Zum Inhalt der Seite

Musik 4Y

Diese eine Person, die...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Diese eine Person

Kapitel 5:
 

Da ich bis auf den Freitag ziemlich viel um die Ohren hatte, konnte ich den Proben innerhalb der nächsten Woche nicht beiwohnen. Zunächst fand ich es schade, weil dieser Nachmittag so viel getriggert hatte, dass ich drauf und dran war, mich nur wegen ein wenig Spaß und geleisteter Hilfe mehr mit Musik zu beschäftigen. Als mir nach ein paar Tagen aufging, wie sehnsüchtig ich an diesen Freitag zurückdachte, hätte ich mich fast an meinem Mittagessen verschluckt.
 

Es war gut, nur einmal die Woche hinzugehen. Zumal ich es genau genommen gar nicht mehr musste. Sie kannten ihre Patzer und hatten sie verbessert. Warum noch hingehen? Das lag eigentlich an mir und ein bisschen an Timothy. Bevor ich nach der ersten Probe gehen konnte, stritten wir uns abermals. Banalitäten, nichts Ernstes. Irgendwie war daraus die Wette geworden, dass ich es nicht aushalten würde einmal in der Woche in einem Probenraum zu sein. Darauf einzugehen war albern. Ich war dabei abzulehnen, bis ich Timothys triumphierenden Blick sah. Getriggert nahm ich die Wette an.
 

Während des nächsten Rechtsseminars nach der Wette, benahm Timothy sich erstaunlicherweise. Unsere Streiterei hielt sich auf einem amüsanten Level und wirkte auf mich eher lasch, im Vergleich zu dem was wir bisher ausgetauscht hatten. Ich nahm es als Zeichen, dass sich unsere Bekanntschaft verbesserte. Grundlegend war Timothy kein schlechter Kerl. Er nervte mich nur abgrundtief, wenn er seine allwissende und alles vorhersehende Art raushängen ließ.
 

Dahingehend war seine fast schon melancholische Stimmung, während der zweiten Vorlesung erfrischend entspannend. Seine Sticheleien hatten nur die Hälfte an Durchschlagskraft. Ich konnte nicht sagen, ob er zu unausgeschlafen war oder ob ihn wirklich etwas bedrückte. Zum Glück kannten wir uns nicht gut genug, als dass ich mir Sorgen machen müsste.
 

Ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren, was mir schwerer fiel, je mehr ich versuchte mir keine Sorgen zu machen... Immerhin hatte er mich nach zwei verpassten Rechtsseminaren besucht. Timothy wusste, dass ich krank war und wo ich wohnte. Ich hatte ihn jenen Tag Fragen wollen, warum er vorbeigekommen war. Nur wegen der Unterlagen zum Seminar? Bitte. Die hätte ich mir von anderen Kommilitonen oder in der nächsten Vorlesung von ihm holen können. Aber er kam vorbei und schrieb sie für mich ab. Das war beinahe fürsorglich. Auf jeden Fall sehr ungewöhnlich für einen Timothy.
 

Mein Blick glitt zur Seite. Timothy wirkte gelangweilt, seine braunen Augen dunkler als sonst und seine Gedanken unlesbar. Ihm fehlte der Schwung, wenn er sich zurücklehnte. Das Verspielte, wenn er lächelte. Sein Blick wirkte düster, unsäglich bitter. Ob es ihm vielleicht doch in irgendeiner Art schlecht ging?
 

Den Worten des Dozenten lauschte ich schon gar nicht mehr. Dafür bemerkte Timothy meinen Blick und sah auf. Er hatte sich auf seine Unterlagen gestützt und den Kopf schwer auf beiden Handrücken geparkt. Nun schmiegte sich seine Wange in seine Handfläche und er sah mich unverwandt an. Ein Lächeln zierte seine schmalen Lippen. Es wirkte erzwungen, weniger geschmeidig und gehässig als sonst. Wenn ich schon mal seine Aufmerksamkeit hatte, dachte ich, lehnte ich mich ihm ein Stück entgegen und flüsterte kaum hörbar.
 

„Alles in Ordnung?“
 

„Warum fragst du?“
 

Ob er auch mal antworten konnte, wenn ich versuchte nett zu sein? Ich verdrehte meine Augen und hielt meinen Blick strenger auf ihn gerichtet.
 

„Wenn du Freitag ausfällst, gewinne ich die Wette“, stellte ich fest. Nur weil er nichts sagen wollte, hieß es nicht, dass ich ihm vom Haken ließ. „Einen kampflosen Gewinn habe ich nicht erwartet. Soll ich dir verraten, was du dann tun darfst?“, fragte ich so süffisant wie es geflüstert möglich war. Timothys Blick verdunkelte sich weiter. Von seinem quirligen Pony überschattet, wirkten seine Augen beinahe schwarz. Ich ignorierte die Gänsehaut in meinen Nacken und wollte die Spannung noch nicht aufgeben. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass Timothy etwas mehr Kampfgeist als eine Kaulquappe an Land zeigte.
 

„Wer gewonnen hat, zeigt sich erst beim Konzert. Lob den Tag nicht vor dem Abend, nur weil ich ein bisschen meine Kräfte schone.“
 

„Kräfte schonen, nennt man das also? Und ich dachte, du versucht absichtlich Mitleid zu haschen, wenn ich dir schon keine Komplimente gemacht habe.“
 

„Alles was von dir kommt, ist so schön wie das Kratzen von Fingernägeln über eine Tafel.“
 

Ich schnalzte und warf ihm einen giftigen Blick zu. Ich hatte versucht freundlich zu sein, aber wenn er nicht wollte. Mehr Zeit mich wieder auf die Vorlesung zu konzentrieren. Ich ignorierte Timothy, spürte aber seinen Blick auf mir ruhen. Nach einer Weile, würde er sicher aufgeben.
 

