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Trick or Treat

eine Halloween-Kurzgeschichte
von

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Trick or Treat

»Danke, dass du mich nach Hause fährst«, sage ich müde, während ich seit einer Stunde wie betäubt aus dem Fenster starre und die Landschaft wie einen Film an mir vorbei ziehen lasse.

»Kein Problem«, antwortet Sora, die so großzügig war und mir angeboten hat, mich zurück in die Stadt zu bringen. Ich habe die Nase echt gestrichen voll von Tai und seinen beschissenen Witzen. Ich kenne ihn ja und er hat sich schon oft den ein oder anderen Scherz mit mir erlaubt - aber diesmal hat er den Bogen echt überspannt.

»Da ist Tai wohl ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, was?«, hakt Sora vorsichtig nach. Bis jetzt hat sie sich nicht getraut, das Thema anzusprechen, weil sie gemerkt hat, wie geladen ich war. Beruhigt habe ich mich auch jetzt noch nicht. Am liebsten würde ich meinen Freund zum Mond schießen.

»Du hast ja keine Ahnung«, seufze ich. Diesen Ausflug und meinen Geburtstag habe ich mir definitiv anders vorgestellt.

Sora versucht mich die restliche Fahrt lang mit Gesprächen abzulenken, aber es gelingt mir kaum, mich darauf zu konzentrieren. Ich bin einfach so sauer.

Als wir, nach gefühlt einer Ewigkeit, vor dem Haus meiner Eltern anhalten, atme ich erleichtert auf. Endlich. Ich weiß, dass meine Eltern momentan verreist sind und wären wir nicht weggefahren, hätten sie mich ohnehin gebeten, auf ihr Haus acht zu geben. Besonders an Halloween erlaubten sich die Kids aus der Nachbarschaft den ein oder anderen Streich.

»Es tut mir leid, dass ich dir den Ausflug verdorben habe«, sage ich aufrichtig, als ich mich meiner Freundin zuwende. Diese zuckt jedoch nur mit den Schultern.

»Halb so wild. Wenn ich jetzt gleich zurück fahre, bin ich pünktlich heute Abend zur Halloween Party wieder oben in den Bergen.«

Ich lege ein entschuldigendes Lächeln auf. »Trotzdem, danke.«

»Ich nehme mal an, dass es Tai echt leid tut, wie das gelaufen ist. Er sah vorhin ziemlich geknickt aus, als wir gefahren sind.«

Ich schnaube. »Ist mir egal.«

»Ach, Mimi«, seufzt Sora und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Wir wissen alle, dass er manchmal ein Idiot sein kann. Aber ihr seid jetzt schon seit fünf Jahren zusammen. Er kennt dich besser als jeder andere Mensch und er hätte sich diesen Scherz niemals mit dir erlaubt, wenn er ernsthaft daran geglaubt hätte, dass du es für voll nimmst. Er würde dir niemals absichtlich wehtun. Das weißt du doch, oder?«

Betrübt zucke ich mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Sora legt den Kopf schief und lächelt traurig. »Hab einen schönen Abend, Süße. Und melde dich, sobald du ein neues Handy hast. Dann telefonieren wir.«

»Okay, aber ich habe mich gerade daran gewöhnt, keins zu haben. So kann ich Tai besser mit Ignoranz strafen«, grinse ich diabolisch und Sora lacht, als ich aus dem Wagen steige und die Tür hinter mir zuknalle. Sora fährt weiter und ich atme frustriert aus, während ich in das leere Haus gehe und mich mutterseelenallein fühle.

Ich kann es nur schlecht zugeben, aber … ich vermisse Tai schon jetzt. Und dass wir im Streit auseinandergegangen sind, gefällt mir gar nicht …
 

Der Abend verläuft wie erwartet. Ich habe auf den letzten Drücker noch ein paar Süßigkeiten besorgt und kaum ist die Sonne untergegangen, klingeln auch schon die ersten kleinen Gespenster, Hexen und Kobolde an meiner Tür. Fröhlich rufen sie: »Süßes oder Saures« und ich freue mich über ihre fantastischen Kostüme, bis sie jeder einzeln eine Süßigkeit aus der großen Schale nehmen dürfen. Nebenbei lasse ich einen Horrorfilm laufen, der mir, nach dem Wochenende in der Hütte, wie ein Kinderfilm vorkommt. Inzwischen frage ich mich, wie ich nur so doof sein und Tai auf den Leim gehen konnte?

Ein Fluch.

Was für ein schlechter Witz.

