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Champ Stories

Band 1: Endynalos
von
Koautor:  Flordelis

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Wie kann man nicht begeistert von dir sein?

Eine Woche nach dem erfolgreichen Grillfest, hatte Hop als erster Gloria im Hort besucht. Ihr gemeinsamer Tag war ziemlich positiv verlaufen, was Raelene in Form von kurzen Textnachrichten mitgeteilt worden war. Hop hatte dabei noch recht normal geklungen, vielleicht etwas blumiger als sonst, und ihr nur „Viel Glück“ bei ihrem Ausflug mit Delion gewünscht – was Raelene etwas unsicher zurückließ, weil sie nicht wusste, wie genau er das meinte. Glorias Bericht dagegen war mit einem Haufen Herzchen ausgeschmückt gewesen … und hatte letztendlich auch nicht genau verraten, was an dem Treffen so gut gelaufen war.

Vermutlich waren die Baby-Pokémon einfach nur unglaublich entzückend. So sehr, dass es einen ins höchste aller Glücksgefühle versetzte und man den Verstand verlor. Ja, daran musste es liegen. Wobei das nicht erklärte, warum Gloria so auf Wolken schwebte. Immerhin arbeitete sie im Hort und bekam die niedlichen Babys tagtäglich zu Gesicht. Hätte sie da nicht schon vorher so starke Emotionen zeigen müssen?

Vielleicht sollte Raelene sich deswegen aber nicht so viele Gedanken machen. Einen Tag später war nämlich sie an der Reihe, sich die Baby-Pokémon anzuschauen. Zusammen mit Delion! Nervosität und Glücksgefühle vermischten sich in ihr zu einem unkontrollierbaren Sternenschauer, jedes Mal, sobald sie sich das vor Augen führte. Wüsste sie, was wirklich bei Hop und Gloria los war, hätte sie das vermutlich nur noch unsicherer gemacht – beizeiten sollte sie trotzdem mal nachhaken.

Die Freude darüber, Delion so schnell wiedersehen zu können, überwog aber deutlich. Viel zu früh stand Raelene daher bereits vor dem Hort, wie verabredet, und wartete unruhig auf ihn. Gloria arbeitete in der Hauptfiliale auf Route 5, zwischen Turffield und Keelton. Das war eine ziemlich schöne Lage, sehr ländlich. Im Rücken schmiegte sich sogar ein kleines Wäldchen an den Hort.

Hoffentlich fand Delion den Weg. Hätte Raelene ihm bei der letzten Verabschiedung anbieten sollen, dass sie zusammen hierher fliegen könnten? Unsinn ... bestimmt nahm er sich ein Flugtaxi oder ließ sich sogar von Glurak herbringen. Also alles in Ordnung. Er war sich seiner kleinen Orientierungsschwäche sicher selbst bewusst. Notfalls rief sie ihn einfach an. Genau.

Immer wieder strich Raelene sich durch die Haare und kontrollierte, ob ihre Kleidung anständig saß. Eigentlich machte sie sich sonst nicht viel aus solchen Dingen, aber wenn Delion ankam, wollte sie ... gut aussehen, so weit es ihr eben möglich war. Für den Besuch im Hort hatte sie sich trotzdem eher sportlich gekleidet, damit sie sich problemlos bewegen konnte. Wenn sie bei einigen Fototerminen für Werbung oder Interviews elegantere Kleidung tragen musste, fühlte sie sich darin stets furchtbar eingeengt und unwohl.

Große Erleichterung machte sich in Raelene breit, als sie schließlich am wolkenlosen Himmel endlich ein Flugtaxi entdeckte. Die Flügelschläge des Krarmor hatten noch nie so erlösend und wohltuend geklungen. Gerade, als ihr in den Sinn kam, dass es mit der Kabine auch an ihr vorbeifliegen könnte, weil eine völlig andere Person darin saß, warf Delion einen kurzen Blick aus dem Fenster. Er war es also wirklich – und wirkte noch dazu zufrieden, auch wenn das wahrscheinlich nicht an ihrer Anwesenheit lag.