Die Sekunden verstrichen, die Minuten schlossen sich an. Demonstrativ lehnte ich meinen Kopf auf meine linke Hand und blockte ihn somit komplett. Mein rechter Unterarm lag auf meinem Heft und meine Finger hingen ein wenig vom Tisch, da ich eh nicht mitschrieb. Die Zeit verging, ehe mein Zeigefinger sanft angehoben wurde. Minimal nur, doch ich bekam prompt eine Gänsehaut. Da ich Timothy noch ignorierte, ließ ich mir das nicht anmerken. Jedoch wurde es schwerer, je mehr die fremden Finger mit meinen spielten. Sie hoben die Kuppen an, strichen über meine Nägel oder tippten leicht gegen einen Finger. Das Tippen variierte im Takt. Der Kontakt von Fingerkuppe zu Fingerkuppe, von warm zu eher kühl, machte mich unruhig. Ich war versucht, hielt mich aber zurück. Erst als sich zwei Finger unter meinen Zeige- und Mittelfinger schoben, sie umfassten und daran leicht zogen, hielt ich es nicht mehr aus.
 

Ich drehte mich ruckartig um und glaubte schnell gewesen zu sein. Aber Timothy war schneller. Er starrte, den Kopf auf beiden Händen abgestützt, nach vorne. Unmerklich war er näher herangerückt.
 

„Wa-“, begann ich stockend und hielt doch meinen Mund. Timothy machte einen allzu erbärmlichen Eindruck. Mit seinen Zotteln und den trübseligen Blick wirkte er wie ein begossener Pudel. Ich mochte Hunde… auch wenn ich nie einen hatte halten dürfen.

Diesmal starrte ich ihn an und er rührte sich kein bisschen. Ich wartete, nichts. Meine Finger zuckten bereits und positionierten sich über den dunklen Locken. Ob das zu weit ginge? Bisher waren wir nur am Streiten und Sprüche klopfen. Ich glaubte auch nicht, dass wir irgendwann in den letzten Wochen Freunde geworden wären. Bekannte, das passte ganz gut. Timothy nervte mich mehr, als dass ich sagen würde, ich könnte ihn gut leiden, aber … es war halt nicht meine Art jemanden hängen zu lassen, wenn er aussah wie ausgeschissen. Keine Ahnung was bei ihm vorging, aber es musste ihm doch zusetzen, wenn er seine sonst so dreiste und nervende Art verlor.
 

Ich atmete ruhig ein und ließ meine Finger in die braunen Locken sinken. Es konnte entweder gut ausgehen oder wir würden uns gleich laut fetzen. Was nichts Neues wäre. Ich riskierte hier nichts. Timothys Reaktion war indes unerwartet. Ich hatte meinen Kopf geneigt, um etwas besser sein Gesicht sehen zu können. Sowie meine Finger seine Kopfhaut berührten, weiteten sich seine Augen ein winziges Bisschen. Für etwa eine Sekunde stand die Überraschung über sein gesamtes Gesicht geschrieben, ehe sich seine Augenlider halb schlossen und er entspannter wirkte. Wirklich wie ein Hund, dachte ich. Zugleich bewegte ich meine Finger und kraulte etwas durch die erstaunlich weichen Locken. Als ich abermals zum Teufel neben mir sah, hatte dieser seine Augen gänzlich geschlossen. Timothy sagte nichts und rührte sich die restliche halbe Stunde der Vorlesung nicht mehr.
 

Ich stützte meinen Kopf auf meine rechte Hand und sah noch vorne. Meine Wangen brannten vor Peinlichkeit. Hoffentlich sah das hier niemand!
 

Am Ende der Vorlesung war alles wie immer. Timothy schien wie aufgetankt und ließ in jedem zweiten Satz kleine Spitzen auf meine Kosten fallen. Ich ließ ihn machen und kommentierte selten. Er war wieder er selbst, was mich erleichterte und das verwirrte mich wiederum etwas. Da Timothy nicht übertrieb, ließ ich ihn einfach gewähren. Es war besser, er laberte mich mit seinen Spitzen und Beleidigungen voll, als dass er wie ein Schluck Wasser auf der Stuhllehne hing.
 

Am Freitag war ich überpünktlich beim Probenraum. Es galt eine Wette zu gewinnen! Lieber wiederholte ich eine Hausarbeit als gegen Timothy zu verlieren. Wer wüsste schon, was dieser sich alles in seinem kranken Hirn ausdenken konnte?!
 

Da ich bereits einmal hier gewesen war, griff ich deutlich gefasster nach der Tür. Mir war immer noch mulmig zu mute, doch es war auszuhalten. Ich würde das schaffen, ich konnte das schaffen!
 

Glücklicherweise war die Tür zum Probenraum offen. Ich hoffte nur, dass es jemand aus der Band oder einer der Tänzer war, der bereits probte. Oder die versprengten Reste der vorherigen Nutzer.
 

Leider wurde meine Hoffnung enttäuscht. Timothy lümmelte schon im Sitzsack rum.
 

„Du bist aber früh“, begrüßte ich ihn.
 

„Du aber auch“, sagte Timothy zu mir aufblickend.
 

