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Lass mich nicht los

Vorgeschichte zu Zimtsterne
von

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Verletzt

Als wir vor der Tür standen, wollte Tai bereits Mimi anrufen, damit sie ihn abholen konnte. „Ich kann dich auch nach Hause bringen.“, bot ich an, was Tai dankend annahm. Er schrieb seiner Verlobten eine Nachricht, damit sie Bescheid wusste und wir machten uns auf den Weg, zu meinem Auto. Der Spaziergang tat nach dem vielen Essen wirklich gut. Der Frühling war fast vorbei und die Nächte wurden jetzt immer wärmer. „Wünscht du dir eigentlich etwas Bestimmtes zum Geburtstag?“, fragte Tai, als wir nebeneinander herschlenderten. Ich überlegte. Mein Geburtstag war bereits in einer Woche, doch irgendwie war mir dieses Jahr gar nicht so richtig nach Feiern zumute, daher hatte ich mir auch keine großen Gedanken darüber gemacht, was ich mir wünschen könnte.

„Nein, eigentlich nicht. Wenn ich  ehrlich bin, hatte ich mich auf einen ruhigen Tag mit Takeru gefreut.“, gestand ich und warf meinem Bruder einen raschen Blick zu, um zu sehen, ob er sauer über meine Worte war. Doch zu meiner Überraschung lächelte er verständnisvoll, als er erwiderte: „Du musst nicht feiern, wenn du nicht möchtest. Es ist doch auch euer Jahrestag. Ich glaube, es wäre dir niemand böse, wenn du mal nicht feierst. Oder wir holen es nach. Es ist immerhin dein Geburtstag, du musst es nicht immer allen anderen recht machen.“ Ich dachte über seine Worte nach und sah ihn noch einmal an. Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, welches ich schließlich erwiderte. „Gut, dann holen wir die Feier nach.“, sagte ich.

Als wir bei meinem Auto ankamen, stieg Tai bereits auf der Beifahrerseite ein. Ich wollte mich grade hinter das Steuer setzen, da merkte ich, dass mein Handy klingelte. Es war Takeru, also gab ich Tai ein Zeichen, dass ich kurz rangehen würde und drückte auf abnehmen. „Vermisst du mich etwa so sehr, dass du mich zwischendurch anrufen musst?“, begrüßte ich ihn. Ich hörte ihn am anderen Ende der Leitung lachen. „Kann man so sagen. Ich wollte eigentlich nur hören, ob alles in Ordnung ist.“, sagte er. „Ja sicher, ich bringe noch meinen Bruder weg und komme dann nach Hause. Aber du rufst doch sonst nicht an, wenn ich unterwegs bin. Ist irgendwas passiert?“, fragte ich. Takeru zögerte. „Ich weiß nicht, ich wollte nur deine Stimme hören. Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, als du gefahren bist. Mehr nicht.“ Er klang besorgt, also hatte ich mich doch nicht getäuscht, als ich heute Mittag gegangen war.

Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen. Ich bin bald zuhause. Ich liebe dich.“, sagte ich. Meine Worte schienen ihn tatsächlich etwas zu beruhigen, denn sein Tonfall wirkte nun wieder normaler, als er erwiderte: „Ich liebe dich auch. Pass auf dich auf.“ „Das mache ich.“, versprach ich und legte auf. Takeru hatte schon mein ganzes Leben über mich gewacht, wie ein Schutzengel. Wir waren immer die besten Freunde gewesen und er beschützte mich, genau wie Tai es immer tat. Seit wir vor 3 Jahren ein Paar geworden waren, hatte sich das sogar noch verstärkt. Bei ihm fühlte ich mich sicher, er war meine Zuflucht, mein Zuhause.

Ich öffnete die Tür zur Fahrerseite und stieg hinter das Steuer. „War das Takeru?“, fragte Tai und sah mich an. Ich schnallte mich an und nickte. „Ja, er wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist.“, antwortete ich. Tai schmunzelte. „Manchmal ist er eine noch größere Glucke, als ich.“, stellte er fest. Ich sah ihn an und verdrehte die Augen. „Er sorgt sich doch nur um mich.“, gab ich genervt zurück. „Und außerdem, finde ich das wirklich äußerst liebenswert an ihm.“ Mein Bruder lachte und sagte: „Bei mir ging es dir aber oft auf die Nerven.“ Jetzt grinste ich ihn ebenfalls an. „Weil du ja auch generell viel nerviger bist.“, antwortete ich ihm. „Ich glaube eher, dass Takeru einfach andere Vorzüge hat, die ich dir einfach nicht bieten kann.“, zog er mich auf. „Eeeeergh.“, gab ich angewidert zurück und brachte Tai damit nochmal zum Lachen. „Aber jetzt mal wirklich, ich bin froh, dass du ihn hast.“, sagte er nun ernster. Ein liebevolles Lächeln erschien auf meinem Gesicht, als ich erwiderte: „Das bin ich auch.“

Eine Weile fuhren wir einfach nur schweigend durch die Stadt. Bis zu Tai war es nicht weit. Im Radio lief leise Musik und zwischendurch auch die Nachrichten. Es war bereits spät und auf den Straßen war nicht mehr so viel los. Kurz bevor wir bei Tai und Mimis Wohnung ankamen, mussten wir an einer Kreuzung halten. Tai lehnte sich nach vorne, um auf einen anderen Radiosender umzuschalten. Mein Blick ging nach links, um die rote Ampel zu beobachten und ich wartete, dass sie auf grün umsprang. Im Nachhinein hätte ich nicht sagen können, welche Verkettung von Ereignissen uns hierher geführt hatte. Ich wusste nicht mehr, warum ich diesen Weg gefahren war und nicht einen anderen. Ich hätte auch nicht sagen können, ob es was gebracht hätte, wenn ich eher nach rechts geschaut hätte.