Kaum war das Krarmor mit der Kabine sicher vor dem Hort gelandet, stieg Delion aus. Freundlich bedankte er sich bei dem Piloten und dem Pokémon, bevor er sich von dem Flugtaxi entfernte. Mit einem lauten Krächzen hob Krarmor kurz darauf schon wieder ab, während Delion geradewegs auf Raelene zuging. Je näher er kam, desto mehr lächelte er.

Obwohl er noch einige Schritte von ihr entfernt war, hob er locker die Hand. „Hey, Raelene. Tut mir leid, dass du warten musstest.“

Delion hatte ihren Namen gesagt! Zwar tat er das nicht zum ersten Mal, aber ihr Herz schlug dennoch auf Anhieb schneller, sobald es passierte. So sehr, wie sie sich gerade freute, mussten ihre Augen in dieser Sekunde besonders hell leuchten.

Sie hob ebenfalls die Hand und begrüßte ihn nervös, jedoch auch freudig. „Hey, Delion~! Mach dir keine Sorgen, ich war viel zu früh da. Sonst hätte ich gar nicht lange warten müssen.“

Raelene ballte die Hände zu Fäusten und hob sie ein wenig hoch, um zu zeigen, wie aufgeregt sie war. „Bist du auch schon so gespannt wie ich?“

Vor ihr angekommen, blieb er stehen und strich sich ein wenig verlegen über den Nacken. „Ja, auf jeden Fall.“

Ob er die Baby-Pokémon meinte oder auch wegen anderen Dingen aufgeregt war, so wie sie? Es fiel ihr schwer, das einzuschätzen. Rührte seine Verlegenheit daher, weil er es unangenehm fand, sich so mit ihr zu treffen? Vielleicht hatte er sich das leichter vorgestellt und war nun schon überfordert davon.

„Was denkst du?“, fragte Delion. „Wird unter diesen Baby-Pokémon auch ein starkes dabei sein?“

„Das hoffe ich doch“, antwortete sie, wobei sie zur Tür deutete. „Lass uns gleich reingehen~.“

Da Gloria sie erwartete, sollten sie ihre Freundin nicht warten lassen, auch wenn es sie wahrscheinlich nicht stören würde. Außerdem wollte Raelene lieber verhindern, dass sie in ihrer Unsicherheit etwas Peinliches sagte oder wieder rot wurde, sollte sie zu lange mit Delion alleine sein ... was sie durchaus genoss.

Delion trat bereits zur Tür und öffnete diese, bedeutete ihr dann aber, dass sie vor ihm eintreten sollte. „Ich glaube, es ist höflicher, wenn ich dich zuerst reingehen lassen.“

Sie waren nicht mal fünf Minuten hier und schon schaffte er es erneut, ihre Gefühle Achterbahn fahren zu lassen. Raelene bedankte sich lächelnd und überlegte, ob sie ihm beim Vorbeigehen freundschaftlich gegen die Schulter klopfen sollte, entschied sich aber im letzten Augenblick dagegen. Schließlich wollte sie nicht riskieren, dass sie sich selbst komplett in die gefürchtete Friendzone verbannte.

„Ah, da seid ihr ja“, ertönte Glorias Stimme, kaum dass sie einen Fuß ins Innere des Horts gesetzt hatten. „Herzlich Willkommen, ihr zwei~!“

Ihre Freundin saß am Empfang und wirkte ziemlich gut gelaunt. Ähnlich wie in der Textnachricht von gestern Abend, die Raelene bekommen hatte. War Delion auch von Gloria und Hop Bericht erstattet worden? Nun war es ein bisschen zu spät, ihn danach zu fragen.

Auf dem Empfangstisch saß ein Kussilla, das gleichmäßig mit dem Kopf vor und zurück wippte, als wolle es jemanden küssen. Falls Raelene sich richtig erinnerte, hatte Gloria ihr mal flüchtig von einem Maskottchen erzählt, das im Hort lebte und sehr an ihr hing, weshalb es meistens in ihrer Nähe war. Dabei handelte es sich bestimmt um dieses Pokémon.

