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Der Jadejunge

Die Erzählungen, Teil 1 - Shounen-Ai
von

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Es war einmal eine Brücke...

17 - Es war einmal eine Brücke...
 

Gefahr.

Dieses eine Wort; nein, Gefühl, war es, dass Dakkas aufweckte und kerzengerade auffahren ließ. Die Bewegung des Grünäugigen kam so plötzlich, dass Sar’Shan, der die letzte Wache übernommen hatte, erschrocken aufsprang und sich mit großen Augen umsah.
 

Langsam beruhigte sich Dakkas Herzschlag wieder und auch in seinen Atem kehrte Ruhe ein. Langsam verhallte das Gefühl der Bedrohung und machte einem schwachen Nachhall von Angst platz.

„Dakkas?“, fragte Shan vorsichtig.

Der Grünäugige rieb sich die Augen. „Nur ein Alptraum.“, beruhigte er den Krieger, der unschlüssig stehen blieb. „Alles in Ordnung?“
 

Das war eine gute Frage. Dakkas blinzelte. „Ja, doch. Ich weiß gar nicht mal mehr, worum der Alptraum ging, nur…“, dass irgendetwas ihm im Traum eine Heidenangst eingejagt hatte und er möglichst schnell hatte Fliehen wollen.

Shan trat an Dakkas Seite und kniete sich neben ihm nieder. Der Krieger sah den Kleineren mitfühlend an. „Jeder hat irgendetwas in seiner Vergangenheit, das er am liebsten vergessen möchte.“

Dakkas grinste humorlos. „Von dem Vergessen habe ich erst mal genug, danke.“
 

Shan nickte langsam. „Das kann ich verstehen.“ Der Krieger runzelte seine Stirn. „Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, wie es ist, seine ganze Vergangenheit zu vergessen… Aber du verhältst dich besser, als ich von jedem, einschließlich mir selbst, erwarten würde.“

Das überraschte Dakkas nun aber doch. „Wie meinst du das?“

„Du verzweifelst nicht. Oder lässt es dir zumindest nicht anmerken. Außerdem hast du immer eine Art von Ziel vor Augen… zumindest ist das mein Eindruck.“ Der Drache grinste schief. „Die meisten würden wohl schreiend in der Ecke hocken, wenn ihnen so etwas wie dir passieren würde.“
 

Dakkas entfuhr ein heiseres Lachen. „Irgendwie sehe ich mich nicht als der richtige Typ dafür.“

Shan nickte. „Ich auch nicht.“

Der Drache ließ seinen Blick über ihr Lager schweifen, dass im langsam dämmernden Morgenlicht da lag. Die anderen schliefen noch unter ihren Decken, doch bald schon würden sie einer nach dem anderen aufwachen.

„Ich würde wirklich gerne sehen,“ fuhr Shan fort, „wie du kämpfst. Irgendein Gefühl sagt mir, dass es ein interessanter Anblick wäre.“

Der Grünäugige schnaubte. „Nun ja, es wäre nett, wenn ich mich an überhaupt ein paar praktische Dinge erinnern würde.“

„Wieso denkst du, dass deine bisherigen Erinnerungen nicht praktisch sind?“

Die Frage des Drachenkriegers war so ernstgemeint, dass Dakkas fragend zu ihm schaute.
 

Der Ursha’ba lächelte. „Dein Wissen auf Abruf über die Dämonen in Sellentin war ziemlich praktisch, oder? Auf einmal wusste jeder sofort, was zu tun war und ob man überhaupt etwas tun konnte. Die Erinnerungen an deinen Dogen-Freund? Äußerst praktisch, nicht wahr? Der Eisstrahl, beim Angriff nach Halmsdorf? – Ja, du brauchst gar nicht so schauen. Da erinnere ich mich noch daran.“

Sar’Shan ließ seinen Kopf einmal langsam von links nach rechts rollen, wobei ein leises Knacken zu hören war. „So grob angenommen würde ich sagen, dass du ein schlaues Bürschchen bist, das von allem ein bisschen lernen musste um zu überleben. Aber Leute, die von allem etwas können, sind nur selten in einer Sache richtig gut.“ Der Drache legte seinen Kopf schief.

„Aber so scheinst du auch nicht zu sein. Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass du eine Spezialität hast. Etwas, wo drin du richtig, richtig gut bist.“
 

Erneut sah Sar’Shan über ihr Lager hinweg, aber die anderen schliefen noch immer tief und fest. So langsam fragte Dakkas sich, worauf der Drache hinaus wollte.

„Gut. Ich habe länger nachdenken müssen, ob und wie viel ich dir sage.“ Shan sah Dakkas in die Augen. „Ich denke, dein Unfall unten an diesem Ausgrabungslager war kein richtiger Unfall. Daniel und Molokosh reden hin und wieder über einen gewissen Streitpunkt… einen Gedächtniszauber, der auf dir liegen soll.“
 

Dakkas schien so, als würde sein Herz kurzzeitig stoppen.

Ein Zauber…? Sein verlorenes Gedächtnis war nicht Nebenwirkung eines schrecklichen Unfalls, es war ein Zauber?

Jemand hatte ihm absichtlich die Erinnerung genommen. Das alles war Absicht gewesen. Und Molokosh hatte es ihm nicht gesagt.
 

Dakkas wollte zornig aufspringen, doch eine starke Hand auf seiner Schulter hielt ihn davon ab.

„Bevor du alle hier zusammen schreist und dich aufregst, hör mir wenigstens zu.“
 

Der Grünäugige funkelte den Drachen erbost an. Er hatte ja leicht reden! Sein Gedächtnis hatte man nicht mit einigen Worten und netten Gesten komplett blank gefegt. Konnte der Drache es sich überhaupt vorstellen, mit was für einer Hoffnungslosigkeit und alles umgreifenden Angst man aufwachte, wenn man sich nicht mal mehr an seinen eigenen Namen erinnerte?
 

„Hey, beruhig dich wieder und hör zu.“ Tatsächlich schaffte Dakkas es, sich soweit wieder unter Kontrolle zubringen, dass er Molokosh nicht sofort ins Gesicht schlagen wollte.

„Sehr schön, danke Kleiner.“ Shan ließ vorsichtig die Schulter des Kleineren los.

„Punkt eins: Keiner von ihnen kann so einen Zauber sicher brechen. Nostradamus-lana vielleicht…“Der Schwertkämpfer zuckte mit den Achseln. „Aber man kann sich nicht sicher sein, ob er den Zauber bricht, verschärft oder dich stattdessen glauben lässt, du wärst ein Ziegenbock. Der Herr ist… unergründlich. Manchmal… wird der Grund für seine Taten erst spät erkennbar.“
 

Diese Worte ließen Dakkas Wut urplötzlich verfliegen.

Hätten Molokosh oder Daniel etwas gegen den Zauber unternommen, wäre er am Ende vielleicht noch schlimmer dran gewesen als am Anfang. Und Nostradamus war wirklich nicht die Person, die er mit seiner geistigen Gesundheit beauftragen wollte. Auch wenn die geistige Abwesenheit des Sehers nur Tarnung war… keiner konnte sagen, was Nostradamus getan hätte, hätte man ihn an Dakkas Gehirn ran gelassen.
 

„Punkt zwei: Warum dir davon erzählen und dich aufregen, wenn man eh nichts machen kann ohne einen erfahrenden Magieanwender? Ich bin mir ziemlich sicher, sobald Molokosh einen ausreichend mächtigen Zauberer oder Hexer gefunden hätte, dem er vertraut hätte, hätte er ihn dich heilen lassen.“

Sar’Shan sah schnell noch einmal auf die Schlafenden, die sich jedoch immer noch nicht regten.
 