Als es erneut klingelt, pausiere ich den Film und gehe zur Tür. Ich öffne sie und das erste Mal an diesem Abend erschrecke ich mich wirklich. Vor mir stehen drei verkleidete Kinder, aber das ist es nicht, was mir Angst macht. Es ist der Typ, der hinter ihnen steht. Er ist groß, in schwarze Klamotten gehüllt, die Kapuze seines Pullovers hat er tief ins Gesicht gezogen. Unter ihr erkenne ich wage zwei rote Augen, die mich fixieren, während hinter seinem Lächeln spitze Zähne aufblitzen.

Ein Vampir.

Und ganz offensichtlich die Begleitung der Kinder. Allerdings sieht man es selten, dass die Eltern dieses Event genauso ernst nehmen, wie ihre Kinder.

»Süßes oder Saures!«, rufen sie im Chor und ich hole die Süßigkeiten hervor, während ich ihre tollen Kostüme lobe. Sie freuen und bedienen sich und ziehen schließlich weiter zum nächsten Haus.

Der Vampir bleibt stehen, regungslos.

Gerade, als er die Lippen erneut zu einem Grinsen verzieht und mir seine Zähne entblößt, schlage ich ihm die Tür vor der Nase zu.

Hat der sie noch alle?

Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür und grinse.

Denkt er ernsthaft, ich hätte ihn nicht erkannt?

Ach, Tai. Selbst als Vampir verkleidet, würde ich dein Grinsen unter Tausenden erkennen.

Aber was macht er hier? Und wie ist er hergekommen?

Schnell schalte ich das Licht aus, sowie den Fernseher. Als es an der Tür klingelt, tue ich so, als wäre ich nicht zu Hause, was eigentlich albern ist, weil Tai mich ja schon gesehen hat. Ich will ihn damit lediglich ein wenig aus der Reserve locken.

Schlechte Scherze? Das kann ich auch.

Rache ist süß - besonders an Halloween. Und wenn er spielen will, dann spielen wir.

Es klingelt noch mal, doch ich reagiere gar nicht. Ich weiß, dass Tai das Versteck für den Zweitschlüssel kennt. Eilig gehe ich in die Küche und öffne den Kühlschrank. Wie gut, dass wir Ketchup zu Hause haben. Ich öffne die Tube und verteile einiges davon auf meiner Kehle, meiner Kleidung und dem Fußboden. Dann stoße ich einen spitzen Schrei aus, so laut, dass ich mir sicher bin, dass ihn Tai auf jeden Fall gehört haben muss, falls er noch immer vor meiner Tür steht. Ich verstecke mich hinter der Küchentheke und gehe in die Hocke, als ich auch schon das Geräusch des Haustürschlüssels höre. Und Tais aufgebrachte Rufe.

»Mimi? Mimi, wo bist du? Mimi!«

Schnelle Schritte trampeln über den Fußboden und kommen immer näher.

»Mimi, alles okay?«, ruft er erneut, ehe er schließlich in die Küche platzt. Ich höre, wie schwer er atmet und beinahe tut es mir leid, was ich gleich tun werde.

Als er noch näher kommt und nichts ahnend um die Ecke blicken möchte, springe ich aus meinem Versteck hervor und falle ihn wie ein wildes Tier an.

Tai kreischt auf und springt zurück, während er panisch seine Hände betrachtet, die rot kleben. Er stolpert zurück und rutscht in dem Ketchup aus, den ich dort verteilt habe, doch was er sieht, ist nur rotes Blut. Und mich, die überall Blut an ihrer Kleidung kleben hat und nun wie ein Zombie auf ihn zukommt.

Noch ein mal schreit er laut auf, bevor er rückwärts fällt und auf seinem Po landet, während ich mich nicht mehr halten kann. Mein schauriges Knurren geht in Lachen über, bis ich mir den Bauch halte und wie eine Irre laut lachend vor ihm stehe.

»Was zum …?«, will Tai fragen, doch in dem Moment schalte ich das Licht wieder ein. Irritiert und zugleich beängstigt mustert er mich.

»Mimi, du … aber du …« Dann sieht er sich suchend um und betrachtet seine Hände. »Wo kommt all das Blut her?«

Ich muss immer noch lachen, während ich vor ihm auf die Knie gehe. »Du bist der schlechteste Vampir aller Zeiten, Tai. Kannst du etwa kein Blut sehen?«

Immer noch wie in Trance schüttelt er den Kopf. »Nicht deins.«

»Hmm, zu schade«, sage ich und schürze die Lippen. »Und ich dachte, du bist extra hergekommen, um mich auszusaugen.«

Ich fahre mit dem Finger über meine Kehle und schmiere ihm dann die rote Flüssigkeit an die Lippen, woraufhin er das Gesicht verzieht.

»Das ist nur Ketchup, du Idiot«, lache ich erneut auf.

Nun leckt sich Tai über die Lippen und atmet erleichtert aus.

»Du bist der Teufel, Mimi. Mach das nie wieder mit mir, hörst du? Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen.«

Ich zwinkere ihm zu. »Entschuldige, aber wer ist denn als blutrünstiger Vampir vor meiner Haustür aufgetaucht?«, frage ich und zeige auf seine zwei roten Augen. Offensichtlich hat er sich extra Kontaktlinsen reingemacht. Die Dinger sehen verdammt echt aus. Genau wie seine Zähne, die immer wieder aufblitzen, sobald er lächelt. Was man heutzutage nicht alles im Internet kaufen kann …

»Ich wollte dir nur geben, was du verdient hast.« Ich grinse diabolisch. »Es ist schließlich Halloween.«

»Okay, du hast vollkommen recht, das habe ich wohl verdient«, meint Tai und sieht mich entschuldigend an. »Ich hatte mich nur einfach schon für die Party heute Abend umgezogen, als ich kurzerhand entschlossen habe, zu dir zurück zu fahren. Ich wollte keine Zeit verlieren, habe mir Joes Auto geschnappt und bin wie der Teufel hergefahren. Ich wollte dich in der Aufmachung nicht erschrecken.«

Grinsend zucke ich mit den Schultern. »Hast du nicht. Ich habe dich erschreckt. Außerdem habe ich dich sofort erkannt. Ich glaube nicht an diesen ganzen Gruselkram, schon vergessen? Wie geht es eigentlich deiner Hand, zeig mal her.«

Ich greife nach Tais Hand, wo eigentlich eine tiefe Schnittwunde sein müsste, aber es ist nur noch eine schmale Linie zu sehen. Irritiert lasse ich sie wieder sinken.

»Hmm«, mache ich. »Du hattest einen ziemlich guten Arzt, oder?«

»Könnte man so sagen.« Ein unsicheres Lächeln legt sich auf Tais Lippen, als er zu mir aufsieht. »Heißt das, du bist mir nicht mehr böse?«

»Oh, doch, das bin ich immer noch.«

Tai runzelt die Stirn.

»Aber du könntest es wieder gut machen, indem du heute Nacht bei mir bleibst und mich vor bösen Geistern beschützt.« Vielsagend klimpere ich mit den Augen, als Tai lacht und mich auf seinen Schoß zieht.

»Sagtest du nicht eben, du glaubst nicht an den ganzen Halloween Quatsch?«

»Richtig«, säusle ich und berühre mit den Fingerspitzen seine Lippen, die sich heute irgendwie kalt anfühlen. »Aber dein Kostüm ist eben echt sexy.«

Ein tiefes, verlangendes Knurren dringt aus Tais Kehle, ehe er mich küsst. Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken, während seine Lippen hinunter an meinen Hals wandern und seine Zungenspitze den Rest Ketchup weg leckt.

Seine Vampirzähne kratzen an meiner Haut, was mir eine angenehme Gänsehaut über den Rücken jagt.

»Gott, wo hast du nur diese Zähne her? Fühlt sich verdammt echt an.«

Genussvoll stöhne ich auf. Die Versöhnung ist jedes Mal das Beste an einem Streit.

»Du riechst so gut«, flüstert Tai drängend an meinem Hals.

»Ich liebe dich«, erwidere ich, bevor Tai seine Lippen öffnet und ich einen Schmerz verspüre, der anders ist als alles, was ich je gespürt habe. Es tut weh, aber ich will trotzdem nicht, dass er aufhört.

Als Tai seinen Kopf hebt und mich wieder ansieht, leckt er sich den Ketchup genüsslich aus den Mundwinkeln, während seine Augen aufleuchten. Er sieht so verändert aus. Ob das an der Maskerade liegt?

»Ich liebe dich auch, Mimi«, wispert Tai lächelnd.

Ich sehe seine spitzen Zähne. Ich sehe seine Augen. Es ist wie in meinem Traum.

Ich sehe ihn an und erkenne zum ersten Mal die Wahrheit. Tai hatte recht …

Es hat nie einen Fluch gegeben - jedenfalls nicht für mich.



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