„Kuss!“, ahmte das Kussilla Gloria lebhaft nach, wobei es mit den Ärmchen wedelte. „Silla~.“

Plötzlich fuhr Gloria blitzschnell von ihrem Platz hoch und schnappte sich mit beiden Händen das Kussilla, welches in dieser Sekunde zu einem Sprung in Richtung Delion angesetzt hatte. Unfassbar, wie erstklassig Glorias Reaktionszeit war. Sie behielt das Kussilla auf dem Arm, das mit großen, glänzenden Augen Delion weiter anstarrte – verständlich, er war umwerfend.

Delion grüßte Gloria, dann sah er das Kussilla neugierig an. Baby-Pokémon bekam man in der Wildnis eher selten zu Gesicht, weswegen er nur umso faszinierter wirkte.

„Hatte es vor, uns anzuspringen?“

Gloria lachte amüsiert. „Ja, um euch zu küssen.“

„K-küssen?“, wiederholte Raelene – und versuchte krampfhaft, dabei nicht Delion anzuschauen.

„Ja, das machen Kussillas immer, um zu prüfen, was oder wen sie mögen. Es hat gestern schon Hop erwischt, also war ich diesmal schneller.“

Verstehend nickte Raelene ihr zu. Auch Delion gab einen Laut von sich, der verriet, dass er diese Eigenart von Kussillas scheinbar schon im Gedächtnis gehabt hatte und für sich selbst festhielt, richtig gelegen zu haben. Bei Glorias flinker Handlung, mit der sie das Pokémon aufgehalten hatte, lag jedoch die Vermutung nahe, dass so etwas schon öfter vorgekommen war, als nur bei Hop gestern. Das war sicher lustig für die beiden gewesen, aber auch überraschend für Hop.

„Ich bin sicher, Kussilla mochte Hop, hm?“, vermutete Delion, mit absoluter Überzeugung.

Jedenfalls war die Vorstellung, ein Pokémon könnte Hop nicht mögen, irgendwie abwegig. In der Hinsicht konnte Raelene ihm also zustimmen. Vielleicht hatte Delion diese Vermutung aber nur deswegen, weil es um seinen kleinen Bruder ging ... nein, Hop war ein guter Mensch, deswegen war es doch nur natürlich, dass ein Kussilla ihn mögen würde.

„Jedenfalls danke, dass du uns davor gerettet hast.“

Bislang konzentrierte das Kussilla sich eigentlich nur auf Delion, wie Raelene auffiel. Allerdings behielt sie das für sich, zumal sie es nicht persönlich nahm. Im Gegenteil, sie verstand Kussillas Begeisterung nur zu gut.

„Kein Problem“, versicherte Gloria. „Ich muss mir endlich angewöhnen, Kussilla immer festzuhalten, wenn Kunden kommen. Ach, und natürlich mochte sie Hop~.“

„Ah, ein Mädchen also~“, bemerkte Raelene.

Ernsthafte Konkurrenz. Da konnte sie direkt einpacken. Bei Pokémon konnte man nur den Kürzeren ziehen. Während Raelenes Gedanken sich verselbstständigten, rief Gloria nach einer Kollegin namens Leya, die für sie den Posten am Empfang übernehmen sollte.

Als die Frau den Raum betrat, begrüßte sie Delion und Raelene respektvoll und murmelte so etwas wie „Wow, gleich zwei Champs!“. Es war schön, dass Delion von vielen immer noch als einer bezeichnet wurde. Für Raelene würde er auch auf ewig der einzig wahre Champ bleiben. Etwas an Delions Blick verriet ihr, dass es ihn ebenso freute, von einigen Leuten noch als einer betrachtet zu werden. Wie auf Stichwort nagte das schlechte Gewissen an Raelene …

„Alles klar, folgt mir einfach“, bat Gloria. „Die Babys sind hinten im Garten.“

Delion bedeutete Raelene erneut, dass sie ruhig vorausgehen sollte. Dankend ging sie dem nach und lief vor ihm, um Gloria zu folgen. Raelene wollte daran glauben, dass er einfach nur besonders höflich war, von Natur aus ein Gentleman eben, und es nicht irgendeinen anderen Grund dafür gab. Vielleicht sollte sie Hop mal unauffällig danach fragen und herausfinden, ob er das vielleicht nur bei ihr tat.