Der Grauhaarige hatte Recht. Dakkas spürte, wie seine Wut langsam verflog. Was hätten sie machen können? Nichts. Und es ihm zu sagen wäre sinnlos gewesen. Es hätte nichts genutzt, auch wenn Dakkas sich jetzt wütend und betrogen fühlte.

Aber… etwas in ihm drin sagte ihm, dass er wahrscheinlich genauso gehandelt hätte, wäre er in Molokoshs Position gewesen. Und für etwas, dass er selbst tun würde, konnte er andere nicht verurteilen.
 

„Punkt drei: Ich habe keine Ahnung was du bist, genauso wenig wie die anderen hier… Aber die Tatsache, dass du dich langsam wieder erinnerst spricht dafür, dass du den Zauber von alleine wieder brichst. Unbewusst.“
 

Dakkas sackte in sich zusammen. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.

„Und das bedeutet, dass du verdammt viel Macht in dir drinstecken haben musst.“, fügte Sar’Shan als letztes hinzu, was Dakkas jedoch schon gar nicht mehr richtig wahrnahm.
 

Er war dabei, den Zauber selbst zu brechen… unbewusst…?

Womit? Und wie zu den Teufeln noch mal?!

Er erinnerte sich noch nicht einmal daran, wie man richtige Zauber anwandte, geschweige denn so etwas kompliziertes wie einen Gedächtniszauber ohne bleibende Schäden aufheben konnte…
 

Doch halt. Vielleicht brauchte er all das gar nicht wissen. Nostradamus hatte ihm schließlich gezeigt, wie er früher Magie angewandt hatte…

„Anweisungen. Die Gesten und Formeln sind nur Anweisungen.“ Der Grünäugige hatte nicht bemerkt, dass er laut gesprochen hatte, bis Sar’Shans verwirrte Stimme an sein Ohr drang. „Was?“
 

Dakkas schüttelte langsam seinen Kopf und beachtete den Drachen nicht weiter. Das war des Rätsels Lösung.

Gesten, Zauberformeln, magische Fokusse… nicht mehr als Beiwerk, Ausstaffierung, damit die Magie verstand, was es zu tun galt.

Aber brauchte diese Ausstaffierung nicht. Er brauchte keine komplizierten Wörter und Handverrenkungen.

„Es sind so was wie Übersetzungen, von einer Sprache in die andere…“, murmelte er. „Aber wer die Sprache spricht, braucht keine Übersetzung.“
 

Sar’Shans verwirrte Fragen wurden von dem Grünäugigen ignoriert. Nach einiger Übung während der letzten Tage war es leichter geworden, auf seine zweite Sicht umzuschalten, wie er diese interessante Fähigkeit genannt hatte. Bald erglühte seine Umgebung in den inzwischen wieder bekannten Formen und Farben der Magie auf.
 

Es war immer noch ein etwas verwirrender Anblick; alles sah anders und ungewöhnlich aus. Am Anfang war es ihm schwer gefallen einen klaren Kopf zu behalten und sich nicht beim Bestaunen eines Details zu verlieren. Doch inzwischen konnte er sich konzentriert für einige Minuten in diesem Zustand aufhalten.

Auch wenn er es nach einem Blick auf sich selbst nicht mehr gewollt hatte.
 

Wie immer pulsierten seine Gefährten alle in einem sanften Rot, besonders in der Brust- und Kopfgegend. Zusätzlich dazu zogen sich noch verschieden-farbige Stränge durch ihre Körper hindurch und umgaben sie. Dakkas war sich ziemlich sicher, dass diese Stränge auf Fähigkeiten oder magische Energien seiner Gefährten hinwiesen.
 

Jared war praktisch vollkommen durchwirkt von einem purpurnem Faden, der ihn fast gänzlich einschloss. Außerdem waberten die Konturen seines Körpers sanft hin und her, was Dakkas zuerst etwas nervös gemacht hatte. Aber bald war er zu dem Schluss gekommen, dass dieses Wabern auf Jareds Wolfsform hindeuten musste. Hinter dem purpurnem Faden vermutete er die magische Energie des Werwolfs.
 

Nostradamus Magie waren die grünen Fäden, die den Seher umgaben. Was jedoch die blauen Fäden waren, die der Seher mit seinem Bruder gemeinsam hatte, verstand Dakkas beim besten Willen nicht. Er hatte sie inzwischen ein paar Mal untersucht – diskret natürlich. Nostradamus Fäden waren dicker, und sahen stärker aus, aber Molokoshs waren viel enger und hätten dem Drachen ins Fleisch geschnitten, wären es tatsächliche Fäden gewesen. Und sie schienen ständig enger zu werden.
 

Daniel war durchflochten von braunen, silbernen und weißen Strähnen. Das Silber und Weiß brachte Dakkas mit den Heilfähigkeiten des Heilers in Verbindung – schließlich benutzte auch Daniel Magie. Aber das Braun warf ihm Rätsel auf. Es war anders, als die anderen Fäden.

Die anderen Fäden Daniels und auch die der anderen, waren eng mit ihnen verbunden und schienen mehrere ‚Startpunkte’ innerhalb ihrer Körper zuhaben. Dieses Braun jedoch schien sich von außen auf Daniel zu legen und eine schmale Schicht zu formen, wie eine Art enges Kleidungsstück.

Dakkas hatte dafür noch keine Erklärung gefunden.
 

Dafür jedoch etwas ähnliches. Sar’Shan besaß außer seinem eigentümlichen pulsierendem Rot nur eine andere Sache. Eine auf ihn gelegte Schicht, ähnlich wie Daniel. Nur, dass Shans Schicht aus einem dunklem, fast schwärzlichem Rot bestand und den Drachen vollständig umgab. Außerdem sah die Schicht sehr, sehr dick aus.
 

Und dann gab es da den Grund, warum er plötzlich sehr vorsichtig geworden war, was seine zweite Sicht anging. Der Anblick, den er bekam, wenn er an sich herunter sah.
 

Die schwarzen Flecken um seinen Körper, die er einfach Schatten getauft hatte, ließen sich als seine Illusionsmagie erklären. Sie waren, ähnlich wie Perlen an einer Kette, an einem sehr dünnen, schwarzen Faden aufgezogen und umwogten ihn.

Aber was ihm Sorgen bereitete, war das darunter.
 

Es gab grüne, silberne, gelbe und purpurne Flecken auf seinem Körper. ‚Flecken’ nannte er sie, da die Fäden scheinbar ein- oder abgerissen waren und sich langsam wieder reparierten. Aber das, was ihm einen Augenblick wirklich Angst gemacht und dazu geführt hatte, dass er seine Sicht und die mit ihre gewonnenen Kenntnisse ignoriert hatte, war das eisblaue Leuchten aus seinem Brustkorb.
 

Kein rotes, pulsierendes Glühen wie bei seinen Reisegefährten und jedem anderen Lebewesen, dass er zwischendurch mit seiner zweiten Sicht angesehen hatte.

Ein eisblaues, schimmerndes Leuchten. Etwas fundamental anderes als das, was er in seiner Umgebung sah.
 

Dieser Anblick hatte Zweifel in ihm ausgelöst. Was, wenn er doch das war, was Shan vor langer Zeit vermutet hatte…? Er war nicht wie die anderen, so viel war klar.

Aber darum ging es jetzt nicht. Es galt, einen Gedächtniszauber zu beheben.

Doch woran erkannte er den Gedächtniszauber?
 

Die Schatten waren es sicherlich nicht. Das Leuchten wohl auch nicht, abgesehen von der Farbe hatte jeder andere das auch und es war sehr unwahrscheinlich, dass sie alle mit einem Gedächtniszauber belegt worden waren.
 