„Warum ist noch kein anderer da?“
 

„Weil sie immer erst mit der Glocke ins Haus fallen. Wir werden nicht vor halb anfangen.“
 

„Bitte? Da geht doch Zeit verloren“, warf ich etwas sprachlos ein. Timothy zuckte mit den Schultern und nahm seinen Hefter wieder auf. Mein Blick flog über den Sänger und ich war irgendwo erleichtert, dass er im Aussehen und Verhalten wieder seine Normalform zurückhatte. Darum glitt mein Blick in den Hefter, wo ich handgeschriebene Zeilen erkennen konnte. Vielleicht seine Liedtexte? Die heimlich gemachte Aufnahme von letzter Woche, hatte ich mir noch ein paar Mal angehört. Sein Text war so gut, wie ich es mir gedacht hatte. Es machte Lust auf mehr. Leider konnte ich nicht erspähen, was dort geschrieben stand, also gab ich auf und setzte mich auf die Couch ihm gegenüber.
 

„Wie lange muss ich eigentlich bleiben?“
 

„?“, Timothy ließ sein Hefter sinken und sah mich mit schiefgelegtem Kopf an.
 

„Die Wette. Wie lange soll ich bleiben?“
 

Timothy legte seinen Kopf auf die andere Seite und schenkte mir einen Blick der sagte: Ist das nicht offensichtlich?
 

„Bis zum Ende der Probe natürlich.“
 

Ich winkte gelangweilt ab. „Vergiss es. Was soll ich so lange hier rumsitzen?“
 

„Du kannst gerne mitmachen. Wir haben noch eine E-Gitarre. Die Griffe kennst du ja“, meinte Timothy mit einem herausfordernden Lächeln.
 

„Ver-giss-es“, zischte ich zwischen meinen Zähnen.
 

„Jo! Ihr seid ja pünktlich“, begrüßte uns Jamil, der mit Chris im Schlepptau in den Probenraum kam.
 

„Ihr seid früh“, bemerkte Timothy mit gehobenen Augenbrauen. „Wie kommts?“
 

„Chris schlug vor heute mal früher zu kommen, für den Fall, dass ihr beide früh dran seid“, erklärte Jamil.
 

„Nur damit ihr euch auch vertragt. Sicherheitshalber“, ergänzte Chris, sein Lächeln war freundlich, seine Gestik indes etwas unsicher. Chris begegnete ich von allen hier am häufigsten, wenn ich in der Woche zwischen meinen Vorlesungen wechselte. Wir begrüßten uns nur flüchtig. Doch verbesserte sich unsere Begrüßung vom Kopfnicken hin zum offenen Winken. Ich befürchte, dass er mir mein Verhalten von vor zwei Wochen übelgenommen hatte. Timothy meinte ja, er sei sensibel. Aber das war eine dieser Sachen, welche mit der Zeit besser wurden, je öfter man sich sah. Davon ab, war Chris als Tänzer wirklich gut. Seine Bewegungen waren flüssig und ebenso energisch wie Jasmines. Nayla merkte man ihre Unerfahrenheit an. Sie stockte hier und da, war etwas zu langsam und kam aus dem Takt. Ramira und Phillip waren routiniert und bildeten eine gute Basis im Hintergrund. Nach und nach trudelten alle Mitglieder der Gruppe ein.
 

Entgegen Timothys Prophezeiung fingen wir fast pünktlich an. Ob es wirklich daran lag, dass Chris alle gebeten hatte rechtzeitig zu kommen, damit Timothy und ich uns nicht die Köpfe einschlugen oder weil der Termindruck doch höher war, je mehr Tage vergingen, konnte ich nicht sagen. Nach dem Aufwärmen übte die Tanzgruppe trocken für sich, dann spielten sie alles einmal durch, prüften und spielten nochmal. Die Band war flüssig und der Gesang zeigte keine Schwächen. Es lag nur noch an den Tänzern, den Übergängen von Lied zu Lied und anderen Kleinigkeiten. Mittlerweile waren sie dazu übergegangen nicht alles zu spielen, sondern nur Passagen, welche nicht stimmig waren. Timothy hatte sich gelangweilt rechts neben mir auf die Couch gesetzt. Mal sah er zu, mal tippte er auf seinem Handy rum. Mal glaubte ich seinen Blick zu spüren. Wie Eiswürfel die heiße Spuren hinterließen. Doch wenn ich mich nur ein winziges Bisschen umsah, starrte er gelangweilt geradeaus. Es war gerade recht harmonisch zwischen uns, weshalb ich ihn einfach ignorierte. Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet.
 

Mein Blick hing an Jasmine. Sie war hübsch, schlank und gelenkig. Ihre Mandelaugen konnten sehr scharf sein, aber auch groß und niedlich. Ihre schulterlangen Haare hatte sie hochgebunden. Sie waren dunkel und glatt, typisch asiatisch eben. Jasmine trug eine Sportleggins mit Stulpen, dazu ein enges Top über dem ein flatteriges Shirt die Rundungen ihres Busens leider verdeckte. Sie hatte mindestens A, wenn nicht sogar B, sinnierte ich und ließ meinen Blick ihren flachen Bauch hinabwandern. Ihre Taille war definiert, die Hüfte schlank und der Po wohlgeformt. Ihre Beine etwas stämmiger, aber nicht unpassend zu ihrem Körperbau.
 

„Ich hoffe für dich, dass du nicht meine Schwester so anstarrst“, kam es leise von der Seite. Timothy hatte sich vorgelehnt und ahmte meine Pose nach. Nun wirkte es, als starrten wir beide aufmerksam auf die Tänzer.
 

Ich sah ihn flüchtig von der Seite an, ehe ich antwortete. „Bisher noch nicht.“
 

„Bei wem bist du?“, fragte er beiläufig.
 

