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Eren

Geheimnisse der Turanos
von

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Die zwei Söhne

Die Wachmänner sehen sich erstaunt an, wagen es jedoch nicht einen Laut von sich zu geben. Eren bekommt die überraschten Blicke der Beiden nicht mit, seine Aufmerksamkeit liegt auf dem Mann vor ihm. Er ist also sein Vater? Ganz sicher ist sich der Kleine zwar nicht, aber in seinem Kopf wütet ohnehin schon ein Tornado aus Gedankengängen, sodass er keinem einzigen davon folgen kann, ohne sofort wieder von einem anderen abgelenkt zu werden. Deshalb beschließt er, dass Turanos Idee ein guter Vorschlag ist. Sich erst einmal auszuruhen, zu erholen und wieder klarer im Kopf zu werden klingt wahnsinnig verlockend. Vielleicht kehren seine Erinnerungen danach von selbstzurück?
 

„Na komm, Eren. Bringen wir dich in dein Zimmer."
 

Mit diesen Worten erhebt sich der Firmenchef, zieht die Decke vollständig beiseite und hält ihm auffordernd eine Hand entgegen. Kurz zögert das Kind noch bevor es sich einen Ruck gibt und die Hilfe annimmt. Schon bei der ersten Bewegung rast die Säure schneller durch seine Adern, lässt alles innerlich brennen. Angestrengt beißt er die Zähne zusammen, versucht den Schmerz zu unterdrücken, doch das verhindert nicht, dass sich sein Blickfeld wieder zu drehen beginnt und die nächsten Tränen über seine Wangen laufen.
 

Sofort ist Turano zur Stelle, nimmt den Jungen in den Arm, als dieser umzukippen droht. „Alles in Ordnung?"
 

Eren schüttelt leicht den Kopf, für mehr fühlt er sich zu schwach. Schon diese kleine Bewegung verleiht dem Kreisel neuen Schwung. Was ist nur mit ihm los? Warum fühlt er sich wie gerädert?
 

„Das wird wieder. Nach einer Runde Schlaf fühlst du dich besser", versichert der Mann mitfühlend. Er winkt die beiden Wachen zu sich, die zunächst Anstalten machen sich weigern zu wollen, doch nach einem finsteren Blick kommen sie doch herangetreten. „Wache 1245, du kommst mit mir. Wache 1327, du räumst die Scherben weg. Und schick Dr. Ryu zu mir aufs Anwesen. Sie soll sich Eren noch einmal ansehen."
 

„Ja, Sir!", sagen Beide synchron und salutieren.
 

1327 eilt sofort davon, sichtlich erleichtert. Die andere Wache bleibt mit gemischten Gefühlen zurück.
 

Der Vater schiebt währenddessen eine Hand unter die Kniekehlen des Kindes und stützt mit der anderen dessen Rücken. So hebt er ihn hoch und trägt ihn sicher über den Scherbenhaufen hinaus aus der Zelle.
 

„Sobald die Schmerzen schlimmer werden, sagst du mir sofort Bescheid, ja?", fordert der Mann ehrlich besorgt.
 

Eren, der mittlerweile ziemlich blass und etwas grün um die Nase ist, nickt leicht. In seinem Kopf dröhnt es, weshalb die Worte seines Vaters nur gedämpft an sein Trommelfell gelangen. Er hängt schlaff in Turanos Armen und hofft nur noch, dass er bald zurück ins Bett kann, die Augen schließen, schlafen und den Schmerzen entkommen.
 

Turano biegt am Hauptgang rechts ab, die Wache folgt ihm unaufgefordert. Eren bekommt nur verschwommene, weiße Bilder von der Umgebung mit. Er hat große Mühe seine Augen noch offenzuhalten. Die Realität scheint ihm mehr und mehr zu entgleiten, ohne dass er etwas dagegen tun kann. So dauert es auch gar nicht lange bis der Junge das Bewusstsein verliert.
 

