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Der Jadejunge

Die Erzählungen, Teil 1 - Shounen-Ai
von

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Verschleppt

NOTIZ: Nebengeschichte

Zu diesem Kapitel gibt es eine Nebengeschichte, die den Hintergrund von zwei Charakteren erklärt. Am Ende ist ein Link zu dieser Nebengeschichte aufgeführt.
 

Verschleppt
 

Ausnahmsweise mal in einem Bett aufzuwachen war ein Luxus, den Dakkas so schnell nicht mehr aufgeben wollte. Verglichen mit dem federweichen Bett erschien das Schlafen auf der Erde, in einem kleinen Zelt, geradezu barbarisch.
 

Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass die Sonne vor noch nicht allzu langer Zeit aufgegangen war. Das geschäftige Treiben der Stadt hatte bereits wieder begonnen und die Geräusche drangen etwas gedämpft durch die Glassscheibe ins Zimmer.
 

Gemächlich schlurfte Dakkas ins Badezimmer um sich für den Tag bereit zu machen. Auch der Komfort von fließendem Wasser und vor allem einem Badezuber war nicht zu unterschätzen. So wie es aussah, war er halt doch ein etwas verwöhnter Adliger und kein Abenteurer, der sein ganzes Leben lang unterwegs war.
 

Bei der Idee des Adligen runzelte Dakkas seine Stirn, während er sich wusch. Dieser Gedanke war ihm schon gestern gekommen, obwohl er ihn verdrängt hatte. Alles sah danach aus, dass er adlig war, doch konnte er beim besten Willen nicht sagen, welchem Volk er zugehörte. Außerdem hinterließ das Wort einen bitteren Nachgeschmack in seinem Mund.

Vielleicht war er einfach nur ein Adliger, der sein Leben langweilig und einzwängend fand und Zerstreuung als anonymer Schreiber suchte. Was jedoch immer noch nicht seine Anwesenheit in diesem Ausgrabungslager erklären würde, abgesehen von akademischer Recherche vielleicht.
 

Das wäre alles viel einfacher, wenn er herausbekommen könnte, was da eigentlich ausgegraben wurde. In dem ganzen Chaos durch seinen Gedächtnisverlust hatte er vollkommen vergessen, danach zu fragen. Dabei war das doch ein wichtiger Punkt.
 

Und die geheime Nachricht musste auch noch bedacht werden. Was hatte die mit der ganzen Angelegenheit zu tun? Adliger und anonymer Autor war eine Sache, aber Beteiligter an irgendeinem Geheim…dingen war etwas ganz anderes. Nicht zu vergessen der Wicht – sollte heißen, Gott.

Plötzlich fiel ihm das Wortspiel eines ‚wichtigen Gottes’ ein und er musste laut lachen, was das Wasser im Badezuber überschwappen ließ. Kopfschüttelnd erstarb das Lachen zu einem stummen Lächeln. Es war schön zu wissen, dass sein Humor anscheinend nicht durch die Amnesie verschwunden war.
 

Dakkas stoppte sich beim Waschen. ‚Dass sein Humor nicht verschwunden war’ deutete irgendwie an, dass er vorher welchen gehabt hatte. Er hatte diesen hoffnungsvollen Gedankengang noch gar nicht zu Ende geführt, als ein Lied in seinem Kopf auftauchte. Bevor er es sich versah, begann er leise zu singen.

„Schockschwere Not, mein Eheweib ist tot!

Wer flickt mir jetzt die Socken und wer kocht mein Abendbrot?

Schockschwere Not, mein Eheweib ist tot!

Wer flickt mir jetzt die Socken und wer kocht mein Abendbrot?“
 

Verdutzt über das, was er da von sich gab, schloss er seinen Mund wieder und verharrte einige Augenblicke vollkommen regungslos im Badezuber, bis er seinen Kopf nach hinten schmiss und wieder lachte.

Das Lachen kam nicht nur wegen dem Lied, an das er sich jetzt wieder erinnerte, sondern auch, weil er sich an etwas erinnerte. Eine Erinnerung. Er hatte diese Dinger noch. Wo auch immer seine Vergangenheit begraben war, sie war nicht auf ewig für ihn verloren.
 

Die gute Laune hielt auch noch an, als er kurze Zeit später in frischer Kleidung die Herberge betrat und Daniel bereits an einem Tisch erspähte. Immer noch summend ließ er sich gegenüber des Halbdrachen auf einen Tisch sinken.

„Als ich des Nachts nach Hause kam

Und nicht wie sonst mein Weib vernahm.

Kein Zetern drang mir an das Ohr,

Kein Nudelholz schlug mir davor

Nur aus der Grube hinterm Haus,

Da lugten ein paar Füße raus.“
 

Der Heiler ihm gegenüber stoppte seine Hand auf halbem Wege zu seinem Mund und wandte seinen Blick ab von dem Stück Brot, das er gerade hatte essen wollen. Mit offenem Mund und einem schon preislosen Blick in den Augen starrte er den Grünäugigen an. Dieser unterbrach seinen Gesang und kicherte, bevor er grinste.
 

„Ich habe mich gerade an das Lied erinnert. Erinnert, Daniel!“

Der Heiler nickte, mehr oder minder verständnisvoll, und schloss seinen Mund, bevor er ihn wieder öffnete um zu sagen: „Das ist nett. Sehr gut sogar. Toll! Deine Amnesie geht zurück. Ein gutes Anzeichen.“ Der Mund des Halbdrachen verzog sich zu einer Grimasse. „Aber könntest du die schmutzigen Lieder vielleicht auf später verlegen?“
 

Augenrollend seufzte Dakkas. „Das sensible Moralgefühl eines Heilers, hm?“, stichelte er etwas. Daniel hatte das Stück Brot endlich bis zu seinem Mund geführt, stoppte aber wieder und sah Dakkas mit ernsten Augen an. „Nein. Der dringende Überlebenswille von jemanden, der Molokosh seit vielen Jahren kennt.“

Dakkas runzelte seine Stirn und sah sich um. Die Brüder waren noch nirgends zu sehen, also nutzte er die Gunst der Stunde, um Daniel ein paar Fragen zu stellen. „Also darf ich nicht fragen, was dieses ‚Dakosh’ ist und ich darf nicht singen in Molokoshs Nähe? Irgendetwas anderes?“ Er konnte sich nicht helfen – in seiner Stimme schwang Verletzung und Unverständnis mit.
 

Der Heiler legte das Brotstück zurück auf seinen Frühstücksteller und seufzte. „Der Lanar ist eine… komplizierte Persönlichkeit. Seine Familie… ist eine der ältesten. Und sehr… traditionsbewusst. Äußerst traditionsbewusst.“

Dakkas zog nur eine Augenbraue hoch. Sein Gedächtnis mochte er verloren haben, aber er wusste, dass Drachen keine Traditionen oder Gesetze bezüglich Liedern hatten. Abgesehen davon, dass es nur wenige drakonische Künstler gab. Verboten war es ihnen jedoch sicherlich nicht.
 

