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Die Rose in der Dunkelheit

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Die Rose in der Dunkelheit


 

Der Samen ruhte im dunklen, warmen Mutterschoß. Wartete auf neues Leben. Er konnte die Kälte über sich spüren. Den Frost, der sich auf alles gelegt hatte. Doch er wollte nicht länger warten. Er fühlte sich bereit, stark und begann auszutreiben.
 

Charlotte hatte den Tag herbeigesehnt, an dem sie endlich ihr Grimoire in den Händen halten würde. Sie hatte schon von klein auf ihre Magie trainiert, besessen von dem Gedanken stark zu werden. Stark genug, um den Fluch zu brechen, den eine Hexe ihr als kleines Kind auferlegt. Stark genug, damit ihre Eltern nie wieder ihretwegen Tränen vergossen. Sie hatte die Tage gezählt und heute war es endlich soweit. Das Grimoire war der nächste Schritt, um noch stärker zu werden.

„Halt still, mein Kind“, schimpfte ihre Zofe, die ihr die Haare flocht. Im selben Augenblick verstummte sie und biss sich auf die Lippe. „Verzeiht, mein Fräulein, ich hab nicht auf meine Wortwahl geachtet.“

Charlotte hörte kaum hin, als sich die Zofe noch weiter entschuldigte und nun ganz vorsichtig fortfuhr damit die Haare ineinander zu verflechten.

Ihr war es egal, wie sie heute aussehen würde. Ihre atemberaubende Schönheit war doch erst der Grund für den Fluch gewesen. Sie hatte den Zorn und Neid der Hexe völlig unbeabsichtigt auf sich gezogen. Es war unfair, dass das Haus Roselei deswegen leiden musste. Ihre Eltern hatten vergeblich nach einen Weg gesucht, um den Fluch zu stoppen und viele schlaflose Nächte damit verbracht alte Bücher zu wälzen. Sie hatten Kundschafter in alle entlegenste Winkel des Clover Königreiches geschickt, doch niemand konnte ihnen helfen.

Charlotte hatte deswegen mit jungen Jahren entschieden, dass es allein an ihr lag, den Fluch zu brechen. Sie würde so stark werden, dass der Fluch an ihrem 18. Geburtstag nicht seine Wirkung entfalten würde. Sie würde mit ihrer Familie feiern und alles würde sich zum Guten wenden.

Ihre Mutter kam ins Zimmer. „Bist du bereit, mein Liebling? Du siehst wunderschön aus!“

Sie zog einen Schmollmund. Sie wollte nicht schön aussehen, sondern stark und unbesiegbar wirken. Nervös zupfte sie eine geflochtene Strähne aus ihrer Frisur, bevor sie sich gemeinsam mit ihren Eltern auf den Weg zum Turm machte.

Sie hasste, dass die Zeremonie nur einmal im Jahr stattfand. Ihr 15. Geburtstag lag schon ein halbes Jahr zurück. Keine drei Jahre mehr, um noch stärker zu werden. Sie hatte ihren Vater angefleht, damit sie schon früher ihr Grimoire erhielt, doch es hatte nichts gebracht. Nur noch drei Jahre. Würde die Zeit reichen, um die Stärke zu erreichen, die sie brauchte, um den Fluch zu brechen und ihre Familie zu schützen?

Ungeduldig verlagerte sie ihr Gewicht von einen Fuß auf den anderen, während sie die Regale des Turmes nach ihrem Grimoire absuchte. Die Zeremonie dauerte ihr viel zu lange und die vielen Blicke, die sie auf sich zog, waren ihr unangenehm. Was sollte all diese lüsterne Blicke, die sie nur auf ihr schönes Gesicht und ihre noble Herkunft reduzierten. Es war ihr zuwider.

„Möge euer Grimoire euch Glück und Kraft schenken auf diesem neuen Abschnitt eures Lebens“, beendete der Meister des Turmes endlich seine Ansprache. Viele um Charlotte streckten erwartungsvoll ihre Hände aus und blickten gespannt zu den Regalen hoch aus denen nun die Bücher herausschossen und sich auf den Weg zu ihren neuen Besitzern machte.

Vor ihr kam ein schmaler blauer Band, der mit goldenem Rand und einem Rankenmuster verziert war, zum Stehen. Sie griff gierig danach und spürte eine neue Welle Energie durch ihren Körper pulsieren.