Also blieben noch die Flecken übrig.

Grün, Silber und Purpur trat auch bei den anderen auf. Wahrscheinlich lagen Dakkas andere magische Talente auf ähnlichen oder den gleichen Gebieten wie die von Daniel, Jared und Nostradamus.

Dann blieb noch Gelb übrig.
 

Auf einen zweiten, viel genaueren Blick hin sah Dakkas es. Die gelben Flecken hatten keine ausgefransten Enden wie der Rest. Außerdem versuchten sie zwar, sich untereinander zu vereinigen – es sah so aus, als wolle ein gelber Gelee-Fleck sich zu einem zweiten ausstrecken – aber der Rest von Dakkas Energie unterband diese Versuche und bekämpfte die gelben Flicken sogar.
 

Warum nur war ihm das nicht vorher aufgefallen?

Weil er nicht genauer hatte hinsehen wollen nach seiner ersten Entdeckung, deshalb. Und weil er es nicht mal für möglich gehalten hatte, dass jemand in seinem Gedächtnis rumgepfuscht hatte.
 

Aber jetzt wusste er, dass dieses gelbe Zeug nicht zu ihm gehörte. Vorsichtig hob er seine Hand und berührte die gelbe Masse. Der Fleck waberte und schien sich in sich zusammen zu ziehen. Stirnrunzelnd griff Dakkas nach dem ganzen Gelee-ähnlichen Ding und zog es mit einem Ruck von sich herunter.

Die gelbe Masse waberte, schrumpfte und verpuffte schließlich in einem gelblichen Funkenregen. Unter dem Fleck kam ein weiteres Stück abgetrenntem grünlichen Fadens hervor, dass sich sofort zu einem nahegelegenem anderen Stück Grün ausstreckte.
 

Dakkas musste lächeln. Das ganze war doch noch einfacher, als er zuerst gedacht hatte. Mit einem Handgriff war der nächste gelbe Flicken entfernt und ein Stück silberner Faden freigelegt.

Nach dem dritten entfernten Stück ging ein Ruck durch die bunten Fäden auf seinem Körper. Wie von selbst streckten sie sich nach den gelben Stellen aus und attackierten den Gelee von mehreren Seiten gleichzeitig. In Windeseile waren die Reste des Gedächtniszaubers durchlöchert oder vollständig entfernte. Seine schwarzen Perlen-Schatten erledigten den Rest, in dem sie einmal über die betroffenen Stellen drüber wischten.
 

Das Rauschen in seinen Ohren kam so abrupt, dass er innerhalb eines Augenblicks aus seiner Konzentration heraus geworfen wurde und seine Umgebung wieder ihr normales Aussehen annahm.

Er zuckte am ganzen Körper. Es war, als würden alle seine Muskeln sich einmal kräftig an- und sofort wieder entspannen. Gleichzeitig kam ein Gefühl in ihm auf, als wenn jemand etwas angenehm kühles durch seine Adern gepumpt hätte, wo es sich jetzt schnell gleichmäßig verteilte.
 

Das Gefühl hielt nicht lange an, aber es ließ ihn angenehm müde und zufrieden zurück.

Die erwarteten Erinnerungen blieben jedoch aus.

Dakkas runzelte seine Stirn und schaltete seine Sicht wieder um.
 

Die gelben Flecken waren weg, stattdessen umspannten ihn jetzt wieder die bunten Fäden. Sie pulsierten im gleichen Takt wie das eisblaue Leuchten in seiner Brust und schienen sich beschützend um ihn gewunden zu haben.

Enttäuscht und nachdenklich wechselte Dakkas wieder auf seine normale Sicht.
 

Seine magischen Fähigkeiten schienen zumindest wieder befreit zu sein. Aber sollte er nicht so etwas wie eine plötzliche Welle von Erinnerungen spüren können? Die Antworten auf all die Fragen, die in seinem Kopf umhersprangen? Die große Erleuchtung?
 

„Grashke.“

Das drakonische Wort riss Dakkas aus seinen Gedanken und ließ ihn zusammenzucken.

„Keine Ahnung, was du gemacht hast, aber gerade hast du in allen Farben des Regenbogens geleuchtet.“, kommentierte Shan beeindruckt.

„In dem Fall ist es wohl besser, dass die anderen noch nicht aufgewacht sind.“, murmelte Dakkas. Er sah an sich herunter. Er fühlte sich nicht sonderlich anders, nur etwas… frischer vielleicht. Als wenn ein verspannter Muskel sich wieder entspannt hätte. Oder eine nervende Fußfessel ihm abgenommen wurde.

Nur sein Gedächtnis hatte sich nicht wirklich verändert.
 

„Die Reste von dem Gedächtniszauber sind weg, Shan, aber ich kann mich trotzdem nicht erinnern.“ Fragend sah Dakkas den erstaunten Drachen an. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich jetzt wieder an meine Zauberkraft heran komme, aber warum kann ich mich nicht mehr erinnern?“

Der Krieger seufzte. „Dak… Der Zauber wurde dir sehr wahrscheinlich vor dem… Erdrutsch war es, richtig? Auf alle Fälle wurde dir der Zauber davor verpasst. Es ist gut möglich, dass dein restlicher Gedächtnisschwund von dem Unfall kommt. Ich bin kein Experte für so was,“ der Drache hob beschwichtigend die Hände, „aber manchmal treffen zwei Unglücksfälle einfach aufeinander.“
 

„Sprichst du von deinen Eltern?“, fauchte plötzlich ein eben erwachter und miesgelaunter Molokosh. Während der Schwarzhaarige sich aufsetzte und sich die Augen rieb, hielt Dakkas Sar’Shan davon ab, sich wutentbrannt auf den de’Sahr zu stürzen.

„Molokosh! Musste das sein? Nur weil du falsch aufgewacht bist, brauchst du noch lange nicht Shans Eltern beleidigen.“, herrschte der Grünäugige den Adligen dann auch an.

Molokosh hielt tatsächlich inne und schnitt eine Grimasse. „Entschuldige, Dakkas.“ Mit einem leidlichem Gesichtsausdruck fügte er noch hinzu: „Entschuldige, Sar’Shan.“
 

Der Drachenkrieger, dessen Beine Dakkas umklammert hatte als dieser aufgesprungen war, verhaarte und beruhigte sich. „Dre’bassa.“ Der Krieger sah den Schwarzhaarigen ungläubig an und lachte dann schallend, was Daniel und Jared weckte.

„Was’n das für’n Krach?“, murmelte der Halbwolf verschlafen. Shan trat die wenigen Schritte an seinen Schlafplatz heran und küsste seinen Freund. „Nichts, Liebling. Ich habe bloß endlich jemanden entdeckt, der Koshi mit einem Wort auf seinen Platz verweisen kann.“

Jared blinzelte und gab einen schläfrigen, knurrenden Laut von sich.

„Das hättest du sehen müssen, Jared. Tut mir Leid.“, antwortete Sar’Shan grinsend.
 

Dakkas seufzte ausgiebig und rieb sich die Schläfe. „Wunderbarer Morgen. Daniel, Molokosh. Ich kann eure Argumente ja nachvollziehen, aber das nächste Mal sagt mir doch bitte bescheid, wenn jemand mich mit einem Gedächtniszauber belegt, ja?“

Totenstille kehrte in ihr kleines Lager ein. Dakkas rollte mit den Augen. „Ja, die Katze ist aus dem Sack. Oder in diesem Falle: Shan hat seinen Mund aufgemacht. Jetzt tut nicht so, als ich würde ich euch gleich an die Kehle springen.“ Der Grünäugige grinste. „Davon hat Shan mich schon abgehalten.“
 

Molokosh öffnete seinen Mund und schloss ihn wieder. Dann rümpfte er seine Nase. „Für jemanden, dessen Geist manipuliert wurde, hast du erstaunlich gute Laune.“

Dakkas hievte sich hoch und stand auf. „Wie Sar’Shan und ich gerade haben bemerken müssen, wurde mein Gedächtnis nicht nur durch einen Zauber beeinflusst.“

„Bitte wie?“, fragte Daniel zaghaft.
 