„Jassi“, meinte ich. Meine Augen folgten ihren Bewegungen, ehe sie stehen blieb, sich umdrehte und alles nochmal mit der Gruppe durchging. „Sie hat einen schönen Körperbau.“
 

„Stimmt. So wie sie, stellt man sich typische Tänzer vor. Athletisch und gelenkig.“
 

„Ich meinte eher ihre Linien“, verbesserte ich meine Aussage und lehnte mich zurück, da es gerade nichts zu sehen gab. „Taille, Hüfte und Hintern bilden eine schöne Kontur, wenn sie sich bewegt.“
 

Timothy beäugte mich scharf und lehnte sich ebenfalls etwas zurück. „Ist sie dein Typ?“
 

„Bitte?“ Die Frage traf mich unvorbereitet. Sie war schön, hatte aber auch Haare auf den Zähnen.
 

„Gehört sie zu dem Typ Frau, auf den du stehst?“, wiederholte Timothy gelassen.
 

Jamil und Steven klimperten etwas mit ihren Instrumenten und die anderen waren zu beschäftigt, um auf uns zu achten. Auch wenn mir das Thema unangenehm war, hörte uns wohl keiner zu.
 

Ich sah zu Jasmine und überlegte ernsthaft, ehe ich meinen Kopf schüttelte. „Eher nicht. Außerdem war sie letzte Woche sehr forsch. Das finde ich bei Frauen unattraktiv.“
 

Timothy schmunzelte und setzte sich seitlich auf die Couch. Das rechte Bein hochgelegt, umfassten seine Hände seinen Knöchel und er beugte sich leicht vor. Ich beobachtete ihn. Nur um sicher zu gehen, dass er keinen Blödsinn ausheckte.
 

„Sie kann recht zickig sein, aber eigentlich ist sie sehr kooperativ. Vielleicht versuchst du es mal mit ihr.“ Verwundert hob ich eine Augenbraue und konnte meine Skepsis nicht verstecken.
 

„Ich dachte eigentlich ihr seid zusammen.“
 

„Wer? Jassi und ich?“, fragte Timothy nach. Ich nickte und erhielt ein leises, hoch amüsiertes Lachen. „Um Himmelswillen. Das würde nie funktionieren.“
 

„Warum soll ich dann mit ihr zusammenkommen, wenn selbst du nicht magst?“, fragte ich nach.
 

„Sollst du nicht. Ich war nur neugierig auf was so kleine Kerlchen, wie du, stehen.“
 

Ich ignorierte diese Spitze, auch wenn meine Finger sich leicht zur Faust ballten. „Dann verrate mir, auf was so lange Lulatsche, wie du, stehen. Sie jedenfalls steht auf dich, das sieht man. Aber was könnte nach dem Geschmack Eurer Eminenz sein?“, fragte ich, meine Stimme mit Hohn gespickt. Timothys Lächeln vertiefte sich und etwas Herausforderndes und Kaltes schlich sich in seine Augen.
 

„So neugierig? Wenn du es wissen willst, verrat ich es dir“, meinte er und winkte mich mit seinem Zeigefinger näher. Skeptisch ließ ich mich bitten. Ich würde sicherlich keine vernünftige Antwort bekommen, aber die Neugierde war stärker. Artig lehnte ich mich nach links, ihm entgegen. Timothy kam meinem Ohr näher. Ich spürte seinen Atem, noch ehe ich seine Worte hören konnte.
 

„Auf die Person“, flüsterte er, sodass ich eine Gänsehaut bekam, „welche mich umbringen wird.“
 

„…“
 

Ich hielt die Luft an und bewegte mich einen Moment nicht. Noch starr, drehte ich meinen Kopf gerade soweit, dass ich in die so nahen dunkelbraunen Augen sehen konnte. Ich wusste nicht, was mich mehr erschreckte: seine Worte oder sein vollkommen aufrichtiger Blick. Er log nicht, dachte ich nur und schaffte es für Sekunden nicht zu Blinzeln.
 

„Du willst, dass die Person, die dich liebt, dich umbringt?“, fragte ich ebenso leise nach. Seine Augen verengten sich ein wenig.
 

„Sie muss mich nicht lieben. Aber ich werde sie für ihre Tat lieben.“
 

Mir rann ein kalter Schauer über die Arme. Ich riss meinen Blick von seinen los und lehnte mich wieder zurück. „Das heißt, dir wäre selbst ein Bettler an der Straßenecke recht, solange er bereit wäre, ein Verbrechen für dich zu begehen.“
 

„Ich sehe es als Gefallen.“
 

„Das hiesige Rechtssystem aber nicht. … und die meisten Menschen auch nicht.“
 

Mein Ton war monoton und ich hatte genug in das Braun gestarrt. Ich sah zur Band, welche das Schlagzeug zurechtrückte, dann zu den Tänzern, welche schwitzend zu ihren Getränken griffen. Wie konnte Timothy so etwas sagen? Wie konnte überhaupt jemand jemanden lieben wollen, der einem so etwas antun sollte? Ich verstand ihn nicht. Ich wollte das ehrlich gesagt auch nicht verstehen. Trotzdem glitt mein Blick zurück zum Sänger, welcher auf seine Hände über seinem Knöchel starrte. Seine Hände griffen das schmale Fußgelenk so fest, dass die Fingerknöchel bereits weiß wurden. Ich seufzte innerlich.
 

„Angenommen, es gäbe so jemanden. Wie lange wärst du mit der Person zusammen, ehe du sie um den Gefallen bitten würdest?“
 

Timothys Hände entspannten sich etwas und er sah auf. Sein Blick glich dem von gestern. Düster und matt, ohne den Hauch von Freude, welchen er Sekunden zuvor noch hatte.
 