Endlich, dachte Charlotte und spürte wie die Anspannung von ihr abfiel. In ihr erwachte neue Zuversicht. Sie schlug das Grimoire auf und teste gleich den ersten Zauber aus. Dornen schossen hervor und alle wichen vor ihr zurück. Wie passend dachte sie, als sie die Dornen betrachtete. Sie wollte keine schöne, zarte Magie, sondern eine Waffe, mit der sie kämpfen konnte.

Sie würde trainieren und sich vorwärts kämpfen, bis sich alle Seiten ihres Grimoires mit den mächtigsten Zaubern gefüllt hatte. Einer davon würde ihr helfen diesen Fluch zu brechen. Sie würde so stark werden, dass niemand sie jemals wieder mit einem Fluch belegen konnte.

Sie würde unantastbar werden.
 

Der Samen trieb mit aller Kraft seine Wurzeln aus und strebte mit derselben Energie ans Licht. Mit brutaler, jugendlicher Kraft brach der Spross durch den frostigen Boden, begierig darauf der Sonne ein Stück näher zu kommen, doch hatte der Winter das Land noch fest im Griff.
 

Charlotte hatte jeden einzelnen Tag bis zur Aufnahmeprüfung in die magische Ritterorden trainiert. Andere adlige Frauen hatten sie belächelt und sich über ihre Anstrengungen lustig gemacht. Sie war eine Adlige, warum strengte sie sich wie eine Gewöhnliche an? Sie hatte doch schließlich mehr als genug als Magie und würde ohne Probleme die Aufnahme schaffe.

Keiner verstand den Wunsch, den Charlotte antrieb. Ihre Angst davor zu versagen. Das Schicksal des Hauses Roselei zu besiegeln und alle dazu zu verdammen für alle Ewigkeit eingesperrt zu sein. Das konnte sie nicht verantworten. Sie würde es aus eigener Kraft schaffen.

„Bist du sicher, dass du den magischen Ritterorden beitreten willst?“, fragte ihre Mutter sie am Abend vor der Aufnahmeprüfung. „Wir können Botschaften in die anderen Königreiche schicken. Irgendjemand muss doch einen Weg kennen, um diesen Fluch aufzuheben! Bleib hier bei uns. Wir beschützen dich. Wir werden einen Weg finden.“

Wieder weinte ihre Mutter und ihr Vater schwieg verzweifelt. Sie biss sich auf die Lippen. So oft hatte sie sich geschworen, dass ihre Mutter nie wieder weinen musste. Bald, bald, sagte sie sich. Bald hast du es geschafft. Nicht mehr lang und das alles hatte ein Ende.

„Macht euch keine Sorgen um mich“, wiederholte sie zum tausendsten Mal. „Ich werde stärker werden, als alle anderen. Ich werde diesen Fluch brechen.“

Und mit diesen Worten war sie ausgezogen. Selbstverständlich hatte sie die Aufnahmeprüfung geschafft und war dem Orden der Blauen Rose beigetreten. Sie war immer weiter die Ränge aufgestiegen, ihr Grimoire füllte sich weiter und weiter und doch war es noch nicht genug. Sie war immer noch zu schwach und die Zeit lief ihr davon.
 

„Oh, die Dornenprinzessin, wieder alleine auf einer Mission unterwegs?“

Diese spottende Ton kannte sie nur zu gut. Anders als andere Männer zeigte Yami Sukehiro aus dem Orden des Grauen Hirsches kein Interesse an ihr und überschüttete sie nicht mit Geschenken und Komplimente.

Verächtlich drehte sie sich zu ihm. Er war an sich sogar noch schlimmer als die anderen Männer. Ein Fremder, ein Barbar, der es nicht einmal wagen durfte, sie anzusehen, geschweige denn mit ihr zu reden.

„Lass mich in Ruhe, du Barbar!“, fauchte sie ihn an. Es ging ihn überhaupt nichts an, ob sie alleine unterwegs oder nicht. Sie brauchte keine Hilfe. Mehrere ihrer Kameradinnen hatte angeboten sie zu begleiten, doch sie hatte abgelehnt. Wenn sie es nicht alleine schaffte, konnte sie nicht stärker werden. Sie musste weiter nach oben streben, immer weiter hinauf. Erst an der Spitze wäre sie die Stärkste und unantastbar. Erst dann war sie frei.

Er hob abwehrend die Hände. „War doch nur eine Frage. Musst nicht gleich die Dornen ausfahren!“ Er lachte über seinen eigenen schlechten Witz und zog an seiner Zigarette, während er sie abschätzig musterte. Genervt rollte sie mit den Augen.

