus den Augen verlieren."

Die Dringlichkeit hinter diesen Worten gefiel Jake überhaupt nicht. Ja, er hatte das zweite Gesicht gesehen. Er hatte die Schmerzen, die es verursachen kann, am eigenen Leib gespürt.

/Warum nur?/

"Weil das Schicksal sich gewendet hat."

Konnte Frederic nun Gedanken lesen? Es war zwar nicht die erhoffte Antwort, doch sie wurde seiner Frage ziemlich gerecht.

"Was,... hmm, wie wirkt sich das aus?"

"Eine Kostprobe hast du doch bekommen."

"..."

"Geh schlafen, Jake. Das reicht für heute."

Er wollte etwas erwidern, doch Frederics Mimik ließ erahnen, dass es für diesen Moment genug war. Wortlos entfernte sich Jake...

/Sie brennt noch...obwohl Frederic sie genäht hat... selbst die Salbenmischung scheint keinerlei Wirkung zu haben... die Wunde... von der dunklen Macht zugefügt... eine Kostprobe?.../

Behutsam strich sich Jake den weiten Ärmel seines frischen Hemds zurück und warf einen Blick auf den in Bandagen gelegten Arm.

/Wenn dies nur eine Kostprobe gewesen sein sollte.../

Sein Blick schweifte nach oben. Die Wolken hingen schwer am Himmel, schienen die ganze Last zu tragen, die er gerade empfand. Kalter Wind stob ihm durchs Haar, ließ es aufbäumen. Der Anbruch des Morgens stand kurz bevor.

/Wachet ihr Götter, gebet Acht. Vergebet unsere Sünden, nehmet von uns unsere Schuld. Geleitet uns in die Beichte, weiset uns.../

Mit gefalteten Händen stand Jake in den ersten Boten des heranbrechenden Tages.
 

Eine beklemmende Atmosphäre herrschte am Tisch. Jake stocherte mit einem silbernen Löffel, der am Ende nur eine Andeutung von Verzierung aufwies, in der Suppe herum, die vor ihm stand. Auch die anderen beiden schienen nicht wirklich Hunger zu haben.

"Tut mir leid, dass ich euch den Appetit verderbe."

Sowohl Jake als auch Frederic sahen sofort auf. "Das liegt nicht an dir.", kam es wie aus einem Mund. Kiara lächelte. Sofort ging in Jakes Herzen die Sonne auf. Wie schön es doch war, sie mal wieder erheitert zu sehen.

"Das steht dir."

"Was?"

"Na dieses Lächeln. Es ist attraktiv."

Sie errötete.

"Starre sie nicht so ungeniert an.", flüsterte ihm Frederic ins Ohr. "Das gehört sich nicht."

"Ach soll ich etwa dich anstarren?" Jake nahm seinen Freund ins Visier.

"Hör auf damit."

"Du wolltest es doch nicht anders." Eine lässige Handbewegung folgte, worauf Frederic sich zusammenreißen musste, ihm nicht die Zunge rauszustrecken. Kiara begann zu lachen.

"Ihr seid süß." Beide verzerrten angewidert das Gesicht.

"Männer sind nicht süß, das gebührt nur euch Frauen. Männer sind sexy." Jake spürte Frederics Ellenbogen in seiner Seite.

"Autsch, das hat wehgetan."

"Sollte es auch."

Erneut musste Kiara kichern.

"Das ist nicht witzig.", schmollte Jake.

"Doch ist es.", strahlte sie ihn an.

"Ich sag ja, dass dir diese Heiterkeit gut steht."

"Jetzt sag doch nicht schon wieder so was." Indem sie aufstand und die Teller zum Spülbecken trug, versuchte sie, ihr Herz zu beruhigen.

"Sag mal, Kiara. Soll ich dich dann zu deinen Eltern bringen?"

/Das geht nicht.../

"..."

"Nicht?"

"Nein, nicht nötig. Um ehrlich zu sein, ich würde gerne noch ein wenig hier bleiben."

Unentwegt schrubbte sie das Besteck, hörte Schritte und spürte dann warmen Atem in ihrem Nacken.

"Selbstverständlich kannst du hier bleiben. Ich dachte nur, du würdest zu ihnen wollen."

"Ich bin lieber hier."

/Ich kann nicht zurück... noch nicht./

"Gut, dann fahren wir später zu ihnen und holen dir ein paar Kleidungsstücke, ja?"

"Jake?" Noch immer reinigte sie das Geschirr ohne den Blick davon zu nehmen. "Könntest du das bitte allein erledigen?"

"Aber..."

/Es geht nicht anders./

"Bitte!"

"Aber..."

"Ist schon gut, Jake.", unterbrach Frederic die beiden. "Ich werde derweil mit ihr ein wenig spazieren gehen und später treffen wir uns im Sacrament of Live."

Fragend sah Jake um sich. Der Ältere gab ihm lautlos zu verstehen, dass er einfach das tun solle, was gerade von ihm verlangt wurde.

"Okay." Er gab Kiara einen Kuss auf die Wange. "Bis dann."

"Darf ich Ihnen etwas anvertrauen?", fragte Kiara, als Jake verwirrt die Tür hinter sich geschlossen hatte.

"Gewiss... wollen wir raus?"

"Gerne."

Frederic half Kiara in ihre Jacke und sie verließen ebenfalls das Hotel. Vereinzelte warme Sonnenstrahlen begrüßten sie. Eine kleine Amsel sauste knapp an Kiaras Gesicht vorbei. Sie sah ihr nach, bis sie zwischen den dichten Ästen eines Kirschbaumes verschwand.

"Frische Luft belebt den Körper."

"Und die Sinne."

"Sie lieben Jake auch, hab ich recht?"

"Ja das haben sie. Ich wünsche mir oft, er wäre mein eigenes Kind. Aber das bleibt bitte unter uns."

Sie schaute ihn freundlich an. "Ich werde das keinem sagen, versprochen. Doch ich muss Ihnen sagen, dass das offensichtlich ist."

"..."

"Kann Ihnen auch keiner verdenken. Jake ist mit all seinen Facetten ein wunderbarer Freund."

"..."

"Er ist aufgeweckt, freundlich, einfühlsam... er hat ein großes Herz."

Abrupt blieb Frederic stehen. Sie sah Wasser in seinen Augen glitzern.

"Es ist unabwendbar... Sie wollen ihn ebenso beschützen wie ich." Frederic nickte nur. Jedwede Anstrengung versuchte er aufzubringen, um die schrecklichen Gedanken in seinem Kopf abzuschütteln. Kiaras Blick ruhte unverwandt auf ihm. "Ich...", fuhr sie unsicher fort. "spüre es in mir. Noch immer. Ich kann es nicht abwehren."

"Ich weiß... und es wird nicht ohne weiteres vergehen."

"Kennen Sie eine Möglichkeit, wie ich... es besiegen kann?"

Nervös schaute sich Frederic nach allen Seiten hin um. "Nicht hier, kommen Sie", er legte kurzzeitig einen Arm um ihre Taille, schob sie vorwärts, "wir gehen in die Kirche. Dort ist es sicherer."
 

"Jake? Wo ist sie? Wo seid ihr gewesen? Was ist mit deinen Händen?"

Kaum hatte Cecil auf das Klingeln hin die Haustür geöffnet, überflutete sie Jake mit Fragen. Sie holte keine Luft und redete immer weiter auf den Jungen ein. Immer als er ansetzen wollte, etwas zu erwidern, stellte sie weitere Fragen und redete unentwegt in einem nicht enden wollenden Fluss. "Stop!", erhallte eine gereizte Stimme hinter ihr. "Hallo Jake, komm doch erst mal herein."

"Guten Tag Mister Ladeur." Erleichtert, dass David ihm zu Hilfe gekommen war, betrat Jake das Elternhaus von Kiara. Er war noch ganz benommen, als er sich auf den Sessel setzte, der ihm angeboten wurde.

"Wo steckt Kiara? Geht es ihr gut? Warum kommt sie nicht selbst? Was-"

"Es reicht nun!", ertönte abermals Davids Stimme in hartem Tonfall, wofür er einen beleidigten Blick seiner Frau erntete. Jake sah von einem zum anderen.

/Wie bringe ich es ihnen bei?... Cecil ist total aufgelöst. Auch David scheint nicht geschlafen zu haben.../

Tief holte Jake Luft. "Sie ist momentan bei Frederic. Kiara geht es den Umständen entsprechend gut."

"Was heißt 'den Umständen entsprechend'? Und was hat es mit deinen Verletzungen auf sich?"

Jakes flüchtiger Blick auf Kiaras Vater sagte ihm, dass auch er Antworten haben wollte.

"Vorgestern besuchte sie eine Kirche..." Er wich den durchbohrenden Augen aus, von denen er wusste, dass sie bis zum Ende auf ihm ruhen würden. "Sie war allein in dieser Kirche..." Ihm fiel ein großes Bild auf, das ihm gegenüber an der Wand hing. "... nunja sie war wohl doch nicht ganz allein dort." Ein kleines Mädchen strahlte ihm entgegen. "Also..."

"Wurde sie...?" Zuerst vermochte David es nicht auszusprechen. "Wenn sich jemand an meiner Tochter vergangen hat, dann,... dann..." Er ballte die Hände zu Fäusten.

"..."

Ruckartig erhob sich Kiaras Vater und funkelte Jake an.

"Es war kein Mensch..." Das kleine Mädchen strahlte Jake noch immer an. "Sie befand sich also in dieser Kirche und..."

"So weit warst du schon."

/Verdammt, wie kann ich ihnen das nur sagen?/

"Die dunkle Macht hat von ihr Besitz ergriffen." Nun war es raus, konnte nicht mehr ungeschehen gemacht werden.

/Ich spüre euer Entsetzen... und euren Drang, mehr zu erfahren./

Während Jake weiterhin das Gemälde nicht aus den Augen ließ, erzählte er ausführlich, was vorgefallen war. Am liebsten hätte er das Licht abgedreht, um nicht die besorgten und schockierten Gesichter zu sehen. Noch stärker konzentrierte er sich auf das Mädchen in dem roten Kleid.

/Da muss Kiara erst fünf Jahre alt gewesen sein. Schon da verzückte sie durch ihr Lächeln... bitte wendet euch endlich von mir ab, ich habe alles gesagt, was es zu sagen gab... ich halte nicht mehr lange stand... habt Erbarmen!/

"Das ist schrecklich, meine arme Kleine.", würgte Cecil bemüht hervor.

"Du hast uns noch nicht verraten, warum sie nicht mitgekommen ist. Wir möchten sie sehen."

/Ja warum?/

"Ich habe keine Ahnung."

"Wie...?"

"Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum sie nicht zu Ihnen wollte. Ich weiß es einfach nicht."

"Jake, bitte sag uns die Wahrheit."

Nun wurde der Jüngere ärgerlich. "Das mach ich doch schon die ganze Zeit.", fauchte er. "Ich bin ebenso um ihr Wohlergehen besorgt und wollte sie zu Ihnen bringen, doch sie lehnte ab. Schickte mich allein her. Warum? Das würde ich auch gerne wissen."

"Aber ich verstehe das nicht."

"Ich auch nicht."

Endlich wandte sich David von ihm ab. Jake fühlte, dass er mit ihm überein gekommen war. Dass er seine Anwesenheit nun so akzeptierte. Minutenlang hing jeder von ihnen seinen eigenen Gedanken nach. Was war nur geschehen, dass die eigene Tochter nicht nach Hause kehrte? Dass sie sich abwandte?
 

Das Sacrament of Live war in helles Licht getaucht. Der Glockenturm glich einer leuchtenden Säule, die so rein und unberührt erschien. Das Ziffernblatt aber barg zu dieser Zeit sein Geheimnis.

Im Inneren war einiges los. Ein paar Leute trugen große und kleine Apparate mit sich herum. Ab und an fotografierten sie, während sie aufgeregt in alle Richtungen zugleich sehen wollten.

"Ich glaube, die Touristen brechen bald wieder auf. Wollen wir bis dahin noch ein wenig an die Luft gehen?"

"Klingt vernünftig.", erwiderte Kiara erleichtert. In diesem Getümmel von Menschen fühlte sie sich unwohl.

"Das Sacrament of Live lockt viele Leute an. Das war bestimmt schon immer so!?"

"Ja war es. Es ist auch die schönste und mächtigste Kirche."

Frederic sah zur massiven Glocke empor und ließ seinen Blick über das gesamte Gebäude schweifen. "Zweifelsohne."

"Der Wielding rauscht... können wir uns dort oben ein wenig hinsetzen?" Kiara deutete auf den mittelgroßen Felsen, auf dem sie seit ihrem neunten Lebensjahr viel Zeit verbracht hatte. Beim Anblick wurde Frederic mulmig. "Keine Einwände.", entgegnete er dennoch gelassen.

"Was für eine Aussicht!" Sichtlich begeistert ließ er sich auf das harte Gestein neben Kiara nieder. "Von hier wirkt sie noch beeindruckender."

"Welche Möglichkeit gibt es?"

Die Freude wich sofort aus Frederics Gesicht. Ein Zucken umspielte seine schmalen Lippen.

"..."

"Hier sind wir ungestört."

"Aber nicht sicher."

"Wir müssen hinein..."

"Ja das müssen wir. Nur das Sacrament of Live selbst kann sie abwehren."

"Das dachte ich mir fast." Sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln.

/Jake hat recht... es macht sie unglaublich attraktiv.../

"Sie wissen gar nicht, wie sehr Jake mir immer wegen Ihnen in den Ohren gelegen hat. Er hat Sie schon angehimmelt, bevor ich bei seiner Familie zu arbeiten begann."

"Das hat er mir erzählt und es war mir nicht neu. Mir erging es nicht anders. Ich sah ihn stets in meinen Träumen und verlor mich von Anfang an in seinen tiefblauen Augen."

/Ihre Stimme trägt so viel Sehnsucht in sich... sie durften endlich einander spüren... und dann diese Nachricht... es sollte sich nicht wiederholen... es hätte niemals so weit kommen dürfen... um ihrer beider Willen.../

"Oh sehen Sie, dort oben! Sie winken sogar." Ein bunter Heißluftballon schwebte nur knapp über die Bäume hinweg, die rechts von ihnen ihre Wurzeln geschlagen hatten. Frederic hob eine Hand und grüßte die strahlenden Gesichter zurück.

/Ich möchte sie noch diese wenigen Minuten am alltäglichen Leben teilhaben lassen.../

Kiara würdigte Frederics Versuch, sie abzulenken, und winkte ebenfalls. "Freiheit,... frei bewegen sie sich."

/... Melancholie beseelt deine Worte.../

"Miss Ladeur, ich glaube, dass jeder Mensch seine Bürde trägt. Diese zwei dort oben mögen Ihnen im Augenblick frei vorkommen, doch ist nicht jeder irgendwie gefangen?"

"..."

"Bitte wenden Sie sich nun nicht von mir ab. Ich möchte Ihre Situation auf gar keinen Fall mit deren vergleichen, aber einen gewissen Ballast trägt jeder auf seinen Schultern."

"..."

"Ich wollte nicht unhöflich sein..."

"Nein sind Sie nicht. Ich verstehe, was Sie meinen. Obwohl sie diese Last tragen mögen, bergen Sie aber nicht die dunkle Macht in sich!"

Die Intensität ihrer Stimme machte Frederic bewusst, dass das Mädchen neben ihm momentan tatsächlich gefährlich war. Wenn das Böse in ihr wieder die Oberhand gewann, dann wäre er nirgends mehr sicher. Während er feinen weißen Staub von seinem dunkelbraunen Lederschuh wischte, beobachtete er, wie eine ganze Gruppe von Touristen aus der Kirche strömte.

"Ein jeder birgt das Böse in sich.", setzte er an. "Ein Teil der dunklen Macht schlummert auch in mir. Bei Ihnen... ist sie leider erwacht... Komm, gehen wir ins Sacrament of Live, es scheint nun soweit leer zu sein."

Mit einem unbehaglichen Gefühl kletterte er vom Felsen und folgte Kiara, die ihn zuvor für einen Moment verständnisvoll angesehen hatte, in die Kirche.

/Die Luft ist stickig... steht wie eine Wand, an der ich abprallen soll... begehe ich gleich Verrat?/
 

Als Jake mit einem kleinen Koffer die Treppe zum Erdgeschoss hinab stieg, wurde er von David zu einem Gespräch unter vier Augen gebeten.

"Komm bitte mit mir."

Jake folgte Kiaras Vater hinaus in den Garten. Auf dem satten Grün gingen sie hinab zu einer hölzernen Bank, die direkt vor einem Apfelbaum stand. Nachdem sie sich gesetzt hatten, schweifte Jakes Blick über das Anwesen. Bisher hatte er kaum was von Kiaras Zuhause gesehen, ihm war vor heute lediglich das Wohnzimmer bekannt gewesen.

/In den wenigen Tagen, die wir zusammen hatten, waren wir nie hier gewesen... deine Eltern haben mich nicht kennen gelernt. Und nun sitze ich mit deinem Vater hier... mit Blick auf die weiße Fassade... sie scheinen mir zu vertrauen... es gibt mir Kraft... verleiht mir eine Stärke, die mich erhebt.../

"Was wird geschehen, wenn sie es nicht abwehren kann?" Davids Stimme hallte leise in Jakes Kopf wider. Seine Augen verengten sich.

/... so unverblümt und ohne Vorwarnung... doch warum hätte er mich sonst herbeten sollen!?/

"Ich befürchte, sie wird zu dem schlummernden Teil in ihr, das bisher das Böse verkörperte, und umgekehrt. Das heißt die dunkle Macht wird den herrschenden Part übernehmen und sie in die ewige Finsternis bannen." Jake zitterte aufgrund seiner eigenen Antwort. Krampfhaft bohrten sich seine Finger in seine Kleidung, was einen stechenden Schmerz in seinen Händen hinterließ. Frisches Blut zeichnete sich auf dem Verband seiner Linken ab.

"Danke Jake."

"Wofür?"

"Ist das nicht offensichtlich?"

Der Jüngere schüttelte zerstreut den Kopf, blinzelte.

"Deine Ehrlichkeit zeugt von einer unschätzbaren Größe, Jake. Du warst nicht gezwungen, uns eine Nachricht von Kiara zu überbringen, wobei ich diese letzten Befürchtungen Cecil lieber selbst beibringen möchte... deshalb habe ich um diese Unterredung gebeten... Wir wussten so viele Jahre, dass Kiara etwas Besonderes ist, dass sie auserwählt wurde, um..." Er geriet ins Stocken, ordnete seine Gedanken neu. "Um gegen das Böse zu kämpfen... wir haben dieses Thema immer vermieden, wenn Kiara in unserer Nähe war. Wir haben sie damit nicht konfrontieren wollen, sie sollte aufwachsen wie jedes andere Kind in dieser Stadt, frei von Geschichten über alte Frauen, Sagen, Bestimmung und... Tod..."

"..."

"Immer wenn ich Kiara vor mir sah, verdrängte ich die Gedanken an damals, als uns offenbart worden ist, wer sie ist oder sein soll... meine Tochter eine Art Messias... diese Vorstellung war so absurd." David lachte kurz auf. "Und nun kommst du und erzählst mir, dass die dunkle Macht um ihre Seele ringt." Kräftig packte er Jake am Arm, schien sich daran festzuhalten, um nicht die Fassung zu verlieren. "Es ist alles wahr! Kiara kämpft gegen die dunklen Mächte! Wie es prophezeit wurde!" Nachdem er die letzten Worte fast geschrieen hatte, sackte er nun in sich zusammen. Sein Griff um Jakes Arm löste sich. Jake wusste nicht, was er sagen sollte; er fühlte sich von Davids Gefühlsausbruch überrollt. Minuten zogen dahin, Zeit verrann. Zeit, in der er bei Kiara sein wollte.

/Frederic ist bei ihr, sie ist in guten Händen... es wird nichts geschehen, bis ich... wieder bei ihr bin.../ Nervosität überfiel Jake. Obwohl er sich nun nichts sehnlicher wünschte, als ins Sacrament of Live zu gehen, blieb er neben David sitzen.

"Mister Ladeur, ich-"

"Ich weiß es zu schätzen, Jake... geben Sie Acht auf sie."

"Mister Ladeur, ich-"

"Ich baue auf Sie!" Erneut wurde der Jüngere unterbrochen, der nun mit offenem Mund auf den Boden blickte.

/Sein ganzes Vertrauen setzt er in mich... ich muss dem gerecht werden!/

"Tut mir leid, wenn ich nun gehe, aber ich muss zu ihr!"

Während seine Stimme noch die Luft zum Vibrieren brachte, stand er auf und reichte David seine bandagierte Hand.

/Ich kann nicht länger verweilen...Trotz der Binde drückt er kräftig zu... viele Emotionen spiegeln sich in seiner Iris wieder... ich versuche es, Mister Ladeur, ich will ja selbst, dass sie sie bezwingt./
 

"Nun haben Sie mich aber lange genug hingehalten. Doch bevor ich diese Möglichkeit, deren Existenz Sie nicht abstritten, hören möchte, muss ich Sie etwas anderes fragen."

Betrübt schaute Frederic auf das Kreuz, das hinter dem Altar hing. "Fragen Sie." In ihm brodelte es. Nein, er brauchte nicht zu raten; es würde Verrat sein!

"Ein Detail habe ich Jake verschwiegen. Es lässt mir einfach keine Ruhe. Diese Worte hallen ständig in meinem Kopf wider, immer und immer wieder..." Kiara schloss die Augen, verschränkte die Arme, um das Zittern ihrer Hände zu verstecken. "Als er mich zu sich holte, hat er was gesagt, was ich nicht verstand." Erwartungsvoll blickte sie nun zu Frederic, der bemüht war, ruhig zu wirken und seine Integrität zu bewahren. "'Das Blut in deinen Adern ist der Beweis.', erwiderte er, als ich meinte, dass ich ihm nicht gehören würde... was hat das zu bedeuten?"

Frederic runzelte die Stirn, befeuchtete seine trockenen Lippen. "Das kann ich Ihnen nicht beantworten." Entschuldigend erwiderte er ihren Blick. Sie konnte die Ehrlichkeit in den fast schwarzen Augen lesen. Betrübt ließ sie sich nach hinten fallen. Laut begann die Glocke zu läuten, deren Klöppel viermal gegen die harte Innenseite schlug. "Dann erläuten Sie mir bitte, wie ich sie besiegen kann." Das Flehen in ihrer Stimme löste Frederic aus seiner Starre, die ihn befallen hatte. Er dachte noch immer an das eben Gesagte. Angestrengt versuchte er, eine Parallele zu Kira ziehen zu können, doch er vermochte es nicht. Nichts, was er über die Vergangenheit wusste, passte. Tief atmete er durch, sein Brustkorb hob und senkte sich. "Diese Möglichkeit wird Ihnen nicht gefallen."

"Kann es denn schlimmer werden?"

"Ich befürchte."

"Ich muss es wissen." Sie hatte keinen Augenblick gezögert. Ihre entschlossene Miene ermutigte Frederic etwas, der eigentlich am liebsten gegangen wäre, um jeder weiteren Frage auszuweichen.

"Gut. Dann werden Sie es erfahren."

"Sagen Sie doch bitte 'du'."

Verdutzt sah Frederic in Kiaras dunkle Augen. "Bitte?" Er hatte sich gerade darauf eingelassen, ihr einen Weg mitzuteilen, der ihr helfen sollte, sich aus den Fängen der dunklen Mächte zu befreien, da wurde er von einer Nichtigkeit überrumpelt, die ihn aber sehr schmeichelte. "Gerne. Frederic.", sagte er und hielt ihr eine Hand hin. "Kiara." Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Plötzlich verdunkelte sich das Innere des Sacrament of Live. Hinter den bunten Mosaikfenstern erkannte man ein Flackern, das unstetig auf und ab wog.

"Die Schatten!", hauchte Kiara in die nun kühlere Luft. Sie fühlte, wie Wärme von ihrer Brust hinweg über den ganzen Körper strömte. Sachte pulsierte das Medaillon, das um ihren Hals hing.

"Sie können nicht eindringen."

"..."

/Hoffentlich beschwören sie nicht die dunklen Mächte in ihr empor.../ Einen verstohlenen Blick warf Frederic auf Kiara, die aber nicht verändert wirkte.

"Wir sollten ab jetzt alle Umschweife unterbinden. Beeilen wir uns!"

"..."

Nervös fuhr sich Frederic durch das dunkelblonde Haar.

"Nun werde ich dir etwas offenbaren, das unter uns bleiben muss."

"Sicher."

"Als er dich berührte, hat er ein Band zwischen euch geschaffen. So wie einst mit Kira. Und es gibt nur einen einzigen Weg, sich von ihm zu befreien... Dieser bedeutet, sich von dem Menschen zu trennen, der einem das teuerste und wertvollste auf der Welt ist... das heißt, du wirst dich von Jake... fernhalten müssen."

Völlig regungslos saß Kiara neben ihm. Wirre Bilder kreisten in ihrem Verstand.

/Von Jake trennen?... das geht nicht, das kann ich nicht... ich will nicht!/

"Gibt es denn keine andere-" Frederics Kopfschütteln ließ sie sogleich wieder verstummen.

"Tut mir wirklich leid."

Sie schluckte schwer. Statt all die Fragen zu stellen, die ihr in den Kopf schossen, saß sie nur hilflos da. Wie konnte das nur eine Möglichkeit sein? Zumal es die einzige sein sollte...