„Weiß nicht. Ich würde sie direkt fragen.“
 

„Woher weißt du dann, ob es die Person ist, nach der du dich sehnst, wenn du sie nicht kennenlernst?“, fragte ich zurück. Leichte Verwirrung legte sich über seine Mimik, also fuhr ich fort: „Du kannst nur einmal sterben. Sollte es dann nicht perfekt werden? In deinem Fall vielleicht sogar romantisch? Wenn du den Falschen wählst, wäre all das sinnlos. Also musst du zumindest so lange mit der Person zusammen sein, bis du dir sicher sein kannst, dass es die eine ist, welche.“
 

Das ich überhaupt ein solches Gespräch führen konnte, bescherte mir Unwohlsein und leichten Ekel. Timothys Sichtweise von Liebe war grotesk. Trotzdem konnte ich nicht anders als ihn ernst zu nehmen. Keine Ahnung, ob es aus Mitleid war oder was genau mich antrieb ihn nicht für irre zu erklären und ihm eine zu scheuern.
 

Timothy dachte über meine Worte nach, ehe er sich entspannte und ein melancholisches Lächeln aufsetzte. „Da hat der Knirps wohl recht.“
 

Ich atmete erleichtert aus. Das Düstere war aus seinem Blick verschwunden. Bequem legte ich meine Arme auf die Rückenlehne und machte mich breit. Meine Beine zog ich zu einem Schneidersitz auf die Sitzfläche hoch.
 

„Natürlich. Ich habe öfter Recht. Schließlich habe ich auch schon viel erlebt und – hey!“, protestierte ich entscheiden, da mein Zuhörer mir gar nicht zuhörte. Timothy lehnte sich über die Armlehne hinter sich und kramte in etwas. Wahrscheinlich seiner Tasche, denn er kehrte mit einer Packung Mikado zurück.
 

„Möchtest du auch?“, fragte er mich mit unschuldigem Blick. Ich glotzte genervt zurück und wandte meinen Kopf demonstrativ ab.
 

„Nein, Danke.“
 

„Oh? Wer hat das kleine Kerlchen nur so verärgert?“, fragte er sich wundernd. Seine Stimme jedoch klang leicht und beinahe singend. Fuchsig bewegte ich nur meine Augen und maß ihn verärgert. Ich konnte ihn schlecht rügen, wenn mir diese Stimmung lieber war als die düstere davor.
 

„Frag nicht so blöd, wenn du es schon weißt.“
 

„Ich weiß von nichts“, sagte er und diesmal war seine Stimme deutlich beschwingter, während sein Blick Unschuld vortäuschte. Timothy öffnete die Mikadoschachtel und knabberte an einem der dünnen Stäbchen.
 

„Tss. Wenn ich dir schon zuhöre, könntest du gleiches bei mir tun.“
 

„Aber du klangst so, als ob es ein langer Monolog werden würde. Da brauchte ich etwas zu knabbern.“ Timothy schmunzelte und vertilgte das erste Stäbchen gänzlich. „Möchtest du wirklich nicht?“
 

„Nein.“
 

„Wie geht’s weiter?“, fragte er.
 

„Mit was?“, fragte ich zurück und stellte mich dumm. Timothy hob eine Augenbraue und musterte mich. Dann nahm er ein neues Mikado heraus und pikste damit in meine Wange. Dachte er etwa, er nervte noch nicht genug?
 

„Ich habe dir zugehört, also erzähl weiter. Sei nicht so stur. Ich will wissen, was du alles erlebt hast und warum du trotzdem noch so klein geblieben bist.“
 

Ich schob seine Hand mit dem Mikado weg und wischte über meine Wange. Ich und stur? Vielleicht. Ich war etwas verärgert, das gab ich zu. Ich saß hier sinnlos rum, versuchte mich alten Ängsten zu stellen und hatte das Gefühl ständig unter Strom zu stehen. Innerlich angespannt, keinen Fehltritt zu begehen, hatte ich mich auf die entspannte, wenngleich gruselige Stimmung zwischen uns verlassen wollen. Aber Timothy schien das nicht zu sehen. Unbehaglichkeit in jemand anderen zu entdecken war beinahe unmöglich. Ich konnte nicht von ihm erwarten, dieses Kunststück zu vollbringen.
 

„Keine Lust mehr. Wie lange geht die Probe noch? Wenn nichts weiter passiert, kann ich ja gehen.“ Ich senkte meine Erwartungen ihn gegenüber. Es war sowieso ein Fehler blindlings etwas bei anderen vorauszusetzten.
 

„Da wir pünktlich angefangen haben, mindestens noch eine halbe Stunde. Wenn du vorher gehst, gewinne ich die Wette“, erinnerte mich Timothy. Seine Stimme war leicht, sein Blick amüsiert. „Wenn dir langweilig ist, können wir auch etwas spielen?“
 

Ich war emotional und nervlich an einen Punkt angelengt, an dem ich einfach nur wegwollte. Es war ein allzu bekanntes Gefühl aus früheren Tagen. Ich hatte oft versucht den Grund dafür zu benennen, aber jede Situation schien anders zu sein, wodurch auch der Grund für meine Unruhe wechselte. Es wäre zu einfach Stress oder Druck von außen als Grund anzugeben. Ebenso Timothy mit seiner aufwieglerischen Art dafür verantwortlich zu machen. Genau genommen, fühlte ich mich letzten Freitag ähnlich unwohl. Musik, Tanz, Proben, Gesang. Das alles kratzte an dem, was ich mit aller Kraft zu verschließen versuchte. Anders als bei einem Alkoholproblem, wo der Alkohol dem Körper schadet und die Entscheidung zu trinken demnach dem Wohl des Körpers untergeordnet sein sollte, war es mit der Musik anders. Es war nicht die Musik an sich, die mir geschadet hatte. Im Gegenteil. Die Klänge von Instrumenten, der Rhythmus und das Gefühl in jeder Note, beschwingte mich, füllte einen ausgetrockneten Teil meiner Seele auf und ließ mich leichter atmen. Sie komplett abzulehnen und aus meinem Leben zu verbannen, war damals wie ein kalter Entzug gewesen.
 