Was für eine reine Zeitverschwendung. Da waren ihr fast die schwachen Männer lieber, die vor ihr auf Knien rutschten und sie um ihre Hand baten. Doch kein Mann war stark genug, um es mit ihr aufzunehmen. All die schöne Worte und doch steckte nie etwas dahinter. Nicht einmal Yami Sukehiro, der Schützling des neuen König der Magier, konnte ihr die Stirn bieten. Auch er war nur ein schwacher Mann.

„Na ist ja auch egal. Musst du ja selber wissen“, murmelte er nur und zuckte mit den Achseln. „Ich bin auch lieber alleine unterwegs. Dann hat man seine Ruhe. Aber manchmal ist es ganz nett jemanden an seiner Seite zu haben.“

Charlotte schnaubte. „Vergleich mich nicht mit dir, du räudiger Hund.“

Yami zuckte wieder mit den Achseln, zog an seiner Zigarette und schulterte sein Schwert. Die Beleidigung schien einfach an ihm abzuprallen und ihn nicht weiter zu kümmern. Was wusste dieser elende Kerl schon von ihr? Gar nichts. Ihr Fluch war ihre Sache ganz alleine und sie würde niemanden damit hineinziehen. Nur alleine würde sie den Fluch brechen können. Nur sie alleine würde einen Weg finden, denn sie war die Stärkste von allen.

Sie wand sich ab und ging ihres Weges, ohne noch einmal ein Blick zurückzuwerfen. Immer weiter gerade aus, immer weiter, bis sie endlich an ihrem Ziel sein würde.
 

Der Spross kämpfte gegen die widrigen Umstände an, erst spross ein Blatt, dann noch eins. Jeder Sonnenstrahl wurde aufgesogen. Schützende Dornen, die sich aller Feinde erwehren würden. Die klirrende Kälte zog an den Kräften der kleinen Pflanze, doch sie gab nicht auf.
 

Der Tag ihres achtzehnten Geburtstages kam in rasend schnellen Schritten auf Charlotte zugeeilt. Sie war nach Hause gekommen und fühlte sich entsetzlich schwach. Sie wusste nicht, wie sich der Fluch aktivieren würde, aber sie wusste, dass sie versagt hatte. Sie stand alleine in der Eingangshalle des Anwesen der Familie Roselei und traute sich nicht die Treppe hinaufzugehen. Wie konnte sie ihren Eltern nur in die Augen sehen? Sie hatte ihr Versprechen nicht halten können. Sie hatte keinen Weg gefunden den Fluch zu brechen. Ihre Stärke reichte nicht aus. Wenn sie doch nur noch ein wenig mehr Zeit gehabt hätte. Dann hätte sie es vielleicht geschafft.

Während sie im Selbstmitleid versank, spürte sie plötzlich, wie sich ein ungutes Gefühl in ihrer Brust ausbreitete und ihr den Atem nahm. In ihr schien es auf einmal zu brodeln. War das der Fluch? Und dann verlor sie die Kontrolle und ihre Magie lief Amok.

Mit einem Mal schossen von überall ihre Dornenranken hervor und breitete sich rasend schnell im Anwesen aus. Sie hörte Schreie und sah entsetzt, wie einige Bedienstete von dem Dornengestrüpp gepackt und verschlungen wurden.

Nein, dachte Charlotte verzweifelt. Nicht meine eigene Magie.

Ihre Dornen waren ihr wie ein Segen vorgekommen, doch jetzt stellten sie sich als Fluch heraus. Sie versuchte verzweifelt wieder die Kontrolle zurück zu erlangen, doch es war vergeblich. Ihre eigene Stärke wand sich nun gegen sie. Tatenlos musste sie mit ansehen, wie das Dornengestrüpp sich Schritt für Schritt das Anwesen und alle darin lebende Personen einverleibte und in sich verschloss.

Nie hatte Charlotte gedacht, dass der Käfig, der sie für alle Zeiten gefangen halten sollte, aus ihren eigenen Dornen bestehen würde, die sich nun um sie selbst schlangen. Sie versuchte die Dornen abzuschütteln, während sie nun auch von draußen Schreie vernahm. Reichte es nicht, dass das Haus Roselei verflucht war? Musste es auch noch die unschuldigen Menschen in der Stadt treffen?

Wie konnte sie nur so verdammt schwach sein. Wie jämmerlich sie am Ende doch war.

„Verzeiht mir Vater, Mutter“, flüsterte sie, als sie immer tiefer in das Dornengestrüpp gezogen wurde. All ihre Kraft hatte sie verlassen. Alles war umsonst gewesen. Sie war machtlos gegen den Fluch. Wegen ihr waren alle verdammt.