Benommen stand sie auf und hegte nur noch einen Gedanken: weg von hier! Gerade als sie im Begriff war, durch die schweren Türen der Kirche zu treten, stieß sie gegen etwas. Erschrocken sah sie auf und blickte direkt in Jakes tiefblaue Augen. Sie zitterte am ganzen Leib. Eine Hälfte wollte ihn festhalten und seinen Duft in sich aufsaugen, die andere ihn küssen und... Erhitzt stieß sie ihn von sich und rannte davon. Kleine Perlen hinterließ sie auf dem harten Boden vor Jakes Füßen, die in der Sonne wie Diamanten funkelten.

Chapter 18: Against Loneliness

Chapter 18: Against Loneliness
 

Völlig ratlos blickte Jake Kiara nach, wie sie allmählich zwischen den Bäumen verschwand, die am Fuße des Waldes zunächst vereinzelt, danach immer dichter, standen. Eine starke Hand auf seiner Schulter ließ ihn zusammenzucken. Er brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, wer hinter ihm war.

„Was ist passiert?“

„Die Wahrheit.“

„…“

„Du kannst nicht hinterher!“ Gewaltsam hielt Frederic den Jüngeren fest, der angesetzt hatte, Kiara zu folgen.

„Aber sie sind hier, ich kann sie spüren… darum muss ich zu Kiara, um sie vor ihnen zu bewahren.“

„Nein Jake!“ Der scharfe Ton beendete vorerst Jakes Widerstand.

„Frederic? Ich fühle mich wie eine… Marionette, deren Fäden in alle Richtungen zugleich gezogen werden… Mein Herz möchte aber nur einem einzigen Weg folgen… den du mir soeben verwehrst… Warum Frederic?“

Warmer Atem wurde ausgestoßen, der Jakes Nackten streifte. „Weil das der letzte Wille verlangt.“

„Psalm 21.“

„Ganz recht.“

„…“

„Nun musst du sie ziehen lassen.“

Abrupt wand sich Jake aus Frederics Armen. „Das kann ich nicht.“, erwiderte er und sah Frederic kurz tief in die Augen, in denen sich Besorgnis ungeniert abzeichnete. „Die Schatten werden sie umwerben und das kann ich nicht zulassen. Verstehst du das denn nicht?“, sprach er verzweifelt und rannte los.

/Doch natürlich…/
 

Im Wandel der Zeit die Urkraft vereint

mit den hohen Mächten der Welt,

das vorige Schicksal mit Recht verneint

hoch oben im prächt´gen Himmelszelt.
 

Der Blick hinab auf zwei Gestalten

lässt tiefes Grollen oben walten.

Der Weisheit Stund´ ist nah gerückt,

die letzten Schicksalsbeeren sind gepflückt.
 

Zwei Seelen wandeln allein umher

im Labyrinth des Seins wie jeher.

Der Sehnsucht Drang ist ungestüm

erhofft den Sieg übers dunkle Ungetüm.
 

Im Wandel der Zeit die Urkraft vereint

mit den hohen Mächten der Welt,

das vorige Schicksal mit Recht verneint

hoch oben im prächt´gen Himmelszelt.
 

Ziellos rannte Jake im Wald umher. Mit beiden bandagierten Händen schob er die Äste zur Seite, die den Weg zu versperren drohten. An der Rechten hing der einst weiße Verband teils zerrissen lose herab und feine Rinnsalen Blut zeichneten sich auf ihm ab. Auf seinem Gesicht konnte man pure Entschlossenheit lesen, die darauf schließen ließ, dass er sich allem stellen würde, das ihm in die Quere kam. Seine tiefblauen Augen funkelten eisig und fixierten jedes Stück Holz, das sich vor ihm erstreckte. Als er trotz geschickten und schnellen Bewegungen über eine weit auslaufende Wurzel stolperte, verlor er das Gleichgewicht und stürzte. Indem er sich mit den Händen abfing, durchzuckte ihn ein fürchterlicher Schmerz und er schrie kurz auf. Nur flüchtig sah er auf das Blut, das sich nun fließend über seine Linke ergoss. Das dunkle Rot war ihm kein Gedanke wert. Zu diesem Zeitpunkt gab es wichtigeres, für das jedwedes körperliches Leid reine Nichtigkeit darstellte.

Die Bäume standen immer enger beieinander und das spärliche Licht, das zwischen den dichten Baumkronen hindurch drang, erschwerte das Vorankommen enorm. Zum Teil nicht ahnend, worauf er trat, kämpfte er sich stetig weiter durch das Geäst. Im Inneren des Waldes wurden die Bäume zunehmend knorriger und die kahlen, harten Äste glichen mehr und mehr Ausgeburten einer dunklen Seele. Ebenso kalt und frei von Leben.

Sein Herz klopfte wild, nicht nur weil er seit mehr als einer Stunde gegen die Gewalt der Natur kämpfte, sondern auch weil er Kiara endlich in die Arme schließen wollte und sie partout nicht ausfindig machen konnte. Irgendwie spürte er ihre Nähe, doch diese Nähe konnte eine Weite sein, die er nicht zu verringern vermochte. Schwer wurde sein ganzer Körper, aber er zwang sich weiterzulaufen; weiter durch das Dunkel des Waldes, der immer tiefer zu werden schien. Zu allem Überfluss pochten die Selbstvorwürfe wieder in seinem Kopf, nagten an seinem Verstand und drohten ihn verrückt zu machen.

/Ja, ich hätte sie nicht allein lassen dürfen!/, schrie die Stimme in ihm förmlich. Mit blutüberströmter Hand strich er sich durchs Haar; es war eher eine unbewusste Geste, als dass er es mit Bedacht getan hätte.

Finstere Gestalten zogen an ihm vorüber, wollten ihn erneut zu Fall bringen, wollten ihn aufhalten, ihn daran hindern, weiterzukommen. Umwoben von Schatten und Kälte, die sich allmählich durch seine Kleidung fraß, umgeben von lauter Hindernissen, irrte er umher und fühlte Panik in sich emporsteigen.

/Du musst dem Bösen Widerstand leisten… bitte lass es nicht die Oberhand gewinnen… bald… bald bin ich bei dir, um… um dich zu beschützen…/

Ein lautes Kreischen ließ ihn hochfahren. Vergebens spähte er um sich, denn mehr als die Hand vor Augen war fast nicht mehr zu erkennen. Seine Augen weiteten sich vor Angst, die sich zu all den anderen Gefühlen in ihm gesellte und sich mit der Panik wohlwollend mischte. Er bebte. Sein gesamter Körper bebte, zitterte wie Espenlaub. Ihm kam es wie viele Jahre her vor, dass er bei den Ladeurs im Garten gesessen und mit Kiaras Vater geredet hatte, eine unerreichbare Vergangenheit.

/Von Anfang an war sie allein gelassen worden… allein mit ihrem Schicksal… Wollte sie deshalb nicht, dass ich bei ihr bin?.../

Ein dicker Kloß im Hals schnürte ihm die Kehle zu, drohte ihn zu ersticken. Er würgte. All seinen Schmerz wollte er erbrechen, doch lediglich ein undefinierbares Würgen entwich seiner Kehle.

/Warum darf ich mich nicht… der Last befreien?... Nur ein klein wenig?/

Kraftlos trat er gegen einen der zahlreichen Bäume und hörte das leise Knacken, als sein Fuß wieder auf dem morschen Untergrund aufsetzte. Plötzlich spürte er etwas auf seiner Wange krabbeln und fiel beinahe rücklings zu Boden. Angewidert strich er sich übers Gesicht, immer und immer wieder, um ja sicher zu gehen, dass das, was einen kalten Schauer über seinen Rücken jagte, auch wirklich beseitigt war. Trotz der fehlenden körperlichen Vermächtnis lief er weiter, krallte sich zunehmend mehr an die Baumstämme, um nicht doch vor Erschöpfung umzukippen. Kleine helle Sterne tanzten vor seinen Augen, weshalb er diese fest zusammenkniff.

/Ich… muss… sie… find-/

Noch ehe er seinen Gedanken zu ende brachte, sank er ohnmächtig an einem harten Stamm gleitend zu Boden…

Nach wenigen Minuten schon kam er wieder zu Bewusstsein, musste aber heftige Kopfschmerzen in Kauf nehmen, die seinen Verstand stark benebelten. Als er die Augen aufschlug, brauchte er eine ganze Weile, um zu registrieren, wo er sich befand. Um sich tastend zog er sich mühsam auf die Beine und rieb sich massierend die Schläfen.

/Wo… bin ich?/ Mitten im nächsten Atemzug stockte er. /Kiara! Wie lange hab ich hier gelegen? Wie weit hat sie sich entfernen können?... Autsch!/ Er sank mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück auf die Knie und hielt sich den Kopf, der sich wie eine überreife Tomate, die kurz vorm Platzen war, anfühlte. Tränen des physischen Leids sammelten sich unter seinen Lidern und ließen diese munter zucken. Das tiefe Blau war nur noch ein Schatten, unterjocht vom silbrigen Glanz des spiegelnden Wassers. Verzweifelt strich er sich die Perlen mit dem Handrücken weg, hinterließ dabei rote und gräuliche Spuren, die fast gänzlich vom halb getrockneten Blut seiner Linken stammten. Unter Qualen schob er die Rechte in seine enge Hosentasche und holte sie mit einem kleinen Knäuel wieder aus ihr hervor. Mit zitternden Fingern stob er den Mull auseinander und wickelte ihn ein wenig ungeschickt um die blutige Hand.

Lautes Rascheln ließ ihn mitten im Verknoten der beiden Enden miteinander innehalten. Jake sah in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und wankte beschwerlich auf das dichte Geäst zu, das ihm seine Zweige tödlich entgegenstreckte.

„Kiara?“, sprach er so leise, dass er sich selbst kaum hörte. „Bist du das?“

Nur gähnende Stille bekam er zur Antwort. Vorsichtig schob Jake ein paar Äste zur Seite, beugte sich weit hinunter und lugte ins restliche Gestrüpp hinein. Wie aus dem Nichts flog ihm ein dunkles, kreischendes Etwas entgegen, streifte ihn mit harten, unebenen Flügeln, so dass er es als Vogel identifizieren konnte. Keuchend vor Schreck fiel er nach hinten und kam unsanft mit dem Hintern auf dem nicht gerade weichen Untergrund auf.

„Verdammt!“

Mit wütendem Blick sah er der Kreatur hinterher, verlor sie nach wenigen Augenblicken schon aus den Augen, da sie von der Finsternis alsbald verschluckt wurde. Wirr schüttelte er sein Haupt.

/Unmöglich!... niemals…/

Oder doch? War das tatsächlich…?

Fragend strich er sich eine Strähne zurück, fuhr sich über die Wange hinunter zum Kinn, das er nach oben schob, um nicht länger mit offenem Mund in die Leere starren zu müssen.

„Aquila chrysaetos.“
 

/Wie kann das der einzige Weg sein? Warum soll mir gerade das genommen werden, für das es sich zu leben lohnt?... Jake hat mich stets in meinen Träumen begleitet; ich konnte mich, wenn auch nur gedanklich, an ihm festhalten, wenn ich zusammenzubrechen drohte… vor einigen Tagen, sieben um genau zu sein, durfte ich ihn das erste Mal tatsächlich berühren, seine weiche Haut unter meinen Fingern spüren, ihn an mich ziehen und umarmen, ihn küssen und… zu einem Ganzen mit ihm verschmelzen… Nun soll mir all das genommen werden, mir mein Lebenselixier entrissen werden?/

Kiaras sanfte Augen umschlossen das salzige Nass, das seit vielen Minuten unablässig aus ihnen strömte. Mit angewinkelten Beinen und um diese verschränkten Armen lehnte sie an einem großen, dicken Baumstamm, dessen Blätterdach weit in den Himmel ragte, aber so weitläufig war, dass dieser Riese wie ein Schutz und Geborgenheit gebender Vater wirkte, der seinen Schützling vor allem Schlechten auf der Welt fernhalten wollte, wie einen Säugling im Mutterleib mit Wärme nährte.

Sie fühlte, dass ihr Herz wie unter einer heißen Stichflamme brannte, verglühte, bis nur noch feine Asche übrig blieb, die vom Blut im gesamten Körper verteilt wurde, so dass auch ja jeder Zentimeter von ihr einer Begräbnisstätte glich.

/Möchte ich denn ohne ihn überhaupt die dunklen Mächte… bezwingen?/

Eine Hand kroch unter ihre Bluse und zog das Medaillon, das sie stets um den Hals hängen hatte, hervor, wog es geringschätzig vor und zurück, um es letztendlich nur noch anzustarren.

/Gegeben vor acht Jahren, getragen bis heute… Wozu???

Warum habe ich es nie abgenommen, wenn es mir doch kein bisschen Glück beschert? Mit diesem Medaillon hat alles begonnen… zahllose schlaflose Nächte, auf Fragen ausweichende Eltern, nagende unwissende Stunden, qualvolle Einsamkeit…/

„Ich war doch erst neun Jahre alt, verdammt!“, wollte sie schreien, doch kein einziges Wort drang über ihre trockenen Lippen.

/Als ich in seine blauen Tiefen sah, wurde mir bewusst, dass ich nicht mehr allein bin. Da wurde mir erst so richtig klar, dass es den Mann aus meinen Träumen, Visionen (?), wirklich gab, ich mir nicht nur alles eingebildet hatte vor Sehnsucht, dass er wegen mir nach Trumity gekommen war,… nur wegen mir… Warum wird nun gefordert, dass ich mich von ihm distanzieren muss? Noch schlimmer: ihm völlig entsagen?/

Kiara begriff es einfach nicht. Dass Abstand und Trennung ein Weg sein sollte, gegen das Böse erfolgreich anzukämpfen, wollte ihr Verstand nicht verarbeiten. Alles in ihr sträubte sich strikt gegen so eine abstruse Vorstellung. Vorsichtig tastete sie nach dem kleinen silbernen Verschluss der Kette, öffnete ihn und hielt kurz darauf die vielen aneinander gereihten Glieder ohne das Medaillon in den Händen. Letzteres war achtlos auf den Boden gefallen und nun keines Blickes mehr gewürdigt. Als sie zart über das glänzende Silber strich, fühlte sie sich völlig leer und unvollkommen.

„Ist das mein Schicksal?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein feiner Lufthauch, der bei der leichtesten Berührung zerbarst.

Jedwede Farbe wich ihrem Teint und die Blässe, die sie nun zierte, hätte einer weißen Engelsfigur unumstritten Konkurrenz bieten können. Leise Tränen rannen heiß über ihre farblosen Wangen und zersprangen beim Aufprall auf dem harten Untergrund in tausend Stücke. Das salzige Nass verschleierte das dunkle Braun ihrer Augen und ließ Kiara verschwommen ins Leere starren. Wie in Trance sah sie durch das funkelnde Silber und ihre Hand darunter hindurch, entmaterialisierte alles Feste und Greifbare, hob jegliche Substanz auf und verwandelte sie in ein schwarzes Nichts. Ein Nichts, das sie anzog und ihr auf unheimliche Art und Weise angenehm, ja wohl gesinnt, war. Der Puls in Kiaras Adern verlangsamte sich zunehmend, ihr Körper verlor an Temperatur, wurde eiskalt. Ihr Blick war nur noch ein einziges Stieren und obwohl die Tränen allmählich versiegten, trüb. Feiner Nebel schien ihre Netzhaut zu überziehen, der völlig glanzlos, richtiggehend matt war.

Überm Sacrament of Live verdichteten sich dunkle Wolken, die von allen Seiten zugleich herzogen und sich über dem hohen Glockenturm zentrierten. Scharfer, stechend kalter Wind zischte um das undurchlässige Gestein der Kirche, fing sich in den Fugen zwischen den einzelnen Steinen und verursachte dröhnendes Getose. Frederic, der sich noch in der Kirche aufhielt, legte die Hände gefaltet in seinen Schoss, bedeckte das schon ins Schwarz gehende Braun seiner Augen. Wehmütig lauschte er dem peitschenden Wind, der das Gebäude einnehmen zu wollen schien. Bis auf Frederic befand sich niemand mehr im Sacrament of Live und er hatte auch nur aus einem Grunde noch dort verweilt.

„Ich habe Verrat begangen. Oh, ihr hohen Mächte, vergebet meine Sünde. Ich habe nicht unbedacht gehandelt, doch mich von meinen Emotionen zu sehr leiten lassen. Das, was ich getan habe, werde ich…“

Mit wild klopfendem Herzen riss er die Augen, in denen sich fast schon irre Entschlossenheit widerspiegelte, auf.

„NICHT bereuen!“

Vehement erhob er sich von einer der vielen Bänke, verkrampfte sich kurz mit der Rechten im weichen Stoff seiner Hose und sah lange mit zusammengekniffenen Lippen in die Weite der Kirche, die ihm mit all ihrer Pracht entgegenzutreten schien.

/Mein Eid ist nicht gebrochen… Die Geheimnisse der und um die ’Inauguration’ zu bewahren, mit all meiner Liebe und Kraft Jake aufzuziehen und wie meinen Herrn und zugleich Freund zu behandeln, Mister und Misses Antawa zu vertreten, wenn sie im Tempel verweilen, habe ich geschworen./

„Habe ich je einen schwerwiegenden Fehler begangen?“, fragte er leise in die kalte Luft hinein, die um ihn herum leicht vibrierte. „Habe ich meine Herrn wirklich verraten? War ich denn nicht zehn Jahre lang treu gewesen?“ Seine Stimme trug keinerlei Vorwürfe in sich, klang eher ruhig und erwartungsvoll, forderte die menschenleere Kirche zu einer Antwort auf. Der Sturm, der sich ums Sacrament of Live, zusammenbraute, umspielte die massive Glocke, die ganz wenig vor und zurück schwang.

„Die wahre Bedeutung von Psalm 21 habe ich Jake verschwiegen trotz meines innerlich aufkeimenden Wunsches ihn in die Arme zu nehmen und ihm zu sagen, dass sein neues Schicksal tiefe Wunden in seine Seele klaffen, ihn zerreißen wird, wollte ihm gleichzeitig Nähe geben… SIE hatte so was Ähnliches bereits geahnt. Die Berührung mit den dunklen Mächten verlieh Kiara eine Ahnung, welche Schmerzen und Ängste auf sie beide zukommen werden… Sollte ich ihr in die Augen blicken und dabei lächelnd sagen, dass alles gut wird und Sorgen unberechtigter Natur sind? Heißt es denn nicht: ‚Du sollst nicht lügen!’ ?“

Der Wind wurde so stark, dass er tatsächlich die schwere Glocke zum Läuten brachte. Die dumpfen Klänge füllten im Nu die gesamte Kirche, umschlossen Frederic, der in schnellen Atemzügen zum Altar lief. Auf die Knie fallend legte er behutsam die Handflächen auf den schwingenden Stein.

„Für mich war dies der einzig richtige Weg.“

Die unendliche Leere zog Kiara immer tiefer in ihren Bann, umgarnte sie und eröffnete ihr eine Schwerelosigkeit, die sie sanft durch Raum und Zeit gleiten ließ. Die bedrückende Last, die sich seit zwei Tagen von ihrer Angst ernährt hatte, glich von der Schwere allmählich nur noch einer Feder, die friedsam schwebte. Die plötzliche Freiheit, die Kiara verspürte, nahm sie ungehindert ein, entfernte sie immer weiter von der grausamen Realität. Widerstandslos ließ sie sich von dem feinen Nebel einnehmen, der sie verlockend, aber besitzergreifend umgab. Indem sie von allen Gedanken und Gefühlen abließ, stürzte sie sich hinab in die reizvollen Tiefen des Nichts, entsagte sogar der stärksten Empfindung: der Liebe…

Es vergingen viele Minuten, in denen Kiara reglos am Baum lehnte. Die Luft um sie herum schmiegte sich kühl an ihre aschfahle Haut, strich ihr ganz zärtlich über die Wangen. Eine Haarlocke, die seitlich herabfiel, rundete ihr hübsches Gesicht ab, das ausdruckslos und jeglicher Emotionen beraubt vom Windhauch eingefangen wurde. Das dichte Blätterdach schützend über ihr raschelte ganz leise, summte melodisch die Abenddämmerung begrüßend. Beruhigende, warme Klänge drangen an Kiaras Ohr.

/…entrinnen, durch die Unendlichkeit schweben… er… leicht wie eine Feder… von Jake trennen… schwerelos… JAKE!?/

Ihre Lider begannen heftig zu zucken und der Schleier, der ihre Augen umgab, wurde nach und nach durchsichtiger, doch ehe er sich vollkommen auflösen konnte, wurde er schon wieder weißlich und die Iris darunter färbte sich schwarz.

Das Summen des Baumes gewann an Intensität, brach nun bedrohlich die Stille, die ansonsten in der Umgebung herrschte. Weder muntere Vogelstimmen noch aufgebrachtes Quieken oder Knurren anderer Tiere mischten sich in das Lied des Riesen.
 

„Der Aquila chrysaetos hier im Herzen des Waldes.“ Ungläubig schaute Jake noch immer auf die Stelle, an der die Finsternis den Adler verschluckt hatte. Seine Stimme verlor sich zwischen den dicht stehenden Bäumen, die ihn eng umwoben, nur zu einen Seite eine große Lücke bildeten, in dessen Richtung sein Gesicht gewandt war. Das Adrenalin, das seinen Körper ganz plötzlich durchflutet hatte, als ihm der Vogel entgegen geflogen kam, wurde allmählich weniger, reichte aber noch aus, um ihn sein Herzschlag hören zu lassen. Unruhig wippte sein rechter Fuß auf und ab, er vermochte einfach nicht still zu stehen. Was ging nur vor sich? Wie konnte es möglich sein, dass ein Vogel dieser Größe zwischen so vielen Ästen, die teils unüberwindbaren Hindernissen glichen, so mühelos hindurch fliegen konnte? Warum verirrte er sich überhaupt hierher?

Nervös wischte sich Jake ein paar Schweißtropfen von der Stirn, die trotz der Kälte seine Haut benetzten. Unter den blutverschmierten Wangen konnte er die Hitze fühlen, die ihn übermannte. Die rote Flüssigkeit in seinen Venen kochte. Er drehte sich im Kreis, sah hinauf zum fast lichtundurchlässigen Blätterwerk, streckte die Arme über sich aus.

„Wo bist du?“, rief er erregt und vollkommen erschöpft zugleich.

Da er keine Antwort erwartete, senkte er den Blick sofort wieder und trug nur noch die gewaltige Sehnsucht in sich, Kiaras Lippen auf den seinen spüren zu dürfen. Die Gedanken an sie waren so intensiv, dass er ihren letzten Kuss noch immer schmecken und ihr samtenes Haar zwischen seinen Fingern spüren konnte. Er konnte ihre Zunge buchstäblich die seine umspielen fühlen. Mit der Faust hieb er auf die braungraue Rinde einer Tanne neben ihm, die es ihm mit einem stechenden Pulsieren dankte. Jake verzog das Gesicht, hätte am liebsten viele weitere Male auf den Stamm eingeschlagen, doch besann sich aufgrund der blutdurchtränkten Bandagen eines besseren.

/Mist… die Zeit verrinnt… rücksichtslos, ganz und gar unwürdigend meiner Bemühungen… ehe ER von ihr Besitz ergreifen kann, muss ich bei ihr sein… sie braucht mich!/

Fehlender Hoffnung verbarg er das tiefe Blau und versuchte Kiaras Aufenthaltsort mit einer Art siebten Sinn auszumachen. All seine Gedanken konzentrierte er auf das Mädchen, das er seit Anbeginn des Bewusstseins ihrer Existenz liebte, über alle Maßen begehrte. Jake entspannte seine Muskeln, entledigte sich aller Krämpfe, ließ seine Arme locker an den Seiten herabhängen. Sein Atem wurde flach, sein Brustkorb hob und senkte sich immer langsamer, bis er einen angenehmen Rhythmus gefunden hatte und bei diesem blieb. In seinem Kopf kristallisierte sich ein Bild aus sämtlichen Erinnerungen und Erlebnissen, die sich um Kiara drehten, heraus: das kleine Mädchen in dem roten Kleidchen, das ihn im Wohnzimmer der Ladeurs so freudig angestrahlt hatte. Alle anderen Gedanken traten in den nebligen Hintergrund, verschwanden in den Tiefen des Unterbewusstseins. Beim Anblick des unbeschwerten, frohen Kinderlachens zuckten seine Mundwinkel, hoben sich leicht zu einem dankbaren Lächeln. Das Bild in seinem Verstand wurde immer schärfer und seine Farben wurden anhaltend greller, leuchteten irgendwann so stark, dass er glaubte, das Licht könnte jeden Winkel in ihm füllen, hinter die Türen seiner Vergangenheit spähen. Das Mädchen manifestierte sich in jeder einzelnen Gehirnwindung, sendete wohlige Empfindungen an seinen Körper, durchflutete ihn mit der reinen Macht der Liebe.

/Wo bist du?/

Die Frage wiederholte er immer und immer wieder. Das Bild in dem goldenen Rahmen begann sich zu drehen, erst langsam, dann zunehmend schneller, bis es urplötzlich wieder still stand. Jake sah vor seinem inneren Auge die etwa fünfjährige Kiara, die ihren anatomisch gesehen linken Arm gehoben hatte und mit dem Zeigefinger von sich weg in die Ferne deutete. Mit einem Mal riss Jake die Augen auf, versuchte, ruhig zu bleiben und das Bild in seinem Kopf auf die Außenwelt zu übertragen.

/Sie hält den Arm ungefähr im 120°-Winkel zum Körper von sich weg… das heißt, da ich ihr Gesicht sehe, ich muss um circa 60° rechts hinter mir-/

Ruckartig drehte er sich ein Stück um die eigene Achse, sah in das Dunkel des Waldes hinein und fasste sich an die Brust.

„Ich komme!“, wisperte er zuversichtlich.
 