Daniel schien ihm die Zweifel anzusehen und stöhnte leise. „Lanar Molokosh hat ein kleines… Problem. Was seine… Wutbewältigung angeht.“

Dakkas grinste. „Was du sagen willst, ist, er ist tatsächlich jähzornig.“ Daniel schnitt eine Grimasse. „Nein, eher… dazu geneigt, wütend zu werden, wenn man bestimmte Themen anspricht.“

„Und diese Themen sind anzügliche Lieder, ‚Dakosh’ und…?“

„Alles, was irgendwie Spaß machen könnte.“
 

Diese Antwort kam nicht von Daniel, der vor Schreck vom Stuhl fiel, als plötzlich hinter ihm eine Stimme ertönte. Der Herbergswirt schaute missmutig zu den jetzt vier Gestalten herüber, beließ den Tumult jedoch auf sich beruhen, als einer der beiden Neuankömmlinge fiese zu ihm herüber grinste.
 

Derjenige, der gesprochen hatte, war der Halbwerwolf von neulich – war das erst gestern?, dachte Dakkas bei sich. Im Gegensatz zu gestern hatte er diesmal eine lange Wanderjacke aus Leder an und einen Rucksack auf seiner Schulter.

Außerdem waren die braunen Augen jetzt blau und seine Statur weniger muskulös, wenn auch immer noch athletisch. Jetzt verstand Dakkas auch, warum er etwas an dem Mann als falsch empfunden hatte. Er musste eine leichte Illusion auf sich gehabt haben.

Aber trotzdem erkannte Dakkas den Halbwerwolf wieder. Es war das Grinsen, die Stimme – und die Art, wie er sich als Begrüßung an einen imaginären Hut tippte, bevor er neben Dakkas Platz nahm.
 

Sein Begleiter war jedoch ein Unbekannter für Dakkas. Außerdem war er gut zwei Meter groß, grauhaarig, grauäugig, schwer bewaffnet und unverkennbar ein Drache. Seine Kleidung glich der des Halbwolfes, ein langer, brauner Ledermantel und Rucksack, darunter bequeme, aber abgetragene Klamotten. Seine zwei Schwerter klirrten, als er sich neben den Halbwolf setzte.
 

Daniel hatte sich inzwischen gefangen und wieder auf seinen Stuhl gerettet, auch wenn er nicht gerade froh aussah. „Was im Namen der drei Teufel tut ihr hier?“, zischte der aufgebrachte Heiler.

Der Halbwolf grinste frech. „Also wirklich. Wir sollten uns doch erst mal deinem Begleiter vorstellen, oder?“ Blaue Augen fokussierten sich grinsend auf den Schwarzhaarigen. „Jared mein Name, Zauberer mein Beruf. Der große schweigsame hier neben mir ist Sar’Shan, einer der besten Schwertkämpfer diesseits der Grauen Zone.“

Jared lehnte sich zu Dakkas herüber. „Und wir beiden sind diejenigen, die dafür sorgen werden, dass du und die drei reisenden Gaukler hier heil aus Halmsdorf rauskommen werden.“
 

Sowohl Daniel als auch Dakkas waren verdutzt. „Was soll das heißen?“, wollte der Heiler wissen und wurde unterstützt durch ein tiefes Grollen des gerade angekommenen Molokosh. Der adlige Drache hatte Nostradamus an der Hand. Der Seher wirkte noch geistesabwesender als sonst und ließ sich von seinem Bruder anstandslos auf einen Stuhl setzen, von wo aus er weiter in die Ferne starrte.
 

Der Halbwolf war sichtlich unbeeindruckt von Molokoshs Grollen und grinste nur noch breiter. „Hallöchen Koshi.“ Das Grollen des Drachen wurde eine Oktave tiefer. „Geht man so mit seinem Retter um? Wirklich.“ Eine Hand auf seiner Schulter stoppte Jared davor, noch etwas zu sagen und sich wahrscheinlich in ein frühes Grab zu reden. Die Hand war von seinem Drachenbegleiter.
 

„Was Jared meint, ist die vor einer Stunde in der Stadt eingetroffene Agentin des weißen Königs.“ Seine Stimme war ruhig, leise und eben, aber der Blick in seinen Augen äußerst ernst. Molokoshs Grollen erstarb. „Agentin?“, hakte er nach.

Sar’Shan lächelte grimmig. „Selena Windflügel. Hochelfe. Gefährlich. Und hinter euch her, seit ihr Stitch verlassen habt. Obwohl euer kleiner Umweg über Halmsdorf sie etwas verwirrt hat.“

Molokoshs schwarze Augen fielen auf seinen Bruder, der jedoch anscheinend nichts von der Diskussion mitbekam. Der Adlige fuhr mit einer Hand durch das Haar seines Bruders und seufzte. „Lass mich raten. Du hast mich nicht vorgewarnt, weil ich dich gestern angeschrieen hab, was?“ Die Frage war an Nostradamus und ihn selbst gerichtet. Keiner der anderen antwortete.
 

„Also gut. Woher wollt ihr das wissen und was genau habt ihr vor?“ Molokosh sagte dies, als wenn er zwei jugendliche Kriminelle ansprechen würde. „Nostradamus ist nicht der einzige Seher auf Kvi’sta.“, gab Sar’Shan als Antwort und Jared fügte hinzu: „Und da unser Herr und Meister euch nicht gerne tot sehen würde – auch wenn du das denkst, Koshi – sind wir hier, um euren Arsch zu retten.“
 

Für einen kurzen Augenblick schien alles still zu stehen – Molokoshs mörderischer Blick, Jareds selbstsicheres Grinsen, Sar’Shans ruhiger Blick, Nostradamus Abwesenheit, Daniels eiserne, angespannte Haltung, als wenn er eine straff gespannte Bogensehne war. Dann entfuhr Molokosh ein langer Atemzug und er nickte in Daniels Richtung. „Hol unser Zeug von oben, Daniel.“ Der Heiler schien die Gelegenheit zur Flucht gutzuheißen und verschwand hastig und ohne ein Wort. Molokosh belegte seinen nun leeren Platz.
 

„Ich will für euch beide und die Witzfigur, die ihr einen Anführer nennt, hoffen, dass wir nicht umsonst hier verschwinden.“, brummte der schwarzhaarige Drache. Jared grinste nur und öffnete seinen Mund, doch Molokosh schnitt ihm das Wort ab. „Und wenn du mich noch einmal Koshi nennst, werfe ich dich durch die Herberge.“ Das schien Jared nicht sonderlich zu beeindrucken, was auch daran liegen konnte, dass Sar’Shan warnend grollte, als Molokosh das sagte.
 

Dakkas wurde das ganze zu viel. „Halt, Stopp, Pause!“ Er fuchtelte mit seinen Händen zwischen den sich gegenseitig anstarrenden Drachen umher. „Bevor wir gleich wie ein Haufen Flüchtlinge aus der Stadt rennen – wohin soll die Reise gehen und wann habe ich dazu ja gesagt?“

Drei Gesichter sahen ihn erstaunt an. Dakkas dachte schon, er hätte sich irgendwie unklar ausgedrückt, als Jared plötzlich ein schelmisches Grinsen in Molokoshs Richtung sandte.
 