„Der Kleine hat Jared ganz schön reingelegt. Hat den Zauber selbst gebrochen.“, kommentierte Sar’Shan, während er einen verschlafenen Jared mit einer Hand auf die Beine zog. „Ich tippe auf einen entweder sehr mächtigen Hexer oder einen Magier.“

„Nostradamus war der Meinung, dass ich ein Magier war. Bin. Oder so.“, erklärte Dakkas. „Er hat mich auf meine magischen Fähigkeiten gestoßen. Warum er mir dabei nicht auch sagen konnte, dass ich von einem Zauber beeinflusst werde ist… eine gute Frage, die wahrscheinlich nie beantwortet werden wird.“ Das letzte sprach der Schwarzhaarige mit einem Blick auf den immer noch schlafend daliegenden Seher.
 

„Halt, Stopp, Straßensperre!“, rief Jared, plötzlich hellwach. „Nostradamus hat dir gesagt, dass du ein Magier bist? Und man hat ihn verstehen können? Und warum ist das mir nicht aufgefallen?“

„Letzteres kann ich nicht beantworten, da ich nicht du bin, ersteres war das, was unser grauhaariger Seher mir sagte und da er ist nicht auf Drakonisch von sich gab, war ich tatsächlich in der Lage ihn zu verstehen.“ Dakkas verschränkte seine Arme.
 

„Uh-oh.“ Jareds Gesicht verlor den überraschten Ausdruck und bekam wieder das altbekannte Grinsen. „Da ist aber jemand heute morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden.“

Die grünen Augen des Kleineren verengten sich zu Schlitzen. Eigentlich hatte er gute Laune, jetzt wo dieser eine Zauber beseitigt worden war. Es war fast etwas unheimlich, diese gute Laune, die er plötzlich hatte. Er fühlte sich einfach befreit, erfrischt – wie neugeboren. Als wenn etwas lebenswichtiges, dass ihm gefehlt hatte, plötzlich wieder da war.

Aber ein klein wenig Wut – er gab es zu – war noch da, und so gut er sich auch fühlte, die Kopfschmerzen hinter seiner Schläfe kamen langsam wieder.
 

Dakkas seufzte. „Frühstück. Wasser. Daniels Kraut gegen Kopfschmerzen. In umgekehrter Reihenfolge bitte.“

Der Heiler sprang auf die Beine, als Dakkas die Kopfschmerzen erwähnte und reichte dem Kleinen kurz darauf eine kleine Portion rot-brauner Kräuter, die Dakkas sofort in seinen Mund stopfte und kaute.

„Schon wieder Kopfschmerzen? So langsam mache ich mir Sorgen, Dakkas.“

Der Grünäugige rollte mit den Augen. Daniel wusste nicht einmal, wie oft diese Kopfschmerzen wirklich kamen, aber inzwischen war sogar er selbst besorgt.
 

„Jared, du machst Frühstück, Daniel du untersuchst Dakkas, Shan du weckst Nostradamus.“, verteilte Molokosh dann auch die morgendlichen Aufgaben und der Alltag der kleinen Gruppe hatte wieder begonnen.
 

„Es wäre sehr praktisch, wenn du deine Zauberkräfte wieder benutzen könntest.“, meinte Daniel, während er eine glühende Hand über Dakkas Stirn gleiten ließ. „Magier sind sehr gute Verbündete und solange wir noch verfolgt werden, wäre das gleich doppelt so praktisch.“

„Danke für deine lobenden Worte.“, brummte Dakkas. „Und ich nehme es dir wirklich nicht böse, dass du nichts über den Zauber gesagt hast. Irgendwie kann ich die Argumente dagegen verstehen.“

Daniel lächelte. „Das freut mich. Vielleicht wirst du dich jetzt sehr schnell erinnern können… Aber bist jetzt ist noch nichts passiert, wenn ich dich und Shan gerade richtig verstanden habe?“

Dakkas nickte. „Abgesehen von einem befreiendem Gefühl noch keine spürbaren Auswirkungen.“
 

Daniel seufzte und zog seine Hand von Dakkas Stirn weg. „Na ja. Trotz dem Zauber warst du in diesen Unfall verwickelt. Es kann also alles einen medizinischen Grund haben.“ Der Heiler fuhr mit seiner Hand unter seinem Kinn entlang. „Für deine Kopfschmerzen finde ich überhaupt keine Ursache. Es kann auch einfach sein, dass du eine der unglücklichen Personen bist, die unter Stress starke Kopfschmerzen kriegen.“ Daniel lächelte entschuldigend. „Und das hier momentan ist sicherlich Stress.“

„Oh, wie berauschend.“, kommentierte Dakkas sarkastisch. „Amnesie, unbekannte Herkunft und Migräne. Wie wunderbar.“
 

Molokosh entschuldigte sich noch einmal leise bei Dakkas, aber der Grünäugige winkte nur ab. Schließlich hatte er bis jetzt auch keinem erzählt, dass er ein Magier war. Damit sah er das ganze im Großen und Ganzen als ausgeglichen an.
 

Schon eine Stunde später war die Gruppe wieder auf den Rücken ihrer Pferde unterwegs. Allen voran ritt Jared, der sich bereits nach zehn Minuten wieder über seinen schmerzenden Hintern beschwerte.

„Wölfe gehören einfach nicht auf Pferde.“, murrte er. „Ein Drache hängt sich ja auch nicht an einen Adler.“

„Na hoffentlich nicht.“, warf Daniel ein. „Der arme Vogel.“
 

„Wann sind wir an dieser Schlucht?“, fragte Molokosh.

„Wenn wir da sind. Das ist keine Strecke, die ich einmal wöchentlich reise, Koshi.“, war Jareds patzige Antwort.

Der schwarzhaarige Drache brummte ärgerlich als Antwort.

Sar’Shan, der neben Dakkas ritt, lehnte sich zu dem Grünäugigen hinüber. „Das hat dir wahrscheinlich noch keiner erklärt… ‚koshi’ ist ein tatsächliches drakonisches Wort.“ Der Krieger hielt seine Stimme so leise wie möglich, damit der vor ihnen reitende Molokosh nichts hörte.

„Es ist eine Verniedlichung und heißt so viel wie ‚Hausfräulein’.“
 

Dakkas begann schallend zu lachen und lehnte sich im Sattel vornüber. Kein Wunder, dass Molokosh diesen Spitznamen nicht ausstehen konnte. Und kein Wunder, dass Jared ihn gerne damit stichelte.

„Der ist gut, Shan.“ Kichernd brachte Dakkas sich wieder in eine gerade Position. „Der ist wirklich gut.“

„Das dachte Jared sich auch.“ Shan wackelte mit den Augenbrauen und brachte so den Grünäugigen erneut zum Kichern.

„Man will gar nicht wissen, worüber ihr so lacht, oder?“, murrte Molokosh ärgerlich und löste bei Dakkas weiteres Gelächter aus. „Nein, Molokosh. Willst du wirklich nicht…“
 

Die Gruppe ritt den stetig steiler werdenden Pfad gen Norden entlang. Immer und immer höher wand sich der Weg, so dass Dakkas sich schon fragte, über welche Schlucht sie noch drüber wollten. Er konnte sich keine mit einer solchen Tiefe vorstellen.