Kiara wog sich im Lied des Baumes, das sich so sanft und wohlig um sie schloss, sie unsichtbar in die Arme nahm. Sie wusste nicht, was sie so angenehm in seidene Fäden spann, doch sie konnte nicht umhin, sich völlig dem barmherzigen Gefühl hinzugeben, das sie so zärtlich berührte. Selbstvergessen taumelte sie in ihrem schwarzen Nichts, das sie von allen Seiten umgab und nicht wieder hergeben zu wollen schien. Wie weit sie der Realität bereits entglitten war, vermochte keiner zu sagen, doch ihre äußerliche Leblosigkeit ließ darauf schließen, dass das Stadium von Tiefenforschung bedrohlich fortgeschritten war. Das schwarze Nichts spiegelte sich unter dem nebligen Weiß in ihren Augen wider und verstärkte die Vermutung, dass sie weitab von allen wirklichkeitsnahen Sphären verharren musste. Das nachdrückliche Summen streifte nicht nur ihr Ohr, sondern beseelte ihr Herz, das sie schon abhanden glaubte. Es schmiegte sich sachte um das pochende Organ, das zwar langsam, doch unablässig, Blut in die Arterien pumpte. Während Kiara in den sacht gesungenen Noten schwamm, fühlte sie eine unerwartete Wärme in sich aufwallen; eine Wärme, die ganz und gar nicht zu dem absoluten Nichts passte. Aber seltsamer Weise glich sie der Hitze, die sie vor gut einer Woche im Sacrament of Live verspürt hatte. Nein, nicht gänzlich, doch so unendlich verwandt. Die Glut breitete sich vom Herzen aus hinein in alle Glieder, bis vor zu den Fingerspitzen und hinunter in die Fußzehen. Eigentlich war es grotesk: einerseits schwebte ihr Verstand in einem finsteren Loch, das sie nicht wieder preisgeben wollte, andererseits begann ihr Herz zufrieden im warmen Bett zu schlagen.

Sich in dieser Zwiespalt befindend verstrich die Zeit bizarr schleppend. Die Sekunde wurde zur Minute, die Minute wurde zur Stunde, die Stunde… zur Unendlichkeit. Kiara fühlte ihren Körper wie noch nie zuvor, er war so gegenwärtig und so real, selbst das Blut wollte sie fließen spüren. Denken konnte sie in ihrem Zustand nicht, aber irgendwie war ihr bewusst, dass sie sich an einem fremden Ort aufhielt, der nichts Gutes verhieß. Immer wenn sich ein Gedanke in ihrem Verstand klären wollte, wurde er ihr genommen, bevor sie ihn auch nur im Entferntesten fassen konnte.

Es musste eine Ewigkeit vergangen sein, ehe sich eine ihrer Hände plötzlich regte, mit den Fingernägeln über den staubigen Boden strich und sich in diesem verkrallte. Hätte man offenbart, dass nur fünf Minuten vergangen waren, seit die Wärme durch ihren Körper strömte, wäre man angemaßt worden, die Unwahrheit zu sagen. Doch es stimmte. Tatsächlich bewegte sie sich, wenn auch nur reflexartig.

„Dein Widerstand lohnt sich nicht. Es hat keinen Zweck sich gegen mich aufzulehnen, denn du wirst kläglich vernichtet werden.“ Eine durchdringende Stimme ertönte aus dem schwarzen Nichts, hallte von überall her wider und wollte die Worte einfach nicht verklingen lassen, denn sie wurden unentwegt von unsichtbaren Mauern zurückgeworfen. Kiaras Verstand schlug Purzelbäume, versuchte zum Stillstand zu kommen, dem Drehen ein Ende zu bereiten, war dazu aber noch nicht imstande. „Dein kleiner Freund wird gleich nach dir dem Tod ins Auge sehen müssen.“ Das hart betonte Wort ’Tod’ wiederholte die unerwünschte Stimme unzählige Male, schien nicht vorzuhaben, je wieder damit aufzuhören. „T-o-d, T-o-d, T-o-d, T-o-d…“ In Kiaras Kopf vollführten die Gedanken die waghalsigsten Saltos und setzten zu immer neuen Sprüngen an. Qualenvolle Sekunden hämmerte eine unerträgliche Hand gegen die empfindliche Haut ihres Hauptes und schien sie in Stücke schlagen zu wollen. Gedanke um Gedanke legte sich über die folternde Hand, wollte sie von ihrem schändlichen Werk abhalten, aber noch jede so intensive und glückliche Erinnerung wurde vernichtend abgewehrt. Innerlich schrie Kiara, schrie wie verrückt um ihr Leben, erhob ihre eigene Stimme gegen das Unheil. Der Klang ihres Schmerzes legte sich behutsam um das versinnbildlichte Fleisch, ergriff es dann fest und wand sich anschließend hinein, bohrte sich in die Haut und zerstörte sie von innen heraus, bis nichts mehr von ihr übrig war.

„Nicht schlecht. Aber das wird mich nicht aufhalten. Du bist zu schwach, als dass du ihn retten könntest. Zu lange habe ich warten müssen, um an SEINER Seite stehen zu dürfen. Ich lasse nicht zu, dass mir diese Möglichkeit noch einmal geraubt wird. Herrschen möchte ich, zusammen mit IHM die Welt in die Dunkelheit bannen und euch Menschen wie willenlose Gestalten ins Verderben schicken.“ Ein krankhaftes Lachen unterstrich die genannten Pläne und ließ sie noch grausamer erscheinen. „Das erste Opfer bist du! Ganz langsam wird deine Seele aus deinem Körper weichen müssen, um mir die Hülle zu geben, die ich benötige.“

Zwar konnte Kiara nicht klar denken, doch die Worte brannten in ihrem Verstand und sie wollte sich mit aller Macht wehren, war aber nicht fähig, auch nur das kleinste Wort zu erwidern. Stattdessen hörte sie immer weiter die schrecklichen Dinge, die ihr so unverblümt und ernst mitgeteilt wurden. „Deine Seele ist rein; es wird mir ein Vergnügen sein, dich ihrer zu entledigen. Was dein Geliebter wohl tun wird, wenn er zwar dein schönes Abbild sieht, doch du nicht mehr der wahre Gehalt bist? Ich sehe ihn schon vor mir, wie er dich, nein mich fassungslos, verletzt, oh vielleicht wütend anblicken wird… was für eine genüssliche Vorstellung, findest du nicht auch? Erst werde ich ihn verführen, ihn zu meinem Spielzeug machen, um ihm dann in höchstem Moment der Erregung den Todesstoß zu versetzen.“

Da dies für Kiara zu viel wurde und sie sich auf irgendeine Art und Weise der überhand genommenen Angst befreien musste, begann ihr Körper zu zucken und ihre Hand vergriff sich in dem kalten Boden des Waldes. Hätte ihre Physis nicht als Ventil fungieren können, wäre sie an den Worten ihrer Widersacherin erstickt. Zu furchtbar und abscheulich waren sie, als dass Kiaras eher sanftes Gemüt sie ertragen konnte. Ein innerliches Leuchtfeuer bemühte sie sich zu entfachen, um endlich Licht ins schwarze Nichts zu bringen. Angestrengt versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen, sie in Reih und Glied zu stellen und somit eine Grundlage zu schaffen, die ihr eine starke Gegenwehr ermöglichen sollte. Mit aller Macht konzentrierte sie sich, verdrängte die andere Stimme in ihrem Verstand, vermochte dies zumindest so lange, dass sie wieder einigermaßen vernünftig denken konnte. Als sie dann auch ihre eigene Stimme wiedergefunden hatte, erhob sie sie bestimmend, richtete sie gegen das Böse. „Vielleicht bin ich in deinen Augen nicht stark und ein Niemand, von dem du glaubst, ihn ohne weiteres besiegen zu können, doch ich habe noch nie kampflos aufgegeben.“

„Wie süß, eine Kampfansage. Ich zittere vor Angst.“ Schallendes Gelächter hämmerte in Kiaras Verstand. „Wenn du mir nur solche tatenlose Worte entgegenbringen kannst, dann knie dich sofort hin und zolle mir den Respekt, der mir gebührt.“

„Vor dir hinknien?“, wiederholte Kiara nervös, ließ ihre Stimme aber sogleich wieder ruhig werden. „Zu so etwas werde ich mich nicht zwingen lassen.“

/Ich darf Jake nicht mehr sehen, doch dass er durch IHRE Hand stirbt, widerstrebt mir erst recht…/

„Es widerstrebt ihr… oh das tut mir aber leid. Denkst du wirklich, du kannst irgendwas gegen mich ausrichten?“

Kiara erschrak. Dass ihre Gedanken so ohne weiteres gehört werden konnten, entblößte sie, machte sie zum gefundenen Fressen. Wie sollte sie herausfinden, wie sie gegen die dunklen Mächte siegen konnte, wenn sie nicht mal ein einzelnes Wort denken konnte, ohne dass SIE es mitbekam?

„Ja was willst du denn gegen mich unternehmen?“

Schon wieder wurde sie ertappt, was sie unendlich beunruhigte.

„Doch nicht so nervös werden. Gehetzte Beute lässt sich viel zu leicht jagen. Komm, mach es mir nicht gar so leicht, schließlich möchte ich auch ein wenig Spaß haben.“

Langes Schweigen folgte, nicht mal durch das kleinste Geräusch durchbrochen. Kiaras Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie wusste, sie durfte keine nachvollziehbaren Gedanken mehr hegen, darum rief sie sich immer nur zusammenhangslose Fetzen ins Gedächtnis, wob sie als löchrigen Teppich aneinander, der einzig und allein für sie einen Sinn ergab.
 

Unermüdlich folgte Jake dem Pfad, der ihm gewiesen worden war. Auch als der Weg unpassierbar zu werden schien, machte er nicht Halt und überwand Hindernisse, wozu er nie in der Lage gewesen wäre, wenn nicht gerade diese schrecklichen Umstände ihn dazu veranlasst hätten. Nach fünfzehn Minuten, nachdem ihm der Kompass in Form von Kiaras Arm erschienen war, hatte er vor einem etwa vier Meter breiten Graben gestanden. Die genaue Entfernung zur anderen Seite hatte er nicht genau abschätzen können, da der Wald an dieser Stelle, obwohl er die tiefste hinter sich gelassen hatte, noch recht dunkel war, hatte aber seinem Gefühl vertrauen wollen, dass es eine irgendwie zu bewältigende Distanz wäre. Er hatte so viel Anlauf genommen, wie es zwischen all den Bäumen möglich gewesen war, war mit fest zusammengekniffen Lippen abgesprungen, hatte während seines Fluges ununterbrochen gehofft, sich fest genug abgestoßen zu haben. Als er mit seinen Füßen den Boden auf der anderen Seite unter sich gespürt hatte, hatte er laut, wirklich laut, aufgeschrieen, sich seiner Anspannung ein wenig würdelos entledigt.

Nun stand er einer neuen Aufgabe bevor. /Der Graben war schon ungewöhnlich, doch was soll ich hiervon halten?/ Skeptisch betrachtete er auf die Szene, die sich ihm darbot. /Die dunklen Mächte wollen mich von ihr fernhalten, doch ich gönne ihnen keinen Sieg. Kiara, du kannst mir vertrauen, ich werde dich nicht im Stich lassen./ Sein Blick schweifte pausenlos über die dichte Mauer aus Büschen und Bäumen, von links nach rechts und von rechts nach links. Die Büsche standen so nah beieinander, waren so eng miteinander verwachsen, dass sie siamesischen ’Vielingen’ glichen. Diese Art Hecke war noch viel dichter und verschmolzener als gewöhnliche, denen man sehr oft als Grundstücksbegrenzung begegnete. Es war ein einziges Blätterwerk ohne Lücken und Durchkommen.

„Auch das hier hält mich nicht auf!“, rief Jake in die Dämmerung hinein. Er schrie so laut, in der Hoffnung, das Böse könne ihn dort unten in der Hölle hören. Seine Stimme wurde aber sogleich von dem finsteren Hindernis vor ihm verschluckt, so dass die Stille wieder die Herrschaft gewann. Das Bild vom dunkelgrünen Gestrüpp brannte sich allmählich in seinen Verstand.

/Diese Hecke ist zu hoch, als dass ich hinüberklettern könnte. Selbst wenn ich einen Versuch wagen würde, würde ich an den Dornen scheitern…Hindurchzwängen ist daher wohl auch nicht angebracht… Wenn ich mich für eine Seite entscheiden sollte, an der ich sie ablaufe hoffend, sie könne irgendwo enden, wer sagt mir dann, dass ich mich nicht einfach nur meilenwert von Kiara entferne?/

„Ihr scheint wirklich an alles gedacht zu haben.“, brummte Jake resigniert. In dem festen Glauben, dass dies eine Machenschaft der dunklen Mächte war, strich er sich nachdenklich übers Kinn. Für was sollte er sich entscheiden? Was war das geringste Übel? Die Zeit drängte und dessen war er sich nur allzu gut bewusst. Erneut strömten Massen von Adrenalin durch seinen Körper. Er musste schleunigst etwas unternehmen, sonst würde er zu spät kommen. Als er daran dachte, was passieren könnte und sehr wahrscheinlich würde, weiteten sich seine Augen weiter als nur weit. Nein, das konnte er auf keinen Fall zulassen, das würde er sich niemals vergeben können.

„Bitte halte durch.“, hauchte er leise in die Luft und fixierte unentwegt sein Problem, das ihn lähmte.

/Ich darf hier nicht länger untätig verweilen/, hallte eine energische Stimme in seinem Kopf. /Menschen nutzen nur einen Bruchteil ihres geistigen Potentials… doch nutze wenigstens den anderen Teil und denke wie ein Tier!/

Verdattert wiederholte er die letzten vier Worte. /Denke wie ein Tier… Das heißt?/

Gute Frage… /Was würde denn eine Maus zum Beispiel tun? Am Boden unter dem Geäst hindurch kriechen, ganz klar, schließlich ist sie klein genug. Ein Fuchs? Der hätte wohl dieselben Chancen wie ich, nur dass er schneller laufen kann./

Wertvolle Sekunden zogen in die Lande und Jake dachte mit grübelnder Miene nach, welche Tiere noch alle im Wald lebten. Spontan fielen ihm Bären, Marder, Hasen und Igel ein, aber keines der Lebewesen brachte ihn auf eine zündende Idee. Auch die Biber, Wölfe und Vögel brachten ihn nicht weiter. /Fliegen wäre meine Rettung, doch leider ist der Mensch ohne Hilfsmittel nicht dazu in der Lage. Wie steht es mit Blindschleichen oder Eichhörnchen?/

Für einen Moment blieb Jakes Herz stehen, hörte einfach auf zu schlagen.

„Eichhörnchen!!! Aber klar doch! Warum ist mir das nicht eher eingefallen?“

/Sie springen von Baum zu Baum, ähnlich wie Affen sich von Ast zu Ast hangeln. Oh man, bin ich dumm./

Angestrengt suchte er die Gegend ab, stetig mit nach oben gerichtetem Gesicht. An irgendeinem Baum musste er schließlich hochklettern können, der zudem weit auslaufende Äste besaß, die stabil genug waren und ihn in die richtige Richtung bringen würden. Kaum dass er ein dutzend Schritte nach rechts gegangen war, sah er das Objekt seiner Suche schon. Er zögerte kein bisschen und kletterte auf den ersten Ast, der gerade die Höhe hatte, dass er ihn mit Fingerspitzen berühren konnte, er also vom Boden absprang und sich dann mit einem Klimmzug nach oben zog. Unter großer Folter richtete er sich auf und versuchte gleich das Brennen seiner Hände zu vergessen. Aber nicht nur sie bereiteten ihm Qualen, auch der verletzte Arm hatte seinen Anteil daran. Der Arm-

/an dem mich Kiara berührt hatte, als sie das Böse gewähren ließ… so darf ich nicht denken! Schließlich kann sie doch nichts dafür, dass ich… so ein Idiot bin./ Laut seufzend zog er sich auf einen Ast, der ihm geeignet genug erschien, um von ihm aus auf den nächsten Baum zu gelangen.

/Nicht mehr lange, dann bin ich auf der anderen Seite dieses widerlichen Dings unter mir. Ich darf mich nun nicht der Angst hingeben, ich könne ausrutschen und sieben Meter in die Tiefe stürzen./

Bei dem Gedanken schüttelte es ihn und er krampfte sich einen Moment lang in das Holz unter seinen Fingerkuppen. Vehement wehrte er sich gegen diese Furcht und rief sich ein Bild von Kiara ins Gedächtnis. Ihr strahlendes Lachen ermunterte ihn, wofür er sehr dankbar war.

Langsam lief er über den dicken Ast, balancierte mit ausgestreckten Armen, um dem Gleichgewicht nicht ledig zu werden. Zu seinem Erstaunen hatte ihn sein Blick von unten nicht getrogen und er konnte mit Leichtigkeit auf den zweiten Baum gelangen. Auch der Übergang zum nächsten stellte keine besondere Herausforderung mehr dar. Als er wieder festen Boden unter seinen Füßen hatte, atmete er besänftigt auf und war im ersten Moment einfach glücklich, dass er seine Klettertour unbeschadet überstanden hatte. Im zweiten Moment aber wich die Erleichterung sofort wieder der Angst, der Angst um Kiara. Unruhig setzte er seinen Weg fort und spürte am ganzen Körper, dass er ihr stetig näher kam. All die feinen Härchen stellten sich auf, witterten ihre Aura und reckten sich ihr entgegen. Sein Herz schlug so heftig, dass er kaum atmen konnte.

„Gleich bin ich bei dir.“, raunte er in den frühen Abend, sich sicher, dass das auch der Wahrheit entsprach.
 

/Geburtstagsfeier im April… Meer… Omas Waschmaschine…/ Kiara wob ihren Flickenteppich immer weiter zusammen und wusste, dass sie die andere Stimme in ihr damit vollkommen verwirrte, was sie nicht minder freute als erregte. Nur sie allein kannte die Assoziationen hinter den zusammenhangslosen und abskuren Begriffen, die allein beim Hören absolut sinnfrei erschienen. Doch hinter ihnen steckte eine Menge. Ein Plan, der es ein Versuch wert war, in die Tat umgesetzt zu werden.

Bei den Ladeurs wurde so oft die Geschichte vom Geburtstag erzählt, der förmlich ins Wasser gefallen war. Mitten in der Feier hatte sich dermaßen ein Gewitter zusammengebraut, der einen solch heftigen Regen mitgebracht hatte, dass das Zelt im Garten von Cecils Schwester weggeschwemmt worden war. Auch das Meer hatte seine Bedeutung: Kiara hatte vor ungefähr einem Jahr eine Reportage über Tiefseetiere, die uns Menschen zum Teil nicht bekannt sind, im Fernsehen gesehen und dabei war eben erwähnt worden, dass es zwischen tief reichenden Spalten am Grund des Bodens noch viele Gattungen unentdeckter Lebewesen geben müsse, deren Existenz wir wohl nicht so bald oder eher nie zu Gesicht bekommen werden. In das Puzzle fügte sich auch die Waschmasche ihrer Großmutter prächtig ein, denn diese hatte bis zu ihrer Verschrottung gesponnen, was sich in einem unerbittlichen Kampf mit dem Wasser äußerte, das aus einer Seite herausgelaufen und vom Abfluss in der Mitte des Raumes aufgenommen worden war. Im Inneren hatte sich ein Strudel gebildet, der laute Geräusche verursachte, bis das Wasser in den Kanal darunter abgeflossen war.

Selbst wenn SIE Erinnerungen aufrufen und sich ansehen konnte, selbst dann hätte SIE nicht verstanden, was sich Kiara zusammenspann. Erstens war sich Kiara aber sicher, dass SIE es nicht konnte, zweitens war sie so vorsichtig, dass sie keine Angst haben musste, SIE könne was damit anfangen. Zumindest brauchte sie keine Angst diesbezüglich haben. Was steckte denn nun hinter Kiaras anscheinend willkürlicher Wortwahl? SIE war still, weil sie abwartete, was passierte und Kiaras klares Bewusstsein nicht ohne weiteres zu Boden drücken konnte. War es denn so schwer zu erkennen, was dahinter stand? Nein, eigentlich nicht. Man musste nur so verquer denken können, wie Kiara in ihrem Zustand. Hinter all den Fetzen verbarg sich nichts weiter als die Erkenntnis, dass Kiara das Böse in ihr wie eine lästige Spinne im Strudel ihrer Gedanken in die tiefste Versenkung ihres Unterbewusstseins befördern wollte und das ebenso schnell und unerwartet wie ein Sturm, der selbst schwere Lasten mühelos bewegen konnte. Der Angriff sollte so plötzlich erfolgen, dass SIE keine Chance haben würde sich zu wehren.

Nun musste Kiara nur noch den richtigen Zeitpunkt abwarten, der aufgrund ihrer maßlosen Aufregung zum Glück kurz bevorstand.

„Was beweist das Blut in meinen Adern?“, fragte Kiara in die ewige Stille hinein.

Höhnisches, aber unsicheres (?) Gelächter hallte aus der Ferne wider. „Hast du so lange gebraucht, um dann diese lächerliche Frage zu stellen?“

„Die Frage ist keineswegs lächerlich, sondern gebührt einer ehrlichen Antwort.“

„Du bist so herrlich naiv, weißt du das?“

„Das kann ich dir nur zurückgeben.“

Das Zögern in IHRER Stimme erfreute Kiara sehr. „Ha, nun denkst du wohl, du hättest es mir gegeben.“

„Klar, denn es entspricht der Wahrheit. Warum meinst du, bist du bisher nicht an SEINER Seite? Warum hat ER dich nicht auf andere Art und Weise zu sich geholt, dich zu seiner Königin gemacht?“

„Du glaubst wohl, du bist klug und erreichst was, indem du mir solche Sachen an den Kopf wirfst!? Du hast eines nicht bedacht und zwar das Blut in deinen Adern!!!“

Kiara konnte unvernommen die Unsicherheit und die Wut, selbst die Enttäuschung, in IHREN Worten hören. Doch sie selbst wurde ebenso verunsichert, denn die letzten Silben hatten was zu bedeuten, dessen war sie nun vollends überzeugt worden.

„Sicher hat es das! Du bist nicht umsonst von IHM so begehrt!“ War das Eifersucht???

/Jetzt oder nie!/, sagte sie sich.

„Darum wird der dunkle Herrscher nicht wollen, dass du von mir Besitz ergreifst. Er will mich! Hast du das nicht selbst gesagt? Dich würde er verachten, schikanieren, triezen und wie den letzten Dreck behandeln. Durch seine Berührung bist du zwar in mir erwacht, doch das stand sicherlich in seiner Absicht. An dir würde er keinen Gefallen finden.“

Kiara sprach in einem fort, wollte die andere in ihrer möglichen Eifersucht nur verstärken. Selbst glaubte sie nicht an ihre Worte, doch sie fügten sich nun mal gerade perfekt in das Geschehen ein. Sie brauchte sie nur überzeugend rüberbringen und das hatte sie wohl auch getan. Das Böse in ihr haderte, zögerte, bevor schließlich stockend ertönte: „Das… bildest du dir ein!“

„Nein sicher nicht. Denk an deine eigenen Worte: Er begehrt mich! Mich - verstehst du? Das Blut in mir ist doch Beweis genug. Es fließt durch meinen Körper und mein Körper ist nur durch mich das Objekt seiner Begierde!“

„Sei still!“

„Ich werde nicht verstummen, denn ich weiß, dass ich Recht habe. Du bist für ihn überflüssig, nur ein Anhängsel, dessen er sich entledigen wird.“

Schallendes Gelächter füllte Kiaras Verstand. „Oh wie niedlich und naiv du doch sein kannst. Versuchst mich einzuschüchtern. Wie süß.“

/Aber…/

„Aber was? Stimmt´s denn nicht? – Klar tut es das.“

„Dann freu dich mal nicht zu früh.“

„Noch ein unerbittlicher Versuch!?“

„Nein, ein siegreicher.“

„Haha, na dann drück dich nicht länger, wenn du es unbedingt loswerden möchtest.“

„Er…“

„Ja, er?“

„Wird deine Liebe niemals erwidern!!!“
 

/… diese wohlige Wärme, die mich umhüllt, ist mir so vertraut. Auf meiner Haut spüre ich weiche Finger, die zärtlich und sanftmütig sind. Gütige, barmherzige Lippen spüre ich auf meinen. Friedsame Berührungen, die so angenehm sind…/

„Ich bin endlich da. Komm zu dir, wir bewältigen das zusammen.“ Jake strich Kiara liebevoll eine Haarsträhne hinters Ohr, berührte dieses sachte mit seinen Lippen, hauchte ihr immer mehr Küsse auf die kühle Haut. Das tiefe Schwarz, das noch in ihren Augen matt zu sehen gewesen war, als er sie gefunden hatte, verflüchtigte sich und das schöne Braun trat wieder zum Vorschein. Lächelnd schenkte er ihr weitere intime Berührungen, befeuchtete ihre spröden Lippen, ließ seine Zunge kurz zwischen sie gleiten.

„Ich liebe dich.“, hauchte er verführerisch, was eine Gänsehaut auf Kiaras Körper auslöste. Die Starre, der sie so lange zum Opfer gefallen war, begann zu versiegen.

/Diese Geborgenheit verleiht mir Kraft, wiegt mich in einem Schutz, der so stark ist, dass ich mich daran orientieren kann, um mich der Macht, die mich nach unten zieht, zu entledigen. Mir wird gerade eine Obhut zuteil, die mich vollends erwärmt und mich zu Tränen rührt. Ja, ich liebe dich auch, Jake… ich liebe dich auch./

Nach etwa fünf Minuten erwiderte Kiara seinen Kuss. Ehe sie wieder nach Atem ringen konnte, rann eine Perle, der Freude entsprungen, ihre Wange hinab. Als Jake von ihr abließ, sah sie in seine tief blauen Augen und wünschte sich, dass jemand einfach die Zeit anhielt und dieser Moment niemals vergehen würde. Wie schön es doch gewesen wäre, wenn das Rad der Zeit einfach ins Stocken geraten wäre, aufgehört hätte sich zu drehen. Doch auch wenn dies niemals passieren würde, genoss Kiara einfach den Augenblick und schloss diesen innigen Kuss von ihrem Jake in ihr Herz ein, so dass er auf ewig darin aufbewahrt sein würde.