„Ko-…sh. Du erstaunst mich. Der Kleine darf auch entscheiden? Tsk, tsk. Du wirst doch wohl nicht sanft auf deine alten Tage?“

Molokosh grollte und trat Jared unterm Tisch gegen das Schienbein, Sar’Shan senkte seufzend seinen Kopf und Dakkas sah nur perplex in die Gegend, während Jared grinsend sein Bein rieb.
 

„Soll ich jetzt überhaupt fragen, worauf hier angespielt wurde oder sollte ich gleich lieber zurück in die Gesellschaft und meine Sachen packen?“, fragte Dakkas zögerlich. Er hatte die Frage noch gar nicht vollendet, als Molokoshs Kopf auch schon zu ihm herum schnellte. „Nein! Nein.“ Der Drache schüttelte seinen Kopf. „Entschuldige. Natürlich kannst du auch etwas dazu sagen. Und die beiden werden gleich damit herausrücken, wohin sie uns zu führen gedenken.“ Ein finsterer Blick des Schwarzhaarigen unterstützte diesen Satz und ein zweiter wohl gezielter Tritt brachte Jared zum Schweigen und ließ ihn sein Gesicht schmerzlich verziehen.
 

„Würde man mir erst mal erklären, warum wir fliehen müssen?“, fing Dakkas an.

Jared grinste, trotz der Schmerzen, die sein Bein ihm bereiten musste. „Weil dein großer Freund hier jemanden verärgert hat, der ihn jetzt verfolgen lässt.“

Molokosh schnaubte. „Das war lediglich ein kleiner… geschäftlicher Disput.“

„Wegen dem du jetzt verfolgt wirst. Von einer Agentin. Des Königs der Engel.“ Der monotone Ton von Dakkas Stimme sagte schon alles. Molokosh saß nur stumm da und blinzelte, sichtlich verunsichert darüber, was er sagen konnte, um diesen Vorfall zu erklären. Jared schien sichtlich amüsiert und selbst Sar’Shan erlaubte sich ein Lächeln.
 

Als Daniel schließlich mit dem Gepäck zurück kam und sich vorsichtig an den Tisch heran wagte – er sah eher aus, als wenn er langsam an ein wildes Tier heran treten würde – musste Dakkas plötzlich schmunzeln. „Also gut… wenn wir hier möglichst schnell weg sollen, sollten wir uns beeilen. Ihr wollt diese Agentin abschütteln, richtig?“, fragte der Grünäugige Jared. Der Halbwolf nickte. „Gut. Legt eure Fluchtroute über Tirin.“ Als der Blonde seinen Mund aufmachen wollte, schnitt Dakkas ihm das Wort ab. „Mich interessiert nicht, wie ihr es macht, macht es einfach. Ich will nach Tirin.“
 

Jared und Molokosh waren über seinen plötzlichen Befehlston merklich erstaunt und hätten wohl beide kommentiert, wenn Nostradamus nicht dazwischen gekommen wäre.

„Gut. Hol deine Sachen, Dakkas. Wir warten vor der Herberge auf dich.“
 

„Gut?!“, tönte es aus zwei Hälsen, einer drakonisch, der andere halb Werwolf. Daniel sah dem ganzen Prozedere nur halb verzweifelt, halb hoffnungsvoll zu. Sar’Shan seufzte und stand auf. „Der Herr hat gesprochen. Gib mir das Gepäck, Daniel.“ Wortlos überreichte der Heiler den größten Teil ihrer Habe, die der stämmige grauhaarige Drache problemlos auch noch schulterte. „Draußen vor der Herberge. Bis gleich.“, brummte der Schwertkämpfer und zerrte Jared mit vor die Tür. Molokosh und Daniel folgten Nostradamus, der ebenfalls aufstand und wieder ins Nichts zu sehen schien.
 

Dakkas stapfte zurück zur Gesellschaft Wellert und packte seine Sachen zusammen. Diesen plötzlichen Ausbruch von… irgendetwas konnte er sich auch nicht erklären, aber er musste nach Tirin. Schnell. Und diese Agentin war Molokoshs Schuld. Der Drache hatte irgendetwas getan, bevor er über Dakkas gestolpert war und das bereitete ihnen beiden jetzt Probleme.
 

Und hatte Jared nicht erst gestern vor so etwas gewarnt? Er solle sich mehr für seine Begleiter interessieren und diese hinterfragen, hatte der Halbwolf gesagt. Oder zumindest impliziert. Das erschien plötzlich wie eine verdammt gute Frage. Mit wem war er unterwegs?
 

Einem adligen Drachen. Aus einer alten adligen Familie. Der sehr wahrscheinlich nicht damit einverstanden war, dass sein Land von Engeln besiegt und im Prinzip besetzt war – auch wenn kaum welche dort lebten. Scheiße. Bei Dakkas Glück war sein Retter ein Aufständischer und auf der Abschussliste des Engelskönigs.
 

Aber die Geheimnachricht und die Buchseite aus seinem Geheimversteck deuteten ja auf etwas ähnliches in seinem Falle hin, nicht wahr? Vielleicht gab es wirklich einen höheren Grund für das Treffen mit Molokosh. Vielleicht hatte der Wicht- Gott… wirklich seine Hand im Spiel.
 

Und wo er gerade daran dachte… die Schachtel, die Edelsteine, die Buchseite und die komischen Haarnadeln wanderten mit in Dakkas Gepäck. Schließlich hatte er in dieser Suite nur ein Geheimversteck gefunden und da waren mehr Haarnadeln… Irgendwo gab es also wahrscheinlich noch weitere Geheimfächer, Schlösser oder etwas ähnliches. Und für die würde er die Schlüssel brauchen.
 

Den Schlüssel für die Suite packte er auch ein. Diesmal würde er ihn bei niemandem hinterlegen – warum hatte er das beim letzten Mal überhaupt gemacht? Ein ungutes Gefühl überkam ihn. Jemand, der paranoid genug war, um ein Geheimfach in sein Badezimmer einzubauen, übergab seinen Wohnungsschlüssel nicht einfach irgendwem. Zumindest sollte er es nicht.
 

Draußen, neben dem Baum, stand der Rest seiner kleinen Reisegruppe, wie versprochen. Jared lehnte an Sar’Shan, der seinerseits an den Baum gelehnt war. Molokosh sah immer noch aus, als wenn man sein Todesurteil beschlossen hätte und Daniel drohte immer noch vor Nervosität einzugehen.

„Gut. Wohin zuerst?“, war das erste, was Dakkas sagte, als er bei ihnen angekommen war.
 

Jared löste sich von Sar’Shan und rückte seinen Rucksack zurecht. „Wir haben gerade schon drüber geredet. Tirin liegt ziemlich weit rein ins Herzland… viele Engel und Elfen, kaum bis gar keine Wildblüter.“

„Ich weiß. Gerade deswegen würden eure Verfolger uns dort nicht vermuten.“ Hoffte Dakkas zumindest.