Allerdings bliebe dann als nächstes noch die Frage offen, ob er sich nur so verhielt, weil sie der Champ war. Oder er so auf seine Art Distanz zu ihr wahrte.

Ich denke zu viel nach.

Also schüttelte sie diese Gedanken ab und freute sich stattdessen lieber auf die Baby-Pokémon. Vor einer Tür hielt Gloria an und wandte sich ihnen lächelnd zu. Kussilla wedelte aufgeregt mit den Ärmchen – zu süß!

„Okay, hier eine Mini-Einweisung für euch“, begann Gloria.

Aufmerksam starrte Raelene sie an, weil sie nichts verpassen wollte. Würde sie im Umgang mit den Baby-Pokémon etwas falsch machen, könnte sie sich das nie verzeihen. Bei genauerer Betrachtung fiel ihr auf, wie sehr Glorias kurzes, braunes Haar an diesem Tag glänzte. Auch die Farbe ihrer Augen war kräftiger als sonst und ihre gesamte Haltung strahlte Lebendigkeit aus. Offenbar tat es ihr ausgesprochen gut, sich mit Kindheitsfreunden zu treffen.

„Unsere Babys müssen erst lernen, mit ihren Kräften richtig umzugehen. Sie können noch nicht einschätzen, wie viel man Menschen zumuten kann. Stellt euch also darauf ein, dass ihr möglicherweise kleinere Bisse, Schocks oder Kratzer erleiden werdet.“

Von Delion war eine leise Zustimmung zu hören. Sicher hatte er schon mal mit Baby-Pokémon zu tun gehabt und kannte ihren kindlichen Übermut bereits. Als Glorias Blick sich auf ihn fixierte, schien er erst zu denken, dass er zu vorlaut gewesen war. Seine Mimik nahm eine leicht panische Note an. Konnte Sania etwa ungehalten werden, wenn er sich so ähnlich bei ihr verhielt?

„Vor allem du solltest dich in Acht nehmen, Delion~“, warnte Gloria ihn. „Aber keine Sorge, sie sind noch nicht stark genug, um ernsthaften Schaden anzurichten.“

Das entzog sich merklich Delions Verständnis. „Warum muss gerade ich aufpassen?“

Diese Frage stellte Raelene sich im Geiste auch. Waren Baby-Pokémon angriffslustiger, wenn Männer sich ihnen näherten? Hort-Mitarbeiter waren meistens weiblich. Lag es eventuell daran? Trotz dieser Warnung schien Delion das Ganze aber auch nur noch neugieriger zu machen.

Schmunzelnd zwinkerte Gloria ihm zu. „Ich verrate es dir, sobald du die ersten Angriffswellen überstanden hast.“

Irgendetwas schien ihr daran Freude zu bereiten. Raelene tauschte mit Delion einen Blick der Ratlosigkeit aus. Er käme sicher schon klar, darüber machte sie sich keine Sorgen. Jetzt war aber auch sie gespannt, was das zu bedeuten hatte.

Ohne weitere Erklärungen öffnete Gloria die Tür und führte sie nach draußen. Delion und Raelene folgten ihr und lauschten interessiert den folgenden Erklärungen ihrer Freundin.

Hinter dem Gebäude befand sich ein großflächiger, gut gepflegter Garten, in dem die Pokémon spielen oder sich einfach ausruhen konnten. Die Leitung des Horts hatte versucht, beim Aufbau möglichst vielen Arten gerecht zu werden.

Aus diesem Grund gab es neben einem bunten Blumenbeet auch eine großzügige Sandfläche, einen Teich und sogar eine Ecke mit mehreren Felsen sowie dunklen Höhlen. In der Mitte des Gartens stand ein hoch gewachsener Beerenbaum, aber weil die Pokémon stets alles wegfraßen, trug er meistens keine Früchte mehr.