Chapter 19: Unfair Game

Chapter 19: Unfair Game
 

„Stop! Nein! Du darfst nicht hier sein! Nicht bei mir!“ Widerwillig legte Kiara ihre Hände auf Jakes Brust und schob ihn von sich weg. Mit von ihm gewandtem Gesicht fügte sie noch etwas hinzu, was aber so leise war, dass Jake es nicht verstehen konnte. Er wiederum sah sie verwirrt, erschrocken, und wie vor den Kopf gestoßen zugleich an. Als er seine Rechte nach ihr ausstrecken wollte, erhob sie erneut strikt die Stimme. „Jake, nein!“

„Sieh mich an und sag mir, was das soll. Ich habe mich stundenlang durch diesen Wald gequält zu dir. Und nun werde ich schon wieder abgewiesen? Allmählich begreif ich gar nichts mehr.“

„Und ich möchte es nicht.“

„Aber du kannst mir sagen, warum du mich von dir fernhältst.“

„Weil…“ Den Rest des Satzes verschluckte Kiara. Sie brachte es nicht übers Herz ihm zu sagen, dass er das Böse in ihr dazu verleitete, Besitz über ihren Körper zu ergreifen. Kiara hatte von der Kreatur in ihr genug erfahren, um eins und eins zusammenzuzählen: dieses Etwas möchte Kiara den Freund rauben, damit sie sich geschlagen gibt und sich ins tiefste Unterbewusstsein zurückzieht, um ihm eine Hülle zu gewähren, die es braucht, um an der Seite von IHM herrschen zu können.

Doch Kiara wollte nicht zulassen, dass es jemals so weit kam. Selbst in der Situation, der anderen Stimme in ihr schutzlos ausgeliefert zu sein, hatte sie einen Weg gefunden, sie zu überlisten. Und nun stand Jake vor ihr, gekränkt und leidend. Wie gern hätte sie ihn wieder in die Arme genommen, ihn zu sich gezogen, ihn geküsst, gespürt, aber sie durfte nicht. Sie durfte das nicht zulassen. Um ihrer beider willen. Schweren Herzens ging sie einen Schritt zurück und fasste sich an die Brust. Den schnellen Schlag spürend verkrampften sich ihre Finger in dem Stoff der Kleidung. „Jake…? Es tut mir wirklich leid, aber… ich…“ Mit tränenübersätem Gesicht sah sie auf, blickte in seine blauen Tiefen, schluckte schwer. „Ich möchte dich nicht verlieren, Jake. Aber ich darf doch nicht mehr bei dir sein, ich DARF es NICHT.“ Weinend wandte sie sich wieder von ihm ab und lief ein paar Schritte, wurde aber sofort von ihm eingeholt und in seine Arme geschlossen. Dankbar, wirklich dankbar, lehnte sie sich gegen seine starken Schultern und sog seinen Duft ein. Ein schmerzvolles Lächeln legte sich auf ihre Lippen, dann sog sie noch einmal tief seinen Geruch ein und hauchte einen Kuss auf seine blutende Hand, die sich zittrig auf ihrer Schulter befand. „Ich liebe dich!“ Diese drei Worte waren nicht mal ganz bei ihm angekommen, da hatte sie sich schon aus seiner Umarmung gelöst. Mit einem letzten Blick auf Jake, der benommen dastand, lief sie aus dem Wald, am Sacrament of Live vorbei und wagte erst dann wieder stehen zu bleiben, als sie sich weit genug von ihm entfernt wusste.
 

Was war geschehen? Hatte er geträumt? War dies die Wirklichkeit? Bitte lass es nur ein Alptraum gewesen sein… Ein Traum, der wie eine Seifenblase zerplatzt, wenn man wieder erwacht. Ein Traum, der nur eine Halluzination ist, eine Einbildung… lediglich die Angst vor etwas Schrecklichem, das sich aber nicht bewahrheitet. Ja ein Traum… wie schön das doch gewesen wäre. Dann wäre dieser Schmerz nicht so groß. Dieses klaffende Loch im Herzen. Die unendliche Traurigkeit und Einsamkeit.

Träume warnen einen manchmal; sind ein Signal, das man nicht leichtfertig übergehen sollte. Selbst Träume können einen zum Weinen bringen, einen in der Nacht zum Schreien bringen. Doch wäre das nicht nur eine Nichtigkeit???

Jake zitterte am ganzen Körper. Sein Blick heftete sich starr auf seine Arme, die noch vor wenigen Augenblicken Kiara gehalten hatten. War sie wirklich hier gewesen? Hatte er sich alles nur eingebildet? Was hatte sie gesagt? Sie darf sich nicht bei ihm aufhalten? DARF nicht??? Was soll das denn heißen? Warum sollte sie nicht dürfen?

Sein Herz bebte. Kurz glaubte er nicht mehr atmen zu können, am Ende zu hyperventilieren. Mühselig zwang er sich, seinen Atmen wieder abzuflachen. Mit schmerzender Brust wendete er seine verletzte Hand vor seinen Augen hin und her. Zweifelnd, dass ihre Lippen sie tatsächlich berührt hatten, betrachtete er sie.

/Voller Wehmut hast du dich von mir abgewendet. Ohnmächtig einer Gegenwehr ließ ich dich gehen. Noch immer weiß ich nicht, was eigentlich geschehen ist. Ich kann es nicht fassen,… jeder klare Gedanke geht mir abhanden, reizt mich vorher, schwebt vor mir, verlockt mich, doch um letztendlich spurlos zu entrinnen.

Was hat dich veranlasst zu gehen? Dich so zu quälen?... Frederic wollte mich ebenfalls zurückhalten, doch… ich ließ es nicht zu. Psalm 21… hatte er bestätigt. Mom? Dad? Musstet ihr wirklich auf diesen Psalm zugreifen? …

Ist dies aber wirklich der alleinige Grund? – Gewiss nicht! – Ich trage ja die Schuld. Trottel, Dummkopf sind noch zu harmlose Beschreibungen für mich. Auch tausend Entschuldigungen können keine Vergebung erhoffen…/

„Komm mit nach Hause, Jake.“ Eine warme Stimme riss Jake aus seinen Gedanken, ließ ihn zusammenzucken. Verworren blickte er in die fast schwarzen Augen seines langjährigen Freundes. „Lass uns gehen, wir sind hier nicht sicher.“ Liebevoll legte Frederic dem Jüngeren einen Arm um die Schultern, drückte ihn kurz, aber fest an sich. „Ihr wird es gut gehen“, flüsterte er hauchzart in Jakes Ohr, was diesem eine Gänsehaut bescherte. „Komm, du brauchst eine warme Mahlzeit und dann ein wenig Schlaf“, fuhr jener gelassen fort, als er durch den Wald schreitend Jake hinter sich herzog. „Erst einmal werde ich dir eine Suppe kochen, eine kräftige Kartoffelsuppe; sie wird deinen leeren Magen füllen und… auch wenn ich deinen bösen Blick im Rücken spüren kann, du wirst was essen. Da wird es keine Widerrede geben! Du musst wieder zu Kräften kommen. Sieh nur deine Hände an, sie bedürfen Heilung. Und Heilung kann ohne körperliches Wohlbefinden nicht stattfinden. Für heute Abend wirst du dich ganz und gar in meine Obhut begeben, ohne wenn und aber.“

Jake hörte Frederic gar nicht richtig zu. Zu sehr hing er seinen Gedanken nach, die sich natürlich vollkommen um Kiara drehten. Er wusste seinen Gefühlszustand nicht zu beschreiben. Enttäuschung, Irritation, Sorge, Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit… irgendwie passte alles und nichts. Vor einigen Minuten noch hatte er Kiara in den Armen gehalten, sie sogar geküsst. Hatte er sie wirklich geküsst? Zu fern schien ihm das. Schließlich wurde er alsbald verstoßen. Er darf sie nicht berühren… er verstand das einfach immer noch nicht. Was hatte dies nur zu bedeuten? Vielleicht sollte er sich über Psalm 21 näher informieren… Unwissentlich nickte Jake vor sich hin und fiebriger Glanz zeichnete sich in seinen Augen ab.

Die darauf folgende Stunde rann an Jake vorbei. Er vernahm Frederics fürsorgliche Handlungen nur sehr verschwommen. Viel zu sehr hing er in seinem selbst geschaffenen psychischen Loch fest, das aus reinen Selbstzweifeln und –vorwürfen bestand. Erst als Frederic sich daran machte, Jakes Bandagen zu wechseln und Jakes linke Hand reinigte, kehrte dieser in die reale Welt zurück.

„Ahhh“, presste er gequält zwischen den Lippen hervor. „Muss das sein?“

„Ja!“, entgegnete Frederic steif. Mitgefühl erachtete er in diesem Moment als völlig fehl am Platze. Wenn er zu viel Mitleid zeigen würde, würde sich Jake nur weiterhin in seinen dunklen Sphären wiegen. „Sonst bist du auch nicht so wehleidig. Beiß die Zähne zusammen und steh das wie ein Mann durch.“

„Du hast gut Reden.“

„Wer hat denn nicht auf mich gehört?“

„Wärst du ihr nicht nachgelaufen?“

Nach kurzem Zögern räusperte sich Frederic und setzte zu einem erneuten verbalen Schlag an, doch hielt sich in letzter Sekunde davon ab. Stattdessen wickelte er mit aller Vorsicht und Fürsorglichkeit weißen Mull um Jakes verletzte Hand und befestigte am Ende eine kleine Klammer daran, die ihn zusammenhalten sollte. „Nun gräme dich nicht weiter. Jake, es bringt weder dir noch ihr was, wenn du wie ein ausgesetzter Hund hier sitzt.“

Verdrossen legte Jake seinen Kopf schief und starrte den Teller an, der vor ihm auf dem Tisch stand. Mit der Rechten griff er nach dem Löffel und stocherte in der Suppe herum, die mittlerweile kalt war. „Was ist mein Leben schon ohne sie wert? Wie kann ich unbeschwert sein, wenn ich sie nicht in meinen Armen halten darf? Wie kann ich denn lachen, wenn mir ihre Anwesenheit nicht zuteil werden darf?“

Frederic griff nach Jakes Kinn und drehte dessen Kopf bestimmend in seine Richtung. Ernst sah er ihm in die Augen. „Du hörst mir jetzt gut zu: Wenn du jetzt tatenlos bist und dich selbst aufgibst, dann zerstörst du damit alles. Kiara braucht dich! Selbst wenn ihr nun getrennt sein müsst, wird sie deine Stärke und deine Liebe spüren können. Du hast von ihr jahrelang geträumt und ihre Wärme vernommen, bevor ihr euch überhaupt das erste Mal gesehen habt. Glaubst du denn, dass diese Verbindung einfach so abbricht? NEIN, natürlich nicht. Sie muss nun DEINE Wärme weiterhin vernehmen dürfen, damit sie die Kraft aufbringen kann, die dunklen Mächte zu bezwingen. Nur Vertrauen und das Gefühl, dass jemand für sie da ist, der sie liebt, können sie beschützen! Also, Jake, gib nicht einfach auf, sondern kämpfe für sie, für dich, für euch und die ganze Welt!“

Eisern sah Frederic weiterhin in Jakes matte Augen, die den Kummer und das Leid nur allzu sehr widerspiegelten. Jake indessen zog sich geistig für einen Augenblick zurück und rief sich das Bild, das im Wohnzimmer der Ladeurs hing, ins Gedächtnis. Er dachte wehmütig an das strahlende Lächeln des Mädchens, das sein Herz so fest im Griff hatte. War er bereit, sich aufzugeben, um vielleicht am Ende alles zu verlieren, wofür unter anderem seine Eltern so hart gekämpft haben? Reuevoll schüttelte er den Kopf, schloss die Lider. „Danke Frederic!“ Nach einem Moment der Stille wurde seine Stimme fester: „Du hast recht mit allem. Ich darf jetzt nicht einfach den Kopf hängen lassen, denn Kiara braucht mich. Wenn wir schon nicht körperlich in Berührung treten dürfen, dann werde ich sie wenigstens imaginär unterstützen. Ich werde in meine Gedanken so viel Kraft und Mut legen, dass sie sie spüren kann, egal wo sie ist.“

Freundschaftlich legte Frederic seine Hände auf die Schultern des Jüngeren und griff fest zu. „Genau so kenne und schätze ich dich.“
 

Die Nacht umwob Jakes Silhouette und spann sie in seidene Fäden. Silbrig glänzte der Mond am Himmel und wurde alsbald wieder von den schweren Wolken verschluckt. Ausdruckslos sah Jake empor, gebührte dem Schauspiel der Natur aber keinen Gedanken. Sein Antlitz wirkte steif und zeichnete sich kaum merklich von der Dunkelheit ab.

/Kiara, ich würde gerne wissen, wo du dich gerade aufhältst, was du genau in diesem Augenblick machst. Spürst du ebenfalls diesen Schmerz in der linken Brust, der dich zu zerreißen droht? Dir den letzten Atem raubt!?

Ja, sicherlich ergeht es dir nicht besser als mir. Nein gewiss noch schlechter… denn wegen mir trägst du dieses Dunkel in dir…/

Jakes Augenlider begannen zu zucken. Er wandte seinen Kopf zur Seite, so dass Frederic seine Tränen nicht sehen konnte. Zu genau wusste er, dass sein Bediensteter ihn beobachtete.

/Das Zeugnis meiner Schuld sollst du nicht sehen. Bitte, lass mich allein. Bitte, geh, damit ich Herr über meine Lage werden kann. Vielleicht muss ich einsam sein, um zu erkennen, wie ich meine Torheit wieder gut machen kann. Aber ich danke dir, dass du hinter mir stehst, dass du immer für mich da bist, wenn ich dich brauche…/

„Bitte geh“, sagte Jake leise, aber bestimmt. Er konnte sachte Schritte vernehmen, die sich von ihm entfernten. Mit zwei Fingern seiner Linken wischte er sich das Nass von den Wangen und bettete anschließend sein Gesicht gänzlich in sie.
 

„Sind Sie bereit, diesen Eid zu besiegeln?“

„Ja Herr.“

Frederic tauchte seine Hand in das rundliche Gefäß, das ihm Jeffrey hinhielt, und bekreuzigte sich mit der zähen bläulichen Flüssigkeit.

/Hätte ich damals gewusst, welches Leid Jake widerfahren wird, könnte ich heute nicht mit Sicherheit sagen, ob ich diesen Eid geleistet hätte…/

Gequält saß Frederic auf einem Stuhl in der Küche und ließ eine Gabel ständig aufs Neue durch seine Finger gleiten. Seit dem Tag, an dem er den Dienst für die Familie Antawa angetreten war, fühlte er immer mit Jake mit. Wenn Jake lachte, dann lachte auch er. Wenn Jake weinte, dann standen auch ihm die Tränen in den Augen. Der Junge hatte sein Herz von Anfang an gewärmt. Aufgrund seiner Stellung war es ihm nie möglich gewesen, eine eigene Familie zu gründen. Doch was sah er wirklich in Jake?

/Einen Sohn!/

Diese zwei Worte hallten so laut in seinem Kopf, dass er schmerzvoll die Zähne aufeinander biss. Die Gabel fiel geräuschvoll auf den Tisch. Erschrocken riss Frederic seine Augen weit auf und offenbarte die fast schwarzen Iris’.

„Er ist wie ein Sohn für mich“, presste er zwischen den Lippen hervor. „Nicht mehr und nicht weniger!“

/Bist du dir da noch sicher?/

Frederic wirkte plötzlich wie versteinert. Was dachte er da nur!? Nach einer Weile schlug er mit der Faust auf das harte Holz.

„Ich habe die Aufgabe ihn zu beschützen. Und diese tue ich aus zwei Gründen. Erstens, weil ich dazu verpflichtet bin, und zweitens, was wesentlich wichtiger ist, weil ich ihn wie einen Sohn verehre.“

Seine Stimme brach unsicher an den Wänden. Glaubt er denn noch, was er da sprach? – Er musste!

„Frederic, nun darf ich Ihnen das Wohl meines Sohnes in Ihre Hand legen. Als Sie unser Haus das erste Mal betraten, wusste ich, dass nur Sie in Frage kommen, der Jake den richtigen Weg weisen kann.“

/Ich habe das Vertrauen seiner Eltern missbraucht. Ich ließ ihn ziehen und wurde Zeuge vom Unvorstellbaren… Ich sah es in Kiaras Augen./

Frederic zerknüllte eine Serviette und warf sie weit von sich fort. Mit einem dumpfen Rascheln kullerte sie über den Boden, stieß an die Wand und blieb kurz darauf liegen. Der Bedienstete stand auf, hob das Papier auf und warf es in den Mülleimer.

/Ich werde mich bemühen, dass Jake und Kiara ihre Chance bekommen werden!/

Chapter 20: How It Is To Be Alone

Chapter 20: How It Is To Be Alone
 

Kiara hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Müde blickte sie in den großen Spiegel, der in ihrem Zimmer hing, und ein Mädchen mit strähnigen Haaren und aschfahler Haut sah ihr entgegen. Das Glas spiegelte eine Gestalt wider, die vor wenigen Tagen noch nicht existiert hatte. Geschunden und gepeinigt schaute sich Kiara selbst an, fuhr sich mit den Fingern über die Wange und über das Kinn. Getrocknetes Blut haftete auf ihrer Stirn, doch sie wusste, dass es nicht ihr eigenes war. Es stammte von Jake.

/Als ich seine Hand im Wald geküsst habe…/

Schmerzvoll verzog sie ihr Gesicht zu einer Grimasse, aber wandte den Blick nicht ab. Weiterhin stierte sie sich an, wollte sich selbst herausfordern. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit ihrem Dad des Öfteren dieses Spiel gespielt hatte. Meistens hatte sie verloren, da David seine Mundwinkel immer so weit nach unten geschoben hatte, dass er so stark einem Clown ähnelte, dass Kiara nicht umhin konnte als zu lachen. Während sie an die Unbeschwertheit damals dachte, sammelten sich kleine silbrig glänzende Perlen in ihren Augen und bedeckten das Braun ihrer Iris. Doch sie wünschte sich diese Zeiten nicht zurück. Irgendwie kam ihr das absurd vor, doch es gab dafür einen wichtigen Grund. Denn zu jener Zeit hatte sie Jake nicht bei sich. Noch mehr Tränen häuften sich an und strömten alsbald wild an Kiaras Wangen hinab.

/Jake ist so nah, doch für mich… so fern./

Lethargisch schaute sie sich ununterbrochen weiter in die Augen. Nein, dieses Mal würde sie nicht verlieren. Denn ihre Gedanken hatten nichts Amüsantes an sich, rein gar nichts.

/Was sollte mich nun zum Grinsen verleiten?/

Fast hätte sie über diesen Gedanken gelacht. Doch ihr Mund verzog sich nicht im Geringsten, sondern wurde weiterhin lediglich von Tränen bedeckt. Sie konnte das salzige Nass auf ihrer Zunge schmecken und schluckte ab und an kräftig.

Viele Minuten vergingen, in denen sie reglos vor dem Spiegel stand und trauerte. Sie war unfähig sich zu rühren und verspürte auch keinen Drang dazu.

Plötzlich klopfte es zweimal an der Tür.

„Hier ist deine Mom. Darf ich reinkommen?“

Cecil bekam nur Schweigen zur Antwort. Sie klopfte erneut, doch kein Laut drang zu ihr hinaus. Kiara indes verdammte diese Welt. Das, was ihr lieb war, war ihr mit einem Schlag wieder genommen worden.

„Komm schon, meine Kleine.“

Wie sehr hasste sie in diesem Moment diese Worte. ’Meine Kleine’ wiederholte sie verächtlich in ihrem Verstand. Sie wollte in Ruhe gelassen werden, warum verstand das denn keiner? Langsam fragte sich Kiara, warum sie in der Nacht überhaupt nach Hause zurückgekehrt war. Sie liebte ihre Eltern und gerade nachdem sie Jake abweisen musste, hatte sie Geborgenheit gebraucht, doch was tat sie wirklich hier? Mit einem Mal überschlugen sich ihre Gedanken.

„Mach bitte die Tür auf.“

Kiaras Augen weiteten sich. „Mom, geh von der Tür weg!“, rief sie panisch. „Wenn du mir vertraust, dann geh!“
 

Cecil stand wie angewurzelt vor Kiaras Zimmertür und ihre Hand lag noch immer auf der Klinke. So hysterisch hatte sie ihre Tochter noch niemals schreien hören. Cecil schluckte schwer, machte sich Sorgen, wollte zu Kiara, um nachzusehen, was der Grund für ihre Verzweiflung war.

„Moooooooooooooooom!“

Dieser schrille Ton versetzte Cecil in Angst und Schrecken, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Nun zögerte sie nicht länger, sondern ließ die Klinke los und rannte hinunter ins Wohnzimmer. Verstört griff sie nach dem Telefon und ihre zittrigen Hände konnten kaum die richtige Nummer wählen.

„Dave Ladeur“, ertönte es aus dem Hörer…
 

„Wenn du es wagen solltest, meiner Familie auch nur ein Haar zu krümmen, dann lernst du mich kennen.“

/Ach wie süß. Sie lehnt sich schon wieder gegen mich auf und hat es fast zu spät begriffen, dass ich sie hierher gebracht habe. Was würdest du sagen, erst deine Mom und dann deinen Dad zu begraben!?/

Grelles Lachen hallte in Kiaras Kopf wider. Schreckliche Szenen taten sich vor ihren Augen auf, kreisten in ihrem Verstand und wurden anschließend von durchdringender Schwärze verdrängt.

/Nun ist sie sprachlos… wie naiv du doch warst! Zu glauben, mich durch einen Trick besiegen zu können. Ich muss zugeben, ich war ein wenig überrascht von deiner Willensstärke und deiner Intelligenz, doch selbst wenn du der schlaueste Mensch auf Erden wärest, hättest du gegen mich keine Chance. Du hast noch gar keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast, meine Kleine./

„S-a-g n-i-e w-i-e-d-e-r ‚meine Kleine’ z-u m-i-r.“

/Sollte ich mich da irren oder hast nicht du eben diese Worte verächtet, obwohl sie von der dich alles liebenden Mutter stammten!? Du machst mir ein leichtes Spiel, wenn du mit dir selbst so im Unreinen bist.

Komm, lass uns hinunter zu Cecil gehen und ihr ein wenig Angst machen./

Kiara konnte das fiese Grinsen dieses grausamen Etwas in sich spüren.

„Nur über meine Leiche.“

/Tut mir leid, diesen Gefallen kann ich dir nicht tun. Wie du weißt, brauche ich deinen Körper. Er ist für andere Zwecke vorhergesehen als sich nun im Blut zu laben./

„Lass meine Eltern in Ruhe“, zischte Kiara.

/Wer wird denn gleich so wütend werden! Sachte, sachte./

„Was muss ich dir bieten, damit du sie aus Allem heraushältst?“

/Ui, meine Kleine begreift langsam, wie dieses Spiel gespielt wird./

Als Kiara erregt die Faust gegen den Spiegel schlug und dieser in tausend Stücke zerbarst, die schillernd auf dem Boden zu erliegen kamen, hallte erneut schrilles Gelächter in ihrem Kopf.

/Dass dich diese zwei harmlosen Worte so erhitzen, gefällt mir. Doch bevor ich mich nun zu sehr an deinen Emotionen erlabe, kommen wir doch zu deiner Frage zurück. Was du mir bieten kannst? Ha-ha-ha,… zuerst dein Medaillon!/

„Mein Medaillon? Das liegt irgendwo im Wald.“

/Bist du dir da auch wirklich sicher? Greif doch mal in die Tasche deiner Jeans./

Unsicher, was sie tun sollte, verharrte Kiara eine Weile. Sie hatte es doch selbst fallen lassen und nicht mehr aufgehoben, hatte es in der Nacht dort zurückgelassen. Nun wurde sie aufgefordert, es aus ihrer Hosentasche zu holen, wo es doch unmöglich sein konnte. Und dazu kam der Befehl von den dunklen Mächten, denen doch jedes Mittel recht war, jemanden in die Irre zu leiten. Eigentlich sprach alles dagegen. Das Medaillon konnte unmöglich bei ihr sein.

/Erst lassen wir ihr langsam das Blut entrinnen und-/

„Schon gut!... Ich schau ja nach.“

Trotzig griff Kiara in den Stoff und bekam sogleich was Hartes zu fassen. Das Ding in ihrer Hand war rund und vibrierte sacht. Ungläubig betrachtete sie das Medaillon, fuhr hauchzart über die feinen Erhebungen. Als ihre Fingerkuppen pulsierten, würgte sie den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter.

„W-Wie n-nur?“

Kiara ließ erschrocken das Medaillon fallen. Ruckartig wand sie sich einmal um die eigene Achse, kniff die Augen ganz fest zusammen und riss sich die Kleider vom Leib. Anschließend schlüpfte sie ins Bett und vergrub sich unter ihrer Bettdecke. Eng zusammengerollt zog sie die Decke über ihren Kopf, hielt sie krampfhaft über sich.

„Verschwinde! Geh weg! Geh aus meinen Körper!“, wimmerte Kiara. Wie ein kleines Kind, das einen Alptraum oder Angst vor den vielen Schatten im Zimmer hat, kauerte sie unter der Zudecke und wünschte sich, dass der böse Spuk endlich aufhört.