Der Halbwolf runzelte seine Stirn. „Na ja, vielleicht… Nach eigentlichem Plan müsste Kosh ja schon längst wieder in Richtung Heimat unterwegs sein…“

Der schwarzhaarige Drache seufzte. „Dieser Umweg wird uns jetzt auch nicht umbringen. Wichtig ist nur, dass wir hier weg sind, bevor die Agentin uns erreicht.“
 

Jared nickte und schnippte mit den Fingern, woraufhin Sar’Shan eine alte, gelbliche Karte heraus holte. „In Ordnung… Tirin liegt hier, nahe der elfischen Grenze… wir sind hier unten… die direkteste Route würde uns direkt durch Großgaren führen und durch Singen. Wenn wir ein wenig außen herum gehen, könnten wir über Sellentin, Hutch und Kleingaren reisen… An einem der beiden Garen werden wir nicht vorbei kommen, wir müssen so oder so die Dern Berge überqueren. Außenrum ist zu riskant. Westlich würde es zwei Wochen extra dauern und östlich kämen wir zu Nahe am Aschenland vorbei.“
 

Der Halbwolf runzelte seine Stirn. „Ich schlage vor: Erst die west-nördliche Hauptstraße bis Sellentin, von da aus über ein paar kleine Umwege in Richtung Kleingaren, dann über die Schwarzwald-Gasse nach Hutch. Von da aus können wir durch den Stachelwald nach Tirin.“
 

Dakkas runzelte seine Stirn. Er hatte grob geschätzt drei Monate Zeit, um nach Tirin zu kommen, wenn er erst kurz im Ausgrabungslager gewesen war, bevor er sein Gedächtnis verlor. Die Reise würde auch gut zwei Monate dauern, eher noch länger.

Sie waren zu Fuß und wurden verfolgt. Die Drachen und der Werwolf mochten ihre naturgegebene Ausdauer haben, aber Dakkas würde irgendwann müde werden. Sie würden sich verdammt beeilen müssen, um die drei Monate zu schaffen.
 

So im Nachhinein war das ein massiger Umweg dafür, dass seine Begleiter ihn kaum kannten und verfolgt wurden. Und überhaupt, warum sollte man so lange weglaufen?

„Die Route finde ich gut, aber… warum überhaupt laufen? Könnte man nicht die Stadt verlassen, diese Agentin in einen Hinterhalt locken und sich ihrer entledigen?“
 

Seine Begleiter glotzten ihn – dafür gab es keine andere Umschreibung – verständnislos an.

„Du willst eine Agentin des Königs angreifen? Ganz abgesehen davon, dass man dann nur einen neuen schicken würde… Das wäre Selbstmord!“, erklärte Daniel in leiser, aber entsetzter Stimme. Jared grinste wölfisch. „Verrückt. Genial, mutig und heldenhaft, aber verrückt. Hör auf Daniel. Das wäre Selbstmord. Wenn Kosh ihnen lange genug durch die Finger geht, werden sie’s früher oder später auf sich beruhen lassen müssen.“

Dakkas zog ungläubig eine Augenbraue hoch, beließ es aber dabei. Vielleicht lag es an seiner Amnesie, aber er hatte nicht mal den Anflug eines unguten Gefühls bei dieser Agentin – oh, ein leichter Hauch von Hass lastete auf ihm, wann immer er an den Engelskönig und dessen Agenten dachte, aber keine Angst oder ein Gefühl von Gefahr.
 

„Na gut, dann sollten wir hier weg, bevor diese Agentin auftaucht.“ Die Route wurde einstimmig angenommen und man machte sich auf den Weg, während Jared noch die Karte wieder zusammenfaltete und Sar’Shan überreichte. Der grauhaarige Drache sah zwar mit dem zusätzlichen Gepäck von Molokosh mehr wie ein Packesel aus, schien sich aber an dem Ballast nicht zu stören.
 

Dakkas wunderte das nicht. Drakonische Kämpfer durchliefen ein mehr als nur hartes Training und wurden von Kindesbein an geschult. Das Resultat war eine wirklich erschreckende Kampfkraft, wenn man die natürliche Stärke ihres Körpers bedachte.
 

Erstaunlicherweise lag keine Nervosität über ihrer Gruppe, während sie Halmsdorf verließen. Sie beachteten die umherlaufenden Leute größtenteils nicht, obwohl Sar’Shan immer wieder seinen Blick kurz um sie herum kreisen ließ, als wenn er die geheimnisvolle Agentin jederzeit erwarten würde. Dann hatten sie die Stadt auch schon in nord-westlicher Richtung verlassen und liefen die Hauptstraße entlang.

Zu spät fiel Dakkas ein, dass sie sich von den Edelsteinen in seinem Rucksack auch Pferde hätten kaufen können. Aber jetzt noch einmal zurück zu laufen und vielleicht der Agentin in die Arme zu fallen, war zu riskant. Das würden sie eben im nächsten halbwegs großen Dorf erledigen müssen.
 

~*~
 

Drei Tage später vermisste Dakkas seine Suite, seinen Badezuber und sonstige Annehmlichkeiten. Außerdem fragte er sich, über welche Reisemöglichkeiten er normalerweise verfügen würde, wenn er sich erinnern könnte. Denn irgendwie glaubte er nicht, dass er drei Monate zu Fuß durch die Landschaft stapfen würde, wenn er er selbst wäre.
 

Hinzu kam noch die plötzlich unbehagliche Stimmung ihrer kleinen Reisegruppe. Molokosh benahm sich, als wenn ihre beiden neuen Begleiter eine ansteckende Krankheit hätten und die beiden schienen die de’Sahrs mit einer herablassenden Bemutterung zu behandeln. Es machte irgendwie keinen Sinn.
 

So kam es dann auch, dass die neue Gruppe von sechs Leuten die ersten Tage in relativer Stille verbrachte und vor sich hin trottete.
 

Am Abend des dritten Tages dann schlugen sie ihr Abendlager unweit der Hauptstraße, verborgen von ein paar Büschen und großen Steinen, auf. Dakkas verstand auch nicht, warum sie ein großes Stück auf der Hauptstraße reisen mussten, aber für die anderen schien es selbstverständlich zu sein. Anscheinend hatte er bei dem Erdrutsch doch mehr verloren als nur die Erinnerung an sich selbst. Oder Drachenlogik war einfach anders.
 

Die allgemein schlechte Stimmung in der Gruppe hatte sich auch auf Nostradamus ausgewirkt, vielleicht sogar insbesondere auf den wortkargen Seher. Als es jedenfalls an die Verteilung der Zelte für diesen Abend ging, schmiss der Grauhaarige seinen Bruder kurzerhand aus diesem heraus. Nicht tatsächlich körperlich, aber was auch immer er auf Drakonisch von sich gab ließ Sar’Shan und Daniel staunend gucken und Molokosh das Weite suchen.
 