Die Dunkelheit um sie herum nahm immer weiter zu und sie spürte, wie ihre schützende Dornen sich gegen sie wandten und ihr in die Haut schnitten. Sie war verloren.
 

Dann hörte Charlotte plötzlich in der finsteren, hoffnungslosen Stille ein sausendes Geräusch, als ob jemand durch die Luft schnitt und dann musste sie in das Licht blinzeln, als die Dornenranken zerschnitten wurden.

Ausgerechnet Yami Sukehiro stand dort im Licht. Er schaute auf sie herab, mit der Zigarette im Mundwinkel. Charlotte wäre lieber wieder in die Ranken und in die Dunkelheit vor Scham versunken, als von ihm gerettet zu werden. Sie hatte ihn als schwach abgetan. Ihn beleidigt.

Und jetzt stand er da und sah, wie schwach und jämmerlich sie war.

„Was soll denn der Scheiß, du Kuh?! Deinetwegen habe ich die Nudeln verschüttet, die ich gerade gegessen habe.“

Was für eine Schande, dachte sie verbissen. Ausgerechnet dieser Kerl...

„Auf den Missionen bist du immer Herrin der Lage, da hast du es wohl mal verdient, hilflos zu sein“, stellte er unbekümmert fest.

Sie wollte heulen, sich für immer verkriechen, augenblicklich tot umfallen, doch dann …

„Ich mag starke Frauen.“ Yami blickte ihr direkt in die Augen und Charlotte erstarrte. Ihr Herz begann plötzlich zu flattern. Starb sie jetzt wirklich vor Schande?

„Aber wie wär's, wenn du dich ab und zu auch mal auf andere verlassen würdest? Solche starken Leute, auf die man sich verlassen kann, gibt es doch in unseren magischen Ritterorden.“

Überrascht riss sie die Augen auf. Irgendwie hatte sie mit allem gerechnet, nur nicht damit. Er lachte sie nicht dafür aus, dass sie so jämmerlich schwach war. Er gab ihr nicht die Schuld daran, dass sie nicht stark genug gewesen war. Nein, er bot ihr seine Hilfe an.

Ihr Herz flatterte noch wilder und ihre Wangen wurden heiß. Sein durchdringender Blick bohrte sich direkt in ihr Herz und auf einmal fühlte sie sich noch schwächer, aber diese Schwäche fühlte sich gut an. Sie fühlte sich plötzlich geborgen und sicher.

Und bevor sie ganz verstand, was da gerade passierte, kehrte Ruhe in ihr ein und ihre Magie begann sich langsam aufzulösen. Die Ranken verschwanden und das Anwesen kam Stück für Stück wieder zum Vorscheinen.

„Oh, sie verschwinden. Glück gehabt“, kommentierte Yami den Vorgang und drehte ihr den Rücken zu. Charlotte blinzelte überrascht und verstand erst nach einem Augenblick, das er ihr die Chance gab, sich wieder zu sammeln. Langsam kam sie wieder auf die Beine und blickte verwunderte drein, während die Dornen verschwanden und ihre blaue Rosen sich auflösten. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie sollte Yami danken, doch es kamen keine Worte des Dankes über ihre Lippen. Ihr Gesicht brannte immer noch und ihr Herz schien aus ihrer Brust springen zu wollen. Ihre Beine fühlten sich an, als seien sie aus Gummi und sie zitterte am ganzen Körper.

Yami drehte sich wieder zu ihr um und sah sie wieder mit diesem durchdringenden Blick an. Nervös blickte sie auf den Boden und stammelte „Danke“.

„Gib mir einfach eine Runde Nudeln aus. Das reicht“, erwiderte er und fuhr sich durch Haar. „Und ich brauch ein neues Shirt. Dieses hier ist ruiniert.“

Und mit diesen Worten zog er sich sein Shirt über den Kopf und sie fiel vor Schreck in Ohnmacht.

Erst als Charlotte wieder erwachte und Yami längst verschwunden war, begriff sie, dass ihr Herz mit ihm gegangen war. Alles, was es gebraucht hatte, um den Fluch zu brechen, war, dass sie sich verliebte, denn Liebe war die Magie, nach der sie so verzweifelt gesucht hatte. Nicht alleine war man stark genug, sondern gemeinsam mit seinen Liebsten konnte man alles bezwingen.
 

Plötzlich brach die Sonne durch die Wolken und tauchte die kleine Pflanze in ihr goldenes Licht. Der Schnee begann zu schmelzen und der Winter trat seinen Rückzug an. Mit der neuen Kraft wuchs eine Rosenknospe und der Frühling begann.
 



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