Bis jetzt hatte sie die Ereignisse der letzten Tage gut weggesteckt. Mut hatte sie gekennzeichnet, als sie sich den dunklen Mächten entgegengestellt hatte. Doch als sie eben das Medaillon, das eigentlich nicht hier sein durfte, in den Händen spürte, stieg in ihr ein Gefühl der Erfolglosigkeit auf. Egal, was sie unternehmen würde, würde in einem Misserfolg enden, würde dieses Etwas in ihr nur noch in seinem Selbstbewusstsein stärken. Selbst ihre List hatte versagt. Was konnte sie nun noch ausrichten? Jede Gegenwehr wurde abgewehrt, ins Nichts verbannt, in Schall und Rauch verpufft.

/Jaaa, das machst du gut. Wiege dich in deiner Verzweiflung, bette dich darin. Sauge all die negativen Gedanken auf, verschmelze sie zu einer riesigen Blase, die, wenn sie platzt,… dein Ende bedeutet!!! Ha-ha-ha-… ha/
 

„Cecil, warte! Du kannst nicht zu ihr hoch gehen.“ Dave sah seine Frau fest an, während er sie ein wenig grob an den Schultern festhielt.

„Tu tust mir weh“, zischte sie.

„Hör mir doch erst einmal zu, bevor du unüberlegt handelst.“

„Was hat Rationalität hier verloren, wenn es um meine Tochter geht?“

„Unsere Tochter“, betonte Dave verärgert. „Sie ist für uns beide das Wertvollste. Denke ja nicht, ich würde sie weniger lieben. Doch-“

„Wage es nicht!“

„Aber-“

„Ahhhhhhhhhhhhh!“ Cecil schrie und ihr Gesicht war wutentbrannt. Ihre dunkelblonden Haare hingen ihr teils in den Augen, konnten aber das blitzende Grün darunter nicht verbergen. „Warum hast du immer ein ‚aber’ oder ein ‚doch’ oder irgendeinen anderen Widerspruch parat? Es gibt kein aber, wenn um Kiara geht. Wir müssen zu ihr und ihr helfen!“

„Denkst du im Ernst, ich würde etwas anderes lieber wollen!? Wir haben“, das kleine Wörtchen ’aber’ schluckte er geflissentlich herunter, „keine Chance gegen diese Macht. Die Gefahr, die von ihr ausgeht, ist zu groß.“ Dave wandte den Blick von seiner Frau ab und drosselte seine Stimme. „Tot können wir ihr auch nicht helfen.“ Während er dies sprach, ließ er Cecil los, die ihn nun benommen ansah. Als sie den letzten Satz in ihrem Verstand wiederholte, zuckte sie zusammen.

„Können wir denn gar nichts ausrichten? Müssen wir wirklich tatenlos zusehen, wie unsere Tochter leidet?“

Dave sank auf die Knie, bettete seine Arme in den Schoß. „Ich fürchte, wir müssen abwarten. Denke an das, was Aina gesagt hat: Sie ist die Blüte der Ewigkeit!“

„…“

„Bitte setze dich einen Moment und höre mich an. Wenn ich geendet habe, kannst du mir gerne widersprechen, doch bitte nur, wenn du wirklich glaubst, dass alles völliger Blödsinn ist. Okay?“

Cecil nickte beunruhigt, tat aber wie geheißen und ließ sich auf einer Ecke der Couch nieder.

„Gut. Ich danke dir.“ Als Dave eine Hand auf eine der Ihrigen legen wollte, wich sie zurück. Er biss sich auf die Unterlippe, nahm ihre Geste aber hin, wollte in diesem Augenblick nicht noch mehr Unruhe stiften, auch wenn es ihn zutiefst verletzte. „Ich vermute, dass das, was Kiara gerade erleidet, so nicht vorhergesehen war. Nun fragst du dich sicher, warum ich so denke. Das kann ich dir auch sogleich begründen. Meiner Meinung nach hätte Aina nicht zugelassen, dass Kiara bei uns aufwächst, wenn sie gewusst hätte, dass sich das hier ereignen würde… dass das… Böse von ihr… Besitz ergreift…“ Dave fiel es nicht leicht, dies auszusprechen, denn jede einzelne Silbe schnürte ihm die Kehle zu. Sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben, fuhr er leise fort. „Als Jake hier war, konnte ich in seinen Augen erkennen, dass er uns die Wahrheit sagte. Er wusste selbst nicht, warum Kiara nicht zu uns wollte. Dein Anruf vorhin hat meine letzten Zweifel behoben. Die Zweifel, dass Kiara nicht zu uns kam, weil sie uns schützen möchte.“ Er stand auf und setzte sich neben seine Frau, weiterhin akzeptierend, dass sie von ihm nicht berührt werden wollte. „Sie sagte dir, dass du ihr vertrauen sollst. Vertrauen, verstehst du? Denke mal einige Jahre zurück an den Tag, an dem wir mit Kiara im Free Winder Zoo waren. Sie hatte Angst, die Ziege zu streicheln. Partout wehrte sie sich dagegen, eine Hand nach dem Tier auszustrecken. Du gingst zu ihr hin und sagtest ihr, dass sie Vertrauen in sich und das Tier haben solle und dass ihr die Ziege nichts tut, wenn sie an sie glaubt. Kiara dachte eine Weile über deine Worte nach und streichelte anschließend die Ziege.“

Dave verstummte und die einkehrende Stille wurde nur noch durch das Ticken seiner Armbanduhr durchbrochen. Heimlich wischte er sich über das linke Auge, entfernte eine kleine Träne, die sich gebildet hatte. „Wir haben mit ihr so oft darüber gesprochen, dass es wichtig ist, Menschen, die man lieb hat, zu vertrauen. Bitte, Cecil, wir sollten unsere eigenen Worte beherzigen. Zumal Kiara, unser eigen Fleisch und Blut, uns darum bat.“

„Ich… ich…“

„Schon gut. Komm her.“ Dave wand liebevoll seine Arme und Cecil und zog sie zu sich. Als Cecil seine Körperwärme spürte, ließ sie sich einen Moment fallen und schloss die Augen, verbarg das Grün, das der Wut vollkommen entsagt hatte. „Unsere Kleine ist die Blüte der Ewigkeit. Sie wird die Kraft haben, das Böse zu besiegen. Wir müssen an sie glauben, fest an sie glauben.“

/Ob das reicht vermag ich selbst nicht zu sagen./, dachte Dave und schaute hilflos auf seine Frau, die ihr Gesicht in seinem Hemd vergraben hatte.
 

Kiara zitterte am ganzen Leib, wollte nichts sehnlicher als Jake bei sich haben, der sie ganz arg festhält. Wie gerne hätte sie seine schweren Körper auf dem Ihrigen gefühlt, seine Hände wie sie über ihre nackte Haut streifen, seine Lippen, die die Ihren mit Feuchtigkeit benetzen. Sie wünschte sich so sehr, dass, wenn sie die Augen öffnet, er zumindest neben ihr liegt und sie liebevoll anblickt. Zaghaft schlug sie die Lider auf, doch sah nichts als das Orange der dünnen Bettdecke über ihr. Natürlich bekam sie nichts anderes zu sehen, was sie aber nur noch mehr bedrückte.

/Ich gebe dir zwei Wahlmöglichkeiten./, begann die tiefere Stimme in ihr, die schmerzlich in ihrem Verstand verweilte. Kiara drückte die Decke ganz fest an ihr Ohr, wollte nichts davon hören. Egal, wie sehr sie sich darum bemühte, der Stimme auszuweichen, sie konnte ihr dennoch nicht entgehen. Vor Worten, die aus dem eigenen Körper drangen, konnte man sich nicht schützen.

„Leider“, sprach sie unmerklich vor sich hin.

/Die erste ist, dass du meine Forderungen erfüllst und zwar widerstandslos, dir auf diese Weise dir deine weitere Existenz ermöglichst./ Die dunkle Macht unterbrach sich absichtlich, um den Effekt bei Kiara noch zu verstärken. „Was ist die zweite?“, fragte Kiara und zwang sich, das fiese Grinsen in ihr nicht wahrzunehmen und sich bloß nicht darauf einzulassen.

/Du überlässt mir sofort deinen Körper./

„Was ist, wenn ich keines von beiden beabsichtige?“

/Sag bloß, du hast deine lieben Eltern dort unten schon vergessen. Also wenn das so ist, dann lass uns hinunter gehen und nachschauen, ob sie noch da sind. Vielleicht freuen sie sich, dich zu sehen, vor allem, wenn du ihnen eine nette kleine Überraschung bereitest. Ha-ha-ha./

„Meine Eltern sollen nicht für mich leiden.“

/Das müssen sie auch gar nicht, wenn du das tust, was ich von dir verlange. Für was entscheidest du dich nun?/

Kiara biss sich fest auf die Zunge, spürte wie der Schmerz ihren Körper erzuckte. „Sag mir, was ich tun soll“, erwiderte sie kleinlaut.

/Gut, das soll nicht auf sich warten lassen. Nimm das Medaillon und zerstöre es!/

„Wenn das alles ist.“ Langsam schob Kiara die Decke von ihrem Körper, entblößte damit ihr Evakostüm und stand auf. Entschlossen nahm sie das runde Stück Schicksal in die Hand und drehte es ein letztes Mal vor ihrem Gesicht hin und her. Mit aller Kraft schleuderte sie es zu Boden und wartete auf das Bersten vom zersplitternden Medaillon.

Verwundert sah Kiara zu Boden und schaute sich die Stelle an, auf die sie es geworfen hatte. Dort gab es keine kleinen Splitter zu erblicken, nicht einmal große. Nur eine tiefe Kerbe zierte nun das Parkett ihres Zimmers und das Medaillon lag vollkommen unversehrt einen Meter daneben.

/Oh tut mir leid! Hab ich wohl vergessen zu erwähnen, dass sich das Medaillon nicht einfach so zerstören lässt?!/

Diese fiese Stimme in ihrem Kopf trieb Kiara allmählich in den Wahnsinn. Musste dieses Etwas in ihr immer dermaßen unverhohlen lachen, dass sich Kiara wie ein Stück Dreck vorkam!? Kiara hob das Medaillon erneut auf.

„Wie kann man es vernichten?“

/Schön, dass du fragst. Dann spitze mal deine kleinen Öhrchen…/
 

„Du meinst also, dass es besser ist, wenn du mich für zwei Tage allein lässt.“ Frederic, der einen kleinen Koffer in der einen und einen dicken Schlüsselbund in der anderen Hand hielt, nickte.

„Richtig.“

„Gut, dann geh doch. Brauch’ dich sowieso nicht“, sagte Jake schnippig und drehte sich auf dem Küchenstuhl, so dass er seinen Freund nicht mehr sehen konnte.

/Jake, ich muss! Sonst/, er schloss die Augen für einen Moment, /kann ich für nichts mehr garantieren… außerdem solltest du nun auch ein wenig Abstand haben von allem; da bin ich, der dich gewiss ständig an Kiara erinnert, hier fehl am Platze. Ja, rüge mich nur mit deiner Abkehr, versetze mir nur einen tiefen Stich in meiner Brust… ich darf dich eh nicht-/

„Pass auf dich auf“, sprach Frederic leise in den Raum, als er ihm anschließend den Rücken zukehrte und ging.

Als er draußen die Haustüre ins Schloss gezogen hatte, blickte Frederic über die Schulter und hoch zum Balkon ihres Apartments. /Auf bald, Jake./

Jake konnte Frederic durch das Fenster hindurch genau in die Augen sehen, als dieser den Kopf wand. /Warum verlässt du mich gerade jetzt?/ Traurig sah er seinem Freund nach, wie er ins Auto stieg und kurz darauf davonfuhr. /Du sagtest mir, dass du das für mich tust. Doch ich möchte nicht, dass du weg bist und mich hier allein lässt. Wie soll ich denn ohne dich nicht pausenlos an Kiara denken!? Deine Nähe spendete mir ein wenig Trost und Geborgenheit, ich möchte dies nicht entsagen./

Lethargisch stützte sich Jake an die kalte Wand, schmiegte sein Gesicht an den schweren Vorhang, wobei ihm kleine braune Haarsträhne über die Stirn fiel. Unbekannte Stimmen drangen an sein Ohr, die von der Straße herauf hallten. Jake sah erneut hinunter und hielt den Atem an. „Genau so was wollte ich jetzt sehen“, brummte er vor sich hin. Mit trüben Augen sah er dem Pärchen, das sich zärtlich festhielt, hinterher, bis sie hinter der nächsten Hausecke verschwanden.

Er wusste nicht, wie viele Minuten vergangen waren, doch nach einer ganzen Weile setzte er sich zurück auf den Küchenstuhl und nahm die Bluse zur Hand, die auf dem Tisch vor ihm lag. Sachte vergrub er sein Gesicht darin und atmete mehrmals tief ein und aus. Jeder Atemzug nährte ihn mit Empfindungen an Kiara. Gierig sog er ihren Duft immer und immer wieder ein, konnte einfach nicht mehr davon ablassen. In seinem Kopf kreisten Bilder von all den Erlebnissen, die sie gemeinsam erleben durften, von denen einige sehr schön, andere wiederum der Grund für seine missliche Lage waren. Zu gern hätte er die Zeit zurückgedreht und Kiara daran gehindert, in diese Kirche zu gehen. Er redete sich erneut ein, dass nur seine Apathie an jenem Tag Schuld für ihr jetziges Übel sei, und dafür hasste er sich. Nur allzu sehr schämte er sich für seine Unverantwortlichkeit. Heiße Tränen quollen in den Winkeln seiner Augen an, doch bevor sie ihren Weg nach draußen suchen konnten, stand er geräuschvoll auf. Sein Stuhl schepperte laut, als er gegen die Spüle stieß.

„Wenn Frederic schon nicht hier ist, dann muss ich endlich selbst wie ein Erwachsener handeln und darf mich nicht ständig meiner Trauer hingeben!“ Seine Worte verloren sich schnell im mittelgroßen Raum, in dem ja außer ihm keiner war. Nachdem ihm diese Totenstille keine Antwort gab, löste sich seine Entschlossenheit schnell wieder in Luft auf. /Ohweh, das kann ja heiter werden. Zwei Tage allein mit… ja mit nichts./ Resigniert sank er wieder auf das harte Holz und stützte sein Kinn auf seine Hände.

„Okay Frederic, ich versuch´s dir zuliebe“, seufzte Jake nach wenigen Minuten. Er verbarg das tiefe Blau hinter seinen Lidern und begann sich zu konzentrieren und sich dabei von allem loszulösen, einen freien Kopf zu bekommen. Zunächst angestrengt, bald ganz entspannt fokussierte er einen Punkt vor seinem inneren Auge. Nur noch auf diesen kleinen schwarzen Fleck schaute er, ließ alles andere nebensächlich sein.

’ Sie muss nun DEINE Wärme weiterhin vernehmen dürfen, damit sie die Kraft aufbringen kann, die dunklen Mächte zu bezwingen. Nur Vertrauen und das Gefühl, dass jemand für sie da ist, der sie liebt, können sie beschützen!’

/Ja mein lieber Freund, ich werde an sie und mich und uns glauben… Kiara, ich stehe hinter dir, kämpfe gegen die dunklen Mächte an. Ich bin bei dir, ich denke mit aller Kraft an dich. Spürst du, wie meine Finger durch dein weiches Haar streichen, wie meine Lippen deine kühle Haut sanft berühren? Hab Vertrauen in dich!/

Jake wartete noch ein wenig ab, bevor er die Augen wieder öffnete. Unglücklich starrte er auf seine bandagierten Hände, die rhythmisch mit dem Puls seines Herzens schmerzten.

„Vergebens!“, rief er in die Leere des Raumes, der ansonsten noch immer totenstill war. „Nichts, aber auch rein gar nichts, konnte ich fühlen. Wie soll denn da eine Verbindung zu Kiara hergestellt werden können!? Kann ich denn nichts tun?“

Da Jake weder ein noch aus wusste, ließ er sich in seinem Stuhl zurücksinken, so dass er am Ende halb auf ihm lag.

/Frederic, komm zurück! Wie kannst du nur die Verantwortung tragen, in diesen Stunden nicht bei mir zu sein? Du warst immer bei mir, wenn ich dich brauchte. Nun ist wieder so ein Moment gekommen, in dem ich dich brauche. Diese Einsamkeit und Machtlosigkeit zermürbt mich und lässt mich nicht einmal ein Band zu der Frau schaffen, die ich von ganzem Herzen liebe. Ach Frederic, ich weiß einfach nicht weiter./
 

Mit weit geöffneten Augen lauschte Kiara den Worten in ihrem Kopf, die nicht sie dachte, sondern dieses Etwas in ihr, das von ihr lautlos Besitz ergriffen hatte, sprach. In jener Nacht, in der sie in diese Kirche gelockt worden und den dunklen Mächten das erste Mal begegnet war. Jedes Mal, wenn sie an die Kreatur umhüllt von Stoff dachte, schüttelte es sie.

Als die Stimme in ihr verstummte, sackte Kiara auf die Knie und atmete erregt ein und aus. Sie hatte Mühe, auch nur einen Ton hervorzubringen. „G-gibt es k-keine andere Möglichkeit?“

/Da muss ich dich enttäuschen./

„D-dann muss es s-so geschehen.“

Das Medaillon in Kiaras Rechten begann heftig zu vibrieren, strahlte plötzlich eine starke Kraft aus.

/Beeile dich!/, waren vorerst die letzten Worte, die Kiara von den dunklen Mächten vernahm. Warmes Violett umleuchtete das Medaillon und fing an, sich über Kiaras Hand und dann über ihren ganzen Körper auszubreiten. Nach wenigen Minuten erstrahlte sie in einem sanften Lila und sie blickte verwundert in ein großes Bruchstück ihres zerbrochenen Spiegels. Als ihre Augen über ihren nackten Körper glitten, und diese Prozedur ein paar Mal wiederholten, konnten sie zu keinem Zeitpunkt diese warme Aura erblicken. Das Violett spiegelte sich rein gar nicht wider, doch Kiara war sich sicher, dass es sie umgab. Schließlich sah sie ihre Arme und Beine in Lila getaucht, ebenso ihren Bauch.

/Auch wenn es mir der Spiegel nicht zeigt, ich bilde mir das nicht ein. Das Medaillon fühlt sich gerade irgendwie richtig in meiner Hand an. So, als ob es wirklich da hingehöre, zu mir gehöre. Doch wenn ich meine Eltern und Jake retten möchte, muss ich es zerstören. Ohh, wie mich diese Wärme durchflutet, sie ist so rein und unbefleckt. Da möchte man sich ihr voll und ganz hingeben, sich in ihr betten und sie nicht mehr entweichen lassen./

Wehmütig legte sie das Medaillon auf den kleinen Glastisch neben ihr. Als sie gänzlich ihre Finger von ihm nahm, verschwand damit auch das Leuchten und die Wärme, die äußerst angenehm war, wich wieder dem kalten Schauer, der sie seit wenigen Tagen begleitete.

„Dann werde ich das hinter mich bringen“, sagte sie zu sich selbst. Eilig zog sie sich was an, plünderte ihr Sparschweinchen und steckte das Medaillon, von einem Leinentuch umwickelt, ein. Sie schlich so leise wie es ging aus dem Haus und lief zur nächstgelegenen Bushaltestelle. Dort angelangt verlagerte sie ihr Gewicht ständig von einem Fuß auf den anderen, konnte die Ankunft des Busses kaum noch erwarten. Ihr kamen die drei Minuten, die sie warten musste, wie eine halbe Ewigkeit vor. Als sie in den Bus stieg, beschlich sie das Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden. Der Mann, den sie gerade passierte, schaute missmutig über den Rand seiner Zeitung. Die junge Frau, neben die sie sich setzte, bedachte sie mit einem geringschätzigen Blick und das Pärchen, das ihr gegenübersaß, tuschelte miteinander und warf ihr unentwegt misstrauische Seitenblicke zu. So unwohl hatte sich Kiara noch nie in einem Bus gefühlt, doch um sich dadurch nicht weiter verunsichern zu lassen, wandte sie krampfhaft die Augen durch das große Fenster nach draußen auf die vielen bunten Attraktionen, die wie in einem Film an ihr vorbeizogen.

Der Bus leerte sich zunehmend und jeder, der an Kiara vorbeikam, sah sie argwöhnisch an, bevor er ausstieg. Selbst die Leute, die draußen standen und in den Bus hineinsahen, blieben mit ihren Blicken an ihr hängen und legten ihre Stirne in Falten, kritisch und auf der Hut. Kiara zwickte die Augen zu und redete sich ein, dass sie sich das nur einbilde und die Menschen sie nicht sie, sondern wen anders meinten. Doch als sie das Braun wieder freigab, zuckte sie zusammen. Eine alte Frau hatte ihr gegenüber Platz genommen und starrte sie unverblümt an.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte Kiara bemüht freundlich.

Als sie lediglich andauerndes Starren als Antwort erhielt, begann sie wütend zu werden. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, wiederholte sie gereizt.

„Kehr um, bevor es zu spät ist!“, erwiderte die Frau drohend. Kiara stockte der Atem. Was hatte die Dame da gerade eben von sich gegeben?

„Wie bitte?“

„Ich habe nichts gesagt, junge Lady. Oh, Sie sehen ja ganz fürchterlich aus und zittern am ganzen Leib.“ Die alte Frau kramte kurz in ihrer Handtasche und reichte dann Kiara ein Taschentuch. „Nehmen Sie das und wischen Sie sich den Schweiß von der Stirn.“

Kiara nahm es dankend an.

„Ich sage es ja immer wieder: diese jungen Dinger von heute verstricken sich immer häufiger in Probleme, die ihnen dann schwer zu schaffen machen.“ Besorgt schüttelte sie den Kopf und reichte Kiara ein weiteres Taschentuch. „Hier nimm das! Mehr kann ich nicht für dich tun.“

„Danke.“ Mehr konnte Kiara nicht erwidern, denn sie war verwirrt. /Ich halluziniere… ich halluziniere./

Eine halbe Stunde später befand sich neben Kiara nur noch eine einzige Person im Bus: der Busfahrer. Kiara mied es, in dessen Rückspiegel zu sehen. Sie fürchtete, von ihm auch noch scheel angesehen zu werden. Stattdessen faltete sie die Hände und betete. Sie wusste nicht warum sie das genau in diesem Moment tat, doch sie hatte keine Ahnung, an wen sie sich sonst wenden sollte. Jake, ihre Eltern, Frederic… alle waren fern. Und Kiara fühlte sich allein. Darum schloss sie nun die Augen und sandte ein Gebet hoch in den Himmel, in der Hoffnung, es könne erhört werden.

„Eigentlich absurd“, seufzte sie. /Ich trage das Böse in mir und erhoffe mir Rettung von oben. Von den Menschen musste ich mich trennen, und… nein so darf ich nicht denken. Wenn ich nun dem Sacrament of Live und all der Macht, die von ihm ausgeht und die es in sich birgt, entsage, dann würde ich mich vollends geschlagen geben. Noch kann ich das nicht zulassen; zuerst muss ich die retten, die ich liebe!/

Sie lächelte bekümmert. /Wenn es nur schon vorbei wäre…/

„In wenigen Minuten erreichen wir Season Hall.“ Die Stimme des langbärtigen Busfahrers riss Kiara aus ihren Gedanken. Vorsichtig griff sie sich an die Beule ihrer Tasche und vergewisserte sich, dass das Medaillon noch bei ihr war. /Gut. Dann auf zur Mission ’Vernichtung des Zeichens der ewigen Blüte’!/ Während sie das dachte, überkam sie Übelkeit und sie hielt sich eine Hand vor den Mund. Aber die große Peinlichkeit blieb ihr erspart und sie konnte glücklicherweise ohne Missgeschick aussteigen. Frische Luft strömte ihr zugleich entgegen und sie atmete dankbar ganz tief ein. Nach und nach verging das flaue Gefühl im Magen und sie ging ein paar Schritte. Ihre Füße hinterließen frische Spuren auf dem sandigen Boden und sie näherte sich stetig dem Gebäude, das sie am liebsten niemals mehr aufgesucht hätte.
 

’ Nur Vertrauen und das Gefühl, dass jemand für sie da ist, der sie liebt, können sie beschützen!’

Dieser Satz wiederholte sich immer und immer wieder in Jakes Kopf. Wie gern hätte er sich von ihm befreit, doch die Worte hallten laut pausenlos in ihm wieder.