Nachdem sie gut zwei Stunden geritten waren, beschrieb der Pfad eine Kurve in Richtung Osten und führte wieder etwas abwärts.

„Sollte hier nicht irgendwo eine Schlucht sein?“, warf jetzt auch Dakkas ein.

„Das ständige Gefrage ist schlimmer als Coshes fünfjähriger Sohn.“, murrte Sar’Shan.

Jared grinste. „Bald müsste wieder eine Kurve kommen und dann sollten wir praktisch schon an der Schlucht stehen. Eine Steinbrücke müsste darüber führen.“

„Und wenn sie’s nicht tut hängen wir uns alle an Daniels Füße und fliegen auf die andere Seite.“, brummte Molokosh. Der erwähnte Heiler sah aus, als wäre er zwischen Brüskiertheit und Amüsement hin und hergerissen. Am Ende siegte die Belustigung.

Jared fiel fast aus dem Sattel vor Lachen.
 

„Ihr beiden habt die pfiffigen Antworten heute richtig gefressen, hm?“ Sar’Shan sah Dakkas und Molokosh an. Der Drache gab darauf keine Antwort, während Dakkas humorlos lächelte. „Für uns war blieb nichts anderes mehr übrig, nachdem ein gewisser Vash-Anhänger heute morgen mit dem Frühstück fertig war.“

Jared kicherte. „Vielleicht solltest du dir das mit dem Straßenkomödiant noch mal überlegen, Dak.“

„Dich nehm ich als Maskottchen mit.“, war die mürrische Antwort auf den Kommentar des Werwolfs.
 

Die Gruppe trottete weiter die Bergstraße entlang. Dakkas hätte ihre Pferde gerne angetrieben um so schnell wie möglich in Kleingaren anzukommen, aber selbst er wusste, dass die Straße zu uneben und gefährlich dazu war. Schließlich wussten sie nicht, ob hinter der nächsten Ecke wirklich eine Brücke war oder nicht.
 

Tatsächlich stießen sie bald auf eine zweite Kurve, die den Weg wieder in Richtung Norden führte. Büsche und niedrige Bäume säumten den steinigen Pfad und versperrten die Sicht auf die Berghänge links und rechts abseits des Weges.

Der Weg führte wieder etwas aufwärts und wurde dann bald ebenmäßig. Von diesem Zeitpunkt an konnte man tatsächlich in der Ferne etwas sehen, dass einer Brücke von Weitem ähnlich sah.
 

Wie sie jedoch bald feststellen mussten, war die Brücke nicht aus Stein.

„Oha.“, kommentierte Jared.

„Allerdings.“, war Molokoshs brummige Antwort.
 

Es war eine wackelig aussehende, von Wind und Wetter gegerbte Holzbrücke. Eine Hängebrücke.

Vorsichtig näherte die kleine Gruppe sich dem Rand der Schlucht.

Es war keine Schlucht in dem Sinne einer steilen Felswand, aber ein sehr, sehr steiler Abhang mit wenig Böschung. Tief unten endete dieser Abhang wieder auf ebenem Feld und Dakkas konnte noch eben so die Straße ausmachen, die dort unten in der Schlucht entlang lief.
 

Was Dakkas auch dort unten in der Tiefe gerade noch so erkennen konnte, waren die Überreste der oftmals erwähnten Steinbrücke.

„Scheiße.“, entfuhr es Jared. Dakkas konnte ihm nur herzlich zustimmen.

„Na, wenigstens hat jemand einen Ersatz gebaut. Ansonsten sähen wir jetzt wirklich verloren aus.“, versuchte Daniel die gute Seite der Situation hervor zu heben.

„Ach ja?“ Sar’Shan sah skeptisch aus. „Nichts für ungut, aber diese Hängebrücke sieht nicht so stabil aus, als dass sie uns und unsere Pferde mitsamt Gepäck aushalten würde.“
 

Und da musste Dakkas dem Krieger Recht geben. Die Brücke bestand aus losen Brettern, die nur dürftig zusammen genagelt waren und von Seilen festgehalten wurden. Diese Konstruktion wurde von Seilen in der Luft gehalten, die auf dieser und der anderen Schluchtenseite an dicken Holzstämmen befestigt waren, die ihrerseits mit Steinen unterstützt wurden.

Es war nicht die herausragendste Handwerkskunst, die Dakkas je gesehen hatte.
 

„Wir werden es wohl einfach ausprobieren müssen. Einer nach dem anderen, langsam und vorsichtig.“, entschied Molokosh. Sar’Shan gab dem Adligen überraschenderweise Recht. „Eine andere Möglichkeit sehe ich hier auch nicht.“
 

Dakkas runzelte seine Stirn, während die anderen von ihren Pferden hinabstiegen und Sar’Shan die ersten paar Schritte auf die Brücke tat, nur um den Halt zu testen. Irgendetwas störte den Grünäugigen an diesem Bild…

Er tat es den anderen gleich und saß ebenfalls ab vom Pferd. Jedoch wandte er sich nicht der Brücke zu, sondern ihrem persönlichen Seher.
 

Nostradamus war ebenfalls vom Pferd gestiegen, hatte jedoch seine Stirn in Falten geworfen und wirkte stark nachdenklich, fast verstört.

„Nostradamus?“, fragte Dakkas leise.

Der Seher sah den Kleineren an, zuckte aber nur mit den Schultern, ohne ein Wort zu sagen. Das fasste Dakkas nicht als gutes Zeichen auf.
 

„Ich werde mein Pferd nehmen und langsam vorgehen.“, hallte plötzlich Sar’Shans Stimme an das Ohr des Grünäugigen. „Ich bin am schwersten bepackt von uns allen, wenn die Brücke mich aushält, könnt ihr auch gefahrlos passieren.“

Jared gefiel diese Idee überhaupt nicht. „Und wenn dir was passiert? Die Brücke ist aus gutem Grund hier, da geht’s nämlich tief runter!“

Der Krieger versuchte seinen Geliebten zu beruhigen. „Mir wird schon nichts passieren. Und selbst wenn, habe ich die besten Chancen, einigermaßen heil davon zu kommen.“

„Ach ja? Ich bin derjenige, der sich selbst heilen kann.“ Jared verschränkte seine Arme. „Sollte ich nicht vorgehen?“
 

Während die zwei sich stritten und Molokosh sich seufzend an die Stirn packte, näherte Dakkas sich der Hängebrücke und fasste das als Geländer fungierende Seilwerk an.

Plötzlich verschwamm die Welt vor seinen Augen und wurde zu den ihm inzwischen altbekannten bunten Strängen von Magie. Es pulsierte um ihn herum, ja flammte geradezu auf in einem Farbenmeer.
 

Vor Schock und Überraschung krallte seine Hand sich in dem Seil fest. Das Pulsieren und Leuchten wurde stärker und drohte fast ihn zu blenden, bevor er sich dazu brachte es möglichst nicht zu beachten.
 

Warum hatte sich seine Sicht von selbst umgeschaltet? Irgendetwas musste hier doch los sein.

Kaum war dieser Gedanke durch seinen Kopf gerast, bemerkte er es auch schon: Die gesamte Hängebrücke war es, die da leuchtete und pulsierte. Und zwar in einem unnatürlichen, grellem Gelb. Ein geradezu schmerzhaftes Gelb.

Was er jedoch auch sah, waren Konturen, die sich scheinbar hinter dem Gelb versteckten. Umrisse, gespickt mit gedämpften bunten Farbmischungen, wie Dakkas sie sonst aus seiner Umgebung kannte. Es sah so aus, als würde das grelle Gelb der Hängebrücke diese schattenhaften Umrisse überlagern.
 