Der Schwarzhaarige musste daher bei Daniel mit im Zelt schlafen. Dakkas hatte jedoch keine Lust sich das kleine Zelt mit zwei miesgelaunten Drachen zu teilen, weshalb er seinen Kram einfach in Nostradamus Zelt legte und dem Seher mit einem Satz erklärte, was dieser zu erwarten habe, wenn er dort nicht schlafen könne.
 

So kam es dann zu dem etwas ungewöhnlichen Arrangement für die Nacht – Molokosh bei Daniel und Dakkas bei Nostradamus. Jared betrachtete das ganze Spektakel nur mit hochgezogenen Augenbrauen und einem äußerst amüsierten Grinsen, bis er Sar’Shan am Handgelenk packte und in ihr eigenes Zelt zog.

Die Strapazen des praktisch tagelangen Marsches ließen Dakkas dann jedoch schnell einschlafen, wie es schon die vergangenen zwei Nächte der Fall gewesen war.
 

Der Schlaf hielt jedoch leider nicht lange – zumindest nicht so lange, wie Dakkas es gewollt hätte.

Es war noch dunkel außerhalb des Zeltes, als ein ungutes Gefühl und komische Geräusche ihn aufweckten. Es dauerte einige Augenblicke, bis er neben der Dunkelheit und der noch andauernden Nacht bemerkte, dass die komischen Geräusche von Nostradamus kamen.

Der grauhaarige Drache redete im Schlaf. Jedoch nicht auf Drakonisch oder irgendeiner anderen Sprache, die Dakkas hätte erkennen können.
 

Zu dem Reden kam ein ständiges Drehen und Zucken hinzu, fast so, als wenn es ein Alptraum war – oder eine den Seher verstörende Vision vielleicht? Was auch immer der Grund dafür war, es war offensichtlich, dass Nostradamus keinen ruhigen und erholsamen Schlaf hatte.
 

Zögerlich robbte Dakkas sich an das Schlaflager des Grauhaarigen heran und betrachtete ihn nachdenklich. Sollte er ihn aufwecken? Vielleicht würde er ihm dadurch einen Alptraum ersparen, vielleicht würde der Drache sich dadurch aber auch nur fürchterlich aufregen. Und Dakkas war sowieso nicht seine Lieblingsperson.
 

Der Grünäugige musste keine Entscheidung fällen. Nostradamus öffnete auf einen Schlag seine Augen und setzte sich mit einem Ruck kerzengerade auf. Nur durch pures Glück und schnelle Reflexe gelang es dem Kleineren, ihre Schädel nicht aufeinander prallen zu lassen.
 

„Er kann es nicht finden, nicht finden, nicht finden. Keine Antwort, keine Lösung, keine Erklärung. Stärker, stärker, zu stark – kontrollier es – nein! Nicht geklappt, nicht gefunden, nicht gelöst. Nein, nein, nein.“

Komplett verwirrt und auch etwas verängstigt sah Dakkas mit zu, wie Nostradamus diese Worte zu sich selbst murmelte. Er verstand schon, dass der Seher über etwas sprechen musste, dass er gesehen hatte, aber er verstand kein Wort. Der Grauhaarige gab scheinbar Wirrwarr von sich.
 

„Warum sieht er es nicht? Warum? Weil- Nein! Nicht dran denken, nicht dran denken, nicht dran denken. Schließ die Augen. Schließ. Die. Augen.“ Nostradamus schien diesen sich selbst gegebenen Befehl befolgen zu wollen und presste seine Augenlieder aufeinander. Dakkas konnte nur hilflos zusehen, wie es dem Grauhaarigen keine Erleichterung brachte.
 

„Es geht nicht, geht nicht, geht nicht. Kein Ausweg. Nie da gewesen. Die Tür ist zu und hat keinen Schlüssel. Kein Schlüssel. Niemals ein Schlüssel. Nie einen Schlüssel. Das Schlüsselloch ist nur breit genug für ein Haar, aber niemand will sein Haar hergeben.“

Inzwischen war der Ton des Grauhaarigen von frustriert und verängstigt zu traurig über gegangen. Dakkas selbst spürte immer noch einen Hauch von Angst, aber inzwischen obsiegte die Hilflosigkeit – und pure morbide Neugier. Er wusste, dass er Molokosh holen sollte, der würde mit diesem… Anfall seines Bruders umgehen können. Aber der Grauhaarige war irgendwie… faszinierend in diesem Augenblick.
 

„Kein Ausweg, keine Hilfe, keine Rettung. Für niemanden. Der Kristall ist verschlossen und die Sonne auf ihm drauf und der Mond hat vergessen, dass er leuchten kann. Keine Rettung mehr. Für niemanden.“

Das hörte sich alles andere als gut an. Vorsichtig streckte Dakkas seine Hand aus und legte sie dem Drachen behutsam auf die Schulter. Weil er ihn beruhigen wollte. Er tat damit aber wohl nichts Gutes, denn Nostradamus zuckte sichtlich zusammen und sank dann in sich zusammen. Nur schwerlich verstand Dakkas die nächsten Worte des Sehers, da dieser nur noch flüsterte.
 

„Es sind so viele. Überall. Zugleich. Ohne Pause. Sie beobachten und sie hören zu und sie schauen hin und sie merken sich alles und sie interessieren sich nicht dafür, dass sie nicht verstehen. Sie sind hinter uns und vor uns und bei uns und unter uns und jetzt sind sie ganz allein unter sich.“
 

Erneut zuckte der Drache, sein Rücken krümmte sich fast schon unnatürlich und Schaum trat an seinen Mund.

„Fokus, Fokus, Fokus, Fokus, Fokus…“ Der Rücken wurde wieder glatt, normaler, doch der Schaum an Nostradamus Mund und ein wirrer Ausdruck in den Augen des Drachen blieb. Fast schreckte Dakkas zurück, als diese Augen auf ihm ruhen blieben. Sie waren nicht mehr grau – sie waren schwarz und leuchteten in einem unheimlichen, blassen Rot-Ton.
 

„Keine Zeit. Die Teufel können nicht warten. Keine Zeit. Der Wanderer hat seine Richtung geändert. Keine Zeit. Die Sonne bleibt am Himmel stehen. Keine Zeit. Der, der im Selbstexil lebt, kehrt zurück.“

Nostradamus Augen verloren langsam ihr Leuchten und wandelten sich von dem Tiefschwarz zu seinem normalen Grau zurück. Gleichzeitig schien die Stimme des Seher immer schwächer zu werden und die Worte schienen ihm immer schwerer zu fallen.
 

„Keine Zeit. Der Rädelführer ruft zu den Waffen. Keine Zeit. Der Prinz hat den Turm verlassen. Keine- Dakosh!“ Die Stimme des Sehers brach und ein Schluchzen entfuhr ihm. Kurzzeitig war der Augenkontakt mit Dakkas gebrochen, dann sah Nostradamus ihn wieder an. Das Leuchten hatte aufgehört und seine Augen waren fast wieder bei ihrer normalen Farbe angekommen.
 