„Ich will doch nichts sehnlicher als ihr beistehen. Verdammt! Wie soll ich das denn anstellen!? Mein Versuch vorhin scheiterte doch kläglich.“

Wütend auf sich selbst knirschte er mit den Zähnen, verkrampfte seine Finger in Kiaras Bluse. Nicht mal mehr ihr Duft ließ ihn erbeben, erzürnte ihn eher noch mehr. Seine Tatenlosigkeit brachte ihn um den Verstand. Mit einem Satz sprang er auf und rannte hinaus. Er rannte, bis er vor Seitenstechen keine Luft mehr bekam. Mit schmerzender Brust kam er vor der alten Kirche zum Stehen. Das Sacrament of Live erstrahlte in feierlicher Manier, wie es das immer tat. Die Stärke, die von ihm ausging, beruhigte Jake ein wenig und verleitete ihn zum Eintreten. Als er den ersten Fuß hineinsetzte, hörte er schon das vertraute Nachhallen, das in solchen Gemäuern üblich war. Verworren ging er über den harten Boden, steuerte direkt auf den Altar zu, den er dann umlief und sich anschließend wie ein Pfarrer hinter ihn stellte. Seine Atmung hatte sich noch nicht wieder gänzlich normalisiert, aber wenigstens sendete seine Brust keine Schmerzsignale mehr aus. Nur seine Hände pulsierten brennend, was er zu verdrängen versuchte. Er schaute sich um und stellte fest, dass er eine Kirche noch nie aus dieser Perspektive betrachtet hatte. Die Bänke waren ihm zugewandt, ebenfalls die Bilder, die die Wände und die Fenster zierten. Jede Szene, die dargestellt wurde, schien sich ihm zu offenbaren, ihm ganz allein gewidmet zu sein, sich nur für seinen Blick abzuspielen. Er konnte den Dornenbusch fast brennen fühlen, vor dem Moses kniete. Das gespaltene Meer drohte über ihm wieder zu verschmelzen, eins zu werden und ihn mit sich in die Untiefen des Wassers zu reißen. Die kleinen Mosaikstücke leuchteten in vielen bunten Kolorierungen, belebten die Weite der Kirchenhalle enorm. Warme Farben tauchten den Raum in eine ruhige und selige Atmosphäre. Sie war zu konträr zu Jakes Gemütszustand, so dass er sich nur allzu gern auf sie einließ. Behutsam legte er seine in Bandagen gelegten Hände auf den Altar, vernahm sogleich die ungeheure Stärke, senkte die Lider, um der Vollkommenheit gänzlich gewahr zu werden. Einen langen Atemstoß entlockte er seiner Lunge, was ihn allmählich zur Ruhe kommen ließ. Sein Herz begann im Rhythmus des Pulsierens des Sacrament of Lives zu schlagen; er wiegte sich in den sachten Schlägen des harten Steines unter seinen Fingern.

/Hilf mir, sie zu erreichen. Ich flehe dich an, hilf mir./ Die Vibration unter seinen Händen gewann an Intensität, versetzte seinen Körper in Spannung. /Ich bin bei dir, Kiara, ganz nah bei dir. Egal, was du tust, ich vertraue dir und stehe in jeder Beziehung hinter dir. Gemeinsam kämpfen wir für unsere Liebe…/
 

Die starken Mauern ragten weit hinauf und die Turmuhr zeigte viertel vor drei an. Der Zeiger war gerade auf die Neun gesprungen, doch das dreimalige Leuten ertönte nicht. Kiara holte ein letztes Mal tief Luft, umfasste von außen das Medaillon in ihrer Tasche und ging auf die Kirche zu. Obwohl sich alles in ihr sträubte, setzte sie einen Fuß vor den anderen und näherte sich stetig dem Schauplatz ihres Alptraums. Als sie einige Meter hinter sich gebracht hatte, stutzte sie und blieb verwundert stehen. Sie sah sich das Gemäuer genauer an und stellte fest, dass sie der erste Eindruck nicht getäuscht hatte. Die Kirche wirkte viel älter als bei ihrem ersten Besuch, die Steine, aus der sie erbaut war, waren um einiges mehr von den Naturgewalten in Mitleidenschaft gezogen als Kiara das in Erinnerung hatte. Ihr Blick schweifte über das gesamte Gebäude.

/200 Jahre?/

Sie nickte unbescholten. „Mindestens… Keine Kirche kann in zwei Tagen um mehr als 200 Jahre altern. Ich habe keine Ahnung, was hier geschehen ist, aber ich muss hinein.“

Als sie sich den Flügeltüren näherte, überkam sie ein eiskalter Schauer. Bedächtig striff sie mit ihren Fingerkuppen über das vom sauren Regen angegriffene Holz und erzitterte. /Hier hat sich Jake seine Hände… ihr grausamen Mächte werdet dafür büßen!/ Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und sie trat gegen die Wand stickiger, modrig riechender Luft. Der Raum sah noch genauso aus wie wenige Tage zuvor, nur mit einem kleinen Unterschied: eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden und die langen Bankreihen. Langsam schritt sie vor zum Altar.

/Sie hat gesagt, ich müsse es in das Buch legen./ Bei jedem Schritt wurde Kiaras Körper schwerer und als sie nur noch geringfügig vom Altar entfernt war, dachte sie, ihr Herzschlag setze aus. Sie sackte wie ein Stein zu Boden und hielt sich die Brust. Die Schwere, die sie überkommen hatte, wurde noch lastender, wollte sie ganz und gar niederdrücken. Auf allen Vieren keuchte Kiara, versuchte verzweifelt dagegen anzukämpfen. Ihr Gesicht war dem Boden so nahe, dass ihr Atem Staub aufwirbelte und sie ihn zu schlucken bekam. Ein trockener Hustenreiz folgte und Kiara hätte sich beinahe an dem würgenden Gefühl im Hals übergeben. Mit schmerzender Lunge zwang sie sich aufzusehen und schaute die Figuren, die sich um den Altar wanden, erzürnt an. „Vor IHM braucht ihr eure Häupter nicht senken!“ Obwohl jeder Ton eine Qual war, sagte sie dies mit fester Stimme. Leidend nötigte sie sich zurück auf ihre Füße und bewältigte mit aller Mühe die Stufe, die sie zu dem großen schwarzen Buch führte. Verächtlich pustete sie den Staub von ihm, wodurch die goldenen Worte zum Vorschein kamen. /Und du willst eine Bibel sein! Ha!/ Zögerlich griff sie nach dem Einband und schon bei der kleinsten Berührung schnellte ihre Hand zurück. Kleine silbrige Perlen sammelten sich in ihren Augen, verschleierten den Anblick der kurz bevorstehenden Untat. Erste Zweifel taten sich in Kiara auf und sie war sich nicht mehr sicher, ob sie das Medaillon wirklich zerstören wollte. Viele Jahre hatte sie es stets um ihren Hals getragen, immer die beruhigende Schwere gefühlt. Ja sie hatte es achtlos im Wald liegen gelassen (und sie wusste, dass sie es nicht mehr an sich genommen hatte!), aber dennoch war eine Vernichtung dessen, was lange Zeit ein Teil von ihr war, etwas anderes. Kiara schlug sich eine Hand vor den Mund und kehrte sich von dem Buch ab. Sie wollte wegrennen, doch konnte nicht. Eine unsichtbare Macht hielt ihren Körper noch immer gefangen. Tränen begannen lautlos über ihre Wangen zu rollen und sie stieg unter höllischen Schmerzen von der Erhöhung hinab. Nach ein paar schlurfenden Schritten meldete sich eine ihr bekannte und gleichermaßen verhasste Stimme zu Wort.

/Wenn du jetzt gehst, dann darfst du bald das Blut deiner Eltern in deinen Händen spüren./

„Sei still!“, wollte Kiara schreien, doch nur ein klägliches Wimmern kam über ihre Lippen. „Lass mich endlich in Ruhe.“

/Du bist so weit gekommen, magst du ernsthaft in allerletzter Minute so leichfertig mit dem Leben deiner lieben Eltern spielen!? Nun, mir soll es Recht sein… wenn es deinem Wunsch entspricht./

Anstatt was zu erwidern, schlug Kiara ihre Faust gegen die nebenstehende Bank und warmes Blut lief über ihre Knöchel. Weitere heiße Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln und vernebelten ihre Sicht.

/Nur zu, schände dich selbst! Auch wenn damit niemanden geholfen ist, ich schaue dir dabei gerne zu./

Allmählich konnte Kiara diese selbstgefällige Stimme nicht mehr ertragen. „Wenn ich dich erwürgen könnte, würde ich es tun.“

/Ha-ha-ha…/

Dieses aufgesetzte Gelächter trieb Kiara in den Wahnsinn. „Hör auf zu lachen, ich mach ja schon.“

Plötzlich wurde es wieder still. Kiara war, als ob eine unendliche Last von ihr genommen worden war. Müde schleppte sie sich zurück vor das Buch und öffnete widerwillig den Einband.
 

<< Ich rief nach dir.

Erzürn` nicht meine Schönheit,

die mich aus dem Bann befreit.
 

Meine Stimme erklang

um Dich zu wecken,

damit das Böse erwacht.

In Dir erwacht! >>
 

Die Verse hatten sich nur geringfügig geändert, doch Kiara waren sie so unangenehm wie jeher. Nun holte sie das Medaillon aus der Tasche, befreite es vom Stoff und hielt es zittrig auf den Handflächen. Es begann so heftig zu vibrieren, dass Kiara es fast fallen gelassen hätte, doch noch war sie nicht bereit, es IHM zu übergeben. Sie stand vor dem geöffneten Buch und konnte zusehen, wie die Schrift vor ihr verschwamm und neue Worte bildete: << Gib es mir! >>

Chapter 21: Dungeon

Chapter 21: Dungeon
 

„Unnar, ich verlasse mich auf dich.“

Der Untergegebene nickte und wandte sich mit ernstem Gesicht von seinem Herrn ab. Vor ihm lag eine große Felsspalte, die er Remiks Befehl zu Folge zu überspringen hatte. Der Sprung konnte alles zwischen Leben und Tod bedeuten.

/Zögere nicht zu lange, sonst wirst du nach Erin meine Beute sein./ Remik steckte voller Ungeduld. Er konnte förmlich spüren, wie nah er seinem Widersacher war, alles in ihm sehnte sich nach einem Wiedersehen.

/Insbesondere mit dieser Last im Rücken…/

Mit der Handfläche strich er ein paar Strähnen seines fettigen Haares nach hinten und blickte ruhelos Unnar an. Dieser nahm Anlauf und drückte sich so fest wie nur irgend möglich vom Boden ab. Die Sekundenbruchteile seines Flugs ließen Remik das Herz fast stehen bleiben. Zunächst sah es aus, als ob Unnar versagen und in die Tiefe stürzen würde, doch am Ende landete er auf festem Untergrund und warf seinem Herrn einen triumphalen Blick zu. Bevor Remik auch nur ein Wort hinüber auf die andere Seite rufen konnte, machte sich Unnar schon auf, um zu sehen, was hinter der etwa vier Meter langen Schlucht lag.

„Wenn er nicht bald zurück ist, bist du dran.“

Attilus sah seinem Herrn entschlossen in die Augen. „Selbstverständlich.“

Schweren Schrittes lief Remik einige Minuten hin und her, den Blick unablässig über die Schlucht hinweg gewandt. Gerade als er seinen treu ergebenen Diener befehligen wollte, rückte Unnar in sein Blickfeld. „Herr!“, rief dieser außer Atem. „Ein steiler Aufstieg steht uns bevor. Ich konnte in der kurzen Zeit nicht ganz hinauf und muss daher zu meinem Missvergnügen mitteilen, dass ich nicht weiß, was danach kommt.“

Unnars Stimme drang leise, aber tief an Remiks Ohren, und mit jedem einzelnen Wort wurde er missmutiger. „Attilus?“

„Hier, Herr.“

„Nimm meine schweren Kleider und gib sie mir wohlbehalten auf der anderen Seite zurück.“ Bevor Attilus etwas erwidern konnte, hielt er schon den langen Mantel seines Herrn in den Händen, dessen unangenehmer Geruch in seine Nase kroch. Remik entledigte sich noch seiner Hose, die er sich vor etwa einem Jahr aus dem besten Büffelleder hat anfertigen lassen.

„Ich werde euch nicht enttäuschen, Herr“, sprach Attilus und verneigte sich.

Remik indes war damit beschäftigt, seine Aufregung und ja, seine Angst, vor seinem Untergebenen zu verbergen. Heimlich würgte er einen dicken Kloß im Hals hinunter, kehrte nach außen hin aber seine dominante, herrschsüchtige Miene. Er nahm so viel Anlauf, wie er sich zumutete zu rennen. Während er einen Fuß sprintend vor den anderen setzte, verfluchte er die Völlerei, die er in den vergangenen Monaten betrieben hatte. Als er sich kräftig vom festen Boden abdrückte, wünschte er sich, am Morgen weniger gegessen zu haben. Für ihn folgte ein Flug, der aufregender nicht sein konnte. Mit jeder Zehntelsekunde näherte er sich dem ersehnten Halt unter den Füßen, doch als er mit dem Rechten auf diesem landete, rutschte er aus und er drohte das Gleichgewicht zu verlieren und nach hinten in die unendliche Leere zu kippen. Kräftig wurde er am Hemd gepackt und von der Schlucht weggezogen.

„Finger weg!“, schnauzte er Unnar an, als dieser das Hemd seines Herrn wieder glatt streichen wollte. Falls er mit einem ‚Danke’ gerechnet haben sollte, dann war dieses Wort bei Remik vergebens zu erhoffen. Unnar verneigte sich und hörte, Attilus einen Meter entfernt unsanft auf dem Untergrund aufschlagen. Eilig half er ihm auf die Beine und reichte Remik seine Kleidung.

„Trödelt nicht herum! Los, hoch da!“ Remik deutete auf die Felswand, die sich ihnen darbot. Alle drei kletterten mühevoll an den unregelmäßig hervorstehenden Felsbrocken hinauf, blickten kein einziges Mal zurück. In Gedanken verfluchte Remik immer und immer wieder Erin. /Du armselige Ratte! Bald werde ich ’Inauguration’ in den Händen halten und enorme Macht erben… und dann hat auch mein Bruder keine Gewalt mehr über mich…/
 

Der große, recht magere Mann rannte seit Stunden keuchend über den felsigen Grund. Sich immer wieder vergewissernd, dass das braune Bündel noch in seinem Besitz war, eilte Erin unter der kalten Sonne über hartes Gestein, setzte einen Fuß vor den anderen und war damit bemüht, das Gleichgewicht zu bewahren. Die Tage in der kleinen Hütte mit all der Aufopferung für die unbekannten Zeichen hatten sehr an seiner Physis gezehrt. Er wunderte sich, dass er sich überhaupt so schnell fortbewegen konnte, doch er tat solche Gedanken sofort wieder ab, denn eine Erklärung half ihm in seiner Situation auch nicht. Remik im Rücken wissend war Grund genug, sich nicht mit Belanglosigkeiten abzugeben. Als sich ein tiefer Schmerz in seiner Brust auszubreiten begann, musste er dann doch einmal stehen bleiben. Widerwillig verharrte Erin ein paar Minuten und sah zurück auf den Weg, den er gekommen war. Die Felswände spiegelten die Sonnenstrahlen glanzlos wider und Erin konnte nichts weiter erblicken als diese groben, hoch ragenden Wälle. Kaum beruhigt atmete er tief ein und aus, versuchte, den stechenden Schmerz loszuwerden. Obwohl ihm das nicht so recht gelingen wollte, verweilte er nicht länger auf unsicherem Boden, vermied es jedoch erneut zu rennen. Mit jedem Schritt wünschte er sich seine Leichtfüßigkeit aus vergangenen Tagen zurück und er vernahm den Hall des Trittes seiner Füße mit großem Unbehagen.

/Mühelos hatte ich ihm ’Inauguration’ abluchsen können und nun mag er es zurück haben. Seit vielen Tagen bin ich bemüht herauszufinden, was es mit diesem Buch genau auf sich hat, was diese seltsame Schrift in sich birgt, und habe bis heute keinen wirklichen Erfolg verbuchen können. Und nun befinde ich mich auf der Flucht vor Remik… Weiß er etwa… mehr als ich?/

Dunkle Stimmen machten sich hinter Erin bemerkbar und Erin blieb fast das Herz stehen. Entsetzt sah er zurück, nach vorne und zur Seite. Sollte er davonrennen und sich der Gefahr aussetzen, in die Tiefe zu stürzen, da der Weg vor ihm zu schmal war, um einen Fehltritt zu riskieren? Sollte er tatenlos hier verharren und auf den unausweichlichen Tod warten? Wie er sich auch entscheiden würde, nichts barg Hoffnung in sich. Doch für das Warten auf den Tod befand er sich noch zu jung und entschied sich für das Davonlaufen. Jeden Schritt nahm er mit bebendem Herzen, glaubend, dass es sein letzter gewesen sein könnte.

„Da vorne ist er!“, vernahm Erin mit aussetzendem Herzschlag. Nicht wagend, auch nur einmal zu seinen Feinden über die Schulter zu blicken, bewegte er sich so hastig wie es ging fort, spürte fast schon den warmen Atem der Untergebenen Remiks im Nacken. Feine Gänsehaut legte sich auf seine Haut, die nicht nur durch die körperliche Anstrengung, sondern insbesondere durch die eben hervorgerufene Angst schweißnass war. Die unausweichliche Bedrohung kam immer näher, drohte ihn bereits im Verstand zu vernichten. All seine Gedanken drehten sich um dieses Buch, das schwer in seiner Tasche hin- und herschaukelte.

/Er darf es nicht bekommen, niemals… darf es wieder in seine Hände-/

Hart wurde er von etwas Hartem am Kopf getroffen und er sank ohnmächtig zu Boden.
 

Als Erin endlich wieder zu Bewusstsein kam, spürte er sogleich bittere Kälte in sich empor schleichen. Er wollte sich aufrichten, doch seine Glieder fühlten sich taub an und gehorchten ihm nicht im Geringsten. Mit vernebeltem Verstand schlug er seine Augen auf und sah zugleich in eine dunkle Wand aus muffiger Luft, die ihm die Kehle zuschnürte. Heftigst begann er zu husten und spuckte ein schleimiges Bündel Blut aus. Entsetzt und mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er auf den roten Klumpen, wovon ihm ganz übel wurde. Allmählich realisierte er die heißen Stellen auf seinem Rücken, die dermaßen konträr zur Kälte im Rest seines Körpers waren, dass sie ihm nicht wirklich erschienen und doch so glühend waren, dass sie wie kleine Nadeln in seine Nerven stachen.

/Was… Wo…?/

Erin war nicht imstande, klar zu denken. Die Fragen überschlugen sich in seinem Kopf, so dass keine einzige auch nur annähernd vollständig in seinem Verstand zusammenkam. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er sich, an das Letzte zu erinnern, bevor er hier aufwachte. Die unerträgliche Qual, die von seinem Körper ausging, erschwerte es ihm jedoch ungemein, ein Bild, das ihm weiterhelfen könnte, vor seinem inneren Auge hervorzurufen. Die stickige Luft kroch unablässig in seine Atemwege und drohte ihn ein weiteres Mal halb zu ersticken. Viele kurze Atemausstöße bewahrten ihn vor einem erneuten Hustenanfall, der vermutlich weitere Innereien zu Tage befördert hätte. Minuten vergingen, in denen Erin den Versuch unternahm, den Schmerz zu verdrängen und die Erinnerung an die Zeit vor hier wiederzuerlangen. Obwohl er es nicht schaffte, das starke Pulsieren seines Rückens zu vergessen oder das Kribbeln der Taubheit seiner Arme und Beine, regte sich etwas Warmes in ihm, etwas Sinnliches, das ihn auf eine schöne Art und Weise schweben ließ. Dieses neue Gefühl in ihm war so rein und besänftigend, dass er sich schon halb im Himmel glaubte. Zunächst sah er in grelles weißes Licht, das nach und nach verblasste und ein Wesen formte, das, wie er fand, einem Engel glich. Er wollte seine Arme nach ihm ausstrecken, doch sie rührten sich keinen einzigen Millimeter. Mit aller Kraft, die er aufwenden konnte, wollte er diese engelsgleiche Gestalt berühren, aber seine Glieder bewegten sich immer noch nicht. Alles, was er unternahm, brachte ihn seinem Ziel nicht näher. Seine Unfähigkeit ließ ihn zur Verzweiflung bringen, die ihn am Ende so verrückt machte, dass er wild seinen Kopf hin und her schlug. Plötzlich blieb er stocksteif liegen und sah starr nach vorne. Direkt auf diesen wunderschönen Engel, der eine Hand auf seine Wange bettete. Zärtlich hauchte er einen Kuss auf seine Stirn, was sich wie nichts weiter als ein Luftzug anfühlte, doch gleichzeitig so betörend war, dass Erin alles um sich herum vergaß. Im Rausch seiner Sinne entschwebte der Engel seines Blickfeldes wieder und Erin blieb nichts anderes übrig, als ihn ziehen zu lassen. Auch wenn er sich hätte bewegen, hätte er ihn nicht aufhalten können…

Partout konnte Erin nicht einschätzen, wie viel Zeit vergangen war, seitdem ihn diese sinnesraubende Gestalt verlassen hatte, doch seitdem wusste er zumindest wieder, was ihn in dieses dunstige Loch gebracht hatte. Überzeugt davon, dass diese betäubende Silhouette Kira gewesen war, die ihm durch ihren Kuss sein Gedächtnis zurückbrachte, schlich sich ein sanftes Lächeln auf sein Gesicht. Ein Lächeln, das so froh und vergnügt aussah, dass man hätte meinen können, er leide nicht unter diesen physischen Qualen, die von Minute zu Minute schlimmer wurden und seinen Körper einem zerfetzten Tier, das grausam von seinen Angreifern zerfleischt wurde, ähneln ließ. So benommen Erin von der Erscheinung auch war, spannen sich nun wieder Bilder aus seiner jüngsten Vergangenheit in seine Gedanken ein. Als ein großes schweres Buch sein Geistesgut streifte, weiteten sich seine Augen mit einem Mal und er begann zu zittern, sofern es sein Zustand zuließ. „Es ist meins!“, wollte er schreien, doch nichts weiter als ein klägliches Ächzen verließ seine raue, brennende Kehle.

„Seid Ihr doch noch aufgewacht.“

Dumpfe Schritte näherten sich dem Bündel, das erschrocken an die Decke blickte.

„Wie ich sehe, habt Ihr meine kleine Folter überlebt. Schade eigentlich. Obwohl…“, Remik konnte sich ein gebieterisches Lachen nicht unterdrücken, wollte es auch gar nicht, „ich habe andere Pläne mit Euch vor, Erin Ashantis.“

Erin, der noch immer reglos am Boden lag, wurde mit jedem Wort wütender und verfluchte zunehmend seine missliche Lage. Zu gern hätte er sich diesen Halsaufschneider vorgeknöpft und ihm seine Meinung mit seinen Fäusten gesagt, sich zuguterletzt triumphierend `Inauguration` zurückgeholt, Remik das Buch vor seine blutende Nase gehalten und ihn dann sterbend zurückgelassen. Doch umso mehr sich Erin solche Dinge vorstellte, umso bewusster wurde ihm, dass er kampflos dalag und nicht mal eine Spur einer Chance hatte, sich zu wehren. Er war zu einer Marionette geworden, die seinem Erzfeind als Unterhaltung diente, deren Fäden dieser mit Wollust führte.

„Mist-“, Erin begann mit roher Gewalt seine Stimmbänder in Schwingung zu versetzen, „kerl!“

Remik dankte es ihm mit einem festen Tritt, der ihn aufschreien und ihn Sterne sehen ließ. Funkelnde kleine Perlen schimmerten vor Erins Augen und drohten, ihn erneut in die Tiefen der Schwärze zu ziehen.

/Du elender Feigling! Nach einem, der am Boden liegt, zu treten ist einfach nur… feige./

Der immer größer werdende Zorn bewahrte Erin vor einem Bewusstseinsverlust, im Gegenteil, brachte sogar sein Blut zum Kochen, belebte ihn auf eine kuriose Weise, dass er sich auf seine Ellbogen stützen konnte. Lodernd sah er Remik ins Gesicht und brachte ihm ein spöttisches Grinsen entgegen. „Ihr seid jämmerlich.“

Erins plötzlicher Kraftakt irritierte Remik dermaßen, dass er nicht imstande war, etwas zu erwidern. Stattdessen wandte er dem Hohn den Rücken zu, brüllte einen seiner Bediensteten an „Gebt ihm Wasser!“ und verschwand.

/Das wirst du mir büßen. Mich so bloßzustellen wirst du noch bereuen, zumal ich diese Strapazen auf mich genommen hatte. Der Sprung über die Schlucht hätte mir das Leben kosten können, die kantigen Felsen haben mir meinen linken Arm geschändet, und mein Mantel…/ Erzürnt streifte er über den langen Riss. /Daher wirst du mir einen Gefallen tun,… einen, der dir sicherlich niemals gefallen würde. Und wenn du nicht spurst, wirst du nicht nur wie dieses Mal meine Peitsche fühlen, nein du wirst dann mit meiner Eisenstange vorlieb nehmen müssen, die sich sanft in deinen Bauch bohrt./

„Wenn du ihn weiter so peinigst, wird er dir keine große Hilfe sein, mein Bruder.“ Diese kühle Stimme zog Remik jäh aus seinen Gedanken, brachte ihn fast zum Erzaudern.

„Das ist meine Angelegenheit“, erwiderte er ebenso distanziert.

„Du scheinst immer noch nicht recht begriffen zu haben, um was es hier geht.“ Sachte berührte Reiks den Jüngeren an der Wange. „Vermassle dies und du wirst auf ewig mein Sklave sein… Shhht, keine Widerworte, denke an dein Versprechen, das du mir vor zwei Tagen gabst. Ohne mich hättest du ihn nie gefunden.“

Remik biss sich auf die Zunge und schmeckte kurz darauf warme eisenhaltige Flüssigkeit, die ihm unangenehm war. Doch da Reiks sein Gesicht nun grob festhielt und ihn eiskalt anblickte, schluckte er das Blut hinunter anstatt es auszuspucken.

/Dich würde ich auch gerne meine Eisenstange spüren lassen./

„Solche Gedanken bekommen dir nicht.“ Reiks spürte mit Wohlwollen, wie sich Remik versteifte. „Ein noch so winziger Fehltritt von dir und du wirst es bedauern.“

Als Reiks seinen Bruder ängstlich genug wusste, ließ er ihn allein, nahm es sich aber vorher nicht, ihm ein „Ich beobachte dich!“ ins Ohr zu hauchen.
 