Die grelle Hängebrücke hinter sich lassend, sah Dakkas sich weiter um. Das erste, was ihm in den Blick sprang, waren die ebenfalls grell gelb leuchtenden Teile der zerstörten Steinbrücke tief am Boden der Schlucht. Auch diese pulsierten unwirklich und schienen die natürlichen Konturen des Bodens zu überlagern und unterdrücken.
 

Stirnrunzelnd und besorgt wandte Dakkas auch davon seinen Blick ab und sah zu seinen Gefährten hin. Wie angewurzelt blieb er stehen.

Sie leuchteten und pulsierten alle so, wie sie sollten, doch stand Nostradamus goldener Körper gut zwanzig Schritte von der Gruppe und seinem eigentlichen Körper entfernt. Der Seher stand bei einer zweiten Gruppe von Personen, die Dakkas bis gerade eben nicht hatte sehen können.
 

Es war ein mittelgroßer Trupp von vielleicht elf oder zwölf Mann. Ihr normales Pulsieren und ihre Umrisse waren ebenfalls von einem grellgelben Leuchten überlagert, dass sie zu schützen schien. Das alleine schockierte Dakkas schon, da er gerade mit seiner normalen Sicht niemanden gesehen hatte. Was ihn jedoch noch mehr überraschte und vor Schock lähmte, war die am entferntesten stehende Person dieses Trupps.

Es war ein Mann, der ebenso wie Nostradamus einen goldenen Körper neben sich stehen hatte. Der einzige Unterschied war, dass dieser Mann einen fiel schwächeren Goldton hatte und ein dickes, goldenes Band seinen zweiten Körper an seinen ersten kettete.
 

Dieser Mann war ein Seher, und ausgehend von dieser Erscheinung bei Weitem nicht so gut wie Nostradamus.

Der grauhaarige Drache schien zu prüfen, ob der Seher dieser Gruppe ihn sehen konnte, indem er dem goldenen Körper vor der Nase herumfuchtelte. Als keine Reaktion von dem zweiten Seher kam, drehte Nostradamus sich um und schien zu seinem richtigen Körper zurückkehren zu wollen.

Da entdeckte er den verdutzten Dakkas und hielt inne. Stirnrunzelnd legte er seinen Kopf schief und sah den Kleineren an.

„Die Brücke ist eine Illusion.“, sprach der goldene Nostradamus dann, was Dakkas erstaunlicherweise verstand.
 

Den Schwarzhaarigen durchfuhr ungewollt ein Ruck. Natürlich. Das Grellgelbe, was er sah, war der Illusionszauber. Die Umrisse dahinter waren die eigentliche Wirklichkeit. Und diese Männer dort waren entweder sehr gut ausgebildete Strauchdiebe mit einem Seher in ihren Reihen, oder Schergen von Selena und dem Sonnenkönig – was doch fiel wahrscheinlicher war.
 

Dakkas ließ das Seil der ‚Hängebrücke’ los und wie von selbst schaltete seine Sicht sich wieder um. So wie es aussah, war Dakkas nicht nur ein Illusionist und Magier, sondern auch in der Lage Illusionen zu durchschauen. Mit großer Leichtigkeit, denn er hatte sich nicht angestrengt oder auch nur nach solchen Dingen gesucht.
 

Aber jetzt gab es wichtigeres, um dass man sich kümmern musste.

„Molokosh… das ist ein Trick.“ Dakkas sprach laut, schrie aber nicht, in der Hoffnung, dass ihre Angreifer erst einige Sekunden später mitkriegen würden was geschah.

Molokosh, ebenso wie die anderen, sah Dakkas verständnislos an. Der indessen hatte wieder auf seine zweite Sicht umgeschaltet.

Ihm war die Idee gekommen, mit der Illusion das gleiche wie mit dem Gedächtniszauber zu machen: Ihn aufzuheben.
 

Stirnrunzelnd konzentrierte er sich auf das grelle, gelbe Leuchten und stellte sich vor, wie es verschwand. Die schwarzen Perlenketten an seinem Körper gerieten in Bewegung, wurden länger und schickten schließlich einige Stränge von sich aus, die sich wie Tentakel von seinem Körper entfernten. Sie rasten auf das gelbe Leuchten zu und ließen es nach einigen Hieben verpuffen. In Windeseile ließ Dakkas seine Magie das gleiche mit der Tarnung des Trupps machen und versetzte dann, nur weil er sich danach fühlte und wütend war über den erneuten Stopp ihrer Reise, dem goldenen Seher einen Klaps mit einem der Tentakel.
 

Während seine Tentakel wieder zu ihrem angestammten Platz an seinem Körper zurück kehrten, verschwamm die Welt um ihn herum wieder. Bald sah er die Welt wieder so, wie sie jeder sehen konnte.

Und spürte sofort, wie er rot vor Scham wurde.
 

Alles sah ihn überrascht und wortlos an. Molokosh, Sar’Shan, Jared und Daniel ebenso wie die zwölf Krieger in ihrer leichten Lederkleidung, die jetzt für alle sichtbar waren.

Die zwölf Krieger – acht Männer und vier Frauen – trugen alle ähnliche Kleidung, fast wie eine Uniform. Sie war schlicht und in simplen Braunfarben gehalten. Lediglich der Seher, der sich an einen seiner Kameraden stützen musste und dem Blut aus Nase, Augen und Mund lief, hatte ein Emblem auf sein Hemd genäht: Eine schuppige, blutrote Krallenhand mit schwarzen Fingernägeln, die eine flammende Kugel hielt.
 

Dieses Zeichen war eines der ältesten überhaupt. Dakkas erkannte es sofort und hätte sich ohrfeigen können. Wenn er mit seiner zweiten Sicht das Hemd und die Näharbeit hätte sehen können, hätte er die Männer und den Seher nie angegriffen.

Es war das Zeichen des Vash.
 

Die Hitze in Dakkas Gesicht stieg weiter an. „Das tut mir Leid! Ehrlich – Entschuldigung!“ Beschwichtigend hob er die Hände. „Aber woher sollte ich wissen, dass das kein Hinterhalt war? Sah jedenfalls so aus wie einer!“

Der Vash-Seher blinzelte und wischte sich mit einer Hand das Blut aus dem Gesicht. Glücklicherweise schienen seine Wunden nicht so ernst zu sein, wie Dakkas zuerst angenommen hatte.
 

Zu Dakkas Erstaunen fingen Jared und Sar’Shan plötzlich an, laut zu lachen.

„Schon gut, Dak.“, brachte Jared zwischen zwei Lachern heraus. „Das ist Shans Trupp, oder der Großteil davon. Und der Depp da“, Jared deutete auf den Seher, der sich langsam von den stützenden Armen des Mannes neben ihm löste, „ist Eric.“

„Jared und Eric haben da ein kleines Spielchen.“, erläuterte Sar’Shan mit einem Grinsen auf seinem Gesicht. „Eric versucht, Jared eine Falle zu stellen und Jared muss sie rechtzeitig erkennen.“ Der Krieger schmunzelte. „Nur hatte Eric diesmal wohl nicht mit einem misstrauischen Magier gerechnet, der zuerst angreift und dann Fragen stellt.“
 

„Der Knirps soll ein Magier sein?“, entfuhr es dem größten Mann des Trupps, der augenscheinlich ein Drache war. Sein Haar war jedoch von einer ungewöhnlichen, tiefen Blaufarbe, wie auch seine Augen. Er gehörte nicht dem Klan der Ursha’ba an, und Dakkas konnte ihm keinem Klan zuordnen.