Aber heute? Nach so vielen Jahren? Ich konnte nicht verstecken wer ich gewesen war und was mir damit noch anhaftete. Aber hieß das automatisch, dass ich nicht mehr Musik genießen durfte? Und wenn es nur heimlich war? In einem Probenraum, mit anderen Musikliebhabern?
 

„Was meinst du mit Spielen?“, fragte ich nach und fixierte Timothy mit meinem Blick.
 

Sein Lächeln wurde breiter, aber eine Spur sanfter. „Mit den Gitarren natürlich.“
 

Ich hielt seinen Blick und wog die Risiken ab. Ich hatte schon seit letztem Jahr spielen wollen, mich aber nicht getraut und immer zurückgehalten. Hier und jetzt ein paar Akkorde zu greifen und ein Instrument zu spielen, wäre kein allzu großes Risiko. Ich musste es nur mit mir selbst ausmachen, wie sonst auch.
 

„Spielst du mit?“, hörte ich mich fragen. Timothy biss vom Mikado ab und brummte seine Zustimmung. Mein Blick glitt zum Schlagzeug und Bass, dann zu den Tänzern. Aufregung wallte in mir hoch, als ob ich etwas Verbotenes tun würde. Das war abwegig, denn niemand außer mir selbst hatte mir verboten etwas zu tun.
 

„Jamil, wie weit seid ihr?“, rief Timothy dem Schlagzeuger zu.
 

„Fertig soweit, denke ich. Ist euch langweilig dahinten?“, fragte Jamil zurück. Steven sah von seinem Bass auf, blind einige Saiten zupfend.
 

„Etwas“, meinte Timothy und zuckte mit den Schultern. „Sind die Gitarren da?“
 

Meine Aufregung wuchs. Sollte ich wirklich? Vielleicht nur ein kleines bisschen? Es war nichts dabei mit anderen in einem Probenraum Gitarre zu spielen, also …
 

„Mik auch?“, fragte Jamil überrascht.
 

„Er ziert sich“, kommentierte Timothy schulterzuckend.
 

Ich fokussierte meinen Blick und sah ihn an. „Tu ich nicht“, antwortete ich.
 

Timothy grinste und lehnte sich mir etwas entgegen. „Dann lass uns spielen. Wer die meisten Akkorde greift gewinnt.“
 

Ich erwiderte seinen Blick, nahm meinen Kopf etwas provokativ zurück und stimmte zu. Ob es richtig oder falsch war, konnte ich nicht sagen. Ich wollte in diesen Moment auch nicht weiter darüber nachdenken. Die innerliche Anspannung war enorm, wie zusammengedrückte Zuckerwatte. Ebenso hart und verklebt. Ich wollte mich nicht mehr so widerlich innen fühlen, eingeengt von meinen eigenen Auflagen, sondern einfach einem Gefühl folgen, welches langsam aus den Tiefen hervorkroch.
 

„Von mir aus gerne“, meinte Steven und machte sich daran die Instrumente vorzubereiten. Timothy stand auf, blieb vor mir stehen und sah auf mich herunter.
 

Ich sah nach oben und fing seinen Blick auf, gerade als er vom Mikado abbiss. Timothy verstand ich nicht. Ich glaubte nicht, dass er impulsiv handelte. Aber was hätte er davon mich zu triezen und anzustacheln?
 

Steven steckte die Gitarren in den Verstärker und spielte die Tonleiter, um zu sehen, ob sie nicht verstimmt waren. Ich stand auf. Auf dem Weg zu den Instrumenten dachte ich nichts. Dennoch fühlte ich wie die Anspannung und Aufregung in mir zunahm. Ich versuchte mich lässig zu geben, spielte meine Nervosität mit kleinen Floskeln herunter, wie „Das ist ewig her“ oder „Ich greif bestimmt falsch“.
 

Steven und Jamil redeten mir gut zu. Es sei nur zum Spaß und kein Wettbewerb. Timothy indes legte sich den Gurt um und summte vergnügt „Pocky, Pocky, Pocky“ vor sich hin. Ich legte mir ebenfalls den Gurt der E-Gitarre um und platzierte meine Finger und Hände auf dem Griffbrett. Die Saiten fühlten sich bekannt an, kalt und rau, beinahe kratzig auf meinen ungeübten Fingerkuppen.
 

Timothy begann als erster und spielte plänkelnd eine Melodie. Ich erkannte sie. Das war aus dem zweiten Lied. Timothy war ein guter Sänger und wahrscheinlich ein ebenso guter Komponist und Songwriter. Aber wie gut er spielen konnte, hörte ich jetzt zum ersten Mal. Er zupfte die Saiten verspielt und summte die Liedmelodie dazu. Steven stieg mit dem Bass ein. Jamil saß auf seinem Hocker und tippte mit dem Drumstick den Rhythmus auf einem Becken locker mit. Im Gegensatz zu der Originalfassung war es einfach gehalten und total faszinierend.
 

Wie lange war es her, dass ich musiziert hatte? Ewig, wenn ich richtig darüber nachdenken musste. Früher hatte ich ab irgendeinem Zeitpunkt keine Zeit mehr gehabt zu musizieren und es fand sich auch niemand, der unbefangen mit mir jammen wollte.
 

Ich schluckte schwer meinen Neid runter und blickte auf das Instrument in meinen Händen. Die anderen verstummten langsam und als ich aufsah, hob Timothy nur eine Augenbraue.
 