Da seine zittrigen Beine ihn nicht länger tragen wollten, sank Remik in die Knie und erschauerte noch immer, wenn er an die Worte Reiks´ dachte. Es stimmte, Reiks hatte ihm den Hinweis mit Werther von Dunkolm gegeben, und nur so hatte er herausfinden können, wo sich Erin aufhielt. Und es ist wahr, dass Reiks ihm ein Versprechen abverlangt hatte, das ihn möglicherweise in die unterste Schicht verweisen konnte.

/Nein schlimmer noch… Reiks Diener zu werden wäre schlimmer als glühende Eisenstangen, als jedwede Schändung, als jede Folter… als dem niedersten Abschaum des Volkes anzugehören, das seinem eigenen Bruder in allem unterlegen ist./

Doch Remik hatte keine andere Wahl gehabt, denn seine Habsucht und seine Neugierde hätten nie zugelassen, irgendeine Chance auszulassen, sie einfach für nichtig zu erklären. Seine Besessenheit, einmal über Reiks zu stehen, hatte ihn sogar so weit gebracht, sich auf dessen schmutziges Abkommen einzulassen.

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„Habt ihr ihn immer noch nicht gefunden?“

„Herr, wir haben unser bestmögliches gegeben. Erin scheint wie vom Erdboden verschluckt; wir sind allen Fährten gefolgt, die sich uns auftaten, doch jede mit demselben vernichteten Resultat.“

Attilus, zur Rechten Remiks, wies die Untergebenen an zu verschwinden, die sich reumütig verbeugend entfernten, verbeugte sich anschließend selbst vor seinem Herrn.

„Kann ich für Euch noch etwas-“

Mitten im Satz weiteten sich seine Augen und er brachte kein Wort mehr über seine Lippen. Angsterstarrt verfolgte er, wie sich ein starker Arm gewaltsam um Remiks Hals legte und ihn nach hinten zog. Remiks Aufschrei ließ ihn sein Messer zücken. Gerade als Attilus auf den Feind zustürmen wollte, zeigte dieser sich und er blieb abrupt stehen, ließ seine Waffe fallen.

„Was machst du denn, Attilus?“, krächzte Remik, dessen Kehle stark gequetscht wurde. „Töte ihn!“

Remik wand sich, versuchte um sich zu treten und zu schlagen, doch er wurde so geschickt festgehalten, dass alle Mühe vergebens war.

„Attilus!“

Boshaft stierte er seinen Diener an, war wütend und irritiert zugleich. Attilus war ihm bis jetzt doch immer treu ergeben gewesen, hatte einen Befehl niemals missachtet.

/Wer vermag seine Treue zu brechen?.../

„Lass uns allein!“, wurde Attilus von Remiks Angreifer angewiesen.

„Bleib! Töte diesen Mistkerl!“, schrie Remik aufgebracht. Wenn ihn nun auch noch sein loyalster Untergebener verlassen würde, würde er seinem Feind schutzlos ausgeliefert sein.

/Diese Stimme… aber…/

Allmählich entspannte sich Remiks Körper und seine erzürnte Miene wich einem misstrauischen Blick.

„Reiks?“

„Ich muss schon sagen, mein Bruder, dass du schon lange tot wärst, wenn ich wirklich dein Feind wäre.“

/Bist du denn keiner?/

„Deine Diener sind sehr unachtsam, ich konnte mich mühelos hierein schleichen. Und du hattest nicht mal den Hauch einer Möglichkeit dich zu wehren. Hahaha, wie schwach von dir.“

Remik verbiss sich im Stoff Reiks´ Kleidung, schnappte eigentlich nach dem Arm, der ihn festhielt, bekam aber lediglich das raue Leinen zu fassen.

„Wie ein wildes Tier, das in der Falle sitzt.“

Und dann entwich Remik tatsächlich ein Knurren. „Attilus, geh.“ Remiks Stimme klang resigniert und flehend, und Attilus sah seinen Herrn zum ersten Mal so, wie er ihn sich schon immer vorgestellt hatte.

/Als Kinder hatte Reiks meinen Herrn sicher des Öfteren schikaniert, ihm gezeigt, wer der Stärkere ist./

Wortlos verließ Attilus den großen Bibliothekssaal von Breth und ließ die beiden Brüder unter sich verweilen.

„Was willst du, Reiks?“

Remiks linker Arm wurde grob gepackt und nach oben gerissen. Seine Finger wurden langsam über Reiks Gesicht geführt, so dass die Kuppen sachte die große Narbe entlang strichen.

„Dies zeugt von Überlebenswillen! Nicht diese kleinen Diener, die nicht mal imstande sind, diesen Saal hier zu bewachen.“

/Willst du mich noch mehr bloßstellen?/

„Grrr, was willst du?“

Eine starke Hand Reiks´ glitt über Remiks Wange, griff nach seinem Kinn und drehte es unsanft, wodurch Remik schmerzlich aufstöhnte. Mit verschleierten Augen, die gekränkt funkelten, blickte Remik nun Reiks an.

„Ich weiß, wer dir sagen kann, wo Erin steckt“, begann Reiks leise und beobachtete vergnügt grinsend, wie Remiks Blick neugierig wurde. „Doch meine Hilfe gibt es nicht ohne Gegenleistung. Wenn ich dir den Namen preisgebe, dann wirst du allen meiner Befehle Folge leisten, ohne jedwede Widerrede oder Gegenwehr.“ Reiks lachte verächtlich auf. „Nun kommt das Beste.“ Völlig kühl sah er den Jüngeren in die mittlerweile argwöhnischen Augen. „Sobald ich auch nur einmal das Gefühl haben werde, dass du mir nicht gehorchst, dann wirst du auf Lebzeit mein Untergebener sein. Du wirst meine Füße küssen, mein Anwesen mit deiner Zunge säubern, wenn es mir beliebt, dich für mich schänden, dich als mein Spielzeug bereitstellen, wann immer ich es will.“

„…“

„Du bebst ja unter meinen Armen. Mute ich dir etwa zu viel zu? Ha, und wenn, du hast es nicht anders verdient. Außerdem… wenn du mir jetzt schon aufs Wort gehorchst, dann wird es nicht so weit kommen.“

Die Fingernägel von Reiks Hand, die noch immer Remiks Kinn festhielt, verkrampften sich in Remiks Haut.

„Du hast die Wahl, mein Bruder. Entweder du irrst weiterhin ziellos Erin hinterher und verpasst deine fabelhafte Chance, ihn zu schnappen und an das Buch zu gelangen, oder du gibst mir ein Versprechen, das ihn dir unwiderruflich ausliefern wird.“

Unwirsch stieß Reiks seinen Bruder von sich, so dass dieser zu Fall kam. Remik spürte ein feines Rinnsal über seine Wange laufen und verfluchte innerlich Reiks. Hin- und hergerissen zwischen Rache und Gehorsam verweilte er eine Weile auf dem Boden kauernd, starrte auf den kalten Untergrund.

/Wenn ich seinen Vorschlag ablehne, wird er sich `Inauguration` selbst holen… wenn ich nur wüsste, was es damit auf sich hat… umsonst ist er nicht so besessen darauf… ich kann es ihm nicht überlassen, das ginge gegen meinen Stolz… Kann ich mich denn auf seine Worte verlassen?/

„Gut. Gib mir den Namen des Mannes preis, der mich zu Erin führen wird.“

Erhaben lächelte Reiks ihn an und nahm sich mit Genugtuung dessen Versprechen.

**********************

Kraftlos rammte Remik seine Faust gegen die kalte Mauer seines Anwesens, verzog sein Gesicht zu einer pikierten Grimasse und verfluchte stumm seinen Bruder. Attilus, der seinen Herrn eine Weile lang beobachtet hatte, schritt leise zu ihm und zerrte ihn auf die Beine. Dann sah er ihn lange geduldig an, ließ eine tiefe Verbeugung folgen.

„Herr. Beweist eurem Bruder, was in euch steckt.“

/… was in mir steckt…/

Unerwidert ließ Remik seinen Untergebenen stehen, floh in seinen geliebten Bibliothekssaal, versunken in wirren Gefilden seines Ichs.
 

Aeneus splendidus sanguis sublunaris claris.

Pugnae, caedes! Facta crudela sine dubio...

Vulna ita calida ut occidens ruber,

insidia et perduellio loco voluptas cara...
 

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Anm.:

Keine Sorge, die Übersetzung der letzten Zeilen folgt noch im Laufe der Geschichte .. bis dahin wünsch ich euch was *^_~*!

Chapter 22: Wooden Casket

Chapter 22: Wooden casket
 

„Ich bitte dich, lass endlich deine Tränen versiegen. Sie hat sich hinaus geschlichen, ja das ist wohl wahr, doch sie… konnte nicht anders…“

„…“

„Du bebst noch immer, wenn du an ihren markerschütternden Schrei denkst… Wenn ich könnte, würde ich sie dir zurückholen, damit… ach bitte weine nicht mehr.“

„…“

/Hmm, ich bin ebenso ratlos und verspüre diese Schnur um mein Herz, die immer enger zusammengezogen wird... doch du weinst schon seit fast einer dreiviertel Stunde pausenlos und … ich weiß einfach nicht, wie ich dir noch gut zusprechen kann…/

„Cecil, Schatz, lass uns ein wenig rausgehen. Vielleicht brauchst du einfach ein wenig frische Luft.“

Kiaras Mutter ließ erzürnt das Grün ihrer Augen blitzen, funkelte ihren Mann bedrohlich an, der mit entsetztem Gesicht dasaß und nicht wusste, was er falsches gesagt haben sollte.

„Du weißt überhaupt nichts! Ich brauche meine Tochter und nicht irgendwelche Spaziergänge!“ Wütend erhob Cecil sich, warf ihr Haar nach hinten und lief stapfend die Treppe nach oben. Dave sah ihr irritiert nach. Nach Minuten hatte er immer noch nicht begriffen, was diesen plötzlichen Gefühlswandel seiner Frau ausgelöst hatte. Seufzend legte er sich längs auf das Sofa, legte einen Arm über sein Gesicht.

/Ich kann mich genau an den Tag erinnern, wo alles begann. Vielleicht hätten wir ihr damals nicht folgen, ihr Haus… oder was es auch immer war… nicht betreten sollen…./

Daves Körper wurde auf einmal stocksteif, die Adern seiner Hand, deren Rücken auf seiner Stirn verweilte, traten zum Vorschein.

/Und dennoch war ich ein zweites Mal dort… ohne Cecil, die davon auch nie erfahren darf… eine Woche später fand sie diesen Brief, den ich vernichten wollte, doch leider nicht konnte… Wo du dich auch immer aufhalten magst, Kiara, bitte verzeih mir, dass ich dir dieses Schicksal nicht nehmen konnte!/

Die Abenddämmerung setzte allmählich ein und legte das Wohnzimmer, in dem Dave lag, in rote Schatten. Der sonst goldene Rahmen an der Wand glänzte nun kupfern, spielte mit dem warmen Licht, das stetig zum Fenster hereinfiel. Und das Abbild von Kiara lächelte unbekümmert in die untergehende Sonne hinein.

/Du bist noch viel zu jung, um dich ganz deinem Los zu ergeben. Leider weiß ich nun, dass sich das bewahrheitet hat, was mir Aina anvertraute… darum wollte ich doch, dass du dieses Medaillon nie in die Hände bekommst… wenn es Cecil nicht gefunden hätte, dann… nein, was denke ich nur, welch eine Schande… ich hab den Brief doch in ihr Buch gelegt… das alles wäre nicht geschehen, wenn ich achtsamer gewesen wäre… ich musste ihn doch aber schnell loswerden, denn das Schloss der Haustür hatte unerwartet geknackt und ich war in Panik geraten… da steckte ich ihn in das nächstbeste Buch, das mir in die Hände fiel… warum ich immer wieder gezögert habe, den Brief wieder hervorzuholen und das Medaillon zu zerstören, weiß ich selbst nicht… Vermutlich hatte ich einfach zu viel Angst… Angst davor, dass ich ihr Schicksal verschlimmern könnte, wenn ich das vernichte, was ihr zugedacht war…/

„Verschlimmern?“, wiederholte Dave verächtlich leise. Ein schmerzverzerrtes Grinsen legte sich auf seine Lippen, die im orange erhellten Zimmer glänzten. Seine ganze Statur wirkte niedergeschlagen, spiegelte wohl sein Innerstes nur allzu sehr wider. Mit einem leichten Anflug von Melancholie schaute er an die Decke. Wie auch seine weiteren Gedanken wurden seine Augen allmählich ganz trübe, überzogen von einem feinen nebligen Schleier.

/Ich war auf dem Nachhauseweg nach einem furchtbar stressigen Arbeitstag und ärgerte mich über den stürmischen Regen, der mich bis auf die Haut durchnässte. Als ich mir das Vordach eines kleinen Ladens als vorübergehenden Zufluchtsort ausgesucht und dort ein paar Minuten verweilt hatte,… sah ich sie… zuerst wollte ich meinen Augen nicht trauen und redete mir ein, dass das nur eine Sinnestäuschung war… die von meinem Unterbewusstsein hervorgerufen wurde, das j-e-n-e-n Tag tief in sich barg… wenn ich so daran denke, kann ich immer noch diese unheimliche Atmosphäre spüren, die nicht nur Aina, sondern ihre ganze Umgebung ausgestrahlt hatten… als ich endlich glaubte, was ich mir da einzubläuen versuchte, stand sie plötzlich vor mir!/

Dave erschrak, als ihn die tiefgründigen Augen, umhüllt von runzliger Haut und schneeweißen Haaren, anblickten. Aus seinem Tagtraum gerissen, schnellte sein Oberkörper nach oben und er fasste sich mit einer schweißnassen Hand an die Brust, unter der sein Herz wie wild pochte. Sein Puls war von einem Augenblick auf den nächsten um hundert Punkte gestiegen, was von einem unangenehmen Ziehen im Brustkorb begleitet wurde. Daves Kopf sank vornüber und sein eintretendes Keuchen durchbrach die kalte Stille des Raumes. Das zage Licht, das die untergegangene Sonne zurückgelassen hatte, streifte sanft, aber kühl, Daves Wange, deren Blässe dadurch noch mehr zur Geltung kam.

/Ich… muss…dieses … Bild… endlich… loswerden!/

Bebend versuchte er unentwegt, sich dieses abschreckenden Bildes zu entledigen, um wieder Herr seiner Emotionen zu werden, vor allem, um nicht vollends in Angst und Schrecken versetzt zu werden. Er hatte sich in den letzten Jahren so oft gefragt, warum ihm der Anblick Ainas im Nachhinein so grauenhafte Sekunden, ja Minuten, bescherte, und trotz langen Nachdenkens hatte er nie eine Antwort gefunden. Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen, wie oft ihn die zwei Treffen in seinen Träumen und Tagträumen begleiteten, er konnte dies schon lange nicht mehr an seinen Händen abzählen. Eigentlich war es einfach nur erschreckend, dass er dieses Erlebnis nicht abschütteln konnte, dass es ihn immer und immer wieder fertig machte, doch er wollte sich nie einer Person anvertrauen. Wie auch!? Dass Cecil den Brief gefunden und auf diese Weise Kiara das Medaillon doch erhalten hatte, hatte ihn dazu gezwungen, sie anzulügen. Er hatte ihr das Blaue vom Himmel herab erzählt, um sich irgendwie zu rechtfertigen, warum dieser Brief an ihn adressiert gewesen war. Schon nach den ersten Worten hatte er gewusst, dass ihr zweifelndes Gesicht genau das widergespiegelt, was sie innerlich empfunden hatte: Misstrauen! Und von Anfang an hatte er sich diesem berechtigten Charakterzug stellen müssen… doch er hatte sich nie dazu durchringen können, ihr etwas von der zweiten Begegnung zu berichten. Es war ihm stets falsch vorgekommen. Warum er diese Einschätzung dessen hatte, konnte er bis zu diesem Tage nicht sagen. Vielleicht weil Cecil dann noch misstrauischer werden würde? Dave redete sich stets ein, dass sich seine Frau minderwertig fühlen würde, wenn sie erfahre, dass er und nicht sie ein weiteres Mal kontaktiert worden war. Dass er von der Frau, die sie immerhin über Kiaras Schicksal informiert hatte, erneut um Unterredung gebeten worden war, und nicht sie als Mutter, die doch eigentlich ein stärkeres Band zu Kiara innehatte.

An wen hätte sich Dave also richten sollen? Mit Kiara konnte er sowieso nie wirklich gut über dieses Thema reden. Bei jeder noch so winzigen Gelegenheit wand er sich mit Ausreden heraus, warum er nicht auf ihre Fragen antworten könne. Die hilflosen Tränen in Kiaras Augen hatten ihn stets so tief verletzt, dass er sich innerlich gescholten hatte, dennoch war ihm jedes Mittel lieb gewesen, nichts, aber auch rein gar nichts preiszugeben. Das, was er an jenem zweiten Male erfahren hatte, hatte ihn zutiefst erschüttert und solch ein schwerer Inhalt konnte sowieso keinem Kind jemals unterbreitet werden; auch dann nicht, wenn es der Mittelpunkt all dessen war.

Mehr Eingeweihte hatte es nicht gegeben, zumindest nicht zum damaligen Zeitpunkt. So war Dave keine andere Wahl geblieben, als sich allein mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen. Den Gedanken an einen Psychiater oder irgendeinen anderen Seelendoktor hatte er nie in Erwägung gezogen, da ihm erstens eh keiner geglaubt hätte, es zweitens niemanden anging, was in seiner Familie vor sich ging, und drittens, was wohl der entscheidenste Punkt von allen war, er das Leben seiner Tochter niemals leichtfertig aufs Spiel setzen würde.

Daves Haare verbargen seine in Falten gelegte Stirn und seine zusammengekniffenen Augen, deren Lider unter der Last seines Zustandes zitterten. Durch den weit offen stehenden Mund atmete er laut ein und aus, die Luft, die er einsog und wieder ausspie zischte wie ein Geysir, der noch nicht in voller Manier Wasser zu Tage beförderte. Diese weisen, unendlich weiten, nichts- und zugleich vielsagenden Tiefen nagten unablässig an seinem Verstand, wollten partout nicht aus seinen Gedanken weichen. Immer, wenn er sie sah, verfluchte sich Dave dafür, dass er jemals in Ainas Augen gesehen hatte. Die Geschichte, die ihm dabei erzählt worden war, war so undurchsichtig, da sie auf eine Weise so ehrlich und rein, auf andere Weise so unzählig detailreich, ja und irgendwie herrschsüchtig, bestialisch war. Keine Worte vermochten zu beschreiben, was er in dem Augenblick, als er zum ersten Mal in diese zwei Seelen geblickt, gefühlt hatte. Doch auch wenn es nichts gab, was dem annähernd gleich kommen konnte, änderte sich nichts an der Tatsache, dass er just in diesem Moment von ihnen verfolgt wurde und nicht mehr von ihnen loskam, egal wie sehr er sich darum bemühte. Keuchend legte er sich eine Hand an den Hals und drückte so fest zu, wie er nur konnte. Er sah gerade keinen anderen Ausweg mehr, als sich selbst in Ohnmacht zu versetzen, oder gar schlimmer noch, halb zu erwürgen, denn das Ausmaß seines derzeitigen Anfalls war um einiges gewaltiger als alle, die er bisher durchlebt hatte. Vielleicht nahm ihm ein kurzer oder fortwährender (?) Bewusstseinsverlust ja seine Angst und insbesondere dieses für ihn so grauenhafte Bild. Mit Sicherheit konnte er natürlich nicht sagen, ob seine Aktion was bezweckte, aber er intensivierte den Druck um seinen Hals. Verzweifelt tasteten die Finger seiner anderen Hand nach der Krawatte, die er am Vorabend wohlwollend abgelegt hatte und noch irgendwo in der Nähe herumliegen müsste. Während seine Hand über den samtenen Stoff des Sofas glitt, traten ihm kleine Perlen kalten Schweißes auf seine Stirn. Das Bild, das in all seiner Widerlichkeit nicht im Entferntesten weichen wollte, das ihn aufgrund der Assoziation mit dem, was er erfahren und sich seit Jakes Auftauchen bewahrheitet hatte, beunruhigte und fertig machte, stand vor seinem inneren Auge wie ein Fels in der Brandung, der sich selbst von den stärksten Wellen nicht beeindrucken ließ. Als seine Finger endlich das zu fassen bekamen, nach dem sie so erhitzt getastet hatten, legten sie sogleich die feine Seide um die errötete Haut. Nun löste sich die andere Hand vom Hals, aber nur kurzzeitig, um ein Ende der Krawatte zu packen.

/Jetzt oder nie!/, hallte es in Daves Kopf.

Mit aller Kraft, die er aufwenden konnte, zog er an den beiden Enden in entgegengesetzte Richtung...

er spürte aber keinen Druck mehr um seine Kehle. Obwohl er so von Sinnen war, nahm er allmählich zwei warme Hände wahr, die sich zwischen der Seide und seinem Hals, halb auf seinen Händen, befanden.

„…du da?“

Eine hohe, fassungslose Stimme drang an seine Ohren, deren Bedeutung er nicht erfassen konnte. Zwischen die endlosen, grausamen Weiten mischten sich plötzlich funkelnde Strahlen, die den Sonnenstrahlen glichen, die an warmen Frühlingstagen die Herzen aller Lebewesen in Verzückung bringen. Daves Körper zuckte, verstand nicht, was eben vor sich ging, wehrte sich gegen all die verwirrenden Ereignisse, die wie Blitze ganz unerwartet wie aus dem Nichts aufeinander folgten. Das Bild vor seinem inneren Auge begann zu leuchten, die erbarmungslosen Seelen versetzten ihn noch tiefer in Angst und Wahnsinn, doch mit einem Mal verlor sich der Zug in seinem Verstand. Die Schwere in seinem Kopf wandelte sich in ein Nichts, ließ ihn endlich entkommen. Dave riss die Augen auf und sah zu, wie das Bild von Aina immer pixeliger wurde, wie es zu einem Meer von tausenden kleinen Bildchen wurde, die zwar zusammengefügt ein Ganzes ergaben, doch so wirr und unscharf einfach nicht zusammenpassten.

Völlig entkräftet sackte er in sich zusammen und döste traumlos mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen ein.
 

« Gib es mir! » prangte noch immer auf der aufgeschlagenen Seite des schweren Buches, das halb verlassen auf dem Altar der Kirche von Season Hall verweilte, einzig und allein von Kiara in Augenschein genommen. Ihre Augen waren starr auf die harten schwarzen Lettern gerichtet, die partout nicht weichen wollten, sondern vielmehr ein wenig zu vibrieren schienen, um ihrer Forderung noch mehr Ausdruck zu verleihen. Mit der stickigen Luft des recht weitläufigen Kirchenschiffes hatte das Mädchen immer noch ein wenig zu kämpfen, denn sie kratzte ungemütlich im Hals und bescherte ihr ein leises Rasseln beim Atmen. Das prasselnde Hauchen war das einzige, was dem Raum ein wenig Leben verlieh. Die sonstige Stille und die lastenden dämmerigen Lichtverhältnisse trugen nichts zu einer wohligen Atmosphäre bei, in der sich Kiara nur zu gern gerade befunden hätte. Alles um sie herum wirkte alt und auf gewisse Art und Weise verdorben, vom Rad der Zeit in die Mangel genommen, der Charme der Kirche hatte durch die nagende Dunkelheit an Lieblichkeit verloren.

Statt der Aufforderung nachzukommen hielt Kiara das Medaillon fest umschlossen in ihren Händen und fragte sich, warum sie es IHM nicht gab, wenn sie doch bereit gewesen war, es mit Gewalt zu zerstören. Hätte der harte Aufprall auf den Boden das warme Metall zwischen ihren Fingern zerschlagen, wäre sie nun nicht in dieser misslichen Lage. Doch wie sich herausgestellt hatte, konnte man das Medaillon nicht ohne weiteres vernichten. Diese wahnsinnig machende Stimme in ihrem Kopf hatte ihr verraten, wie sie dies doch bewerkstelligen könne, und sie gleichzeitig dazu gezwungen, zurück zu diesem Ort zu kommen.

/Kann ich ihren Worten eigentlich glauben?... Vielleicht wollte sie mich in die Irre führen, damit ich so naiv bin und IHM das Medaillon bringe!?… Doch wenn sie die Wahrheit sagte und ich gehorche, dann… wird sie meine Eltern und Jake verschonen… hoffe ich… und wenn alles nur eine Lüge war?/

Kiaras braune Tiefen wanderten über die Sitzreihen und nahmen von diesen keine einzige wahr. Jede Holzstrebe kam nur als verschwommene Silhouette in ihrem Verstand an, die keinerlei Bedeutung hatte, sondern nur ein unliebsames Bild war, das beiläufig aufgefangen wurde. Ihr Herz regte sich, doch sie vermochte nicht zu deuten, weshalb. Jahrelang hatte sie das Medaillon wie einen Schatz gehütet, es Tag und Nacht getragen, keine Sekunde lang abgelegt. Immer wenn sie sich allein und einsam gefühlt hatte, hatte sie es fest gedrückt und sich an der Wärme, die es für sie schon immer innehatte, gütlich getan. Seit mehr als neun Jahren war es ihr ständiger Begleiter, hatte mit ihr schönes und schlechtes durchlebt. Selbst als sie begonnen hatte daran zu zweifeln, dass es den jungen Mann aus ihren Traumen wirklich gäbe, hatte ihr das Metall in ihren Händen den Glauben zurückgegeben.

/Nun ist es aber schuld daran, dass ich Jake entsagen muss./

Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie Jakes Abbild vor sich sah, wie er sie halb fröhlich, halb sinnlich anblickte. Seine blauen Tiefen bescherten ihr wie immer eine wohlige Gänsehaut, die dieses Mal aber sehr viel Sehnsucht in sich barg. Reumütig sah sie zurück auf das Medaillon.