„Geglash!“, brummte Sar’Shan missmutig. „Der ‚Knirps’, wie du ihn nennst, hat uns jetzt öfter aus der Klemme geholfen als du ahnst.“

Der Drache mit den dunkelblauen Haaren, Geglash, schien nicht überzeugt zu sein und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. In seinen Augen lag ein abschätziger Blick.
 

Dakkas runzelte seine Stirn. „Geglash?“ Er sah Jared an. Der Name des Drachen erinnerte ihn an etwas… „Der Oberdepp, der keine Karten lesen kann?“

Erneut prustete Jared los vor Lachen und auch die anderen Angehörigen des Vash-Trupps grinsten oder lachten. Nur Geglashs Miene verfinsterte sich noch weiter.

„Jetzt hör mal zu, du kleiner Möchtegern. Nur weil du eine kleine Illusion erkannt hast, bist du noch lange nicht dazu berechtigt-“

Geglash versuchte wohl, noch mehr zu sagen, denn sein Mund bewegte sich. Allerdings war kein Ton mehr zu hören, was erneutes Grinsen und Gekicher hervor rief. Als der Drache dies ebenfalls merkte, sandte er Dakkas einen wütenden Blick und vollführte eine Handgeste, deren Bedeutung wohl ‚Mach das sofort rückgängig’ war.
 

Dakkas schmunzelte. „Jetzt sieh mich nicht so an, Geglash. Das war ich nicht.“

„Echt nicht?“, fragte Jared verdutzt. Dakkas schüttelte seinen Kopf und deutete auf Nostradamus, der sich die Stirn rieb und sehr verärgert aussah. „Ich würde mal sagen, irgendetwas an dem Verhalten von Shans Trupp hat unseren lieben Seher genervt.“

Tatsächlich bedachte Nostradamus die Neuankömmlinge mit einem bösen Blick und wandte sich dann ab, um sich aufs anfangende Geländer der jetzt wieder sichtbaren Steinbrücke zu setzen.

„Na, viel Spaß dabei ihn dazu zu kriegen, den Stillezauber wieder aufzuheben.“, meinte Dakkas grinsend.
 

Geglash sandte ihm einen letzten bösen Blick und verharrte dann stoisch an Ort und Stelle.

„Oh, jetzt hör doch auf, immer gleich eingeschnappt zu sein.“, seufzte Jared und vollführte einige Handbewegungen. In seiner Hand formte sich ein sanft leuchtender Ball, der auf Geglash zuschwebte und mit einem kurzen Aufglühen im Körper des Drachen verschwand. „Da, alles wieder in Ordnung.“
 

Geglash räusperte sich, sagte sonst aber nichts.

„Was macht ihr eigentlich hier?“, wollte Sar’Shan wissen.

„Der Meister hat uns geschickt.“, antwortete Eric, der sich noch mit einem Tuch die letzten Blutreste aus dem Gesicht wischte. Sein Nasenbluten hatte noch nicht aufgehört. „Es kam keinerlei Nachricht von euch beiden und als das Orakel einige besorgniserregende Dinge über vermehrte Aktivitäten von Agenten des Sonnenkönigs erzählte, hielt der Meister es für besser, euch Verstärkung zu schicken.“
 

Shan runzelte seine Stirn. „Das macht Sinn. Aber wie kommt ihr so schnell hierher? Wart ihr nicht für die Überfälle miteingeteilt?“

Eric seufzte. „Eigentlich schon, aber General Coshe hat da alles im Griff. Wir haben den Teleporter in den alten Ruinen nahe Radek-Sha-Lanar benutzt, um herzukommen.“

Jared sog scharf Luft ein. „Den übrig gebliebenen Teleporter der Beau’ri? Aber damit hättet ihr ja nur-“

„den Beau’ri Teleporter in den Aschenlanden anvisieren können, ja.“, führte Eric den Satz zu Ende. „Aber der Teleporter liegt nicht weit hinein in die Aschenlande. Wir konnten uns problemlos hierher durchschlagen und uns hier oben an der Schlucht einquartieren, bis ihr vorbei kommen würdet.“
 

Dakkas verstand kein Wort mehr.

In Ordnung, er hatte noch mitbekommen, dass der Trupp von diesem ominösen Meister geschickt worden war und ein Orakel dafür verantwortlich war. Das Orakel hatte wahrscheinlich die Bedrohung durch Selena gesehen und deswegen eine Warnung ausgesprochen.

Aber von welchem Teleporter sprachen Eric und Jared da? Und warum sollte er in den Aschenlanden ein Gegenstück haben?

Und warum, bei den Teufeln, wollte ihm nicht einfallen, was es mit den Aschenlanden auf sich hatte?
 

Aber das waren jetzt ja zweitrangige Fragen. Viel wichtiger war doch, dass Sar’Shans Trupp hier zu ihrer Unterstützung aufgetaucht war.

„Vielleicht wäre es gut, wenn wir deine… Kollegen in den Plan einweihen würden, Sar’Shan?“, kommentierte Molokosh plötzlich mit einer eisigen Stimme. Dakkas brauchte nur einen Blick auf den schwarzhaarigen Drachen zu werfen, um zu wissen, dass er nicht froh gestimmt war über den Neuzugang.
 

„Der Plan, natürlich.“ Sar’Shan schüttelte seinen Kopf. „Kommt her.“

Wie befohlen versammelte der Trupp sich in einem losen Halbkreis um sie herum und sah Sar’Shan aufmerksam an. Erst jetzt, von Nahem, sah Dakkas die vielen kleinen Dolche und Messer, welche von den Männern und Frauen mitgeführt wurden. Außerdem hatte jeder von ihnen eine eigenwillige Tätowierung auf dem Handrücken: Eine graue Rose, auf der ein Knochendolch abgebildet war.

Des weiteren umgab jeden der Männer und Frauen ein gewisses…Gefühl. Es war schwer zu beschreiben, mehr so, als würde Dakkas etwas unsichtbares wahrnehmen, dass diese Leute umgab und zu sagen schien ‚Gefahr’.
 

„Der Knirps hier, wobei ihr ihn bitte nicht so nennt, heißt Dakkas.“ Auf die fragenden Blicke der anderen meinte Shan: „Nein, er ist nicht drakonischer Abstammung, auch wenn der Name das vermuten lässt.

Dakkas wurde von Molokosh vor einiger Zeit in den Ödlanden aufgegriffen. Er leidet an Gedächtnisverlust und erinnert sich nicht an seinen Namen. Den Namen ‚Dakkas’ hat Molokosh für ihn ausgesucht.“
 

Die Vash-Anhänger sahen Dakkas interessiert an, was dem Grünäugigen nicht sonderlich gefiel.

„Dakkas Amnesie wurde durch einen Gedächtniszauber verschlimmert. Wir sind uns nicht sicher, aber wahrscheinlich haben die weißen Engel ihn damit belegt.“ Sar’Shan seufzte einmal. „Außerdem wissen wir inzwischen, dass er ein Magier ist und… interessante Kontakte hat. Molokosh und Nostradamus-lana haben beschlossen, ihn nach Tirin zu begleiten.“
 

Der Rest des langwierigen Gesprächs verlief holprig.

Die Vash-Anhänger waren genauso misstrauisch wie, wenn nicht noch misstrauischer als Sar’Shan, was Dakkas dubiose Fähigkeiten und Kontakte anging. Die Idee, in ein Dogen-Gildenhaus zu spazieren gefiel ihnen auch nicht im geringsten.

Das konnte Dakkas ihnen auch nicht übel nehmen. Im Gegensatz zu Molokosh und den anderen kannten sie ihn schließlich erst wenige Minuten und Dakkas erste Tat war es gewesen, sie anzugreifen.
 