Das alles war viel größer, als Raelene gedacht hatte. Beeindruckt lenkte sie den Blick von einer Ecke zur anderen. Ähnlich überwältigt schien auch Delion zu sein. Keiner von ihnen hätte so ein liebevoll eingerichtetes Gebiet hinter dem Hort erwartet. Durch die Bäume des Wäldchens war der Garten nämlich vor neugierigen Blick geschützt.

„Ihr habt wirklich eine tolle Umgebung für die Babys geschaffen“, sagte Delion anerkennend.

Lächelnd blickte Gloria über ihre Schulter. „Danke, das werde ich gerne weiterleiten~. Wir geben uns alle große Mühe.“

Es waren bereits einige Stimmen von Pokémon zu hören aus der Richtung des Beerenbaumes. Dort hielten sich die Babys wohl recht gerne auf, also war der Bereich mit einem hohen Auslaufgitter abgetrennt worden – zur Sicherheit, falls mal keine menschliche Aufsichtsperson in der Nähe war, lautete Glorias Erklärung. Nur ein Knuddeluff saß gerade bei den Babys und behielt sie im Auge.

Sie konnten schon von der Ferne her ausmachen, dass zwei Pichus immer wieder versuchten am Stamm des Beerenbaumes nach oben zu klettern, doch es gelang ihnen noch nicht so wirklich. Ein Mobai dagegen hatte sich ein sonniges Plätzchen ausgesucht und schlief friedlich – man könnte es leicht mit einem Bonsai-Bäumchen verwechseln, wenn man nicht wusste, dass es sich um ein Pokémon handelte. Am lautesten war das Azurill, das lachend auf dem Ball am Ende seines Schweifs herumhüpfte.

Dann waren noch ein Pantimimi und ein Pii zu sehen, die zusammen tanzten, wenn auch etwas ungeschickt. Dennoch versuchte Pii stets besonders anmutig dabei zu sein, Pantimimi ahmte sie fleißig nach.

„Wie niedlich!“, jauchzte Raelene, bevor sie überhaupt am Gitter angekommen waren.

Fast wäre sie einfach losgerannt, um schneller bei den Baby-Pokémon anzukommen, doch es waren sowieso nur noch ein paar Meter, weshalb Raelene sich zusammenriss. Kaum waren sie am Ziel, öffnete Gloria ein kleines Tor im Gitter und setzte Kussilla auf der anderen Seite zu den Pokémon. Begeistert rannte die Kleine direkt Richtung Beerenbaum, zu den beiden Pichus.

„Na kommt, keine falsche Scheu. Geht ruhig rein“, ermutigte Gloria die beiden Besucher.

Das ließ Raelene sich nicht zweimal sagen. „Oh ja, unbedingt~.“

Vorsichtig ging sie durch das Tor und kniete sich sofort ins Gras, um nicht zu groß zu sein. Sie begrüßte die Baby-Pokémon aufgeregt.

„Na, wer von euch wird mal später in der Arena gegen mich antreten, hm?“

Mühevoll rissen die beiden Pichus sich von Kussillas wilden Begrüßungsküssen los und kamen sofort neugierig angerannt, schnupperten und knabberten an ihr. Auch das laute Azurill hüpfte voller Elan auf sie zu, kaum dass es ihre Haare erblickt hatte – es liebte wohl die Farbe Blau. Mit Schwung sprang es hoch und klammerte sich mit dem Schweif an einigen Strähnen fest.

„Azurill, rill! Azurill~.“

Schon nach diesen ersten Sekunden war Raelenes Herz aufgrund der Niedlichkeit dieser Pokémon geschmolzen wie Eis. Pantimimi versteckte sich hinter Mobai und wirkte eher nicht wie der Typ, der sich über Besuch freute, doch das war in Ordnung. Pii vollführte auch lieber weiter ihre Tänze.

In der Zwischenzeit hatte auch Delion den Auslauf betreten und kniete sich ebenfalls hin. „Hey, Babys.“

Augenblicklich hielten die Baby-Pokémon inne und starrten Delion an. Ihre Augen fingen dabei ähnlich an zu leuchten wie schon bei Kussilla vorhin. Von einer Sekunde auf die andere stürmten sie dann allesamt, außer das dösende Mobai, auf ihn zu. Kussilla sprang ihm geradewegs ins Gesicht, die Pichu schleuderten ihm kleine Stromstöße entgegen, Pii tänzelte holprig-elegant um ihn herum, Pantimimi versuchte angestrengt ihn mit den Händen hochzuheben und Azurill ließ von Raelenes Haaren ab, um gegen seine Schulter zu hüpfen. Dabei plauderten alle ganz aufgeregt durcheinander.

„Huch?!“ Raelene blinzelte irritiert. „Was ist denn jetzt los?“

Bestimmt fragte Delion sich das gerade auch, während er Kussilla mühelos mit den Händen auffing, bevor sie ihn erreichen konnte. Somit machte er Glorias Reaktionszeit ernsthafte Konkurrenz. Die Stromstöße dagegen musste er wohl oder übel ertragen, doch sie kitzelten sicher nur ein wenig, und die restlichen Pokémon konnte er nur verwirrt mustern.

„Okaaay“, sagte er langgezogen und nickte zu Raelene hinüber. „Wenn ihr Champ werden wollt, kommt ihr ein paar Jährchen zu spät, um gegen mich zu kämpfen. Da müsst ihr euch an Raelene wenden.“

Schräg lächelnd hob Raelene eine Hand. „Schuldig.“

Verwirrt hielten die Pokémon erneut inne, außer Kussilla, die wild mit den Ärmchen ruderte, als könnte sie Delions Gesicht so doch noch erreichen.

„Pi?“, sprach das eine Pichu das andere an. „Pichu?“

Es schüttelte den Kopf. „Pi, pi, pi ...“

„Pii~“, stimmte das Pii summend mit ein.

Gloria lachte herzlich über diese Szene. „Moment, ich zeige euch den Grund für dieses Verhalten. Aber dann müsst ihr einen Moment ohne mich auskommen. Knuddeluff ist bei euch, falls ihr Hilfe braucht. Sie ist mein Partner und arbeitet hier mit mir zusammen.“

Zustimmend hob das Knuddeluff einen Arm: „Knuddel!“

Daraufhin ging Gloria auch schon zielstrebig weg, zurück in den Hort hinein.

Delion sah zu Raelene hinüber. „Was könnte es für einen Grund geben, dass sie es auf mich abgesehen haben? Mögen sie meine Haarfarbe nicht?“

Den letzten Satz meinte Delion nicht wirklich ernst, wie sie an seiner Stimme erkannte. Nachdenklich beobachtete Raelene die Pokémon. Pantimimi versuchte immer noch, Delion hochzuheben. Auch die Pichu setzten weitere Stromstöße gegen ihn ein. Nur Azurill verlor schnell die Lust, weil offenbar nicht das passierte, was die Kleinen erwarteten, und kuschelte sich lieber wieder an Raelenes Haare. Und Pii war so in ihrem Tanz vertieft, dass sie sich unbewusst mehr und mehr von ihnen entfernte.

„Wenn ich an ihre Blicke denke, als sie dich gesehen haben, scheinen sie total begeistert von dir zu sein, was ich verstehen kann. Vielleicht wollen sie einfach nur spielen.“

„Spielen, na klar. Wir können gern spielen, Babys.“

Dafür setzte er Kussilla erst mal auf dem Boden ab. Offenbar kitzelten die Stromstöße der Pichus ihn wirklich nur, denn er lachte inzwischen leise. Raelene musste lächeln, während sie Delion und die Babys beobachtete. Plötzlich schien er sich dann etwas bewusst zu werden. Etwas, das Raelene betraf. Sein Blick wanderte zu ihr.

„Bist du denn auch begeistert von mir?“

Zunächst begriff sie nicht so recht, woher er diese Frage auf einmal nahm, bis auch ihr bewusst wurde, was genau sie vorhin laut gesagt hatte.

scheinen sie total begeistert von dir zu sein, was ich verstehen kann.