/Wie ich mich auch entscheide, ich darf nicht in deine Nähe kommen… doch ich kann dich vorerst retten, wenn ich IHM das Medaillon überlasse… ich weiß, dass du das niemals gutheißen würdest, obwohl ich dich noch viel zu wenig kenne… ein Blick in deine wunderbaren Augen verraten schon, dass du niemals auf die dunklen Mächte hören würdest. Doch würdest du immer noch so denken, wenn diese Stimme, die dir unverblümt Drohungen ausspricht, in deinem Verstand nagt?/

Widerwillig dachte Kiara an das Wesen, das sich in ihr ungewollt eingenistet hatte. Bisher hatte sie keinen Weg gefunden, die böse Macht in ihr zu besiegen, was sie gerade jetzt unruhig werden ließ. Unter dem leicht pulsierenden Medaillon wurden ihre Hände allmählich feucht und Kiara begann vor Unentschlossenheit auf der Unterlippe zu kauen.

/Dieser Zwiespalt lässt mich zaudern. Ich sehe die Worte vor mir, wie sie immer bedrohlicher funkeln und mich zum Gehorsam verleiten wollen. Doch ich spüre auch das anbahnende Verlangen, das Medaillon zu behalten, weil es ein Teil von mir ist… der mir momentan nur Unglück beschert, doch zu mir gehört… Kann man denn einfach einen Teil von sich wegwerfen?/

Kiaras Mundwinkel verzogen sich zu einem verächtlichen Grinsen.

/Dem Feind direkt zu Füßen legen!?/

Unmerklich schüttelte sie mit dem Kopf und senkte die Lider so weit, dass sie das Schwarz der wenigen Buchstaben vor sich nur noch vage sehen konnte.

/Jetzt reicht es!/, hallte es laut und genervt in ihrem Verstand. /Deine Gedanken sind ja nicht auszuhalten! Ich frage mich ernsthaft, was mein Herr an dir findet. So ein sentimentales Gerede, von wegen ’einen Teil von sich wegwerfen’! Was willst du denn mit einem Stück wertlosem Metall, wenn du eh nur an eine Person denkst, die ich mitnichten mit dem kleinen Finger vernichten kann?/

Eine Welle des Zorns durchflutete Kiara und ließ ihr die Röte in die Wangen steigen.

„Kannst du mich nicht einmal in Ruhe lassen? Musst du mir immer das zerstören, was mir lieb ist?“, platzte es unwirsch aus ihr heraus. „Ich kann doch nichts dafür, dass du kein Herz hast. Wenn du dich schon ungebeten in mir eingenistet hast, kannst du mir wenigstens meines lassen!“

/Herz? Ha-ha-ha, meinst du das, das dir so viel Kummer und Gewissensbisse bereitet? Das, das dich aller Macht über dich selbst beraubt? Stimmt, mit so etwas kann ich nichts anfangen. Alles was zählt, ist die Herrschaft über euch niedere Wesen, und die erlange ich ohne dieses hinderliche Ding, das ihr Herz nennt./

„Warum verschwindest du nicht einfach wieder?“

/Warum sollte ich? Wer hat denn die Zügel in der Hand und kann tun und lassen, was immer sie will? Ich muss nur mit dem kleinen Finger schnippen und schon tauchst du ab und überlässt mir jedwedes Handeln und Tun./

„So einfach ist das nicht.“ Kiaras Augen verengten sich beim Sprechen zu schmalen Schlitzen, in denen es wild funkelte. „Ja vielleicht hast du das im Wald geschafft, doch ein weiteres Mal lass ich das sicherlich nicht zu! Schließlich ist das mein Körper, in den ICH geboren wurde und über den ich ganz ALLEIN bestimme!“

/Mh, vielleicht mag mein Herr deine Aufmüpfigkeit schätzen/, die Stimme verlor an Gedankenferne und nahm an Ernsthaftigkeit zu: /Doch ich dulde deine ungehorsame Art ganz und gar nicht. Du hast keine Ahnung, wie man sich einer Obrigkeit wie mir gegenüber benimmt. Dein Trotz ziemt sich überhaupt nicht. Wenn du nicht bald deine Sturheit ablegst, wirst du es bitter bereuen!/

„Ich bereue nur eines: dich in meinem Verstand verweilen lassen zu müssen!“

Kiara fasste sich ruckartig an die Brust und schrie laut auf. Glänzende Flüssigkeit sammelte sich in ihren Augen, die den Schmerz, der gerade ihr Herz übermannte, zu verkörpern versuchte.

/Wenn du nicht spurst, dann vernichte ich dieses menschliche, verachtenswerte Etwas in dir!/

„Das kannst“, Kiaras Brust stach bei jeder Silbe, die sie sprach, jedes Wort schoss wie eine heiße Nadel in ihr Herz, „du nicht, denn du brauchst mich.“ Wie gern hätte sie höhnisch gelacht, doch die Qualen, die ihr von den dunklen Mächten bereitet wurden, ließen nicht zu, dass sie sich noch stärker auflehnte. Keuchend sackte sie auf die Knie, hielt das Medaillon immer noch fest umschlossen zwischen den beiden Handflächen. Langsam öffnete sie die Hände und legte ihre rechte Wange auf das warme Metall. Sie glaubte in dem Nebel aus psychischem und physischem Schmerz die feinen Linien spüren zu können, die sich von beiden Seiten hin zur Mitte rankten und fast einer Blume glichen.

/Wird das mein Abschied sein?/, fragte sie sich.
 

Zärtliche, friedvolle Wogen, kleinen Stromstößen gleich, beseelten das Gemüt des jungen Mannes, dessen Hände sanft, aber bestimmt, auf dem großen Altar des Sacrament of Lives verweilten. Der Gleichklang zwischen Herzschlag und dem rhythmischen Pulsieren, das von der Kirche ausging, ließ Jake in eine Welt abtauchen, die jeglichem Gefühl von Realität entsagte. Fernab von tosenden Emotionen und lauten wirren Geräuschen lief er über ein Meer weißer Kirschblüten, die sich sanft an seine nackten Füße schmiegten und ihn mit ihrer Weichheit verzückten. Jede Berührung mit dieser von der Natur gegeben Pracht hinterließ in ihm einen wohligen Schauer, den er immer wieder aufs Neue genoss. Losgelöst von fast jedem irdischen Sein ging er Schritt für Schritt der unendlichen Weite entgegen, die ihm verlockend vorkam, da sie so konträr zu seinem derzeitigen Denken war.

Bevor er aus Verzweiflung in die alte Kirche geflohen war, um dort seine letzte Rettung zu finden, war er von hohen nicht enden wollenden Mauern umgeben gewesen. Mauern, die einzig und allein von seinen Selbstvorwürfen errichtet worden waren. Genau in dem Moment, wo er seine Finger auf den harten Altar gelegt hatte, waren diese Bauten eingerissen worden und ähnelten nun nur noch alten Ruinen, erbaut von den Templern, in Gedenken an vergangene Zeiten. Befreit ging er über das endlose Meer von Kirschblüten und lauschte der Stimme, die wohlig eine ihm unbekannte Melodie summte, die ihm aber dennoch irgendwie vertraut war. Vor sich hin nuschelte er stets drei Silben, die er bei jeder Wiederholung mit der gleichen Intensität aussprach.

„Ki-a-ra…“

Ein leichter Windhauch wedelte ein paar Blüten auf, die anschließend im Takt der ruhigen Melodie tänzelten. Eine einzelne Blume streifte sacht Jakes Gesicht, das ein glückliches Lächeln auf den Lippen zeigte…

Das laute Schließen einer Tür riss Jake aus seiner Trance und eine dumpfe Männerstimme brach das Lied in Jakes Kopf abrupt ab.

„Was machen Sie noch hier? Wissen Sie denn nicht, dass die Kirche die Nacht über geschlossen wird?“

„...“

„Ihre Züge machen einem Glauben, Sie hätten keine Ahnung, wo Sie sind und was ich sage.“ Der ältere Herr in seiner dunklen Cordhose und dem grauen Pullover betrachtete Jake lachend. „Ich werde damit doch nicht auch noch recht behalten!?“

„W-wie... bitte?“, stotterte der Jüngere, noch benommen von der betörenden Atmosphäre, in der er sich eben noch befunden hatte.

„Das gibt es doch nicht“, fuhr der Herr fort. „So was ist mir ja in zwanzig Dienstjahren nicht passiert. Nun denn, ich schließe erst mal hinten ab, vielleicht haben Sie bis dahin ja zu sich gefunden.“

Irritiert sah Jake dem Mann nach, bis seine Silhouette von den tiefen Schatten der Empore verschluckt wurde. Er fuhr sich durchs Haar und blickte auf die Uhr, die er momentan rechts tragen musste aufgrund des Verbandes an der anderen Hand. Die Zeiger zeigten zehn Minuten vor zehn und Jake sah gebannt auf den Sekundenzeiger, der in gleichmäßigen Abständen von einem kleinen schwarzen Strich zum nächsten hüpfte.

„Herrje, Sie schauen ja noch immer so gedankenverloren drein.“

„Mh? Oh, ich...“

Väterlich legte der Ältere einen Arm um Jakes Schultern und bugsierte ihn langsam, aber sanft in Richtung Tür. „Ich weiß nicht, was Sie dermaßen durcheinander gebracht hat und es geht mich auch nichts an. Nichtsdestotrotz muss ich Sie nun beten, das Sacrament of Live zu verlassen.“ Als Jake von frischer Luft umgeben war, blickte ihn der Mann fest an. „Kommen Sie gut nach Hause.“ Mit diesen Worten drehte er alsbald einen großen Schlüssel im Schloss herum und verabschiedete sich anschließend mit einem freundlichen Nicken. Jake hob zum Abschied unbewusst die Hand, doch verweilte in Gedanken noch immer in einer dichten Nebelbank.

Minuten vergingen, in denen er starr vor den verschlossenen Toren der Kirche stand. Außer ihm war keine Menschenseele mehr in der Nähe des Sacrament of Lives, die letzte hatte ihn aus seiner Trance gerissen und allein in dem Dunst seines Bewusstseins zurück gelassen.

/Ich habe wirklich nicht gewusst, dass die Kirche nachts geschlossen ist… doch es war doch… nicht mal später Nachmittag, als ich her kam… die schwere Glocke zählt nun schon den zehnten Schlag, es ist wirklich Nacht… Noch immer kann ich den blumigen Duft riechen, die Kirschblüten waren in der Tat wunderschön… ihr Weiß so rein und unschuldig… Ich muss also mehrere Stunden im Sacrament of Live gewesen sein, was ich mir eigentlich nicht erklären kann./ Jakes Blick fing die dunklen Umrisse der Kirche ein und schweifte empor zum leicht bedeckten Himmel, an dem einige Sterne funkelten. Der Mond zeichnete hauchdünn die obere Hälfte eines Zetts.

/Obwohl mich die Verzweiflung beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte, vernehme ich nun nichts mehr von ihr. Mein Herz fühlt sich zwar einsam,… ich weiß auch nicht… aber es fühlt sich so frei an… von meiner Schuld…/

Nachdenklich nahm Jake den Nachhauseweg in Angriff und hoffte bei jedem Schritt, dass ihn dort in dem gemieteten Apartment jemand erwarten würde. Ob Frederic oder Kiara war ihm momentan irgendwie gleich, denn er sehnte sich einfach nach einer Person, die ihm seine Wirrungen in klare verständliche Sätze übersetzen konnte. Er wusste nicht, was in den vergangenen Stunden geschehen war. Nur tauchten immer und immer wieder diese weißen Blüten vor seinem inneren Auge auf, die ihn immer noch lockten und zu sich zu riefen schienen. Was war nur in all der Zeit geschehen?

/Dass mich vorher niemand angesprochen hat… wo doch seit dem zweihundertjährigem Bestehen mehr Touristen hier auftauchen… oder haben sie es vielleicht versucht, nur ich war zu weggetreten, um auch nur ein wenig von einem eventuellen Versuch wahrzunehmen?... Es erscheint mir unwirklich, dass ich stundenlang in einer Kirche verbracht habe, ohne mich ernsthaft an die vielen Minuten erinnern zu können… wenn mir nun jemand sagen würde, dass ich dort zehn Minuten verweilt habe, dann würde ich dem zustimmen, doch… Stunden?... dieses weiße Meer war in der Tat anziehend und dieses Gefühl von Schwerelosigkeit bezirzte meinen Körper in allen Maßen… doch Stunden?/

Jake konnte diesen Umstand nicht einfach so hinnehmen. Er war es nicht gewohnt, nicht zu wissen, was er getan hatte. Grüblerisch kaute er auf seiner Unterlippe und ihm schossen plötzlich dutzende Schlagzeilen in den Kopf, die eine unschöner und erschreckender als die andere.

/Wenn morgen nun die Überschrift ’Die Erleuchtung’ in der Zeitung prangt… und ein Bild darunter, auf dem ich total apathisch dreinschaue… ’Wenn die Jugend von heute Gott entdeckt’… ohweh, ich will bloß nicht in irgendeinem Tratschblatt enden… Stunden!!!... nein, das kann ich immer noch nicht recht glauben… ’Fehlt nur noch der Heiligenschein’, ’Das moderne Sündenbeichten’, ’Immer mehr auf Drogen!’ /

Mit leichtem Unwohlsein lief Jake durch die halbdunklen Straßen von Trumity und wünschte sich, dass er wisse, was diesen Abend vorgefallen war. Das Gefühl, frei von Schuld zu sein, erleichterte sein Gewissen enorm, doch besänftigte die aufkeimende Besorgnis nicht, dass seine Unkenntnis schwerwiegende Folgen haben könne. Wie würden Frederic oder seinen Eltern darauf reagieren, wenn sein Abbild morgen auf allen Titelseiten prangte? Wo sie doch immer darauf bedacht waren, möglichst anonym und unscheinbar zu handeln, damit ihre wahre Identität nicht aufflog. Wenn sein Bild einmal auftauchte, dann würden die Anhänger der dunklen Mächte möglicherweise darauf aufmerksam werden.

/Denn wer stellt sich schon in eine Kirche, legt Hand an den Altar und ist mit einem Mal total weggetreten?/

Neue Schuldgefühle keimten plötzlich in Jakes Verstand auf. Hatte er schon wieder einen Fehler begangen?

/Ich bringe allen nur Unglück… Frederic hat mich wohl zu recht verlassen… und Kiara!?... N-e-i-n… wo ich mich doch gerade so frei gefühlt hatte!/

Jakes Kinn sackte auf seine Brust. Resigniert starrte er auf die in schwarze Schatten gelegte Straße, die unstet Stellen aufwies, an denen sie bereits aufgerissen und wieder zugeteert worden war. Sein Blick schweifte auf ein Schaufenster, das in ein sanftes orange getaucht war und in dem ein großer Flachbildfernseher stand. Das Gerät war eingeschaltet und zeigte aber unentwegt nur ein Bild, das sofort Jakes Aufmerksamkeit weckte. Er ging näher heran und nahm den Blick nicht vom Bildschirm. Die Szene, die sich ihm darbot, stimmte ihn mit einem Mal gänzlich ruhig, zumindest für einen Augenblick. Die zwei Hände, die sich so sachte und zugleich so innig berührten, strahlten ungemein viel Geborgenheit und Liebe aus, dass Jake laut aufseufzte.

/Wärme, schützende Wärme eines anderen… wie teuer das ist… wie wertvoll…/

Lethargisch wischte er den feinen Film seines Atems von der Fensterscheibe, wandte gezwungen den Kopf und löste sich somit von den sich berührenden Händen. Seine blauen Augen sahen matt wieder in das Halbdunkel und sein Herz schlug in Eintracht mit einer traurigen Sinfonie. Genau zu diesem Zeitpunkt wünschte er sich eine Umarmung, die ihn aus dem Labyrinth befreite, in dem er seit dem Verlassen der Kirche umherirrte. Dass er dermaßen durcheinander war, störte in gewaltig und ließ ihn nach einem Menschen sehnen, der ihm Sicherheit gab. Voller Verlangen lief Jake die letzten Meter nach Hause und in ihm regte sich ein klein wenig Hoffnung, dass ihn doch jemand empfangen würde. Als er das Apartment betrat, das er sich mit Frederic teilte, begrüßte ihn dennoch lediglich die Dunkelheit… die er gerade nicht ertragen konnte. Sofort schaltete er das Licht ein und sah sich der Leere des Raumes gegenüber. Mit unglücklicher Miene setzte er Teewasser auf und holte eine Glaskanne aus dem Küchenschrank. Als er sich umdrehte, erblickte er Kiaras Bluse, die unachtsam auf dem Boden lag. Langsam griff er nach dem grünen Stoff und faltete ihn säuberlich zusammen. Nachdem er die Bluse auf einer Seite des Tisches abgelegt hatte, füllte er heißes Wasser in eine Tasse, in der bereits ein Teebeutel hing, der nun fruchtigen Duft verströmte.

Während er immer mal wieder am Getränk nippte, sah Jake hinaus auf die Stadt, die zum größten Teil in Schlummer lag. Traurig lächelte er sein eigenes Spiegelbild an, das ebenso traurig zurücklächelte.

„Du wirst damit alleine fertig werden müssen… du kannst dich nicht nur auf andere verlassen, denn deine Fehler musst du selbst einäschern…doch…“

/… möchte ich gerade nicht allein sein… deine warme Haut unter meiner, deine Lippen auf meinen, meine Hand in deinem Haar… ich möchte in deinen dunklen Tiefen versinken, die mich liebevoll und ein wenig scheu anblicken…/

„Ich bin so erbärmlich!“

Mürbe fuhr sich Jake durchs Haar und sah sich selbst in die Augen. Sein Antlitz wirkte niedergeschlagen, doch trug weiterhin eine gewisse Erhabenheit mit sich. Die weißen Bandagen leuchteten in dem Glas, was seinen Blick auf sie lenkte.

„Kiara…“

Ungläubig starrte Jake in das Fenster, als sich von jetzt auf nachher ein Mann mit dunklen Haaren immer deutlicher auf dem Glas abzeichnete, dessen Hand langsam an seiner Hüfte hinunter glitt und ein Schwert zog. Jakes Augen weiteten sich, doch er war dazu verdammt, nur stumm dabei zuzusehen, wie sich die scharfe Klinge stetig näherte. Ein dicker Kloß steckte in seinem Hals und er öffnete den Mund, aus dem kein einziger Laut drang. Der Mann hinter ihm ließ die flache Seite des Schwertes auf Jakes Schulter gleiten, woraufhin es dort eine ganze Weile verharrte. Eigentlich war es dem Jüngeren danach, den harten Stahl wegzustoßen, doch er spürte ihn nicht. Er fühlte keine Schwere auf seiner Schulter. Der Herr hinter ihm wirkte mit jeder Facette würdevoll und sein Griff um das Schwert schien sehr bestimmt zu sein. Die Mischung aus Rüstung und edlem Anzug, die er trug, glänzte und reflektierte das Licht der Mondsichel, die kurz unter den Wolken hervorlugte. Erst als das Stahl geraume Zeit auf Jakes Schulter verweilt hatte, nahm er es wieder von dort weg und verstaute es sicher in dem langen silbrigen Heft, das in feinen dunkelroten Linien seinen Edel fand. Nach einem leichten Nicken wuchs die Distanz zwischen den beiden Männern im Fenster und die Scheibe reflektierte nach wenigen Sekunden nur noch die Küchenwand.

„Ich bin dein Schwert!“, murmelte Jake.

Durch seine eigenen Worte schreckte er auf und das erste, was er tat, war sich die Augen reiben. Doch so viel er auch reiben würde, er könnte sich nicht davon überzeugen, dass das gerade eben reine Einbildung gewesen war. Mit einem kritischen Blick versicherte er sich, dass der Fremde wirklich wieder weg war, und zugleich wusste er, dass der Mann gewiss kein Fremder war. Jake könnte seine Ahnung niemals vor irgendjemandem rechtfertigen, doch er nickte sich selbst zu.

„Jaken von Valinsea!... ’Ich bin dein Schwert!’… Hat das zu bedeuten, dass…?“

„Gewiss.“ Die Zustimmung, die nicht er gesprochen hatte, ließ ihn auffahren und seine Nackenhärchen aufrichten. Ruckartig sah er in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, ohnmächtig seiner eigenen Sprache.

Mit ernstem Gesicht näherte sich die Person, zu der die Stimme gehörte, hielt dabei ein kleines hölzernes Kästchen behutsam in den Händen. Das dunkelbraune Kirschbaumholz wies einige eingeschnitzte Vertiefungen auf, die Jake sofort daran erinnerte, dass er so was eben schon gesehen hatte.

/Völlig identisch zu den feinen Linien auf dem Heft von Jaken von Valinsea!/

Überrascht sah er in die dunkelgrünen Seen, die ihn gefangen nahmen und dann anschließend ehrfürchtig aufseufzen ließen.

„Dies hier“, der Ältere hielt das Kästchen nun auf Augenhöhe, „wird deine neue Pflicht sein.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (17)
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Von:  Silverphoenixdragon
2007-01-25T23:28:24+00:00 26.01.2007 00:28
oh .................
drop shit und sorry
dann ist jetzt mein kommi da
mach weiter
+ff lieb*
knuddel kazu
Von:  Silverphoenixdragon
2006-11-24T23:18:34+00:00 25.11.2006 00:18
HI

Gomen wieder nicht gemerkt
Gefällt mir wieder super

knuddel sky
Von:  Silverphoenixdragon
2006-09-04T00:20:44+00:00 04.09.2006 02:20
so hier mein kommi wieder
find es wieder klasse

sky
Von:  Silverphoenixdragon
2006-05-04T19:26:53+00:00 04.05.2006 21:26
Hi
Ich finde dies auch wieder sehr spannend und mach weiter so ^^
Ich freu mich dann wieder auf das nächste Chapi und Ens wäre auch wieder super

Sky
Von:  Silverphoenixdragon
2006-04-28T13:37:13+00:00 28.04.2006 15:37
Hi
Die FF ist sehr Interessant und würde mich freuen mehr zu lesen
Und wenn du nen neues Kapitel hast kannst du dann vielleicht per ens bescheid geben

Kazu
Von: abgemeldet
2005-09-24T09:34:42+00:00 24.09.2005 11:34
Ich mag Erin... glaub ich jedenfalls XDD
Ich bin mir nicht gaaanz sicher was ich von ihm halten soll, immerhin hat er seine Familie im 'Stich' gelassen. Aber diesen anderen Kerl Remik... den mag ich auf gar keinen Fall...
Bin mal gespannt, was noch passiert...
es werden immer mehr neue Leute.... uiuiui hoffentlich komme ich da dann nicht irgendwann durcheinander... aber immerhin:
bisher kann ich sie alle auseinander halten ^_______^
*stolz*
Von: abgemeldet
2005-08-21T11:21:07+00:00 21.08.2005 13:21
O_____O <- genauso hab ich beim Lesen ausgesehen *lach*
Es wird wirklich riiichtig spannend.
Boah ist das cool.
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel... wann ist es denn so weit?
*mal wieder gaaanz neugierg nachfragt*

Ich wuuste es... gut es war ja auch eindeutig aber ich wusste es!!! ;P
Hach ja... die Zwei sind aber auch ein süßes Paar. Sooooo süß!!! :D
Fast zu beneiden!! Wirklich fast... ich meine immerhin steht ihnen noch eine Menge bevor... aber wenn das nicht wäre...
*wäre dann wirklich neidisch*
Von: abgemeldet
2005-08-21T11:07:47+00:00 21.08.2005 13:07
Ich hab gekichert wie ein kleines Kind. Das ist ja soooo süß!!
Jake und Kiara
Kiara und Jake
*sing*

Das war ein schönes Kapitel, auch wenn es mir sehr Leid getan hat, was man über die Eltern von Lady Kira erfahren hat ;___; Das war echt grausam... das böse Böse!!!
So was tut man nicht...

Oh man... tut mir leid, irgendwie schaffe ich es heute nur Dinge zu schreiben die irgendwie lächerlich klingen. Ich meine es wirklich so... das böse ist grausam (auch wenn wir alle wissen, dass das Böse so sein muss weil es sont nicht böse wäre)

Ich lese gleich weiter ^^
LG
Fantasy
Von: abgemeldet
2005-08-21T10:37:11+00:00 21.08.2005 12:37
Hmm... ich mag Jake :D
Na jedenfalls bis jetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Kiara so sehr verletzen wird wie es in dem Prolog erzählt wurde... das heißt... eiiigentlich weiß ich ja gar nicht was er ihr so schlimmes antut... und 1oo%ig sicher kann ich ja auch nicht sein, dass es sich um Jake handelt.
Es ist nur so... ich weiß auch nicht... wie ein Gefühl eben X___x
Ich bin ja mal gespannt wie es jetzt weiter gehen wird.
Jetzt wird Kiara vielleicht ein Wenig mehr erfahren...
*Neugierde pur*

Der Traum war seeehr interessant... sehr sehr!!
*nick*
Er ist ihr Schwert... klingt echt gut ^-^

Ich düs' dann gleich mal zum nächsten Kapitel!! =^-^=

ps. Tut mir Leid, dass du so lange warten musstest. Ich habe immer mal weider angefangen dieses Kapitel zu lesen aber irgendwie wurde ich immer abgelenkt, bis ich es dann eine Zeit lang ganz vergessen hatte (Das klingt so fies... ;__; Tut mir Leid)
Von: abgemeldet
2005-06-12T08:06:54+00:00 12.06.2005 10:06
Ahhhh es geht weiter und wie ich lese bleibt es spannend. Sehr schönes Kaiptel mach weiter so....und das so schnell wie möglich *grins*...ich will wissen wie es weitergeht!

LG for-me


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