„Wir haben keine Zeit. Die Sonne geht auf.“ Der Drache atmete einmal tief durch. „Rette meinen Bruder.“ Seine Augenlieder sanken langsam wieder hinab. „Bitte.“ Obwohl er saß, schien Nostradamus zu schwanken und fiel schließlich hinten über zurück in sein Bett. „Die Häscher sehen dich nicht.“, flüsterte der Drache noch, bevor er seine Augen wieder schloss und kurz drauf wieder einschlief – falls er denn während diesem ganzen Zwischenfall wirklich wach gewesen sein sollte.
 

Dakkas Atem ging in kleinen, unregelmäßigen Stößen. Er zitterte am ganzen Leib und das nicht nur, weil ihn gerade diese beiden unheimlichen Augen angeguckt hatten. Mehr stolpernd und stockend als wirklich gehend schwankte er aus dem Zettel und entfernte sich etliche Schritte von ihrem Lagerplatz, bis er sich hinter einem Busch niederließ. Das hieß, eigentlich fiel er mehr ins Gras, als dass er sich tatsächlich setzte.
 

Was tat man, wenn man gerade so etwas erlebt hatte? Wie sollte er auf so etwas reagieren? Und hätte Molokosh ihn nicht vorwarnen können, dass sein Bruder ab und zu verdammt erschreckende Visions-Anfälle bekam!?

Dakkas bezweifelte nicht, dass der grauhaarige Drache etwas gesehen hatte, was auch immer es war. Er würde sogar vermuten, dass der Seher mehr gesehen hatte, als er verarbeiten konnte. Soviel zumindest hatte er aus dem wirren Gebrabbel heraus gehört.
 

Nostradamus hatte irgendetwas gesehen, dass ihm unheimliche Angst eingejagt hatte. Und anscheinend gefährlich für Molokosh war, wenn Nostradamus Bitte ernst zu nehmen war. Und der Seher war bitter ernst gewesen. Nur wie ausgerechnet er, Dakkas, derjenige ohne Gedächtnis, den mehr als zwei Meter großen, gut ausgebildeten und wahrscheinlich äußerst fähigen Drachen retten sollte… Das überstieg einfach sein Denkvermögen.
 

Außerdem hatte Nostradamus viel… Zeug erzählt. Wie sollte er das verstehen? Konnte er das überhaupt verstehen, oder war das Ganze nur Gebrabbel von einem verrückten Mann?
 

Dakkas seufzte und beschloss, sich erst einmal zu beruhigen, bevor er mit Molokosh darüber sprechen würde. Der Schwarzhaarige würde hoffentlich wissen, was in so einem Falle wie diesem zu tun war. Jetzt brauchte Dakkas einfach mal fünf Minuten Ruhe, um sich wieder zu fangen.
 

Er legte sich mit dem Bauch nach oben ins Gras und rieb sich die Schläfe. Im Osten ging gerade die Sonne auf und sandte ihre ersten Strahlen über die Landschaft. Dakkas schloss die Augen und genoss die letzten Momente der Stille, die es nur zwischen Tag und Nacht gab.
 

Im Verlauf des Tages würde diese Sonne wieder unbeschreiblich heiß werden und ihm in den Nacken scheinen. Jetzt aber, kurz vor Sonnenaufgang, herrschte noch eine angenehme Temperatur, nicht zu kalt und nicht zu warm. Schon nach wenigen Minuten war Dakkas wieder entspannt und bereit, mit Molokosh über das Vorgefallene zu sprechen.
 

All diese Gespanntheit verflog jedoch, als er einen Ast oder Zweig oder was immer es war Knacken hörte, gefolgt von einem verärgerten, gezischten Befehl zur Stille.
 

Seine Augen flogen auf und jede Muskel seines Körpers spannte sich an. Jemand war hier, bei ihrem Lager. Jemand, der nicht entdeckt werden wollte.
 

„Wir haben keine Zeit. Die Sonne geht auf.“

Konnte Nostradamus etwa schon diesen Tag gemeint haben und keine ominöse Zukunft?
 

„Die Häscher sehen dich nicht.“

Vorsichtig rollte Dakkas sich auf seinen Bauch und sah, so gut es ging, durch den Busch, hinter dem er lag, auf ihr Zeltlager.

Er hatte sich vorhin nicht sehr weit entfernt, vielleicht dreißig Schritte, bis er hinter diesem Busch auf die Erde gefallen war. Es war einer der wenigen Büsche, die hier wuchsen und die sie am Abend vorher ausgewählt hatten, weil sie ihr Lager vor der Straße verbargen.
 

Sie hatten dabei nicht bedacht, dass andere Leute sich so auch besser anschleichen konnten.

Angestrengt suchte Dakkas seine Umgebung mit den Augen ab. Er hatte das leise Zischen hören müssen, wer auch immer hier war, musste also in seiner Nähe sein. Das einzige mögliche Versteck waren einige Büsche rechts ab von ihm, gut fünfzehn Schritte entfernt. So weit hätte er das Geflüsterte aber nicht hören können.
 

Ein Schatten ließ ihn aufschrecken und beinahe hätte er geschrieen, als zwei schwarzgewandete Füße vor seinem Gesicht auftauchten. Die Tatsache, dass diese Füße von dem Stab einer Sense begleitet wurden, beruhigte ihn dann doch etwas. Auch wenn es wahrscheinlich sehr fragwürdig war, wenn eine Erscheinung des Gottes des Todes ihn beruhigte.
 

Die kleine Gestalt stand direkt vor ihm und blickte mit ihrem komischen Augen auf ihn herunter, während sie mit der Sense in ihrer linken Hand spielte. Beauron trug wieder seine Robe, zeigte wieder sein Gesicht nicht – und sah immer noch wie ein kleiner Wicht aus. Dakkas schüttelte innerlich seinen Kopf. Über so etwas sollte er jetzt nicht nachdenken, jetzt gab es wichtigeres zu tun.
 

Beauron deutete auf die Büsche rechts ab von ihm und bestätigte somit Dakkas Vermutung, dass der Todesgott ihn das Zischen von gerade hatte hören lassen.

„Sind wir in Gefahr?“, fragte der Grünäugige. Beauron antwortete mit einem stummen Nicken und einem erneutem Wink in die Richtung dieser Büsche. Dann krochen auf einmal auch vier Männer aus den Gebüschen hervor, die Dakkas davor nicht bemerkt hatte.

„Verdammt.“, fluchte er so leise wie möglich und überlegte, wie viele der vier er wohl würde ausschalten können, bevor einer seiner Reisebegleiter aufwachte.
 

Beauron hielt ihn jedoch mit einem Stampfen seiner Sense auf, bevor etwas Derartiges Geschehen konnte.

„Was?“ Dakkas nahm sich fest vor, sich nicht für wahnsinnig zu halten, nur weil er mit der Erscheinung eines verrückten Gottes sprach, die außer ihm anscheinend keiner sehen konnte.
 

Der Gott schien unter furchtbaren Qualen einige Worte herauszubringen. Da Dakkas weder seinen Mund noch sein Gesicht sehen konnte, war es schwer, über den Zustand des Gottes etwas zu sagen.