„Weißt du noch, wie man Akkorde greift?“
 

Der Hohn war deutlich herauszuhören. Ich verdrehte meine Augen und griff zeitgleich den ersten Akkord. Das Zupfen der Saiten war hart, das Instrument ungewohnt. Trotzdem klang der Akkord durch den Raum und füllte mich mit einer lange vergessenen Ekstase. Die Vibrationen der Töne hallten direkt in meiner Seele wieder. Meine Finger kribbelten regelrecht. Timothy spielte einen anderen Akkord noch ehe meiner verklungen war. Ich tat es ihm gleich. A-Dur. B-Dur. Fis-Dur. G-Dur. E-Moll. D-Moll. Was ich auch vorgab, Timothy folgte. Dur-Dreiklänge. Moll-Dreiklänge. Dur-Sextakkord. Moll-Sextakkord.
 

Es war eine sinnlose aneinander Reihung von Akkorden, welche oftmals nicht harmonisch zusammenklangen. Trotzdem hatte ich so viel Spaß wie lange nicht mehr. Ich vergaß, wo ich mich befand und wer alles anwesend war. Die Tänzer hatten von mir unbemerkt mit den Proben aufgehört und beobachteten unser kleines Duell. Steven und Jamil waren fasziniert von der Flüssigkeit unserer Griffe und starrten gespannt auf unsere Finger. Schließlich zupfte ich vier Akkorde nacheinander. Meine Bewegungen wurden flüssiger und ich kam schnell ins Spielen. Timothy folgte meiner Vorgabe erneut. Nach ein paar solcher Wiederholungen wurde klar, dass wir mindestens gleich gut waren. Es würde keinen Sieger geben, wenn wir auf diese Weise weiter machten. Also wechselte ich zu drei Akkorden mit kleinen Improvisationselementen. Meine Finger ätzten etwas, da sie aus der Übung waren. Zudem war es ungelogen der schwerste Griff, den ich kannte. Ich hatte damals über einen Monat gebraucht, bis ich mich nicht mehr vergriffen hatte.
 

Die Töne verklangen und ich sah zu Timothy auf. Er hatte nicht mitgezogen. Hatte ich damit gewonnen oder hatte ich mich verraten? Eine Sekunde der Unsicherheit verflog viel zu langsam, ehe Steven ein lautes „KRASS“ von sich gab und Timothy schlicht lachte. Meine Anspannung lichtete sich etwas. Ich hatte nicht zu viel riskiert, kam die Erkenntnis langsam durchgesickert und mit ihr die Erleichterung. Ich legte die Gitarre ab. Wenngleich es schade war, nicht noch mehr zu spielen, war es besser jetzt aufzuhören.
 

„Wars das schon?“, fragte der Sänger. „Das war gut, wirklich! Man merkt, du hast viel geübt, wenn du nach so langer Zeit immer noch flüssig greifen und spielen kannst. Hut ab“, lobte er mich.
 

„Mh… war nur Glück“, murrte ich, peinlich berührt und sah zur Seite. Erst jetzt bemerkte ich unsere Zuschauer, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Die Tänzer klatschen höflich. Während Chris auf mich zu kam und fragte, wieso ich so gut spielen könnte, rief Jasmine, dass die Probenzeit vorbei sei und sie aufräumen müssten.
 

Mein kleiner Rausch verschwand so schnell wie er gekommen war und ließ mich nüchtern auf der Couch sitzen. Die Gitarre hatte ich weggeräumt, aber beim Rest hielt ich mich raus. Musiker konnten eigen sein, wenn nicht alles da stand, wo es stehen sollte. Ich kannte beide Arten: Die Unordentlichen und die Pedantischen. Dieser Trupp hier war nicht pedantisch, aber sehr ordentlich. Bei sowas hält man sich am besten raus. Allein das Kribbeln und Britzeln in meinen Fingerkuppen erinnerte mich an das, was ich eben noch getan hatte. Nach sechs Jahren hatte ich erstmals wieder eine Gitarre in der Hand gehabt. Ein tolles Gefühl!
 

„Hat Spaß gemacht, oder?“ Timothy kam und lehnte sich von hinten auf die Couchlehne. Ich schielte zu ihm rüber und brummte nur zustimmend. Was sollte ich es verheimlichen. Ich hatte wirklich viel Spaß gehabt.
 

„Wenn du magst, wiederholen wir das. Ich glaube, bei Steven und Jamil hast du ordentlich Eindruck geschunden.“
 

„Ich bin Architekt. Was soll ich da mit Instrumenten rumspielen?“, fragte ich zurück. Es war keine ernst gemeinte Frage, sondern mehr wie eine Reaktion, antrainiert, um mich von dem fernzuhalten, was ich liebte.
 

„So? Kann ein Architekt kein Hobby haben?“, fragte Timothy. Seine Gegenfrage ließ mich flüchtig schmunzeln. Sicherlich konnte ich ein Hobby haben, aber war es wirklich so einfach? Konnte ich mir einen solchen Luxus zugestehen?
 

„Sicherlich. Aber ich wollte einfach keine Musik mehr machen.“
 

„Wollte? Aber jetzt willst du wieder?“, fragte Timothy weiter. Seine Augen leuchteten als hätte er etwas delikates aufgeschnappt.
 

„Ich will keine Musik mehr machen“, verbesserte ich mich und sah ihn streng an.
 

„Keine Musik mehr?“, klang seine Frage nach.
 

Sowie ich das Funkeln in dem Braun sah, wusste ich, ich hatte die falschen Worte gewählt.
 

„Musik machen, Instrumente spielen, alles das gleiche“, wiegelte ich es ab und verallgemeinerte alles zusammen.
 

„Bist du deswegen gegen Karaoke?“
 

„Das ist alles das Gleiche“, argumentierte ich unlogisch und ignorierte das erfreute Gesicht neben mir. „Es reicht mir, wenn ich Musik höre. Kopfhörer rein, fertig, los.“
 

Timothy schwieg. Jamil war mit Chris und Nayla nach dem Aufräumen vorgegangen. Steven wartete auf Jasmine, die ihre Tasche noch packte. Ramira und Phillip verabschiedeten sich gerade.
 