Der Firmenchef zieht die Augenbrauen leicht zusammen beim Anblick des schlechten Zustandes seines neuen Experiments. Auch wenn Erens Atmung seit der Ohnmacht etwas gleichmäßiger geworden ist, befürchtet er das Schlimmste. Schließlich hat er nicht zufällig die Nummer HHM-562, was auf seinem Unterarm deutlich leserlich eintätowiert ist.
 

„Was ist passiert?", verlangt Turano von der Wache zu erfahren.
 

„Naja." Die Wache schlucht noch immer überfordert. „Zuerst hat er ganz friedlich geschlafen. Dann ist er unruhig geworden ... hat den Kopf hin und her geworfen und ist aufgewacht. Sir, gestatten Sie mir die Frage, was mit dem Junge gemacht wurde?"
 

„Nein", antwortet der Chef kurz und knapp. „Jetzt sag mir, was euch so erschreckt hat und wie das Panzerglas splittern konnte."
 

Stumm seufzend fährt der Mann fort: „Als er aufgewacht ist, waren in seinen Haaren schwarze und weiße Strähnen erschienen und seine Augen ... Sir, so etwas hab ich noch nie gesehen. Eines war weiß und golden, das andere schwarz und rot. Er hat geschrien und dadurch wohl irgendwie die Schutzscheibe zerstört. Sobald er aufgehört hat, sah er normal aus. So wie jetzt eben."
 

„Das klingt vielversprechend", meint der Firmenchef, den Blick noch immer auf das kindliche Gesicht gerichtet.
 

Bei jedem Wort ist das verschlagene, triumphale Funkeln in Turanos Augen noch heller geworden. Gleichzeitig bilden sich tiefe Falten auf seiner Stirn. Jetzt wo endlich jemand die Prozedur überlebt hat, würde der Mann es nicht verkraften diesen zuverlieren. Nicht so kurz nach seinem Erwachen. Sie haben ja noch nicht einmal seine Fähigkeiten herausgefunden, keinen einzigen Test absolviert, keine Daten gesammelt. Nichts. Hoffentlich gibt Dr. Ryu Entwarnung und es sind nur kleine Nebenwirkungen, die bald wieder verschwinden.
 

Alles in den Gängen, die sie passieren, ist ausnahmslos weiß: die Decke, die Wände, der Boden, sogar die Türen. Während zu ihrer Rechten die einzelnen Experimente in ihren Zellen sitzen und von jeweils zwei Wachen pro Flur beaufsichtigt werden, ist der Gemeinschaftsraum links komplett leer. Eine ganze Reihe Fenster zieht sich ab der Hälfte der Wände bis zur Decke einmal rundherum, sodass man von überall auf diesem Stockwerk hinein sehen kann. Natürlich einseitig verspiegelt, damit die Experimente im Inneren sich nie sicher sein können, wann sie beobachtet werden und wann nur die Kameras allein auf sie gerichtet sind.
 

Jede Wache, an der sie vorbeigehen, wirf dem Mann mit dem Vierjährigen im Arm fragende Blicke zu. Noch nie hat der Chef höchstpersönlich ein Experiment verlegt. Er hat zwar jedes einzelne als erstes begrüßt, sobald sie aufwachten, aber alles andere hat er sein Personal erledigen lassen.
 

„Sir, wenn Sie mir die Frage gestatten, was hat es mit den ...", beginnt Wache 1245, wird jedoch sofort unterbrochen.
 

„Nein, darfst du nicht. Erledige einfach deinen Job und kümmere dich nicht um die Details meiner Experimente. Hab ich mich klar ausgedrückt?" Warnend wirf Turano seiner Wache einen finsteren Seitenblick zu. Dieser schluckt eingeschüchtert und nickt nur. „Gut."
 

Nach fünf Minuten erreichen die Männer eine weiße Doppeltür mit einem schwarzen Türrahmen, um die Türflügel besser von den Wänden unterscheiden zu können. In unübersehbar großer Schrift steht dort „Zutritt für Unbefugte strengstens verboten!". Benedikt Turano ist einer der wenigen, die zu den Befugten für diese Tür gehören. Es gibt weder eine Klinke, noch einen Knauf oder irgendetwas anderes das so aussieht, als könne man damit die Tür öffnen.
 

Mit einem kurzen Seitenblick macht er dem Wachmann verständlich, er solle stehen bleiben. Eren wird an die Wache übergeben, die hektisch das kleine Kästchen in die Gürteltasche steckt und dann mit einem mulmigen Gefühl im Magen den Experimentjungen annimmt. Mit diesem im Arm dreht er der Tür den Rücken zu, die Augen dabei auf das Gesicht des Jungen gerichtet, um auf jedes Warnzeichen sofort reagieren zu können. Schließlich will er nicht so enden wie die Glasscheibe. Bei jedem noch so kleinen Zucken verkrampft sich sofort sein gesamter Körper.
 

Benedikt Turano legt währenddessen je eine Handfläche auf jeden Flügel der Doppeltür. Zunächst geschieht nichts, doch dann leuchten gelbe Kreise um seine Hände auf, die seinen Abdruck gründlichst scannen. Anschließend erscheint eine Tastatur aus leuchtenden Buchstaben und Zahlen, auf der er ein mehrstelliges Passwort eintippt. Zum Schluss fährt eine kleine Klappe neben dem Türrahmen hoch und ein Kartenlesegerät kommt zum Vorschein. Nachdem er einen Netzhautscan bestanden hat, verschwindet der Schutz über dem Lesegerät und er kann seine Berechtigungskarte hindurchziehen. Die Türflügel leuchten kurz hellgrün auf, dann erscheint eine Türklinke und die Autorisierung ist abgeschlossen.
 

Turano öffnet die Tür, bevor die Klinke wieder verschwinden kann und nimmt der Wache das Kind ab. „Such Ajax. Er soll zu mir kommen."
 

„Ja, Sir!" Wache 1245 salutiert und verschwindet.
 

Auch der Vater macht sich auf den Weg, geht durch die Tür und schließt diese hinter sich. Sofort verschwindet die Klinke wieder. Der Mann steht jetzt am Anfang eines langen, runden Tunnels. Eine Reihe Neonröhren erhellen die Strecke. Das schwache, flackernde Licht wird von den beiden Schienen am Boden reflektiert. Ein rechteckig geformter Wagen steht am Anfang der rechten Schiene bereit. Außen ist er schwarz lackiert mit silbernen Rändern und dem Logo der Firma an jeder Seite: ein großes rotes T und ein I, die miteinander verbunden im Zentrum eines Ringes stehen. Das Dach fehlt ab Höhe der Rückenlehnen. Der Innenraum bietet Platz für bis zu neun Leute, eine Sitzbank in der Vorderreihe und zwei sich gegenüberliegende dahinter. Die Bänke sind mit weinrotem Leder bezogen und sogar mit weich aussehenden Kissen bedeckt. Es gibt kein Lenkrad oder Pedale, nur zwei Knöpfe vor dem Fahrersitz zum Starten oder Stoppen das Gefährts. An der Wand neben der Tür befindet sich ein weiterer Knopf, mit dem man einen der beiden Wägen von der anderen Seite der Schiene rufen könnte, sollte keiner parat stehen.
 

Turano klettert auf die vorderen Sitze, legt das Kind behutsam neben sich ab und drückt auf den Startknopf. Kaum ohne einen Laut von sich zu geben setzt sich der Wagen in Bewegung. Es dauert keine zehn Sekunden bis die Höchstgeschwindigkeit erreicht ist. Der Fahrtwind zerrt an Turanos Pferdeschwanz während sie den Tunnel entlang rasen. Die Lampen an der Decke sind nur als leuchtende, unscharfe Striche zu erkennen, dennoch kann es dem Geschäftsführer nicht schnell genug gehen.
 

Nach wenigen Minuten erreichen sie ihr Ziel. Das private Anwesen von Benedikt Turano, das etwas außerhalb der Stadt auf einem kleinen Berg steht, der ebenfalls in Familienbesitz ist. Das Gebäude besteht aus altertümlichen Backsteinmauern mit Türmen, kleinen Zierzinnen und hohen Decken. Es wirkt wie ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten. Rund um das Anwesen erstreckt sich eine weite Wiese mit teuren Ziergärten, Teichanlagen mit Koi-Karpfen und unendlich vielen verschlungenen Pfaden dazwischen. Ein hoher schwarzer Zaun mit Stachelzaunkrone umgibt die Wiese. Dahinter wachsen große Bäume dicht nebeneinander zu einem Mischwäldchen bis zum Fuß des Berges hinab, den ebenfalls eine hohe Mauer umgibt. Überall auf dem Grundstück sind gefährliche Wachleute unterwegs, die meisten mit speziell gezüchtet und trainierten Hunden an ihren Seiten. Niemand hat je unbefugt den Berg betreten und ist bis zum eigentlichen Grundstück vorgedrungen.
 

Der Wagen hält. Turano steigt aus, nimmt Eren wieder in die Arme und erklimmt die Wendeltreppe ins Gebäude hinein. Sie kommen in einer Ecke eines kleinen Raumes heraus, der versteckt hinter einem großen Gemälde liegt. Der Raum, die Schienenbahn und das Ziel davon sind schließlich geheim. Abgesehen davon betritt dieses Anwesen eh nur jemand, der eingeweiht ist. Sollte dennoch jemals jemand Unbefugtes das Grundstück Turano betreten, verschwindet dieser endgültig vom Erdball ohne eine Spur zuhinterlassen.
 

Der Vierjährige schläft noch immer als er auf dem Sofa im großen Wohnzimmer abgelegt und mit einer Baumwolldecke zugedeckt wird. Der Vater setzt sich daneben, sieht mit zusammengezogenen Augenbrauen auf Eren herab. Das kindliche Gesicht wirkt angespannt, als hätte er einen Albtraum oder Schmerzen. Um diese Theorie zu überprüfen, legt der Mann seine Hand auf die Stirn des Jungen. Er fühlt sich tatsächlich warm an.
 

Benedikt zieht die Hand zurück und knetet unwohl seine Finger. Wenn dieses Kind wirklich sterben sollte, dann war alles umsonst. All die Mühen. All die Seren. All das Geld. Alles einfach weg. Schlimmer noch, dann hat er keine Chance Projekt Apex Life zu vollenden. Das will und kann Turano nicht akzeptieren. Unruhig geworden steht er auf und beginnt damit im Raum herumzutigern, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Dabei wirft er dem Kind immer wieder sorgenvolle Blicke zu. Der Mann wirkt überfordert. Er hat keine Ahnung, wie man sich bei einem kranken Kind verhält oder was man tun kann, um Fieber zu senken. Hoffentlich kommt Dr. Ryu bald.
 

Als der Junge dann auch noch beginnt keuchender zu atmen, ist er heillos überfordert. Ein mächtiger Mann, der Chef zweier weltweit aktiver Unternehmen, ist bei einem kranken Vierjährigen überfordert. Er muss sich irgendwie abreagieren, irgendwie ablenken. Kein anderes Experiment hat solche Symptome nach dem Erwachen gezeigt. Gut, vielleicht weiß er es auch nur nicht, weil ihm die anderen nicht halb so wichtig waren wie dieses hier. Immerhin hat der Vierjährige besondere Seren bekommen. Das DS0- und ES0-Serum. Die letzten Vorräte. Einen weiteren Versuch wird es nicht geben. Das ist die letzte Chance die HHM-Reihe zu erschaffen. Er muss einfach überleben. Er ist für seinen Plan unverzichtbar.
 

„Sie haben mich rufen lassen, Herr Turano?"
 

Durch die plötzliche Stimme schreckt der Firmenchef zusammen. Peinlich berührt räuspert er sich, strafft die Schultern, hebt das Kinn und geht der jungen Frau entgegen, die soeben aus dem Raum hinter dem Gemälde hervorgetreten ist. Sie hat rotes, schulterlanges Haar, eine Brille auf der Nase und Sommersprossen auf den Wangen. Über einem lila Pullover trägt sie einen weißen Laborkittel. Ihre schwarzen Stiefel verursachen bei jedem Schritt auf dem Laminat ein klackendes Geräusch, begleitet von dem gleichmäßigen Rollen des Koffers, den sie hinter sich herzieht. Es ist dieselbe Frau, die ihm einige Stunden zuvor in seinem Büro mitgeteilt hat, dass das Experiment ein Erfolg war.
 

„Dr. Ryu, schön Sie zu sehen." Mit einem weiteren verlegenen Räuspern bleibt er neben dem Sofa stehen und deutet auf Eren. „Ich möchte, dass Sie sich DEM noch einmal ansehen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm."
 

Verlegen schiebt sich die Frau die Brille zurecht nachdem sie einen kurzen Blick zu dem Patienten geworfen hat. Er ist ihr selbstverständlich nicht fremd. Immerhin ist sie diejenige, die jedes Experiment von der Auswahl der Rohstoffe bis hin zum Tod begleitet. „Verzeihen Sie die Frage, Sir, aber wieso haben sie ein Experiment hierher gebracht?"
 

Turano funkelt Dr. Ryu warnend an, doch dann entscheidet er sich doch für die Wahrheit. Sie ist schließlich seine Ärztin. Und ein so großes Geheimnis ist das auch nicht. Irgendwann wird es sowieso jeder erfahren. Obwohl ... Hat er nicht letztens erst einen Bericht seiner Forschungsabteilung über ein Amnesieserum gelesen? „Er ist ab heute mein Sohn. Also sorgen Sie dafür, dass er überlebt."
 

Einen Moment lang gestattet sich die Ärztin einen überraschten Blick. Es kommt ja nicht jeden Tag vor, dass sie in das private Anwesen ihres Chefs gerufen wird, um einen Experimentjungen zu behandeln, den er spontan als Sohn adoptiert hat. Eigentlich ist so etwas noch nie vorgekommen und sie hätte auch niemals gedacht, dass soetwas überhaupt jemals vorkommen wird.
 

„Natürlich, Sir", willigt die Frau schließlich ein.
 

Dr. Ryu kniet sich neben dem Jungen auf den Boden, befühlt zunächst seine Stirn und zieht dann ein Thermometer aus dem mitgebrachten Koffer, welches sie ihm in den Mund steckt. Während die Temperatur gemessen wird, leuchtet sie mit einer Lampe in die Augen, deren Lider sie mit je zwei Fingern öffnet.
 

„Hm", kommentiert sie, erklärt jedoch nicht was es bedeuten soll.
 

Nun nimmt sie das Stethoskop zur Hand, zieht die Decke zurück, das T-Shirt nach oben und horcht Bauch und Brust ab. Hier seufzt sie, gibt aber auch keine Erklärung ab. Durch einen nervigen Piepton gibt das Thermometer bekannt, dass es mit seiner Messung fertig ist. Ein kurzer Blick darauf und sie nagt stirnrunzelnd auf ihrer Unterlippe herum. Das alles macht Turano nur noch nervöser.
 

Dr. Ryu richtet sich auf und steckt die Utensilien zurück in den Koffer. An ihren Chef gewandt erklärt sie die nächsten Schritte: „Es ist vollkommen normal, dass er Nachwirkungen spürt. Die Seren werden sich noch nicht vollständig mit seinem Körper verbunden haben. Ich gebe ihm was zum Fiebersenken und eine Infusion mit einem leichten Schlaf- und Schmerzmittel, damit er gut durchschläft. Morgen sehe ich nochmal nach ihm. Mehr kann ich momentan nicht tun. Wenn es morgen nicht besser ist, dann müssen wir ihn in mein Labor bringen, um weitere Untersuchungen durchzuführen."
 

„Danke." Sichtlich erleichtert lässt sich Turano in den Sessel gegenüber der Couch sinken. Es fühlt sich an, als wäre ihm soeben ein Stein vom Herzen gefallen, von dem er nicht einmal wusste, dass er da ist. Was ist das nur für ein neues Gefühl? Er hat schon mehrere Experimente an irgendwelchen Nebenwirkungen leiden und sterben sehen ... aber warum geht ihm das bei diesem hier so nahe?
 

Sobald Dr. Ryu das Kind behandelt hat, verabschiedet sie sich und verlässt auf denselben Weg das Anwesen, auf den sie gekommen ist. Eren liegt nun friedlich in Decken und Kissen eingehüllt auf der Couch, sein Vater im Sessel daneben. Turano reibt sich grübelnd übers Kinn. Es gibt so viel zu planen. Bei der Ausbildung dieses Experiments ... Nein ... Bei der Erziehung seines Sohnes muss jeder Schritt genauestens durchdacht sein, damit am Ende eine loyale rechte Hand hervorgeht. Das setzt allerdings voraus, dass er die Nacht übersteht.
 

Später am Vormittag taucht Ajax im Anwesen Turano auf. Er ist einer der loyalsten und stärksten Experimente des Mannes. Er hat schon etliche Missionen erfolgreich abgeschlossen und genießt das vollständige Vertrauen von Turano. Ajax trägt die Nummer UEG-012, Kennung IRV, am Unterarm, an derselben Stelle wie Eren seine und ist gerade einmal 16 Jahre alt. Der Teenager ist muskulös, was kein Wunder ist wenn er täglich trainiert und etwa so groß wie der Mann. Seine blonden stacheligen Haare erinnern an einen Igel. Anders als die meisten Experimente im Bunker trägt er keine einfache Trainingskleidung. Er hat sich schon das Recht erworben, selbst über seinen Kleidungsstil entscheiden zu dürfen. Er hat eine weite Jeans mit etlichen Taschen an und ein ärmelloses schwarzes Oberteil, weswegen seine Narben an den Armen deutlich zu sehen sind. Ein buntes Stirnband hält ihm die längeren Haare des Ponys aus den braunen Augen.
 

„Sie wollten mich sprechen, Sir?" Ajax bleibt im Eingang zum Wohnzimmer stehen, die Hände ordentlich hinter dem Rücken.
 

„Ja, Ajax, komm rein." Turano winkt den Jungen zu sich und erhebt sich gleichzeitig aus dem Sessel.
 

Da das Sofa mit der Lehen zum Gemälde steht, kann Ajax das Kind darauf zunächst nicht sehen. Erst als er direkt davorsteht und sich setzen wollte, bemerkt er den schlafenden Jungen. Überrascht hält er mitten in der Bewegung inne, blinzelt ein paar Mal, um sicherzugehen, dass er nicht halluziniert und sieht dann verwirrt und fragend zu dem Mann.
 

„Das ist Eren", beantwortet Turano die unausgesprochene Frage. „Er ist unser neuester Erfolg. Der erste Überlebende der HHM-Reihe."
 

„Der HHM-Reihe?" Fassungslos beäugt Ajax den Vierjährigen. Der soll die Experimentreihe mit den meisten Todesopfern tatsächlich überstanden haben? Schwer zu glauben. Doch die eintätowierte Nummer ist der eindeutige Beweis.
 

Benedikt Turano nickt. „Ich habe eine große Bitte an dich."
 

Neugierig und irritiert zugleich sieht der 16-Jährige zu ihm.
 

Turano atmet tief durch, dann sieht er fest in die braunen Augen. „Ich möchte, dass du ihn trainierst, sein Mentor wirst."
 

„Mentor? Aber, Sir, ich habe schon eine Schülerin. Ich glaub nicht, dass ich Zeit für einen zweiten habe", wirft Ajax bedenklich ein.
 

„Dann bekommt sie einen anderen Mentor. Eren ist wichtiger. Und du bist nun mal der beste, den ich habe", beharrt Turano auf seiner Idee.
 

Der Ton des Mannes macht klar, dass kein Widerspruch geduldet wird. Also nickt Ajax einverstanden. „Ja, Herr Turano. Ich habe verstanden."
 

„Gut." Turano nickt zufrieden. „Und noch etwas."
 

„Ja?"
 

„Ab heute bist du sein großer Bruder und mein Sohn."
 

„Was?" Perplex und mit offenen Mund starrt Ajax den Mann an. Er muss sich doch verhört haben. Er soll ... „Ihr Sohn?!"
 

Doch es war kein Scherz. Turano meinte es ernst. Nachdem er Ajax alles noch einmal klar und deutlich erklärt hat, was er genau von jetzt an von ihm erwartet, haben sie bereits mit der Planung der ersten Schritte begonnen. Außerdem hat der Firmenchef kurzerhand seine Innenarchitekten des Vertrauens zu sich gerufen. Sie sollten zwei der sowieso überflüssigen Schlafzimmer in die Kinderzimmer seiner neuen Söhne umbauen. Bis zum Abend sind Trainingsstationen im großen Garten und im Anwesen, sowie zwei bewohnbare Schlafräume für die neuen Brüder entstanden, sodass sie einziehen konnten. Alles ist bereit für die Erziehung des HHM-Jungen. Vorausgesetzt der Kleine überlebt.
 

Bei Sonnenuntergang sitzt Turano auf seinem kleinen Privatbalkon, der zu seinem eigenen Schlafzimmer gehört, ein Glas seines Lieblingsweines in der Hand und hängt seinen Gedanken nach, lässt den Tag noch einmal Revue passieren. Heute ist so viel Unerwartetes geschehen, das meiste hat er nicht in seinen kühnstenTräumen kommen sehen. Von einem Tag auf den anderen hat er zwei Söhne bekommen. Er versteht selbst nicht, was er sich dabei gedacht hat oder was er sich davon erhofft. Sein Plan würde immerhin auch umsetzbar sein, wenn Eren wie alle andere Experimente im Bunker bleiben würde. Ajax könnte dennoch sein Mentor sein. Er wusste das natürlich schon vorher und trotzdem hat er sich so entschieden. Es war eine für ihn untypische Spontanidee, die ihn einfach überkommen hat, als er Eren verschreckt mit Schmerzen in der Zelle hocken sah.
 

Der Mann nippt an seinem Glas und beobachtet die Sonne, wie sie hinterm Horizont verschwindet. Wie auch immer, jetzt ist es zu spät, seine Entscheidung zu bereuen. Eren und Ajax sind nun seine Söhne, sie sind jetzt eine Familie. War es die richtige Entscheidung? Tja, das wird sich erst noch zeigen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
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Hallo und ein großes Danke ans Durchlesen bis hierher :D

Ich weiß, die ersten Kapitel ziehen sich und sind noch relativ langweilig, aber ich verspreche euch, es wird sich lohnen. Die Infos aus den Anfangskapiteln sind nunmal wichtig, um zu verstehen, wie Eren aufgewachsen und zu dem geworden ist, der er ist.

Also, haltet durch ;)

Ich wünsche euch noch ein schönes Wochenende und wir lesen uns nächsten Freitag bei einem neuen Kapitel,

eure ChibiKinako :D Komplett anzeigen

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