Doch als ich meinen Kopf in Tais Richtung drehte, um ihm zu sagen, dass er wieder zu dem vorherigen Radiosender zurückschalten sollte, da war es bereits zu spät. Ich sah noch die Scheinwerfer des Autos, das direkt auf uns zufuhr. Ich hörte den Aufprall von Metall auf Metall. Ich spürte, wie von einer Sekunde auf die nächste meine komplette Welt aus den Angeln gerissen wurde. Und ich erinnere mich noch, wie ich meinem Bruder in die Augen sah, als ich meine Hand verzweifelt nach ihm ausstreckte.
 

Als wir klein waren, hielt Tai mich immer an der Hand, wenn wir unterwegs waren. Unsere Mutter hatte ihm gesagt, dass er auf mich achtgeben solle und dass er, als mein großer Bruder, für mich verantwortlich sei. Irgendwann einmal, als wir auf einem Jahrmarkt waren, wurden wir voneinander getrennt. Ich erinnere mich noch genau, wie verzweifelt ich war. Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren und weinte die ganze Zeit. Ich habe immer wieder Tais Namen gerufen. Nach einer ganzen Weile, als ich schon glaubte, er würde mich nicht mehr wiederfinden, hörte ich plötzlich meinen Namen. Er hatte den ganzen Jahrmarkt nach mir abgesucht und als er mich endlich gefunden hatte, ließ er meine Hand nicht mehr los. In diesem Moment verspürte ich ein solches Gefühl von Sicherheit.
 

Ich versuchte, meinen Kopf zur Seite zu drehen, doch es gelang mir nicht wirklich. Als ich meine Augen öffnete, war zuerst alles schwarz und gleichzeitig schien sich alles zu drehen. Ich hörte nur ein Rauschen und Piepen, welches langsam  zu verstummten begann. Ich blinzelte mehrmals, dann klärte sich mein Blick und ich begann, die Konturen und Umrisse um mich herum wahrzunehmen. „Tai…“, versuchte ich zu sagen, doch meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Meine Augen fielen wieder zu, doch ich zwang mich, sie erneut zu öffnen und nun erkannte ich, dass ich mich noch in meinem Auto befand. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus und ich versuchte meinen Blick darauf zu richten. Scheinbar war der Airbag aufgebrochen und drückte auf meinen Brustkorb. Das Atmen fiel mir schwer.

Erneut startete ich den Versuch, meinen Kopf zu drehen und nun konnte ich meinen Bruder sehen. Seine Augen waren geschlossen, es sah aus, als würde er schlafen. „Tai.“, versuchte ich es noch einmal, doch meine Stimme versagte erneut. Ich spürte, dass meine Hand etwas umklammerte und mein Blick glitt hinab zu ihr. Tai hatte seinen Arm ausgestreckt und ich hielt seine Hand fest in meiner. Tränen stiegen in mir auf. Sollte ich nicht eigentlich Schmerzen verspüren? Oder war dies so ein Moment, in dem der Körper vor Schock die Schmerzen einstellte?

Ich begann, Tais Hand zu drücken, um ihn aufzuwecken. Er reagierte nicht. „Tai.“ Die Tränen rannen mir die Wange hinab und hinterließen eine heiße Spur auf meiner Haut. Ich spürte, wie mein Körper immer schwerer wurde und meine Augenlider wieder zufallen wollten. Einen Moment zwang ich mich noch, wach zu bleiben, doch ich hatte einfach keine Kraft mehr, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Vor meinem inneren Auge blitzten die Bilder meiner Familie und meiner Freunde auf. Und von Takeru. War das jetzt dieser berühmte Augenblick, wenn man starb und in dem man sein Leben an sich vorbeiziehen sah? Wenn ja, dann würde ich wenigstens glücklich diese Welt verlassen. Und in dem Wissen, dass ich geliebt wurde.

Das letzte, was ich wahrnahm war, dass ich noch immer die Hand meines Bruders hielt. Danach war alles schwarz und leer.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tasha88
2022-01-18T14:25:28+00:00 18.01.2022 15:25
... und da ist er, der Moment, von dem ich wusste er kommt ... und von dem ich trotzdem gehofft habe, dass er nicht eintreten wird, aber er gehört schlussendlich zur GEschichte ...
Antwort von:  PanicAndSoul
18.01.2022 16:01
Ich hab so oft Pause machen müssen als ich das geschrieben hab, weil es mir so schwer gefallen ist… ich war richtig ergriffen
Antwort von:  Tasha88
18.01.2022 17:02
das kann ich verstehen


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