„Wir sollten auch gehen“, merkte ich an.
 

„Warte noch“, hielt mich Timothy auf und ging etwas holen.
 

„Schließt du ab?“, frage Jasmine ihren Sänger. Ich war erst das zweite Mal hier, jedoch fiel schnell auf, dass ihre Augen hauptsächlich an Timothy klebten. Nichts schien ihr zu entgehen. Derweil taxierte Steven Jasmine deutlich geschickter mit Blicken. Ich vermutete, dass Steven auf Jasmine stand, Jasmine indes auf Timothy und Timothy … tja. Mir fielen seine Worte von vorhin wieder ein und ich bekam erneut eine Gänsehaut. Timothy stand wahrscheinlich auf niemanden hier.
 

Jasmine beäugte Timothy während er ihr und Steven noch ein Mikado reichte, dann landete ihr Blick auf mir. Warum auch immer sie mich derart taxierte. War ja nicht so, dass ich in Konkurrenz stand ihr Timothy wegzunehmen. Der Typ brachte sich selbst außerhalb jeder Konkurrenz.
 

„Bis dann“, sagte sie schließlich.
 

„Bis nächsten Freitag“, rief Steven mir zu.
 

„Jo“, hob ich meine Hand zum Gruß.
 

Timothy kam auf mich zu und hielt ein Mikado vor meine Nase, ohne es mir zu geben.
 

„Was soll ich jetzt damit?“, fragte ich entnervt und sah beim Augenrollen, wie langsam Jasmine den Raum verließ.
 

„Du hast bei den Akkorden gewonnen, aber nun spielen wir hier drum.“
 

„Pocky Game?“, fragte ich verwundert, während die Tür zum Flur just geschlossen wurde.
 

„Genau.“
 

Ich hob fragend eine Augenbraue. „Ist das nicht ein Pärchen- und Gruppenspiel? Wäre es nicht besser gewesen, wir hätten das mit den anderen zusammengespielt?“
 

Timothy überlegte flüchtig und verneinte. „Bei so viel Auswahl wärst du nie fertig geworden.“
 

„Glaubst du! Ich bin ziemlich gut in diesem Spiel.“
 

„Wirklich?“, fragte er provozierend, ein Schmunzeln auf den Lippen. „Zeig“, forderte er und reichte mir ein Mikado. Wenn er es so wollte. Ich nahm das Stäbchen und stand auf. Neben ihm stehend, war ich zwar immer noch kleiner als er, aber das störte meine Taktik nicht im Geringsten. Ich nahm das schokoladige Ende in den Mund und sah herausfordernd auf. Timothy überlegte einen Moment, dann kam er mir näher.
 

Bei diesem Spiel ging es darum, von beiden Enden zu knabbern und sich in der Mitte zu treffen. Wer zuerst wegzog hatte verloren, weshalb viele es als Anlass für einen Kuss nahmen. Allerdings sah ich das Spiel etwas anders und das aus zwei Gründen. Erstens: Ließ ich mich nicht einfach so von jedem Küssen. Zweitens: Meiner Meinung nach ging es bei dem Spiel darum, wer die meiste Schokolade abbekam. Dahingehend hatte ich meine Technik entwickelt.
 

Ich hielt das Stäbchen leicht zwischen meinen Zähnen, die Spitze lag auf meiner Zunge auf, meine Lippen umschlossen die Schokolade locker. Als Timothy nah war, saugte ich das Mikado ein Stück weit in meinen Mund und brach es mit der Zunge ab. Timothy stockte. Auf ihn zeigte die Seite ohne Schokolade. Er musste von sich aus schon einen größeren Anlauf für einen größeren Bissen nehmen. Allerdings war nur noch die Hälfte des Stäbchens übrig. Wollte er nichts riskieren, müsste er schnell und vorsichtig sein. Er kam näher, doch mein Blick wich nicht aus. Ich achtete auf seine Augen, dann seine Lippen. Als er Anlauf nahm, zog ich das restliche Mikado in meinen Mund und er biss in die Luft.
 

Ich grinste breit mit geschlossenem Mund.
 

„Mies“, entkam es ihm.
 

„Nochmal?“, fragte ich und kaute hinter. „Du darfst gerne anfangen.“
 

Das tat er auch. Er steckte sich das unschokoladige Ende in den Mund, sodass seine Lippen den Schokoanteil leicht berührten und neigte mir seinen Kopf entgegen. Man sah ihm an, dass er seinen Sieg gesichert glaubte.
 

Ich legte nachdenklich meinen Kopf von rechts nach links, ehe ich einen Schritt nähertrat. Amüsiert bemerkte ich, wie Timothy sich davon abhielt zurückzuweichen. Das Mikado im Blick schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Im nächsten Moment schnellte meine Hand vor und legte sich in Timothys Nacken. Zugleich stellte ich mich auf meine Zehenspitzen und nahm Dreiviertel des Mikados in den Mund. Etwa ein Zentimeter trennte uns. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht und sah direkt ins Braun. Noch könnte er vorrücken und sich die Schokolade sichern, wenn er riskieren wollte, dass es zu einem Kuss kam. Nach zwei Sekunden, biss ich schließlich zu und ließ vom ihm ab. Timothy blieb mit dem wenigen Rest zurück. Triumphierend kaute ich und neigten meinen Kopf koket zur Seite.
 

„In diesem Spiel schlägst du mich nie.“
 

Grinsend und mit mir zufrieden, griff ich meine Tasche und verließ den Probenraum.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück