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Immer dienstags

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Nun, Dr. Watson wählte nicht den Weg über Sherlock. Im Gegenteil, er fand, es sei besser, seinen Freund und dessen zynische Bemerkungen, egal in welche Richtung sie in diesem Falle auch gehen würden, da raus zu halten, und sich direkt an Mycroft zu wenden.

Und da er es für nicht sonderlich zielführend hielt, das am Telefon zu besprechen, zog er sich an, ging vor die Tür, rief sich ein Taxi und machte sich auf den Weg zum Diogenes-Club, da er annahm, Mycroft Holmes dort vorzufinden.
 

Man kannte ihn inzwischen dort. Auf Grund einiger in der Vergangenheit stattgefundener, nicht immer ganz einvernehmlich verlaufender Gespräche in diesen Räumlichkeiten ließ man ihn zwar einerseits nicht zu Mycroft vor, wies ihn aber immerhin auch nicht an der Pforte ab. Man führte ihn in den Besucherraum, bot ihm einen Tee an, den er ablehnte und bat ihn, zu warten.

Und natürlich ließ Mycroft ihn eine ganze Weile warten. Wobei - eine halbe Stunde war bei jemandem wie Mycroft fast schon als übereifrige Höflichkeit zu werten, dachte Watson und schmunzelte, als ein Clubbediensteter ihn schließlich bat, ihm zu folgen, und ihn in Mycrofts privates Zimmer zu begleiten.
 

Mycroft saß hochherrschaftlich hinter seinem Schreibtisch. Er nickte dem Angestellten zu, der aus der großen silbernen Kanne auf dem kleinen Beistelltischchen eine zweite Tasse einschenkte und sie Dr. Watson reichte.

Als der Mann dann das Zimmer verlassen hatte und Mycroft und John allein waren, nickte Lestrades angeblicher Marc Anthony dem Doktor zu und sagte:

„Mein lieber Dr. Watson, was kann ich denn für Sie tun?“
 

Ist der Mann wirklich so arrogant, dachte Watson, oder ist das nur Fassade?

Er räusperte sich und sagte:

„Nun, das ist sicher eine Frage der Sichtweise, Mycroft, aber ich habe vielmehr das Gefühl, dass diesmal ich etwas für Sie tun kann.“

Holmes krauste fragend die Stirn.

„Was soll das heißen, Dr. Watson?“

„Das soll heißen, dass Sie, wenn Sie sich nicht ganz schnell etwas einfallen lassen, weder am kommenden Dienstag noch an irgendeinem anderen zukünftigen Tage ein Date mit unserem allseits geschätzten Detektiv Inspector Gregory Lestrade haben werden.“
 

Die Verblüffung, die sich in den sonst so erhaben und distanziert wirkenden Gesichtszügen des Mannes ausbreitete, war geradezu unbezahlbar, fand Dr. Watson.

Allerdings kippte sie relativ schnell um in unverhohlenen Zorn.

„Sherlock!“, schimpfe Holmes. „Hat mein kleiner Bruder also doch sein Mundwerk nicht halten können!“

Watson schüttelte den Kopf.

„Mycroft, sie unterschätzen Lestrade, und wenn Ihnen auch nur etwas an dem Manne liegt, dann ist das ein Fehler, den sie nicht wiederholen sollten. Lestrade ist von ganz allein darauf gekommen, wer sich hinter dem mysteriösen Marc Anthony verbirgt, und Mrs. Hudson hatte ein Foto von Ihnen, das seine Schlüsse bestätigt hat.“

Mycroft schnaufte. Ein Foto!? Wie hatte ihm eine solche Unachtsamkeit nur passieren können? Nun, einer seiner Leute würde der Dame mit etwas Überzeugungskraft im Gepäck einen Besuch abstatten müssen, um dessen habhaft zu werden. Und da er wusste, wie sehr seinem Bruder an Mrs. Hudson lag, würde die Überzeugungskraft in diesem Falle nicht aus Drohungen bestehen, sondern ... nun, er müsste herausfinden, was die alte Dame begehrte, welchen Herzenswunsch man ihr erfüllen konnte.
 

Aber jetzt erst einmal zurück zu den wichtigeren Dingen.

„Er ... er weiß also, wer ich bin?“

„Ja“, sagte Watson. „Allerdings ist er nicht sehr glücklich damit, dass Sie ihn offensichtlich beschwindelt haben.“

Holmes seufzte.

„Nun, dann sollte ich ...“

Tja, was sollte er tun? Er, der ganze Länder zum Erzittern bringen und Regierungen nach seiner Pfeife tanzen lassen konnte, wusste an der Stelle nicht weiter.
 

„Hören Sie, Mycroft“, sagte der Doktor. „Ich weiß ja nicht, was ihre Intentionen sind, Lestrade betreffend. Fest steht jedenfalls, der ist ein guter Mann. Ein guter Mensch. Und sicher haben Sie ihm als Marc Anthony eine Fassade vorgespielt, die nicht Ihrer wahren Natur entspricht. Lassen Sie besser die Finger von ihm.“

„Was? Dr. Watson, was erlauben Sie sich?“

„Er eignet sich nicht für Ihre Spielchen, Holmes.“

„Ich habe nicht vor, Spielchen mit ihm zu spielen.“
 

Sie schwiegen sich wütend an.

Dann fuhr Mycroft fort:

„Dr. Watson, entgegen Ihrer und wahrscheinlich auch der Annahme der meisten anderen Menschen ist das, was sie 'Fassade' genannt haben, meine wahre Natur. Ich habe nicht etwa Gregory etwas vorgespielt. Ich spiele tagtäglich auf der Bühne der Politik. Und bei Gregory war ich zum ersten Male in der Lage, mein wahres Ich zu leben. Das kann ich sonst nirgends, nicht einmal bei meinen Eltern oder Sherlock ...“

Seine Stimme verschwamm ...
 

Dr. Watson sah ihn interessiert an. Es schien, als sagte der Mann die Wahrheit, so erstaunlich das auch war.

„Nun, ich kann es niemandem verdenken“, fuhr Mycroft fort, „dass man im allgemeinen dieses Bild von mir hat. Ich habe ja schließlich alles daran gesetzt, um dieses Bild zu erzeugen. Doch jetzt steht es mir im Wege, und ich muss eine Möglichkeit finden, Gregory davon zu überzeugen, dass der Mann, den er als Marc kennengelernt hat, wahrhaftig ist und keine Lüge.“
 

Watson atmete tief durch.

„Nun, wenn das so ist ...“, sagte er langsam.

„Wenn das so ist, werde ich Ihnen helfen. Aber ich warne Sie, Mycroft. Es gibt nicht viele Menschen, die ich in einem solchen Ausmaße wertschätze wie Lestrade. Und wenn Sie ihm weh tun, sollten Sie besser dafür sorgen, mir nicht so schnell wieder über den Weg zu laufen.“
 

Mycroft musste nun trotz allem schmunzeln.

Dr. Watson war nun also schon der zweite, der ihm das „tu ihm nicht weh, sonst tu ich dir weh!“ - Gespräch verpasste. Gregory hatte offenbar gute Freunde, denen etwas an ihm lag. Nun, das sprach nur für ihn.

Er seufzte.

Ob wohl irgendwann einmal irgendjemand ein solches Gespräch mit Gregory führen würde? Um seinetwillen? Er bezweifelte es, und ein kleines bisschen tat sein Herz weh bei dem Gedanken. Doch er schüttelte das ab und wandte sich wieder an den Doktor.
 

„Ich wäre für Ihre Unterstützung sehr dankbar, werter Doktor“, sagte er und gab sich weidlich Mühe, nicht ganz so sehr wie das kalte, arrogante Bild seiner selbst zu klingen.



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