Ein Schwall von Hitze stieg ihr sofort ins Gesicht. Irgendwie sorgte das scheinbar dafür, dass Kussilla sie ins Visier nahm und ihr entgegen sprang. Wie in Trance ahmte Raelene Delion nach und fing die Kleine ebenso mühelos ab, ehe sie ihr Ziel erreichen konnte. So schwer war das gar nicht, wie sie angenommen hatte.

„Nun ... ja, natürlich“, gab sie verlegen zu. „Wie kann man nicht begeistert von dir sein?“

Er lächelte zufrieden. „Oh, das weiß ich auch nicht. Ist wirklich eine unnötige Frage, was?“

Nach dieser Aussage schwieg er kurz, fuhr dann aber fort: „Ich habe gedacht, du hättest was gegen mich. Deswegen frage ich nur. Ich meine, ich weiß, dass ich anfangs ziemlich problematisch war, nachdem du Champ geworden bist. Aber es spricht doch nichts dagegen, dass wir Freunde sind, oder?“

Freunde.

Es versetzte ihrem Herz einen Stich, doch das war immer noch besser, als Delion überhaupt nicht mehr sehen zu können. Solange sie wenigstens Zeit mit ihm verbringen konnte, selbst wenn es nur aus Freundschaft war, wollte sie diese Bindung hüten wie einen Schatz. Durch seine Erklärung wurden ihr einige Verhaltensweisen seinerseits aber mit einem Mal klarer.

„Ich hatte nie etwas gegen dich“, versicherte sie, wobei sie ihn beruhigend anlächelte. „Ironischerweise dachte ich immer, du hast eher was gegen mich, weil ich dir deinen Titel gestohlen habe ... und dich dann im Kampfturm belästigt habe. Gleich drei Mal. Aber da du jetzt freiwillig Zeit mit mir verbringst, außerhalb eines Cups, hab ich mir wohl umsonst Sorgen gemacht.“

In seinen Augen flackerte etwas auf, das wie eine Erkenntnis aussah. Offensichtlich verstand er durch ihre Sicht der Dinge nun ebenso einiges besser. Hatte sich also wirklich jeder von ihnen die ganze Zeit Sorgen darüber gemacht, dass der jeweils andere eine Art Groll gegen einen hegte? Wie tragisch das wäre …

Etwas zerknirscht senkte er den Blick. So eine Aussprache hätte er sich wahrscheinlich auch früher gewünscht. Sicher, sie waren stets freundlich zueinander gewesen, jedoch irgendwie distanziert. Die Unsicherheit darüber, ob der andere einen hasste oder nicht, hatte immerzu für einen gewissen Abstand gesorgt.

„Am Anfang war ich auch ziemlich wütend auf dich“, erklärte Delion weiter. „Das hat sich aber ziemlich schnell geändert. Inzwischen bewundere ich dein Können. Du hast dir den Titel wirklich verdient.“

Raelenes Gesicht fing an zu strahlen, als sie sein Lob hörte. „Danke~. Dass du das sagst, bedeutet mir echt viel.“

Inzwischen war den Pichus etwas schwindelig, weil sie zu viel Elektrizität abgegeben hatten. Auch Pantimimi gab es nun auf und lehnte sich bei Mobai an. Behutsam setzte Raelene Kussilla wieder ab, die nun zielstrebig zu den Pichus lief, um stattdessen die beiden mit Küssen zu überhäufen. Vermutlich weil die beiden sich vor Erschöpfung gerade kaum dagegen wehren konnten.

Diese Aktion sorgte bei Delion für ein Lächeln, was ihm wesentlich besser stand. Jeder wurde bei so viel Niedlichkeit schwach. Ein Wunder, dass Raelene nicht die ganze Zeit dabei war jedes Baby zu knuddeln. Im Moment erschien es ihr aber eher wie eine gute Gelegenheit, weiter mit Delion zu reden. Über ein paar bestimmte Sachen.