Im Endeffekt fügten sie sich aber Sar’Shans Entscheidung, ‚den Plan’ auszuführen und wie angedacht Olivier Jerome in Kleingaren aufzusuchen. Es würde zwar schwieriger werden, so eine große Gruppe bis zum Teleporter zu bringen, aber die Vash-Anhänger würden eine gute Streitmacht darstellen, falls sie doch Probleme bekommen würden.

Jared drückte es sehr gut aus, als er grinsend sagte: „Jede normale Person überlegt es sich zweimal, ob man sich mit einem Haufen Krieger anlegt, für die Wunden eine Ehre und Schmerzen eine Auszeichnung sind.“
 

~*~
 

Nachdem der Entschluss zur Weiterreise gefasst war, setzte sich ihre vergrößerte Gruppe schnell in Bewegung. Die Vash-Anhänger hatten zwar keine Pferde dabei, aber auf den steinigen Bergpfaden konnten auch die Tiere sich nur vorsichtig weiter bewegen. Außerdem legte Shans Trupp eine erstaunlich gute Geschwindigkeit an den Tag und konnte so problemlos mit den zu Pferde Sitzenden mithalten.
 

Bald nachdem sie die Steinbrücke überquert hatten, versuchte Dakkas zaghaft, sich für seinen Angriff bei Eric zu entschuldigen.

Wie sich herausstellte, war der Mann mit seherischem Talent nicht böse oder auch nur verärgert. Im Gegenteil, Dakkas schneller und gezielter Angriff schien den Vash-Anhänger beeindruckt zu haben.

„Warum sollte ich darüber verärgert sein? Du warst besser als ich und hast in mir eine Gefahr gesehen.“

Dakkas nahm an, dass die Sicht von jemanden, der den Gott des Krieges und der Schmerzen anbetete, in solchen Situationen anders war als die von ‚normalen’ Leuten.
 

Durch die Neuankömmlinge verbreitete sich eine etwas gelassenere Stimmung in ihrer Gruppe. Die Vash-Anhänger hielten immer das ein oder andere Gespräch aufrecht und waren im Großen und Ganzen ein aufgeschlossener, freundlicher Haufen. Mit der Ausnahme von Geglash, der sich von Dakkas aus einem unerklärlichem Grund persönlich beleidigt sah.
 

Schon am zweiten Tag ihrer gemeinsamen Reise wurde Dakkas erklärt, dass Eric nicht nur ein vollblütiger Werwolf, sondern eigentlich auch ein Vash-Priester und kein Schmerzensjünger war. Er begleitete die Gruppe als Unterstützung wegen seinem schwach ausgeprägtem, seherischem Talent und seiner magischen Fähigkeiten, die sein Schutzgott ihm gewährte.
 

Der Trupp bestand ansonsten nur aus Kriegern, wobei sie eine bunt gemischte Gruppe waren.

Geglash, sowie drei der anderen Männer waren Drachen. Eric war ein Werwolf. Die drei anderen Männer waren ein Halbdrachen, ein Engel und ein dunkelhäutiger halb-Visha.

Der Mann mit der sanftbraunen Hautfarbe und den schwarzen Augen war der stillste der Gruppe und führte die leichtesten Waffen mit sich. Dakkas erfuhr bald, dass Xin-Mei, das war sein Name, bei der Familie seiner Mutter, unter den Visha aufgewachsen war.

Die Visha waren ein dunkelhäutiges Amazonenvolk, das von ihrer großen Königin regiert wurde. Die Kriegerinnen der Visha waren bekannt für ihre Geschicklichkeit und ihre ausgefeilten Kampfstile, für die sie leichte oder gar keine Waffen bevorzugten. Wenn Xin-Mei tatsächlich von ihnen ausgebildet wurde, was für männliche Nachkommen nicht üblich war, war er ein gefährlicher Gegner.
 

Die vier Frauen der Gruppe waren ebenfalls gemischter Herkunft: Eine Halbwerwölfin, ein weiblicher Halbdrachen, eine zierliche aber grimmig dreinschauende Halb-Elfe und eine Bowe.

Die hochgewachsene Fee wirkte zerbrechlich, fast, als wäre sie aus Glas; aber ihre feine Grazie und die Eleganz, die jedes Mitglied des Bowe-Feenvolkes zu haben schien, wurde durch eine tiefe Narbe gestört, die ihr Gesicht einmal quer durchschnitt.

Dakkas konnte nicht einmal in seinen kühnsten Träumen erahnen, was ein Mitglied des Feenvolkes – noch dazu ein weibliches – zu einem Anhänger des Vash hatte machen können. Tief in sich selbst wollte er das auch gar nicht wissen. Die Bowe umgab eine gewisse Kälte, die wahrscheinlich aus gutem Grund da war.
 

Alles in allem musste ihre Gruppe ein sonderliches Bild abgeben, als sie einige Tage später der Bergstraße um eine Ecke folgten und dann die steinernen Befestigungswälle von Kleingaren in der Ferne hinaufragen sahen. Es war Mittag und da sie nach Norden unterwegs waren, schien die Sonne auf ihre Rücken und ließ Kleingaren in einer Art hellem Schimmer erscheinen.

Das goldene Dach der Sonnenkirche Kleingarens war auch aus dieser Entfernung noch glänzend und gut zu sehen. Die Zinnen der Kleingaren Feste, die etwas erhöht neben der eigentlichen Stadt lag, waren ebenfalls gut aus der Ferne zu bewundern.
 

Ihre buntgemischte Gruppe hielt einen Augenblick inne und betrachtete die daliegende Stadt. Bereits am Vortag war die Entscheidung gefällt worden, ihre Gruppe als zwei Adlige Drachen samt Geleit auszugeben. Trotz ihrer unterschiedlichen Mitglieder war es gut möglich, dass ein Adliger verschiedene Spezialisten für seinen Geleitschutz aussuchte.
 

Mit Molokosh an der Spitze ritten sie dann schließlich auf die Stadt hinzu, doch Dakkas wurde das plötzlich klamme Gefühl nicht los, dass sich in seinem Inneren breit gemacht hatte. Es war fast so, als würde sich eine eisige Hand nach ihm ausstrecken und nicht mehr los lassen.

Einen Moment lang befürchtete er, gleich vom Pferd fallen zu müssen, doch das mit der ungewöhnlichen Kälte erschienende Schwindelgefühl legte sich schnell wieder.

Ein Blick auf seine Gefährten zeigte ihm, dass niemand seinen kleinen ‚Anfall’ bemerkt hatte. Nicht einmal Daniel, der zum Verhätscheln neigte.
 

Dakkas wurde dieses kalte Gefühl nicht los. Es hatte von ihm Besitz ergriffen und weigerte sich standhaft, den Platz wieder freizugeben.

Die Erkenntnis traf ihn mit einer ungeahnten Wucht und ließ ihn in seinem Sattel schwanken.
 

Dort, in Kleingaren, lebte noch jemand, den er kannte. Jemand, der dort früher nicht gewohnt hatte. Jemand, dessen Anwesenheit er förmlich spüren konnte.
 

Jemand, der dort nicht sein sollte.
 

Domenek



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Egnirys
2008-01-06T10:40:31+00:00 06.01.2008 11:40
>///<
und ein neues kapitel! *-*
aw~!
wie schon gesagt: diese idee und dann noch die umsetzung...das ist der wahnsinn! alles ergibt sinn und hat hand und fuß!
toll!
xD
ich muss mir jedes mal ein quietschen verkneifen, wenn ich sehe, dass du hochgeladen hast! *lach*


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