„Zaubern…“ verstand der Grünäugige dann endlich und runzelte verwirrt seine Stirn. „Wer? Ich?!“ Er konnte nicht zaubern. Selbst wenn er es einmal gekonnt hätte – inzwischen erinnerte er sich nicht einmal an seinen Namen! Wie sollte er da vier Männer mit Zaubern überwältigen?
 

„Eis…“

Dakkas sah die Erscheinung des Gottes nur unverständlich an und brachte sich selbst langsam in eine kniende Position. „In Ordnung, Wi- Eure Todhaftigkeit. Ich würde wirklich gerne etwas tun, aber falls Ihr es noch nicht mitbekommen haben solltet: Ich habe da dieses kleine Problem mit meinem Gedächtnis. Ich verstehe also wirklich nicht, wie- KYASHE!“
 

Die Dinge geschahen so schnell, dass Dakkas nie so ganz dahinter kam, was wie passierte.

Er war sich jedoch sicher, dass Beauron mit seiner freien Hand nach ihm griff und sie durch seinen Arm hindurch streckte, bevor er wieder verschwand.
 

Plötzlich schien sein gesamter linker Arm aus Eis zu sein, wenn er seinem Gefühl glauben sollte. Es schmerzte. Es brannte. Es ließ ihn bis auf seine Knochen frieren. Es zuckten kleine Blitze durch sein Lichtfeld, durch die Dakkas nichts anderes mehr wahrnahm. Die ganze Welt war für ihn in diesem Augenblick auf seinen schmerzenden Arm zusammen geschrumpft.
 

Es dauerte vielleicht wenige Sekunden, bevor der Gott seine Hand wieder zurückzog und Dakkas seinen immer noch schmerzenden Arm vorsichtig an seine Brust heranzog. Aber es konnte auch länger gedauert haben; ein Zeitgefühl besaß der Grünäugige in diesem Moment nicht.
 

Dann fiel ihm auf, dass zwei der vier Männer schockgefroren und sehr wahrscheinlich tot zwanzig Schritte von ihm entfernt auf dem Boden lagen. Sar’Shan war damit beschäftigt, den restlichen zwei zu zeigen, warum es eine schlechte Idee war, einen Drachen überfallen zu wollen. Entweder das, oder er war einfach wütend darüber, geweckt worden zu sein. Als der Kämpfer nicht aufhörte, obwohl die beiden – es waren Engel, stellte Dakkas jetzt fest – bereits tot waren, entschied Dakkas sich für das letztere. Es gab wirklich keinen anderen Grund , warum Sar’Shan sie in Streifen zu schneiden versuchte.
 

Oder doch. Der Schmerz ließ langsam nach und Dakkas wankte langsam auf das Lager zu. Dann sah er auch, dass aus der anderen Richtung ebenfalls ein kleines Grüppchen gekommen war – vier Frauen. Nur, dass diese schneller gewesen sein mussten, als ihre männlichen Gegenstücke. Jared und Sar’Shans Zelt war zerrissen und der Halbwolf lehnte schwer an Daniels Seite, während er eine Elfe mit Feuerbällen beschoss. Sein Oberkörper wies eine tiefe Stichwunde auf, die Daniel verzweifelt mit seiner eigenen Magie zu heilen versuchte. Was sich als schwierig erwies, da Jared nicht stillhalten wollte.

Das erklärte dann auch Sar’Shans Wut. Die beiden schienen gute Freunde zu sein; Jareds Verletzung hatte ihn wahrscheinlich zur Weißglut getrieben.
 

Der Schmerz in seinem linken Arm war inzwischen ganz verflogen und langsam kehrte auch wieder das Gefühl von Wärme zurück. Dakkas torkelte an Sar’Shan vorbei, der sich inzwischen der letzten noch lebenden Elfe dieser Engel-Elfen Gruppe widmete. Dakkas hatte das Gefühl, dass er dem Grauhaarigen bei dieser Art von Arbeit lieber nicht zusah.
 

„Jared, wenn du nicht still hältst, kann ich dich nicht heilen!“, zeterte Daniel, während eine Schweißperle sein Gesicht herunter ran. Der Halbwolf zuckte nur mit den Schultern. „So wenig Werwolfblut hab ich nun auch nicht. Gib mir drei, vier Tage Ruhe und dann geht das wieder.“

Der Heiler grollte. Es war das erste Mal, dass Dakkas diesen Laut von dem Halbdrachen hörte. Es klang deutlich höher als das, was die Volldrachen von sich gegeben hatten, aber dennoch gefährlich.

„Wir haben keine drei, vier Tage Ruhe. Wir müssen Lanar retten.“

„Molokosh?!“, brachte Dakkas heraus.

„Rette meinen Bruder.“
 

Jared nickte seufzend, während er Daniel erlaubte, die Stichwunde zu versorgen. „Da waren noch zwei mehr. Ein Engel, etwas größer als normal, und eine Drakharuda.“

Daniel grollte erneut. „Das war keine Drakharuda, Jared. Das waren sehr wahrscheinlich Gehilfen von dieser Agentin, vor der du uns gewarnt hast…“

Der Halbwolf bleckte die Zähne und presste eine Mischung aus Gebell und Gejaule aus seinem Hals. „Ich hab sie am Arm erwischt. Das war eine Drakharuda, wenn ich’s dir doch sage. Konnte es riechen in ihrem Blut.“
 

Dakkas hielt sich seinen wieder munter werdenden Arm und blickte nur verwirrt rein. „Was ist eine Drakharuda? Wo ist Nostradamus und was ist mit Molokosh geschehen?“

Sar’Shan hatte aufgehört, die Leichen der Angreifer zu zerspießen und beantwortete Dakkas Fragen. Daniel kümmerte sich in der Zwischenzeit um den leise vor sich hin fluchenden Jared.
 

„Drakharuda ist ein drakonisches Wort, das aber eigentlich jeder Wildblüter kennt. Gemeint ist ein Drachen-Werwolf Mischling. Molokosh wurde von einer von ihnen und einem Engel gerade entführt… denken wir. Als dein Schrei uns weckte, hatten sie ihn bereits geknebelt und schleppten ihn weg. Solange Nostradamus nicht auch entführt wurde, sollte er noch schlafen. Hier draußen ist er jedenfalls nicht.“
 

„Molokosh ist entführt worden…?“, hakte Dakkas nach, sprachlos. Warum hatte er das nicht gesehen?! Er hatte doch freien Blick gehabt… auf zwei Zelte. Seins und das von Jared und Sar’Shan. Molokosh und Daniel hatten ihres ein Stück weiter weg aufgeschlagen, nachdem Nostradamus sich mit seinem Bruder gestritten hatte.

Er hatte es nicht sehen können.
 

„Ein Drachen-Werwolf Mischling?“, fragte er dann plötzlich, verwirrt. Es machte keinen Sinn. Kein Wildblüter würde einer Agentin des Sonnenkönigs helfen. Daniel wiederholte diese Worte laut, erntete jedoch nur humorloses Lachen von Jared.