„Wenn wir gerade schon so offen sind ... stört es dich eigentlich, dass ich als Champ deine Gesten nachahme?“

Ehrlich gesagt konnte sie nicht mal genau erklären, warum sie das tat. Für sie gehörte das dazu. Täte sie das nicht, würde etwas Wichtiges fehlen. Letztendlich blieben es aber speziell Delions Gesten, die er ins Leben gerufen hatte. Ihre Hater bezeichneten die deswegen schon seit langer Zeit als Ditto-Champ, was nicht wirklich eine Beleidigung war, wie sie fand. Gut, am Anfang hatte sie das ziemlich verletzt. Seit ihre Fans diese ursprüngliche Beschimpfung aber als etwas Positives nutzen, das sie ihr im Cup zurufen können, dachte sie anders darüber. Trotz ihrer Nachahmungen machte sie das gleichzeitig doch einzigartig. Nur könnte Delion das trotzdem nicht gefallen.

Diese Sorge löste sich mit seinen folgenden Worte jedoch in Luft auf: „Das stört mich nicht. Ich finde es sogar gut, damit leben die Gesten immerhin weiter.“

Ein wenig verträumt blickte er nach oben. „Vielleicht werden in Zukunft alle Champs diese Gesten benutzen, das wäre doch großartig~!“

Wie gern würde Raelene ihre Hand ausstrecken und seine nehmen. Etwas an diesem Moment war für sie ziemlich ergreifend. Delion gelang es andauernd, ihr Herz mehr und mehr zu erobern.

„Ja, das finde ich auch großartig“, stimmte sie zu, voller Liebe in der Stimme.

Plötzlich flog etwas über ihre Köpfe hinweg und landete vor ihnen im Gras: Ein großer Ball, der auf und ab hüpfte, auf dem Delions Gesicht abgebildet war. Ernst starrte er ihnen entgegen.

„Da ist es, das Lieblingsspielzeug der Babys“, erklärte Gloria, die wieder zu ihnen gestoßen war. In ihren Armen trug sie einen Picknickkorb bei sich. „Den hab ich vor einigen Wochen beim Ausmisten des Lagers gefunden.“

Musste ein altes Merchandiseprodukt sein, das einst für Pokémon zum Spielen entwickelt worden war – das erklärte einiges. Nicht mal Raelene als brennender Fan hatte gewusst, dass so etwas mal käuflich zu erwerben war. Was für Produkte mit ihrem Gesicht wohl gemacht wurden? Diesen ganzen PR-Kram überließ sie komplett der Liga, weil sie dafür weder ein gutes Gespür noch die Lust aufbringen konnte, sich damit länger als wenige Minuten zu beschäftigen.

„Dann waren sie so aufgeregt, weil sie dachten, ich sei auch ein Ball?“, vermutete Delion.

Ein Hauch von Enttäuschung lag in seiner Stimme. Dagegen musste etwas unternommen werden. Sicher würden die Baby-Pokémon ihn schnell viel mehr lieben als diesen Ball. Davon war Raelene überzeugt.

„Was meinst du, wie aufgeregt sie erst sein werden, wenn das Original mit ihnen spielt?“, wandte sie motiviert ein.

Gloria stimmte dem zu. „Tobt euch ruhig aus. Ich lasse euch den Picknickkorb hier stehen. Bedient euch, wenn ihr hungrig seid.“

Als Raelene fragte, ob sie denn nicht bei ihnen bliebe, lächelte Gloria entschuldigend und erklärte, dass sie einer Kollegin im Hort bei etwas helfen musste. Kurz darauf war sie auch schon wieder verschwunden. Somit bekäme sie noch mehr Zeit alleine mit Delion … und einem kleinen Haufen Baby-Pokémon. Nach ihrem Gespräch vorhin fühlte es sich wenigstens schon wesentlich natürlicher an.

„Tja“, meinte Delion, während er Raelene ansah, „dann sollten wir eine Weile mit den Kleinen spielen, was?“

Ihr Stichwort! Das klang immerhin nach jeder Menge Spaß. Und Spaß war schließlich ihr Motto, sowohl als Champ als auch im Leben an sich.

Raelene nickte beflügelt und klatschte in die Hände. „Okay, ihr Lieben! Die zwei großartigsten Champs aller Zeiten zeigen euch jetzt mal, wie toll sie auch spielen können~.“



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