„Daniel, verschließ doch nicht deine Augen. Es gibt immer mehr Wildblüter, die sich mit den Engeln und ihresgleichen gut stellen. So ein Auftrag ist doch perfekt, um die Gunst von einem ihrer Adligen zu kriegen.“
 

Daniel schien genauso geschockt über Jareds Worte zu sein wie Dakkas. Der Grünäugige hatte jedoch auch anderen Grund zur Sorge, abgesehen von diesen Neuigkeiten.

Drachen war kräftig, groß, magisch begabt und stark. Werwölfe waren ausdauernd, besaßen verbesserte Sinne und konnten sich selbst heilen. Ein Mischling dieser beiden Rassen konnte beliebige dieser Eigenschaften besitzen oder sogar alle.
 

Sie mussten Molokosh zurück holen. Sofort.
 

„In welche Richtung haben sie ihn geschleppt?“ Jared wies gen Osten, weg von der Hauptstraße. „Selena muss irgendwo hier in der Umgebung sein. Warum sie selbst nicht gekommen ist, habe ich keine Ahnung.“, brachte der Halbwolf hervor, während er sich auf seine Beine richtete.
 

Jared ging zwei Schritte und wäre wieder umgekippt, wenn Sar’Shan ihn nicht gefangen hätte. Dakkas schüttelte seinen Kopf. „Vergiss es. In deinem jetzigen Zustand wärest du eher eine Behinderung für Molokosh. Du bleibst hier.“ Jared fing mit einer Beschwerde an, aber Sar’Shan legte ihm die Hand auf den Mund. „Dakkas hat Recht. Du bleibst hier, zusammen mit den anderen. Ich werde ihren Spuren folgen und-“
 

Dakkas schüttelte seinen Kopf. „Nein. Du bleibst hier und bewachst die anderen. Ich geh und hole Molokosh.“ Alle drei Anwesenden sahen ihn an, als wenn er verrückt wäre.

Der Grünäugige lächelte nur grimmig. „Glaub mir, es ist das beste so. Jared ist verletzt, Daniel ist kein Krieger und Nostradamus hatte vorhin eine Art… Anfall mit… Vision denke ich. Jedenfalls scheint er noch schwer mitgenommen zu sein, wenn er hiervon nicht wach geworden ist.“
 

„Vision?!“, rief Sar’Shan. “Was für eine Vision?”, hakte Daniel nach. Jared klammerte sich nur an den Grauhaarigen Drachen und versuchte, auf seinen eigenen Beinen stehen zu können.

„Keine Ahnung. Größtenteils war er… unverständlich. Aber er bat mich, seinen Bruder zu retten und schien über den Angriff bescheid zu wissen. Wenn er mich nicht gewarnt hätte, hätte ich von alledem auch nichts mitgekriegt.“
 

Sar’Shan nickte zögerlich. „Das gefällt mir zwar nicht, aber was Nostradamus sagt, hat Hand und Fuß – auch wenn man es nicht immer versteht.“ Der Drache seufzte. „Ich passe auf den Rest unserer Gruppe auf, du holst unseren de’Sahr wieder zurück. Wenn du diesen Trick mit dem Eis noch mal hinkriegst, solltest du auch keine Probleme haben.“
 

Daniel schaute ungläubig. „Der Eisstrahl kam von Dakkas?“

Jared schnaubte. „Na von mir sicherlich nicht.“

Sar’Shan schenkte seinem Freund ein kleines Lächeln.

Dakkas rieb sich die Stirn. „Daniel, schau nach Nostradamus. Ich bin… so schnell wie möglich mit Molokosh zurück.“ Dann drehte er sich um und untersuchte Molokoshs und Daniels Zelt nach Spuren. Er fand auch tatsächlich welche, Kampf- und Schleifspuren, die gen Osten führten. Innerlich seufzend machte er sich auf den Weg, den schwarzhaarigen Drachen zu retten.
 

Er konnte nur hoffen, dass Beauron, der zur Zeit natürlich nicht sichtbar war, noch andere Tricks auf Lager hatte, um ihm zu helfen. Schließlich hatte er es mit mindestens drei Feinden zu tun, wenn diese ominöse Agentin keine weitere Unterstützung hatte.

Und er hatte immer noch keine Ahnung, was er vorhin eigentlich getan hatte. Er würde die Hilfe des Wichts nötig haben.
 


 

Kleines drakonisches Wörterbuch:

Drakharuda – Mischung aus den Worten „Drakhem“ und „Garudas“. Das erstere heißt „Drache“ (‚kh’ wie ein hartes ‚ch’ aussprechen, wie bei ‚Bach’). Das Letztere heißt „Werwolf“. Es gibt keinen Plural, da es (eigentlich) ein Adjektiv ist. Es wird manchmal auch für Volldrachen benutzt, die Werwolf-Verhalten an den Tag legen.
 

Das Lied, das Dakkas singt:

„Schockschwere Not“, deutsches Volkslied, um die 1890 entstanden. In späteren Kapiteln taucht es noch einmal komplett auf, ich füge es also hier nicht komplett an.
 

Nebengeschichte

Die Geschichte heißt "Kaum Einer Kannte Sar'Shan" und ist unter diesem Link zu finden (einfach kopieren):

http://www.puh-schell.de/Kvista/Nebengeschichten/KEKS.htm



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  sunny01
2007-04-27T12:34:42+00:00 27.04.2007 14:34
Du sag mal, hast du vor- oder koenntest du dir vorstellen- deine Kvi'sta Epen in Buchform raus zu bringen?
Also ich wuerd sie mir alle aneignen (besitzt sowieso schon fast jegliche Art von Epen)
Ich kann nur immer wieder betonen, wie sehr mir dein Einfallsreichtum be deiner Geschichte gefaellt. Sprachen und Staedte selbst ausgedacht und dann auch noch die Haarnadel.
Ich glaub das is so ziemlich meine liebste Stelle im 7ten Kapitel. Die Idee, das Ende einer Haarnadel zu einem Schluesselbart zu formen, welcher zu einem Schloss im Bad, nahe des Fusbodens passt... Wenn ich irgendwann mal Millionaer werde, weiss ich schon wohin mit der Kohle!
Mit diesen beiden Kapiteln mehr, die ich jetzt intus hae muss ich sagen, dass ich Dakka wirklich sehr mag. Seine Art von trockenem Humor und wie er sich gegenueber Molokosch Respekt zu verschaffen weis.
Auch mag ich Daniel, der ist nur zum Lachen und gernhaben mit seiner Art.
Ach, ich mag alle deine Charas!

Und ich mag Beauron!!! Hihi, ich weiss nicht, aber er kommt mir in Gedanken...also ich stell ihn mir so vor wie der kleine schwarze Kerl von Mario Kart. Nur mit Kutte -.-

Was ich bei Gelegenheit auch mal Fragen wollte, du hast nicht zufaellig ne Karte von Kvi'sta? Ich hab schon auf deiner Homepage nachgeguckt, aber irgendwie find ich keine.

Erwarte voller Spannung und Begeisterung deinR neueN Kapitel (Mehrzahl, ne ^.~)
LG, sunny =)


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